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Jahrbuch der
Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf
2005/2006
Jahrbuch der
Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf
2005/2006
Jahrbuch der
Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf
2005/2006
Herausgegeben vom Rektor
der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Univ.-Prof. Dr. Dr. Alfons Labisch
Konzeption und Redaktion:
em. Univ.-Prof. Dr. Hans Süssmuth
© Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 2006
Einbandgestaltung: Wiedemeier & Martin, Düsseldorf
Titelbild: Schloss Mickeln, Tagungszentrum der Universität
Redaktionsassistenz: Georg Stüttgen
Beratung: Friedrich-K. Unterweg
Satz: Friedhelm Sowa, LATEX
Herstellung: WAZ-Druck GmbH & Co. KG, Duisburg
Gesetzt aus der Adobe Times
ISBN 3-9808514-4-3
Inhalt
Vorwort des Rektors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Gedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Rektorat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
A LFONS L ABISCH (Rektor)
Die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ist eine Forschungsuniversität . . 19
H ILDEGARD H AMMER
Der Bologna-Prozess – Chancen und Schwächen
einer erzwungenen Studienreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
C HRISTOPH AUF DER H ORST
Das Studium Universale der Heinrich-Heine-Universität
zwischen „akademeia“ und „universitas“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
40 Jahre Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
H ERMANN L ÜBBE
Universitätsjubiläen oder die Selbsthistorisierung der Wissenschaften . . . . . . 53
Medizinische Fakultät
Dekanat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
Neu berufene Professorinnen und Professoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
W OLFGANG H. M. R AAB (Dekan) und S IBYLLE S OBOLL
Forschung und Lehre in der Medizinischen Fakultät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
J ÜRGEN S CHRADER
Systembiologie – Neue Perspektiven für die Medizin? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
O RTWIN A DAMS und H ARTMUT H ENGEL
Husten, Schnupfen, Heiserkeit –
Über alte und neue Respirationstraktviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
W ILFRIED B UDACH und E DWIN B ÖLKE
Strahlende Zukunft – Radioonkologie 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
H ILDEGARD G RASS und S TEFANIE R ITZ -T IMME
Frauen- und Geschlechterforschung,
Gewaltopfer und Rechtsmedizin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
G ESINE KÖGLER und P ETER W ERNET
Die José Carreras Stammzellbank Düsseldorf –
Entwicklung, klinische Ergebnisse und Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
6
Inhalt
N IKOLAS H ENDRIK S TOECKLEIN und W OLFRAM T RUDO K NOEFEL
Disseminierte Tumorzellen bei gastrointestinalen Karzinomen – Molekulargenetische Analyse der relevanten Tumorzellen zum Aufsuchen therapeutischer Zielstrukturen für effektive adjuvante Therapien . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Dekanat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Neu berufene Professorinnen und Professoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
P ETER W ESTHOFF (Dekan)
Die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät –
Der Weg im Jahr 2005. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
J ÖRG B REITKREUTZ
Arzneizubereitungen für Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
S TEFAN U. E GELHAAF
Weiche Materie – Treffpunkt von Physik, Chemie und Biologie . . . . . . . . . . . . 173
T HOMAS H EINZEL
Nanoelektronik und mesoskopischer Transport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
M ICHAEL L EUSCHEL und J ENS B ENDISPOSTO
Das ProB-Werkzeug zur Validierung formaler Softwaremodelle . . . . . . . . . . . . 199
C HRISTINE R. ROSE
Doppelt hält besser – Elektrische und chemische
Signalgebung in Gehirnzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
Philosophische Fakultät
Dekanat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
Neu berufene Professorinnen und Professoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
B ERND W ITTE (Dekan)
Die Philosophische Fakultät auf dem Weg
in die entgrenzte Wissensgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
A NDREA VON H ÜLSEN -E SCH , W ILHELM G. B USSE und
C HRISTOPH K ANN
Das Forschungsinstitut für Mittelalter und Renaissance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
S ABINE K ROPP
Institutionenbildung in postsowjetischen Ländern –
Entwurf eines Analysekonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
K ARL -H EINZ R EUBAND
Teilhabe der Bürger an der „Hochkultur“ –
Die Nutzung kultureller Infrastruktur und ihre sozialen Determinanten . . . . . 263
Inhalt
7
S HINGO S HIMADA
Wozu „Modernes Japan“? Zur Konzeptualisierung des Lehrstuhls
„Modernes Japan II mit sozialwissenschaftlichem Schwerpunkt“ . . . . . . . . . . . 285
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Dekanat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
C HRISTOPH J. B ÖRNER (Dekan)
Bachelor und Master in der Betriebswirtschaftslehre –
Der Düsseldorfer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
H EINZ -D IETER S MEETS und H. J ÖRG T HIEME
Demographische Entwicklung und Globalisierung –
Ökonomische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
H ORST D EGEN und P ETER L ORSCHEID
„Euro = Teuro“ – Lässt sich diese Gleichung statistisch belegen? . . . . . . . . . . . 329
B ERND G ÜNTER und L UDGER ROLFES
Wenn Kunden lästig werden – Kundenbewertung und
Umgang mit unprofitablen Kundenbeziehungen durch Unternehmen . . . . . . . 345
B ERND G ÜNTER
Über den Tellerrand hinaus – „Studium laterale“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
Juristische Fakultät
Dekanat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367
H ORST S CHLEHOFER (Dekan)
Das Bachelor-Master-System – Ein Modell für die Juristenausbildung? . . . . . 369
A NDREAS F EUERBORN
Der integrierte deutsch-französische Studiengang
der Juristischen Fakultäten der Université de Cergy-Pontoise und
der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379
U LF PALLME KÖNIG
Die rechtliche Einordnung der Kooperationsvereinbarung zwischen Universität und Universitätsklinikum nach nordrhein-westfälischem Recht . . . . . 387
Gesellschaft von Freunden und Förderern der
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf e.V.
G ERT K AISER
Die Freundesgesellschaft der Heinrich-Heine-Universität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
OTHMAR K ALTHOFF
Jahresbericht 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
8
Inhalt
Sonderforschungsbereiche der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
C HRISTEL M. M ARIAN und W ILHELM S TAHL
Der Sonderforschungsbereich 663
„Molekulare Antwort nach elektronischer Anregung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409
Forschergruppen der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
V ICTORIA KOLB -BACHOFEN , M IRIAM C ORTESE , J ÖRG L IEBMANN ,
S ABINE KOCH und N ICOLE F ITZNER
Regulation der Entzündungsreaktion –
Eine wichtige Rolle für Stickstoffmonoxid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421
D IRK S CHUBERT und J OCHEN F. S TAIGER
Die Analyse von „Was“ und „Wo“ in neuronalen Netzen
des primären somatosensorischen Kortex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
Graduiertenkollegs der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
O SWALD W ILLI
Das Graduiertenkolleg 1203
„Dynamik heißer Plasmen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453
A XEL G ÖDECKE
Proteininteraktionen und -modifikationen im Herzen –
Das Graduiertenkolleg 1089 auf dem Weg
in das postgenomische Zeitalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459
Zentrale wissenschaftliche Einrichtungen der
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Humanwissenschaftlich-Medizinisches Forschungszentrum
D IETER B IRNBACHER
Das Humanwissenschaftlich-Medizinische Forschungszentrum
der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
D IETER B IRNBACHER und L EONORE KOTTJE -B IRNBACHER
Ethische Fragen bei der Behandlung von Patienten
mit Persönlichkeitsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477
Biotechnologie – Ein gemeinsamer Forschungsschwerpunkt
der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
und des Forschungszentrums Jülich
K ARL -E RICH JAEGER
Das Zentrum für Mikrobielle Biotechnologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491
Inhalt
9
C HRISTIAN L EGGEWIE , T HOMAS D REPPER , T HORSTEN E GGERT,
W ERNER H UMMEL , M ARTINA P OHL , F RANK ROSENAU und
K ARL -E RICH JAEGER
Molekulare Enzymtechnologie –
Vom Gen zum industriellen Biokatalysator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501
J ÖRG P IETRUSZKA , A NJA C. M. R IECHE , N IKLAS S CHÖNE und
T HORSTEN W ILHELM
Naturstoffchemie – Ein herausforderndes Puzzlespiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519
Institute an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Institut für umweltmedizinische Forschung
J EAN K RUTMANN
Das Institut für umweltmedizinische Forschung an
der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf gGmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535
Institute in Zusammenarbeit mit der
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Düsseldorfer Institut für Dienstleistungs-Management
W INFRIED H AMEL
Das Düsseldorfer Institut für Dienstleistungs-Management –
Eine virtuelle Forschungseinrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561
Institut für Internationale Kommunikation
C HRISTINE S CHWARZER und M ATTHIAS J UNG
Universitätsnah wirtschaften – Das Institut für
Internationale Kommunikation in Zusammenarbeit
mit der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf e.V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573
Zentrale Einrichtungen der
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Universitäts- und Landesbibliothek
I RMGARD S IEBERT und C AROLA S PIES
Aufbruch in die Zukunft – Der 94. Deutsche Bibliothekartag
in Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589
Universitätsrechenzentrum
S TEPHAN O LBRICH , N ILS J ENSEN und G ABRIEL G AUS
EVITA – Effiziente Methoden zur Visualisierung
in tele-immersiven Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607
C HRISTINE R. ROSE
Doppelt hält besser – Elektrische und chemische
Signalgebung in Gehirnzellen
Einleitung
Das Gehirn ist eines der faszinierendsten Organe des Menschen. Als Schaltzentrale unseres Körpers steuert es willkürliche und unwillkürliche Bewegungen, es empfängt und
verarbeitet die Signale unserer Sinnesorgane, es koordiniert Körperfunktionen und generiert Emotionen, wobei dies nur einen Ausschnitt aus seinen Funktionen darstellt. Dabei
hat das Gehirn zwei herausragende Merkmale, die es von allen anderen Organen des Körpers unterscheiden und die bisher noch von keinem Computer auch nur annähernd erreicht
wurden. Zum einen weist es eine einzigartige strukturelle Komplexität auf. Zum anderen
kann es seine Funktion an die jeweiligen Erfordernisse anpassen; d. h., das Gehirn ist in
der Lage, bestimmte Dinge zu erinnern und aus zuvor gemachten Erfahrungen zu lernen.
Die rasante technische Entwicklung in den Naturwissenschaften und in der Medizin hat
innerhalb der letzten Dekade zu einer Explosion unseres Wissens über die Funktionsweise
des Gehirns auf systemischer und zellulärer Ebene geführt.
Dieser Beitrag stellt die Funktionsweise des Gehirns auf zellulärer Ebene vor; d. h., er
beschäftigt sich mit der Frage, wie einzelne Gehirnzellen arbeiten und miteinander kommunizieren. Zunächst erfolgt eine kurze Betrachtung der grundsätzlichen Funktionselemente und der elektrischen Signalgebung in Nervenzellen. Danach werden neue Erkenntnisse, die in den letzten Jahren durch den Einsatz hochauflösender bildgebender Methoden
gewonnen wurden, vorgestellt. Diese zeichnen ein neues, dynamischeres Bild der Signalverarbeitung und Kommunikation zwischen Gehirnzellen, die nicht – wie bisher angenommen – nur durch elektrische, sondern auch durch chemische Signale in Form intrazellulärer
Calciumveränderungen vermittelt wird und auch Gliazellen mit einbezieht.
Zellulärer Aufbau des Gehirns – Was wissen wir heute über die
Struktur von Gehirnzellen?
Das Gehirn besteht aus mehreren 100 Milliarden einzelner Nervenzellen. Diese Nervenzellen können jedoch die vielfältigen Aufgaben des Gehirns nicht isoliert erfüllen. Vielmehr sind sie miteinander über so genannte synaptische Verbindungen in Schaltkreisen
oder Netzwerken verknüpft, in denen Informationen gesammelt, verteilt, verglichen, verstärkt oder unterdrückt und wiederum an andere Schaltkreise weitergeleitet werden. Da
jede einzelne Nervenzelle Zehntausende solcher synaptischer Verbindungen mit anderen
Nervenzellen eingehen kann, ergeben sich Kombinations- und Verschaltungsmöglichkeiten, die jenseits unserer intellektuellen Vorstellungskraft liegen.
Ein zweites herausragendes Merkmal unseres Gehirns neben dieser strukturellen Komplexität ist seine Variabilität. Im Gegensatz zu einem Computer, dessen Schaltelemente
210
Christine R. Rose
A
B
C
Dendriten
Spines
50 µm
5 µm
Abb. 1: Struktur des Hippocampus, einer Gehirnregion, die eine wichtige Rolle bei Lernen und Gedächtnis spielt. A: Zeichnung des Hippocampus von Camillo Golgi (1885) nach einer von ihm
selbst entwickelten Färbetechnik. B, C: lebende, mit Fluoreszenzfarbstoff gefüllte Nervenzelle in einem Gewebeschnitt des Hippocampus, dargestellt durch 2-Photonen-Fluoreszenzmikroskopie. B: Die Pipette, über die der Farbstoff in die Zelle eingebracht wurde, ist als helle
Struktur in der rechten Bildhälfte zu sehen. C: vergrößerte Darstellung der Nervenzellausläufer
(Dendriten). Zu sehen sind außerdem die dendritischen Dornfortsätze (Spines), an denen die
Erregungsübertragung auf die Zelle stattfindet.
Doppelt hält besser – Elektrische und chemische Signalgebung in Gehirnzellen
211
sich niemals ändern, bilden Nervenzellen keine starren Netzwerke. Stattdessen kann die
Stärke der Nervenzellverknüpfungen in einem Netzwerk ständig abgeändert werden. Dieser Vorgang, auch Plastizität genannt, bildet die Grundlage von Lernen und Gedächtnis.
Wie sind solche Netzwerke aufgebaut und wie funktionieren sie? Aufgrund der enormen
Anzahl von Nervenzellen ist die Zahl der möglichen Kombinationen von Verknüpfungen
größer als die Gesamtzahl der Atome im Universum. Daher ist die Erforschung der Funktionsweise des Gehirns keine einfache Aufgabe. Um diese Aufgabe zu erleichtern, hat
man sich vornehmlich auf die Untersuchung von Nervenzellnetzwerken in Gehirnregionen konzentriert, die einen einheitlichen Aufbau aufweisen. Zu diesen relativ einheitlich
aufgebauten Gehirnregionen gehören z. B. das Kleinhirn, das zur Feinkoordination von
Bewegungsabläufen dient, oder der Hippocampus, der eine wichtige Rolle bei Lernen und
Gedächtnis spielt. Der Feinbau solcher Hirnregionen wurde schon früh von Anatomen
untersucht und dargestellt. In Abbildung 1A ist eine Zeichnung eines fixierten Gewebeschnitts des Hippocampus zu sehen, die Camillo Golgi Ende des 19. Jahrhunderts nach
einer von ihm selbst entwickelten Färbetechnik angefertigt hat. Zu sehen ist ein gebogenes
Band von dunkel eingefärbten, rundlichen Nervenzellkörpern, von denen feine Ausläufer
nach oben und nach innen ins Gewebe reichen. Diese feinen Ausläufer dienen dazu, die
einzelnen Nervenzellen miteinander zu verbinden.
Mit heutigen Techniken können wir den Aufbau von Nervenzellen in fixiertem (d. h.
totem) und auch in lebendem Hirngewebe mit sehr viel höherer Auflösung untersuchen
und an den einzelnen Ausläufern, den Dendriten, so genannte dendritische Dornfortsätze
(engl. spines) darstellen (Abb. 1 B, 1 C). Diese Spines sind knopfartige Auswüchse der
Dendriten und repräsentieren diejenigen Strukturen, an denen erregende Signale von anderen Nervenzellen empfangen werden.1 Über die an den Spines lokalisierten Synapsen
werden also Signale von einer Nervenzelle auf eine andere übertragen, d. h., sie verknüpfen
die einzelnen Nervenzellen zu einem Netzwerk. Wie oben erwähnt und im Bild erkennbar,
verfügen einzelne Nervenzellen über eine große Anzahl solcher synaptischer Kontakte.
Schaut man sich eine fixierte Synapse im elektronenmikroskopischen Bild an (Abb. 2),
werden in der Endigung derjenigen Nervenzelle, die die Signale aussendet („Sender“, präsynaptische Zelle) neben Mitochondrien zur Energiegewinnung eine Vielzahl von Vesikeln deutlich. Diese speichern einen chemischen Botenstoff (Transmitter), der die Signalübertragung zwischen der präsynaptischen Zelle und der Nervenzelle, die diese Signale
empfängt („Empfänger“, postsynaptische Zelle), vermittelt. Weiterhin fällt auf, dass neben
prä- und postsynaptischer Nervenzelle auch Ausläufer eines weiteren Zelltyps dicht an die
Synapse heranreichen. Diese sind Zellausläufer von Gliazellen, eines Zelltyps, der in etwa
zehnfach höherer Anzahl im Nervensystem vertreten ist als die Nervenzellen selbst.
Elektrische Signalgebung in Nervenzellen
Nervenzellen kodieren Informationen in Form von kurzzeitigen Änderungen ihres Membranpotenzials, d. h. in Form von elektrischen Signalen. Diese elektrischen Signale treten
in mehreren Ausprägungen auf und werden durch ein kompliziertes System von verschiedenen Ionenkanälen und Transportern in der Zellmembran ermöglicht. Die Weiterleitung
elektrischer Signale über große Strecken innerhalb einer Nervenzelle (z. B. vom Fuß bis
1
Vgl. Rose et al. (2003: 27-58).
212
Christine R. Rose
Gliazelle
“Sender”
(präsynaptische Nervenzelle)
Empfänger
(postsynaptische Nervenzelle)
Abb. 2: Elektronenmikroskopisches Bild einer Synapse. In der Senderzelle, von der die Signale ausgehen, sind Mitochondrien und eine Vielzahl so genannter synaptischer Vesikel enthalten, die
den chemischen Botenstoff enthalten. Nach Ausschüttung des Botenstoffs diffundiert dieser
durch den im Bild erkennbaren schmalen synaptischen Spalt zur Empfängerzelle. Diese ist
mit spezifischen Rezeptoren für diesen Botenstoff ausgestattet. Neben prä- und postsynaptischer Nervenzelle sind die nachträglich gelb eingefärbten Ausläufer einer Gliazelle zu sehen,
die dicht an die Synapse heranreichen. Verändert nach: M. H. Ellisman, National Center for
Microscopy and Imaging, University of California, San Diego.
ins Rückenmark) wird durch eine Form regenerierbarer, schneller Spannungsänderungen
bewerkstelligt, die Aktionspotenziale genannt werden. Da Nervenzellen in den meisten
Fällen nicht in direktem Kontakt zueinander stehen, können Aktionspotenziale nicht direkt von einer Zelle auf die andere übertragen werden. Daher werden Aktionspotenziale,
falls sie auf eine andere Nervenzelle weitergeleitet werden sollen, in der präsynaptischen
Endigung einer Synapse in chemische Signale umgewandelt.
Verschiedene Nervenzelltypen synthetisieren unterschiedliche Botenstoffe. Während
motorische Nerven, die zum Skelettmuskel ziehen, Azetylcholin als Überträgersubstanz
benutzen, wird die erregende synaptische Übertragung im Zentralnervensystem zum überwiegenden Teil durch die Aminosäure Glutamat vermittelt. Hemmende synaptische Übertragung wird zumeist durch die Aminosäuren GABA (γ -Aminobuttersäure) oder Glycin
bewerkstelligt. Daneben gibt es eine große Anzahl weiterer Überträgerstoffe wie die Monoamine, zu denen z. B. Adrenalin oder Serotonin gehören.2
Die in Vesikeln gespeicherten Transmitter werden nach Eintreffen eines Aktionspotenzials aus der präsynaptischen Endigung freigesetzt und können den Bereich zwischen
der prä- und postsynaptischen Nervenzelle durch Diffusion überbrücken. An der postsyn2
Vgl. Jonas und Unsicker (2003: 13-26).
Doppelt hält besser – Elektrische und chemische Signalgebung in Gehirnzellen
213
aptischen (d. h. Empfänger-)Zelle bindet der Botenstoff an hochspezifische Rezeptoren
der Zellmembran. Dies führt wiederum zur Öffnung oder Schließung von Ionenkanälen
der postsynaptischen Zelle und somit zu Membranpotenzialänderungen bzw. zu einem erneuten elektrischen Signal, das zunächst passiv und später dann – bei genügend starker
Erregung – aktiv in Form von Aktionspotenzialen weitergeleitet werden kann.
Durch die Entwicklung bzw. stete Weiterentwicklung elektrophysiologischer Ableittechniken, wie z. B. der Spannungsklemme, in den letzten 50 Jahren ist es heute möglich, elektrische Signale von Nervenzellen mit hoher Präzision abzuleiten und die ihnen
zugrunde liegenden Ionenströme zu untersuchen. Die Kombination dieser Techniken mit
molekularbiologischen, strukturbiologischen und biochemischen Ansätzen hat dazu geführt, dass die Grundlagen der elektrischen Signalgebung relativ gut verstanden sind.
Allerdings ist es bis auf wenige, spezialisierte Synapsen bislang nicht gelungen, die
durch synaptische Übertragung entstandenen elektrischen Signale zentraler Nervenzellen
direkt an ihrem Entstehungsort, d. h. an den Synapsen selbst, abzuleiten. Spines, deren
Durchmesser im Bereich von 0,001 mm liegt, sind für elektrophysiologische Ableitungen
zu klein. Die heute verfügbaren Mikroelektroden weisen nur einen geringfügig kleineren
Durchmesser auf und sind damit ungeeignet, da sie die Spines zu stark beschädigen. Eine
direkte Messung der synaptischen Potenziale wäre höchst wünschenswert, da diese durch
ihre Weiterleitung von den Spines zu einem größeren Dendriten oder zum Zellkörper, wo
sie abgeleitet werden können, abgeschwächt werden. Durch die stattfindende „Filterung“
der Signale auf ihrem Weg zum Ableitort erhält man also nur ein verzerrtes Bild der tatsächlich an Synapsen generierten elektrischen Signale. In den letzten Jahren hat es einige
vielversprechende Ansätze zur Messung elektrischer Signale in Nervenzellen mit Hilfe
von Fluoreszenzfarbstoffen gegeben. Leider weisen diese bis heute eine relativ unbefriedigende Auflösung auf. Es ist jedoch zu hoffen, dass im Rahmen der Weiterentwicklung
dieses Ansatzes Messungen in Spines in Zukunft möglich sein werden.
Im Gegensatz zu Nervenzellen können Gliazellen unter normalen Bedingungen keine Aktionspotenziale generieren. Dies ist in der Tatsache begründet, dass bestimmte Ionenkanäle, die in Nervenzellen für die Entstehung von Aktionspotenzialen verantwortlich
sind, in der Zellmembran von Gliazellen in zu geringer Dichte vorhanden sind. Zwar reagieren auch Gliazellen auf die elektrische Aktivität von Nervenzellen mit einer Veränderung ihres Membranpotenzials, jedoch sind diese Signale relativ schwach und langsam.
Grundsätzlich kann man also sagen, dass Gliazellen nicht an der schnellen elektrischen
Signalgebung im Gehirn beteiligt sind. Aufgrund dieser Tatsache wurde ihnen bis vor
wenigen Jahren eine rein passive Rolle in der Informationsübertragung im Gehirn zugeschrieben.3
Calciumionen als intrazelluläre Botenstoffe
Neben der beschriebenen klassischen elektrischen Signalgebung haben moderne bildgebende Methoden innerhalb der letzten Jahre eine weitere Art der Signalvermittlung und
-verarbeitung in Gehirnzellen aufgedeckt. Dabei handelt es sich um intrazelluläre Calciumveränderungen, die durch Membranpotenzialänderungen (d. h. elektrische Signale)
oder durch chemische Botenstoffe ausgelöst werden. Solche Calciumsignale wurden so3
Vgl. Haydon (2001) sowie Volterra und Meldolesi (2005).
214
Christine R. Rose
wohl in Nerven- als auch in Gliazellen beobachtet, obwohl einige grundsätzliche Unterschiede in ihrem Zeitverlauf und ihrer Generierung zwischen beiden Zelltypen zu beobachten sind.
Calcium ist seit langem als so genannter second messenger, d. h. als intrazellulärer Botenstoff, bekannt.4 In fast allen Zelltypen ist die freie intrazelluläre Calciumkonzentration
etwa 10.000fach niedriger als die Calciumkonzentration in der die Zellen umgebenden
Extrazellulärflüssigkeit. Die niedrige intrazelluläre Calciumkonzentration wird durch verschiedene Transporter in der Zellmembran, die das Calcium aus der Zelle transportieren,
aufrechterhalten. Kurzzeitige oder mittelfristig andauernde Anstiege in der intrazellulären
Calciumkonzentration lösen nach Aktivierung intrazellulärer Signalkaskaden so vielfältige Prozesse wie Zellwachstum, Zelldifferenzierung oder Zellteilung aus. In Muskelzellen
sind sie für die Kontraktionsauslösung verantwortlich. Ein unkontrollierter und über längere Zeit anhaltender Calciumanstieg kann allerdings zum Zelltod führen. Daher ist die
intrazelluläre Calciumkonzentration strengen Kontroll- und Regulationsmechanismen unterworfen. Neben den besagten Transportmechanismen existieren spezifische Proteine, die
freie Calciumionen binden und somit eine Pufferfunktion erfüllen. Diese Calciumbindeproteine, wie z. B. Calmodulin, vermitteln auch die biologischen Wirkungen eines Calciumanstiegs, indem sie nach einer calciuminduzierten Konformationsänderung mit anderen
intrazellulären Proteinen bzw. Signalwegen wechselwirken.
In Nerven- und Gliazellen kann die Öffnung spezifischer Ionenkanäle in der Zellmembran einen raschen Einstrom von Calciumionen aus dem Extrazellulärraum in das
Zellinnere bewerkstelligen. Eine weitere Quelle von Calciumionen sind intrazelluläre
Organellen, die eine hohe Calciumkonzentration aufrechterhalten. Einer der wichtigsten
intrazellulären Calciumspeicher ist das endoplasmatische Retikulum, aus dem nach bestimmten externen Stimuli Calciumionen in das Zytoplasma freigesetzt werden.5
Calcium-Imaging: Bestimmung intrazellulärer
Calciumveränderungen mit Hilfe von Fluoreszenzfarbstoffen
Die Entdeckung und Analyse intrazellulärer Calciumsignale in Nerven- und Gliazellen
wurde durch die Entwicklung der hochauflösenden Fluoreszenzmikroskopie und durch
die Entwicklung calciumsensitiver Fluoreszenzfarbstoffe ermöglicht.6 Ein Fluoreszenzfarbstoff ist ein Molekül, das, wenn ihm Energie in Form von Licht zugeführt wird, dieses
Licht absorbiert und dadurch angeregt wird, selbst Licht auszusenden – ein Vorgang, der
als Fluoreszenzemission bezeichnet wird. Ionensensitive Fluoreszenzfarbstoffe haben darüber hinaus die ganz besondere Eigenschaft, dass die Stärke der Fluoreszenzemission bei
gleicher Intensität des Anregungslichts von der Konzentration eines bestimmten Ions, wie
z. B. Calcium, abhängt.
Die Fluoreszenzfarbstoffe sind meist zellverträglich und können mittels verschiedener
Methoden in lebende Zellen eingebracht werden. Eine unselektive Beladung ermöglicht
die gleichzeitige Markierung vieler Zellen und somit die Messung von Netzwerkaktivitäten (Abb. 3 A, vgl. Abb. 6 B 1). Durch das Einbringen der Farbstoffe über eine Mikro4
5
6
Vgl. Berridge et al. (1998) sowie Putney (1998).
Vgl. Carafoli (2002).
Vgl. Yuste und Konnerth (2005).
215
Doppelt hält besser – Elektrische und chemische Signalgebung in Gehirnzellen
elektrode können dagegen einzelne Zellen selektiv beladen werden und Signale von feinen
Zellausläufern bestimmt werden (vgl. Abb. 1 B, 1 C, 5 A).
A
B
Calciumveränderung in der
markierten Zelle nach Gabe
eines Neurotransmitters
50 s
Abb. 3: Messung intrazellulärer Calciumveränderungen mit Hilfe von calciumsensitiven Fluoreszenzfarbstoffen. A: Bild einzelner Gliazellen (Astrozyten) in Kultur. Die Zellen wurden über die Badperfusion mit einem calciumsensitiven Fluoreszenzfarbstoff beladen. Die gelbe Markierung
zeigt den Bereich, in dem die in B gezeigte Messung vorgenommen wurde. B: Die Änderung
der Fluoreszenzemission (Helligkeit) des Farbstoffs wurde mit Hilfe einer Kamera bestimmt
und gegen die Zeit aufgetragen. Nach Gabe eines Neurotransmitters (Pfeilkopf) wird eine vorübergehende Erhöhung der intrazellulären Calciumkonzentration angezeigt.
Eine Bestrahlung der Zellen mit Licht einer jeweils charakteristischen Wellenlänge führt
zur Anregung der Farbstoffe und zur Emission von Fluoreszenzlicht, das über geeignete
Detektoren, wie z. B. hochempfindliche Kameras, aufgenommen wird. Durch die Kamera wird ein Bild (engl. image) der fluoreszierenden Strukturen, d. h. der farbstoffbeladenen Zellen, generiert, daher nennt man diese bildgebenden Techniken auch kurz CalciumImaging. Die Helligkeit des Farbstoffs, d. h. die Intensität der Fluoreszenzemission, wird
in ausgewählten Bereichen bestimmt und ihre Veränderung über die Zeit aufgetragen. Da
sie bei konstanter Anregungsintensität abhängig von der Konzentration der ungebundenen
Calciumionen in der Zelle ist, ist die Bestimmung der intrazellulären Calciumkonzentration möglich (Abb. 3 B).
Hochauflösende bildgebende Techniken: konfokales und 2-PhotonenCalcium-Imaging
Mit Hilfe von Fluoreszenzfarbstoffen können wie oben beschrieben intrazelluläre Calciumveränderungen über die Zeit bestimmt werden. Im intakten Hirngewebe werden allerdings sowohl das Anregungs- als auch das emittierte Licht auf ihrem Weg durch das Gewebe stark gestreut, daher können bis auf die relativ großen Zellkörper meist keine feineren
Strukturen erkannt werden (vgl. Abb. 6 B). Dieses Problem kann man sich leicht beim
Autofahren in starkem Nebel verdeutlichen: Das Einschalten des Fernlichts zieht meist
216
Christine R. Rose
eine deutlich schlechtere Sicht nach sich, weil die Lichtstrahlen auf ihrem Weg durch die
Wassertröpfchen in alle Richtungen reflektiert („gestreut“) werden.
Der Einsatz von Lasern zur Anregung der Fluoreszenzfarbstoffe zusammen mit konfokalen Mikroskopiesystemen hat daher die Fluoreszenzmikroskopie revolutioniert. Durch
die gezielte Bestrahlung einzelner Punkte, d. h. die schrittweise Abtastung des Präparats
mit einem Laserstrahl (engl. scanning), und die Ausgrenzung von unerwünschtem Streulicht über eine Blende, die in der hinteren Fokusebene des Objektivs, d. h. konfokal, positioniert wird (Abb. 4 A), erhält man Bilder von hoher räumlicher Auflösung. Damit wurde
es auch möglich, synaptisch induzierte Calciumveränderungen in Dendriten und dendritischen Spines, d. h. direkt an ihrem Entstehungsort, zu bestimmen.
Obwohl die konfokale Laser-Scanning-Fluoreszenzmikroskopie einen Durchbruch in
der hochauflösenden Darstellung feiner Strukturen im Licht streuenden Gewebe bedeutete, ist sie doch mit einigen Nachteilen behaftet. Einer dieser Nachteile besteht darin, dass
der Laserstrahl bei seinem Weg durch das Gewebe nicht nur das direkt betrachtete Objekt auf der Fokusebene (z. B. ein Stück eines feinen Dendriten) zur Fluoreszenz anregt,
sondern auch gefärbte Zellstrukturen, die über oder unter der jeweiligen Betrachtungsebene im Gewebe liegen. Durch die Bestrahlung von farbstoffbeladenen Zellregionen, die
nicht analysiert oder direkt betrachtet werden, wird die Phototoxizität, d. h. die Schädigung farbstoffbeladener Zellen durch das anregende Fluoreszenzlicht, stark erhöht. Ein
weiterer Nachteil des konfokalen Imaging ist, dass ein großer Teil des emittierten Fluoreszenzlichts ausgeblendet werden muss, um ein von Streulicht freies („scharfes“) Bild der
betrachteten Struktur zu erhalten (Abb. 4 A). Somit müssen höhere Anregungsintensitäten
als eigentlich notwendig eingesetzt werden, um ein ausreichend helles Bild der betrachteten Struktur zu erhalten. Schließlich arbeiten konfokale Laser-Scanning-Mikroskope zur
Calciummessung überwiegend mit Anregungslicht im grünen Bereich, d. h. mit Licht, das
typischerweise eine Wellenlänge um 488 nm (Nanometer) aufweist. Dieses Licht hat aufgrund seiner relativ niedrigen Wellenlänge jedoch nur eine geringe Eindringtiefe in das
Gewebe. Daher ist es wenig geeignet für Calciummessungen in Nervenzellen in der intakten Hirnrinde, d. h. im lebenden Tier.
Durch die Entwicklung der 2-Photonen-Laser-Scanning-Mikroskopie innerhalb der
letzten 15 Jahre wurden viele dieser Nachteile aufgehoben.7 Im Gegensatz zum konfokalen
Imaging werden die Fluoreszenzfarbstoffe nicht mit jeweils einem kurzwelligen Photon,
sondern gleichzeitig mit zwei langwelligen Photonen zur Fluoreszenz angeregt. Dieser
Vorgang der gleichzeitigen Absorption zweier langwelliger Photonen durch den Farbstoff
ist sehr selten und bedarf daher einer äußerst hohen Intensität des Anregungslichts, um in
einer ausreichenden Fluoreszenzemission zu resultieren. Da diese hohe Anregungsintensität nur im direkten Brennpunkt, d. h. im Fokus des Anregungslichts, gegeben ist, werden
nur Strukturen, die direkt in der Objekt- bzw. Fokusebene liegen, angeregt. Daraus ergibt sich, dass kein Streulicht von Strukturen außerhalb der Fokusebene generiert wird
und dass alle Fluoreszenz, die entsteht, aus dem direkt betrachteten und bestrahlen Objekt
stammen muss (Abb. 4 B). Auf eine Blende, wie sie in der konfokalen Mikroskopie zur
Ausblendung unerwünschten Streulichts verwendet wird, kann in der 2-Photonen-Mikroskopie verzichtet werden. Daher ist die Effizienz der Detektion des generierten Fluores7
Vgl. Denk et al. (1990) sowie Helmchen und Denk (2005).
Doppelt hält besser – Elektrische und chemische Signalgebung in Gehirnzellen
A
konfokale Mikroskopie
217
B 2-Photonen Mikroskopie
Detektor
Detektor
konfokale Blende
Anregungslicht
Anregungslicht
Strahlteiler
Strahlteiler
Objektivlinse
Objektivlinse
Objektebene
Objektebene
Fokuspunkt
Fokuspunkt
Abb. 4: Darstellung des Strahlengangs bei konfokaler Laser-Scanning-Mikroskopie (A) und bei 2-Photonen-Mikroskopie (B). Während bei konfokaler Mikroskopie das Einfügen einer Blende notwendig ist, um unerwünschtes Streulicht auszublenden, ist dies in der 2-Photonen-Mikroskopie
nicht notwendig, da alle Fluoreszenz im direkten Fokuspunkt generiert wird.
zenzlichts bedeutend größer (Abb. 4 B). Zudem werden keine Strukturen außerhalb der
betrachteten Fokusebene angeregt und somit die Phototoxizität wesentlich verringert.
Ein weiterer Vorteil der 2-Photonen-Mikroskopie ist die höhere Wellenlänge des Anregungslichts, die eine größere Eindringtiefe in das Gewebe ermöglicht. Auch hier ist ein
Vergleich mit dem Straßenverkehr hilfreich: Ampeln, oder ganz allgemein Lichter, die Gefahr signalisieren, sind immer rot, d. h., sie strahlen langwelliges Licht ab. Dieses ist bei
Nebel sehr viel weiter sichtbar als das kurzwelligere grüne oder gelbe Licht, das stärker
gestreut wird. Tatsächlich ist die 2-Photonen-Mikroskopie die einzige Technik, die es heute ermöglicht, Calciumsignale in einzelnen Nerven- und Gliazellen tief in der Hirnrinde
des lebenden Tiers zu messen. Ein wesentlicher Nachteil des 2-Photonen-Imaging ist allerdings, dass die Anschaffungs- und Wartungskosten der dazu verwendeten Laser um ein
Vielfaches höher sind als die konventioneller Laser für die konfokale Mikroskopie.
Aktivitätsabhängige Calciumsignale in Nervenzellen und ihre Rolle
bei synaptischer Plastizität
Hochauflösende Calcium-Imaging-Methoden zeigten vor etwa 15 Jahren erstmals, dass
synaptische Übertragung, d. h. die Ausschüttung eines Transmitters und dessen Bindung
an postsynaptische Rezeptoren, zu lokalen Calciumveränderungen in dendritischen Spines
von Nervenzellen führt (Abb. 5). Bei stärkerer Aktivität der präsynaptischen Zelle weiten
sich diese Calciumveränderungen auf Dendriten und schließlich auf den Zellkörper aus.
Die am häufigsten beschriebenen Quellen für diese Calciumsignale sind direkt glutamat-
218
Christine R. Rose
und spannungsgesteuerte Calciumkanäle in der Zellmembran der postsynaptischen Nervenzellen. Zusätzlich kann Glutamat unter bestimmten Bedingungen auch eine Aktivierung so genannter metabotroper Glutamatrezeptoren in der postsynaptischen Nervenzelle
auslösen.8 Metabotrope Glutamatrezeptoren führen nicht zu einem direkten Calciumeinstrom über die Plasmamembran, sondern zur Aktivierung eines G-Proteins und nachgeschalteter Signalkaskaden, die die Freisetzung von Calcium aus dem endoplasmatischen
Retikulum bewirken. Daher sind durch metabotrope Rezeptoren ausgelöste Calciumsignale in der Regel langsamer und länger anhaltend als Calciumsignale, die durch direkten
Einstrom über die Zellmembran zustande kommen.
Die postsynaptischen Calciumsignale sind der Auslöser für viele Formen aktivitätsinduzierter synaptischer Plastizität wie der Langzeitpotenzierung (LTP) und der Langzeitdepression (LTD), die die am besten etablierten Modelle für Lernen und Gedächtnis auf
zellulärer Ebene darstellen. Der Begriff „synaptische Plastizität“ beschreibt dabei die Tatsache, dass die Übertragungseigenschaften von Synapsen als Folge ihrer wiederholten
Benutzung verändert werden. Ein Aktionspotenzial der präsynaptischen Zelle, d. h. ein
stereotypes Eingangssignal, wird durch die synaptische Übertragung in der postsynaptischen Zelle in ein elektrisches Signal umgewandelt, dessen Amplitude in Abhängigkeit
von der vorherigen Aktivität, d. h. von der „Geschichte“, der betreffenden Synapse variiert. So wird ein Aktionspotenzial der präsynaptischen Zelle nach Auslösung der LTP
in ein größeres elektrisches Signal in der postsynaptischen Zelle umgewandelt als zuvor;
die synaptische Übertragung wird demnach „verstärkt“. Bei der LTD kommt es dagegen
zu einer Abschwächung der Synapse, d. h. zu einer kleineren elektrischen Antwort der
postsynaptischen Zelle als zuvor. Die Richtung der Veränderung, d. h. Verstärkung oder
Abschwächung, ist abhängig vom Aktivitätsmuster der präsynaptischen Zelle und/oder
von den beteiligten Nervenzelltypen.
Die Rolle postsynaptischer Calciumsignale bei synaptischer Plastizität und Lernen wurde intensiv in Nervenzellen des Kleinhirns, das eine zentrale Rolle in der Feinkoordination von Bewegungen spielt, untersucht.9 Ein Fehlen metabotroper Glutamatrezeptoren in
Mausmutanten führt zu charakteristischen Kleinhirnsymptomen wie Bewegungsstörungen
oder mangelhaftem Lernen von Bewegungsabläufen. Es wurde gezeigt, dass die Aktivierung der metabotropen Glutamatrezeptoren nach synaptischer Übertragung zu Calciumsignalen in Spines und Dendriten von Nervenzellen des Kleinhirns führt (Abb. 5). Diese
Calciumsignale sind wesentlich für die Ausprägung der LTD, also der langfristigen Abschwächung der durch synaptische Übertragung generierten elektrischen Signale in der
postsynaptischen Zelle. Inzwischen ist ebenfalls gut etabliert, dass die LTD (und die zugrunde liegenden intrazellulären Calciumsignale) wesentlich für das Lernen bestimmter
Bewegungsabläufe und somit für die Funktion des Kleinhirns sind.
In Nervenzellen des Hippocampus ist das Bild um einiges komplexer. Hier kann die
synaptische Übertragung sowohl eine langfristige Steigerung der elektrischen Antwort der
postsynaptischen Zelle (LTP) als auch ihre Abschwächung in Form von LTD hervorrufen.
Insbesondere die hippocampale LTP kann direkt mit bestimmten Verhaltensmustern bzw.
der Lernfähigkeit von Versuchstieren korreliert werden. Genetische oder pharmakologi8
9
Vgl. Rose und Konnerth (2001b).
Vgl. Augustine et al. (2003).
Doppelt hält besser – Elektrische und chemische Signalgebung in Gehirnzellen
A
B
219
postsynaptische
Antwort
elektrisches Signal
Mikroelektrode
Nervenzelle
des Kleinhirns
(Purkinje-Zelle)
lokales Calciumsignal
synaptische Stimulation
Abb. 5: Intrazelluläre Calciumsignale in Nervenzellen. A: Bild einer mit Fluoreszenzfarbstoff gefüllten
Nervenzelle des Kleinhirns, dargestellt durch 2-Photonen-Imaging. Am Zellkörper befindet sich
eine Glasmikroelektrode, über die die elektrischen Signale abgeleitet werden. Bei stärkerer
Vergrößerung sind einzelne Dendriten mit angrenzenden Spines zu erkennen (oberer Bildausschnitt). B: Kurze synaptische Stimulation ruft ein im Zellkörper messbares elektrisches
Signal in der Nervenzelle hervor. Zudem wird ein lokales Calciumsignal im Dendriten und in
den Spines ausgelöst.
sche Manipulationen, die die Auslösung von LTP im Hippocampus von Mäusen unterbinden, führen in verschiedensten Verhaltensversuchen zu einer deutlichen Verschlechterung
der Lernfähigkeit der Tiere.
Obwohl die genauen Mechanismen, die die unterschiedlichen Formen der synaptischen
Plastizität im Hippocampus auslösen, noch nicht im Detail bekannt sind, ist inzwischen
anerkannt, dass auch hier postsynaptische Calciumsignale eine wesentliche Rolle spielen.
Es wird angenommen, dass starke Erhöhungen in der postsynaptischen Calciumkonzentration zur Potenzierung (LTP) führen, während kleinere Calciumveränderungen die Abschwächung (LTD) der synaptischen Übertragungsstärke bedingen. Dabei wirken hier die
verschiedenen Mechanismen zur intrazellulären Calciumerhöhung (direkter Einstrom über
die Zellmembran durch spannungs- und transmitteraktivierte Ionenkanäle sowie Freisetzung von Calcium aus intrazellulären Speichern nach Aktivierung metabotroper Rezeptoren) in einer komplexen Weise zusammen, um die Übertragungsstärke zwischen Nervenzellen des Hippocampus zu regulieren.
Interessanterweise ergaben detaillierte Analysen der postsynaptischen Calciumsignale,
dass einzelne Spines nach relativ schwacher synaptischer Stimulation kurzzeitig eine höhere Calciumkonzentration aufrechterhalten können als der entsprechende Dendrit, von
dem sie ausgehen. Diese biochemische Kompartimentalisierung von Spines ist bis heute nicht vollständig verstanden.10 Man geht jedoch davon aus, dass sie der spezifischen
10
Vgl. Yuste et al. (2000) sowie Kennedy et al. (2005).
220
Christine R. Rose
Signalintegration und -verarbeitung in Regionen synaptischer Aktivität innerhalb einer
Nervenzelle dient. Das bedeutet, dass diese lokalen Calciumsignale dazu dienen könnten,
bestimmte Effekte, wie eine aktivitätsabhängige Verstärkung, spezifisch nur an denjenigen
Synapsen zu fördern, an denen Aktivität auch tatsächlich auftritt. Da jedoch bislang direkte elektrische Ableitungen von Spines nicht möglich sind (siehe oben), ist die definitive
Antwort auf diese Frage noch offen.
Bei stärkerer Aktivität bleiben die Calciumveränderungen der postsynaptischen Nervenzelle nicht auf einzelne Spines oder kleinere Abschnitte von Dendriten beschränkt,
sondern werden in der gesamten Zelle ausgelöst. In diesem Fall bewirken die Calciumveränderungen im Zellkern über komplexe Signalketten Veränderungen der Gentranskription,
die z. B. zu verstärktem Wachstum der Nervenzelle führen können.11
Aktivitätsabhängige Calciumsignale in Gliazellen und ihre Rolle in der
Neuron-Glia-Interaktion
Da Gliazellen nicht an der schnellen elektrischen Signalgebung beteiligt sind (siehe oben),
wurde lange Zeit angenommen, dass sie eine rein passive Rolle bei der Informationsübertragung und -verarbeitung im Gehirn spielen. Nach der technischen Entwicklung der hochauflösenden intrazellulären Calciummessungen vor etwa 15 Jahren wurde jedoch schnell
deutlich, dass Gliazellen an der chemischen Signalgebung im Gehirn beteiligt sind.
Zunächst wurde gezeigt, dass Gliazellen auf eine Vielzahl von Transmittern, die bei
der synaptischen Übertragung zwischen Nervenzellen ausgeschüttet werden, mit Calciumerhöhungen reagieren.12 Solche Calciumveränderungen in Gliazellen beruhen meist auf
der Aktivierung metabotroper Rezeptoren an der Zellmembran und der anschließenden
Freisetzung von Calcium aus intrazellulären Speichern. Gliale Calciumsignale sind daher
im Vergleich zu Calciumsignalen in Nervenzellen meist langsam und lang anhaltend.13
Ein weiteres charakteristisches Merkmal glialer Calciumsignale ist, dass sie zwischen verschiedenen Gliazellen weitergeleitet werden. Meist geschieht dies in Form einer typischen
so genannten „Calciumwelle“, die sehr schön in kultivierten Zellen darzustellen ist (Abb.
6 A): Findet in einer Gliazelle eine Calciumerhöhung statt, so wird diese ringförmig auf
benachbarte Zellen übertragen. Die Weiterleitung dieser Calciumwelle beruht zum einen
auf dem direkten Durchtritt von Calcium von einer Zelle in die andere durch so genannte
Gap Junctions. Dies sind Proteinstrukturen, die einen für kleinere Substanzen durchgängigen Kanal zwischen unterschiedlichen Zellen bilden. Zum anderen pflanzt sich die gliale
Calciumwelle aufgrund einer Kettenreaktion fort. Der Calciumanstieg in den Gliazellen
führt zur Freisetzung von Adenosin-Trisphosphat (ATP) in den Extrazellulärraum durch
die Gliazelle. Dieses ATP diffundiert zu benachbarten Gliazellen und bewirkt dort nach
Bindung an Rezeptoren der Zellmembran eine Freisetzung von Calcium aus intrazellären
Speichern. Dies wiederum bewirkt eine ATP-Freisetzung der betroffenen Gliazelle, die
dann weitere Zellen aktiviert, usw.
Gliale Calciumsignale werden auch durch die direkte Aktivität von Nervenzellen, d. h.
durch die synaptische Freisetzung von „Neurotransmittern“ (Botenstoffe, die von Nerven11
Vgl. West et al. (2001).
Vgl. Verkhratsky et al. (1998) sowie Haydon (2001).
13 Vgl. Rose et al. (2003).
12
221
Doppelt hält besser – Elektrische und chemische Signalgebung in Gehirnzellen
A
Ausbreitung einer glialen Calciumwelle in kultivierten Astrozyten
0
B
1.5 s
3.5 s
7s
170 s
Aktivitätsinduzierte Calciumsignale in Gliazellen des Hippocampus
B1
B2
B3
40 %
20 s
Abb. 6: Intrazelluläre Calciumsignale in Gliazellen. A: Calciumwelle in kultivierten Astrozyten des Hippocampus. Zum Zeitpunkt t=0 wurde über eine Glaspipette ein Wachstumsfaktor für 50 ms
appliziert. B1: Bild eines mit calciumsensitivem Farbstoff geladenen Ausschnitts aus einem
Gewebeschnitt des Hippocampus. Zu erkennen sind einzelne Zellkörper. Die Pfeilspitze markiert eine Gliazelle, die grün gepunktete Linie zeigt die Lage der Nervenzellkörper an. Die Lage
der Glaspipette zur synaptischen Stimulation der Nervenzellen ist schematisch angedeutet.
B2: Färbung des gleichen Bildausschnitts wie in B1 mit Sulforhodamin, einem spezifischen
Gliazellmarker. Die Zellkörper der Gliazellen sind klar hervorgehoben, während Nervenzellen
nicht gefärbt sind. B3: Calciumsignale in Nervenzellen (schwarz) und in der, mit der Pfeilspitze
markierten, Gliazelle (rot) nach kurzer synaptischer Stimulation der Nervenzellen.
zellen freigesetzt werden), ausgelöst (Abb. 6 B).14 Welche Folgen hat eine solche Aktivierung der Gliazellen? Gliale Calciumerhöhungen können zum einen, wie oben beschrieben,
zur Freisetzung von ATP führen und zur Aktivierung benachbarter Gliazellen. Daneben
kommt es auch zur calciumabhängigen Freisetzung von Glutamat in den Extrazellulärraum. In den letzten Jahren konnte überzeugend gezeigt werden, dass diese „Gliotransmitter“ (Botenstoffe, die von Gliazellen freigesetzt werden) nicht nur auf benachbarte Gliazellen wirken, sondern auch die synaptische Übertragung zwischen Nervenzellen direkt
beeinflussen können, indem sie z. B. zur Erregung von Nervenzellen führen. Eine weitere
Rolle glialer Calciumsignale wurde ebenfalls erst kürzlich beschrieben. Mit Hilfe des 2Photonen-Imaging wurde beobachtet, dass ein Anstieg der glialen Calciumkonzentration
nach Stimulation von Nervenzellen zu einer lokalen Weitung von Blutgefäßen und damit
14
Vgl. Rose und Konnerth (2001a), Volterra und Steinhäuser (2004) sowie Volterra und Meldolesi (2005).
222
Christine R. Rose
zu einer verbesserten Blutzufuhr führt.15 Gliale Calciumsignale vermitteln also zwischen
Nervenzellaktivität und zerebralem Blutfluss.
Diese Befunde zeigen, dass Gliazellen zwar nicht an der schnellen elektrischen Signalverarbeitung, allerdings jedoch an der chemischen Signalverarbeitung im Gehirn beteiligt sind und in komplexer Weise mit Nervenzellen wechselwirken. Zudem stellen sie ein
entscheidendes Glied in der adäquaten Versorgung der Nervenzellen mit Sauerstoff und
Nährstoffen dar, indem sie Aktivität von Nervenzellen an die Endothelzellen der Blutgefäße vermittelt.
Zusammenfassung
Unser Bild von der Funktionsweise und der Signalverarbeitung in Gehirnzellen hat sich
grundlegend gewandelt. Insgesamt ergibt sich ein weitaus dynamischeres Bild der Kommunikation zwischen Gehirnzellen und der Informationsverarbeitung auf zellulärer Ebene
als noch vor wenigen Jahren. Hochauflösende bildgebende Methoden haben gezeigt, dass
neben der klassischen elektrischen Signalgebung auch eine chemische Signalgebung in
Form intrazellulärer Calciumveränderungen existiert. Nach dem Prinzip „doppelt hält besser“ wirken elektrische und chemische Signale zusammen und steuern viele Formen der
synaptischen Plastizität, die als zelluläre Grundlage für Lernen und Gedächtnis angesehen
werden. An dieser neuen Art der chemischen Signalgebung und Informationsverarbeitung
nehmen auch Gliazellen teil. Diese antworten auf die elektrische Aktivität von Nervenzellen mit verzögerten intrazellulären Calciumveränderungen, die wiederum die Ausschüttung neuro- und vasoaktiver Substanzen bedingen.
Trotz der dargestellten beeindruckenden Fortschritte sind noch viele entscheidende Fragen offen, die das Auftreten, die Regulation oder die physiologische Rolle aktivitätsinduzierter Calciumtransienten in Nerven- und Gliazellen betreffen. Das Institut für Neurobiologie der Heinrich-Heine-Universität wird sich der Untersuchung dieser Fragen in den
nächsten Jahren widmen. Dabei wird uns der Einsatz moderner elektrophysiologischer
und bildgebender Methoden helfen, einen wissenschaftlichen Beitrag zu deren Klärung zu
leisten.
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