Estefania Roder Handout 08.12.2011 Mitgliederschwund in den politischen Parteien? Sozio-strukturelle Determinanten abnehmender Mitgliederzahlen in politischen Parteien (vgl. Zimmermann 2002: 1-18). 1. Problematik Damit eine Demokratie funktionieren kann, braucht es politische Parteien (vgl. Zimmermann 2002: 1). Denn die Parteien sind die wichtigsten Akteure für die demokratische Willensbildung (vgl. ebd.). Dies, indem sie versuchen Anhänger mit ähnlichen Ideen an sich zu binden und die öffentliche Meinung bei Wahlen zu beeinflussen (vgl. ebd.). In den letzten Dekaden haben aber die Mitgliederzahlen der Parteien in den westlichen Demokratien abgenommen (vgl. ebd.). Die Ursachen auf der Mikroebene hängen mit dem Modernisierungsprozess, dem Wertewandel und der Bildungsexpansion zusammen (vgl. Dalton/Wattenberg 2000: o.A. zit. nach Zimmermann 2002: 1). 2. Parteimitglieder 2.1 Geschichtlicher Hintergrund In den westlichen Demokratien haben sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Parteien von Elitenparteien zu Mitgliederparteien entwickelt (vgl. Ladner 1999: 245 Zimmermann 2002: 2). In der Schweiz hat aber diese Entwicklung später stattgefunden und hat sich nie ganz durchgesetzt (vgl. Geser et al. 1994: 141 zit. nach Zimmermann 2002: 2). Ein Grund dafür ist die damalige starke Parteipresse der Schweiz (vgl. Ladner 1999: 245 zit. nach Zimmermann 2002: 2). Denn sie informierte das Volk und ihre Leser verkörperten die Parteimitglieder (vgl. ebd.). Somit war eine Unterscheidung der Mitgliedschaft nicht erforderlich (vgl. ebd.). 2.2 Personelle Einbindung und Engagement in den Parteien Abbildung 1: Personelle Einbindung und Engagement in den Parteien Quelle: Ladner 2001:75 zit. nach Zimmermann 2002: 2 Mit der Entfernung nimmt die Anzahl der Personen zu und die Parteibindung Zimmermann 1 ab 2002: (vgl. 2). Die Estefania Roder Handout 08.12.2011 inneren drei Kreise unterstützen die Parteien am stärksten (vgl. ebd.). 2.3 Vor- und Nachteile der Parteimitgliedschaft Parteien Vorteile Nutzen für die Mitglieder Nachteile Symbolisiert Stärke und Verankerung Kleinerer Handlungsspielraum für taktisches Verhalten 1.Materielle Anreize Motivieren andere zur Wahl Energie- und Ressourcenverlust 3.Zielorientierte Anreize 2.Solidaritätsanreize Finanzielle Ressourcen Freiwilligen Arbeit Quelle: eigene Darstellung, (vgl. Ladner 2001: 84; Ware 1996: 68 zit. nach Zimmermann 2002: 3) 2.4 Studien Während die meisten Studien einen Mitgliederschwund nachweisen konnten, hat man auch festgestellt, dass der Mitgliederschwund nach Geschlecht, Parteien und Gemeinden (ländlich, urban) unterschiedlich ist (vgl. Gruner 1969: 218; Longchamp 1994: 22; Geser 1991: 68 ff.; Geser et al. 1994: 65; Ladner 2001: 101ff. zit. nach Zimmermann 2002: 4-6). 3. Determinanten abnehmender Mitgliederzahlen Es gibt verschiedene Ansätze, die den Mitgliederschwund in den Parteien erklären (vgl. Zimmermann 2002: 6). Dabei wird in den Ansätzen die abnehmende Parteiidentifikation als mögliche Determinante für den Mitgliederschwund gesehen. (vgl. ebd.). 3.1 Ansatz des Wertewandels Hier wird davon ausgegangen, dass der Wertewandel von materialistischen zu postmaterialistischen Werten bzw. Pflicht- und Akzeptanzwerten zu Selbstentfaltungswerten sich negativ auf die konventionellen Formen der politischen Partizipation auswirkt (vgl. Zimmermann 2002: 6). Dies aufgrund des Legitimations2 Estefania Roder Handout 08.12.2011 und Autoritätsverlust der Parteien und der damit verbundenen Abnahme der Parteiidentifikation in der modernen Gesellschaft (vgl. Inglehart 1998: o.A.; Klages 1985: 18 zit. nach Zimmermann 2002: 8-9). 3.2 Ansatz der neuen Themen Durch den Wertewandel stehen heute eher ethnische und kulturelle Themen im Vordergrund (vgl. Inglehart 1998: 331 zit. nach Zimmerman 2002: 10). Materialistische Themenbereiche verlieren dagegen an Bedeutung (vgl. ebd.). Die politischen Parteien befassen sich aber nicht adäquat mit diesen neuen Themen, wodurch die Parteiidentifikation und die Anzahl der Mitglieder in den Parteien sinken. (vgl. Zimmermann 2002: 6). 3.3 Ansatz der kognitiven Mobilität In diesem Ansatz geht man davon aus, dass durch die gestiegenen kognitiven Fähigkeiten, die Bürger nicht mehr auf die politischen Orientierungshilfen der Parteien angewiesen sind (vgl. Dalton 1984: o.A. Zimmermann 2002: 11ff.). Der verringerte Nutzen der Parteien führt somit zur Erosion der Parteien (vgl. Zimmermann 2002: 12). 4. Abnehmendes Interesse an Politik? Durch den Mitgliederschwund könnte man meinen, dass die Bürger das Interesse an Politik verlieren. Jedoch zeigen Studien, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Die Postmaterialisten bzw. Individualisten haben aufgrund der neuen Werte, den kognitiven Fähigkeiten und den Zustrom der Frauen in der Politik einen grösseren politischen Handlungsspielraum erhalten (vgl. Inglehart 1989: 416ff. Zimmermann 2002: 13-14). Dabei bevorzugen sie unkonventionelle Formen der Partizipation (vgl. ebd.). Inglehart und Dalton unterscheiden vier Typen von Parteianhänger: Apolitischer Mensch (geringe Parteiidentifikation/ geringe kognitive Mobilisierung) Der eliten-gelenkte Parteigänger (hohe Parteiidentifikation/ geringe kognitive Mobilisierung) Der kognitiv mobilisierte Parteianhänger (hohe Parteiidentifikation/ hohe kognitive Mobilisierung) Der kognitiv mobilisierte Parteilose (geringe Parteiidentifikation/ hohe kognitive Mobilisierung) Es wird angenommen, dass die Anzahl der kognitiven mobilisierten Parteilosen zunehmen wird (vgl. Dalton 1984: 270; Inglehart 1989: 452 zit. nach Zimmermann 2002: 14). 3 Estefania Roder Handout 08.12.2011 Literatur Dalton, Russel (1984): Cognitive Mobilization and Partisan Dealignement in Advanced Industrial Democracies. In: The Journal of Politics o.A., o.A., S. 264-284. Dalton, Russel/Wattenberg, Martin P. (2000): Parties without Partisans. Political Change in Advanced industrial Democracies. Oxford. Geser, Hans (1991): «Dealignement » oder neue Integrationsgesellschaft ? Aktuelle Entwicklungstendenzen im Anhängerbestand schweizerischen Kommunalparteien. In: Schweizerische Zeitschrift für Soziologie o.A., H. o.A., S. 233-272. Geser, Hans et al. (1994): Die Schweizer Lokalparteien. Zürich. Gruner, Erich (1969): Die Parteien in der Schweiz. Bern. Inglehart, (1989): Kultureller Umbruch. Wertewandel in der westlichen Welt. Frankfurt, New York. Inglehart (1998): Modernisierung und Postmodernisierung. Kultureller, wirtschaftlicher und politischer Wandel in 43 Gesellschaften. Frankfurt, New York. Klages, Helmut (1985): Wertorientierung im Wandel. Rückblick, Gegenwartsanalyse, Prognose. Frankfurt, New York. Ladner, Andreas (1999): Das Schweizer Parteiensystem und seine Parteien. In: Klöti, Ulrich (Hg.): Handbuch der Schweizerpolitik. Zürich, S.213-260. Ladner, Andreas (2001): Die Schweizer Parteien im Wandel. Von Mitgliederparteien zu professionalisierten Wählerorganisationen? Zürich. Longchamp, Claude (1994): Unterstützung vom Bundesrat und Verwaltung. Wandlung im Verhältnis von Bürgerschaft und Regierung in der Mitte der 90er Jahre als Herausforderung an eine offene Staatstätigkeit. Bern. Ware, Alan (1996): Political Parties and Party Systems. Oxford. Zimmermann, Patricia (2002): Mitgliederschwund in den politischen Parteien? Soziostrukturelle Determinanten abnehmender Mitgliederzahlen in politischen Parteien. In: Sociology in Switzerland: Social Movements, Pressure Groups and Political Parties o.A, H. o.A., S. o.A. 4