Moose für die Produktion von Medikamenten einsetzen

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Moose für die Produktion von Medikamenten einsetzen
Während aus klassischen Heilpflanzen pflanzeneigene Inhaltsstoffe genutzt werden, um
Menschen zu behandeln, setzt man beim Molecular Pharming auf gentechnisch veränderte
Pflanzen oder Tiere, denen artfremde Gene in ihr eigenes Genom eingebaut wurden. Durch
diesen Kniff können die Pflanzen oder Tiere zur Produktion der entsprechenden
pharmazeutischen Substanzen wie Antikörper genutzt werden. Dr. Eva Decker von der
Universität Freiburg ist es mit ihrem Team gelungen, ein wichtiges Protein des menschlichen
Immunsystems in der Moospflanze Physcomitrella patens zu produzieren. Der so hergestellte
Faktor H könnte irgendwann helfen, das atypische hämolytisch-urämische Syndrom, eine
seltene Erkrankung der Nieren, zu therapieren. Dies ist das Ziel einer Kooperation mit dem
Uniklinikum Freiburg und der Firma Greenovation.
Das atypische hämolytisch-urämische Syndrom (aHUS) ist eine schwer verlaufende
Nierenkrankheit, die im frühen Kindesalter ausbricht und unbehandelt bei etwa 60 Prozent der
Patienten zum chronischen Nierenversagen oder Tod führt. Bei dieser Krankheit werden die
körpereigenen Endothelzellen aufgrund eines Fehlers im Komplementsystem von der eigenen
Immunabwehr zerstört. In etwa der Hälfte der Fälle wird die Krankheit vererbt und ist hier
zurückführbar auf einen genetischen Defekt im Faktor H des Komplementsystems. Die Folge
ist eine gesteigerte Aktivität der Abwehr, wobei sich der Körper gegen eigene Strukturen
wendet. Dies schlägt sich schwerpunktmäßig in der Niere nieder. Derartige Mutationen sind
zwar relativ selten, doch die schon früh unter aHUS leidenden Patienten müssen ihr ganzes
Leben lang behandelt werden. Bisherige Verfahren zur Therapie konzentrieren sich auf den
regelmäßigen Austausch von Blutplasma durch Spenderblut sowie den schweren Eingriff der
Nierentransplantation. Die Grunderkrankung bleibt in beiden Fällen allerdings bestehen.
Faktor H als Regulator
Das Komplementsystem als Teil der humoralen Immunantwort löst über verschiedene Wege
eine Reihe von Entzündungsreaktionen im Körper aus. Daran sind etwa 30 Proteine beteiligt,
die entweder frei im Plasma oder zellgebunden vorliegen und deren Aufgabe es ist,
Mikroorganismen zu erkennen und zu eliminieren. „Dieser Teil des angeborenen
Immunsystems ist permanent unterschwellig aktiv", erklärt Dr. Eva Decker, die an der
Universität Freiburg am Lehrstuhl Pflanzenbiotechnologie von Prof. Dr. Ralf Reski forscht,
„dafür muss sich nicht erst eine Krankheit etablieren oder Antikörper gebildet werden, die
Antigene erkennen." Die Hauptaufgabe des Komplementsystems ist die sogenannte
Opsonierung: Die Oberfläche von Krankheitserregern wird von Komplementfaktoren bedeckt
Eva Decker © Christina Dages
und markiert, um den Phagozyten die Erkennung und Zerstörung zu ermöglichen. Durch
kaskadenartige Aktivierung und Bindung der Komplementfaktoren kommt es zum Aufbau
eines lytischen Komplexes, der die direkte Zerstörung von Bakterien durch Einfügen von
Membranporen einleitet. Der entscheidende Schritt zur Formierung des aus vielen Proteinen
bestehenden Membranangriffskomplexes (MAC) auf der zu lysierenden Fremdzelle ist die
Aktivierung des Faktors C3 zu C3b. „Das Problem ist, wenn ein System, das Zellen zerstören
soll, permanent aktiv ist, dann muss es auch Regulatoren geben, die den Körper selbst vor
dem Angriff durch das System schützen", meint Decker. Faktor H ist ein solcher Regulator, der
verhindert, dass das System vollständig aktiviert werden kann. Solange C3b im freien Zustand
oder an körpereigene Zellen gebunden vorliegt, können die Regulatoren Faktor H und I das
C3b inaktivieren. Auf pathogenen Oberflächen jedoch bleibt C3b aktiv und leitet so die weiteren
Schritte zur Ausbildung des MAC ein. Faktor H wird beim gesunden Menschen konstitutiv
synthetisiert, ist also immer vorhanden und sorgt dafür, dass körpereigene Zellen vom
Immunsystem verschont bleiben.
Maßlose Aktivierung, wenn Faktor H fehlt
Verschiedene Mutationen können dazu führen, dass Faktor H als Korrektiv nicht gebildet wird.
Die Konsequenz der fehlenden „Bremse" ist ein unkontrolliertes überaktives
Komplementsystem. Das führt dazu, dass auch körpereigene Zellen angegriffen werden und zu
Ablagerungen von Zwischenprodukten insbesondere an der Basalmembran der
Nierenkörperchen. „Wenn Faktor H nicht mehr da ist, haben wir eine ständige Aktivierung des
Komplementsystems, was zu Zellschäden mit verschiedenen Konsequenzen führt", sagt
Decker. Eine davon ist die Krankheit aHUS. Mit dem monoklonalen Antikörper Eculizumab,
einem der derzeit teuersten Medikamente der Welt, gibt es bereits eine zugelassene
Pharmakotherapie für aHUS-Erkrankte. Eculizumab blockiert die Kaskade, sodass der MAC
In der Aktivierung des Komplementsystems mit mehreren Proteinfaktoren (C3-C9) gibt es für Eculizumab und den
Faktor H verschiedene Ansatzpunkte, um den Aufbau des lytischen Membranangriffskomplexes (MAC) zu verhindern.
© Eva Decker, modifiziert nach Howes et al. 2006, Review of Ophthalmology.
nicht aufgebaut werden kann. Als Alternative wollen Decker und ihr Team nun in Kooperation
mit Dr. Karsten Häffner der Universitäts-Kinderklinik Freiburg und der Firma Greenovation
Biotech GmbH die Reaktionskaskade des Komplementsystems korrigieren, indem sie den
Faktor H wieder bereitstellen. Dabei argumentiert sie so: „Eculizumab greift später als Faktor
H in der Kaskade am Molekül C5 an. Bis dahin akkumulieren alle Zwischenprodukte, die auf
Nierenebene Schäden verursachen können." Ihrer Meinung nach ist es sinnvoller, sich weiter
oben einzuschalten, wo ein natürlicher Mechanismus ausgefallen ist, den es zu ersetzen gilt.
Moos als Lieferant von Glykoprotein
Im Moos-Bioreaktor arbeitet Physcomitrella im Dienst der Wissenschaft und bald vielleicht auch für die
Arzneimittelproduktion. © Eva Decker, Universität Freiburg
2010 ist es Decker und ihren Kollegen erstmals gelungen, den Komplementfaktor H im Kleinen
Blasenmützenmoos Physcomitrella herzustellen. Nun wollen sie in einem zweijährigen Projekt
prüfen, ob das im Moos produzierte menschliche Glykoprotein als Medikament gegen aHUS
Verwendung finden kann. Obwohl das Moos den Faktor selbst nicht kennt oder braucht, bildet
es ihn mit vollständiger Aminosäuresequenz aus dem eingebrachten Gen. Damit der Faktor
aber funktionstüchtig wird, muss bei der Herstellung auch die sogenannte Glykosylierung
beachtet werden. Damit sind die am Protein anheftenden Zuckerreste gemeint, die ihm seine
Funktionalität verleihen. Die Glykosylierung muss jedoch so ablaufen, dass die entstehenden
Glykosylierungsmuster nicht zu einer Immunreaktion im Patienten führen. In der Herstellung
ist das Glykodesign deshalb eine besondere Herausforderung, da die Glykosylierung in
verschiedenen Organismen zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Während Bakterien nicht
zur posttranslationalen Glykosylierung befähigt sind, unterscheiden sich die komplexen
Glykosylierungsmuster von Pflanzen und Menschen: Pflanzen bilden Xylose und Fucose, die der
Mensch nicht hat oder die er anders verknüpft. Physcomitrella baut Fucose und Xylose dort in
den Faktor H ein, wo beim menschlichen Protein nichts ist. Damit diese Zucker keine
Immunreaktionen im Patienten auslösen, muss der Faktor H, der vom Moos produziert wird,
glyko-optimiert sein. Dies erreicht Decker mit einem genetischen Trick: „Die spezifischen
Enzyme, die Fucose und Xylose an das Protein hängen, wurden von uns durch einen
gerichteten Knock-Out zerstört." Im Vergleich zur Glykosylierung im Menschen ist die im Moos
sehr viel homogener, was von Vorteil für das Produkt sein kann, da eine hohe Reinheit des
pharmakologisch wirksamen Stoffes erreicht werden kann. Wie die Anwendung im klinischen
Alltag sein wird, werden die Versuche der nächsten Jahre zeigen, in denen der pflanzlich
hergestellte Faktor H erst in vitro und dann in vivo in Mäusen auf seine Tauglichkeit geprüft
wird. Interessant ist der Ansatz allemal: Statt der aufwendigen oder teuren Therapien durch
Blutaustausch bzw. mit dem Antikörper Eculizumab würde der Faktor H ähnlich einer
Insulingabe bei Bedarf gespritzt werden und so das Immunsystem eines aHUS-Erkrankten
korrigiert werden.
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Weitere Informationen
Dr. Eva Decker
Abteilung für Pflanzenbiotechnologie
Institut für Biologie II
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Schänzlestr. 1
79104 Freiburg
Tel.: 0761 / 203 - 2820
E-Mail: eva.decker(at)biologie.uni-freiburg.de
Universität Freiburg, Lehrstuhl für
Pflanzenbiotechnologie
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