ARCHITEKTONISCHER RUNDGANG AN DER TU BS Einleitung Das Altgebäude .........................1 Der Grotrian ..............................2 Die elektrotechnischen Institute ...3 Das Haus der Wissenschaft .......4 Die Mensa ...............................5 ...............6 Das Forumsensemble BS4 .........................................7 BS8 .........................................8 Das APM .................................9 Die Chemischen Institute .........10 Der Ausstellungspavillon Die Kita ........11 ................................12 Das Hörsaalgebäude Literaturverzeichnis Übersichtsplan ..............13 ECKDATEN DER HOCHSCHULE EINLEITUNG 1745 Gründung des Collegium Carolinum im Herzogtum Braunschweig durch Herzog Karl I. und seinen Berater Abt Jerusalem, besucht von Söhnen Adliger sowie reicher Bürger, zwecks Vorbereitung auf die Braunschweigische Landesuniversität Helmstedt, aber auch für berufsbezogene Ausbildung interessierter Landeskinder. 1835 Reorganisation: zum humanistischen und volkswirtschaftlichen Zweig kommt eine technische Abteilung hinzu, in der Ingenieure, Chemiker, Pharmazeuten, Landwirte und Baumeister ausgebildet werden. 1862 Umwandlung in ein Polytechnikum. 1878 Die Bildungsinstitution wird zur Technische Hochschule mit dem Namen „CaroloWilhelmina“. Unterstützt vom Verein deutscher Ingenieure wird das Niveau an jenes der Universitäten angeglichen. 1924 Nach wirtschaftlich schwierigen Zeiten der Hochschule, in der die Forschung inzwischen zum zweiten Standbein geworden war, Einwerbung von Mitteln aus der Industrie unter Carl Mühlenpfordt und Ausbau sowie Modernisierung der Hochschule. 1968 Nach inhaltlicher Erweiterung Umbenennung in „Technische Universität“. 1997 – 2008 Die Zahl der Studierenden sinkt von 18.000 auf 12.000. Zeitgleich finden einschneidende Umstrukturierungen statt: Abkehr vom Humboldtschen Bildungsbegriff, Einführung verschulter Bachelor- / Masterstudiengänge, Sparprogramme des Landes und in Folge dessen mehr Einfluss der Wirtschaft auf Universitätsentscheidungen z.B. über Drittmittel und nicht zuletzt politische Durchsetzung von Studiengebühren. ECKDATEN BAULICHER ENTWICKLUNG 1745 Das Collegium startet seinen Betrieb mitten in der noch mittelalterlich geprägten Stadt zwischen Fürstenresidenz und Hagenmarkt. Es bezieht ein bestehendes Gebäudeensemble am Bohlweg. In der Folgezeit werden zahlreiche Um-, An- und Neubauten vorgenommen, die zum einen die Bedeutung der Institution hervorheben sollen, zum anderen den Bedürfnissen der Lehranstalt Rechnung tragen, deren Raumbedarf immer weiter steigt. 1933 Entlassungsbeginn zahlreicher jüdischer und politisch missliebiger Hochschullehrer unter nationalsozialistischer Regierung sowie Verlust zahlreicher Studenten, die für den Kriegsdienst eingezogen werden. Außerdem Ausrichtung auf „kriegswichtige“ Projekte, z.B. durch die Gründung eines „Luftfahrtlehrzentrums“. Umfangreiche Pläne zum Ausbau der Hochschule scheitern. 1873 Schließlich wird ein 1,7 Hektar großes Terrain zwischen Wenden- und Fallersleber Tor gekauft wird. Bis 1877 entsteht daraufhin an der heutigen Pockelsstraße ein für 450 Studenten ausgelegter Neubau (↑ Altgebäude der TU), dem ein Bedarf von bis zu 130 Studienplätzen gegenübersteht. Die Planung des Neubaus zielt auch auf eine deutliche Erhöhung der Studentenzahlen. Um die Attraktivität der Institution zu erhöhen soll die Fächervielfalt sowie die Ausbildungsqualität erhöht werden. 1945 Große Kriegszerstörungen und die Eingliederung des bisher selbstständigen Landes Braunschweig in das Land Niedersachsen, führen zu Überlegungen, die TH Braunschweig mit der TH Hannover zusammenzulegen. Ab Mitte der 50er Jahre dann aber doch rasanter Wiederaufbau der TH Braunschweig, der in den 60er und 70er Jahren in eine weitreichende Expansion übergeht, um dem „Bildungsnotstand“ zu begegnen. 1925 Carl Mühlenpfordt übernimmt die Hochschulleitung und geht die erneut auftretende eklatante Raumnot an. Innerhalb von nur vier Jahren gelingt es durch Einwerbung großer Summen aus der Industrie zwei Neubauten und zwei umfangreiche Ausbauten zu realisieren (↑ elektrotechnische Institute). Die starke Konzentration auf die Ausstattung der technischen Fächer geht allerdings zu Lasten naturwissenschaftlicher, geistes- und sozialwissenschaftlicher Fächer. 1935 Baubeginn der Rusthochschule zur Lehrerbildung. Ursprünglich als Teil der TH geplant, setzen sich führende Personen der NSDAP erfolgreich für eine eigenständige Institution ein, um mehr ideologischen Einfluss zu gewinnen. Auch in der Architektur spiegelt sich dieses Ansinnen wieder (↑ Haus der Wissenschaft). 1978 gehen die Gebäude schließlich in den Besitz der TU über. 1939 Umfangreiche Erweiterungspläne im Nordosten der bestehenden Bauten beginnen. Zu deren Verwirklichung werden Grundstücke gekauft bzw. enteignet, was zu ersten Verzögerungen führt. Durch den Krieg wird eine Bebauung schließlich unmöglich. 1945 Im Juli beginnt unter dem neuen Rektor Gustav Gassner die Koordination aller notwendiger Wiederherstellungs- und Baumaßnahmen der stark zerstörten TH-Gebäude. Um den Bestand der Hochschule nicht durch lange Bauzeiten zu gefährden, wird die Idee der Errichtung einer kompletten Neuanlage verworfen. Wegen des Arbeitskräftemangels werden alle Studenten verpflichtet, am Wiederaufbau mitzuwirken. Bereits im November sind die Instandsetzungsmaßnahmen so weit fortgeschritten, dass der Lehrbetrieb wieder aufgenommen werden kann. 1946 Es entsteht eine Hochschulgesamtplanung, deren Mittelpunkt das alte Hauptgebäude darstellt. Im Folgejahr haben sich die Planungen auf das südlich angrenzende Gelände bis hin zur Fallersleber Straße ausgedehnt. Dieses Konzept scheitert jedoch an interner Kritik sowie an der privaten Wiederbebauung der benötigten Grundstücke. Eine großflächige Bausperre kann mangels einer vom Land gebilligten Hochschulplanung nicht durchgesetzt werden. 1950 Die im „Dritten Reich“ erworbenen Flächen zwischen langem Kamp und Bültenweg kommen erneut ins Blickfeld der Erweiterungspläne. Die Verdopplung der Studentenzahlen auf 4.437 in den fünfziger Jahren macht diesen Schritt notwendig. Die zugehörigen städtebaulichen Direktiven werden maßgeblich vom Braunschweiger Stadtbaurat Johannes Göderitz geprägt, der für „auf- gelockerte, verkehrsgerechte, funktional und hygienisch gegliederte“ Großstädte eintritt. Dieses Konzept wird in ganz Braunschweig großflächig umgesetzt, allerdings durchbrochen von sogenannten „Traditionsinseln“, zu denen nun auch der Zentralbereich der TH gezählt wird. Bis 1959 entstehen erste Institutsbauten auf dem Erweiterungsgelände „Langer Kamp“, die hauptsächlich dem Maschinenbau zugeordnet sind. 1957 Der Ausbau beschleunigt sich in dem Maße wie die Studentenzahlen wachsen. Neben den der Lehre vorbehaltenen Bauten entstehen jetzt auch verstärkt Forschungslaboratorien auf dem Areal „Der Bülten“. 1958 Beginn des Ausbaus im Zentralbereich (↑ Forumsensemble). 1960 Die Planungen gehen inzwischen von einem Maximum von 6000 Studenten aus. Dennoch werden keine Einrichtungen für soziale Infrastruktur eingeplant. Vielmehr erfolgt eine aufgelockerte Institutsbebauung mit reichlich Grünraum im Bereich „Der Bülten“. Das Verkehrskonzept orientiert sich an den Prognosen einer zunehmenden Intensivierung des PKW-Verkehrs. 1970 Mit dem Bau des Elektrotechnikhochhauses fällt die bisher mit der Hans-Sommer-Straße definierte südliche Grenze des Erweiterungsbereiches. Es zeichnet sich die Entwicklung eines bandartigen Hochschulbereiches ab. Außerdem fallen die entstehenden Neubauten durch radikalen Funktionalismus in der Außengestaltung auf und treten als städtebauliche Dominanten hervor. 1976 Die bisher letzte große Ausbauphase beginnt. Kernstück der Planung bildet die Prognose einer dramatischen Zunahme der Studentenzahlen von 5.018 im Jahr 1970 auf 12.700 im Jahr 1980, was auch tatsächlich annähernd eintrifft. Eine postmoderne Architektur hält Einzug. Die Dimensionierung der Baukörper orientiert sich nun an der vorhandenen Bebauung, zerstört diese aber zugleich durch massive Expansion. Aus wirtschaftlichen Gründen fällt die Erweiterung letztendlich weitaus geringer aus als geplant. 1...... DAS ALTGEBÄUDE DER TU Architekt: Constantin Uhde Bauzeit: 1874 - 1877 ARCHITEKTEN: Mit der Ausarbeitung des Entwurfes sowie des technischen Ausbaus wird der Architekt Constantin Uhde beauftragt, während Karl Körner die Planung der chemischen Laboratorien übernimmt. Beide lehren zugleich am Polytechnikum. ENTWURF: Die Grundlage des historisierenden Neubaus bildet ein nahezu quadratischer Baukörper, der einen fast 50 x 50 m großen Innenhof umschließt. Der Ostflügel bildet noch heute die Hauptfront aus. Die nördlichen und südlichen, zweigeschossigen Seitenflügel binden den eingeschossigen Chemietrakt als westlichen Hofabschluss ein. Die Planung eines geschlossenen Baukörpers emöglicht die Realisierung eines „Technischen Museums“ mit Ausstellungsräumen entlang eines Rundgangs im Erdgeschoss. Diese zusätzliche Nutzung schafft zwar Akzeptanz in der Bevölkerung für den kostspieligen Neubau, ist aber aufgrund der auftretenden Emissionen im Chemietrakt sowie der resultierenden räumlichen Zwänge heiß umstritten. EINORDNUNG IN DIE ZEITGENÖSSISCHE ARCHITEKTUR: Die Anordnung der Gebäude stellt in der Reihe der zeitgenössischen Hochschulbauten eine Ausnahme dar. Allerdings sind stilistische Verwandtschaften mit der von Semper entworfenen Eidgenössischen Hochschule in Zürich (1858-1862) sowie starke Ähnlichkeiten in der Fassadengestaltung mit dem Hauptgebäude des Aachener Poytechnikums von Cremer und Esser (1865-70) nachweisbar. INNEN UND AUßEN: Die Ostfassade wird als repräsentatives Antlitz des Gebäudekomplexes ausgebildet. Formen und Proportionen sind deutlich der norditalienischen Hochrenaissance entlehnt. Die Front gliedert sich symmetrisch durch den überhöhten Mittelrisalit (= ein auf ganzer Höhe hervorspringender Gebäudeteil) und die begrenzenden Eckrisaliten. Kämpfer- (obere vorspringende Platte einer Stütze) und Gurtgesims (vorkragendes Bauelement zwischen zwei Stockwerken) binden die Fassade in der Horizontalen zusammen. Die Planung des Gebäudeinneren hingegen ordnet sich funktionalen Zwängen unter. So muss u. a. die zunächst zentral geplante Vertikalerschließung zwei Treppenaufgängen an den Enden eines mittig gelegenen Erschließungsganges weichen. Erst die nach dem Wiederaufbau geschaffene Situation mit der zweiarmigen Treppenanlage im Mittelbau und einer hofseitigen Verglasung verwirklicht den ursprünglich anvisierten Gedanken. Besonders großzügig zeigt sich der Architekt in der Bemessung von Zeichen- und Hörsälen sowie in deren Belichtung. WIEDERAUFBAU: Bereits Ende 1945 wird mit Ausbesserungsarbeiten des stark zerstörten Gebäudes begonnen und der Lehrbetrieb in den nutzbaren Räumen wieder aufgenommen. Während Ost- und Nordtrakt weitestgehend unverändert wieder hergestellt werden, unterliegt der Bau bis 1959 folgenden wichtigen Änderungen: Verlegung der Haupterschließung in die Achse des Hauptportals und hofseitige Verglasung, partielle Einfügung von Zwischengeschossen zur Gewinnung zusätzlichen Nutzraumes, Neugliederung des Chemietraktes sowie Einrichtung eines Hörsaals als Auditorium Maximum durch Dieter Oesterlen, dessen ansteigendes Volumen die massive Wand zum Hof durchbricht. Der Südtrakt entfällt. An seiner Statt plant Oesterlen ein 17-geschossiges scheibenartiges Hochhaus mit nur 10 m Tiefe für die Fakultät Bauwesen, das zwischen 1958 und 1960 entsteht. Mit seiner flächigen, konstruktionsbetonenden Fassade und einem „Flugdach“ bildet es einen architektonischen Kontrapunkt zum Altbau. Ein aufgeständerter Glasgang verbindet die beiden Gebäudevolumen in Ost-West-Richtung. Auf diese Weise wird das umlaufende Wegesystem des Uhde-Baues wiederhergestellt. 2...... DER GROTRIAN Architekten: Architekten Rasche, Kratsch und Dr. Lassen Bauherr: Klavierbaufirma Grotrian-Steinweg Bauzeit: 1889 - 1924 GESCHICHTE: Interessanterweise war auch die Klavierbaufirma Grotrian-Steinweg, ähnlich dem Collegium Carolinum, im 19. Jahrhundert am Bohlweg angesiedelt. 1889 entsteht aus Platzgründen das erste Fabrikgebäude in der Zimmerstraße. Bis 1924 kommen fünf weitere Gebäude hinzu, von denen nur die beiden zuletzt gebauten bis heute erhalten sind. ENTWURF: Der nördliche Trakt wird 1911 von den Architekten Rasche und Kratsch geplant. Die tragenden Außenmauern werden in Mauerwerk ausgeführt, Stützen und Decken in Stahlbeton. Anders als bei den Vorgängerbauten werden die Fassaden recht aufwändig gestaltet. Während das Erdgeschoss ohne Versprünge auskommt, finden sich in den drei Obergeschossen Pfeilervorlagen, welche die Fenster in der Vertikalen zu Gruppen zusammenfassen. Kurz unter der Traufe wird die Fassade durch eine Art Gebälk erneut zusammengebunden. Im Erdgeschoss finden sich tonnengewölbte, in den Obergeschossen hingegen gerade Fensterstürze. Mit dem 1924 fertig gestellten Südtrakt addiert sich die Geschossnutzfläche der Anlage auf stattliche 10.500 m². Das Gebäude wird dreigeschossig ausgeführt und ähnelt in Konstruktion und Gestaltung dem Nordtrakt. Die unteren Geschosse erhalten drei Stützenreihen, das oberste bleibt stützenfrei, wird allerdings wesentlich niedriger ausgeführt. ZERSTÖRUNG UND WIEDERAUFBAU: Nach einem Großbrand 1926 werden die zerstörten Teile der Anlage fast identisch wieder aufgebaut. 1944 wird die Fabrik bei Luftangriffen stark zerstört. Nach anfangs kleineren Reparaturen erfolgt der Wiederaufbau in den 60er Jahren. Ab 1966 bekommen der erste und zweite Bauabschnitt zwei neue Obergeschosse in moderner Formensprache, die vom Architekten Dr. Lassen geplant werden. 1974 siedelt die Fabrik in neue Produktionsstätten an der Hamburger Straße um. Das Gelände an der Zimmerstraße samt der Gebäude wird an die Universität verkauft, die einen Chemieneubau plant. Ein Gutachten von Dr. Lassen ergibt, dass eine Umnutzung der bestehenden Anlage kostspieliger als ein gleichwertiger Neubau ausfallen würde. Nach Studentenprotesten gegen den geplanten Abriss und Besetzung der Gebäude wird eine Kompromisslösung umgesetzt. Die östlichen Bauten werden 1980 sämtlichst zu Gunsten des heutigen ↑Chemieneubaus abgerissen, die beiden westlichen Trakte erhalten und saniert. Heute werden sie als Zeichensäle für Architekturstudierende, als Klausursäle, Fachschaftsräume sowie von Werkstätten und zwei Instituten genutzt. An die Gesamtanlage erinnert hingegen kaum mehr als der Stempel der Fachschaft Architektur. ARCHITEKTEN: Carl Mühlenpfordt beginnt 1926, nur ein Jahr nach Antritt des Rektorenamtes, die Planung von drei neuen Instituten der Elektrotechnik. 3...... EL EKT R O T EC H NI S C H E I NS T I T U T E Architekt: Carl Mühlenpfordt Bauzeit: 1926-1929 ENTWURF: Aus Kostengründen wird ein bestehendes Fabrikgebäude westlich des Hauptgebäudes in Teilen umgebaut und durch Anbauten ergänzt. Es entsteht ein linearer Baukörper in Nord-Süd-Ausrichtung. Technisch fortschrittliche Versuchsaufbauten bestimmen sowohl die Innen- als auch die Außenraumgestaltung. So legt denn auch die notwendige lichte Höhe von 14 m für die Hochspannungsversuchshalle die gesamte Gebäudehöhe fest. Daneben gliedern wuchtige Treppentürme die aneinandergefügte Anlage an der Ostseite. INNEN UND AUßEN: Der Neubau wird in einem dunklen Mauerwerk ausgeführt, der ehemalige Fabrikteil gelblich verputzt. Im Erdgeschoss bindet eine vorgesetzetzte Sichtmauerksschale mit spitzbogigen gotisierenden Fensteraussparungen die beiden Teile zusammen. Gekonnt werden traditionelle Backsteinmotive mit einer schlichten Fassadengestaltung verknüpft, in der sich Funktion und Konstruktion abzeichnen. Besonders hervorstechend sind die vertikalen Pfeiler, die den massiven Sockel mit dem auskragenden Flachdach verbinden sowie die außen angebrachten kreisrunden Isolatoren. Anders als noch beim Hauptgebäude bilden bei diesem Bau Innenaufbau, Funktion und äußeres Erscheinungsbild eine architektonische Einheit. EINORDNUNG IN DIE ZEITGENÖSSISCHE ARCHITEKTUR: Die Arbeiten Mühlenpfordts sind einerseits dem traditionellen norddeutschen Bauweisen verhaftet, gewinnen aber Eigenständigkeit aus der schlichten Baukörpergestaltung, welche die Funktionalität zum gestalterischen Prinzip erhebt. Es lassen sich Parallelen ziehen zum gotisch-romantisierenden Backseinexpressionismus von Fritz Höger (Chilehaus, Hamburg, 1924/25), zur Industriearchitektur von Peter Behrens (AEG-Turbinenhalle, Berlin, 1908/09) oder auch zur Funkstation Nauen (1917-19) von Hermann Muthesius. GESCHICHTE: In der Weimarer Zeit bemühen sich sozialdemokratische Bildungspolitiker, die traditionellen Lehrerseminare, die in der Regel durch konfessionelle Enge gekennzeichnet sind, abzubauen. Im Land Braunschweig wird 1927 die sechssemestrige Lehrerbildung an der Technischen Hochschule eingeführt. Ein Neubau soll diesen Bildungszweig aufnehmen. D A S H A U S D ER W I S S ENS C H A F T Die Nationalsozialisten drängen jedoch erfolgreich auf die Verwirklichung einer unabhängigen Einrichtung zur Lehrerausbildung, um auf diesem Wege frühzeitig weltanschaulichen Einfluss auf die Jugend nehmen zu können. 1935 wird dem Baurat Emil Herzig, der bereits 1931 in die NSDAP eintrat, von seinem Parteifreund, dem Ministerpräsidenten Dietrich Klagges die Planung eines dazu geeigneten Gebäudekomplexes übertragen. ENTWURF: Der Neubau ist mit ca. 400 Räumen für etwa 300 Studenten ausgelegt, denen ein tatsächlicher Bedarf von 100 Studienplätzen gegenübersteht. Herzig plant sechs einzelne Baukörper. Drei den Innenhof umfassende, einbündig erschlossene, niedrige Gebäudeabschnitte verbinden die solitärartig, locker gruppierten drei Hauptbaukörper mit dem Hörsaalbau (Turmbau), dem Bau für das Naturhistorische Museum und dem Turnhallenbau. Die Zwischentrakte nehmen Instituts- und Verwaltungsräume auf. Die Idee eines von Erschließungsgängen umschlossenen Hofes knüpft an wiederbeschworene Leitbilder der Antike an. Der fehlende Abschluss im Norden ist Aufmarschzwecken geschuldet. Erschlossen wird der Komplex durch senkrecht gerichtete Hauptvolumen im Westen der Anlage. Die Einweihung erfolgt 1937 als pompöse Propagandaveranstaltung der Nationalsozialisten im Beisein des damaligen Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bernhard Rust, der auch als Namensgeber für die neue Hochschule fungiert. Architekt: Baurat Emil Herzig Bauzeit 1935 – 1937 ......4 EINORDNUNG IN DIE ZEITGENÖSSISCHE ARCHITEKTUR: Erneut treten bei einem braunschweiger Hochschulbau Ungereimtheiten zwischen Konstruktion und Gestaltung auf. Dem Tragwerk eines modernen Stahlbetonskeletts steht die Architektursprache der Nationalsozialisten entgegen, die auf Versatzstücken konservativer Architekturströmungen basiert. Die Wahl des Klinkers als optisch bestimmendes Material soll traditionelle Bauweisen aufnehmen. Die Steine sind allerdings nur vorgesetzt. Die steil aufragenden Dächer sowie die Zwerchgiebel mit zugespitzten Giebelfenstern im Turmbau erinnern an den norddeutschen Sakralbau der Backsteingotik. Deutliche Referenzen sowohl in Bezug auf die vertikalen Klinkergliederungen als auch in Bezug auf die krönende Planetariumskuppel finden sich bei dem Architekten Fritz Höger. Die Betonung der Vertikalen, monumentale Baukörper sowie die monotone Aneinanderreihung einzelner Bauglieder sind als deutliche Zeichen der nationalsozialistischen Führerideologie erkenntlich, wie sie am deutlichsten bei dem Architekten Albert Speer zu Tage tritt. Die Innengestaltung orientiert sich an klassisch gestalteten Bauten. Die Anwendung emotionsstarker Architekturzitate dient dem Zweck, den heroischen Charakter der NS-Ideologie hervorzuheben. NACHKRIEGSZEIT: Der Gebäudekomplex wird nur geringfügig zerstört. Schon im November 1945 kann der Lehrbetrieb in der von nun an als „Kant-Hochschule“ betitelten Einrichtung wieder aufgenommen werden. Kurz darauf wird der Turmaufsatz in veränderter Form in Stand gesetzt. 1956 widmet sich die Hochschule der Beseitigung der restlichen Schäden. Zwischen 1963 und 1965 wird die Anlage um den Nordtrakt ergänzt, der nunmehr als Hofabschluss dient. Seit 1978 nehmen die Gebäude verschiedene Funktionen der TU Braunschweig auf. ARCHITEKTIN: Ein zwischen den Assistenten der Architekturfakultät ausgelobter Wettbewerb bot die Chance, die Alltagskenntnisse der Planenden in die Entwurfslösungen mit einzubeziehen. In den Jahren 2001 bis 2008 als wissenschaftliche Mitarbeiterin der TU beschäftigt – zunächst am Institut von Prof. Auer und nach dessen Emeritierung bei Prof. Wagner – wusste die Architektin Denise Dih diese Chance für das Studierenden-Service-Center in bezaubernder Art und Weise zu nutzen. ENTWURF: Ebenenübergreifende Fenster auf der Hofseite des Gebäudes machen die Beratungsstelle zum lichtdurchfluteten Raum, wo einstmals finstere Schalter zur schlechten Laune verleiteten. Darüberhinaus überzeugt der Entwurf durch inspirierende Formen, denen es weder an Funktionalität noch an klarer Ästhetik mangelt. Zu den bestimmenden Elementen gehören die nach oben geschwungene Zwischendecke aus Sichtbeton sowie die geschlängelten Beratungstresen. Dass den Krümmungen ein strenges Raster zu Grunde liegt, wird über den harmonischen Gesamteindruck erlebbar. Auf der Westseite verschwinden Stauraum wie Heizkörper hinter einer unaufdringlichen Verkleidung. Die Stufen der nach oben führenden Wendeltreppe sowie die Sitzgelegenheiten für die Studierenden sind in einem gewöhnungsbedürftigen Giftgrün ausgeführt. Diese Farbtupfen sind zwischen den sonst vorherrschenden Grau- und Weißtönen jedoch unverzichtbar. Im Galeriegeschoss lenken schräg gestellte Wände den Blick der Gäste auf die zur Einzelberatung vorgesehene Büros. Ihnen gegenüber bildet die zur Brüstung geschwungene Zwischendecke die Rückenlehne einer den gesamten Raum überspannenden Bank für die Wartenden. EINORDNUNG IN DIE ZEITGENÖSSISCHE ARCHITEKTUR: Nicht nur die Nutzer von Gebäuden, auch die Architekten scheinen die Einöde allzu reduzierter Formen und Farben leid zu sein, wie sich an zahlreichen aktuellen Architekturbeispielen ablesen lässt. Auch der rechte Winkel verliert nach jahrzehntelanger dogmatischer Verwendung zusehends seinen Alleinvertretungsanspruch. D A S S T U D IER END E N- S ER V I C E - C ENTER ( I M H A U S D ER W I S S ENS C H A F T ) Architekten: Dih / Klingemann Bauzeit 2008 – 2009 ......4 5...... DIE MENSA ENTWURF: Die Entstehung der Massenunis in den 1960er Jahren macht auch eine entsprechende Verpflegungsmöglichkeit für die Studierenden erforderlich. 4.000 – 5.000 Essen sollen pro Tag an die Universitätsangehörigen in Braunschweig ausgegeben werden – ein Bedarf, der sich bis heute gehalten hat. Die in vielen Bereichen automatisierte Großküche schöpft die technischen Möglichkeiten ihrer Zeit in einzigartiger Weise aus. Dennoch will der Architekt den Eindruck einer Massenabfertigung unbedingt vermeiden. Diesem Anspruch wird er durch die Unterteilung der Mensa in folgende Teilbereiche gerecht: großer Saal zum Verzehr eines Standardessens mit 600 Sitzplätzen, kleiner Saal mit Essen à la carte und Bedienung für 250 Personen, Gästezimmer mit gleichem Service für 60 Personen, Klause zur Einnahme des Abendessens mit 190 Plätzen sowie eine Milchbar für kleinere Pausen. Architekt: Walter Henn Bauzeit: 1961-1962 Alle Speiseräume gruppieren sich um den Küchenkern, um den Ablauf möglichst effizient zu gestalten. Zwischen den beiden Sälen ermöglicht eine Bühne große Abendveranstaltungen wie den beliebten „Ball der Nationen“. Besonderer Beliebtheit erfreut sich dabei der Parkettboden. Nur für das Gästezimmer wählt der Architekt einen anderen Fußbodenbelag, was dem Raum schnell den Spitznahmen „Teppichmensa“ einträgt. INNEN UND AUßEN: Die Mensa wird in den Katharinenfriedhof integriert, dessen parkartiger Charakter die Entwurfsgestaltung maßgeblich beeinflusst. Dem Architekten gelingt es, sämtliche Funktionen ebenerdig anzuordnen, so dass der Baukörper von den umstehenden Kastanienbäumen überragt wird. Durch großzügige Verglasung der Außenhaut und umlaufende Terrassenanlagen entsteht zudem der Eindruck, dass Innenund Außenraum miteinander verschmelzen. EINORDNUNG IN DIE ZEITGENÖSSISCHE ARCHITEKTUR: Der an der Architektursprache der Moderne orientierte Mensabau von Henn avanciert in der Folgezeit zum Prototyp für zahlreiche weitere Mensabauten. Eine derart gelungene Verzahnung von Innen- und Außenraum gelingt sonst nur einem Mies van der Rohe oder einem Manfred Lehmbruck. UMBAU: 2001 wird eine Sanierung des Gebäudes notwendig. Zwei Jahre lang dient eine Zeltmensa als Provisorium, während der Mensabau komplett entkernt und neu strukturiert wird. Die beiden großen Säle werden zusammengefasst. Wo einst die Milchbar zu finden waren, wird heute vegetarisches Essen ausgeschenkt, die Klause wird zur Ausgabe für drei Standardessen. Dafür wird parkseitig eine eigenständige Cafeteria ergänzt, die sich zwar der Architektursprache des Altbaus anpasst, die einstmals 74 Meter lange Längsfront aber zerschneidet. 6...... DAS FORUMS ENSEMBLE GESCHICHTE: In den 50er Jahren wenden sich die Planer von der traditionellen Aneinanderreihung der Institute ab. In dem Anliegen, der Aufspaltung der Wissenschaften in immer speziellere Einzelbereiche entgegenzuwirken, sollen grundlegende Funktionen eigene Bauten in zentraler Lage erhalten. Dieses Konzept liefert die Basis des ab 1957 von dem Architekten Friedrich Wilhelm Krämer entworfenen Braunschweiger Hochschulforums. ENTWURF: Der Architekt entscheidet sich für drei neue Quadervolumen, die er über eine Terrassenebene miteinander verbindet. Die dadurch entstehenden Kolonnaden rahmen einen langgestreckten Platz, dessen westlichen Abschluss das Altgebäude bildet. Die axiale Verschiebung zwischen Alt und Neu belebt die Volumen. Architekt: Friedrich Wilhelm Krämer Bauzeit: 1958 - 1971 Zunächst entsteht von 1958 bis 1960 das neue Auditorium Maximum mit einem Hörsaal für 1000 Studierende sowie dem darunter liegenden Physikhörsaal mit 700 Plätzen. Ab 1961 schließt sich im Norden das siebengeschossige Rektoratsgebäude inklusive Verwaltung, mathematischer und physikalischer Institute an. Von hier aus erfolgt auch der Zugang zu der unter dem Platz gelegenen zweigeschossigen Tiefgarage. Die Bibliothek als nördlicher Abschluss kann erst 1971 nach mehreren Umplanungen fertig gestellt werden. Ihre asymmetrische Fassadengestaltung fällt aus dem gestalterischen Rahmen des Ensembles. Alle drei Gebäude sind in Skelettbauweise aus teils vorgefertigten Stahlbetonteilen errichtet. Die Höhe der flankierenden Gebäude orientiert sich am bestehenden Bau von Constantin Uhde. Darüber hinaus arbeitet der Architekt hingegen größtmögliche Kontraste zwischen Alt und Neu heraus. Der vorhandenen Präsentationsfassade im Rennaissance-Stil setzt er absolute Schlichtheit gegenüber, die in Monotonie abzugleiten droht und den menschlichen Maßstab vermissen lässt. Durch diese Geste sowie durch die Ausformung des Platzes gewinnt der Altbau bewusst an Aufmerksamkeit. Hans Arps „Wolkenzug über nachtschwarzem Himmel“ an der Westseite des Audimax bildet ein verspieltes Gegenüber. Leider fallen die Durchgänge zu beiden Seiten des mittleren Baues bedrückend eng und dunkel aus. Auch nehmen sie weder die Mittelachse des Altbaues noch jene der Spielmannstraße auf und erschweren damit unnötig die Durchwegung in Ost-West-Richtung. EINORDNUNG IN DIE ZEITGENÖSSISCHE ARCHITEKTUR: Die Fassadengestaltung des Rektoratsgebäudes weckt mit ihren horizontalen Fensterbändern Erinnerungen an ein von Mies von der Rohe in Berlin errichtetes Bürohaus. Auch der fließende Raum zwischen Innen und Außen, wie ihn Krämer durch einheitliche Pflasterung und Transparenz der Foyerzonen zu erreichen sucht, trägt dessen Handschrift. Beispiele für die kompromisslose Veranschaulichung von Konstruktion und Material finden sich vor allem bei Le Corbusier. 7.... Das M e h r z w e c k g e bä u de B S 4 ENTWURF: Ursprünglich umfassen die Planungen 3 miteinander verzahnte Türme (13-, 10- und 8-geschossig). Aufgrund massiver Probleme mit dem statisch ungeeigneten Baugrund bleibt es jedoch bei dem 13-Geschosser für die Architekturfakultät. Der Bedarf wird mit 12.000 m² Nutzfläche angesetzt, was den Baukörper maßstabslos erscheinen lässt. Die Konstruktion besteht aus einem sandgestrahlten Stahlbetonskelett. Dem Zeitgeist entsprechend wird die Fassade als Vorhangkonstruktion aus silberfarbenen Leichtmetall und raumhoher Verglasung ausgeführt. Hellgraues Granitpflaster verbindet den Außenraum mit dem Foyer. INNENRAUM: Ein funktionales Ausbauraster von 80/80 cm soll Großraumstrukturen und freie Grundrissgestaltung ermöglichen. Die einzelnen Räume werden dieser Logik folgend lediglich durch leichte Zwischenwände abgeteilt. Architekten: Pysall – Jensen – Starenberg Bauzeit: 1971 – 1976 SANIERUNG: 1998 führt das Institut für Gebäude- und Solartechnik in den selbstgenutzten Räumen im 10. OG ein Pilotprojekt zur energie- und komfortgerechten Sanierung des BS 4 durch. Eine aufwändige Analyse bildet die Grundlage, um die notwendigen Änderungsanforderungen genau zu fassen. Daraus resultieren insbesondere folgende Vorschläge: Grundrissumgestaltung ohne abgetrennte Fluchtwege zur besseren Belichtung und Belüftung sowie zur effizienteren Platznutzung, Einbringung von Deckensegeln zur Lichtlenkung, Aktivierung freigelegter Speichermassen durch automatisierte Nachtlüftung gegen sommerliche Überhitzung, Innendämmung der Stützen, neue Verglasung mit zeitgemäßen Dämmund Sonnenschutzwerten und ggf. Ausführung einer Doppelfassade, um die Dichtigkeit der Fassade sicherzustellen. Aufgrund der desaströsen Unterfinanzierung niedersächsischer Bausubstanz im Hochschulbereich können diese Sanierungsvorschläge allerdings bis heute nicht umgesetzt werden. ENTWURF: Das 15geschossige Hochhaus ist Teil eines Gebäudeensembles, dem auch ein zweigeschossiger Werkstättentrakt im Süden und eine Laborhalle mit Sheddach im Westen angehören. Acht Institute werden in der Anlage untergebracht; das Hochhaus enthält vor allem Labor- und Arbeitsräume, Büchereien, Räume für Rechneranlagen und Seminarräume. D a s E- t e c h n i k - H o c h h a u s B S 8 Die Eingangshalle des Hochhauses wird als Knotenpunkt für alle Verkehrswege des Gebäudeensembles ausgebildet. Im Erdgeschoss springt die Fassade zurück und bildet einen deutlich erkennbaren Sockel aus. KONSTRUKTION: Wie selbstverständlich beruht der Bau auf einer Stahlbetonkonstruktion mit quadratischem Raster, dessen Kantenlängen 7,20 m betragen. Der innenliegende Erschließungskern aus Ortbeton umfasst nicht nur Treppen, Fahrstühle und Toiletten, sondern auch einen Müllabwurfschacht. Als zusätzliches Tragelement fungiert ein Stützenkranz vor der Fassade. Die unterschiedlich großen Räume reihen sich zwangsweise auf allen Etagen entlang der Fassade und hinterlassen einen lichtlosen Erschließungsgang rund um den zweigeteilten Kern. INNEN UND AUßEN: Den Innenraum prägen triste Grundrisse, wofür die Nutzer_innen allerdings durch einen grandiosen Blick entschädigt werden. Außen werden mit den geschossweise aus der Fassade herausragenden Betonkassetten die Errungenschaften der Fertigbauweise präsentiert. Durch den Mangel an Farbe und die durchgehende Reihung der Elemente entsteht jedoch auch hier ein recht freudloser Eindruck. EINORDNUNG IN DIE ZEITGENÖSSISCHE ARCHITEKTUR: In den 70er Jahren gilt fast ausschließlich die optimierte Funktion als gültiges Qualitätsmerkmal. Konsequenterweise rücken konstruktive Details optisch in den Fokus. Nicht selten führt das wie in diesem Beispiel zu Monotonie in der Grundrissgestaltung. Die schlechte Dokumentation der in diesem Jahrzehnt für die TU erstellten Bauten verdeutlicht die damals geringe Wertschätzung für räumliche Qualitäten. Architekt: Karl Otto / Neue Heimat Städtebau Bauzeit: 1970-1975 ... ...8 9...... DAS APM Architekt: Giesler und Giesler Bauzeit: 1973 – 1976 STÄDTEBAULICHE EINBINDUNG: Das sogenannte Apartmenthaus Mühlenpfordt (APM) grenzt westlich an das Herzstück der Universität und ist verkehrstechnisch ideal über Bus und Straßenbahn, Ring- und Ausfallstraße angebunden. Das Gebäudevolumen bildet mit seinen bis zu 14 Geschossen einen Kontrapunkt zum gegenüberliegenden Bürohochhaus am Wendenring. Den vier straßenseitigen Aufgängen sind Einzelhäuser zugeordnet (↑ nebenstehende Grafik), deren funktionale Trennung sich von außen jedoch kaum ablesen lässt. Die ungebrochene Monumentalität des Wohnheimes gekoppelt mit den nach oben abgetreppten Volumen - verleiht dem Gebäude schon bald den Spitzamen „Affenfelsen“. ENTWURF: Drei Parkebenen bilden den Sockel des Gebäudes. Sie sollen dem Trend zum Individualverkehr gerecht werden, tragen jedoch nichts zur Belebung des Straßenraumes bei. Die darüberliegenden Wohngeschosse werden aus Lärmschutzgründen zurückgesetzt. Weiter verbessert wird der Lärmschutz durch die gefalteten Außenwände, welche zugleich als Sichtschutz und zur Richtungsorientierung dienen. Drei nach Süden orientierte, teilbegrünte Wohnhöfe auf dem Dach des obersten Parkdeckes sind als ruhiger Rückzugsort für die Bewohner_innen gedacht. Auf Gemeinschaftsräume wird zugunsten unabhängiger Wohneinheiten größtenteils verzichtet. Ausnahmen bilden ein Waschkeller, einzelne Partyräume sowie eine selbstverwaltete Kneipe namens „Monkey Island“. INNENAUSSTATTUNG: Das Wohnheim bietet insgesamt 857 Studierenden die Möglichkeit, ein preiswertes, wenn auch beengtes Miniappartment mit kompletter Ausstattung zu bewohnen. Jede Einheit verfügt über eine winzige Küchenzeile. Durch den Einbau eines Bades mit durchgehender Kunststoffverkleidung kann der Platzbedarf noch weiter minimiert werden. Insgesamt beträgt die nutzbare Fläche des normalen Wohnungstypes nur etwas mehr als 14 m². Etwa ein Dutzend verschiedene Wohntypen werden im APM umgesetzt, darunter auch einzelne Mehrraumwohnungen. EINORDNUNG IN DIE ZEITGENÖSSISCHE ARCHITEKTUR: Durchaus nicht untypisch für die Bauweise der 1970er Jahre ist die Fokussierung auf funktionale Aspekte (↑ Texte zu den Hochhäusern BS4 und BS8). Dies drückt sich beim APM vor allem in der Offenlegung der verwendeten Fertigbetonteile aus, denen die gelben Holzfensterrahmen nur wenig Belebung entgegenzusetzen haben. Darüberhinaus lässt der dringende Raumbedarf sowie ein neu gewachsenes Selbstbewusstsein nur wenige Architekten davor zurückschrecken, in monumentale Bauweisen abzugleiten. 10.... DIE CHEMISCHEN INSTITUTE Architekt: Husemann / Wiechmann Bauzeit: 1982 - 1985 GESCHICHTE: Mit dem Chemieneubau am Hagenring erhält die TU erstmals nach dem 2. Weltkrieg wieder einen zusammenhängenden und voll funktionstüchtigen Gebäudekomplex der anorganischen und organischen Chemie. Darüber hinaus werden ein Teil der naturwissenschaftlichen Bibliothek und ein neues Messzentrum in den Neubau integriert. ENTWURF: Die Gebäudevolumen gruppieren sich spiralförmig um einen zentralen Erschließungshof, der mit seiner liebevoll angelegten Sitzrotunde auch zum Verweilen einlädt. Durch die Ausbildung von Teilarkaden vor dem Haupteingang am Hagenring und die dahinterliegende verglaste Halle entsteht eine gelungene Verbindung zwischen der viel befahrenen Straße und der Hofanlage, die bis in den Grotrian hineinreicht. Forschung und Lehre sind in zwei voneinander getrennten Flügeln untergebracht aber über die Haupterschließung sowie über einen Brückengang im Hof verbunden. UMGANG MIT DEM BESTAND: Entgegen den rücksichtslosen Planungen der vergangenen Jahrzehnte, soll der Neubau die vorhandene Blockrandbebauung ergänzen und sich in die umliegende kleinteilige Baustruktur einpassen. Neben der geringen Traufhöhe zeugen auch die in der Zimmerstraße ausgeführten Fassadenrücksprünge im Abstand einer üblichen Hausbreite eindrucksvoll von dieser Absicht. Konsequenterweise wählen die Architekten den seit Jahrhunderten im Hochbau verwendeten roten Backstein als fassadenprägendes Baumaterial. Bei all den Bestrebungen, möglichst behutsam in die vorhandene Stadtstruktur einzugreifen, erscheint es als ironisch, dass dem neuen Institutsbau Industriebauten aus Vorkriegszeiten weichen müssen (↑ Grotrian). EINORDNUNG IN DIE ZEITGENÖSSISCHE ARCHITEKTUR: Das Planungsbüro zeichnet auch für die Gestaltung des Biozentrums verantwortlich. Bei genauerer Betrachtung werden deutliche Parallelen in der Anordnung der Volumen, der Materialwahl sowie der Ausarbeitung einzelner Details erkennbar. ARCHITEKT: Der Architekt Meinhard von Gerkan schließt 1964 sein Architekturstudium an der TH Braunschweig ab und kehrt nur zehn Jahre später an die TU Braunschweig als Professor zurück, wo er bis 2002 das Institut für Baugestaltung leitet. Seit über 40 Jahren führt er zusammen mit Volkwin Marg ein überaus erfolgreiches Architekturbüro. ENTWURF: Der Architekturpavillon steht zentral aber ein wenig versteckt im Innenhof des Hauptgebäudes der TU. Ein Brückensteg verbindet das Treppenpodest im Altbau mit der Galerieebene des Neubaus. Folgerichtig setzt sich auch die vorhandene Mittelachse bis in den Neubau fort. Hofseitig ist der Pavillon durch eine Freitreppe erschlossen. Eine flexible Ausstellungsgestaltung mit 280 m² Hängefläche wird durch mobile 4 m² große Wandsegmente ermöglicht. Die Reduktion auf einfache Materialien (Sichtbeton, Stahl und Glas), Geschosshöhen von 3 m und 15 x 15 m Grundfläche lassen den Pavillon als lichten Kubus wirken. Die zweischalige Fassade aus Glasstegplatten, in die eine transluszente Wärmedämmung eingefügt ist, bedingt den für Ausstellungszwecke geeigneten indirekten Lichteinfall. Das Gebäude zeigt sich tagsüber schillernd-reflektierend, nachts als leuchtender Kubus. EINORDNUNG IN DIE ZEITGENÖSSISCHE ARCHITEKTUR: Einfache geometrische Grundformen haben die Architekturschaffenden von Boullée bis in unsere Zeit immer von Neuem begeistert. Die verglaste Variante hat Ludwig Mies von der Rohe mit der Neuen Nationalgalerie meisterhaft in Szene gesetzt. Die Verwendung von grünlich gefärbten Glasstegplatten ist eher ungewöhnlich und hat dem Bau den Spitznamen „Gurkenglas“ eingebracht. DER ARCHITEKTURPAVILLO N ......11 Architekt: Meinhard von Gerkan Bauzeit: 1999 - 2000 12...... DIE KINDERTAGESSTÄTTE ENTWURF: Auffällig ist die Ausarbeitung des größtmöglichen Kontrastes zu dem benachbarten ↑Haus der Wissenschaft. Dem roten Backstein stellen die Architekten eine grüne Eternitfassade gegenüber, dem Turmbau einen langgestreckten Flachbau. Die Kindertagesstätte wurde für zwei Gruppen mit insgesamt 30 Kindern ausgestaltet, eine spätere Erweiterung aber von vornherein mitbedacht. Durch Einrückungen der ansonsten glatt durchlaufenden Straßenfront werden die Ankommenden zu den beiden Eingängen geführt. INNEN UND AUßEN: Zur Straße präsentiert sich die Kindertagesstätte als geschlossener Baukörper mit vergleichsweise kleinen, horizontal ausgerichteten Fensteröffnungen. Dahinter verbergen sich vor allem Betriebsräume wie Küche und Büro. Ganz anders auf der straßenabgewandten Seite: Hier verzahnen sich die Gruppenräume der Kinder mit dem Außenrraum, der ihnen als Spielhof dient. Großflächige Verglasungen verstärken den Austausch zwischen Innen- und Außenraum. Selbstverständlich darf bei einem solchen Neubau auch die Akustikdecke in den Spielräumen nicht fehlen. Nur so lässt sich der Lärmpegel für alle auf ein verträgliches Maß reduzieren. Architekten: Springmeier / Boulkroune / Kraatz Bauzeit: 2008 - 2009 EINORDNUNG IN DIE UMLIEGENDE ARCHITEKTUR: Am Fuße des siebengeschossigen Turmbaus vom heutigen Haus der Wissenschaft und gegenüber fünfgeschossigen Wohnbauten lässt die geringe Höhe den neuen Baukörper unterdimensioniert wirken. Als Zwerg unter Riesen, kann die Kubatur des Neubaus aber auch als Hinweis auf seine Nutzung als Kita verstanden werden. GESCHICHTE: 2003 entsteht auf einem ehemaligen Kasernengelände am Bienroder Weg ein neues Universitätsareal unter dem Namen Campus Nord. Durch die Unterbringung der Geistes- und Sozialwissenschaften an diesem Standort wird eine räumliche Trennung zu den Ingenieurswissenschaften vollzogen. Drei Jahre später wird mit dem Neubau eines Hörsaalgebäudes begonnen, das auf dem neu gewonnenen Areal dringend benötigt wird. ENTWURF: Das Gebäude präsentiert sich als eingeschossiger, quadratischer Baukörper mit einer Kantenlänge von 33,6 m. Dabei erreicht der nicht unterkellerte Bau eine Traufhöhe von gerade einmal 5,4 m. Aufgesattelt auf einem 1,4 m hohen Plateau, wird das Foyer über einen großzügig angelegten Kranz von Treppen und Sitzstufen erschlossen. Weiterhin sind auf dieser Ebene mehrere Versorgungsräume angesiedelt. Die beiden multimedial augestatteten Hörsäle sind für 348 bzw. 138 Personen ausgelegt. Hier springt das Niveau mit dem fallenden Gestühl nach unten und erlangt im Podiumsbereich wieder Terrainhöhe. EINORDNUNG IN DIE UMGEBENDE ARCHITEKTUR: Schlicht und funktional gestaltet, gliedert sich der Baukörper gut in die umgebende Kasernenarchitektur ein. Die außenliegenden Treppenanlagen verleihen dem Bau einen landschaftlichen Charakter, der dem weitläufigen Gelände gerecht wird. Über einen verglasten Gang im Hochparterre wird der Neubau an einen vorhandenen Gebäuderiegel angeschlossen. Hier entstehen nach Umbauarbeiten zahlreiche Seminarräume. INNEN UND AUßEN: Innen wie außen herrschen funktionale Aspekte vor. Durch den großzügigen Einsatz von Glas und Holz sowie das Setzen einzelner Farbakzente gelingt die optische Auflockerung des vom Sichtbeton geprägten Baus. Beim Innenausbau wurde besonderer Wert auf Maßnahmen zur Verbesserung der Akustik gelegt. Neben Holzpaneelen an den Innenwänden der Hörsäle finden sich Schallsegel und gelochte Gipskartonplatten in den Deckenbereichen. DAS H ÖRSA ALGEBÄUDE Architekten: Matzke / Dahlberg Bauzeit: 2006 – 2009 ......13 Alle aufgeführten Bücher sind in der Universitätsbibliothek ausleihbar. Viel Spaß beim Weiterlesen! 7...... Literatur verzeichnis „Braunschweig... Wie man eine Großstadt plant - 25 Jahre Stadtentwicklung“ 1990 braunschweiger forum, Verein zur Förderung bürgernaher Stadtplanung e. V. „Technische Hochschule Carolo Wilhelmina zu Braunschweig“ Prof. Dr. Wolfgang Schneider 1963 Länderdienstverlag Berlin-West / Basel „Vom Bildungspalast zum Forschungslaboratorium“ Dissertation Holger Pump-Uhlmann 1997 Technische Universität Delft „Architekturführer Braunschweig – Architektur 19. - 21. Jahrhundert“ BDA, Bezirksgruppe Braunschweig 2001 Appelhans Verlag, Braunschweig „Dschungelbuch 2007 - Erstsemesterheft“ Fachschaft Architektur der TU Braunschweig „Die Klavierfabrik Grotrian-Steinweg in der Zimmerstraße, Braunschweig“ 1995 Seminararbeit von Matthias Gütschow „Dieter Oesterlen, Bauten und Planungen“ 1964 Verlangsanstalt Alexander Koch GmbH Stuttgart „Gesetz und Freiheit – Der Architekt Friedrich Wilhelm Kraemer (1907 – 1990)“ Karin Wilhelm und Olaf Gisbertz, Detlef Jessen-Klingenberg, Anne Schmedding 2007 jovis Verlag GmbH Berlin „Städteforum. Stadt Braunschweig“ 1973, 1979 und 1988 „von Gerkan, Marg und Partner – Architecture 1999 – 2000“ Meinhard von Gerkan 2002 Birkhäuser Verlag Diverse Zeitschriftenartikel und Planungsunterlagen der neueren Bauten 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 Das Altgebäude Der Grotrian Die elektrotechnischen Institute Das Haus der Wissenschaft Die Mensa Das Forumsensemble BS4 BS8 Das APM Die Chemischen Institute Der Ausstellungspavillon Die Kita Das Hörsaalgebäude Lageplan ......8 Das Projekt eines architektonischen Unirundgangs für Erstemester_innen wurde 2008 vom Allgemeinen Studentenausschuss der TU Braunschweig ins Leben gerufen und 2010 überarbeitet. Dieses Heft soll den Rundgang begleiten und zum Nachschlagen anregen. Erstellung und Druck des Heftes wurden aus Studiengebühren finanziert. Die Verfasserin spricht sich an dieser Stelle dennoch mit Nachdruck für deren Abschaffung aus! Christina Albrecht, Dipl.-Ing. Architektur