Trauma und Sucht – Möglichkeiten und Grenzen der Behandlung

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Fachtagung Frauen – Sucht – Trauma am 25.07.2013
Trauma und Sucht – Möglichkeiten und
Grenzen der Behandlung
Prof. Dr. med. Martin Sack
Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München
Übersicht:
Konfrontative Traumatherapie bei Suchtkranken
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Suchterkrankungen sind Stresserkrankungen
Wieso ist konfrontative Therapie notwendig?
Arbeit an Traumafolgesymptomen
Ansatzpunkt Suchtgedächtnis
Vernachlässigung und negative Beziehungserfahrungen
als Behandlungsfokus
 Fazit
Stress als Ursache psychischer Erkrankungen
Stressauslösende Bedingungen
 Traumatisierungen
 Negative Beziehungserfahrungen
 Fehlende regulative Kompetenzen
 Belastende Lebensbedingungen / körperliche Erkrankungen
Sekundäre Stressfolgesymptomatik
 Angst
 Depression
 Somatisierung etc.
Stresskompensatorische Symptome
 Suchtmittelkonsum
 Zwangsstörungen
 Selbstverletzen etc.
Traumatherapie bei Suchtpatienten?
 Hohe Komorbidität von Traumafolgestörungen und
Suchterkrankungen
 Bisher: Abstinenz (mind. 1 Jahr stabil) als Voraussetzung
vor konfrontativer Traumatherapie
 Aktuell: Fallberichte über erfolgreiche Traumatherapie mit
Patienten, die weiter Suchtmittel konsumieren
State of the Art bei Komorbidität Sucht und Trauma:
Skillsbasierte Behandlungsansätze
 DBT-Sucht
 Seeking-Safety
(beste nachgewiesene Wirksamkeit)
 Andere kognitiv-verhaltenstherapeutische Programme
 Imaginationsübungen
Gefahren einer einseitig stabilisierenden Behandlung
 Übermäßiges Stabilisieren fördert Vermeidungsverhalten
 Die Selbstwahrnehmung als Opfer, das besonderen
Schutz braucht, wird verstärkt
 Konfrontative Behandlung wird zu einem angstbesetzten
Ziel, das (wenn überhaupt) erst nach langer Vorbereitung
erreichbar wird
 Psychisches Leiden wird verlängert
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Warum werden konfrontative Behandlungen zu selten
angewendet?
 Patienten äußern Angst vor Konfrontation, Angst steckt an
 Sorge vor Schädigung und Destabilisierung
(Defensive Behandlungsstrategie)
 Therapeuten haben Angst vor der Heftigkeit des seelischen
Schmerzes ihrer Patienten
Es braucht Ausbildung, Selbsterfahrung und Supervision mit dem Ziel
der ‚Stabilisierung von Therapeuten‘
Leiden ist eine menschliche Lebensbedingung, kein Symptom das man
um jeden Preis wegbehandeln muss
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Konsolidierung der Erinnerung
– Erinnerung muss wiederholt aktiviert werden
(z.B. im Traumschlaf) und dann wieder zellulär
abgespeichert (konsolidiert) werder, damit sie auf
verfügbar bleibt
– Während der Aktivierung befindet sich die Erinnerung in
einem labilen Zustand
– Störungen im Prozeß der Rekonsolidierung können zu
einem Verlust der Erinnerung führen
– In der labilen Phase können Erinnerungen jedoch auch
potentiell verändert bzw. neuronal neu vernetzt werden.
Nader, Nature 425 (2003)
Bearbeitung des Suchtgedächtnisses
 Tierexperimentelle Befunde (Wolffgramm et al.) belegen:
Suchtmittelgebrauch kann konditioniert werden
 Positive Erfahrungen mit dem Suchtmittel führen in die
Abhängigkeitserkrankungen
 Eine Bearbeitung der Konditionierung (‚Rückprägung‘)
reduziert das Verlangen nach dem Suchtmittel
 Rückprägung gelingt nur, wenn Erfahrungen von
Hilflosigkeit ohne Suchtmittel korrigiert werden und
Kontrolle gewonnen wird
Bearbeitung des Suchtgedächtnisses mit EMDR:
Suchtverlangen vor, nach und 1 Monat nach Behandlung
Hase, Schallmeyer & Sack, JEMDRRes 2008
Bearbeitung des Suchtgedächtnisses mit EMDR:
Rückfallhäufigkeit 1 und 6 Monate nach Behandlung
Hase, Schallmeyer & Sack, JEMDRRes 2008
Empfehlungen für eine schonende Traumafokussierung
 Von der Alltagssymptomatik aus arbeiten
 Einsatz von Techniken zur
– Distanzierung
– Ressourcenaktivierung
– Veränderung des traumatischen Narrativs
 Zuwendung zur ‚inneren Not‘
 Förderung von Bewältigungserfahrungen
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Vernachlässigung ist die Häufigste Form von
Kindesmisshandlung
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Im Jahr 2005 wurden, 899 000 Kinder in den USA Opfer von
Misshandlung davon
– erlebten 62.8%Vernachlässigung
– 16.6% wurden körperlich misshandelt
– 9.3% wurden Opfer sexueller Gewalt
– 7.1% erlebten psychische Gewalt (Beschimpfen, Entwerten)
– 14.3% erlebten andere Formen von Misshandlung
Quelle: USDHHS. (2007) Child Maltreatment
2005; Washington, DC: US Gov’t Printing Office.
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Warum ist Vernachlässigung potentiell so schädlich?
Fehlende Beruhigung und Regulation
 Fehlendes Gegenüber, auf sich selbst geworfen sein
 Die eigenen emotionalen Reaktionen werden aversiv erlebt
Dissoziation im Sinne Verhaltensbezogener und mentaler Vermeidung
(van der Hart et al. 2006)
 Vermeidung der Wahrnehmung eigener Gefühle
 Störung der Beziehung zu sich selbst (Depersonalisation,
Identitätsunsicherheit)
 Störung der Beziehung zur Umwelt (Derealisation)
Suchtkranke leiden häufig an den Folgen
mangelnder Erfahrungen von sicherer Bindung
Die in der Kindheit durch Vernachlässigung entstandenen
emotionalen Verletzungen werden nicht heilen,
solange sich die/der Betroffene sich selbst gegenüber
genau so verhält, wie es den damaligen Erfahrungen
von Verlassenheit und Verleugnung entspricht.
Strategien zur Behandlung von Beziehungsstörungen
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Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Arbeitsbeziehung
Förderung der emotionalen Wahrnehmung
Selbstakzeptanz und Selbstwertgefühl verbessern
Eigene emotionale Bedürfnisse erkennen
Sich auf angemessene Weise in Andere einfühlen lernen
Bedürfnisse formulieren und vertreten lernen
Eigene Grenzen wahrnehmen und vertreten lernen
Konflikte austragen lernen
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Die Innere Not als Kompass zur Steuerung der Therapie
Hinter die Symptomatik schauen: Wo liegt die jeweilige
Bedürftigkeit?
 Gesehen und wahrgenommen werden
 Selbstwert durch Bestätigung von Außen stabilisieren
 Autonomie erleben
 Selbstwirksamkeit erleben
 Versorgungsbedürfnisse befriedigen
 Trost und Unterstützung erfahren
 Eigene Grenzen spüren
 Wut und Ärger ausdrücken
Fazit
 Suchterkrankungen lassen sich als ‚traumakompensatorische‘
Symptomatik bzw. als Stressbewältigungsversuch verstehen
 Eine an Behandlung der Ursachen ausgerichtete Psychotherapie
kann am Suchtgedächtnis bzw. der Stress und Traumaproblematik
ansetzen
 Konfrontative Behandlung bietet (ressourcenorientiert eingesetzt) die
Chance einer nachhaltigen Stabilisierung
 Es liegen allerdings noch keine Studien vor, die den Nutzen einer
frühen konfrontativen Behandlung bei Suchtkranken belegen
 Als Folgen kindlicher Traumatisierungen bestehen häufig weitere
spezifische Behandlungsbedürfnisse
Hinweis auf Neuerscheinung April 2013:
Sack M, Sachsse U, Schellong J:
Komplexe Traumafolgestörungen – Diagnostik
und Behandlung der Folgen schwerer Gewalt
und Vernachlässigung
Schattauer-Verlag
bereits erschienen:
Sack, M:
Schonende Traumatherapie
Schattauer Verlag, 2010
Infos zu Weiterbildungen:
www.martinsack.de
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