Demenz Hausarzt Medizin Kognitiven Abbau erkennen und aufhalten Zur Behandlung einer Demenz gibt es bisher keine Optionen, die das Fortschreiten der Erkrankung vollständig stoppen können. Dennoch stehen einige Interventions­möglichkeiten zur Verfügung, die den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen und die Pflege der Demenzkranken erleichtern. Die Alzheimer-Demenz ist mit ca. 65 % die häufigste aller Demenzerkrankungen. Neben der Abgrenzung von anderen neurodegenerativen Demenzformen wie den frontotemporalen und vaskulären Demenzen ist in der Differenzialdiagnostik vor allem der Ausschluss von reversiblen Ursachen wie Normdruckhydrocephalus, Hypovitaminosen und chronischen Subduralhämatomen von Bedeutung. Diagnostik vor Therapie Als typische Verlaufsform einer AlzheimerDemenz ist ein Krankheitsbild zu klassifizieren, das jenseits des 65. Lebensjahrs in Erscheinung tritt, durch einen langsam progredienten Verlauf gekennzeichnet ist und mit Merkfähigkeitsstörungen beginnt. Die S3-Leitlinie Demenzen (DGPPN/DGN) dient als Richtschnur für den diagnostischen Prozess. Bei typischem Erscheinungsbild kann die Diagnose einer Alzheimer-Demenz mit hoher Zuverlässigkeit durch den Hausarzt gestellt werden, wenn die in Tabelle 1 aufgeführten Untersuchungsbefunde systematisch erhoben werden. Bei untypischem Krankheitsverlauf könnten die Möglichkeiten hausärztlicher Diagnostik unzureichend und eine fachärztliche Diagnostik angezeigt sein. In Tabelle 2 finden sich Kriterien, die eine spezifische Demenzdiagnostik durch den Facharzt sinnvoll erscheinen lassen. Viele Demenzkranke merken selbst nichts von ihrer Erkrankung – eine schwierige Aufgabe für den Hausarzt. 46 In leichten bis mittelgradigen Demenz­ stadien sollte die Alzheimer-Demenz mit Acetylcholinesterase- (AChE-)Hemmern wie Donepezil, Rivastigmin oder Galantamin behandelt werden. Bei guter Verträglichkeit können diese Substanzen die KrankheitsDer Hausarzt 07/2014 Foto: iStockphoto Standardtherapie der Alzheimer-Demenz Hausarzt Medizin progression verzögern und den Krankheitshandlung dieser Symptome können Neuverlauf durch Reduktion der Häufigkeit von roleptika zum Einsatz kommen. Allerdings Halluzinationen und wahnhaften Symptohaben Studien ergeben, dass sowohl typische men positiv beeinflussen. Neuroleptika (z. B. Haloperidol) als auch atyAls unerwünschte Wirkungen können vor pische Neuroleptika (z. B. Risperidon) mit allem gastrointestinale Nebenwirkungen einem erhöhten Risiko an Thromboembolien mit Übelkeit, Erbrechen und Diarrhoen aufund kardiovaskulären Komplikationen vertreten. Schwerwiegende karbunden sind. Außerdem ist diale Erkrankungen mit die Mortalität der Patienten Prof. Dr. med. Tillmann Supprian Vor der Verordnung höhergradigen AV-Blockieunter einer Behandlung mit Leiter der Abteilung von Neuroleptika sind rungen oder Bradykardie Neuroleptika höher als bei Gerontopsychiatrie, deren Nutzen und LVR-Klinikum, Klistellen eine Kontraindikanicht behandelten PatienRisiken sorgfältig ab­ niken der Heinrichtion gegen die Behandlung ten. Vor der Gabe von NeuHeine-Universität zuwägen. mit einem AChE-Hemmer roleptika ist daher eine sehr Düsseldorf E-Mail: tillmann. dar (EKG vor Beginn der Besorgfältige [email protected] handlung!). Abwägung und Aufklärung In mittelschweren bis der Betroffenen und ihrer schweren Demenzstadien hat sich die BeAngehörigen erforderlich. Benzodiazepine handlung mit dem Glutamat-Rezeptorsollten als Hypnotika bei DemenzerkrankunModulator Memantine bewährt, der ebengen vermieden werden, ggf. kann auf niederfalls die Krankheitsprogression verzögern potente Neuroleptika (z. B. Pipamperon) zuund das Auftreten demenztypischer Verhalrückgegriffen werden. tensstörungen minimieren soll. Die Behandlung mit Memantine kann sich positiv auf die Kognition, Alltagsfunktionen und den klinischen Gesamteindruck des Patienten Tab. 1: Standarddiagnostik bei Verdacht auf eine Alzheimer-Demenz auswirken. Leider gibt es einzelne Patienten, die unter ▪▪ Eigen-, Fremd-, Familien- und Sozialanamnese einschließlich vegetativer Anamnese der Behandlung mit Memantine Agita­tion, und Medikamentenanamnese Unruhe und Halluzinationen entwickeln, so ▪▪ Kognitiver Kurztest, z. B. MMST, DemTect, TFDD dass die Behandlung wieder beendet wer▪▪ Ärztliche Untersuchung einschließlich internistischer, neurologischer und psycho­ den muss. pathologischer Befunderhebung ▪▪ Labor-Basisdiagnostik, weitere Laboruntersuchungen bei klinisch unklarer Situation Grundsätzlich erscheint eine Kombination oder spezifischen Verdachtsdiagnosen von AChE-Hemmern mit Memantine denk▪ ▪ Zerebrale Bildgebung (CT oder MRT) bar, allerdings ist die Evidenz der vorliegenden Studien noch ungenügend, so dass keine grundsätzliche Empfehlung zur Kombina­ Tab. 2: Kriterien für eine Überweisung zum Facharzt tion ausgesprochen werden kann. Foto: Dieter Alsleben Behandlung von Verhaltensstörungen Neben den progredienten kognitiven-mnestischen Störungen entwickelt ein Teil der Patienten mit einer Alzheimer-Demenz weitere Symptome, z. B. Halluzinationen, Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus und Verhaltensstörungen. Insbesondere eine wahnhafte Symptomatik mit aggressiven Tendenzen kann die Pflege der Kranken in fortgeschrittenen Demenzstadien erheblich erschweren. Zur BeDer Hausarzt 07/2014 ▪▪ Frühe Demenzmanifestation (vor dem 65. Lebensjahr) ▪▪ Untypischer Verlauf mit prominenten Verhaltensstörungen, frühen Sprachstörungen, plötzlicher Krankheitsmanifestation ▪▪ Auftreten fokal-neurologischer Symptome oder zeitlicher Zusammenhang mit schweren somatischen Erkrankungen ▪▪ Andere Befunde als eine Hippocampus-Atrophie oder globale Hirnatrophie im CT/MRT, z. B. ischämische Läsionen, Raumforderung, Hinweise für ältere Blutungen, Signalveränderungen in den Stammganglien oder im Thalamus ▪▪ Auftreten epileptischer Anfälle ▪▪ Stark fluktuierender Verlauf der kognitiven Störungen mit temporärer Besserung ▪▪ Unklare Bewusstseinsstörungen, Synkopen, frühe Manifestation von Gangstörungen, frühe Manifestation einer Inkontinenz 47 Hausarzt Medizin Psychosoziale Interventionen In den bisherigen Studien zu psychosozia­ len Interventionen wie kognitiver Stimula­ tion, körperlicher Aktivierung, Tanztherapie, Musikthera­ pie und künstlerischen Thera­ pien wird gemäß der S3-Leit­ linie Demenzen zumeist nur der Empfehlungsgrad C fest­ gestellt. Mit einer Ergothera­ pie kann der Hausarzt sinn­ volle und individuell auf den Patienten angepasste Inter­ Tipp ventionen verordnen. Vor al­ lem das Einbeziehen von An­ gehörigen und der Erhalt von In vielen Regionen Deutschlands Alltagsfunktionen erscheinen stehen Gedächtnisambulanzen bei schwierigen Fragen zur Diagnossinnvoll. tik und Therapie als AnsprechpartAls besonders wirksam und ner für die Hausärzte zur Verfünoch nicht ausreichend ge­ gung. Sie können auch aufgrund nutzt erweisen sich Schu­ ihrer Vernetzung mit komplemenlungen von pflegenden An­ tären Einrichtungen wie speziellen gehörigen im Umgang mit Tageskliniken, Betreuungsgruppen für Demenzkranke, Angehörigendemenztypischen Verhaltens­ selbsthilfe usw. hilfreich sein. veränderungen. Solche Kur­ se werden von Krankenkassen und von regionalen Alzhei­ mer-Gesellschaften angeboten und sollten ausdrücklich empfohlen werden. Meist muss der Hausarzt etwas Überzeugungsarbeit leisten, da viele pflegende Angehörigen zu­ nächst nicht bereit sind, ihre Pflegerolle für die Kursteilnahme zu unterbrechen. Ein spezifisches Angehörigentraining ge­ hört zu den sinnvollsten psychosozialen Interven­tionen. Es empfiehlt sich daher, ent­ sprechende Kontaktadressen zur Vermitt­ lung bereit zu halten. 48 Aufklärung und Beratung Ein zentrales Problem bei der AlzheimerDemenz ist, dass viele Betroffene die Mani­ festation der Erkrankung selbst nicht wahr­ nehmen und auch aktiv keine Hilfe und Beratung suchen. Nur ein kleiner Teil der Pa­ tienten wird sich von sich aus an seinen Arzt wenden und eine weiterführende Diagnostik und Behandlung wünschen. Das Nicht-Er­ kennen der kognitiven Defizite wird als „Anosognosie“ bezeichnet und erschwert den therapeutischen Zugang. Dem Arzt kommt eine schwierige Aufgabe zu, wenn ältere Menschen eine Demenz entwickeln und diese selbst nicht erkennen. Ist die Diagnose gestellt, ist der Hausarzt ein wichtiger Berater für die Patienten und de­ ren Angehörige. ▪▪ Die enge Zusammenarbeit mit Angehö­ rigen, die möglichst frühzeitig in die Diagnose- und Behandlungsplanung mit ein­ bezogen werden sollten, ist ratsam. ▪▪ In frühen Krankheitsstadien bei noch be­ stehender Geschäftsfähigkeit sollten Vor­ sorgevollmachten angesprochen werden. Auch Patientenverfügungen können ge­ eignet sein, möglichen künftigen Unsi­ cherheiten im Pflegeprozess vorzubeugen. ▪▪ Die hausärztliche Beratung ist auch dann gefordert, wenn bei fehlender Krankheits­ einsicht und manifester Demenz die Eig­ nung zum Führen eines Kraftfahrzeugs aufgehoben ist und Maßnahmen zur Si­ cherheit des Patienten und seiner Umwelt erforderlich sind. Literatur beim Verfasser. Mögliche Interessenkonflikte: keine Fazit Eine typisch verlaufende AlzheimerDemenz ist gut diagnostizierbar. Eine medikamentöse Therapie kann die Krankheitsprogression verzögern und den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen. Aufgabe des Hausarztes ist es, Patienten und Angehörige in Zusammenhang mit der Erkrankung zu beraten. Der Hausarzt 07/2014 Foto: fotolia Antidepressiva (auch SSRI) hatten in Stu­ dien nur eine ungenügende Wirksamkeit bei depressiver Symptomatik von Demenzpa­ tienten und waren mit unerwünschten Wir­ kungen verbunden, so dass der Einsatz von Antidepressiva zusehend kritischer gesehen wird. Anstelle einer Pharmakotherapie soll­ ten Möglichkeiten zur Optimierung der Pfle­ gesituation und psychosoziale Interventio­ nen erwogen werden.