DOSSIER Viren und Bakterien wirkungen. Böttgers Team gelang es nun, die Wirkstoffe so zu modifizieren, dass sie besser zwischen den menschlichen und den bakte­ riellen Ribosomen unterscheiden können. Da­ durch wirken sie viel zielgerichteter, wie im Tierversuch gezeigt werden konnte. Pharmafirmen wenig interessiert In einer zweiten Arbeit stellte Böttgers Gruppe die Entwicklung eines völlig neuen Wirkstoffs vor. Die Wissenschaftler haben die Substanz Spectinomycin, die ebenfalls an die Riboso­ men andockt, so modifiziert, dass sie erstens nicht mehr von der entsprechenden Efflux­ pumpe aus dem Zellinneren spediert wird und zweitens zwischen menschlichen und bakteriellen Ribosomen unterscheiden kann. Auch hier sind die Tierversuche vielverspre­ chend: Spectinomycin, das bisher nicht gegen Tuberkulose eingesetzt wurde, tötet nicht nur die normalen Erreger wirksam ab, sondern auch hochresistente Keime. In beiden Fällen, so ist Böttger überzeugt, könnten schon bald klinische Versuche gestar­ tet werden. Allerdings werde es nicht ganz einfach sein, entsprechende Industriepartner zu finden. «Es gibt keinen funktionierenden Markt in diesem Bereich», hält er ernüchtert fest. «Während die Pharmafirmen mit Aids­ Medikamenten unglaubliche Summen verdie­ nen, haben sie an der Entwicklung von neuen Tuberkulosemedikamenten kein Interesse, weil dies nicht lohnend genug ist.» Und solan­ ge sich die Mär hält, Tuberkulose sei vorwie­ gend eine Krankheit der Armen, wird sich daran wohl nicht viel ändern. Kontakt: Prof. Erik C. Böttger, [email protected], Prof. Markus Seeger, [email protected] 44 magazin 4/14 Uran und Katzengold Bakterien können wertvolle, teils auch giftige Metalle aus Schlacken und alten Elektronikgeräten zurückgewinnen. Damit tragen sie zur nachhaltigen Lösung des Abfallproblems bei. Von Maurus Immoos Die landläufige Meinung über Bakterien ist meist teten Abfall und ein geeignetes Bakterium. Den negativ. Ekelzeugs, das man auf öffentlichen Müll bezieht sie von einer Schweizer Firma, die Toiletten findet, Erreger, die schlimme Krank­ sich auf die Verwertung von Bau­, Gewerbe­ und heiten verursachen, Keime, die gegen Antibiotika Industrierückständen spezialisiert hat. Auch Keh­ resistent sind – kurzum, Bakterien gelten als richtverbrennungsanlagen gehören zu den Liefe­ natürliche Feinde des Menschen. Dabei geht ranten, beispielsweise von Schlacke und Flug­ leicht vergessen, dass von den geschätzt drei Mil­ asche. All diesen Rückständen ist gemein, dass sie lionen Bakterienarten die meisten nützlich sind. viele wertvolle Metalle enthalten, die Fabbri mit Sie haben eine fundamentale Bedeutung für Hilfe von Bakterien zurückgewinnen möchte. viele Prozesse in der Derzeit arbeitet sie mit einem Bakte­ Natur, etwa für das HALOTHIBACILLUS NEAPOLITANUS Klima oder für die rium, das offiziell Nährstoffverwer­ noch keinen Namen tung – man denke trägt. Bis zu seiner an die Vorgänge im genetischen Ent­ menschlichen Darm. schlüsselung und Das Bakterium Halothibacillus Die Kleinstlebewe­ definitiven Klassifi­ neapolitanus produziert Schwefelsäure, sen können aber noch zierung heisst es mit der es Metalle aus Abfallpartikeln viel mehr; sie besit­ CCOS 191. «Eine herauslösen kann. zen nämlich die Fä­ Studentin des Insti­ higkeit, aus unserem tuts hat das Bakteri­ Müll wertvolle Metalle wie Kupfer, Eisen, Gold, um im nahegelegenen Irchel­Weiher bei der Ent­ Silber, Blei und Cadmium zu extrahieren. Wie das nahme einer Bodenprobe entdeckt», erzählt genau funktioniert, erforscht Carlotta Fabbri am Carlotta Fabbri. Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwis­ CCOS 191 besitzt die besondere Eigenschaft, senschaften an der Universität Zürich. eine grosse Menge Cyanid zu produzieren. Die­ ses Cyanid bindet sich sehr gut an Metalle und Bakterium aus dem Irchel-Weiher bildet mit diesen einen wasserlöslichen Metall­ Betritt man das Institutslabor, stechen einem so­ Cyanid­Komplex, der sich leicht von den restli­ fort die gläsernen Erlenmeyerkolben ins Auge, chen Stoffen in der Lösung abtrennen lässt. Damit gut verschlossen mit einem Pfropfen oder am CCOS 191 gut gedeiht und möglichst viel Cyanid Hals umwickelt mit Alufolie. Einige davon stehen produziert, ist es auf eine organische Kohlenstoff­ in Reih und Glied unter einer Glasglocke auf quelle angewiesen, die in Form von Glukose der einem Rütteltisch. Gemächlich und in konstantem Nährlösung hinzugegeben wird. Bei einer Tem­ Tempo drehen sich die Nährlösungen im Kreis. peratur um die dreissig Grad Celsius und konti­ Für Laien sieht die Anordnung unspektakulär nuierlichem Rühren fühlt sich CCOS 191 am aus, was sich jedoch in Glaskolben abspielt, ist ein wohlsten und erledigt die Cyanid­Produktion erstaunlicher biochemischer Vorgang, der prak­ praktisch von allein. «Ein Nachteil ist, dass Cy­ tisch von allein abläuft. Fabbri, die Hüterin der anid vor allem Eisen bevorzugt», sagt Fabbri. Glaskolben, benötigt für ihre Forschung aufberei­ Befinden sich zusätzlich andere Metalle in der Zersetzende Säure Lösung, ist nicht garantiert, dass eine Verbin­ dung mit diesen zustande kommt. Bessere Resultate erhielt die Forscherin mit dem Bakterium Halothiobacillus neapolitanus. Dieses produziert nach wenigen Tagen Schwefel­ säure. Um das Wachstum in Gang zu setzen, braucht es lediglich Kohlenstoffdioxid, das es aus der Umgebungsluft bezieht. Die entstandene Säure zersetzt sich automatisch in ihre Bestand­ teile, wobei unter anderem Wasserstoffprotonen frei werden. Diese heften sich an die Abfallparti­ kel, und zwar genau an jener Stelle, wo sich die Metalle befinden. Durch diesen Effekt trennen sich die Metalle ab und fallen in die Lösung. Nach einigen Tagen lässt sich mit Hilfe eines Atomab­ sorptionsspektrometers eruieren, welche Metalle herausgelöst wurden. Das Verfahren, mit Bakterien Metalle zu lösen, im Fachjargon spricht man von Bioleaching oder Biomining, ist nicht neu. Schon länger bekannt ist es aus dem Bergbau. Bereits in den 1950er­ Jahren wurden Mikroben erfolgreich eingesetzt, um aus Pyrit – im Volksmund auch Katzengold genannt – die winzigen Goldbestandteile, die dieses Mineral enthalten kann, zugänglich zu machen. Heute versucht die Forschung mit Bio­ leaching vor allem sekundäre Rohstoffe wieder nutzbar zu machen, die sich in Industrie­, Bau­ und Gewerbeabfällen befinden. Mit Abfall Geld verdienen Denn in Zeiten steigender Rohstoffpreise wird es finanziell zunehmend lohnenswert, Wertstoffe aus Abfällen zurückzugewinnen. Allein aus den Rückständen der Schweizer Kehrichtverbren­ nungsanlagen lassen sich jährlich Metalle im Wert von 100 Millionen Franken gewinnen, wie Berech­ nungen der Hochschule für Technik Rapperswil ergaben. Die Konzentration von wertvollen Me­ tallen im Elektronikschrott ist mittlerweile höher als in Bergwerken; so befindet sich in vierzig alten Mobiltelefonen derselbe Goldgehalt wie in einer Tonne Erz. Gerade bei den Seltenen Erden muss die Industrie über kurz oder lang nach neuen Quellen Ausschau halten. Dies zeigt beispielswei­ se die Preisentwicklung von Europium, einem seltenen Metall, das vor allem bei der Herstellung von Plasmabildschirmen eingesetzt wird. Betrug der Preis 2002 noch 240 US­Dollar auf dem Welt­ markt, bewegt er sich heute auf einem Niveau um 46 magazin 4/14 die 1000 US­Dollar pro Kilogramm. Bei allen Sel­ tenen Erden liegen die derzeitigen Wiederverwer­ tungsraten jedoch nur bei einem Prozent. Neben dem wirtschaftlichen Aspekt geht es aber auch darum, Stoffkreisläufe zu schliessen und damit den Abbau von natürlichen Ressourcen zu verringern, der sehr energieintensiv und mit hohen CO2­Emissionen verbunden ist. Auch be­ steht von Seiten der Politik die Forderung, dass der Umgang mit Rohstoffen nachhaltiger wird. So verlangt beispielsweise die OECD, dass sich zu­ künftig alle industriellen Verfahren an biologische Prozesse anlehnen. Weil Bakterien allein auf­ grund ihres natürlichen Stoffkreislaufs Metalle lösen können, haben sie gegenüber anderen Ver­ fahren ein sehr grosses Potenzial, einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung zu leisten. Böden reinigen Mit Mikroorganismen lassen sich nicht nur Wert­ stoffe recyclen, sondern auch Giftstoffe säubern und neutralisieren. So haben deutsche Forscher vor kurzem herausgefunden, dass es Bakterien­ arten gibt, die im Wasser gelöste Uranverbindun­ gen brauchen, um zu überleben. Sie verwandeln das giftige und radioaktive Schwermetall zwar nicht in harmlose Abbauprodukte, aber in schwer­ lösliche Salze, die zu Boden sinken und sich dadurch nicht mehr so leicht in der Umwelt vertei­ len. Auch bei Tankerunfällen könnten Bakterien zum Einsatz kommen. Einige Bakterienarten sind fähig, die Verbindungen im Erdöl nahezu vollstän­ dig zu Kohlendioxid und Wasser zu verdauen. Fabbri forscht derzeit an einem Verfahren, Böden zu säubern. Dabei arbeitet sie jedoch mit Pilzen, die sie auf einem festen Nährmedium züchtet. Ähnlich wie gewisse Pflanzensorten besitzen Pilze die Fähigkeit, Metallrückstände in ihren Zellen aufzunehmen. Diese Form von Bio­ akkumulation könnte dazu dienen, mit Schwer­ metall verseuchte Böden zu entgiften. Das Poten­ zial, mit mikrobiellen Methoden etwas Positives für die Umwelt zu tun, scheint unermesslich. Ge­ rade wenn man bedenkt, dass bisher nur ein Bruchteil der in der Natur vorkommenden Mik­ roorganismen wirklich erforscht ist. Es ist schon erstaunlich, zu welchen Grosstaten die Kleinst­ lebewesen imstande sind. Kontakt: Carlotta Fabbri, [email protected]