Editorial 1047 Wandel ohne Katastrophe Demografische Entwicklung, Klimawandel, steigende Rohstoffpreise, Wassermangel und Hunger in vielen Teilen der Welt sind aktuelle Themen, die auch die Siedlungswasserwirtschaftler in Deutschland beschäftigen. Die Diskussion dieser Probleme wird mit der Frage verbunden, ob unsere Lösung der Siedlungsentwässerung mit zentralen Entwässerungssystemen auf Grundlage der Schwemmkanalisation und gemeinsamer zentraler Behandlung des häuslichen Schmutzwassers, des gewerblich-industriellen Abwassers und des Niederschlagswassers vor Einleitung in Gewässer ausreichend zufriedenstellende Antworten geben kann. Dies wird zunehmend bezweifelt, weil in Deutschland zwar die ursprünglichen Anliegen Hygiene und Wasserabfluss weitgehend gelöst sind, allerdings mit einem wenig flexiblen System mit hoher Kapitalbindung und mit Lenkungsformen, die auf die heutigen zentralen Systeme optimiert sind. Ferner werden diese Systeme mit Fragestellungen (Arzneimittelrückstände, Mikroverunreinigung etc.) konfrontiert, deren Lösung heute noch nicht in Sicht ist. Ingenieurinnen und Ingenieure sind gefragt, technische Lösungen für die Anpassung bereitzustellen. Politik und Verwaltung müssen geeignete Rahmenbedingungen gewährleisten, um neben den klassischen zentralen Lösungen andere sinnvolle Konzepte zuzulassen. Insbesondere die sogenannten Neuartigen Sanitärsysteme (NASS) erscheinen mir eine zukunftsweisende Erweiterung der technischen Möglichkeiten zu sein. Erste Gedanken zu an Stoffströmen und Ressourcen orientierten Systemen wur- www.dwa.de/KA 1046-1047.indd 1047 den in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts primär aus universitärer Sicht publiziert und im Rahmen einiger Pilotprojekte realisiert. Die Arbeitsgruppe GB5.1 „Nachhaltige Siedlungswasserwirtschaft“ (damals noch der ATV-DVWK) hat zum Thema alternative Sanitärkonzepte im Jahre 2002 einen Arbeitsbericht erarbeitet, in dem erste Überlegungen dargelegt wurden. Das Thema wurde in der Vereinigung kontrovers und anfangs auch emotional diskutiert. Um die Diskussionen auf eine solide Basis zu stellen, wurde 2004 beschlossen, den neuen DWA-Fachausschuss KA-1 „Neuartige Sanitärsysteme“ als gemeinsamen Ausschuss der DWA-Hauptausschüsse „Kommunale Abwasserbehandlung“ und „Entwässerungssysteme“ zu gründen. Die Ergebnisse des Fachausschusses und seiner sechs Arbeitsgruppen sind in einem im Dezember 2008 erscheinenden Themenband zusammengestellt. Am 2. Dezember 2008 wird in Weimar eine Tagung zum Thema angeboten, bei der die neuen Entwicklungen präsentiert und diskutiert werden (das Programm liegt dieser Ausgabe der KA bei, siehe zudem Seite 1144 dieser KA). Hier will die DWA ihren Mitgliedern die Chance geben, diese neuen Ansätze kennenzulernen. Der demografische Wandel mit seinen Auswirkungen auf die Infrastruktur in der Wasserwirtschaft bietet Chancen und Potenziale durch den Zwang zur Reaktion auf zu hohe oder zu geringe Auslastung von Infrastruktursystemen. Ein Umbau und der schrittweise Ersatz durch neue, besser anpassbare Systeme birgt ein hohes Innovations- und Weltmarktpotenzial und damit Chancen für den Export. Weltweit wird sich für angepasste Wasser- und Abwasserinfrastrukturkomponenten ein rapide steigendes Marktvolumen aufgrund wachsender Notwendigkeiten und Nachfrage ergeben. Steigende Rohstoff- und Energiepreise werden zu einer größeren Nachfrage nach ressourceneffizienter Technologie führen. Dies gilt für urbane Räume (auch Megacities) und ländliche Räume aller Klimazonen gleichermaßen. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Technik bekommen werden, die wir uns leisten können und leisten wollen: zeitlich und räumlich differenziert. Mit zunehmenden Wahlmöglichkeiten werden der Markt und das Marketing Einzug halten und das Verhalten der Kunden (Nutzer) wesentlich verändern. Meine Hoffnung für die Zukunft ist, dass Teilstrom basierte Systeme (gelb, braun, grau, schwarz etc.) dezentral, zentral in Kombination mit vorhandener Infrastruktur – zunehmend auch mit Energiegewinnung – nebeneinander und miteinander verknüpft existieren werden. Systeme und Technik werden diversifiziert. Systemkomponenten werden zu angepassten Systemen verknüpft, in den Bestand integriert oder als Insellösungen betrieben. Wandel auch in der Siedlungswasserwirtschaft ohne Katastrophe ist Ziel und meine Erwartung. Prof. Dr.-Ing. Jörg Londong (Bauhaus-Universität Weimar) KA Korrespondenz Abwasser, Abfall · 2008 (55) · Nr. 10 19.09.2008 10:59:44 Uhr