Leichens Praxis Wissen Angst vor dem perfekten Mord Werden Hausärzte im Notdienst zur Todesfeststellung gerufen, gilt es einiges zu beachten: Was sind sichere Todeszeichen und wie sollte eine standardisierte Leichenschau ablaufen? Handelt es sich um einen natürlichen Tod oder ein Tötungsdelikt? Bei der Inspektion des Toten können Details wertvolle Hinweise liefern. 48 schau vornimmt. Als sichere Todeszeichen gelten Totenflecke (Livores), Totenstarre (Rigor mortis), Fäulnis/Verwesung, Hirntod sowie Verletzungen, die mit dem Leben nicht vereinbar sind (zum Beispiel Rumpfabtrennungen). Livores bilden sich – je nach Körperlage – immer ausgehend von der abgewandten Seite etwa ein bis zwei Stunden nach Eintritt des Todes, wobei die Aufliegeflächen helle Aussparungen zeigen. Bei erhängten Personen, weist nur die untere Körperhälfte Totenflecke auf. Totenflecke sind in den ersten Stunden noch leicht mit der Pinzette wegzudrücken. Von Petechien und Punktionsmalen Die Leichenschau erfolgt an der vollständig entkleideten Leiche unter Einbeziehung aller Körperöffnungen in Rücken- und Bauchlage. Es empfiehlt sich, Kleiderschere, Handschuhe, zwei Pinzetten sowie eine Taschenlampe bereit zu halten. Die Untersuchung beginnt am Kopf mit dem Abtasten des Schädels, um diesen auf Verletzungen oder pathologische Beweglichkeit zu prüfen. Auch Ohren und Gehörgänge sollten inspiziert werden. Die Totenstarre ist zwei bis vier Stunden nach Eintritt des Todes am Kiefergelenk nachweisbar und löst sich nach 48 Stunden. Am Hals sollte auf Würgemale oder Strangulationszeichen (klare Linie) geachtet werden. Der Hausarzt 09/2015 Foto: photographee.eu - Fotolia Es ist der letzte Dienst des Arztes am Patienten, doch häufig eine ungeliebte Aufgabe: die Leichenschau und Ermittlung der Todesursache. Der Hausarzt ist aufgrund seiner Nähe zum Patienten oft befangen und es kann ihm schwerfallen, die Leichenschau fachgerecht vorzunehmen, erklärt Dr. Stephan Wallmeyer. „Verstirbt jemand, treffen häufig unterschiedliche Disziplinen Jeder Arzt ist verpflichaufeinander: Notarzt, Hausarzt, tet, die Leichenschau vorzunehmen und die Polizei/Kripo und Rechtsmedizin Todesbescheinigung sind involviert. Alle eint die Angst auszustellen. vor dem perfekten Mord“, sagt der Allgemeinmediziner aus Dortmund. Grundsätzlich ist jeder approbierte Arzt verpflichtet, die Leichenschau vorzunehmen und unverzüglich die Todesbescheinigung auszustellen. Nur Notärzte sind von der Leichenschau freigestellt, ihre Pflichten beschränken sich auf die Feststellung des Todes und die Verständigung eines Kollegen (etwa dem Hausarzt), der dann die Leichen- chau Tot oder scheintot? Manchmal komme es vor, dass Personen fälschlicherweise für tot erklärt werden. Dieser Fehler könne beispielsweise nach einem Schädelhirntrauma oder nach Unterkühlung bei adipösen Menschen geschehen. Hier sei oft kein Puls mehr zu tasten. Wallmeyer schilderte den Fall eines Mannes, der aus dem Rhein geborgen und für tot erklärt wurde, doch nicht in die Rechtsmedizin, sondern direkt zum Friedhof überführt wurde. Beim Öffnen des Sarges stellte man fest, dass der Mann noch lebte. Er verstarb dann Tage später im Krankenhaus. Unsichere Todeszeichen wie Abkühlung, Arreflexie, Muskelatonie, Pulslosigkeit, (scheinbarer) Atemstillstand, Leichenblässe oder Vertrocknung (an Schleimhäuten, Wunden, zarten Hautstellen) reichten daher nicht aus, um den Tod festzustellen. Sind die Lebensfunktionen schwer gestört, rückt der Scheintod (Vita minima) in den Bereich des Möglichen. Ursachen dafür können nach der AEIOU-Merkregel sein: Foto: WoGi - Fotolia A Anämie, Anoxämie, Alkohol EEpilepsie, Elektrizität (auch Blitzschlag!) I Injury (Schädeltrauma) OOpium, Betäubungsmittel, Barbituratvergiftung UUrämie Der Hausarzt 09/2015 Sind kleine punktförmige (Petechien) oder flächige Blutungen an den Lidoder Bindehäuten sichtbar, ist dies ein Zeichen für Gewalteinwirkung gegen den Hals. Petechien müssen stets als Hinweis auf Erstickung oder Strangulation gewertet werden, auch bei anderen Arten der Atemwegsobstruktion, bei Vorliegen einer oberen Einflussstauung sowie bei Druckerhöhung in den kleinsten Gefäßen durch Husten oder Pressen. Sie sind bei guter Beleuchtung auch in der Mundschleimhaut, den Hinterohrregionen und der gesamten Gesichtshaut sichtbar. Die Mundhöhle muss eingehend untersucht werden, wobei auf die Stabilität der Zähne, auf Spuren von Knebeln oder einen Bolus im Rachenraum zu achten ist. Am Rumpf ist die Stabilität des Brustkorbes zu prüfen und darauf zu achten, ob die Bauchdecke gespannt ist. Bei Inspektion des Genitals können Injektionsmale (Vena dorsalis am Penis) auffallen. An den Füßen ist nach verdeckten Punktionsmalen zwischen den Zehen zu suchen. Verletzungen an den Händen oder Fingern sowie abgebrochene Fingernägel können auf einen Kampf hinweisen. Todesursache gesucht Hell- bis kirschrote Totenflecke deuten auf eine Kohlenmonoxidvergiftung hin, erklärt Wallmeyer. Feinblasiger Schaum vor Nase und Mund lasse auf Tod durch Ertrinken oder ein kardiales Lungenödem schließen; treten zusätzlich bläuliche Anhaftungen an Nase und Mund auf, könne eine Vergiftung mit E605 die Todesursache sein. Verätzungen mit säurehaltigen Substanzen im Bereich des Mundes lieferten Hinweise für einen Suizid. Schussverletzungen gehen in 80% der Fälle auf Selbsttötungen zurück und können als kleine, nicht-blutende Einschusswunden sehr unauffällig sein, berichtet Wallmeyer. Das gleiche gelte für Stich- Praxis Wissen verletzungen, etwa mit einem Stilett, das nur kleine Hautdefekte, aber tiefe Wunden verursache. Auch die Situation, in der die Leiche gefunden wird, könne Aufschluss über die Todesursache geben. Geachtet werden sollte auf: Körperposition, Bekleidung, Leichenumgebung (Tabletten, Spritzen, Erbrochenes, Blut, geöffnete Fenster usw.). Problematisch sei es, wenn der Verstorbene nicht in ärztlicher Behandlung stand und unerwartet stirbt oder nicht der behandelnde Arzt die Leichenschau vornimmt und ohne Kenntnis der Anamnese die Todesursache nicht abzuleiten sei. Klassifikation der Todesart Gibt es Anhaltspunkte für äußere Einwirkungen, die den Tod zur Folge hatten, muss der Arzt dies im Totenschein vermerken. Hier kommen Selbsttötung, Unfall, Tötungsdelikt, durch äußere Einwirkungen mitverursachte Todesfälle oder Spättodesfälle nach Verletzung infrage. Ist die Situation nicht eindeutig und kann der Arzt keinen „natürlichen Tod“ bescheinigen, müsse er „Todesart ungeklärt“ ankreuzen. Oft werde diese Angabe von der Kripo nicht gern gesehen und die Ärzte massiv unter Druck gesetzt, eine Kausalität herzustellen und den Totenschein abzuändern, berichten Hausärzte aus dem Plenum. Wallmeyer rät, standhaft zu bleiben und sich nicht zu Angaben zur Todesursache drängen zu lassen: „Wenn wir es nicht wissen, sollten wir das Feld (Anm. d. R.: Todesart) auch offen lassen.“ Auch bestehe die ärztliche Schweigepflicht über den Tod hinaus und Ärzte seien der Polizei gegenüber nicht auskunftspflichtig. Susanne Pickl Quelle: „Der Hausarzt im Notdienst – was ist zu beachten bei Leichenschau und Totenschein? Vortrag von Dr. Stephan Wallmeyer beim 3. MSD-Forum „Die Hausarztpraxis im Fokus“ am 28.2.2015 in Berlin. 49