Verdacht auf Depression? Wonach Sie fragen sollten

Werbung
Depressi
Hausarzt Medizin
Verdacht auf Depression?
Wonach Sie fragen sollten
Ist der Patient depressiv oder einfach nur traurig? Das ist sicherlich nicht auf Anhieb zu erkennen. Für
depressive Patienten ist der Hausarzt aber oftmals der erste Ansprechpartner. Mit wenigen Fragen können
Sie die psychische Situation des Patienten abtasten und bei Bedarf weitere Schritte einleiten.
Dr. med. Diethard
Sturm
Facharzt für Allgemeinmedizin,
Chemnitz, E-Mail:
[email protected]
In der hausärztlichen Praxis ist es nicht
sachgerecht, bei Feststellung einer depressiven Störung – einer depressiven Episode, einer rezidivierenden oder anhaltenden
affektiven Störung – reflexartig mit einem
Antidepressivum zu reagieren, bei allen Anpreisungen der Wirksamkeit und bei allem
Druck zu einer raschen und wenig zeitaufwendigen Therapieentscheidung. Die bessere Droge ist die Droge Arzt, die Empathie
im ärztlichen Gespräch, wobei das Sprechen
überwiegend beim Patienten sein muss,
beim Arzt das aktive Zuhören und das richtige Fragen.
Scores können das Sprechen nicht erset­zen, aber vorbereiten und auswerten. Der
2-Fragen-Test ist das erste Instrument, um
überhaupt die depressive Lage zu sondieren. Neben der Freudlosigkeit und Antriebslosigkeit ist vor allem die Dauer der depressiven Episode ein wichtiges Kriterium. Die
Dia­gnose Depression setzt eine Mindestdauer von 2 Wochen voraus, sonst liegt kein
krankhafter Prozess nahe. Im 2-Fragen-Test
wird sogar 1 Monat herangezogen, schon wegen der individuellen Fehlerquelle bei der
Zeitschätzung.
62
Der Hausarzt 16/2014
Foto: hikrcn / Fotolia
Diagnose
Foto: Sergey Nivens / fotolia
ion
Hausarzt Medizin
2-Fragen-Test, WHO-5-Fragebogen und Ha­
das emotionale Defizit des Erfolgs und der
Freude ausgleicht und die Bedeutung der
milton-Skala: Damit erhalten wir den Ein­
Arbeitssphäre negiert.
stieg, das Ausrufezeichen: Da ist etwas.
Dem Patienten ist damit aber noch nicht
Das Burnout-Syndrom ist nicht weit da­
geholfen. Wohl auch wenig mit dem Na­
von angesiedelt, wobei die ursprüngliche
Beschreibung als eine Krankheit der hel­
men für die Krankheit, was ja sonst laut Ba­
lint so wichtig ist, aber diese Diagnose wird
fenden Berufe, das Helfersyndrom als aus­
meist abgewehrt, denn man will ja nicht in
lösende Grundstörung voraussetzt. Nicht
die Klapse. Es gibt aber mit Griesgram über
jeder, der sich veranlasst sieht, anderen
Schwermut bis Melancholie auch alte, volks­ Menschen zu helfen, ist krank, vom Hel­
tümliche und damit leichter akzeptierba­
fersyndrom befallen. Nur wer das Helfen
braucht, um durch die Un­
re Bezeichnungen für diese
Störung, neudeutsch „mood
terordnung des Beholfe­
Der 2-Fragen-Test ist
disorder“.
nen sich wohl und mächtig
das
erste
Instrument,
zu fühlen, wer umgekehrt
Aber wir sind ja noch nicht
um die depressive Lage
bei Versagen dieser An­
so weit, dem Patienten et­
zu sondieren.
was erklären zu müssen, wir
erkennung psychisch de­
können es noch gar nicht,
kompensiert, der ist in
erst brauchen wir die wich­
der psychischen Situa­
tigen noch verborgenen Hinweise vom Pa­
tion des Helfersyndroms. Vom Helfersyn­
tienten. Was steckt dahinter? Wo ist der
drom und vom Burnout bedroht sind be­
Schlüssel?
sonders die Hochengagierten und dadurch
oft Enttäuschten, die „altruistisch Geschei­
terten“, die dann erschöpft in Resigna­tion
Fragen kann nicht schaden
und Zynismus abgleiten, verbunden mit
körperlichen Beschwerden und Depres­sion.
Vielen Patienten fällt es schwer, von sich aus
Zufriedene Menschen brennen auch bei
über Belastendes zu sprechen. Das wurde in
höchstem Arbeitspensum nicht aus,
Befragungen wiederholt nachgewiesen. Pati­
entenorganisationen betonen, dass die Ärzte
wer Unzufriedenheit schürt, schadet den
fragen müssen. Bei einer depressiven Symp­
Gefährdeten.
tomatik mit Hemmungen im Gespräch wird
das doppelt wichtig. Welche Bereiche sind
Wie glücklich/zufrieden sind Sie mit
mit wenigen Fragen abzudecken?
Ihrer familiären Situation?
Man muss nicht gleich direkt nach „Gewalt“
fragen. Fragen Sie offen nach dem Familien­
Macht Ihnen Ihre Arbeit Spaß?
leben. Wenn Ihnen das zu
Erfolglosigkeit im Beruf, Frustration
2-Fragen-Test
plump erscheint, können
durch ständige Überforderung infolge ei­
Sie sich auch lediglich nach
ner nicht den Fähigkeiten entsprechen­
dem Befinden des Partners
den Arbeitsaufgabe beschreibt Laurence
▪▪ Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niederoder, noch unverfänglicher,
Peter als Ursache von Krankheit. Die Stö­
geschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos?
▪
▪
Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust
der Kinder erkundigen. Die
rung entsteht, wenn ein Angestellter
und Freude an Dingen, die Sie sonst gern tun?
Antwort auf diese Fragen
durch Beförderung an einen Arbeitsplatz
gibt viel Einblick in das Zu­
kommt, dem er nicht gewachsen ist, oder
Quelle: Whooley MA et al. J Gen Intern Med 1997;12(7);439­–45
sammenleben der Familie.
anders gesagt, wenn er seine persönliche
Und sie liefert den Einstieg in das Gespräch
„Stufe der Inkompetenz“ erreicht hat (Pe­
und Ansatzpunkte für die Vertiefung des
ter-Prinzip). Ein Zurück auf eine niedrige­
Themas bis zum Kern: körperliche, sexuelle
re Stufe der Karriereleiter ist gesellschaft­
und psychische Gewalt. Übrigens ist Gewalt
lich nicht akzeptiert, also ist die Lage
nicht nur ein Problem von Frauen und Kin­
perspektivlos. Auswege sind ein ausfül­
dern, sondern auch von Männern. Am nach­
lendes Familienleben oder ein Hobby, das
Der Hausarzt 16/2014
63
Hausarzt Medizin
Haben Sie einmal etwas Schlimmes
erlebt, das Ihnen nicht mehr aus dem Sinn
geht, vielleicht auch in Träumen erscheint
und worüber Sie noch mit niemanden reden
konnten?
Die posttraumatische Belastungsstörung
ist in letzter Zeit stärker in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gerückt. Sie wurde insbesondere nach dem Irak-Krieg in den
USA beschrieben, aber schon früher war der
Zusammenhang einschneidender psychischer Belastungen mit gesundheitlichen Folgeerscheinungen bekannt. Wir können oder
müssen davon ausgehen, dass viele unserer älteren Patienten durch
Recht auf Traurigkeit
Krieg, Vertreibung und
Nachkriegszeit traumati„Eenmal in der Woche muss
siert sind, ohne dass sie da­
ick weenen“
rüber sprechen konnten und
sang die Chansonette Lotte Werkmeister in den
schließlich auch nicht mehr
1930er-Jahren und damit für ihr persönliches Recht
wollten. Es sind nicht immer
auf Traurigkeit. Hat ein alter Mensch, der Vieles
vordergründig depressive
durchgemacht hat und schließlich mehr oder weniStörungen, die aus solcher
ger alleingelassen worden ist, nicht auch ein Recht
Ursache entstehen, sonauf Trauer bzw. Traurigkeit?
dern vielfach Angst, Schlafstörungen, Gereiztheit und
Verhaltensstörungen sowie körperliche Beschwerden und Leistungsschwäche, die den
Patienten und seine soziale Umgebung weiter belasten und traumatisieren.
Die Behandlung ist schwierig und aufwendig, keine Sache der hausärztlichen „kleinen
Psychotherapie“, sondern braucht spezialisierte Psychotherapeuten. Aber den Zugang
Fazit für die praxis
Bei unklaren Krankheitsbildern ist es notwendig und effektiv, mithilfe
des „2-Fragen-Tests“ oder ähnlicher Suchinstrumente nach einer Depression zu fahnden. Die Bestätigung einer depressiven Störung durch
den 2-Fragen-Test reicht aber noch nicht für die Diagnose oder eine
Therapieentscheidung. Eine Therapie mit Antidepressiva setzt mehr
Diagnostik voraus.
64
zu den Spezialisten können und müssen wir
organisieren.
Im Alter: Sind Sie mit Ihrem Leben
zufrieden? Wie sehen Sie ihre Zukunft?
Noch mehr als bei jüngeren Menschen können sich depressive Störungen bei älteren
Menschen hinter körperlichen Beschwerden verbergen. Unklare bzw. unbeeinflussbare Körpersymptome, Schmerzen, Schlafstörungen, Leistungsverlust, auch Defizite in
der Alltagsbewältigung sollten daher Anlass
zum 2-Fragen-Test geben.
Im Alter mischen sich eine negative Lebensbilanz, traumatisierende Erlebnisse, Enttäuschung, Vereinsamung und Zukunftsängste
mit den hirnorganischen degenerativen Prozessen.
Auch Medikamente können die Ursache von
depressiven Störungen sein. Von den häufig
und lang dauernd eingenommenen Arzneimitteln kann das bei den fettlöslichen und
damit liquorgängigen Betablockern wie Metoprolol und Propranolol der Fall sein. So
erwünscht die dämpfende Nebenwirkung
manchmal ist: Wichtig ist, an die Nebenwirkungen zu denken und besser auf wasserlösliche Betablocker wie Biso­prolol auszuweichen. In der Geriatrie ist das auch wegen der
Sturzgefährdung angezeigt. Grundsätzlich
ist eine medikamentöse Therapie im Alter
sehr sorgfältig und zurückhaltend zu erwägen, der Effekt hinsichtlich Wirkung und Nebenwirkung zu prüfen und die Therapie bei
fehlendem Nutzennachweis abzusetzen.
Der Hausarzt als „Kuppler“
Die wichtigste antidepressive Therapie
im Alter ist menschliche Wärme, Zuwendung, Geborgenheit – und reden können, reden dürfen. Das muss nicht der
Arzt sein: Die Versorgungsassistentin in
der Hausarztpraxis (VERAH) und andere
Mitarbeiter, soziale Dienste und Vereine,
Sport- und Therapiegruppen können hier
behilflich sein. Hier sind Hausärzte als
„Kuppler“ gefordert.
Literatur beim Verfasser
Interessenkonflikte: keine
Der Hausarzt 16/2014
Foto: picture alliance
haltigsten und schwersten betrifft es allerdings Kinder. Die Betroffenen sollten Sie erst
einmal reden lassen und nicht gleich neue
Fragen stellen.
Herunterladen