LANDARZTGLOSSE Immer gleich 144 – oder doch lieber der Hausarzt? * v o n D r. m e d . J ü r g W e b e r ILLUSTRATION WA-DESIGN B ei Verdacht auf schwere Verlet- nicht nur mit einer Erstbeurteilung ent- 144 und der Spitäler wird mancherorts, zung ist nicht der Hausarzt, schärft und beruhigt, sondern sogar ab- wie bei uns, noch der Hausarztnotfall- sondern 144 aufzubieten.» – Dieser Satz schliessend behandeln liess. dienst in den eigenen Praxen angeboten, stand in der «Thurgauer Zeitung» vom Dass solche Notfalleinsätze mit viel verbunden mit dem Angebot, dass man 27. März 2012. Gemeint war eine (zwei- Stress, Flexibilität und Engagement ver- rund um die Uhr dem Hausarzt oder fellos sinnvolle) Informationsveranstal- bunden sind, ist selbstverständlich, und seinem Notfalldienstvertreter anrufen tung zur Notrufnummer 144. wir sind natürlich froh, wenn dies nicht kann, der versucht, am Telefon die Vorbei also die Zeit, als der mündige Bür- so häufig vorkommt. Aber es kann uns Situation zu beurteilen, dann die Wei- ger und Patient noch selber entscheiden trotzdem jederzeit «treffen», nämlich chen stellt und, falls er nicht selber aus- konnte, ob er, auch bei akuten und dann, wenn sich jemand nicht an den rückt, mindestens organisatorisch be- schweren gesundheitlichen Problemen, Befehl hält, dass 144 aufzubieten sei, hilflich ist. den bisher üblichen Weg über den Haus- sondern der Hausarzt. Oder wenn bereits Kann es sein, dass dies von der Bevölke- arzt nehmen wollte. Nein, es «ist» 144 alle Ambulanzen unterwegs sind und wir rung nicht mehr in diesem Rahmen ge- aufzubieten. Und das selbst dann, wenn dann plötzlich kompetent sein dürfen, wünscht und geschätzt wird oder dass nur der Verdacht auf eine schwere Ver- selbst in schwersten Fällen vor Ort das der Service public der Hausärzteschaft letzung besteht, nicht etwa nur in ein- Richtige zu tun, selbstverständlich voll- dieses Spektrum nicht mehr wie bisher deutig lebensbedrohlichen Situationen. ständig ausgerüstet (…). anbieten möchte? In wessen Interesse ist es denn, wenn die Es kommt zudem recht häufig vor, dass Aber dann sollte dies mindestens nicht Meinung propagiert wird, ein Hausarzt, Patienten mit Verdacht auf eine schwere im Alleingang von 144 und den Medien oder bei dessen Abwesenheit sein stell- Verletzung direkt und untriagiert per entschieden und publik gemacht wer- vertretender Notfalldienstarzt, sei nicht Ambulanz abgeholt werden müssen den. in der Lage, anlässlich eines kurzen Tele- (sog. Bobo-Taxi-Dienst). Und sich später Selbstverständlich darf man Werbung in fongesprächs zu entscheiden, ob tat- bei uns beklagen, dass sie den Grossteil eigener Sache machen, so mit «144 ist sächlich sofort 144 aufgeboten werden der bis zu 1000 Franken selber zahlen immer richtig» oder mit «Ihr Hausarzt – soll? mussten. Natürlich zucken wir dann Anlaufstelle für alle Fälle». Dies im ste- Aus der täglichen Praxis wissen wir, dass nicht nur mit den Schultern, sondern ten Bewusstsein der eigenen Grenzen der Schweregrad einer gesundheitlichen erklären geduldig, wie das Gesundheits- und ohne die Kooperationspartner des- Problematik vom Betroffenen und seiner wesen halt so «funktioniert». Vor allem, wegen mit einem Nachsatz schlecht zu Umgebung häufig als gravierend einge- wenn die Patienten nach ambulanter machen oder auszuschliessen. stuft wird, sich dann aber schon nach Behandlung sofort entlassen werden kurzer Zeit herausstellt, dass die Situa- konnten. tion vom Haus- oder Notfalldienstarzt Nicht zuletzt auch zur Entlastung von 21 SPRECHSTUNDE 4/12 *Dr. med. Jürg Weber ist Hausarzt mit Praxis in Wigoltingen (TG).