Universität Hamburg BA-Studiengang Medien- und Kommunikationswissenschaft Seminar – Modul MUK-A3 Methoden der Filmanalyse (52-328) Dozentin: Irina Scheidgen WiSe 2012/2013 Neoformalistische Elemente in der Filmmusik Hollywoods Eine Synthese zwischen Filmtheorie und Filmmusiktheorie am Beispiel der Hollywood-Produktion FLUCH DER KARIBIK. DER KURS DER BLACK PEARL Jurij Abegg Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. Inhaltsverzeichnis 1 Einführung 01 2 Neoformalismus: Ein theoretischer Überblick 02 2.1 Begriffsdefinition 02 2.2 Filmmusik: Struktur und Wirkungsweise 05 3 FLUCH DER KARIBIK 07 3.1 Zur Handlung: ein Überblick 07 3.2 Zur Musik: ein Überblick 08 4 FLUCH DER KARIBIK – Versuch einer neoformalistischen Filmmusikanalyse 09 4.1 Die Flucht (Beispielsequenz 1) 09 4.2 Tot oder lebendig (Beispielsequenz 2) 13 5 ‚Neoformalistische Filmmusiktheorie‘: Zusammenfassung und Ausblick 17 6 Literatur- und Medienverzeichnis 18 7 Quellenverzeichnis 20 8 Anhang (Beispielsequenzen auf CD, Selbstverpflichtungserklärung) 21 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. 1. Einführung „ […] [A]m Anfang war nicht das Wort, sondern die Musik: Die Kinomusik ist so alt wie das Kino selbst“ (Gronemeyer 1998, 46)1. Ursprünglich eingesetzt, um das Geräusch des Filmprojektors zu übertönen, haben sich Film und Musik bis heute – nicht zuletzt auch durch die Einführung des Filmtons ab ca. 1927 – zu einer komplexen Einheit verbunden (vgl. ebd., 46–49). Doch wird die Auseinandersetzung mit der ‚Klang-Ebene‘ eines Films der Analyse der ‚Bild-Ebene‘ meist untergeordnet:2 So wurden zwar eine Vielzahl von Filmtheorien entwickelt, ihre Argumentation stützt sich jedoch maßgeblich auf ‚das bildlich Gezeigte‘. Die ‚akustischen‘ Inhalte (u. a. der Filmmusik) werden allein zur vertiefenden Erläuterung hinzugezogen. Erst in jüngerer Zeit ist eine intensive Auseinandersetzung mit der akustische Ebene des Mediums ‚Film‘ zu beobachten (vgl. Martin 2008). Vorliegende Seminararbeit knüpft hier an, wobei sie den Fokus auf die extradiegetische 3 Musik eines ausgewählten Filmbeispiels legt:4 Dazu soll der Versuch unternommen werden, die Kernaspekte des filmwissenschaftlich begründeten ‚Neoformalismus‘ vornehmlich auf die Musik des Filmbeispiels zu beziehen. Begründet liegt diese Auswahl vor allem darin, dass der neoformalistische Ansatz diversen musikpsychologischen Überlegungen im Bereich der Filmmusik vergleichbar ist; so ergeben sich einige Überschneidungen zwischen beiden Bereichen (siehe Kapitel 2.1 dieser Arbeit). Zwar bildet der Neoformalismus in der Filmwissenschaft eine gängige Analysemethode, doch ist deren Bezugspunkt das gesamtfilmische Material – eine explizite Verbindung zum Gegenstand ‚Filmmusik‘ ist daher wohl eher seltenerer Natur (vgl. Hartmann/Wulff 1995, 5–7). So ist es das Ziel dieser Seminararbeit, das Potenzial eines möglichen ‚filmmusikalischen Neoformalismus‘ anhand einer exemplarischen Analyse zu ergründen. Die übergeordnete Fragestellung lautet daher, welche Emotionen und Wirkungen durch die Filmmusik (u. a. mittels musikalischer Hinweise5 auf die Filmhandlung) erzeugt werden sollen. Als Analysebeispiel dienen Film und Musik aus der Produktion PIRATES PEARL/FLUCH DER KARIBIK – DER KURS OF THE DER CARIBBEAN – THE CURSE OF THE BLACK 6 BLACK PEARL. Diese Produktion ist für eine 1 Die Quellenbelege dieser Arbeit können sich z. T. auch auf mehrere vorhergehende Zeilen beziehen. 2 Dies ist mitunter darauf zurückzuführen, dass für eine umfassende Analyse der Tonebene tiefgreifende tontechnische bzw. musikalische Kenntnisse unabdingbar sind. 3 ‚Diegese‘ (Begriff der Erzähltheorie) = denotatives Material einer Filmerzählung (vgl. Monaco/Bock 2011, 65). Demzufolge ‚extradiegetisch‘ = denotatives Material der Filmerzählung außerhalb der gezeigten Filmhandlung; ‚intradiegetisch‘ = denotatives Material der Filmerzählung innerhalb der dargestellten Filmhandlung. 4 Eine Analyse des gesamten Ton-Raums (d. h. auch der extradiegetischen Musik, der Sprache, des Sounddesign etc.) würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten. 5 Nach neoformalistischem Verständnis werden die durch den Film vermittelten Hinweise auf die Filmhandlung mit dem Begriff ‚Cue‘ bezeichnet (vgl. Thompson 1995, 30). Analog sollen in dieser Arbeit auch filmmusikalische Hinweise als ‚Cue‘ beschrieben werden, selbst wenn der Begriff ‚Cue‘ in der Filmmusiktheorie anderweitig gebraucht wird (vgl. Monaco/Bock 2011, 59). 6 Zur besseren Verständlichkeit wird im weiteren Verlauf der Arbeit allein der deutsche Titel verwendet. 1 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. neoformalistische Analyse insofern geeignet, als dass sie (als Mainstreamfilm) darauf ausgerichtet ist, durch einen optimierten und standardisierten ‚Spektakelwert‘ in Bild und Ton eine möglichst breitgefächerte Publikumsakzeptanz zu schaffen. Dabei wird u. a. der ‚Soundtrack‘ auch außerhalb des filmischen Kontextes in großem Stil vermarktet (vgl. Jockel/Dobler 2006, 84–88 u. Dalecki 2008, 49–50). Die Realisierung und Erfüllung etablierter, dem Publikum vertrauter, formaler Charakteristika innerhalb des Films und seiner Musik ist damit mehr als wahrscheinlich. Zur Ergründung der übergeordneten Fragestellung werden im einleitenden Theorieteil die grundlegenden Aussagen des filmwissenschaftlichen Neoformalismus vorgestellt und die Begriffe ‚Kognition‘, ‚Emotion‘, ‚Gefühl‘, ‚Affekt‘, ‚Raum‘ und ‚Zeit‘ voneinander abgegrenzt. Auf dieser Grundlage kann dann die Anwendbarkeit des Neoformalismus auf die Kategorie Filmmusik genauer erläutert werden. Der vertiefende Analyseteil gibt zunächst einen Überblick über Filmhandlung und Disposition der Filmmusik in FLUCH KARIBIK, um anschließend zwei ausgewählte Filmszenen einer DER detaillierten neoformalistischen Filmmusikanalyse unterziehen zu können. Dabei soll jede Szene jeweils einer der Stimmungslagen ‚Freude‘, ‚Trauer‘ oder ‚Angst‘ zuzuschreiben sein, damit die ‚Grundgefühle‘ eines Menschen durch die Analyse möglichst weitgehend abgedeckt werden (vgl. Ciompi 2003, 63–64). Es bieten sich jene Szenen an, welche die entsprechende Emotion in Bezug auf alle Filmszenen möglichst aussagekräftig und offensichtlich wiedergeben. Durch diese bewusste Auswahl erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, explizit formale Charakteristika in der Musik entschlüsseln zu können. Abschließend werden die erarbeiteten Erkenntnisse zusammengefasst und Möglichkeiten eines allgemeingültigen ‚filmmusikalischen Neoformalismus‘ erörtert. 2. Neoformalismus: Ein theoretischer Überblick 2.1 Begriffsdefinition Der neoformalistische Ansatz wurde von den Filmwissenschaftlern David Bordwell und Kristin Thompson konzipiert und bildete seinerzeit einen Gegenentwurf zur poststrukturalistischen und psychoanalytischen Filmtheorie.7 Grundsatz ist – unter Bezug auf die russischen Formalisten8 – die Untersuchung von filmästhetischem Material, wobei zeitlicher Kontext und Verstehensprozesse des Zuschauers einbezogen werden sollen (Kuhn 2011, 32). Britta Hartmann und Hans J. Wulff beschreiben den neoformalistischen Ansatz als eine Art ‚Dreieck‘, bestehend aus Filmgeschichte, Filmtheorie und Filmanalyse. Die tragenden ‚Säulen‘ seien hierbei eine neofomalistische Filmanalyse, eine kognitiv 7 Als Beginn des neoformalistischen Projekts gilt der 1979 von Bordwell und Thompson erstellte Band Film Art. An Introduction (Hartmann/Wulff 2002, 191). 8 Zu Zielen und Methoden der russischen Formalisten: siehe Striedter 1969. 2 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. orientierte Theorie des Films und eine historische Poetik des Kinos (Hartmann/Wulff 1995, 6). Vor dem Hintergrund kulturell und sozial geprägter Erfahrungswerte bzw. Wissensbestände der Zuschauer sind nach neoformalistischer Auffassung demnach rein formale Eigenschaften (spezifische Stile bzw. Formen) Bedingung dafür, wie ein Film vom Zuschauer aufgefasst bzw. verstanden wird. Eine solche rezeptionsästhetische Perspektive zur Untersuchung filmischer Strukturen fordert eine empirisch-historische Forschung nahezu ein (Hartmann/Wulff 2002, 193).9 Dem Zuschauer wird demnach eine aktive Rolle zugesprochen: auf Basis seiner eigenen Erfahrungen und Fähigkeiten rekonstruktiert er – so die Theorie – aus dem Filmmaterial eine in sich stimmige Geschichte (‚fabula‘). Demnach setzt der Zuschauer kognitiv filmische Ereignisse – kausal, räumlich und zeitlich – nach den anhand von Erfahrung und Wissen erlernten (narrativen) Schemata miteinander in Beziehung. Durch im Film vermittelte formale Zeichen (‚Cues‘) entwirft der Zuschauer auf Basis der Schemata eigene Annahmen über den weitern Verlauf der Geschichte. Im Prozess der Filmrezeption werden diese Hypothesen schließlich bestätigt, verworfen, modifiziert oder gänzlich erneuert, sodass die eigentliche Filmhandlung erst in diesem Prozess vom Zuschauer kognitiv entwickelt wird (Kuhn 2011, 33–34). Nach neoformalistischem Verständnis sind die kognitiven Leistungen des Zuschauers somit Kernaspekt des Ansatzes: Kognition wird als bewusster Prozess der (Film-) Wahrnehmung und des Denkens definiert. Der Zuschauer soll sich auf diese Weise der habituellen Vorgänge des Sehens und des Denkens, d. h. seiner Wahrnehmung der Welt, bewusst werden. Kognition ist somit ein (u. a. durch ‚Cues‘ hervorgebrachter) zielorientierter, konstruktivistischer Verständnisprozess, der auf Basis von nichtbewussten Schlussfolgerungen des Zuschauers entsteht (Thompson 1995, 46 u. 48). Bordwell grenzt den Begriff Kognition in seiner Schrift Narration in the Fiction Film (1985) zunächst theoretisch von emotional-affektiven Prozessen ab. Er gesteht jedoch zu, dass einige affektive Vorgänge in kognitiven Zusammenhängen erklärbar sind (Bordwell 1985, 30 u. 39). Thompson präzisiert diesen Standpunkt, indem sie eine ‚unauflösbare‘ Verbindung zwischen den Ebenen ‚Perzeption‘, ‚Emotion‘ und ‚Kognition‘ herstellt. So erfordert das umfassende Verständnis eines Kunstwerkes (bzw. eines Films) eben diese drei Ebenen in ihrer Gemeinsamkeit. Thompson verwendet in diesem Kontext den Begriff ‚Wahrnehmung‘, um sowohl kognitive als auch emotionale Prozesse abzudecken (Thompson 1995, 30). Eine tiefgreifendere Abgrenzug der Begriffe voneinander leistet die 9 Bordwell und Thompson lieferten mit der Untersuchung des klassischen Hollywood-Kinos eine wichtige Grundlage als Bezugsrahmen zur neoformalistisch-kognitiven Analyse von Filmmaterial. Sie verstanden das klassische Hollywood-Kino (als ‚Modus filmischer Praxis‘) als abgeschlossenes System, das sich durch typische stilistische, produktionelle und technische Merkmale definiert (vgl. Hartmann/Wulff 1995, 6–8). 3 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. Theorie nicht (vgl. Hartmann/Wulff 2002, 209–210). So ist zunächst festzustellen, dass sowohl emotionale als auch mentale Vorgänge letztlich auf die Kognition des Zuschauers zurückwirken, ihr demnach zugeordnet werden. Auch wenn in der Fachliteratur diverese Uneinheitlichkeiten bezüglich der Begriffe ‚Emotion‘, ‚Gefühl‘, ‚Affekt‘, ‚Kognition‘, ‚Denken‘ und ‚Logik‘ herrschen, so eignet sich für diese Seminararbeit doch eine weitere Differenzierung nach psychologischer Theorie: Demnach werden mentale Vorgänge u. a. durch die Reizung der Sinnesorgane und anschließende neuronale Erregungen definiert, die wiederum Wahrnehmung erzeugen. Somit sind diese Vorgänge überwiegend im ‚Geist‘ (Gehirn) eines Menschen zu lokalisieren (Gropengießer 2003, 29–30). Emotionale Vorgänge werden hingegen durch unwillkürlich ausgelöste Empfindungen charakterisiert, die an ein Objekt gekoppelt sind. Diese zeitlich begrenzten Empfindungen verlaufen meist unbewusst, sind aber generell bewusstseinsfähig (Rothermund/Eder 2011, 165–166). So lassen sich emotionale und mentale Vorgänge nach psychlogischer Forschung nicht strikt voneinander trennen, wie es auch schon Bordwell und Thompson feststellten. Vielmehr sei die Verbindung von beiden Prozessen notwendig, um lebenswichtige organisatorische Aufgaben zu erfüllen (vgl. Gropengießer 2003, 35–36 u. Ciompi 2003, 62). In dieser Arbeit sollen daher bezüglich der beim Zuschauer hervorgerufener Prozesse mentaler wie auch emotionaler Art (Verstand und Gefühl) bei der ‚Verarbeitung‘ eines Films nicht nur in Beziehung zueinander gesetzt, sondern generell mit Hilfe dem in dieser Arbeit übergeordneten Begriff ‚Kognition‘ betrachtet werden. In der Literatur wird der Begriff ‚Emotion‘ dem Begriff ‚Affekt‘ oft gleichgesetzt. So werden auch in dieser Arbeit beide Begriffe synonym verwendet. Allerdings lassen sich hiervon die Begriffe ‚Gefühl‘ und ‚Stimmung‘ abgrenzen: Während der Begriff ‚Gefühl‘ überwiegend einen bewussten, subjektiven sowie kurzen emotionalen Vorgang beschreibt und mit körperlich-vegetativen Äußerungen einhergeht, wird der Begriff ‚Stimmung‘ hauptsächlich für lang andauernde und weitestgehend unbewusste emotionale Vorgänge gebraucht. Sie können demnach als Ausdruck der übergeordneten Kategorie ‚Emotion/Affekt‘ verstanden werden (vgl. Ciompi 2003, 61–62). Diese (durch formale Gegebenheiten eines Films ‚angestoßenen‘) kognitiven Aktivitäten des Zuschauers ermöglichen durchaus eine Strukturierung und Verarbeitung der filmisch vermittelten Dimensionen ‚Raum und Zeit‘. Eine Erfassung von Raum und Zeit geschieht solange automatisch, bis das gewohnte Zeit- bzw. Raumschema durch ‚widersprüchliche Cues‘ gebrochen wird. Raum und Zeit sind somit grundlegende Elemente, die eine filmische Erzählung strukturieren und für den Zuschauer erfassbar machen (Thompson 4 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. 1995, 44 u. 48): So definiert sich die Kategorie ‚Raum‘ nach neoformalistischem Verständnis einerseits durch die Repräsentation der drei Dimensionen im abgebildeten Bildraum auf der Leinwand, andererseits durch den nicht durch die Kamera erfassten Raum außerhalb des Bildes. Die Kategorie ‚Zeit‘ gliedert sich wiederum in das Zusammenwirken von ‚Fabel-Zeit‘ und ‚Sujet-Zeit‘: Das bedeutet einerseits die zeitlich-chronologische Anordnung von Ereignissen und handelnden Figuren (Fabel), andererseits die Präsentation und Auswahl der Ereignisse im zeitlichen Verlauf (Sujet). Auch Raum und Zeit werden dem Zuschauer durch filmische Techniken vermittelt (Thompson 1995, 59 u. Hartmann/Wulff 2002, 199). Da der neoformalistische Ansatz mentale und emotionale Prozesse sowie die Raum- und Zeit-Struktur eines Films nicht primär auf die musikalische Ebene eines Films bezieht, soll erläutert werden, warum sich gerade dies als fruchtbar erweisen kann. So lassen sich im folgenden Abschnitt einige Gemeinsamkeiten zwischen Neoformalismus und psychlogischen Ansätzen im Bereich Filmmusik feststellen. 2.2 Filmmusik: Struktur und Wirkungsweise Auge und Ohr sind diejenigen Sinnesorgane, die das Rezipieren eines Films ermöglichen. Die im Rezeptionsprozess wahrgenommene Musik kann dabei ausschließlich über das Ohr erfasst werden, sofern ihr Ertönen nicht intradiegetisch10-visuell im Filmbild umgesetzt ist. Doch ist die Informationsaufnahme durch Auge und Ohr von einem entscheidenden Unterschied geprägt: Ist das Auge ein eher aktives, sich ausrichtendes Organ, so ist das Ohr hingegen kaum ausrichtbar und daher vielmehr passiver Natur. Das Ohr nimmt – abgesehen vom Sonderfall der Sprache – überwiegend ein ganzheitliches Klangabbild der Umgebung auf. Es ist mit dem Teil des Zwischenhirns verbunden, der das Regulativ für Emotionen bildet. Darüber hinaus ist die Übertragungskapazität des an die entsprechenden Hirnteile gekoppelten Ohres weitaus geringer, verglichen mit der des Auges (Schneider 2005, 30–31). Der Musik ist hierbei insofern ein hoher Stellenwert zuzusprechen, als dass das Musikerleben generell eine Vielzahl von medizinisch nachweisbaren Körperreaktionen (u. a. Veränderung des Blutdrucks, der Atemfrequenz, des Adrenalinspiegels, des Hormonhaushaltes etc.) auslöst und somit auch Einfluss auf unsere Befindlichkeit von Körper, Geist und Seele hat (vgl. ebd., 47–48). Analog zum neoformalistischen Ansatz prägen kognitive Verarbeitungsprozesse, d. h. emotionale und mentale Prozesse, die anschließend im Gehirn verarbeitet werden, die Wahrnehmung von Filmmusik. Auch wenn in der Fachliteratur meist die ‚unterbewusste Wirkung‘ von Filmmusik betont wird, so ist damit tendenziell der unbewusst ablaufende 10 Zum Begriff vgl. Anmerkung 3 dieser Arbeit. 5 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. Rezeptionsvorgang der Musik gemeint. Die Verarbeitung der Musik selbst kann jedoch auch als aktiver Vorgang angesehen werden: Durch die Verbindung zum Bild löst sich die Musik aus ihrer ‚Abstraktheit‘ und wird letztlich konkretisiert, sie wird zu einer Art Gegenstand (Irslinger 1987, 43). Daraus ergeben sich nach Hansjörg Pauli drei grundlegende Funktionen11 von Filmmusik: Durch eine Paraphrase wird die Bildaussage musikalisch unterstrichen (bzw. verdoppelt); Eine Polarisation, lenkt ein Filmbild inhaltlich in eine bestimmte Richtung und lädt es gewissermaßen auf; Bei der Kontrapunkierung sind Bildaussage und Musikaussage zueinander komplementär verteilt (vgl. Pauli zit. nach Schmidt 2005, 2). Dem Zuschauer werden auf diese Weise Informationen geliefert, die er – im Kontext der darüber hinaus vermittelten Informationen (über das Bild, über die Sprache) – hierarchisch gliedert. Die Musik eines Films konnotiert der Zuschauer in einer bestimmten Weise, die ihm in der Relation zum Bild schlüssig erscheint, sich aber auch im weiteren Verlauf der Handlung ändern kann (vgl. Irslinger 1985 43–45). Insofern agiert der Zuschauer nicht passiv-unbewusst, sondern verarbeitet die erhaltenen Informationen aktivkognitiv – ganz im Sinne des neoformalistischen Ansatzes. Dabei sind auch die Elemente ‚Raum‘ und ‚Zeit‘ von nicht geringer Bedeutung: Wie im Gesamtprodukt ‚Film‘, sind auch in seiner Teilkomponente ‚Filmmusik‘ – neben dem Parameter ‚Klang‘ – die Elemente ‚Raum‘ und ‚Zeit‘ wesentlicher Bestandteil. Raumwirkungen werden vor allem durch Tonsysteme, Tonvorräte und Intervalle in der Musik hervorgerufen. So kann ein beengendes oder freiheitliches Gefühl entstehen, durch die Verwendung bestimmter Intervalle oder eines bestimmten Tonvorrats. Musik schafft auf diese Weise räumliche Vorstellung in unserem Kopf (Schneider 2005, 109 und vgl. Michels 2001, 21). Die zeitliche Komponente findet ihre musikalische Gestalt in den Parametern ‚Rhythmus‘, ‚Metrum‘, ‚Takt‘ und ‚Tempo‘, die das Zeitempfinden des Zuschauers erheblich beeinflussen. So kann die Zeit durch diese Parameter musikalisch gedehnt bzw. gerafft werden. Letzlich ist die Koppelung der ‚akustischen Zeit‘ an die ‚optische Zeit‘ Ursache für vielschichtige Wechselwirkungen, die sich auf die Wahrnehmung der dargestellten Zeit auswirken. Insofern ist eine Einflussnahme der musikalischen Zeit auf die filmische Zeit ein Phänomen, das an anderer Stelle zu diskutieren wäre (Schneider 2005, 109–110). Die musikalischen Parameter werden im Rezeptionsprozess zu Raum-Zeit-Konzepten in unserem Gehirn umgesetzt und auf diesem Wege kognitiv verarbeitet. Der neoformalistische Ansatz und die Überlegungen zur Wirkungsweise von Filmmusik zeugen hier von großer Ähnlichkeit. 11 Dieses Modell wurde in jüngerer Zeit wegen mangelnder Trennschärfe der Kategorien zueinander kritisiert. Wenn auch weiter differenzierbar, so gibt diese Kategorisierung doch einen grundlegenden Überblick über gewichtige Funktionen der Bild-Musik-Beziehung (vgl. hierzu: Keuchel 2000, 62– 63). Aufgrund des begrenzten Rahmens dieser Arbeit wird nur auf das unmodifizierte Modell Paulis hingewiesen. 6 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. Bis heute prägt insbesondere der sinfonische Stil die Filmmusik aus der ‚Hollywood-FilmSchmiede‘. Dabei wird die Musik, neben ihrer eigentlichen Verwendung im Film, zusätzlich als eigene Einnahmequelle vermarktet (vgl. Merten 2001, 100). Ziel hollywoodscher Filmmusik ist nach wie vor, ein breites Publikum anzusprechen. Umso weniger verwundert es, dass die Filmmusik Hollywoods, seit Beginn des Tonfilms um 1930, direkt an die sinfonische und dramaturgische Tradition massenwirksamer musikalischer Gattungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts anknüpft; allen voran die Oper und das wagnerische Musikdrama (vgl. Thiel 2012, 149–151 u. 162–163). So wurden schon in den Anfängen der Filmmusik Hollywoods wirkungsmächtige und einprägsame Klänge (d. h. beispielsweise schmetternde Blechbläser oder gefühlvolle Oberstimmen-Melodik) bevorzugt. Die Gefahr einer Standardisierung konnte letztlich auch in der Zusammenarbeit zwischen Komponist und Orchestrator aufgezeigt werden. Dabei spielten zielgerichtete und etablierte Effekte durch die Musik eine große Rolle (vgl. ebd., 168 u. 170). Die Verwendung von Leitmotiven diente in diesem Zusammenhang zum einen der kompositorischen Entlastung des unter hohem Zeitdruck arbeitenden Komponisten, zum anderen als Erinnerungstütze für den Zuschauer, wenn nicht gar als musikalisches Signal (‚Cue‘) für den Handlungsverlauf (vgl. ebd., 164–165). Ein Hörvergleich mit den Filmmusiken aus aktuellen HollywoodSpielfilmen – wie beispielsweise der Musik zu FLUCH DER KARIBIK – zeigt, dass diese Strukturen auch heute noch aktuell sind (vgl. Walt Disney Records 2003). Zur Erlangung von Massenwirksamkeit nutzt die Filmmusik überwiegend industriell standardisierte und somit letzten Endes formale Charakteristika wie beispielsweise die Leitmotivtechnik. Die Struktur und Wirkungsweise von Filmmusik lässt sich m. E. in vielen Punkten mit den Ideen des Neoformalismus in Übereinstimmung bringen. Filmmusik aus rein neoformalistischer Perspektive zu untersuchen, kann sich daher fruchtbar für die Film- und Musiktheorie erweisen. So soll im folgenden der neoformalistische Ansatz beispielhaft auf die Filmmusik der Hollywood-Produktion FLUCH DER KARIBIK – DER KURS DER BLACK PEARL angewendet werden. Zur Einführung wird ein Überblick über die Handlung des Films gegeben. 3. FLUCH DER KARIBIK 3.1 Zur Handlung: ein Überblick Augenscheinlich im 18./19. Jahrhundert situiert, spielt die Handlung an fiktiven (unter britischer Herrschaft stehenden) Orten der Karibik. Die vermeintliche Sicherheit wird jedoch durch Piratenangrffe getrügt. Nach einer Meuterei durch seinen ersten Maat und nunmehr Captain Barbossa wurde der Piratenkapitän Captain Jack Sparrow von seinem eigenen Schiff auf eine einsame Insel verbannt. Sparrow gelingt jedoch die Flucht von der 7 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. Insel. Er landet in Port Royal, wo er zunächst von den britischen Streitkräften wegen Piraterie inhaftiert wird. Als Barbossa die Hafenfestung Port Royal angreift, um die Gouverneurstochter Elizabeth Swan zu entführen, kann sich Sparrow jedoch befreien. Gemeinsam mit dem jungen Waffenschmied Will Turner, der Elizabeth aus Kindheitstagen kennt und für sie mehr als nur Freundschaft empfindet, geht er auf die Jagd nach Barbossa, der Mannschaft und seinem Schiff. Der eigentliche Grund für die Entführung der Gouverneurstochter bleibt den beiden zunächst verborgen. Im Verlauf der Handlung stellt sich jedoch heraus, dass die Mannschaft um Barbossa mit einem Fluch belegt ist: Allesamt sind sie wiederbeseelte Körper, deren andere Gestalt (Skelette) nur im Mondlicht erkennbar ist. Barbossa und seine Mannschaft können diesen Fluch nur lösen, wenn sie den sich in einer Truhe befindlichen, unvollständigen Atztekengoldschatz durch die fehlenden Münzen komplettieren und darüber einige Blutstropfen des (Stiefelriemen) Bill Turner oder eines nahen Verwandten von ihm vergießen. Sie glauben mit Elizabeth seine Tochter gefunden zu haben, zumal sie sich als Elizabeth Turner ausgeben hat. Erst als Captain Jack Sparrow und Will Turner die Mannschaft um Barbossa beim Atztekenschatz aufspüren, stellt sich heraus, dass Turner der Sohn und damit wirklicher Verwandter des (Stiefelriemen) Bill Turner ist. Schließlich kämpfen Sparrow, Swan und Turner gegen Barbossa. Die auf dem Schiff zurückgebliebene Mannschaft wird von den britischen Seestreitkräften überrascht, die ebenfalls zur Befreiung Elizabeths ausgelaufen waren. Im richtigen Moment gelingt es Sparrow, Turner und Swan (durch eine leichte Wunde in Turners Hand), den Fluch zu lösen, sodass Barbossa und seine Mannschaft besiegt werden können. Die Rückkehr nach Port Royal wird mit Elizabeths und Turners Liebesgeständnis gefeiert, während Sparrow sein nunmehr freiheitliches Leben in vollen Zügen genießen kann (vgl. Walt Disney Pictures 2006). Inwiefern der komplexe Handlungsverlauf und die musikalische Struktur miteinander verknüpft sind, soll im folgenden Abschnitt in Form eines Überblicks erläutert werden. Dazu werden die Grundzüge der Filmmusik von FLUCH DER KARIBIK – DER KURS DER BLACK PEARL vorgestellt. 3.2 Zur Musik: ein Überblick Opulente, sinfonische Klangmassen prägen die Filmmusik zu FLUCH DER KARIBIK – DER KURS DER BLACK PEARL. Diese ‚Impulsivität‘ wird vor allem durch die lautstarke, dominierende Präsenz von Blechbläsern und massiven Schlaginstrumenten hervorgerufen, denen sich die Streichinstrumente zuordnen. Solistische Einsätze finden nur vereinzelt statt, sodass das Erklingen ganzer Instrumentengruppen überwiegt. Dabei werden harmonisch hauptsächlich eindeutig erkennbare Dur- bzw. Molltonarten bedient, die durch eingängige 8 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. Melodiestrukturen verbunden werden. Im Hinblick auf die komplette Filmmusik lassen sich viele dieser bindenden Melodien einer leitmotivischen Verwendung zuordnen. Es fällt auf, dass durch die von den Streichern präsentierten Repetitionen und durch das rhythmusgebende Schlagwerk im Portato/Staccato eine nahezu ständige BewegungsMotorik erzeugt wird (vgl. Walt Disney Records 2003). Die große Orchesterbesetzung und Klangintesität erinnern stark an die musikalische Klangfarbencharakteristik des ausgehenden 19. Jahrhunderts (vgl. Michels 2001, 405). So wirkt die Musik ihrerseits in gewissem Grad auf den zeitlichen Rahmen der Filmhandlung zurück und ist insofern eine Art zeitlicher Indikator (Repräsentation von Vergangenheit), der jedoch nur von erfahrenen Zuschauern verstanden werden kann. Dagegen wirkt der durchgängige Bewegungsimpuls, überwiegend gekoppelt an das eingängige Leitmotiv, direkt auf den Zuschauer und erzeugt bei ihm aufwühlende, ‚heroisch-epische‘ Empfindungen. Damit wird auf die Spannungs- und Erlebnis-Qualitäten des Films verwiesen. Letztlich impliziert die Grundbeschaffenheit der Musik (räumlich-akustisch großes Orchester, Bewegungsimpuls, Leitmotivik), eine Art ‚Cue‘, der den Zuschauer durch emotionalisiernd wirkende Musik (vgl. Kapitel 2.2 dieser Arbeit) in den Abenteuer-Topos einführt. Die Verwendung formaler, standardisierter Kategorien12 zeigt hier auf einer ersten Ebene, inwieweit der Zuschauer durch kognitive Leistungen nicht nur Rückschlüsse auf die Filmthematik ziehen, sondern auch emotional in das Geschehen eingebunden werden kann (vgl. Walt Disney Records 2003). Die Auseinandersetzung mit zwei (im Hinblick auf die folgende Musik-Analyse ausführlich dargestellten) Beispielsequenzen soll die durch formale Kategorien erzeugten Emotionen und Wirkungen konkretisieren, welche die Filmmusik zu FLUCH DER KARIBIK – DER KURS DER BLACK PEARL hervorruft: 4. FLUCH DER KARIBIK – Versuch einer neoformalistischen Filmmusikanalyse 4.1 Die Flucht (Beispielsequenz 1) In dieser Szene wird gezeigt wie Will Turner und Captain Jack Sparrow vor den britischen Streitkräften aus Port Royal entfliehen, um Captain Barbossa und der entführten Elizabeth Swan auf die Spur zu kommen. Versteckt unter einem umgekehrten Kanu schleichen sich Turner und Sparrow ins Hafengewässer. Den Bauch des Kanus nutzen Turner und Sparrow als Luftkammer, um sich unter Wasser fortbewegen zu können. Hindernisse, wie eine unter Wasser befestigte Tonne, erschweren das Fortkommen. Dennoch gelangen sie unbemerkt an ihr Ziel – die Dauntless, ein im Hafen vor Anker liegendes Schiff der britischen Marine. 12 Selbige grundlegende, formale Kategorien ließen sich in einer ähnlichen Filmmusik (AbenteuerUnterhaltungs-Film) in analoger Weise erkennen (vgl. z. B. Walt Disney Records 2004). 9 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. Turner und Sparrow klettern an Bord und übernehmen das Schiff. Die Mannschaft setzen sie auf einem Ruderboot aus. Schließlich bringen sie das Schiff in Bewegung. Die ausgebootete Besatzung rudert in das Hafeninnere und macht durch Rufen und Schreien auf sich aufmerksam. Der Commodore der Marine bemerkt die Hilferufe seiner Besatzung und mobilisiert umgehend weitere Streitkräfte. Mit dem weitaus schnelleren Marine-Schiff Interceptor folgen sie Turner und Sparrow aus der Hafenbucht hinaus. Es gelingt ihnen, die Dauntless einzuholen und längsseits an der Interceptor festzumachen. Doch als die Streitkräfte die Dautnless betreten, sind Turner und Sparrow nicht aufzufinden. Diese sind heimlich dabei sich an einem Tau auf die Interceptor zu schwingen, die Verbindungsseile zu kappen und das Schiff umgehend in Fahrt zu setzen. Zwar bemerken die Streitkräfte, dass sich die Interceptor bewegt, jedoch können sie nicht mehr rechtzeitig auf das Schiff zurückkehren. Seitens der Marine scheitert der Versuch, mit der Dauntless Fahrt aufzunehmen bzw. diese zu drehen, denn Sparrow und Turner haben die Ruderanlage blockiert. So fliehen Sparrow und Turner ungehindert vor der britischen Marine und können nun mit der Suche nach Barbossa und Elizabeth beginnen (Walt Disney Pictures 20061.1, 00:00:00–00:03:20)13. Musikalisch setzt die Szene mit einem beschwingten Solo-Cello-Motiv ein, das sich in einer harmonischen Mollskala bewegt. Das Motiv ist ‚aufwärts gerichtet‘, erklingt in einem ‚verspielten‘ Staccato und liegt über einer repetierenden Einzeltonbegleitung (mit vereinzelten Wechselnoten) eines verkleinerten Segments der oberen Streichergruppen (ebd., 00:00:02–00:00:28). Als Turner mit dem Hindernis der Tonne zu kämpfen hat, weitet sich ab 00:00:28 die Melodie nun auch auf die Violinen in den oberen Stimmen aus. Die repetierende Begleitung wird umgehend auch von den restlichen Streichinstrumenten übernommen, sodass eine ausgedehnte polyphone Struktur entsteht: Jede Einzelstimme folgt ihrer eigenen motorischen Staccato-Bewegung, der ab Sekunde 00:00:32 auch hohe Holzbläser beigefügt sind. Auffällig dabei ist jedoch, dass die Kontrabässe nicht integriert werden. Dadurch entsteht ein heller, ‚leichtfüßiger‘ Klang (ebd., 00:00:02–00:00:34). Erst als Sparrow und Turner die Dauntless hinaufklettern, wird die Tonart gewechselt und auch tiefere Register der Streicher einbezogen. Die melodiegebenden Violinen beginnen von nun an im Portato gewissermaßen ‚schwermütig‘ aufzusteigen, wobei die anhaltende StaccatoBewegung den restlichen Streichern und Holzbläsern gegenübersteht (ebd., 00:00:34– 00:00:44). Als Sparrow und Turner das Schiffsdeck erreichen, ändert sich auch die musikalische Struktur. Überwiegend homophon erklingt nun aus den tiefen Registern der Streicher eine chromatische Linie, die in die höheren Register aufsteigt und auch von den 13 Hier und im Folgenden werden aus praktischen Gründen die Timecodeangaben der jeweils herausgeschnittenen Sequenz verwendet. Alle verwendeten Sequenzen liegen dieser Arbeit digital im Anhang bei. 10 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. anderen Streichergruppen begleitet wird, bis sie in einem ‚Tusch‘ endet. Dieser ist zu vernehmen, als Sparrow und Turner die Mannschaft der Dauntless bedrohen; er wird von allen Orchestergruppen ausgeführt (ebd., 00:00:44–00:00:54). Anschließend hält die Musik für eine kurze Zeit inne (Pause). Es bleibt festzustellen, dass der Klangkörper und die Klangmasse in diesem ersten Musikabschnitt von der kleinsten Einheit bis zum großen Orchestertusch gesteigert werden. Nachdem Sparrow und Turner die Dauntless gekapert haben, wird die Musik fortgeführt. Die Streicher ‚legen‘ nun wiederum einen repetierenden Portato-Klangteppich, der sich von seinem Ausgangston nur marginal entfernt. Eine langgezogene, eher abwärts gerichtete Horn-Linie ‚umklammert‘ das Portato der Streicher. Hinzu tritt ein gleichmäßiger Schlag auf einer militärischen Snare-Drum. Die linienartigen Bewegungen weiten sich auf die kompletten Blechbläser und Streicher aus, kreisen jedoch weiterhin marschartig-repetierend um den Grundton. Letzlich münden sie in ein von Blechbläsern und Streichern gemeinsam vorgetragenes, spielerisch-aufblühendes repetierendes Staccato-Motiv. Dieses erklingt, sobald Turner und Sparrow die Interceptor übernommen haben und in Bewegung versetzen. Wiederum ist eine Steigerung in der Besetzung und Klangintensität zu vermerken (ebd., 00:01:10–00:02:05). Als sich der Commodore des Diebstahls der Interceptor bewusst wird, kehrt die Musik zu ihrerm vorherigen marschartigen, repetierenden Charakter zurück, mehr oder minder von einer erneuten Hornlinie in Klangintensität und Besetzung ‚umklammert‘. Anschließend wird das Staccato-Motiv mit dem zum Abschied winkenden Sparrow fortgeführt (ebd., 00:02:10–00:02:36). Der Versuch des Commodore die Interceptor einzuholen bzw. sie durch Drehung der Dauntless zu beschießen, wie auch das Rammen der ausgesetzten Mannschaft auf dem Ruderboot, werden musikalisch mit dem leicht veränderten (zum dritten Mal ertönenden!), repetierenden Portato-Klangteppich und seiner ‚umklammernden‘ Horn-Linie vertont (ebd., 00:02:10–00:03:08). Letztendlich können Turner und Sparrow ungehindert mit der Interceptor auf das weite Meer fliehen. Dabei ist das vormals von hohen Bläsern und Streichern vorgebrachte Staccato-Motiv nunmehr im Legato zu hören, erhält aber dennoch durch die tiefen, weiterhin im repetierenden Staccato spielenden Register der Blech- und Streichergruppen eine gewisse Impulsivität – verstärkt durch die militärische Snare-Drum und durch den Tusch eines Beckens. Die Hörner bringen dieses Motiv schließlich in seinem Grundton zum Ausklingen. So alternieren (gegeneinander) in diesem Abschnitt der Portato-Klangteppich und die Staccato-Melodie, bis sie in einer Art Synthese (Legato-Melodie in Verbindung mit Staccato-repetierender Begleitung) zusammengeführt werden (ebd., 00:03:08–00:03:08). Tänzerisch-ausgelassen versetzt das zu Beginn der Szene einsetzenden Solo-Cello-Motiv 11 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. den Zuschauer in eine erheiternde Stimmungslage. Durch die nahezu neckisch-kunstvollen Cello-Klänge werden Humor und Genialität der Szene (Fortbewegung mit einem Kanu unter Wasser) musikalisch miteinander verbunden. Dabei wirkt sich der schnelle Rhythmus animierend auf den Rezipienten aus, der innerlich selbst im Takt ‚mitwippen‘ mag. Seinerseits tritt diese Bewegung schließlich in Wechselwirkung zur der gezeigten Fortbewegung im Bild. Diese Komponenten erzeugen ein hohes Maß an Lebendigkeit, das ferner auch auf die räumlich kleine Orchesterbesetzung zurückzuführen ist. Klangcharakter und Klangintensität lassen unvermittelt erkennen, dass es sich hier um einen ‚freudigamüsanten‘ Filmabschnitt handelt. Das Hinaufklettern auf die Dauntless findet sich musikalisch in dem Verbund aus schwermütigerem Portato und den weiterverlaufenden Staccato-Bewegungen der Streicher wieder, sodass hier eine Art symbolische Ausdeutung des ‚schweren Hinaufkletterns‘ vorgenommen wird, ohne den Hintergrund der ‚genialen, humorvollen Idee‘ des Heranschleichens vom Wasser aus zu vernachlässigen (ebd., 00:00:00–00:00:44). Die im Folgenden einsetzende chromatische Linie des größeren Orchesterapparates wirkt ihrerseits spannungserzeugend. Sie kann auf die schrittweise Eroberung jeden einzelnen Zentimeters Decksfläche der Dauntless hindeuten, lässt jedoch schon die bevorstehende Übernahme des Schiffs erahnen. Von unten aufwärtssteigend führt sie zu einem lautstarken, einprägsamen Tusch, sodass selbst der Rezipient musikalisch ‚überwältigt‘ wird. Durch in der Musik vermittelte kompositorisch-engmaschige ‚Anspannung‘ (vor allem der Streicher) wird die Bedrohung durch die Piraten nur allzu deutlich (ebd., 00:00:44–00:01:10). Wie eine rhetorische Frage lässt die musikalische Pause die Frage nach dem Gelingen der Schiffsübernahme offen. Sie wird schließlich durch das Einsetzen des ‚marschierenden‘, sich repetierenden Charakters der betreffenden Episode unterbrochen. Die sich harmonisch nicht maßgeblich verändernden, fortschreitenden Repetitionen und die langezogene Horn-Linie drücken musikalisch eine gewisse Unsicherheit aus. Die musikalische Struktur ‚legt‘ sich hier nicht ‚klar fest‘ und gibt kein Anzeichen über den weiteren Fortgang der musikalisch-filmischen Handlung, wodurch erneut eine spannungsgeladene Atmosphäre entsteht. Der Rezipient wird sicher durch die musikalische Monotonie emotional nervös aufgeladen und angespannt. Monotonie, HornLinie und die nun erklingende ‚marschierende‘ Snare-Drum mögen die für Recht und Ordnung sorgenden britischen Marine-Streitkräfte symbolisieren. Gebrochen wird diese Anspannung erst mit dem Einsetzen des aufblühenden Staccato-Motivs (ebd., 00:01:10– 00:02:05). Dieses ist durch seine große Klangmasse und den fortschreitenden Bewegungsimpuls heroischer Natur. Geradezu kraftvoll und energiegeladen wirkt die melodieführende Verschmelzung aus Blechbläsern und Streichern. Die zuvor vermittelte Anspannung löst sich nunmehr in Wohlgefallen auf. Pure Freude, wenn nicht Enthusiasmus 12 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. wirken – durch die überwiegend in Dur gehaltenen Klänge – auf den Rezipienten ein. So wird er gewissermaßen gezwungen, die Freude über den Diebstahl der Interceptor zu teilen, aber auch den Einfallsreichtum Sparrows zu loben (ebd., 00:02:05–00:02:10). Dies ist letzlich auch daran festzumachen, dass selbiges Motiv im Kontext der gesamten Filmmusik als Leitmotiv für Sparrow herausgearbeitet werden kann (vgl. Walt Disney Records 2003). Im Anschluss findet das o. g. Wechselspiel statt, welches sich zwischen den repetierend ‚marschierenden‘ Streichern und Sparrows Leitmotiv bewegt, analog zum bildlichen Wechsel zwischen der Marine und der Flucht Sparrows und Turners mit der Interceptor. Der Rezipient wird auf diese Weise zum einen durch die musikalisch-militärische Monotonie wiederum in einen nervös-angespannten Zustand versetzt, zum anderen in vollen Zügen durch Sparrows Leitmotiv ‚freudig vitalisiert‘. Das Wechselspiel zwischen den beiden musikalischen Episoden (militärisches Monotonmotiv und Sparrows Leitmotiv) versetzt den Zuschauer zwischen zwei (auch durch den bildlichen Zusammenhang gegebene) Fronten: Militärische Ordnung gegen Piraterie. Das musikalische Wechselspiel der Motive ist somit Ausdruck des Gegneinanderwirkens und auch der bildlich vermittelten Auseinandersetzung dieser beiden Kräfte (Walt Disney Pictures 20061.1, 00:02:05–00:03:07). Letztlich werden diese beiden Kräfte durch die abschließende Synthese der zwei Motive zusammengeführt. Dabei dominiert insbesondere der heroisch-epische Charakter von Sparrows Leitmotiv, der durch den Einsatz des nun vollen Orchesterapparates verstärkt wird. So sind Flucht und Diebstahl der Interceptor musikalisch als ‚Heldentat‘ zu deuten. Es ist demnach die Piraterie, die musikalisch als das ‚Gute/Fortschrittliche‘ dargestellt wird, während die militärische Ordnung, gerade durch ihr monotones Klangbild, eher ‚bedrohlich/stagnierend‘ wirkt. Dies ist nicht zuletzt auch auf die am Ende der Sequenz aufblühende Synthese beider Motive, in Form des leicht veränderten Sparrow-Leitmotivs, zurückzuführen (ebd., 00:03:07–00:03:20). Räumliche Erweiterung der Klangintensität und Charakter der Musik schaffen in diesem Abschnitt folglich für den Zuschauer erkennbare musikalische ‚Cues‘. Die solistische Besetzung und das spielerische Cello-Motiv zu Beginn der Sequenz wirken humorvoll-spielerisch, die chromatische Linie stellt die erfolgreiche Übernahme des Schiffes in Frage. In der Synthese der beiden beschriebenen Themen wird schließlich deutlich, dass der Lebensentwurf ‚Piraterie‘ in diesem Fall gesiegt hat und zugleich von mehr oder minder positiven Absichten geprägt ist: Das Abenteuer kann beginnen! 4.2 Tot oder lebendig (Beispielsequenz 2) Nur eine Kugel ist Jack Sparrow in seinem Colt geblieben, die er auf Captain Barbossa abgefeuert hat. Turner konnte zuvor den Fluch durch seine eigenen Blutstropfen lösen, 13 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. sodass Barbossa nunmehr in die Gestalt eines Menschen aus Fleisch und Blut zurückverwandelt. Sparrows Kugel hat Barbossa tödlich ins Herz getroffen. Er fühlt den Schmerz, sinkt zu Boden und erstarrt. Auch die Mannschaft um Barbossa wurde von dem Fluch erlöst. An Bord der Dauntless gegen die britschen Streitkräfte kämpfend, haben sie sich ebenfalls gänzlich in Menschen zurückverwandelt, d. h. sie erscheinen nicht mehr als ‚untote‘ Gestalten. Manche von ihnen sinken nun tödlich verletzt zu Boden. Der sich unter Deck versteckende Gouvernor der Marine (Elizabeths Vater) bemerkt die Veränderungen, die sich an Deck vollziehen. Beängstigt und überrascht lassen die Piraten die Waffen fallen und ergeben sich. Die britische Marine kann das Schiff in ihre Gewalt bringen und feiert schließlich mit lauten Rufen den Sieg. Nun traut sich auch der Gouvernor wieder an Deck. Im Versteck mit dem Atztekengold schaut Elizabeth nach dem Tod Barbossas indes auf den Goldschatz. Will nähert sich ihr vorsichtig. Zaghaft blicken sich die beiden in die Augen. Die vermeintliche Ruhe wird jedoch durch Sparrow gestört, der ein wenig abseits mit großem Lärm einzelne Teile des Goldschatzes durchstöbert und in der Gegend herumwirft. Daraufhin schlägt Elizabeth die Rückkehr auf die Dauntless vor. Turner ist wenig erfreut, zumal er befürchtet, Elizabeth würde sich ihrem Verlobtem – dem an Bord der Dauntless befindlichen Commodore – zuwenden. Schließlich verlässt Elizabeth das Versteck. Sparrow, voller Schmuckstücke behangen, nähert sich seinem Kumpanen Turner. Gemeinsam verlassen auch sie nun das Versteck, um zur Dauntless zurückzukehren (Walt Disney Pictures 20061.2, 00:00:00–00:02:48). Nach dem tödlichen Schuss auf Barbossa setzen düstere Mollakkorde der Streicher in einem langgezogenen Legato ein. Singstimmen der unteren Register verschmelzen homophon mit den Streicherbewegungen. In Abständen ertönen zusätzlich dumpfe Paukenschläge (ebd., 00:00:08–00:00:37). Als sich auch die Mitglieder von Barbossas Mannschaft in Menschengestalten zurückverwandeln, wird die vorherige Mollepisode wiederholt. Vorsichtig beginnen die Violinen nun in hohen Bereichen der Mollskala in Akkordtönen ‚aufzusteigen‘. Endpunkt ist ein Halte-Ton, der – in Verbindung mit den restlichen Streichern und Singstimmen – schließlich in ein Dur-Motiv moduliert (ebd., 00:00:00–00:01:27). Das Dur-Motiv erklingt, nachdem die britischen Streitkräfte die Dauntless vollständing in ihre Gewalt gebracht haben: Es ist aus einem breiten, weichen Legato geformt, das nun vom gesamten Orchester in hohen und tiefen Klangbereichen (äußerste Klangfülle) wiedergegeben wird. Die rhythmische Geschwindigkeit nimmt mit dem Einsetzen des Motivs schlagartig zu (ebd., 00:01:27–00:01:46). Geschwindigkeit und Klangintensität werden umgehend reduziert, als sich Turner der Gouvernor-Tochter Elizabeth nähert. In mehr oder weniger kammermusikalischer Besetzung greifen die Streicher nun das vormals erklungene Dur-Motiv wieder auf und tragen es in einem 14 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. lyrischen Legato vor, gestützt von weichen Harfenklängen. Eine starke expressive Bogenführung ist herauszuhören, wie auch eine starke polyphone Struktur innerhalb der Streichermelodik. Auf verschiedenen tonalen Stufen wird das Grundmotiv aufgegriffen und verarbeitet. Auffälig dabei ist, dass Kontrabässe in diesem Abschnitt keine Verwendung finden (ebd., 00:01:46–00:02:24). Sobald Elizabeth den Raum verlässt, erklingt die in Moll ‚absteigende‘ Phrase eines Solo-Cellos, die sich nach ihrem Hervortreten in den GesamtStreicherklang nahezu unmerklich einbettet. Sparrow und Turner sind dabei im Begriff, das Versteck zu verlassen. So endet die Musik mit drei aufeinanderfolgenden, schließenden Akkorden: mit Dur, Moll, ‚offenem‘ Akkord (d. h. leer erscheinender Quinte) der Streichersektion, des angedeuteten Kontrabasses und der schwach ertönenden Hörner (ebd., 00:02:24–00:02:41). Die Musik formt in dieser Sequenz eine Art Drei-Akt-Dramaturgie: Sie erweitert sich zunächst von einem zarten Klangteppich in Moll zu einem pompösen DurMotiv (Wendepunkt: Die Dauntless ist wieder unter Kontrolle der britischen Streitkräfte, der Feind endgültig besiegt). Im weiteren Verlauf verfeinert sie sich innerhalb dieses Motivs in weiche Klangfarben (gegenseitiges Anblicken von Turner und Elizabeth), bis sie in einem offenen Klang – der offenen Quinte – ausklingt (Aufbruch zur Dauntless). Hierbei fällt auf, dass die Legato-Passagen durch einzelne Pausen unterbrochen werden. Durch den tief-düsteren Mollklang wird der Zuschauer wohl nicht nur in einen angespannten, sondern vielmehr in einen bedrückenden Zustand versetzt. Trübselige Gefühle mischen sich in diesen Beklemmungzustand, hervorgerufen durch das gedehnte Legato und die in Mollakkordtönen ‚aufsteigenden‘, verhaltenen Streicher. Insbesondere die Singstimmen und dumpfen Paukenschläge geben der Musik eine requiemartige Gestalt. Barbossas Tod und die Rückverwandlung der Piraten (in Gestalt von Menschen) erwirken eine mitleiderregende Empathie beim Rezipienten. Die Kraft und Stärke der vormals ‚Untoten‘ ist aufgelöst; sie sind nunmehr in einem hilflos-trauernden Zustand. Denn der Wiederbeginn ihres menschlichen Lebens markiert zugleich das Ende ihrer räuberischen Abenteuer – die britische Marine hat endgültig gesiegt (ebd., 00:00:00–00:01:27). In einem klaren, triumphalen Dur beginnt die Siegesmelodie einzusetzen. Ihre massive, ‚räumlich breitflächige‘ Klangstruktur modifiziert die trauervolle Stimmungslage zu einem glückseligen, freudvollen Optimismus. So ist es dem Rezipienten aufgrund der opulenten Klangfläche und der mehr als eingängigen Melodie – besonders betont durch die Verstärkung der klanglichen Ränder (d. h. äußerst hohe und tiefe Klangregister) – quasi unmöglich, sich diesem Empfinden zu entziehen (ebd., 00:01:27–00:01:44). Die kammermusikalische Besetzung schafft in Kombination mit vereinzelten Pausen eine innig intime Atmosphäre, die der Rezipient sicher emotional teilen muss. Gerade die kunstvolle melodische (Bogen-)Führung und das Fehlen der tiefen Register erzeugen eine lieblich 15 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. berührende Wirkung. Der wechselseitigen Zuneigung von Turner und Elizabeth wird hier durch die wie ein Magnet wirkende Musik überzeugender Ausdruck verliehen: Damit wird auch der Zuschauer mitten in das Spannungsverhältnis der Gefühle beider Protagonisten versetzt. Zwar bricht der Krach von Sparrows herumwirbelnden Gegenständen in diese sinnlich aufgeladene Stimmung ein, doch ist die emotionale Ausdruckskraft der Musik stärker als die lärmenden Geräusche. So wirkt diese innige Atmosphäre letztendlich dehnend auf das Zeitempfinden des Rezipienten. Der Moment, als sich Turner und Elizabeth (emotional und räumlich) einander annähern, wird in seinen zeitlichen Relationen aufgehoben, sodass das eigentliche Gefühl (der bloßen Zuneigung) nunmehr zu einer weitaus größeren Emotion (Liebe) erweitert wird (ebd., 00:01:46–00:02:24). Die darauf folgende, ‚abwärtsgerichtete‘ Cello-Melodie verweist auf den (vorübergehenden) Misserfolg und die Enttäuschung Turners, sobald Elizabeth das Versteck verlässt. Expressiv-lyrische Bogenführung erzeugt in gewisser Weise ein kurzes ‚Schmerzempfinden‘ beim Rezipienten, dass mit dem ‚Schmerz‘ Turners korrespondiert. Im Folgenden expandiert der Orchesterklang (durch zögerliches Einsetzen des Basses) und lässt die Schlussakkorde erklingen. Diese Art des ‚Entfaltens‘ vermittelt musikalisch einen Hoffungsschimmer: Noch ist der Verlauf von Turners und Elizabeths Beziehung zueinander weitestgehend offen, zumal sich das Abenteuer Sparrows und Turners noch nicht gänzlich dem Ende zuneigt. Gerade das pausendurchsetzte ‚Herantasten‘ an die offene Quinte wirkt sich auf den Rezipienten emotionalisierend aus: Er erträumt sich im Rausch des Mitgefühls eine positive Wendung des verbleibenden Handlungsverlaufs zugunsten Turners. Dieser Hoffnungsschimmer wird nicht minder durch die Musik erzeugt (ebd., 00:02:24–00:02:41). Die melodische Struktur o. g. Annäherungssequenz kann im Kontext der gesamten Filmmusik als ‚Liebes-Leitmotiv‘ für Turner und Elizabeth identifiziert werden (vgl. Walt Disney Records 2003). So wirken in diesem Teil vor allem der Wechsel zwischen Dur-/Moll-Sequenzen als ‚Cues‘ für Freude und Leid (Ende des Fluchs, Sieg der Marine). Die Größe der Orchesterbesetzung (voll, kammermusikalisch) bewegt sich dabei zwischen heroisch-triumphal und innig-empathisch, sodass der Zuschauer letztlich die Empfindungen der Protagonisten unmittelbar teilen muss. Gerade das Wechselspiel zwischen Legato und musikalischen Pausen lässt in diesem Zusammenhang die Hoffnung auf ein ‚Happy-End‘ aufkeimen. In der Analyse sollte gezeigt werden, dass die Musik im Film ein gewisses Maß an formalen Kategorien bedient (Orchestergröße, Klangcharakter etc.), um gezielt bestimmte Emotionen zu erzeugen. Nun sollen die erarbeiteten Ergebnisse im Hinblick auf eine mögliche ‚Neoformalistische Filmmusiktheorie‘ zusammengefasst werden. 16 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. 5. ‚Neoformalistische Filmmusiktheorie‘: Zusammenfassung und Ausblick Auch wenn sich Filmmusik aus (film-)musikwissenschaftlicher Perspektive sicherlich noch tiefgehender (als hier geschehen) analysieren lässt, sollte die – in dieser Seminararbeit doch überwiegend neoformalistisch geprägte – Auseinandersetzung mit dem Gegenstand neue Impulse geben. So lasssen sich (durch die vom Bild mehr oder weniger abgekoppelte Analyse der Musik) formale Kategorien herauslösen, die gezielt angestrebte, standardisierte Emotionszustände beim Rezipienten/Zuschauer auslösen. Dies vermag sich nicht nur im Vergleich mit weiteren Hollywood-Filmmusiken zeigen, sondern würde sich wahrscheinlich auch bestätigen, wenn man die hier behandelten Filmmusikausschnitte bewusst analogen Szenen aus einem vergleichbaren Film zuordnen würde. Weitere Forschungen könnten an dieser Stelle ansetzen, indem sie verschiedene Fallbeispiele aus dem modernen HollywoodKino untersuchten und systematisierten. In diesem Kontext wäre auch die Frage zu klären, inwiefern sich inzwischen ein Filmgenre mit spezifischer Musik (z. B. Western = dominante Gitarrenmusik, Abenteuerfilm = große, impulsive Orchesterklänge) herausgebildet hat. Nichtsdestoweniger sind dafür musikalische ‚Cues‘ von Bedeutung, um zum einen das Genre an sich zu charakterisieren als auch eine Orientierung innerhalb des Films zu ermöglichen. Die Standardisierung in der HollywoodFilmmusik ist demnach auch als Ursache für bestimmte Erwartungshaltungen der Zuschauer an den Film und zugleich im Kontext der wirtschaftlichen Vermarktung zu verstehen. Das bedeutet ferner, das in der Konsequenz nicht die ‚kompositorische Qualität‘ der Musik selbst, sondern ihre ‚ökonomische Qualität‘ von Bedeutung ist. So ist die Formalisierung in der Filmmusik auch wesentlicher Teil der vornehmlich ökonomisch geprägten Entwicklung der Filmindustrie. Um dieses Wirkungsgeflecht weiter zu entschlüsseln, wäre die Entwicklung einer ‚Neoformalistischen Filmmusiktheorie‘ nicht abwegig. Zumindest sollte in dieser Arbeit die Anwendbarkeit wichtiger Kernpunkte des neoformalistischen Ansatzes deutlich werden. Doch wenn die ‚Mainstream-Filmmusik‘ heute zunehmend formal gestaltet ist, welchen Stellenwert nimmt dann noch der individuelle, kreative Schaffensprozess durch den Komponisten ein? 17 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. 18 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. 19 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. 14 Der angegebene Timecode ist auf die Gesamtspiellänge des Films zu beziehen. Die Differenz beider Zeitangaben ergibt die Zeitspanne der hier entsprechend herausgeschnittenen Sequenz (bei 24 Bildern/Sekunde!): 00:00:00–00:03:20 15 Der angegebene Timecode ist auf die Gesamtspiellänge des Films zu beziehen. Die Differenz beider Zeitangaben ergibt die Zeitspanne der hier entsprechend herausgeschnittenen Sequenz (bei 24 Bildern/Sekunde!): 00:00:00–00:02:47. 20 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. Walt Disney Pictures 20061.1 und Walt Disney Pictures 20061.2: 21 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. Erklärung über das selbständige Verfassen der Seminararbeit Ich versichere, dass ich die vorliegende Seminararbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Alle Stellen, die dem Wortlaut oder dem Sinne nach anderen Texten entnommen sind, wurden unter Angabe der Quellen (einschließlich des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen) und nach den üblichen Regeln des wissenschaftlichen Zitierens nachgewiesen. Dies gilt auch für Zeichnungen, bildliche Darstellungen, Skizzen, Tabellen und dergleichen. Mir ist bewusst, dass wahrheitswidrige Angaben als Täuschungsversuch behandelt werden und dass bei einem Täuschungsverdacht sämtliche Verfahren der Plagiatserkennung angewandt werden können. ………………………. ………………………………….. Ort, Datum Unterschrift 22 Der Autor hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.