TTIP und audiovisuelle Dienste – Hintergrundpapier der ARD – Die Sicherung von Meinungsvielfalt ist ein staatspolitisch wichtiges Regulierungsziel. Anlass dieser Regulierung ist die Erkenntnis, dass alleine Wettbewerb und Marktkräfte nicht zu dem für eine repräsentative Demokratie notwendigen Pluralismus führen. Die Fähigkeit der Europäischen Union, ihrer Mitgliedstaaten und deren Untergliederungen, wie etwa die deutschen Bundesländer, audiovisuelle Regulierung insbesondere in Anbetracht der technischen Konvergenz fortentwickeln zu können, sollte nicht durch internationale Handelsliberalisierung eingeschränkt oder unmöglich gemacht werden. Deshalb empfiehlt die ARD gemeinsam mit der Kultur- und Kreativindustrie in der Europäischen Union bei den TTIP-Verhandlungen audiovisuelle Dienste vom Gesamtabkommen insgesamt auszunehmen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass der Schutz und die Förderung der kulturellen Vielfalt in der EU ebenso wie die Sicherstellung von Informations-, Presse-, Meinungs- und Medienfreiheit sowie Medienpluralismus mit den Mitteln der Medienregulierung, wie sie sich in Europa nach dem zweiten Weltkrieg erfolgreich entwickelt haben, auf der Strecke bleiben. Die ARD schließt sich daher dem Lösungsansatz der Bundesländer an. Diese fordern folgende, klarstellende Formulierung im Freihandelsabkommen: „The Parties to this Agreement, including their respective Member States, reserve their right to adopt or maintain any measure (in particular those of a regulatory and/or financial nature) with respect to the protection or promotion of cultural diversity as well as media freedom and media pluralism or to preserving or developing the capacity of audio, audiovisual and other related services to serve the democratic, social and cultural needs of each society, irrespective of the technology or distribution platform used.” Zu der Formulierung nachfolgend im Einzelnen: 1. Audiovisuelle Dienste Die technischen Entwicklungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung und Konvergenz von Inhalten, Diensten, Plattformen und Netzen werden durch die bestehenden Definitionen und Klassifizierungen von Rundfunk- bzw. audiovisuellen Diensten nicht mehr adäquat abgebildet. Daher haben Bund und Länder in Deutschland verabredet, im Rahmen einer gemeinsamen Arbeitsgruppe die Grundlage für einen konvergente Medienordnung zu schaffen. Auch die EU- Kommission hat eine Überarbeitung der AVMD-Richtlinie in Angriff genommen, um Europa fit zu machen für die konvergente Medienwelt. Solange dieser Prozess der Neuordnung noch nicht abgeschlossen ist, könnten Formulierungen von Schutzformeln für audiovisuelle Dienste bei TTIP lückenhaft und in ihrer Wirkung unzureichend sein. Aus diesem Grund unterstützt die ARD das generische Konzept der Länderformel, wonach der audiovisuelle und kulturelle Bereich insgesamt ausgenommen wird. Zu bedenken ist insoweit, dass (1.) Audio- bzw. Hörfunkdienste vom Begriff der audiovisuellen Mediendienste, wie er in der AVMD-Richtlinie definiert ist, derzeit nicht erfasst werden, (2.) die konvergenzbedingte Entwicklungsdynamik erfasst werden muss (deshalb „audio, audiovisual and other related services“) und (3.) die Schutzformel um ein qualitatives Element ergänzt werden sollte, um auch zukünftige, noch nicht vorhersehbare Entwicklungen abzubilden. Die Zweckbestimmung der Ausnahmeformel stellt daher klar, dass im digital-konvergenten Medienumfeld auch künftig alle die Dienste spezifisch reguliert werden können, die dem Schutz und der Förderung der kulturellen Vielfalt, der Medienfreiheit und dem Medienpluralismus dienen, um so die demokratischen, sozialen und gesellschaftlichen Bedürfnisse der Gesellschaft sicherzustellen. Die Schutzformel darf jedoch nicht allein Audio- und audiovisuelle Dienste erfassen, sondern muss sich auch gleichermaßen auf alle die Dienste erstrecken, die dem Transport, der Erbringung, dem Zugang zu, der Auffindbarkeit von sowie allgemein der Nutzungsermöglichung der angebotenen Inhalte dienen. Dabei darf es keinen Unterschied machen, ob der Inhaltedienst stand alone oder gebündelt mit anderen Diensten angeboten wird. Deshalb sollten von der Ausnahme auch „other related services“ erfasst werden. 2. Vollständige Ausnahme Die Ausnahmeformel muss auf das ganze TTIP-Abkommen Wirkung entfalten. Es wäre unzureichend, die Schutzformel nur im Bereich der Liberalisierung des Handels in Dienstleistungen (trade in services and establishment) vorzusehen. Vielmehr muss sie gleichermaßen auch auf die Bereiche investment protection, regulatory coherence und rule making einwirken. Das lässt es geboten erscheinen, die Ausnahmeformel im Abkommen „oberhalb“ der Einzelkapitel bzw. -bestimmungen zu platzieren. Besonders geeignet erscheinen dafür die Bestimmungen zum Anwendungsbereich (scope) bzw. zu den Zielen (objectives) von TTIP. Beide sind vollumfänglich Teil eines solchen Abkommens und entfalten damit unmittelbare rechtliche Wirkung auf das Gesamtabkommen und die Vertragsparteien. Eine, wenn auch weniger geeignete, Möglichkeit wäre die Formulierung der Ausnahmeklausel in der Präambel. Allerdings gehört nach allgemeiner völkerrechtlicher Praxis die Präambel aufgrund ihres teils politischen und deklaratorischen Charakters nicht unmittelbar zum normativ wirkenden Teil eines Abkommens wie TTIP und würde deshalb im Zweifels- oder Streitfall lediglich zur interpretativen Klärung herangezogen. Das Ziel, medienspezifische Regulierung auch weiterhin aufrechterhalten zu können, wäre damit gefährdet. 3. TTIP als gemischtes Abkommen Im Einklang mit der Haltung der Bundesregierung sollte klargestellt werden, dass es sich bei TTIP um ein doppelt gemischtes Abkommen handelt. Zuletzt hat dies auch die Europäische Kommission offenbar nicht mehr in Zweifel gezogen (vgl. Karel de Gucht in Die Zeit, Nr. 25/2014), so dass eine Klarstellung ohne weiteres eingefügt werden könnte. TTIP sollte allen Parlamenten der EU-Mitgliedstaaten (und in Deutschland auch den Bundesländern) zur Ratifikation vorgelegt werden. Ein Abkommen mit solch potentiell tiefgreifender Wirkung auf die Gesellschaften der Vertragsparteien braucht eine breite gesellschaftliche Legitimationsgrundlage. Diese kann nur unter Beteiligung und mit breiter Mehrheit der Parlamente erzielt werden. 17. Juli 2014