Diskriminierung durch PID? Auswirkungen der

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Diskriminierung durch PID?
Auswirkungen der Präimplantationsdiagnostik auf Menschen mit
Behinderungen – medizinethische Aspekte
Andreas Kösters, M.A.
Gliederung
I. Einleitung
II. Moralische Probleme der PID ohne Bezug auf Menschen
mit Behinderungen
III.„Diskriminierungs“-Argumente
IV.Fazit
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
Moralische Probleme der PID ohne Bezug auf Menschen mit
Behinderungen – moralischer Status menschlicher Embryonen
• „SKIP“-Argumente
• Spezies-Argument
• Kontinuums-Argument
• Identitäts-Argument
• Potentialitäts-Argument
• Meistgebrauchte Argumente zur Rechtfertigung eines vollen moralischen Status
menschlicher Embryonen.
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
Moralische Probleme der PID ohne Bezug auf Menschen mit
Behinderungen – moralischer Status menschlicher Embryonen
• Spezies-Argument (nach Damschen/Schönecker 2002)
• P1: Jedes Mitglied der Spezies Mensch hat vollen moralischen Status
• P2: Jeder menschliche Embryo ist Mitglied der Spezies Mensch
• C: Jeder Menschliche Embryo hat vollen moralischen Status
• Sein-Sollen-Fehlschluss
• „Spezieszismus“
• Würde des Embryos = Gattungswürde?
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
Moralische Probleme der PID ohne Bezug auf Menschen mit
Behinderungen – moralischer Status menschlicher Embryonen
• Kontinuums-Argument
• P1: Jedes menschliche Wesen, das aktual Φ ist, hat vollen moralischen Status
• P2: Jeder menschliche Embryo wird sich, unter normalen Bedingungen,
kontinuierlich zu einem menschlichen Wesen entwickeln, das aktual Φ ist.
• C: Jeder menschliche Embryo hat vollen moralischen Status
• Moralrelevante Einschnitte möglich?
• Sorites-Paradoxon
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
Moralische Probleme der PID ohne Bezug auf Menschen mit
Behinderungen – moralischer Status menschlicher Embryonen
• Identitäts-Argument
• P1: Jedes menschliche Wesen, das aktual Φ ist, hat vollen moralischen Status
• P2: Jeder geborene Mensch ist mit einem Embryo identisch, aus dem er sich
entwickelt hat.
• P3: Wenn irgendein menschlicher Embryo vollen moralischen Status hat, dann
muss dies auch für alle anderen gelten
• C: Jeder menschliche Embryo hat vollen moralischen Status
• Nur schwer auf frühe Embryonen anwendbar (Zwillingsbildung!)
• Welche Form der Identität?
• Warum moralisch relevant?
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
Moralische Probleme der PID ohne Bezug auf Menschen mit
Behinderungen – moralischer Status menschlicher Embryonen
• Potentialitäts-Argument
• P1: Jedes menschliche Wesen, das potentiell Φ ist, hat vollen moralischen Status
• P2: Jeder menschliche Embryo ist ein Wesen, das potentiell Φ ist
• C: Jeder menschliche Embryo hat vollen moralischen Status
• Abgrenzungsproblem
• Welche Form der Potentialität?
• Warum moralisch relevant? (Kronprinzen-Argument)
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
Moralische Probleme der PID ohne Bezug auf Menschen mit
Behinderungen – moralischer Status menschlicher Embryonen
• Liberale Ansätze argumentieren meist vorrangig negativ
• Soll positiv gezeigt werden, warum irgendwann voller moralischer Status einsetzt, so
stehen diese Ansätze für gewöhnlich vor ähnlichen Problemen wie konservative Ansätze
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
Moralische Probleme der PID ohne Bezug auf Menschen mit
Behinderungen – moralischer Status menschlicher Embryonen
• Gradualistische Ansätze: moralischer Status steigt mit der Entwicklung des Embryos
an
• Kompromiss-Position
• Deckt sich mit weithin geteilten moralischen Intuitionen
• Argumentativ mit den gleichen Problemen konfrontiert wie konservativer und liberaler
Ansatz
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
Moralische Probleme der PID ohne Bezug auf Menschen mit
Behinderungen – moralischer Status menschlicher Embryonen
• „Faktum des Dissenses“ (Bayertz)
• => politische Lösung nötig
• Raum für weitere Argumente
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
Moralische Probleme der PID ohne Bezug auf Menschen mit
Behinderungen – reproduktive Autonomie
• Selbstbestimmung = zentraler Wert in westlichen Gesellschaften
• Wann sind Entscheidungen selbstbestimmt? (Beauchamp/Childress 2009):
• Kompetenz
• Absichtlichkeit
• Hinreichendes Verständnis
• Abwesenheit von Zwang
• Empirische Daten zur Pränataldiagnostik deuten darauf hin, dass bzgl. der letzten
beiden Bedingungen bisweilen erhebliche Defizite bestehen
• => Wenn Respekt vor reproduktiver Autonomie als Argument für liberale Regelung der
PID angeführt werden soll müssen diese Defizite beseitigt werden
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
Moralische Probleme der PID ohne Bezug auf Menschen mit
Behinderungen – kindliche Interessen
• Direkte Schädigungen der nach PID geborenen Kinder durch das Verfahren der PID
sind bisher nicht belegt
• Ob mittelbar das Selbstverständnis der Menschen dadurch beschädigt wird, dass sie
durch PID ausgewählt wurden sollte weiter beobachtet werden. Bisher deutet jedoch
nichts darauf hin.
• Dass im Interesse der potentiellen Kinder eine PID durchgeführt wurde, kann – wenn
überhaupt – nur bei schwersten Behinderungen („wrongful life“) begründet werden
(Parfit: „non-identity-problem“)
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
„Diskriminierungs“-Argumente – Begriffliche Schwierigkeiten
• „Diskriminierung“
• Vielzahl unterschiedlicher Begriffe
• Alltagssprachlicher Begriff: (ungerechtfertigte) Herabsetzung, Benachteiligung,
Zurücksetzung => normativer Begriff
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
„Diskriminierungs“-Argumente – Begriffliche Schwierigkeiten
• „Behinderung“
• Disability Studies unterscheiden zwei Modelle von Behinderung:
• Medizinisches / individuelles Modell
• Soziales Modell
• Impairment = individuelle Beeinträchtigungen
• Disability = soziale Ausgrenzung
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
„Diskriminierungs“-Argumente – Diskriminierung von
Embryonen
• Die nach PID verworfenen Embryonen werden diskriminiert
• Der spezielle Bezug des Arguments auf Menschen mit Behinderungen geht
verloren
• Argument kollabiert in die „Statusdebatte“
• Diskriminierung ist nicht das eigentliche Problem
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
„Diskriminierungs“-Argumente – Das Expressionsargument
• „expressivist objection“ (Buchanan 1996), bezieht sich ursprünglich auf
Präntaldiagnostik
• PID impliziert eine Herabwürdigung von Menschen mit Behinderungen
• Es werden ganz erhebliche Aufwendungen getätigt, um nicht nur die Behinderung zu
verhindern, sondern den Behinderten gleich mit ihr
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
„Diskriminierungs“-Argumente – Das Expressionsargument
• „As with discrimination more generally, with prenatal diagnosis, a single trait stands in
for the whole, the trait obliterates the whole. With both discrimination and prenatal
diagnosis, nobody finds out about the rest. The tests send the message that there’s no need
to find out about the rest.” Asch 2000
• “The message at the heart of widespread selective abortion on the basis of prenatal
diagnosis is the greatest insult: some of us are „too flawed“ in our very DNA to exist; we
are unworthy of being born …“ Saxton 1997
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
„Diskriminierungs“-Argumente – Das Expressionsargument
• Mögliche Rechtfertigungen des Verwerfens bestimmter Embryonen nach PID
(Birnbacher 2006):
1. weil es sich um einen Menschen mit Behinderung handelt.
2. weil es sich um einen Embryo handelt.
3. weil es sich um einen Embryo mit Behinderung handelt.
Nur 1. impliziert Herabwürdigung Behinderter!
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
„Diskriminierungs“-Argumente – Das Expressionsargument
• PID impliziert Unwerturteil über Behinderung
• Behinderung wird (fälschlicherweise?) mit Leid assoziiert, viele Betroffene
widersprechen dem
• Einige Behinderungen/chronische Krankheiten sind unweigerlich mit Leid verbunden
• Individuelle Unwerturteile sind allgegenwärtig und häufig unproblematisch
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
„Diskriminierungs“-Argumente – Das Expressionsargument
• Tatsächliche Gründe für PID sind häufig komplex:
• Lebensqualität des Kindes
• Auswirkungen auf Familie
• Wirtschaftliche/soziale Situation
• Individuelle Lebenspläne
• Etc.
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
„Diskriminierungs“-Argumente – Das Expressionsargument
•
•
•
•
Nicht individuelles Verhalten problematisch, sondern Praxis der PID insgesamt
Möglichkeit führt zu Erwartungshaltung PID auch anzunehmen
=> Entscheidung nicht selbstbestimmt
Unwerturteil von staatlicher Seite nicht tolerabel
• Eine Entscheidung mag in gewissen Fällen mittlerweile tatsächlich unumgänglich sein.
• Diese Entscheidung mag durchaus belastend sein.
• In einigen Fällen bietet die Möglichkeit zur PID aber auch durchaus Vorzüge.
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
„Diskriminierungs“-Argumente – Folgenbasierte Argumente
• Zulassung der PID führt zu einer Schlechterstellung Behinderter, weil dadurch die Zahl
der Behinderten sinkt.
• Auswirkungen der PID auf Zahl der Behinderten insgesamt marginal: 8,7 Millionen
Menschen mit Behinderung in BRD (2010)
• Bruchteil davon besteht vorgeburtlich
• Bruchteil davon über PID feststellbar
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
„Diskriminierungs“-Argumente – Folgenbasierte Argumente
• Mögliche diskriminierende Folgen einer Ausweitung der PID (van den Daele 2005,
Untersuchung empirischer Indikatoren seit Einführung der Pränataldiagnostik):
• Abbau von Rechtspositionen
• Gesellschaftliches Klima der Stigmatisierung/Diskriminierung
• Befürwortung von Maßnahmen, die der sozialen Integration Behinderter
entgegenstehen
• Betonung der Belastung durch Behinderte
• Kontaktvermeidung
• Keine dieser Entwicklungen ist zu beobachten.
• => Hohe Akzeptanzraten der Pränataldiagnostik sind also mit hoher Akzeptanz
(geborener) Behinderter vereinbar
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
„Diskriminierungs“-Argumente – Folgenbasierte Argumente
• Bei konkreten Diagnosen lassen sich deutlich verringerte Fallzahlen beobachten
• Ob dadurch die Versorgung für die Betroffenen schlechter wird ist bisher nur
unzureichend erforscht.
• Aber: selbst wenn dem so wäre folgt daraus normativ nicht, dass es mehr Betroffene
geben sollte!
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
„Diskriminierungs“-Argumente – Das Kränkungsargument
• Es gibt Behinderte, die sich durch PID gekränkt fühlen
• Ceteris paribus sind Kränkungen zu vermeiden
• „Ceteris paribus“-Klausel nicht erfüllt
• PID-Verbot bedeutet Freiheitseinschränkung
• Soweit möglich sollten Kränkungen vermieden werden, gegebenenfalls müssen jedoch
Abwägungsentscheidungen getroffen und gewisse Kränkungen hingenommen werden
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
Fazit
• PID impliziert nicht notwendig eine Herabwürdigung von Behinderten
• Empirische Daten deuten auf keine Verschlechterung der Situation von Behinderten
durch PID hin.
• Gesellschaftliche Entwicklungen sollten weiter beobachtet und untersucht werden
• Beratungen bei PID sollten umfassend auch die Perspektive Behinderter
mitbehandeln.
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
•Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Andreas Kösters, M.A.
13.04.2015
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