Thesenpapier Selektives kontrahieren in der gesetzlichen Krankenversicherung Themenbereich: „Chancen und Grenzen: Politik und Wirtschaft in der Medizin“ von Christian Becker Institut für Gesundheitsökonomie und Management im Gesundheitswesen Helmholtz Zentrum München, Neuherberg Im Zusammenhang mit Bemühungen zur Intensivierung des Wettbewerbs im deutschen Gesundheitswesen ist die Möglichkeit des selektiven Kontrahierens durch gesetzliche Krankenkassen ins Blickfeld der wissenschaftlichen Diskussion gerückt. Aktuell ist das selektive Kontrahieren noch durch gesetzliche Vorgaben stark eingeschränkt, vermutlich wird es jedoch in der Zukunft stark an Bedeutung gewinnen. 1.) Krankenkassen möchten ihren Versicherten durch Selektivverträge ein gutes Preis/Leistungsverhältnis anbieten und gleichzeitig Kosten zu sparen. Wettbewerb im Gesundheitswesen sollte jedoch immer unter gleichzeitiger Berücksichtigung von Effizienz, Qualität und Solidarität erfolgen. 2.) Selektives kontrahieren wird zu Wettbewerb zwischen Krankenkassen und zwischen Leistungserbringern führen. Die Krankenkassen müssen ein ausgewogenes Leistungspaket anbieten, da sowohl Zusatzbeiträge als auch ein nicht ausreichendes Angebot zum Abwandern von Versicherten zu anderen Kassen führen werden. Auf Anbieterseite findet der Wettbewerb anhand von Qualität und Effizienz statt. Gut positionierte Anbieter erhalten eine verbesserte Verhandlungsposition 3.) Selektives Kontrahieren wird zu mehr Konsumentensouveränität führen. Die Konsumenten könnten durch ihre Präferenzen das Angebot aktiv mitgestalten 4.) Um begründete Entscheidungen der Konsumenten zu ermöglichen muss eine ausreichend hohe Transparenz der Angebote gewährleistet sein. Die Patienten müssen in der Lage sein das Angebot zu verstehen um entsprechend ihrer Präferenzen handeln zu können. Vollständige Transparenz ist jedoch aus wettbewerblichen Gründen vermutlich nicht herstellbar. 5.) In strukturschwachen Regionen besteht die Gefahr eines zu geringen Angebots. Hier kann es zu Einschränkungen in der Konsumfreiheit kommen. Der Versorgungsauftrag sollte dort möglicherweise durch die Länder sichergestellt werden 6.) Die Sicherung des Zugangs der Bevölkerung zur Gesundheitsversorgung muss gewährleistet bleiben. Insbesondere bei sektorübergreifenden Angeboten stellt sich die Frage, welche Institution diese Aufgabe übernimmt. 7.) Die Qualität der angebotenen Leistungen muss gewährleistet bleiben. Es sollte ein Monitoringsystem geschaffen werden, das die Selektivverträge anhand von einheitlichen Maßstäben beurteilt und ggf. die Intervention durch eine geeignete Stelle (z. B. die Länder) vorsieht 8.) Selektivverträge werden innovativen Versorgungsformen fördern. Kooperationen unterschiedlicher Leistungsanbieter stellen aus Sicht der Krankenkassen oftmals attraktive Angebote dar, da in der aktuellen Organisation des Systems Effizienzreserven gesehen werden. Dies würde auch zur weiteren Verringerung der intersektoralen Grenzen im deutschen Gesundheitssystem führen. 9.) Der Vertragswettbewerb könnte durch Monopole negativ beeinflusst werden. Insbesondere ist dies aufgrund einer sehr großen Marktmacht einer kleinen Anzahl von großen Krankenversicherungen der Fall. Es sollten Mechanismen zum Schutz von Patienten, kleineren Anbietern und kleineren Krankenkassen entwickelt werden. Literatur Greß S, Ebsen I, Jacobs K, et al. Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung im Spannungsfeld von Kollektiv- und Selektivverträgen. In: Jacobs K, Schulze S(Hrsg.)Sicherstellung der Gesundheitsversorgung – Neue Konzepte für Stadt und Land. Berlin: KomPart Verlagsgesellschaft 2011. S. 117-139. Laufer R, Heins D, Wörz M et al. Selektiv statt kollektiv? Warum Selektivverträge dem Gesundheitssystem nicht helfen. Das Krankenhaus 2010;10: S. 921-31. Osege M. Welche Bedeutung hat der Vertragswettbewerb bei der wettbewerblichen Ausrichtung des Gesundheitswesens? Clinical Research in Cardiology Supplement 2009;4: S. 57-68. Paquet R. Vertragswettbewerb in der GKV und die Rolle der Selektivverträge. Wiso Diskurs März 2011. Bonn: bub Bonner Universitäts-Buchdruckerei 2011. Schreyögg J, Busse R. Leistungsmanagement von Krankenversicherungen. In: Busse R, Schreyögg J, Tiemann O. Management im Gesundheitswesen. Heidelberg: Springer 2010. S. 13-47.