Leuphana Universität Lüneburg Fakultät 1: Sozialwesen Diplomarbeit zum Thema: „Soziales Lernen an Bord“ Analyse und Konzeption für Klassenfahrten auf Traditionsseglern im Kontext der Schulsozialarbeit Vorgelegt von: Annika Sehlcke Matr. Nr.: 1157996 Tel.: 0171-7 30 10 76 Mail: [email protected] 1. Prüfer: Horst Kowalewski 2. Prüfer: Klaus Düwal Abgabedatum: 04.03.2009 2 Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis............................................................................................... 5 1. Einleitung ................................................................................................................ 6 2. Soziale Kompetenz ................................................................................................. 9 2.1 Definition „soziale Kompetenz“ ........................................................................ 9 2.2 Bildung sozialer Kompetenzen ........................................................................ 15 2.2.1 Theoretische Grundlagen .......................................................................... 15 2.2.2 Die Rolle der Eltern bei der Herausbildung sozialer Kompetenzen ......... 21 2.2.3 Erziehung zur sozialen Kompetenz in der Schule .................................... 24 2.2.4 Die Rolle der Peer Group.......................................................................... 25 2.3 Defizite in der Entwicklung sozialer Kompetenzen......................................... 26 2.3.1 Aggression bei Kindern und Jugendlichen ............................................... 29 2.3.2 Mobbing und Diskriminierung.................................................................. 32 2.4 Themenfelder der Förderung sozialer Kompetenz........................................... 35 2.4.1 Wahrnehmung ........................................................................................... 36 2.4.2 Kommunikation ........................................................................................ 36 2.4.3 Interaktionen ............................................................................................. 41 2.4.4 Konflikte ................................................................................................... 42 2.4.5 Soziales Lernen in der Gruppe.................................................................. 42 3. Veränderte Lebensbedingungen für Kinder und Jugendliche ........................ 44 4. Die aktuelle Situation der Schule........................................................................ 48 4.1 Soziales Lernen und Bildung in der Schule .................................................... 52 4.2 Motivation der SchülerInnen in der Schule ..................................................... 53 4.3 Gewalt und Diskriminierung in der Schule...................................................... 56 4.4 Schulsozialarbeit .............................................................................................. 57 4.5 Mediation in der Schule ................................................................................... 62 4.5.1 Bedingungen für eine erfolgreiche Implementierung eines Mediationsprojektes .................................................................................. 65 4.5.2 Mediation und Schulsozialarbeit............................................................... 67 3 5. Klassenfahrten auf Traditionsseglern ................................................................ 68 5.1 Die Geschichte des Lernens auf See ................................................................ 68 5.1.1 Darstellung eines „klassischen“ Sailtrainings am Beispiel des erlebnispädagogischen Konzeptes der Thor Heyerdahl............................ 70 5.1.2 Eine Differenzierung der Angebote auf Traditionsseglern ....................... 72 5.2. Beschreibung der Situation einer Klassenfahrt auf einem Traditionssegler in den Niederlanden ....................................................................................... 72 5.2.1 Traditionssegler auf dem Islemeer ............................................................ 73 5.2.2 Die Situation auf dem Schiff.................................................................... 75 5.2.3 Die soziale Situation auf dem Schiff......................................................... 77 5.2.4 Situation der LehrerInnen ......................................................................... 78 5.2.5 Situation der SchülerInnen........................................................................ 79 5.2.6 Situation der SchiffsführerInnen............................................................... 81 5.3 Spezielle Lernfelder auf Traditionsseglern ...................................................... 83 5.4 Das Potenzial einer Klassenfahrt im Allgemeinen.......................................... 87 6. Konzeption für Klassenfahrten auf Traditionsseglern..................................... 90 6.1 Begründung für eine Konzepterstellung .......................................................... 90 6.2 Ziele des Konzeptes ......................................................................................... 92 6.3 Angewandte Methoden in dieser Konzeption .................................................. 92 6.3.1 Erlebnispädagogik als Methode ................................................................ 93 6.3.2 Interaktionspädagogik............................................................................. 101 6.3.3 Mediation ................................................................................................ 104 6.4 Grundlagen der Umsetzung des Konzeptes ................................................... 107 6.4.1 Verhaltensregeln ..................................................................................... 107 6.4.2 Verhalten und Rolle der TrainerInnen .................................................... 108 6.4.3 Anforderungen an den Kapitän ............................................................... 110 6.5 Struktur des Programms................................................................................. 111 6.6 Exemplarische Wiedergabe eines vollständigen Programmablaufs .............. 119 7. Abschließende Betrachtung .............................................................................. 122 Literaturverzeichnis............................................................................................... 125 4 Abbildungsverzeichnis Abb. 01 Grundstruktur des Wertequadrates S. 12 Abb. 02 Vertrauen als Tugend im Wertequadrates S. 12 Abb. 03 Einflussfaktoren auf die Psychosoziale Kompetenz S. 14 Abb. 04 Prozessmodell S. 16 Abb. 05 Verschiedene Wirkungsebenen S. 26 Abb. 06 Kreislaufmodell der Aggression S. 28 Abb. 07 Akteure beim Mobbingprozess S. 32 Abb. 08 Die "Anatomie einer Nachricht" S. 35 Abb. 09 Kommunikationsprozess mit Feedback S. 37 Abb. 10 Motivationsmodell 1 S. 53 Abb. 11 Motivationsmodell 2 S. 53 Abb. 12 Das Lernzonenmodell S. 94 Abb. 13 Experiential Learning Cycle S. 98 Abb. 14 Konfliktlösung S. 105 5 1. Einleitung In den Handlungssituationen auf einem Traditionssegler1 liegt ein pädagogisches Potential, das zu sozialem Lernen anregen und in der Arbeit mit Jugendlichen genutzt werden kann. In der Erlebnispädagogik wird die Arbeit auf Schiffen schon lange als pädagogisches Lernfeld genutzt. Umso erstaunlicher ist es, dass zahlreiche Klassenreisen auf Traditionsseglern durchgeführt werden, ohne dass das pädagogische Potenzial genutzt wird. Auf den niederländischen Schiffen machte ich die Erfahrung, dass die SchülerInnen auf ihrer Klassenfahrt sich mehr oder weniger selbst überlassen waren. Das betraf die Konflikte, die sich zwangsläufig aus einem gemeinsamen Leben und Arbeiten an Bord ergaben, sowie die Verarbeitung der Erlebnisse und Erfahrungen, die sie in dieser Zeit an Bord machten. Dabei bieten diese Reisen ein beachtliches Lernfeld im Bereich der sozialen Kompetenzen. Ich habe viele Reisen mit Jugendlichen auf Schiffen begleitet und längere Zeit als Maatin2 an Bord eines Traditionsseglers gearbeitet. Weitere Tätigkeiten als erlebnispädagogische Trainerin und die Erfahrungen aus einer studienbegleitenden Ausbildung zur Mediatorin unterstützten die Erkenntnis der positiven Erfolge dieser Methoden. Durch die eigenen Erfahrungen an Bord wurde mein Interesse geweckt, die Nutzung des pädagogischen Potenzials auf Traditionsseglern bei Klassenreisen zu verbessern. Ein weiterer Gesichtspunkt motivierte mich, mich dem Thema zu widmen: Soziale Kompetenzen beeinflussen den Schulerfolg und schützen gleichzeitig vor psychosozialen Krisen (vgl. NIEBANK und PETERMANN 2000, in JUGERT et al. 2007, S. 10) "Während vor 15 Jahren noch zwei bis vier Kinder pro Klasse auffällig waren, spricht man heute von 30 bis 50 Prozent auffälligen Kindern. Und im Jahr 2008 waren bereits 20 Prozent aller 18 Jährigen nicht arbeitsfähig. Die Tendenz scheint steigend zu sein." (WINTERHOFF in TENZER 2008, S. 62) Diese Zahlen belegen nicht nur die Notwendigkeit sozialen Lernens, sondern auch die Suche nach alternativen Lernformen, bzw. nach besserer Ausnutzung vorhandener Potenziale in diesem Bereich. Grundsätzlich ist dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb sollte auch die Schule ein Interesse daran haben, die Herausbildung der sozialen 1 Als Traditionssegler werden älter Segelschiffe und Segelboote bezeichnet, die weitgehend in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten sind, oder in diesen zurückversetzt wurden. 2 MaatInnen leiten die Kommandos an die Mannschaft weiter und sind für deren sachgemäße Ausführung verantwortlich. 6 Kompetenzen bei Jugendlichen zu unterstützen. Soziale Kompetenzen sind auch hilfreich in Hinblick auf die Chancen am Arbeitsmarkt, bei der Suche einer Ausbildungsstelle oder einer Anstellung und werden von den Arbeitgebern zunehmend erwartet. In der Auseinandersetzung mit diesem Thema treten weiter Fragen auf, die im Verlauf dieser Diplomarbeit beantwortet werden sollen; Was ist konkret unter sozialen, emotionalen und kommunikativen Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen zu verstehen und wie lassen sie sich vermitteln und fördern? In Bezug auf die Schule ist auch die Frage interessant, in welchem Verhältnis sie zu fachlichen Kompetenzen stehen? Und ist die Schule ein Ort, in dem ihnen zur Zeit möglich ist, diese Kompetenzen in ausreichendem Maße zu erlernen? Auf der wissenschaftlichen Ebene gibt es zahlreiche Veröffentlichungen, die sich mit Segelreisen für Jugendliche beschäftigen. Ich möchte diese Erkenntnisse, in Hinblick auf Klassenfahrten auf Traditionsseglern, in meiner Konzeption zusammenführen. In dieser Arbeit soll deshalb die Frage untersucht werden, ob ein Traditionssegler im Rahmen der derzeitigen Nutzungsbedingungen in den Niederlanden, ein geeignetes Handlungsfeld für Schüler ist, um die Zielsetzung der Förderung von sozialen Kompetenzen auf Klassenfahrten zu verwirklichen und wie eine Konzeption hierfür aussehen könnte. Diesem Thema widme ich mich in dieser Arbeit und werde unterschiedliche Methoden und Disziplinen zusammenführen, um das pädagogische Potenzial besser zu nutzen. Dabei wird auch die Institution Schule eine Rolle spielen, denn sie bildet den Kontext aus dem heraus die SchülerInnen auf Klassenreise gehen. In der anschließenden Konzeption werde ich einen möglichen alternativen Programmvorschlag zu den herkömmlichen Klassenreisen auf Traditionsseglern machen. Ziel des Konzeptes ist es, bewusst pädagogische Zielsetzungen in die Arbeit mit den Jugendlichen an Bord zu implementieren. Obwohl die Betrachtung alle Traditionssegler betrifft, bezieht sich diese Arbeit speziell auf die Traditionssegler, die unter Niederländischer Flagge fahren3. Sie unterliegen anderen Nutzungsbedingungen als Traditionssegler, die unter deutscher Flagge fahren. Eine Betrachtung aller Traditionssegler dieser Art wäre in diesem 3 Unter niederländischer Flagge fahren bedeutet, dass die Gesetze und Bestimmungen der Niederlande für das Betreiben des Schiffes gelten 7 Rahmen zu umfangreich. Obwohl die Betrachtung alle Traditionssegler betrifft, bezieht sich diese Arbeit speziell auf die Traditionssegler in den Niederlanden. Sie unterliegen anderen Nutzungsbedingungen als Traditionssegler, die unter deutscher Flagge fahren.4 Um zu der zentralen Frage zu kommen, ob Klassenfahrten auf Traditionsseglern in den Niederlanden sich dazu eignen, soziale Kompetenzen von SchülerInnen zu fördern, soll im zweiten Kapitel durch die Darstellung der theoretischen Grundlagen, der Beschreibung, der Entstehung, der Entwicklung und der Förderung von sozialen Kompetenzen eine wissenschaftstheoretische Grundlage geschaffen werden. Im dritten Kapitel wird die Lebenswelt der Jugendlichen beschrieben, auf denen aufbauend dann im folgenden vierten Kapitel ein Teil dieser Lebenswelt, die Schule, näher betrachtet wird. In diesem Kapitel wird auch auf den Kontext der Schule, der Schulsozialarbeit und der Förderung sozialer Kompetenzen eingegangen. Die Mediation wird als eine Methode vorgestellt, die bei einer ganzheitlichen Implementierung in Schulen diesen Prozess unterstützen kann. Bevor dann die Methoden des Konzeptes vorgestellt und erläutert werden, werden die grundsätzlichen Bedingungen einer Segelreise auf Traditionsseglern in Kapitel fünf beschrieben und das pädagogische Potenzial, sowie die Funktion einer Klassenfahrt in Kapitel sechs. Am Anfang des siebten Kapitels widme ich mich dann den Überlegungen, wie auf dieser Grundlage Segelreisen mit pädagogischem Hintergrund gestaltet werden können. Ziel ist hierbei, ein pädagogisches Konzept für Klassenfahrten auf Traditionsseglern zu entwickeln, das ab dem Kapitel 7.5 beschrieben wird. Ich werde Fußnoten für die Erläuterungen der nautischen und seemännischen Fachbegriffe nutzen, da diese für die LeserInnen, die nicht aus diesem Fachbereich kommen, zum besseren Verständnis einer erklärenden Ergänzung bedürfen die, integriert in den Text, den Lesefluss erheblich stören würde. Ich habe eine Schreibweise gewählt die alle Geschlechter berücksichtigt. Bei wörtlichen Zitaten ist die Schreibweise aus dem Originaltext übernommen worden. 4 Für Schiffe, die unter deutscher Flagge fahren, gelten die deutschen Rechte. 8 2. Soziale Kompetenz In diesem Kapitel widme ich mich den theoretischen Grundlagen, der Beschreibung, der Bildung, der Entwicklung und der Förderung von sozialen Kompetenzen und der Entstehung von sozialen Kompetenzdefiziten. Alle Menschen haben gewisse Bedürfnisse, die befriedigt werden wollen und im Laufe des Lebens entwickelt jeder Mensch bestimmte Strategien, um seine Bedürfnisse innerhalb seiner sozialen Umwelt zu befriedigen. Ob und wie gut ihnen dies gelingt, ist abhängig von persönlichen Eigenschaften, sowie Ausprägung und Einsatz bestimmter sozialer Kompetenzen mit ihrer sozialen Umwelt in Kontakt zu treten. Die Schwierigkeit eines „sozial kompetenten Verhaltens“ zeigt sich in der Abwägung zwischen individuellen Bedürfnissen und sozialer Anpassung (vgl. STROBL 2008, S. 21 und HANSEN 2008, S. 27). 2.1 Definition „soziale Kompetenz“ Wenn wir uns dem Begriff der sozialen Kompetenz nähern wollen, so müssen wir uns dem menschlichen Verhalten und seinen bestimmenden Faktoren zuwenden. Was für ein Verhalten gezeigt wird, ist abhängig von zahlreichen unterschiedlichen Faktoren: Menschliches Verhalten ist determiniert; durch die Motivation, die Situation und die Verhaltenserwartungen potenzieller oder tatsächlicher Interaktionspartner. PARSON führt dies weiter aus und beschreibt drei Systeme: das personale System, das auf Bedürfnisse und Motivationen aufbaut, das soziale System, das sich auf Interaktionen konstituiert und das kulturelle System für den Bereich normativer und kognitiver Bedürfnisse und Symbole (vgl. LAMNEK 2007, S. 16). Den Begriff der "Sozialkompetenz" hat HEINRICH ROTH (1969) geprägt. Er schrieb dem Menschen drei Kompetenzbereiche zu: Selbstkompetenz, Sozialkompetenz, Sachkompetenz (vgl. SEYD 2000, S. 1). Diese Kompetenzbereiche lassen sich weiter aufschlüsseln in einzelne Kompetenzbereiche, wie z.B. GROB und MERKI sie beschreiben: Sie nennen Kommunikationsfähigkeit, verschiedene Komponenten Kooperations- und sozialer Kompetenz. Koordinationsfähigkeit, 9 Konfliktfähigkeit und Teamfähigkeit, sowie Empathie, Sensibilität, interpersonale Flexibilität und Durchsetzungsfähigkeit zählen zu diesen Kompetenzen. Sie verstehen soziale Kompetenz als einen Sammelbegriff, der sich aus vielen einzelnen Fähigkeiten zusammensetzt. Deshalb sprechen sie auch nicht von der "sozialen Kompetenz", sondern von "sozialen Kompetenzen" woraus sich ergibt, dass es keine allgemeingültige Begriffserklärung gibt. (vgl. GROB und MERKI in DE BOER 2008, S. 20) Aus diesen Beschreibungen von sozialen Kompetenzen lassen sich eine Reihe von konkreten beobachtbaren Verhaltensbeschreibungen formulieren. Es besteht jedoch keine Übereinstimmung in der Literatur bei der Beschreibung konkreter Verhaltensweisen, die sozial kompetentes Verhalten ausmachen. Ich möchte hier beispielhaft einige konkrete Verhaltensweisen, die öfter beschrieben werden, aufzählen, um zu verdeutlichen, worum es geht. Diese konkret beobachtbaren Verhaltensweisen lassen sich auch als Feinziele bezeichnen und sich den Grobzielen, die nicht konkret beobachtbar sind sondern allgemeine Fähigkeiten beschreiben, unterordnen. Mögliche Feinziele sind: Nein sagen, Versuchungen zurückweisen, auf Kritik angemessen reagieren , Änderungen bei störendem Verhalten verlangen, Widerspruch äußern, Unterbrechungen im Gespräch unterbinden, sich entschuldigen, Schwächen eingestehen, Komplimente akzeptieren, Komplimente machen, auf Kontaktangebote reagieren, Gespräche beginnen und beenden, erwünschte Kontakte arrangieren, unerwünschte Kontakte beenden, um Gefallen bitten und Gefühle offen zeigen, etc. (vgl. GAMBRILL 1995a, in HINSCH). Anhand dieser Aufzählung wird deutlich, dass diese sozialen Verhaltensweisen sich der Umwelt vor allem auf der kommunikativen Ebene zeigen. "Kommunikation steht offenbar im Zentrum der Sozialkompetenz; sie wird in allen Konstrukten an erster Stelle genannt" (SEYD 2000, S. 3). Zur Kommunikation zähle ich an dieser Stelle nicht nur verbale Bestandteile, wie effektive Aufforderungen, Befehle, Fragen, Kommentare, Ausdruck eigener Gefühle und Bedürfnisse etc., sondern auch nonverbale Kommunikation mit Hilfe derer man in Kontakt mit seiner Umwelt tritt; dazu gehört auch die Körpersprache, wie Gesichtsausdruck, Gestik, Mimik, 10 Blickkontakt, Distanzverwendung, Körperhaltung, Intonation, Lautstärke, usw. Dies unterstreicht die Wichtigkeit kommunikativer Kompetenzen als Vorraussetzung für einen erfolgreichen Kontakt zur sozialen Umwelt. In Anlehnung an DÖPFER möchte ich folgende allgemeine Definition zur Arbeitsgrundlage machen: "Unter sozialer Kompetenz verstehen wir die Verfügbarkeit und Anwendung von kognitiven, emotionalen und motorischen Verhaltensweisen, die in bestimmten sozialen Situationen zu einem langfristig günstigen Verhältnis von positiven und negativen Konsequenzen für den Handelnden führen" (HINSCH, PFINGSTEN 2002, S. 5). In dieser Definition wird berücksichtigt, dass das Zeigen sozial kompetenter Verhaltensweisen stark situationsabhängig ist und eine grundsätzlich vorhandene Fähigkeit nicht in jeder Situation gezeigt wird oder werden kann. Dies spielt auch in unserem Zusammenhang eine wichtige Rolle, denn es ist möglich, dass ein bestimmtes „unsoziales“ Verhalten z.B. nur in der Schule gezeigt wird oder nur bei einer bestimmten Lehrkraft. Soziale Kompetenz ist also immer abhängig von der jeweiligen Situation und der individuellen Wahrnehmung. Jede Situation zeichnet sich durch ganz bestimmte Gegebenheiten aus. Diese lassen sich nach PFINGSTEN in drei Kategorien einteilen: So finden wir in jeder Situation soziale Bedingungen, die die an der Situation beteiligten Personen betreffen ,wie z.B. Alter, Geschlecht, Rollenverteilung, kultureller und gesellschaftlicher Hintergrund. Des weiteren finden wir räumliche und zeitliche Bedingungen, wie z.B. die Uhrzeit und die Beschaffenheit der Räume, sowie persönliche Bedingungen, die in einer Situation auf die beteiligten Personen wirken, wie z.B. eigene Ziele, Interessen, Stimmungen und Bedürfnisse (vgl. HINSCH, PFINGSTEN 2002, S. 14). Das bedeutet, dass je nach vorhanden spezifischen Faktoren die eine Situation kennzeichnen, in jeder Situation unterschiedliche Anforderungen an das Verhalten gestellt werden. Es macht einen Unterschied, ob ich bei meiner Familie, bei Freunden oder von Geschäftspartnern zum Essen eingeladen werde, denn bei einem sozial kompetenten Verhalten werden die vorhanden Bedingungen zu einer Anpassung des Verhaltens führen (vgl. HINSCH, PFINGSTEN 2002, S. 14–15). 11 Bei der Einteilung in sozial kompetentes und nicht sozial kompetentes Verhalten stoßen wir auf Probleme bei der Kategorisierung, denn soziale Kompetenz lässt sich, wie bereits angesprochen, nicht pauschal bestimmten Personen zuschreiben, da niemand immer nur, ungeachtet der Situation, sozial kompetente Verhaltensweisen an den Tag legt. So kommt es zunächst darauf an, ein Bewusstsein für sozial kompetentes Verhalten zu schaffen und die Handlungsmöglichkeiten zu erweitern, so dass dem Individuum in einer sozialen Situation eine Auswahl an Verhaltensmöglichkeiten zur Verfügung steht, zwischen denen es sich entscheiden kann. Dadurch wäre es bei Ärger zum Beispiel möglich, nicht die einzig bekannte und dadurch auch einzig mögliche Handlungsstrategie der Gewalttätigkeit anzuwenden, sondern eine andere auszuwählen. Die Wahrnehmung einer Situation beeinflusst entscheidend die Reaktion und welches Verhalten von einer Person gezeigt wird. Eine besondere Form der Reaktion, die HINSCH beschreibt, ist eine Form der Vermeidung. Ein sozial kompetentes Verhalten setzt voraus, dass eine Aufgabe überhaupt in Angriff genommen und ihre Lösung nicht vollständig vermieden wird" (HINSCH, PFINGSTEN 2002, S. 16). Hierzu gibt PFINGSTEN ein Beispiel: Wenn der Kellner einem Gast ein Essen serviert, das er nicht bestellt hat, könnte er der Lösung des Problems entgehen, indem er das Essen nicht reklamieret, sondern das Gericht isst, obwohl es ihm nicht schmeckt; dies wäre eine Vermeidung der Problemlösung. Er vermeidet die Konfrontation und die Auseinandersetzung mit dem Kellner, muss aber eine innere Dissonanz aushalten, da ihm das Essen eigentlich nicht schmeckt. Anders gestaltet sich die Sache, wenn er gar nicht wahrnimmt, dass er ein anderes Essen bestellt hat als ihm der Kellner gebracht hat. Der Aufgabencharakter einer Situation ergibt sich erst aus der Wahrnehmung und kognitiven Verarbeitung der handelnden Person. Wenn nicht wahrgenommen wird, dass ein falsches Essen geliefert wurde, stellt sich der Person auch keine Aufgabe, die es zu lösen gilt Es existiert für die handelnde Person in dem Moment keine Dissonanz zwischen dem eigenen Bedürfnis und der Situation. 12 Ich möchte noch einen weiteren Aspekt ansprechen, der mir bei der Betrachtung sozialer Kompetenzen und deren Förderung im Bildungsbereich wichtig erscheint: Wer beurteilt, ob ein Verhalten sozial kompetent ist oder nicht? KRAPPMANN stellt fest, dass soziales Lernen oft vom Ergebnis aus beurteilt wird. Wenn SchülerInnen gesprächsbereit und friedlich sind, wird ihnen zugeschrieben, sie wären sozial kompetent. In diesem Sinne heißt „sozial kompetent“ den Anforderungen der Erwachsenen zu entsprechen. Hier liegt meiner Meinung nach auch eine Gefahr in der Diskussion um soziale Kompetenz, die nicht mit Anpassung an äußere Anforderungen verwechselt werden sollte. KRAPPMANN konnte auch beobachten wie sich SchülerInnen aus guten Gründen dafür entschieden, den Anforderungen der Erwachsenen nicht zu entsprechen. Um zu dieser Entscheidung zu kommen, gilt es eine Reihe von Beweggründen und Folgen ihrer Entscheidung gegeneinander abzuwägen. Sie müssen die Situation analysieren und die Relevanz ihres Verhaltens einschätzen, bevor sie ein Urteil fällen und eine Handlung planen. Diese Beweggründe bleiben den LehrerInnen oder Erwachsenen oft im Verborgenen und so bleiben die Handlungen manchmal auch unverständlich (vgl. KRAPPMANN 2008, S. 26). Im Gegensatz zu medizinischen Modellen, in denen KlientInnen eher von der Seite der Defizite bzw. seiner Defekte beschrieben wird, fragt man bei Kompetenzkonzepten auch nach positiven Ressourcen, also nach schon vorhandenen positiven Verhaltensanteilen, die es zu fördern gilt. Dies möchte ich anhand des Wertequadrates nach SCHULZ VON THUN verdeutlichen. Die Wertequadrat-Struktur baut auf der Vorstellung auf, dass jede Tugend und Fähigkeit als die rechte Mitte zwischen zwei fehlerhaften Extremen zu bestimmen ist basiert es auf dem Bild einer dynamischen Balance zwischen den Polen. Die Grafik in Abb. 01 zeigt die Grundstruktur des Wertequadrates. In der Grafik in Abb. 02 soll diese an einem Beispiel veranschaulicht werden. 13 Abb. 01, Grundstruktur des Wertequadrates (vgl. VON THUN 2003b, S. 38 ff.) Abb. 02, Vertrauen als Tugend im Wertequadrates (vgl. VON THUN 2003b, S. 38 ff.) Ich möchte dies an einem Beispiel verdeutlichen: Das Vertrauen, das ohne den positiven Gegenwert „die Vorsicht“ zur naiven Vertrauensseligkeit verkommt, um wird aber auch umgekehrt „die Vorsicht“ ohne Vertrauen zum paranoiden Misstrauen. Jede negative Eigenschaft hat einen positiven Gegenpol, der entwickelt werden kann. Demnach hat auch jede andere „negative“ Tugend und Fähigkeit einen positiven Gegenwert. Das Ziel ist hierbei keine statische Verhaltensweise, sondern eine dynamische Balance zwischen den Polen. Diese Grafik des Wertemodells macht die Grundlage eines nicht defizitorientierten Ansatzes deutlich. Es zeigt, wie in jeder Fähigkeit eine positive und eine negative Ausprägung vorhanden sind und dass sich in jeder negativ erscheinenden Ausprägung ein positiver Kern erkennen lässt, den es zu fördern gilt (vgl. VON THUN 2003b, S. 38–55). 14 2.2 Bildung sozialer Kompetenzen Eine Reihe von inneren Verarbeitungsprozessen entscheidet darüber, wie sich eine Person verhält, ob sie ein sozial kompetentes oder inkompetentes Verhalten zeigt. Bei der Herausbildung sozialer Kompetenzen geht es unter anderem um komplexe Lernprozesse, in denen soziale, emotionale und kommunikative Kompetenzen gebildet werden. Der Prozess des Lernens ist wiederum in ein Bedingungsgefüge von Zielen, Situationen, Beteiligten und situativer Rahmung integriert (vgl. DE BOER, 2008, S. 30). 2.2.1 Theoretische Grundlagen Bei den Bedingungen und der Entstehung der psychosozialen Entwicklung überschneiden sich viele wissenschaftliche Gebiete. Angefangen im Säuglingsalter bis Kinder- und Jugendzeit gibt es viele Bedingungen und beteiligte Personen und Instanzen, die an der Herausbildung psychosozialer Kompetenzen eines aufwachsenden Individuums mitwirken. Eine erfolgreich aufgebaute soziale Kompetenz und die aus ihr resultierenden Fähigkeiten, wirken als Schutzfaktoren. Sie schützen sowohl davor zum Täter als auch zum Opfer, Mitläufer oder Zuschauer gewalttätiger sozialer Interaktionen zu werden, indem das Individuum sich durch seine Kompetenzen in seiner sozialen Umwelt besser behaupten kann (vgl. GEBAUER 2007, S. 89). Die Grafik in Abb.03 soll einen Überblick geben über die unterschiedlichen und vielfältigen Forschungsgebiete, in denen Faktoren zu finden sind, die Einfluss auf die Herausbildung sozialer Kompetenzen haben. 15 Abb.03, Einflussfaktoren auf die Psychosoziale Kompetenz, (GEBAUER 2007, S. 88) Ich möchte im Folgenden einige Modelle näher beschreiben, die mir in Bezug auf das anschließende Konzept wichtig erscheinen, werde jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht auf alle Bereiche eingehen, da nicht alle Bereiche für die spätere Auswahl der Methoden zur Förderung der sozialen Kompetenzen bei SchülerInnen von Bedeutung sind. Modell sozial-kognitiver Informationsverarbeitung "Unter dem Begriff der sozial-kognitiven Informationsverarbeitung ist der kognitive Verarbeitungsprozess zu verstehen, der zwischen der Wahrnehmung einer sozialen Situation und dem daraus resultierenden Handeln einer Person liegt (vgl. DÖPFNER, 1989 in JUGERT et al. 2007, S. 29–32). DODGE (1993) spricht von einem mentalen Prozess, der stufenweise abläuft und der die kognitiven und emotionalen Aspekte in die Informationsverarbeitung mit einbezieht. Anhand dieses Modells können Defizite 16 auf verschiedenen Stufen der Informationsverarbeitung erklärt werden. Fünf Stufen werden nach DODGE während einer Handlungsentscheidung durchlaufen. 1. Wahrnehmung der Situation Die Wahrnehmung steht am Beginn jeden Verarbeitungsprozesses. Hier werden alle relevanten Informationen erfasst und hier spielt eine angemessene Selbst- und Fremdwahrnehmung eine wichtige Rolle. 2. Interpretation der Informationen Aus den wahrgenommenen Reizen müssen die Gefühle, Motive und Gedanken der InteraktionspartnerInnen erkannt werden, um externe und interne Ursachen von Handlungen erkennen zu können. Diese Interpretation der Reize wird von emotionalen Bedürfnissen und Zielen des Einzelnen beeinflusst. 3. Suche nach Handlungsalternativen Verschiedene Lösungsmöglichkeiten werden aus dem Gedächtnis gerufen. 4. Bewertung der Reaktionsmöglichkeiten und Auswahl der Reaktion Bei der Auswahl der Reaktion können während der Entscheidungsfindung eigene moralische Urteile und Wertvorstellungen eine Rolle spielen. Auch die zu erwartenden Konsequenzen auf das ausgewählte Verhalten bezüglich der interpersonalen, intrapersonalen und instrumentellen Ergebnisse sind von Bedeutung 5. Ausführung der Handlung Die ausgewählte Reaktion wird umgesetzt. (vgl. JUGERT et al. 2007, S. 29–32) HINSCH und PFINGSTEN beschreiben diesen Ablauf in sozialen Situationen ähnlich und verdeutlichen den Prozess der Informationsverarbeitung an einem Modell. 17 Abb.04, Prozessmodell in (HINSCH, PFINGSTEN 2002, S. 14) Nach dem Prozessmodell von PFINGSTEN wird eine soziale Situation wahrgenommen, kognitiv sowie emotional verarbeitet und führt dann auf dieser Grundlage zu einem bestimmten beobachtbaren Verhalten, das wiederum in der Umwelt Konsequenzen auslöst, die auf die Person zurückwirken. Diese Rückkopplung zeigt sich in verschiedenen Formen: Erstens durch eine direkte Verhaltensmodifikation in der jeweiligen Situation. Die Person reagiert durch kontinuierliche Steuerung ihres Verhaltens auf ihr Gegenüber. Zum Beispiel, wenn der Gesprächspartner nicht zu verstehen scheint, wird lauter gesprochen. Zweitens zeigt sich eine weitere Form der Rückkoppelung in kurzfristigen Konsequenzen auf ein bereits vollendetes Verhalten, z.B. das Gespräch ist beendet und die andere Person ist sauer. Drittens finden wir auch langfristige Formen von Konsequenzen auf ein Verhalten, wenn z.B. aufgrund des Gesprächs und des anschließenden Ärgers der Kontakt zu der Person in Zukunft vermieden wird oder dieser Person in Zukunft von vorne herein unfreundlich begegnet wird (vgl. HINSCH, PFINGSTEN 2002, S. 16). 18 Sozial-kognitive Lerntheorie und Prozesse sozialen Lernens Lernen am Modell nach BANDURA (1986), bezieht sich auf den Beobachtungsaspekt von Verhalten. Verhalten wird nach dieser Theorie durch Beobachten und Nachahmen erworben. Auch die Beobachtung von strafenden oder belohnendem Konsequenzen, die die Modellperson erfährt, kann Verhalteshemmungen hervorheben oder schwächen. BANDURA formulierte vier Prozesse, die die Vorraussetzung dafür bilden, dass Verhalten von Modellen übernommen werden kann. 1. Aufmerksamkeit und ihre Bedingungen: Modelllernen funktioniert nur, wenn auch die Aufmerksamkeit auf das Modell gerichtet ist. Diese Aufmerksamkeit muss geweckt und erhalten werden. Der Status, die Kompetenz und Sachkenntnis der Modellperson spielen hierbei eine Rolle. Um neues Verhalten erlernen zu wollen, muss eine ausreichende Motivation vorhanden sein. Dies ist abhängig von Haltungen, die auf bereits erfahrenen Verstärkungen beruhen. 2. Gedächtnis und seine Optimierung: Um das beobachtete Verhalten später ausüben zu können muss es bildlich oder verbal gespeichert werden. Die Schwierigkeit liegt darin, dass oft nicht das Wesentliche mit seinen Details behalten wird, sondern eine eigene innere Übersetzung davon. Für den Prozess des Behaltens vom Wesentlichen ist eine symbolische oder motorische Wiederholung mit Feedback nötig. 3. Ausführen von Verhalten: Einüben und Ausführen von Verhalten ist der Schwerpunkt dieser Phase. 4. Motivation mit den unterschiedlichen Arten der Verstärkung: Die notwendige motivierende Verstärkung erfolgt nach BANDURA (1986) durch direkte äußere Anreize, wie die materielle Verstärkung in Form Geld, Essen oder neuer Kleidung, sowie Lob, Anerkennung und Zuwendung (=soziale Verstärkung). Auch eine stellvertretende Verstärkung durch Modellpersonen, die Belohnung für ein gezeigtes Verhalten erfährt, ist denkbar. Selbstverstärkung meint sich selber für ein Verhalten zu belohnen und diese Belohnung bei Nichterfüllung wegzulassen. Nach PETERMANN ist davon auszugehen, dass die vier Prozesse nicht vollständig durchlaufen wurden, wenn trotz mehrmaliger Darbietung sozial angemessenen 19 Verhaltens von Modellen, dieses Verhalten nicht gezeigt wird. Diese Defizite haben Einfluss auf den Lernerfolg (vgl. PETERMANN & PETERMANN in JUGERT et al. 2007, S. 33). Das Konzept der Selbstwirksamkeit BANDURA (1994) erweiterte später die sozial-kognitive Lerntheorie um das Konzept der Selbstwirksamkeit, welches ich hier kurz beschreiben möchte und auf welches in späteren Kapiteln nochmals zurückgegriffen wird. Selbstwirksamkeit meint die eigene Überzeugung durch eigenes Handeln Ziele zu erreichen und Einfluss auf seine Umwelt zu nehmen. Die Motivation zu einer Handlung wird von der Kompetenzund Ergebniserwartung einer Person kognitiv beeinflusst (BANDURA 1994, in JUGERT et al. 2007, S. 35–36). Es geht hierbei um die innere Überzeugung eine schwierige Handlung mit Erfolg ausführen zu können. TEASDALE (1978) und DÖPFNER (1989) gehen davon aus "dass Handlungen nur dann ausgeführt werden, wenn eine positive Ergebniserwartung und eine hinreichend hohe Kompetenzerwartung vorliegen" (JUGERT et al. 2007, S. 35–36). Kognitive Prozesse beeinflussen entscheidend das Verhalten. "Gedanken, Gefühle und Verhalten wirken wechselseitig aufeinander und müssen daher bei einer Verhaltensmodifikation Berücksichtigung finden" (LAUTH 1983, in JUGERT et al. 2007, S. 36). Geringes Selbstvertrauen kann unter anderem daraus resultieren, dass zu viele Zweifel an den eigenen Fähigkeiten vorhanden sind und die Überzeugung das eigene Leben nicht zufriedenstellend beeinflussen zu können. Niedrige Selbstwirksamkeitserwartungen führen signifikant häufiger zu Stresssymptomen als bei Personen mit einer positiv ausgeprägten Selbstwirksamkeitserwartung (ebd.). Weitere Folgen einer niedrigen Selbstwirksamkeitserwartung sind: eine negative Grundstimmung, Mutlosigkeit und ein Gefühl, Opfer von äußeren Umständen zu sein. Dies bestätigen BANDURA (1986, 1994), SELIGMAN (1986) und SCHWARZER (1987) in (JUGERT et al. 2007, S. 37). „Personen, die Vertrauen in die eigene Handlungskompetenz entwickeln konnten, erleben ihre eigene Wirksamkeit durch kompetentes, zielorientiertes Handeln. Sie zeigen sich in der Lage, vielfältige Möglichkeiten der Problembewältigung zu entwickeln und Misserfolge zu 20 überwinden. Dies führt zur Bewältigung von immer schwierigeren Problemen und zum Aufbau von Selbstvertrauen und Selbstsicherheit." (JUGERT et al. 2007, S. 37) Wenn Jugendliche die Erfahrung machen, dass ihr eigenes Handeln zu von ihnen beabsichtigten Konsequenzen führt, dann wirkt dies verstärkend und führt zu einem höheren Selbstvertrauen. (vgl. JUGERT et al. 2007, S. 43). 2.2.2 Die Rolle der Eltern bei der Herausbildung sozialer Kompetenzen Einige Verhaltensgenetiker vertraten zwischenzeitlich die Ansicht, dass Eltern in dem Leben ihrer Kinder vollkommen unwichtig seien. Sie behaupteten, dass die Gene die entscheidenden Faktoren sind, die das Verhalten bestimmen und gegen diese Vererbung nicht „gegenan“ erzogen werden kann. Dies wurde bereits von EntwicklungspsychologInnen widerlegt. Inzwischen liegen neue Untersuchungen vor, sie widerlegen und differenzieren das Bild und bestätigen den Einfluss der Familie (vgl. KUCKLICK 2002). „Gene sind demnach kein Schicksal. Zwar bestreiten auch Sozialisationsforscher nicht mehr, dass Erbanlagen einen erheblichen Einfluss auf die Kindesentwicklung ausüben - Gene prädisponieren beispielsweise in unterschiedlichem Ausmaß die Fähigkeiten und die Fertigkeiten von Kindern, ihre Probleme und Talente. Aber all diese genetische Risiken und Chancen wirken sich meist erst unter entsprechenden Erziehungsbedingungen aus“ (KUCKLICK 2002). Somit tragen auch die Eltern einen Teil dazu bei, ob ihre Kinder soziale Kompetenz erlernen oder nicht. Des Weiteren haben verschiedene Komponenten des elterlichen Erziehungsstils und das Verhältnis zwischen den Ehepartnern Einfluss auf gewalttätiges Verhalten der Kinder (vgl. EISNER, RIBEAUD 2003, S. 194). Der Jugendpsychiater MICHAEL WINTERHOFF macht auch darauf aufmerksam, dass der Entwicklungsstand vieler Kinder und Jugendlicher denen von Kleinkindern entspricht, denn sie versuchen ihr Leben rein nach dem Lustprinzip zu führen. Er macht hierfür die Eltern verantwortlich, weil sie ihre Kinder nicht kindgerecht erziehen (vgl. TENZER 2008, S. 61). Was kindgerechte Erziehung bedeutet, gilt es zu ergründen und es gibt individuell sehr unterschiedliche Meinungen dazu. In den USA und in Australien beschäftigt man sich schon sehr lange mit dem Thema, was Mütter und Väter in ihrer Erziehung besser machen können. Hier wurden auch die 21 Grundlagen zu dem Elterntraining gelegt. Neue, methodisch solide Studien bringen Erkenntnisse darüber, ob und wie Eltern auf ihre Kinder einwirken. Sie zeigen, dass anders als viele Verhaltensgenetiker im vergangenen Jahrzehnt immer wieder behauptet haben, Eltern einen enormen Einfluss auf die Entwicklung ihrer Kinder haben. Nach diesen Studien lässt sich sagen, dass Eltern eine effektive und gute Erziehung lernen können und es lässt sich auch ziemlich genau bestimmen, wie diese aussehen sollte (vgl. KUCKLICK 2002). Oftmals bemühen sich Eltern, durch Drohen, Schimpfen oder Schlagen unerwünschtes Verhalten auszutreiben, statt erwünschtes Kinderverhalten zu fördern, doch es entspricht nicht dem, wie Kinder lernen. Die Mitglieder eines solchen Systems entwickeln gezwungenermaßen ein Verhalten, das darauf ausgerichtet ist, einander nicht durch Belohung und Aufmerksamkeit zu beeinflussen, sondern durch Bestrafung und Demütigung. Dies kann bei Kindern Aggressionen provozieren. Davon geht auch GERALD PATTERSON, der Begründer eines Erziehungsansatzes, dem „Positive Parenting Program“ aus. Sein Ansatz baut auf die Theorien von SKINNER (1961) auf (vgl. KUCKLICK 2002). Dies deckt sich auch mit den Ansichten von MARSHALL B. ROSENBERG der in seinen Ausführungen über gewaltfreie Kommunikation von einem Grundbedürfnis nach Wertschätzung spricht, das, wenn es erfüllt wird, soziales Verhalten fördert. Eine Studie des "Social Learning Center" in Eugene, im US-Bundesstaat Oregon, unter der Leitung von MARION FORGATCH belegt den Erfolg von systemischen Elterntrainings. Ihre "experimentelle Interventionsstudie" zeigt, dass Interventionen in Form von Eltern-Erziehungskursen signifikante Erfolge gegenüber der Kontrollgruppe bei den Eltern und den Kindern verzeichnen konnten. Den Kindern der trainierten Mütter ging es in vielen Bereichen besser. Im Vergleich zu den Kindern der Kontrollgruppe waren sie weit weniger aggressiv, verübten weniger Straftaten, waren seltener depressiv, trieben sich seltener mit anderen Problemkindern herum, gehorchten eher und ihre Lesefähigkeit hatte sich verbessert. Die Lehrer, die nicht wussten, welche Mütter an dem Programm teilnahmen, beschrieben diese Kinder als positiv verändert. Weiterhin zeigte die Studie, dass auch die Mütter Vorteile erfuhren: Sie litten seltener unter Depressionen und wiesen weniger Partnerwechsel auf als die Kontrollgruppe (vgl. KUCKLICK 2002). 22 Es lassen sich aus diesen Ausführungen drei entscheidende Dimensionen der Erziehung herausarbeiten: Liebe, klare transparente Regeln, auf deren Einhaltung bestanden wird und die Förderung der Persönlichkeit und der Kreativität. Dieser Erziehungsstil wird als "autoritativ" bezeichnet. LAURENCE STEINBERG ist Professor der Psychologie an der „Temple University“ in Philadelphia und beschäftigt sich mit diesem Erziehungsstil. Nach STEINBERG ist es entscheidend, dass in der Erziehung von Kindern streng zwischen Verhalten und Persönlichkeit unterschieden und angemessene Umgangsformen praktiziert werden. Schlechtes Benehmen sollte nicht mit einem Angriff auf die Persönlichkeit beantwortet werden, indem das Kind als „Trottel“ oder „VersagerIn“ bezeichnet wird. Die Studie hat nach STEINBERG die Effektivität belegt. Sie zeigt, dass nach diesem Stil erzogene Kinder meist über ein größeres Selbstbewusstsein verfügen, sie sind seltener depressiv, ängstlich oder aggressiv, sie absolvieren die Schule meist ohne Probleme und konsumieren weniger Drogen (vgl. Kucklick 2002). Die Erziehung muss sich auch mit Konsequenzen von unsozialem und unerwünschtem Verhalten beschäftigen. Diese Konsequenzen sollten Gerechtigkeit und Verantwortungsübernahme anstreben. Nach BUEB gibt es fünf Bedingungen, die eine gerechte Strafe auszeichnen. „Erstens: Sie muss vorher bekannt sein. Zum Beispiel: Wenn du unerlaubt fernsiehst, wird die Kiste drei Tage ausgeschaltet. Zweitens: Sie muss angemessen sein. Das TV-Gerät sollte also nicht drei Monate ausgeschaltet werden. Drittens: Sie muss sofort erfolgen. Viertens: Das Delikt muss, wenn die Strafe abgedient ist, vergessen werden. Fünftens: Jede Strafe muss mit einem Hilfsangebot verbunden sein. Das Kind muss das, was es falsch gemacht hat, wieder gutmachen können“ (GEO Kompakt 2008). Auch das eigene Vorleben der Eltern spielt eine wichtige Rolle. Wie sie ihre Beziehung zu ihrem/ihrer PartnerIn gestalten und wie sie miteinander umgehen, hat Auswirkungen auf das spätere Verhalten des Kindes. Die Forschung hat in vielen Studien den Nachweis gebracht, dass ein überdurchschnittliches Risiko eigener Gewaltausübung bei den Jugendlichen besteht, die in ihrer Vergangenheit 23 regelmäßig Zeugen von gewaltsamen Konflikten zwischen den Eltern waren (vgl. GELLES/STRAUSS in EISNER/RIBEAUD 2003, S. 194). Diese Zusammenfassung soll einen Überblick geben über Möglichkeiten von Eltern zu einer sozial kompetenten Erziehung ihrer Kinder beizutragen, denn ein Training sozialer Kompetenzen allein, kann keine durchgängig defizitäre Erziehung auffangen. 2.2.3 Erziehung zur sozialen Kompetenz in der Schule Die Schule ist ein weiterer Baustein bei der Herausbildung sozialer Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen. In dem Kapitel 4.1. werden die Bereiche und Möglichkeiten beschrieben, in denen die Schule zur Bildung sozialer Kompetenz beitragen kann. Es sind mindestens neun Jahre, die zur Herausbildung und Förderung sozialer Kompetenzen genutzt werden können. Die Schule kann dazu beitragen, negative Erfahrungen nicht zu verstärken, positives Sozialverhalten zu fördern und Diskriminierung und Gewalt keinen Nährboden bieten. Wie wichtig es ist, sozial kompetentes Verhalten zu fördern und sich der, in der Schule, in Erscheinung tretenden Aggressivität einiger SchülerInnen anzunehmen, zeigt auch eine Studie von FARRINGTON (1991). Diese belegt, dass aggressive Verhaltensweisen, die sich im Kindheitsalter zeigen, beibehalten werden. Er konnte den Zusammenhang zwischen der Aggressivität achtjähriger Kinder und der späteren Gewalttätigkeit als 30-jähriger feststellen. (vgl. KASSIS 2008, S. 60). Indem die Schule sich positiven Projekten der Prävention und Demokratisierung zuwendet, hilft sie ein gutes Schulklima aufzubauen. Dies kann z.B. durch die Umsetzung von Gewaltpräventions-, Konfliktschulungs-, Demokratisierungs-, Mediations- oder Streitschlichterprogrammen geschehen. Eine Möglichkeit unter vielen, dies praktisch umzusetzen, ist die Einführung von Klassenräten. Der Klassenrat ist ein Selbstbestimmungsorgan, ein Instrument der Demokratie, an dem alle Klassenmitglieder gleichberechtigt teilnehmen. "Der Klassenrat kann Konflikte innerhalb der Klasse klären, Konflikte von Schülern mit Lehrern klären, über Erkundungen beraten, über Unterrichtsmethoden beraten und über Lerninhalte beraten. Dadurch werden unter anderem das Gemeinschaftsgefühl gestärkt, 24 demokratische Einstellungen und kommunikative Kompetenzen gefördert, sowie das selbstständige Lernen unterstützt." (MINISTERIUM FÜR KULTUR 2008, S. 39) 2.2.4 Die Rolle der Peer Group "Die Peergruppe [...] sind diejenigen, denen sich Kinder und Jugendliche zugehörig fühlen, in deren Gemeinschaft sie gleichrangig sind und sich somit als Gruppe von anderen (Erwachsenen) abgrenzen. In der Erziehungswissenschaft versteht man unter diesem Begriff eine Gruppe von gleichaltrigen Heranwachsenden, die meist aus demselben Milieu stammen und die ähnliche oder übereinstimmende Interessenlagen haben" (OPP et al. 2006, S. 13). Der Begriff „peer“ stammt vom lateinischen „par“, „paris“ ab, welches man mit „gleich“ übersetzen kann und Gleichrangige oder Ebenbürtige bezeichnet. (ebd.) Der Rolle der Peer Group wird neben der der Eltern eine hohe Bedeutung zugesprochen, was die Sozialisation betrifft. Die traditionelle Bedeutung der Kernfamilie hat sich verändert, da ab der mittleren Kindheit mehr Zeit mit Gleichaltrigen als mit den Eltern verbracht wird. Dadurch dürfte die Bedeutung der Peer Group für Kinder und Jugendliche angestiegen sein, Freundschaftsnetzwerke und Peergruppen sind wichtige Faktoren in der Verhaltensentwicklung (BEELMANN, RAABE 2007, S. 94). "Je mehr das soziale Kapital der Lebenswelten erodiert, je weniger die umgebende Erwachsenenkultur von Liebe, Freundschaft und Fürsorge geprägt ist, desto stärker wird die Orientierung an der Peerkultur ausfallen" (OPP et al. 2006, S. 15). Während viele Untersuchungen und Studien sich mit dem negativen Einfluss von Peers untereinander beschäftigen, stellt die Positiv Peer Culture die positiven Seiten in den Vordergrund, sie schreibt der Peer Culture positive entwicklungs- und persönlichkeitsstärkende Potenziale zu (vgl. OPP et al. 2006, S. 13). Die Idee, die darauf aufbaut, ist das Positive Peer Counseling, eine Beratung durch Gleichgesinnte. Der Ansatz beruht darauf, den Heranwachsenden die Kompetenzen und Fähigkeiten zuzutrauen, die sie brauchen, um ihre Probleme im Kreis Gleichgesinnter ernsthaft bearbeiten und lösen zu können. Hier setzt auch die Peer Mediation an, auf die ich noch zu sprechen komme und die auch in meinem Konzept vorgesehen ist. Dieses Vertrauen in die Kompetenzen der Jugendlichen wird durch 25 die Resilenzforschung legitimiert, welche belegt, dass ein Drittel von Kindern, die unter massiven sozialen Risiken aufwuchsen, ihr Leben als Erwachsene ohne soziale Auffälligkeiten meisterten. Dies ist möglich, wenn ein wesentlicher unterstützender Faktor zum Tragen kommt, wenn andere Personen da sind, die Unterstützen, Hilfe anbieten und Sicherheit geben und eine gute emotionale Bindung an FreundInnen vorhanden ist (vgl. OPP et al. 2006, S. 13–14). Daraus folgt, dass Jugendliche in ihren Peergroups soziale Kompetenzen erwerben können. Der Umgang mit Gleichaltrigen bietet einen Raum, in dem sie sich ausprobieren können, unter ihresgleichen Erfahrungen sammeln können und Feedback auf ihr Verhalten bekommen. Ein gewisses Maß an sozialen Fähigkeiten ist Vorraussetzung, um gute emotionale Bindungen, wie sie in Freundschaften bestehen, aufbauen zu können. 2.3 Defizite in der Entwicklung sozialer Kompetenzen Unter sozialen Kompetenzproblemen versteht man Defizite in der Entwicklung sozialer Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sich in unterschiedlichen Verhaltensformen und Intensität ausdrücken können. Dieses Verhalten wird auch als abweichendes Verhalten oder Devianz bezeichnet. Hierzu zählen unter anderem innerer Rückzug, extreme Schüchternheit, Aggression, Gewalt, bis hin zu kriminellen Handlungen (vgl. JUGERT et al. 2007, S. 39 ff.). Defizite in der Herausbildung sozialer Kompetenzen führen zu einer Störung des sozialen Umfeldes. Dennoch geht es bei der Herausbildung sozialer Kompetenzen nicht darum, so zu sein wie es der Umwelt passt, weil es ein Vorteil der sozialen Umwelt ist. Das Problem sozial inkompetenten Verhaltens liegt nicht nur in der vermeintlichen Störung des Umfeldes, sondern es hat auch zur Folge, dass die Person die dieses Verhalten zeigt, nach diesem Modell vermehrt mit für sie unangenehmen negativen Konsequenzen rechnen muss, mit denen sie konfrontiert wird. Auf lange Sicht betrachtet ist also dieses Verhalten für die Person, die es ausübt selber nicht effektiv, wenn wir davon ausgehen, dass jeder Mensch ein Bedürfnis nach Bestätigung hat. 26 Eine verstärkte Form der Devianz ist die Jugendkriminalität. Auf dieser Stufe der Devianz geraten die Jugendlichen mit dem Gesetz in Konflikt. Dieses Verhalten wird dann als Delinquent bezeichnet. (vgl. LAMNEK 2007, S. 14). Es sind viel konkurrierende Theorien verfasst worden über dir Ursachen von Jugendgewalt. Zahlreiche Bedingungsfaktoren für Jugendgewalt sind empirisch nachgewiesen, es ist unklar wie sie zusammenwirken und es existieren in der Forschung geteilte Meinungen über Ursache- und Wirkungsketten (vgl. EISNER, RIBEAUD 2003, S. 182). Allgemein lässt sich sagen, dass bei allen Erklärungsansätzen von sozialem oder unsozialem Verhalten immer Norm, Sanktion, soziale Kontrolle und Situation in der Konzeption berücksichtigt werden sollten. Ursachen und Auswirkungen In Bezug auf die Schule kann deviantes Verhalten von Jugendlichen dadurch entstehen, dass sie bei einem Scheitern in Bezug auf die schulischen Leistungsanforderungen und den dadurch fehlenden Status, diesen versuchen durch Devianz zu erreichen. Sie verlagern ihr Handeln in Bereiche, in denen sie Erfolg und Anerkennung durch ihr Umfeld erhalten (vgl. JUGERT et al. 2007, S. 41). „Zahlreiche Studien haben auf engen Zusammenhang zwischen leistungsbezogenem Versagen, sowie der damit verbundenen Wahrnehmung ungünstiger berufs- und bildungsbezogener Zukunftschancen und dem Entstehen von Jugendkriminalität hingewiesen“ (vgl. ELLIOT, HUIZINGA, MERANO, 1989, JESSOR, DONOVAN, COSTA, 1991 in HURRELMANN 2008b, S. 62). Es gilt als gesichert, „dass vor allem Jugendliche aus sozial problematischen Familien, sowie aus Familien mit ungünstigen materiellen und wohnlichen Bedingungen bei Überrepräsentiert kriminellen ist darüber Verhaltensweisen hinaus der Anteil überrepräsentiert sind. derjenigen, ohne der Berufsausbildung und ohne Beschäftigungsverhältnis kriminell wird. Kriminalität bietet somit vielfach den Endpunkt einer langen Kette von Belastungen durch ungünstige Sozialisationsbedingungen in der Familie, geringen Schulerfolg, fehlenden Schulabschluss, mangelhafte oder fehlende Berufsausbildung und Arbeitslosigkeit" (HURRELMANN 2008b, S. 61). "Die Feststellung gravierender sozialer Defizite bei Schülern führt automatisch zu der Frage, wie diese Defizite in der begrenzten Zeit verringert werden können. Dabei 27 kann es keine Patentrezepte geben, sondern lediglich Erfahrungen, die den völlig unterschiedlichen Ausgangssituationen angepasst werden müssen" (MINISTERIUM FÜR KULTUR 2008, S. 35). Auch soziale Ängste können eine Ursache sein. Es spricht einiges dafür, dass soziale Ängste meist die primäre Störung darstellen, die sozialen Kompetenzstörungen vorausgehen, weil sie anderen Störungen zeitlich vorausgehen. Soziale Angststörungen sind eine Form von sozialen Kompetenzproblemen, aber nicht die einzige. Nach HINSCH und PFINGSTEN besteht eine begründende Beziehung zwischen sozialen Kompetenzproblemen und psychischen Störungen (vgl. HINSCH, PFINGSTEN 2002, S. 233). Es existiert kein einheitlicher Erklärungsansatz für alle Formen der Devianz. Vielmehr lässt sich eine Systematik von Erklärungsansätzen ausfindig machen, die sich auf unterschiedliche Ebenen beziehen. Individuum Individu 1. Ebene 2. Ebene 3. Ebene 4. Ebene Abb. 05 Verschiedene Wirkungsebenen, Grafik (nach EISNER und RIBEAUD in RAITHEL et al. 2003, S. 187) EISNER und RIBEAUD beschreiben vier Wirkungsebenen und einen Kern, in dem sich das Individuum mit seiner ihm eigenen Motivationsstruktur befindet. Die Erklärungen der unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen beziehen sich 28 meist auf eine Ebene von diesem Modell, die Grenzen der Wirkungsebenen sind jedoch fließend, ergänzen und überschneiden sich. Die Ebenen wirken bei der Entstehung von sozialen Kompetenzdefiziten und Gewalt in unterschiedlichem Ausmaß zusammen. Auf der ersten Wirkungsebene befindet sich die primäre Sozialisationsinstanz, die Familie. Auf der Zweiten Ebene spielen alle unmittelbaren Netzwerke, die von direkten regelmäßigen Interaktionen mit Gleichaltrigen, Nachbarn, Lehrpersonen, etc. geprägt sind, eine Rolle und die dritte Ebene enthält das erschlossene weitere Umfeld eines Stadtteils, einer Stadt oder Region mit den jeweiligen Strukturen von Vergemeinschaftungen. Als Handlungsmustern, vierte Ebene Ressourcenverteilungen gelten und gesamtgesellschaftliche Institutionen, Strukturen und kulturelle Muster (vgl. EISNER, RIBEAUD 2003, S. 187). 2.3.1 Aggression bei Kindern und Jugendlichen Aggression zeigt sich nicht nur in einer offenen Form der Gewalttätigkeit, sondern auch in einer verdeckten und indirekten Form, die die Beziehungen zu Gleichaltriegen oder die Gefühle der sozialen Zugehörigkeit und Akzeptanz zu beschädigen versucht. Diese Form wird als soziale oder relationale Aggression bezeichnet. Dazu gehören Intrigen, Mobbing und Gerüchte. Auch diese Form der Aggression geht mit bedeutsamen psychosozialen Beeinträchtigungen für das Opfer einher und löst weitere Aggressionen aus (vgl. JUGERT et al. 2007, S. 41). "Zu den Entstehungsbedingungen aggressiven Verhaltens gehören familiäre Einflüsse ebenso wie genetische und persönlichkeitsspezifische“ (SCHEITHAUER & PETERMANN, 2000 in JUGERT et al. 2007, S. 41). Aggressives Verhalten wird hauptsächlich durch Verstärkung von außen, durch die Reaktionen der Beteiligten, auch des Opfers selbst, aufrechterhalten. Ein Nebeneffekt ist manchmal auch ein materieller Gewinn, der verstärkend wirken kann. Auch die Bewunderung eines solchen Verhaltens durch Gleichaltriege wirkt verstärkend. So bildet sich ein Kreislauf, der dazu beiträgt, aggressives Verhalten aufrecht zu erhalten. In Anlehnung an OLWEUS (1996) wird der Kreislauf in der folgenden Grafik wiedergegeben (vgl. JUGERT et al. 2007, S. 41). 29 Abb. 06, Kreislaufmodell der Aggression. (JUGERT et al. 2007, S. 41) Ein Modell zur Erklärung aggressiven Verhaltens bei Kindern und Jugendlichen stützt sich auf das bereits beschriebene Modell sozial-kognitiver Informationsverarbeitung, welches DODGE (1993) entwickelte. Er beschreibt den Weg von einem wahrgenommenen Reiz bis zur aktiven Reaktion in einzelnen Stufen. Dieses Modell ist vor allem deshalb für diese Arbeit wichtig, da es möglich ist, die Informationswahrnehmung und Verarbeitung durch gezielte Aktionen und Übungen zu schulen und zu beeinflussen. Ich habe das Modell in seinen Grundzügen bereits in Kapitel 2.2.1 beschrieben und möchte hier noch einmal speziell auf den Aspekt der Entstehung von aggressivem Verhalten nach diesem Modell eingehen. Nach diesem Modell lassen sich Aggressionen auf Defizite auf den verschiedenen Stufen der Informationsverarbeitung erklären und analysieren und daraus lassen sich wiederum Interventionen ableiten. Durch eine verzerrte Wahrnehmung werden von aggressiven Personen, auf der ersten Stufe von diesem Modell überwiegend feindliche Reize aus der Umwelt wahrgenommen und unbedrohliche bleiben unbeachtet. Die Wahrnehmung wird weiterhin beeinflusst durch ein mangelndes Differenzierungsvermögen, welches 30 zwischen der eigenen Personen und einer fremden unterscheiden sollte (vgl. PIAGET & INHELDER 1955, in JUGERT et al. 2007, S. 30 ff.). Dies führt dazu, dass eigene aggressive und feindliche Gedanken der anderen Person unterstellt werden. Personen mit aggressivem Verhalten stehen eher unter Anspannung, da sie sogar neutrale Reize als feindlich interpretieren .Dies führt zu einer erhöhten inneren Anspannung, die die Person in Alarmbereitschaft versetzt und deshalb aggressives Handeln begünstigt. Wenn diese Person dementsprechend häufig mit aggressivem Verhalten reagiert beeinflusst dies auch die Interaktionspartner, die bei mehrmaligen Begegnungen mit dieser Person mit aggressivem Verhalten rechnen werden und dieser somit eher mit Ablehnung, Bestrafung oder auch mit aggressivem Verhalten begegnen werden. Hier zeigt sich, dass ein Kreislauf der Aggression aufrechterhalten wird, indem sich die Person, die das aggressive Verhalten zuerst in die Interaktion einbrachte, in ihrem Verhalten bestätigt fühlt (vgl. JUGERT et al. 2007, S. 30 f.). Die Zweite Stufe beschäftigt sich mit der Interpretation der Information. „Je eher ein bedrohliches, schädliches oder hinderliches Ereignis erwartet wird, desto wahrscheinlicher wird der Reiz auch als solcher interpretiert“ (JUGERT et al. 2007, S. 31). Weitere Defizite wurden bei der Fähigkeit festgestellt, fremde Rollen zu übernehmen und sich in andere hineinzuversetzen um dessen Situation und Absichten besser zu verstehen. (ebd.) Auf der dritten Stufe, werden alle Reaktionsmöglichkeiten aus dem Gedächtnis abgerufen und überprüft um auf die Situation zu reagieren. Dabei reagieren aggressive Personen weniger positiv und bieten weniger durchdachte Problemlösungen an. Infolgedessen verhalten sie sich auch weniger prosozial oder beziehungsfördernd. Bei neu zu erschließenden sozialen Kontakten zeigen sie aufgrund ihrer Erwartung ein eher destruktives Verhalten, dass sich in verbalen oder physischen Aggressionen äußert. Entsprechend reagieren auch die anderen auf solche Provokationen. Wenn eine Reaktion nicht zum beabsichtigten Erfolg geführt hat, wird nicht nach weiteren Lösungsmöglichkeiten gesucht (vgl. DODGE 1993, JUGERT et al. 2007, S. 31). Bei der vierten Stufe geht es um die individuelle Entescheidungsfindung. Wenn eine Person mehrmals mit aggressivem Verhalten erfolgreich war, wird gelernt, dass „der Nutzen der Aggression größer ist als die negativen Folgen, was zu einer positiven Ergebniserwartung führt.“ Nur die kurzfristigen Folgen des aggressiven 31 Handelns werden berücksichtigt und "aggressive Handlungen werden als leicht durchführbar wahrgenommen" (JOFFE et al., 1990). "Wenn diese kurzfristigen Folgen erfolgsversprechend und wenig bedrohlich erscheinen, wird die Handlung ausgeführt" (JUGERT et al. 2007, S. 32). 2.3.2 Mobbing und Diskriminierung Ich beziehe mich in diesem Kapitel speziell auf die Formen von Gewalt und Diskriminierung, die im Kontext der Schule eine Rolle spielen. Unter abweichendem, aber nicht kriminellem Verhalten, lässt sich auch Mobbing und Diskriminierung in der Schule einordnen. Dieses Verhalten hat oft, wenn es gezeigt wird, keine formellen Sanktionen, sondern informelle positive oder negative Sanktionen. Die SchülerInnen, die KlassenkammeradInnen auslachen, haben keine schlechtere Benotung in der Klassenarbeit, die eine formelle Sanktion wäre, zu erwarten. Durch die KlassenkameradInnen könnte das Verhalten jedoch informell sanktioniert werden, indem sie den/die SchülerIn, in der Pause meiden oder auf andere Art und Weise zeigen, dass sie mit dem diskriminierenden Verhalten nicht einverstanden sind. Diskriminierendes Verhalten sollte auch nicht dadurch unterstützt werden, indem es schweigend akzeptiert wird. Eine spezielle Form der Diskriminierung und Gewalt in der Schule ist das Mobbing oder auch Bullying. "Der Begriff Mobbing kommt vom engl. "to mob" = schikanieren, anpöbeln. Mobbing bedeutet, dass eine Person belästigt oder ausgegrenzt wird (ALSAKER 2005, in GEBAUER 2007, S. 29). Die gemobbte Person gerät in eine hilflose Position. Bei Mobbing spielt auch der Zeitfaktor eine wichtige Rolle; man spricht nur dann von Mobbing, wenn die Schikanen systematisch und wiederholt auftreten und sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Einmalige Ereignisse dürfen daher nicht als Mobbing angesehen werden. Auch wenn zwei etwa gleiche Parteien in gewalttätige Auseinandersetzungen geraten, spricht man nicht von Mobbing" (GEBAUER 2007, S. 29). Die angegriffene Person erlebt sich als unterlegen. Bullying (engl.: tyrannisieren) wird im schulischen Kontext als Synonym für Mobbing verwendet (vgl. MINISTERIUM FÜR KULTUR 2008, S. 49). Darüber hinaus verwenden manche Autoren “Bullying”, wenn körperliche Gewalt oder deren Androhung eine dominierende Rolle spielten. In der Regel weisen Mobbing- und Bullyingfälle in der Schule die nachstehenden Verhaltensweisen auf: 32 • Ausgrenzung aus der Klassengemeinschaft • Beschädigung von Schulsachen und Materialien • körperliche Gewalt oder deren Androhung • Auslachen • Verstecken von Kleidungsstücken • ungerechtfertigte Beschuldigungen • Knuffen, Stolpern lassen und Schlagen auf dem Pausenhof • Erpressung und Bedrohung • sexuelle Belästigung „Die Auswirkungen der Schikanen werden bei Kindern und Jugendlichen mit zunehmender Dauer immer mehr sichtbar: Nervosität, Schlafstörungen, Depressionen, Krankheiten, Ausreden, um den Sportunterricht zu meiden, häufiges Fehlen ohne Entschuldigung" (vgl. MINISTERIUM FÜR KULTUR 2008, S. 49). „Mobbing hat Einfluss auf das Klassenklima und beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit der betroffenen Schüler und Schülerinnen“ (GEBAUER 2007, S. 31). Mobber wollen Macht ausüben und den anderen verletzen, ohne selber getroffen zu werden. Dem Mobbingopfer ist es oft nicht möglich, sich aus eigener Kraft aus der Situation zu befreien. Wenn Mobbing in einer Schule oder einer Klassengemeinschaft stattfindet, sind oft mehrere Personen beteiligt, selbst wenn wir nur einen aktiven Akteur vorfinden, so gibt es häufig noch außer dem Mobber und dem Opfer Zuschauer und Mitläufer. "Forschungen von MECHTHILD SCHÄFER, München, haben herausgefunden, dass diese Rollen auch im späteren Leben beibehalten werden. Mobbing beginnt oft schon in der Grundschule. Mobbing ist ein Gruppenprozess und als solcher zu begreifen. Nicht die gemobbten Personen sind schuld, sondern der Kontext, die Umgebung, die sie zu Opfern macht. (…) Mobbing hat Spätfolgen: Wer über längere Zeit Opfer gewesen ist, fühlt sich als Erwachsener emotional verlassen, leidet unter einem geringen Selbstwertgefühl und hat Probleme, Freundschaften zu schließen.” (M.SCHÄFER in MINISTERIUM FÜR KULTUR, 2008, S. 49) 33 Abb.07, Akteure beim Mobbingprozess (GEBAUER 2007, S. 34) Die Grundstruktur von Mobbing (Abb. 07) ist meist so angelegt, dass der/die TäterIn nicht alleine bleibt, sondern von MitläuferInnen unterstützt wird. Es gibt nicht immer eine scharfe Trennung zwischen MitläuferInnen und TäterIn. Täter und MitläuferInnen versuchen Macht, zum Beispiel durch Gewaltandrohung, auf das Opfer auszuüben und es zu demütigen. Je öfter TäterInnen erleben dass sie diese Macht auf MitschülerInnen erfolgreich ausüben können, desto mehr verfestigen sich die Mobbingstrukturen. Oft ist die Gewaltanwendung auch nicht offen erkennbar, sondern spielt sich auf einer subtilen Ebene ab, die weniger konkret ist und es somit für das Opfer schwieriger macht, sich Hilfe zu holen (vgl. GEBAUER 2007, S. 34). Kennzeichnend ist auch, dass die Opfer selbst meist von den Vorgängen überrascht sind und keine nachvollziehbaren Erklärungen für die offenen oder verdeckten Angriffe und Demütigungen von ihren MitschülerInnen finden können. Dadurch, dass die Opfer die Situation nicht durchschauen, ihre Wahrnehmung ihnen diffus erscheint und sie sich aufgrund dessen schämen, wird die Handlungsfähigkeit geschwächt. Oft geht dies einher mit Gefühlen von Ohnmacht und Hilflosigkeit (vgl. GEBAUER 2007, S. 64). Mögliche Ursachen finden wir in der individuellen Erfahrung, die in der Vergangenheit gemacht wurden und die sich auf die Entwicklungsgeschichte und somit auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirken. Innere Leere und Unsicherheit und ein nicht ausreichend entwickeltes Selbstwertgefühl, die aufgrund vergangener 34 Erfahrungen in der Kindheit entstanden sind, lösen ein Bedürfnis nach Auflösung dieser Gefühle aus. Diesem Ohnmachtgefühl wird versucht, Abhilfe zu schaffen, indem es zu Machtausübung über andere und Omnipotenzgefühlen kommt (vgl. GEBAUER 2007, S. 32 ff.). Mobbing ist auch eine mögliche Folge unsicherer Bindungserfahrungen in der Kindheit (vgl. GEBAUER 2007, S. 43). Des Weiteren können allgemeine negative Einflussfaktoren, die die Auftrittswahrscheinlichkeit erhöhen, benannt werden: die gesellschaftliche Situation, Perspektivlosigkeit Jugendlicher, geringe Ausbildungschancen, familiäre Entwurzelung, negative Vorbilder im sozialen Umfeld der Familie und auch in den Medien. "Oft kann sich Mobbing nur dadurch ereignen, weil Lehrer den emotional-sozialen Vorgängen in einer Klasse keine oder eine zu geringe Beachtung schenken" (GEBAUER 2007, S. 31). "Ein starkes Selbstwertgefühl scheint die beste Vorraussetzung dafür zu sein, gut mit einer Mobbingsituation umgehen zu können. Eine innere Stabilität hilft am ehesten, die Destruktion und Verworrenheit, die solchen Situationen anhaften, zu durchschauen und handlungsfähig zu bleiben" (GEBAUER 2007, S. 63). 2.4 Themenfelder der Förderung sozialer Kompetenz Aufgrund der Vielzahl bereits zur Verfügung stehender Konzepte und Sozialkompetenztrainings werden im Folgendem keine einzelnen Trainingskonzepte im Detail vorgestellt, sondern die Themenfelder, in denen die Förderung der sozialen Kompetenz ansetzt, zusammenfassend beschrieben. Die grundsätzlichen Themenfelder, die in diesen Konzepten mit unterschiedlichen Methoden für die Zielgruppe der Jugendlichen in Gruppen bearbeitet werden, ähneln sich häufig. Meistens werden folgende Themenfelder bearbeitet: Wahrnehmung, Gefühle, Kommunikation, Gruppendynamik (Rollen in der Gruppe), Interaktionen, Konflikte sowie Themenblöcke zu Aggression, Gewalt, Mobbing. 35 2.4.1 Wahrnehmung "Die Wahrnehmung der eigenen Gefühle, Gedanken und Handlungskompetenzen ist Vorraussetzung für Kommunikation und Interaktion mit anderen" (DE BOER 2008, S. 21). Nach dem Modell von DODGE (siehe Kapitel 2.2.1) steht die Wahrnehmung am Beginn jeden Verarbeitungsprozesses, der während einer Handlungsentscheidung durchlaufen wird. Es müssen alle relevanten Informationen erfasst werden. Bei diesem Prozess spielt eine angemessene Selbst- und Fremdwahrnehmung eine Rolle. Aus den wahrgenommenen und interpretierten Reizen resultiert dann die Reaktion. Durch gezielte Übungen und Feedback kann die Selbst- und Fremdwahrnehmung geschult werden. 2.4.2 Kommunikation Miteinander kommunizieren zu können ist keine angeborene Fähigkeit oder Begabung, sondern ein Lernprozess, der angeregt und gesteuert werden kann. Durch Übung des miteinander Kommunizierens kann diese Fähigkeit gefördert und verbessert werden. Durch die gemeinsame Erarbeitung von Regeln für Gespräche und Feedback in einer Schulklasse kann hierfür eine gute Grundlage geschaffen werden (DE BOER 2008, S. 27). Ich möchte zunächst näher auf einige wichtige grundlegende Aspekte der Kommunikation eingehen, da diese eine Basis für den Austausch zwischen Individuen ist. Die nonverbale Kommunikation wird in diese Aspekte mit einbezogen. Fast jedes Konzept zur Förderung der sozialen Kompetenz widmet sich in einem Part der Kommunikation. Sie ist die nächste Stufe des kognitiven Prozesses nach der Wahrnehmung und der Informationsverarbeitung. Durch Kommunikation ist es möglich Gefühle, Gedanken und Wissen auszutauschen und mit seiner Umwelt in Interaktion zu treten, sowie sein Handeln nach außen durch Erklärung transparent zu machen und somit das Verständnis anderer zu erlangen. Kommunikationsprozesse In Gesprächen sind unterschiedliche Prozesse wirksam, denn menschliche Kommunikation vollzieht sich auf mehreren Ebenen. „Die Mehrdimensionalität einer Kommunikation oder Nachricht wurde von BÜHLER (1934) und später von der 36 PALO-ALTO Gruppe (BATESON, BEAVIN, JACKSON, HEALEY und WATZLAWIK) ausführlich beschrieben" (WELLHÖFER 2007, S. 23). Nach WATZLAWIK vollzieht sich menschliche Kommunikation auf zwei Ebenen. "Auf der Inhaltsebene informieren wir mit Hilfe der Sprache über die Sache. Die Botschaften auf der Beziehungsebene verlaufen meist sprachfrei (Mimik, Gestik, Körperhaltung, Sprechrythmus usw.) und zeigen, wie wir unsere Beziehung zum Gesprächspartner sehen und wie dieser das Gesagte verstehen soll. Somit enthält die Inhaltsebene sachliche und inhaltsbezogene Informationen. Auf der zweiten Ebene, der Beziehungsebene, befinden sich die gefühlsmäßigen und nonverbalen Botschaften. (ebd.) Abb. 08, Die "Anatomie einer Nachricht", in Anlehnung an SCHULZ VON THUN in (WELLHÖFER 2007, S. 25) Erfolgreiches Kommunizieren bedeutet nach diesem Modell, Störungen, Missverständnisse und Verzerrungen in der Kommunikation zu vermeiden, indem man die Prozesse auf der Inhalts- und Beziehungsebene steuert. Wenn diese nicht vollständig vermieden werden können, so sollten sie möglichst schnell erkannt, angesprochen und bewältigt werden. "Eine Kommunikation ist immer dann erfolgreich, wenn die Nachricht unverfälscht beim Empfänger ankommt, d.h. wenn keine Informationsverzerrungen oder -verluste im Kommunikationsprozess auftreten" (WELLHÖFER 2007, S. 26–27). SCHULZ VON THUN beschreibt ein Modell der Kommunikation, dass sich auf vier Ebenen bezieht. Eine Nachricht wird auf vier Ebenen gesendet und empfangen. In 37 sozialen Kompetenz- und Kommunikationstrainings wird häufig der Schwerpunkt auf das Kommunikationsverhalten gelegt. Das bedeutet: eine „richtige“ Kommunikation wird, ähnlich einem Verhaltenstraining, gelernt. SCHULZ VON THUN ist der Meinung, dass das klassische Verhaltenstraining zu kurz greift, denn der entscheidende Fehler besteht in dem Versuch, "Menschen in die Schablone eines Idealverhaltens zu pressen," .Dieses Idealverhalten soll für alle gleich sein, damit wird jedoch nur eine andere Art der Anpassung bewirkt: Ein "Psychologisch und partnerschaftlich korrektes Musterschülergehabe“, das dem Inneren nicht entspricht. Das neu erworbene Verhalten – Ich- Botschaften statt Du Botschaften, aktives Zuhören...- wirken dann gut gemeint, aber künstlich. Eine der neuen Erkenntnisse lautet: „Ein zwischenmenschliches Verhalten ist nur dann heilsam und aussichtsreich, wenn es übereinstimmt mit dem "inneren Menschen", mit der Persönlichkeit und der aktuellen Befindlichkeit." Dieser "Innenseite" wurde nach V.THUN bislang wenig Beachtung geschenkt (vgl. VON THUN 2003a, S. 15). Eine weitere Gegebenheit ist die Kreisförmigkeit der Kommunikation. Normalerweise läuft Kommunikation als Kreisprozess ab, das heißt, sie ist nicht einseitig. "Die Einwegkommunikation erweist sich meistens als schneller, der Informationsfluss ist allerdings weniger präzise." Bei einer Einwegkommunikation fehlt der Abgleich der Informationen zwischen den kommunizierenden Personen in Form von Rückfragen, dadurch entsteht eine Ungenauigkeit aufgrund der Mehrdeutigkeit der gesendeten Nachricht. Diese Möglichkeit nachzufragen und die empfangenen Informationen mit dem abzugleichen, was gesendet wurde, bezeichnet man als Feedback. "Je besser bei der Zweiwegkommunikation die Rückkoppelung (Feedback) gelingt, desto geringer ist der Informationsverlust, desto angenehmer ist normalerweise der Kommunikationsprozess (Feedback-Schleife)" (vgl. WELLHÖFER 2007, S. 29). 38 Abb.09, Kommunikationsprozess mit Feedback in (VON THUN 2006, S. 81) Der sogenannte Frontalunterricht in der Schule –Eine/Einer redet, der Rest hört zuist eine Einwegkommunikation. Wenn der/die EmpfängerIn keine Möglichkeit hat, zu überprüfen, ob eine gesendete Nachricht korrekt empfangen wurde oder bestehende Unsicherheiten bezüglich des Inhalts durch seine eigene Fantasie bewältigt, kommt es zu Missverständnissen. Wenn dies im Stillen passiert und er diese Deutungen für sich behält, kommt es zu einer Isolierung zur Umwelt und die Annahmen entziehen sich einer Überprüfung und Korrektur, die durch die Einbringung in den Kommunikationsprozess stattfinden würde (vgl. WELLHÖFER 2007, S. 30–31). Gewaltfreie Kommunikation Das Prinzip der gewaltfreien Kommunikation wie M. B. ROSENBERG (2005) sie beschreibt, möchte ich in meiner Arbeit einen Platz einräumen, denn sie spielt auch bei Konflikten, Kommunikationsprozessen und Mediationsprozessen eine grundlegende Rolle. Kommunikation ist nach M. B. ROSENBERG ein Mittel zur Bedürfnisbefriedigung. Wer seine Bedürfnisse angemessen kommunizieren kann, ist zufriedener und leistungsfähiger, deshalb ist es wichtig, angemessen und sozial 39 kompetent kommunizieren zu können - es ist der Schlüssel zum gelungenen sozialen Kontakt. Wie emotionale Kompetenz bei SchülerInnen und LehrerInnen praxistauglich umgesetzt werden kann, zeigt M. B. ROSENBERG in seinem Modell der gewaltfreien Kommunikation. In Schulen, Therapie und Mediation findet dieses Konzept Anwendung. Es orientiert sich konsequent an den Gefühlen und Bedürfnissen der Menschen. Die von M. B. ROSENBERG beschriebene Erziehung geht von der Annahme aus, dass die Beziehungen der SchülerInnen untereinander und zu dem, was sie lernen, für die Zukunft mindestens genauso wichtig sind wie die Lerninhalte (vgl. ROSENBERG 2004, S. 19). Nach dem Modell von M. B. ROSENBERG gibt es vier wichtige Komponenten einer gewaltfreien Kommunikation: Erstens: Beobachten ohne zu bewerten. Bei dieser Komponente ist es das Ziel dem Gegenüber mitzuteilen, was der Auslöser von bestimmten eigenen Gefühlen ist. Diese Mitteilungen sollen keine Bewertungen des Verhaltens des Gegenübers enthalten. Hierfür ist es notwenig, sich an beobachtbare Tatsachen zu halten und diese von Interpretationen und Bewertungen zu unterscheiden. Ziel ist es auch, ein Bewusstsein darüber zu erlangen, dass andere Menschen nicht für unsere Gefühle verantwortlich sind, ihre Handlungen können bestenfalls Auslöser sein. Unsere Gedanken und die Haltung mit der wir auf etwas reagieren, beeinflussen unsere Gefühle. Die zweite Komponente bezieht sich auf die Gefühle und Emotionen. Das Gefühl sollte erkundet und möglichst genau benannt werden können. Die Aussage: Mir geht es „schlecht“, wird dann bei einer genaueren Differenzierung, zum Beispiel zu „traurig“ oder „wütend“ und somit genauer. Bei der dritten Komponente geht es um die Bedürfnisse, die mit den Gefühlen verbunden sind. Erst wenn wir unserer Bedürfnisse bewusst sind, können wir sie kommunizieren. Wenn Bedürfnisse erfüllt werden, entstehen angenehme Gefühle, wenn diese unerfüllt bleiben, leiden wir unter negativen Gefühlen. Nach M. B. ROSENBERG geht es im Grundprinzip für alle um die gleichen Bedürfnisse, wie z.B. Nahrung, körperliche Unversehrtheit, Kontakt mit anderen Menschen, Verständnis, Wertschätzung oder Sinnhaftigkeit. Wie versucht wird, die vorhandenen Bedürfnisse zu befriedigen, ist individuell unterschiedlich und abhängig von seiner Persönlichkeit 40 und Sozialisationsgeschichte. Wenn Bedürfnisse in einer angemessenen Art dem Gegenüber vermittelt werden können, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Gegenüber bereit ist, etwas dazu beizutragen. Wenn mit Strategien wie Kritik am anderen und Druck gearbeitet wird, verringert sich diese Wahrscheinlichkeit. Die vierte Komponente ist das Bitten. Hier geht es darum, möglichst konkrete Bitten zu äußern, die unser Bedürfnis erkennbar machen. Sie sollten klar, positiv formuliert und erfüllbar sein. Dies setzt voraus, dass man sich selber über seine Bedürfnisse im Klaren ist und auch eine eigene Vorstellung davon hat, wie sie erfüllt werden könnten. Eine Bitte, wie sie M. B. ROSENBERG beschreibt, muss auch immer ein „Nein“ akzeptieren, denn die Verantwortung der Erfüllung der Bedürfnisse liegt nicht bei dem jeweiligen Gegenüber. Es geht nicht darum, jemanden dazu zu bringen, etwas zu tun, was man möchte, ohne die Bedürfnisse dieser Person zu berücksichtigen. Als erfolgreich kann eine Kommunikation, nach M. B. ROSENBERG dann bewertet werden, wenn sie zur Bedürfnisbefriedigung führt oder zu einer neuen Einsicht, durch die das Bedürfnis modifiziert, relativiert oder aufgehoben wird (vgl. ROSENBERG 2004, S. 44). Die Ausführungen über die Kommunikationstheorien in dieser Arbeit begründen sich durch ihre Wichtigkeit für die Kommunikationsschulung zur Förderung der sozialen Kompetenzen. Im Zusammenhang mit mehrjährigen, qualitativen empirischen Untersuchungen zum sozialen Lernen zeigte sich, dass „die Versprachlichung komplexer Zusammenhänge und die Kommunikation über kontroverse Fragen im ritualisierten und geregelten Setting zu wesentlichen Erkenntnisprozessen und kommunikativen Kompetenzen führten“ (vgl. DE BOER 2008, S. 22). 2.4.3 Interaktionen "Die Wahrnehmung der eigenen Gefühle, Gedanken und Handlungskompetenzen ist Vorraussetzung für Kommunikation und Interaktion mit anderen, doch ohne kollektive Aushandlungsprozesse gibt es keine individuelle Weiterentwicklung der sozialen Kompetenz" (DE BOER 2008, S. 21). Was Interaktionen zum sozialen Lernen beitragen können, wird ausführlich im Kapitel 7.3.1 über die Interaktionspädagogik beschrieben. 41 Durch das Aufeinanderangewiesensein an Bord eines Schiffes herrscht ein Interaktionszwang, dem nicht ausgewichen werden kann. "An Bord von Segelschiffen ist vielleicht einer der wenigen verbliebenen Orte in unserer heutigen Welt, an denen das Aufeinanderangewiesensein noch unmittelbar für jeden erfahren und einsehbar werden kann" (STADLER 1988, S. 67–68). 2.4.4 Konflikte "In der Klärung von Konflikten liegt ein entscheidendes Lernfeld für den Aufbau psychosozialer Kompetenz" (GEBAUER 2007, S. 63). Durch ein Konfliktlösungstraining kann dieses Lernfeld genutzt werden. Das Training sollte dabei unter anderem die Einstellung zu Konflikten, soziale Fähigkeiten, Selbsteinschätzung bezüglich der Lösung von Konflikten und kooperatives Lernen thematisieren. Darüber hinaus ist es wichtig, dass auch der gesamte Lehrkörper in Konfliktlösungs- und Mediationsstrategien geschult wird. Die LehrerInnen dienen den SchülerInnen somit als positives Beispiel, was wiederum ein Schulklima schafft, das die Prinzipien der positiven Konfliktbewältigung unterstützt" (vgl. BEHN et al. 2006, S. 45). 2.4.5 Soziales Lernen in der Gruppe LEWIN (1963) fasst die Gruppe als eine dynamische Ganzheit auf, die durch die wechselseitige Abhängigkeit ihrer Glieder oder Teilbereiche charakterisiert ist (vgl. WELLHÖFER 2007, S. 8). Jüngere Erhebungen heben die Bedeutung der sozialen Interaktionen hervor (vgl. DE BOER 2008, S. 22). Soziales Lernen als gruppendynamisch-interaktionistische Funktion fördert das Interaktionsverhalten der Gruppenteilnehmer und die Entwicklung innerhalb der Lerngruppe, wobei diese Gruppe als soziales System verstanden werden kann. Der Schwerpunkt liegt in der Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen durch Gruppenprozesse (vgl. PRIOR in REINERS 2007, S. 25 f.). MILLER führt in seiner Explikation über kollektive Lernprozesse individuelle, interaktive und kollektive Prozesse für das Sozialkompetent-Werden zusammen. Er macht mit seinen empirischen Analysen von Gesprächen unter Kindern sichtbar, dass die Partizipation an der sozialen Gruppe 42 und die Interaktion an sozialen Prozessen zu fundamentalen Lernschritten für die einzelne Person führen (vgl. MILLER 1996, in DE BOER 2008, S. 22). Ein positiver Gruppenprozess und die Identifikation mit der Gruppe spielen eine wichtige Rolle für das Klassenklima, die Motivation und Erfolgschancen von SchülerInnen. "[...] Individuen, die sich mit einer Gruppe in einer Organisation, sowie mit der Organisation als Ganzes identifizieren, besser lernen, sich stärker für die Interessen der Organisation einsetzen, weniger häufig fehlen und weniger stark dazu tendieren, die Organisation zu verlassen." In teamorientierten Klassen ist das Lernklima besser und das Ausmaß an interkulturellen Konflikten geringer. Die Identifikation mit der Institution Schule wird von den SchülerInnen jedoch nur dann angestrebt werden, wenn sie ihre Bedürfnisse ernst genommen und berücksichtigt sehen. Wenn die Werte nur auf Leistung und Wissen bezogen sind, werden all diejenigen, die diese Anforderungen nicht erfüllen, auch die Motivation verlieren, sich einzubringen (vgl. ZICK 2002, S. 214). 43 3. Veränderte Lebensbedingungen für Kinder und Jugendliche In diesem Kapitel wird zunächst auf die Besonderheiten eingegangen, die die Lebensphase der „Jugend“ kennzeichnen. Anschließend wird die aktuelle Situation und die Veränderung der Lebenswelt von Jugendlichen beschrieben. Es werden die Aufgaben und Anforderungen dargestellt, die es für sie heutzutage zu bewältigen gilt und welche sozialen Kompetenzen dafür benötigt werden. Nach HURRELMANN (1999) wird das Jugendalter als Lebensphase beschrieben, die zwischen der Kindheit und dem Erwachsenstatus liegt und durch eigene Werte und Besonderheiten gekennzeichnet ist. „Diese Zwischenposition impliziert, Verhaltensformen und Privilegien der Kindheit aufzugeben und neue Kompetenzen zu erwerben“ (OERTER & DREHER 1998, in JUGERT et al. 2007, S. 37). Seit 50 Jahren ist der Begriff der Entwicklungsaufgaben aus der Entwicklungspsychologie bekannt, der einen wichtigen Aspekt der Lebensphase Jugend beschreibt. Jeder Lebensphase kommen eine Reihe von Aufgaben zu, die für eine erfolgreiche Entwicklung zu bewältigen sind. (vgl. JUGERT et al. 2007, S. 37). Im Bereich der physischen Veränderungen liegt die Verlagerung des Jugendalters. Der Beginn der Geschlechtsreife hat sich im Zeitraum von 1800 bis 2000 um fünf Jahre nach vorne verschoben. Im Durchschnitt liegt heute der Eintritt der Geschlechtsreife beim weiblichen Geschlecht bei 11, 5 Jahren und beim männlichen Geschlecht ungefähr ein Jahr später (vgl. HURRELMANN 2008a, S. 302). Weitere Veränderungen, die den Kindern Probleme bereiten, finden sich oft auf einer konstitutionellen Ebene. Laut einer Studie bei Zwölfjährigen haben 40% der Kinder Kreislaufprobleme, Muskelschwäche, 33% 30% haben der Haltungsprobleme, Schüler klagen 50% über haben eine Schlafstörungen, Konzentrationsschwäche, Kopf- und Magenschmerzen (vgl. GEBAUER 2007, S. 89 f.). Nach einer Studie des Robert-Koch Instituts haben die psychischen Störungen bei Kindern zugenommen, bereits jedes fünfte Kind ist psychisch auffällig, Grundschüler leiden immer häufiger an Ängsten und Depressionen und zeigen sich in ihrem Sozialverhalten gestört (vgl. TENZER 2008, S. 61). "Wie verbreitet Verhaltensauffälligkeiten bereits im Vorschulalter sind, belegt eine repräsentative 44 Kindergarten-Studie aus Braunschweig: Dort fiel knapp jedes fünfte Kind wegen Aggressivität, Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsschwäche oder Ruhelosigkeit auf - in einem Ausmaß, das die Psychologen als klinisch bedeutsam einstuften. Sieben Prozent gingen bereits zu einem Therapeuten. Besonders bei aggressiven Kindern kommen oft mehrere Diagnosen zusammen, wie eine andere Studie zeigt: 60 Prozent leiden zugleich an einer Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS)." (POSSEMEYER 2004) In ausweglos erscheinenden Situationen, wenn der psychische Druck unerträglich wird, versuchen Kinder und Jugendliche auch den Suizid. 30 000 unternehmen jedes Jahr einen Suizidversuch und tausend dieser Versuche enden tödlich (vgl. GEBAUER 2007, S. 89–90). OPP und UNGER sprechen auch von einer Zunahme von Beziehungsabbrüchen, Gewalterfahrungen, physischer und psychischer Vernachlässigung oder Misshandlung, sowie steigender sozialer Vereinsamung in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen (vgl. OPP et al. 2006, S. 15). Ein gutes soziales Netz, Freundschaften und die Zugehörigkeit zu Gemeinschaften können als Schutzfaktor wirken (siehe Kapitel 2.2.1), doch immer mehr Kinder wachsen nicht in einer Gemeinschaft auf. Die Größe der Familien nimmt ab und somit haben die Kinder immer weniger soziale Kontakte während ihres Aufwachsens. "Kinder leben heute in Zufallsgemeinschaften oder sind den Medien ausgeliefert. Die Straßengemeinschaften gibt es nicht mehr, das Vereinswesen nimmt ab, die Jugendarbeit der Kirchen geht zurück: Zu viele Kinder verbringen ihre Zeit zum Beispiel vor dem TV-Gerät oder verlieren sich im Internet" (GEO Kompakt 2008). Auch BUEB hebt die Wichtigkeit der Gemeinschaften für die Entwicklung des Kindes hervor. Seiner Meinung nach sollte jedes Kind den Genuss der Erfahrung machen, in einer Gemeinschaft aufzuwachsen. "Nur in der Gemeinschaft kann ein Kind die Tugenden des menschlichen Zusammenlebens erlernen, wie etwa Toleranz. Das kann ein Kind nicht durch Belehrung verinnerlichen. Es muss im Umgang mit Gleichaltrigen, der „Peergroup“, selbst erleben, wie schwer es etwa ist, zu akzeptieren, dass andere Kinder die gleichen Rechte haben. Oder dass ein anderes Kind auch einmal im Spiel gewinnen darf. Diesen Gemeinsinn können junge Menschen nur in einer Gemeinschaft erfahren. Je früher Kinder anderen Kindern begegnen, mit ihnen spielen, essen und bei ihnen übernachten, desto früher erfahren 45 sie zum Beispiel, dass nicht immer alles im Überfluss vorhanden ist und dass man bestimmte Dinge teilen muss. Bereits ein Einjähriger ist in der Lage zu begreifen, dass ein anderes Kind das gleiche Recht auf ein Stück Schokolade hat“ (GEO Kompakt 2008). "It takes a Village to raise a child." Ist ein Afrikanisches Sprichwort und bedeutet, dass es ein ganzes Dorf, also viele Personen, braucht, um ein Kind großzuziehen. In der heutigen Situation müssen aber einige Kinder durch die Wohnsituation auf bestimmte Bezugspersonen und Beziehungen verzichten. Und so gehen wichtige soziale Kontakte verloren. REINERS fasst die veränderten Lebensbedingungen wie folgt zusammen: Das Bedürfnis nach Individualität steigt bei gleichzeitig abnehmender Tendenz der Solidarität. Die Welt der Erwachsenen hat mit der Welt der Kinder nur noch wenige Berührungspunkte. Wohn- und Arbeitsstätten sind meistens getrennt. Der kindliche Drang nach Abenteuern, Selbsterfahrung und Entdecken wird durch "zweckmäßige" Architektur (Hochhäuser) gebremst und unterdrückt. Die Möglichkeit im Wald zu spielen, Bäche mit Staudämmen zu versehen, Baumhäuser zu bauen oder Beeren zu pflücken, bleibt vielen Kindern verwehrt. Das Kind hat einen starken Drang zum Entdecken, Experimentieren und eine natürliche Sehnsucht nach Abenteuern, die sich dann nicht selten in Aktionen, die jenseits der Legalität liegen, kompensiert werden. (vgl.REINERS 2007, S. 15 ff. , 23) Eltern nehmen sich heutzutage nicht mehr Zeit als zuvor für ihre Kinder, aber sie verbringen weniger „hochwertige“ Zeit mit ihren Kindern. Hochwertige Zeit beschreibt die Zeit, in der die Eltern mit ihren Kindern etwas unternehmen, sich miteinander beschäftigen und im Kontakt sind. Nur zwanzig Minuten dieser Zeit verbringen Väter im Schnitt mit ihren Kindern. „In Deutschland verbringen Väter mit ihren Kindern im Schnitt etwa 20 Minuten ‚hochwertige Zeit’ am Tag“ (vgl.GEO Kompakt 2008). 60% der Zeit in der Familie werden laut einer Studie in Österreich sprachlos vor dem Fernseher verbracht (vgl. WILELMSTÄTTER 1998, S. 5) und 33% der Kinder sind nachmittags alleine zuhause (vgl. GEBAUER 2007, S. 89–90). 46 KÄßMANN formuliert das Fehlen einer Vernetzung der Institutionen und der zivilen Bevölkerung in Deutschland. Durch die zunehmende Institutionalisierung werden den Menschen viele soziale Aufgaben abgenommen und von außen geregelt. Dies kann auch zu einer Abgabe der sozialen Verantwortung an die Institutionen führen, das eigene Verantwortungsbewusstsein für eine soziale Umwelt wird nicht mehr wahrgenommen (vgl. GEO Wissen 2006, S. 27). Die vermehrte Zunahme der technischen Kommunikations- und Unterhaltungsmöglichkeiten birgt Chancen und Risiken zugleich. Insgesamt nimmt die Möglichkeit der passiven Beschäftigung zu. ZIEGENSPECK formuliert bereits 1995: "In unserer Gesellschaft herrscht eine in diesem Umfang noch nie da gewesene Reizüberflutung, der die Jugendlichen weitgehend schutzlos und unvorbereitet ausgeliefert sind. Neben den traditionellen Medien - Radio, Fernsehen, Presse - sind neue hinzugekommen: Video, Stereo-Anlagen, "Walkman" -Geräte, Flipper-Hallen und Spiel-Höllen. Damit werden immer mehr Möglichkeiten passiver, den Geist unterfordernder Beschäftigungsmöglichkeiten, eröffnet" (ZIEGENSPECK 1995, S. 15). Und seit dieser Zeit sind noch weitere Konsummöglichkeiten in Bezug auf die neuen Medien hinzugekommen. Auch REINERS schreibt: „Die Reizüberflutung durch neue Medien lässt die Menschen mehr und mehr in die Zuschauermentalität verfallen.“ (REINERS 2007, S. 15 ff. , 23) 47 4. Die aktuelle Situation der Schule In diesem Kapitel geht es um die Rolle der Schule und anschließend auch um die Rolle der Schulsozialarbeit in Hinblick auf die Herausbildung und Förderung sozialer Kompetenzen. Zunächst wird auf die Aufgaben der Schule eingegangen und es werden dabei Themen herausgegriffen, die in Hinblick auf die Konzeption von Bedeutung sind. Des Weiteren wird, als eine Möglichkeit der Förderung sozialer Kompetenzen, die Implementierung von Mediationsprojekten an Schulen beschrieben. Da die Klassenfahrt und die Schulsozialarbeit nicht getrennt vom System Schule betrachtet werden können, werde ich im Folgenden auf einige aktuelle Probleme der Schule eingehen. Von der Schule heute wird viel erwartet: Sie soll im internationalen Vergleich auf der Wissensebene gut abschneiden, die Schüler auf ihre Zukunft vorbereiten, durch die vorangegangene Erziehung der Eltern bedingte Entwicklungsdefizite ausgleichen und soziale Kompetenzen vermitteln. Schule sollte zur Mündigkeit erziehen; HEINRICH ROTH beschrieb in seinem Handlungskompetenzmodell von 1971 drei überfachliche Kompetenzbereiche: die "Selbstkompetenz", "Sozialkompetenz" und "Sachkompetenz" und er warf damals schon dem Schulsystem vor, die kognitive Seite, die Sachkompetenz allzu sehr zu betonen und Selbst- und Sozialkompetenz zu vernachlässigen (vgl. SEYD 2000, S. 1). Dadurch machte er deutlich, dass Mündigkeit mehr ist als nur das rein fachliche, kognitive Lernen (vgl. DE BOER 2008, S. 20). Viele Schulen werden diesem Anspruch jedoch aus unterschiedlichen Gründen nicht gerecht. Grundschulen setzen diese Ziele am weitesten um, da sie im Lehrplan festgeschrieben sind. Vermittlung von Schlüsselqualifikationen (vgl. MINISTERIUM FÜR BILDUNG 1997, S.9 ff.). HARTMUT VON HENTIG formulierte bereits 1987 eine Notwendigkeit der Veränderung der Schulen. Er schilderte die Schule der Zukunft als einen Ort , "an dem sich die Lust an der Sache einstellen kann, an dem Konzentration möglich ist und Durchhaltekraft belohnt wird, an dem man gemeinsame Grunderkenntnisse hat und sich bewusst macht, an dem Gemeinsinn herrscht und wohl tut, an dem man mit einem Stück Natur leben kann, an dem man erfahren kann, wie man Fehler macht, und an dem die Frage nach dem Sinn gestellt werden kann - und gestellt wird“ (vgl. HENTIG in ZIEGENSPECK 1995, S. 25). 48 Die aktuelle Situation unserer Schulen sieht aber häufig anders aus, obschon zur Zeit ein Umdenken und eine Umstrukturierung des Schulsystems stattfindet. Wenn wir das System Schule betrachten, finden wir häufig hierarchische Strukturen vor. Es gibt ein Lernziel, das von außen vorgegeben wird und das es für die SchülerInnen zu erreichen gilt. Nicht die SchülerInnen bestimmen, was sie lernen wollen, sondern die LehrerInnen und die Institution durch ihre Lehrpläne geben vor, was sie lernen sollen. Als eine „gute“ Lernatmosphäre gilt es, wenn die SchülerInnen ruhig sind und fleißig mitarbeiten und dem Folge leisten, was ihnen aufgetragen wird. Der Schwerpunkt liegt hierbei häufig auf Wissensvermittlung auf einer theoretischen Ebene und auch die hierbei verwendeten Methoden konzentrieren sich häufig auf eine rein kognitive Wissensverarbeitung. Dies trifft eher auf die weiterführenden Schulen zu als auf Grund- und Gesamtschulen. Raum für praktische Erfahrungen, Dinge auszuprobieren und zu erforschen bieten die weiterführenden Schulen kaum. RUEP bemerkt zu diesem Thema: "Wir sind „Wissensriesen“ und „Könnenszwerge. (…) Was in den Lehrplänen steht und in den Schulen behandelt wurde, wird am Ende nicht gekonnt" (vgl. RUEP 2005, S. 4). Dies weist darauf hin, dass wir die Art, wie in Schulen gelernt wird, überdenken müssen. Dieser Prozess hat mittlerweile eingesetzt. Dennoch begegnen wir in unsere Schulen immer noch viel zu häufig dem Frontalunterricht, dem Aneignen von Wissen durch Zuhören, Lesen und Nachmachen. Es wird immer noch zu wenig Raum geboten für erfahrungsorientiertes Ausprobieren und ganzheitliches Lernen. Die LehrerInnen müssen ihren Lehrplan einhalten und haben wenig Zeit für die persönlichen Probleme der SchülerInnen ,denn im Lehrplan sind Ziele wie z.B. ein positives Klassenklima, nicht enthalten. So werden diese Ziele anderen, die im Lehrplan enthalten sind, untergeordnet. Dabei haben die HirnforscherInnen längst festgestellt, dass positive Emotionen, Motivationen und ein gutes Lernklima dazu beitragen, effizienter zu lernen. "So kann positive Stimmung die Verarbeitung von positiver Information, Kreativität, Kontaktfreude und Hilfsbereitschaft fördern. Man nimmt sich selbst und auch die Umwelt positiver wahr und traut sich selbst mehr zu. Auch die Findung von Ideen wird gefördert und die Geschwindigkeit des Denkens nimmt zu. Allerdings bringt die positive Stimmung auch Nachteile mit sich. So werden Informationen zum Beispiel nur oberflächlich bearbeitet und auch die 49 erhöhte Risikobereitschaft ist nicht immer von Vorteil" (EDLINGER, HASCHER 2008, S. 67 ff.). Weiter beschreiben EDLINGER und HASCHER, dass nur Informationen, die „emotional berühren“ auf lange Sicht behalten werden. "Ist Interesse an einem Text vorhanden, wird dieser gelesen und auch weiter gelesen" (EDLINGER, HASCHER 2008, S. 67 ff.). Durch das dreigliedrige Schulsystem werden die SchülerInnen am Ende ihrer Grundschulzeit schon früh in GewinnerInnen und VerliererInnen der "Wissensgesellschaft" aufgeteilt. In den siebziger Jahren besuchten noch 70% eines Jahrgangs die Hauptschule, sie galt damals als solide Grundausbildung. Heute besuchen nur noch 33,2% diese Schulart. Kaum jemand besucht sie freiwillig, denn ihr Abschluss sichert nicht mehr den beruflichen Erfolg (vgl. KOULI, EKATARINA, S. 1). 90 Prozent eines Jahrgangs an der Hauptschule bekommen keinen Ausbildungsplatz (vgl. GEO Kompakt 2008). Der Bielefelder Pädagoge KLAUS-JÜRGEN TILLMANN bezeichnet die Hauptschule als ein Sammelbecken der „Negativauslese“. "Wir haben heute auf den Haupt- und Sonderschulen eine immer dichtere Konzentration von Kindern aus sozial problematischen Verhältnissen. Das hat dort zu einer massiven Ankurbelung der Gewaltspirale geführt" (POSSEMEYER 2004). Inzwischen hat eine Umstrukturierung des Schulsystems eingesetzt: Die Bundesländer tendieren dazu, das dreigliedrige Schulsystem abzuschaffen. Das neue Schulgesetz, das zum Beispiel der Landtag für Schleswig Holstein verabschiedet hat, ist seit dem 9. Februar 2007 in Kraft. Der individuellen Förderung der Kinder und Jugendlichen soll durch veränderte Regelungen zu Versetzungen und Rückstufungen in der Grundschule und in der Sekundarstufe I begegnet werden. Eine veränderte Arbeit in der Schuleingangsphase soll allen Kindern gute Startchancen bieten. "Statt der bisher bestehenden Hauptschulen und Realschulen soll es ab dem Schuljahr 2010/11 nur noch die neu eingeführte Regionalschule geben: Sie fasst die Bildungsgänge zum Haupt- und Realschulabschluss zusammen. Daneben wird es auf Antrag der Schulträger die neue Gemeinschaftsschule geben, die alle Bildungsgänge zusammenfasst- einschließlich des Gymnasiums. Bestehende Gesamtschulen sollen bis zum Jahr 2010/11 zu Gemeinschaftsschulen umgewandelt werden" (LANDESREGIERUNG SCHLESWIG-HOLSTEIN 2009). 50 In einigen Schulen, abgesehen von den Gesamtschulen, ist keine Teamarbeit vorgesehen. Oft sind die LehrerInnen in einem System eingebunden, in dem sie alleine arbeiten, kaum Rückmeldung erhalten, viel Verantwortung tragen und Entscheidungen alleine treffen müssen. Hinzu kommt, dass die LehrerInnenausbildung zwar inhaltlich und didaktisch vorbereitet, aber, trotz Praktika, auf die sozialen Schwierigkeiten, mit denen die Lehrkräfte in der Praxis konfrontiert werden, nicht ausreichend eingeht. Wenn sie dies tut, so meist nur in der Theorie, die Praxis bleibt außen vor. Eine Form der Konfliktfähigkeit und der sozialen Kompetenzen für Lehrkräfte, die ihnen im Unterricht hilfreich sei könnten, ist nicht Teil der Ausbildung an den Universitäten. Die Aussage von RUEB, dass wir „Wissensriesen und „Könnenszwerge“ sind (RUEP 2005, S. 4), lässt sich also sowohl auf manche SchülerInnen als auch auf einige LehrerInnen beziehen." LehrerInnen sind auf den Umgang mit schwierigen Kindern oft nicht vorbereitet", sagt auch RAINER DOLLASE, Psychologe am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung in Bielefeld. "Erziehung muss man lernen, von Angesicht zu Angesicht", ereifert sich DOLLASE. "Sie würden ihr Kind doch auch nur Ärzten anvertrauen, die ihr Handwerk in vivo gelernt haben. Aber bei den Pädagogen wurde die Praxis abgeschafft" (POSSEMEYER 2004). Wenn die Lehrkraft erst einmal an einer Schule praktiziert, muss sie immer noch häufig alleine entscheiden, handeln und sein Handeln bewerten, auch wenn diese Struktur Die Unkündbarkeit von verbeamteten Lehrkräften macht sich in der Qualität ihrer Arbeit häufig bemerkbar. BUEB, ein bekannter Kritiker des deutschen Erziehungswesens, vertritt die Meinung, dass LehrerInnen kündbar sein sollten. SchulleiterInnen sollten das Recht haben, LehrerInnen zu entlassen, die ihre Ziele nicht erreichen. In einer Firma würden MitarbeiterInnen, welche die Anforderungen nicht erfüllen, auch gekündigt werden; dies ist in Deutschland aber nicht immer möglich. „Einem Schulleiter bleibt nichts anderes, als schlechte Lehrer aus der Schule herauszuekeln. Sie gestalten zum Beispiel einen unerträglichen Stundenplan. Sie grüßen den Betroffenen nicht mehr. Bis er oder sie aufgibt und geht. (…) Sie haben keine andere Chance. Sie können an einer staatlichen Schule in Deutschland einen Lehrer nicht entlassen, weil er schlechten Unterricht gibt oder Kinder ungerecht behandelt.“ (GEO Kompakt 2008). Weiterhin schlägt er in dem Interview vor, dass die SchülerInnen anhand von nicht anonymen Fragebögen die Qualität des Unterrichts der LehrerInnen beurteilen. Dies 51 ist eine gute Möglichkeit dem Ungleichgewicht der einseitigen Bewertung seitens der LehrerInnen entgegenzuwirken und eine Transparenz gegenüber den SchulleiterInnen zu erreichen. Diese sollten auf dieser Grundlage mit den LehrerInnen ein jährliches Gespräch führen. Dies ist auch als eine Form der Wertschätzung zu verstehen, an denen es Lehrkräften laut BUEB so mangelt (vgl. GEO Kompakt 2008). Diese Vorschläge von BUEB werden inzwischen auch an einigen Schulen umgesetzt. 4.1 Soziales Lernen und Bildung in der Schule Bildung ist zur Zeit ein großes Thema, doch sind es hauptsächlich die mess- und vergleichbaren fachlichen Kompetenzen, die in der aktuellen Debatte im Mittelpunkt stehen. "Dies erstaunt umso mehr, als in der schulischen Praxis nicht zuletzt vor dem Hintergrund bemerkenswerter gesellschaftlicher Veränderungen den überfachlichen Kompetenzen von SchülerInnen in zunehmendem Maße Bedeutung beigemessen wird - wie etwa die Einführung (und bisweilen kurz darauf folgende Wiederabschaffung) der umstrittenen Kopfnoten zeigt. Mittlerweile sind auch die überfachlichen Kompetenzen zu einem Thema für die Bildungsinstitution Schule geworden, doch stehen die überfachlichen Kompetenzen im Dienste der fachlichen Kompetenzen. Das bedeutet, dass den überfachlichen Kompetenzen nur in dem Sinne eine Bedeutung zugemessen wird wie sie die Effizienz des schulischen Unterrichts erhöhen sollen, somit als Mittel zum Zweck gefördert werden und nicht die Persönlichkeitsförderung zum Ziel haben. Das Bedürfnis, selbst diese messen, benoten und vergleichen zu wollen, entspricht dem Zeitgeist (vgl. ROHLFS et al. 2008, S. 12). Hier steht die Schule mit ihrem bewertenden Instrumenten vor einem Problem. Auf der einen Seite werden immer mehr soziale Kompetenzen von den SchülerInnen gefordert, auf der anderen Seite lässt sich diese Forderung nach der Vermittlung sozialer Kompetenzen nur schwer in das aktuelle Schulsystem, das auf Bewertungen aufgebaut ist, implementieren. Denn die Rechtfertigung der Integration, so scheint es, wird nur dann akzeptiert, wenn sie messbare und kontrollierbare Erfolge zeigt und genau dies lässt sich bei sozialer Kompetenz kaum objektiv umsetzen. Eine Aufgabe der Mathematik kann richtig oder falsch gelöst werden. Bei einer Klassenarbeit orientieren sich dann die Noten an der erreichten Gesamtpunktzahl. Aber eine Bewertung der sozialen Kompetenz lässt sich nicht 52 kategorisieren und in ein Punktesystem einpassen und somit auch schwer bewerten (vgl. Rohlfs et al. 2008, S. 12). Vor allem von Auszubildenden werden später soziale Kompetenzen erwartet, denn die Anforderungen des Arbeitsmarktes haben sich verändert, sie stellen zunehmend neben Fachkompetenzen erhöhte Ansprüche an soziale Kompetenzen, wie z.B. Teamfähigkeit, Kooperationsfähigkeit, Flexibilität, emotionale Belastbarkeit und Kommunikationsfähigkeit von Schulabsolventinnen und Absolventen (vgl. ROHLFS et al. 2008, S. 12). Aktuell wurden von den Ausbildungsbetrieben folgende Defizite bei den Auszubildenden zunehmend festgestellt und formuliert: Unpünktlichkeit, mangelnde Gewissenhaftigkeit, fehlende Motivation und Verantwortungsbereitschaft, vorhandene Ausdrucksfähigkeit und unzureichende Teamfähigkeit (vgl. ROHLFS et al. 2008, S. 12). Viele dieser sozialen Fähigkeiten könnten und sollten im Klassenverband und im Zusammenleben innerhalb der Institution Schule gelernt werden. Ein altes Sprichwort besagt: "Das Zusammenleben wird nirgendwo gelernt, doch alle sollten es können" (GROSSMANN 1987, S. 38). Wenn die Schule auf die Zukunft vorbereiten will, sollte sie gerade in Anbetracht zunehmender Ausbildungs- und Jobschwierigkeiten auch auf Persönlichkeitsentwicklung und die Vermittlung sozialer Kompetenzen setzen, denn ein funktionierendes soziales Netz ist Gesundheitsprävention, schützt vor destruktiven Einflüssen und gibt Lebensinhalt, gerade wenn äußere positive Motivationen wegfallen (Erfolg im Job, Karriere, Anerkennung durch Leistung). Ein positiv ausgestaltetes und erfüllendes Familienleben, Zusammenleben in anderen Gemeinschaften, soziales Engagement oder andere sinn gebende Tätigkeiten, sie alle setzen ein gewisses Maß an sozialen Kompetenzen voraus. 4.2 Motivation der SchülerInnen in der Schule Eine gute Lernatmosphäre steigert die Motivation zum Lernen. "Faktenlernen muss Hand in Hand gehen mit der Entwicklung der Schüler zur Harmonie. Ein Schüler, der sich unwohl fühlt, hat es schwer, etwas zu lernen" (EDLING, KOLL 2004, S. 9). Dieses Unwohlsein kann durch verschiede Faktoren begünstigt werden. Das Gefühl einer mangelnden Unterstützung seitens der Lehrkräfte, keine FreundInnen in 53 der Klassengemeinschaft, hoher Lärmpegel und Unruhe während des Unterrichts, Mobbing und Diskriminierung durch SchülerInnen und LehrerInnen sind nur einige mögliche Ursachen. Auf den Aspekt von Mobbing und Diskriminierung werde ich später noch eingehen. Was die SchülerInnen lernen, ist abhängig davon, ob und was sie lernen wollen. Den Unterricht zu „besuchen“ reicht nicht aus. Wenn die Motivation nicht das Lernen an sich ist, sondern der angestrebte Abschluss oder ein Sitzenbleiben zu vermeiden, mit dem geringsten möglichen Energieaufwand. sich etwas „wirklich“ beizubringen, kostet Mühe und Zeit und konkurriert mit vielen leichteren Wegen, Spaß zu haben oder Geld zu verdienen. Wenn Erkenntnis und Wissen in der Umgebung eines Kindes nichts gilt und auch die LehrerInnen keine Faszination für ihr Fach entfachen können fehlt es an Motivation, sich mühsam mit Inhalten auseinander zu setzen. Es fehlt die Freude an der Sache. LEWIN beschreibt zwei unterschiedliche Motivationstypen zum Handeln. Diese lassen sich auch auf die Motivation zum Lernen übertragen, da Lernen auch als eine Form des Handelns bezeichnet werden kann. LEWIN beschrieb diese bereits 1931, jedoch haben sie nichts an Aktualität verloren, weswegen ich sie hier kurz beschreiben möchte. Der erste Motivationstyp beschreibt Motivation durch Druck von außen, der zum Beispiel durch Strafandrohung geschaffen wird und der andere Motivationstyp beschreibt den motivierenden Zug zum Ziel. Bei dem ersten Typ der Motivation wird die Person getrieben durch die Vermeidung negativer Konsequenzen oder Strafe, bei dem Versuch ein für ihn neutrales Ziel zu erreichen. Das kann dazu führen, dass das individuelle Ziel der Person erst einmal Vermeidung der negativen Konsequenzen lautet und sie versuchen wird, diesen auszuweichen. Dieses Verhalten führt aber nicht unbedingt dazu, dass sie sich dem Ziel nähert (hiezu Abb. 10), da die Person das Feld auch nach rechts und links verlassen könnte (z.B. durch Krankmeldung, Schwänzen des Unterrichts oder andere Vermeidungsstrategien). Deswegen müssen nach diesem Modell weitere Barrieren errichtet werden, die aus weiteren negativen Konsequenzen oder Regeln bestehen, die dieses Ausweichen verhindern sollen (vgl. STADLER 1988, S.49 ff.). Das Schema nach LEWIN (1931) stellt das durch 54 Strafandrohung motivierende Handeln dar. Eine Person (P) wird durch die negativen Konsequenzen, dargestellt durch das linke Quadrat, dazu gebracht, sich auf das Ziel (Z) hinzubewegen. Ein seitliches Ausbrechen wird durch die Begrenzungen verhindert. Abb. 10, Motivationsmodell 1 (STADLEr 1988, S.49 ff.) Bei der anderen Version der Motivation wird die Person automatisch vom Ziel angezogen. Das Ziel ist für die Person positiv besetzt, deswegen wird sie intrinsisch motiviert sein, es zu erreichen. Dies muss nicht unbedingt auf direktem Wege geschehen. Das Ziel hat positiven Aufforderungscharakter. So gewinnt die Person das Gefühl autonom zu handeln (vgl. STADLER 1988, S.ff.). Abb. 11, Motivationsmodell 2 (STADLER 1988, S. 49–51) Die Person (P) bewegt sich von sich aus auf das Ziel (Z) zu. Sie folgt der Attraktivität des Ziels. In diesem Sinne erweitert sich der Aufgabenbereich der Lehrkraft auf die Motivation der SchülerInnen. Indem die SchülerInnen ihre eigenen Chancen und Möglichkeiten erkennen, steigt auch ihre Motivation zu lernen (vgl. STADLER 1988, S. 49 ff.). Zusammenfassend lässt sich feststellen dass es Aufgabe der Schule und der Lehrkräfte ist, ein gutes Klassenklima zu unterstützen, Motivation zu fördern, die SchülerInnen und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen und Partizipation zu ermöglichen. 55 4.3 Gewalt und Diskriminierung in der Schule Gewalt hat viele unterschiedliche Formen und Ausprägungen: Physische und psychische, Diebstahl, Vandalismus, Mobbing, Erpressung, Lehrergewalt, Bestrafung durch Eltern, usw. Dass die Wahrscheinlichkeit von Gewalt mit vielen schulbezogenen Merkmalen von Jugendlichen stark zusammenhängt, gilt mittlerweile als empirisch belegt. Zu diesen Merkmalen gehören bei gewaltbereiten Jugendlichen "insbesondere schwache schulische Leistungen, eine tiefe Leistungsmotivation, eine geringe Bindung an die Schule, häufiges Schwänzen und geringe Aspirationen. Kurz: Gewalttätige Jugendliche gehen nicht gerne in die Schule" (vgl. EISNER in RIBEAUD 2003, S. 194). Die physische Gewalt hat in den letzten zehn Jahren nach einer Studie des Bundesverbandes der Unfallkassen abgenommen. "Ein harter Kern von etwa fünf Prozent der männlichen Schüler macht Klassenkameraden und Lehrern das Leben schwer. Die Täter werden jünger und ihre Auseinandersetzungen härter. Neu ist der Anstieg und der alltägliche Gebrauch verbaler Gewalt: Schülerinnen und Schüler haben heute einen lässigeren und gehässigeren Umgangston als früher" (vgl. BEHN et al. 2006, S. 9). Verbale Gewalt bezieht sich in diesem Kontext auf Störungen im Unterricht, Beschimpfungen unter SchülerInnen, hinter dem Rücken reden unter SchülerInnen, wiederholtes Hänseln und Ausgrenzen von SchülerInnen. Diese verbalen Formen und Rangeleien kommen bei 70-90 % der befragten Schulen einer Studie mehrmals in der Woche vor. Weiterhin nannten 31% der Schulen Erniedrigung von SchülerInnen, 29% körperliche Gewalt von SchülerInnen und 16% Bedrohung durch SchülerInnen. 20 % der Schulen gaben an, dass Erpressung und Nötigung durch SchülerInnen circa jeden Monat oder häufiger vorkommt. Das Vorkommen von Diebstahl liegt bei 30% und Sachbeschädigung bei 49%. 69% der Schulen stellten körperliche Gewalt mindestens jeden Monat fest (vgl. BEHN et al. 2006, S. 21). Verbalattacken dagegen erleben vier Fünftel aller Schüler regelmäßig (vgl. POSSEMEYER 2004). Streitschlichterprogramme, Konfliktlösungsschulungen und Schülereinsätze für die Gemeinschaft können Schulgewalt reduzieren. Vor allem aber fördern sie das soziale Lernen. 56 Gehorsam und Aggression sind gleichsam alternative Strategien von Kindern. Auf welche die Kleinen - unbewusst - zurückgreifen, hängt entscheidend vom Verhalten der Eltern ab, denn wenn Kinder bereits im Elternhaus lernen, dass Aggression zum Erfolg führt, werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit dieses Verhalten auch in der Schule einsetzen. "Dass Aggression für Kinder tatsächlich zum Erfolg führt, wies Patterson anhand von Interaktions-Analysen nach. Er wertete aus, wie oft Kinder ihre Eltern davon abbringen, sie weiter mit einem Anliegen zu "behelligen". In „ZwangsFamilien“, die nach dem Prinzip Befehl und Gehorsam erziehen, erzielen Kinder in rund 80 Prozent der Fälle Erfolg darin, ihr Anliegen durch Wutanfälle, Trotzattacken, zuweilen durch Zurückschlagen durchzusetzen: Sie schaffen es, ihre Eltern zur Aufgabe zu zwingen. In „Kooperativen Familien“ liegt die Quote genauso hoch (vgl. KUCKLICK 2002). Das bedeutet, dass die Kinder aus „Kooperativen Familien“ die gleichen Erfolge durch kooperatives Verhalten und ohne Aggression erreichen. Die Verhaltensweisen, die die Kinder im Elternhaus erworben haben, bringen sie als Startkapital mit in die Schule. Mit Gewalt und Diskriminierung umzugehen und dafür die geeigneten Strategien einzusetzen, ist mittlerweile ein Thema, dem sich die Lehrkräfte und SchulleiterInnen zuwenden müssen. 4.4 Schulsozialarbeit In diesem Kapitel wird auf den Kontext von Schulsozialarbeit und der Förderung von sozialen Kompetenzen bei SchülerInnen eingegangen. Zunächst wird die Schulsozialarbeit in ihren Grundzügen beschrieben und anschließend wird auf ihre Schwierigkeiten, ihre Bedeutung und ihre Möglichkeiten eingegangen. Die vorhandenen Defizite im Schulbereich, sowohl die Wissensebene als auch die Ebene der sozialen Kompetenzen betreffend (siehe Kapitel 4. und 4.1), werden schon seit längerer Zeit diskutiert. Es gibt Vorschläge für eine grundsätzliche Schulreform als Lösungsstrategie, die seit 30 Jahren bekannt ist aber nur an vereinzelten Schulen realisiert wurden (vgl. HAFEN 2005, S. 11). Ein weiterer Versuch diesen Defiziten zu begegnen, ist der Ausbau der Kooperation zwischen Schule und Sozialer Arbeit. In Deutschland, hat in den letzten Jahren, die Bedeutung der Sozialen Arbeit in der Schule zugenommen (HOLLENSTEIN 2000, TANNER 2003, in HAFEN 2005, S. 12). 57 Aufgaben und Modelle der Schulsozialarbeit Schulsozialarbeit bietet ganz allgemein gesehen sozialpädagogische Beratung und Einzelfallhilfe für SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern an. Schulsozialarbeit unterstützt durch Berufsvorbereitungsmaßnahmen Kinder und Jugendliche und bietet freiwillige Gruppenangebote für alle SchülerInnen der betreuten Schule an. Schulsozialarbeit ist an der Schule verortet und sorgt für einen Auf- und Ausbau von Vernetzungs- und Zusammenarbeitsstrukturen zwischen Jugendhilfe und Schule und anderen Stellen, die erzieherische Aufgabenstellungen haben oder mit problembehafteten Kindern und Jugendlichen befasst sind. Es gibt keine grundlegende Gesamtkonzeption von Schulsozialarbeit. Sie ist als Bestandteil in die Kinder- und Jugendhilfe integriert, findet aber im SGB VIII keine eigene gesetzliche Grundlage. Für die Schulsozialarbeit lassen sich nach SCHWENDEMANN vier unterschiedliche Modelle beschreiben (vgl. BASSARAK et al. 2008, S. 46–47). Das Subordinationsmodell, das Kooperationsmodell und das Integrationsmodell. Alle drei Modelle werden im Folgenden kurz erklärt. Das Subordinationsmodell geht grundsätzlich von der These aus, dass Schulsozialarbeit mit der Schule zusammenarbeiten muss, sich die Schulsozialarbeit aber dem Handlungsauftrag der Schule unterordnet. Ihre Aufgabe ist bei diesem Modell in erster Linie die Gewährleistung des reibungslosen Unterrichts bzw. der schulischen Abläufe. Nach diesem Modell ist das Ziel der Schulsozialarbeit, "des Kindes potentielle Stärken und Fähigkeiten für eine befriedigende effektive und akzeptable Ausführung der Rolle des Schülers zu erreichen" (MAAS 1966, ABELS 1971 in DRILLING 2008, S. 181). Die SchülerInnen sollen sich möglichst gut an die Institution und ihre Bedingungen anpassen, ohne dass diese selbst auf ihre Funktionalität überprüft werden (vgl. BASSARAK et al. 2008, S. 48 ff.). Bei dem Kooperationsmodell arbeiten Jugendhilfe und Schule intensiv zusammen. Die Schulsozialarbeit ist in diesem Fall mehr als nur eine Hilfskraft. Die Zusammenarbeit entspricht einer Symbiose zweier gleichberechtigter Akteure unter Einbeziehung der unterschiedlichen Handlungsaufträge. Der reibungslose Ablauf des Unterrichts ist nicht die Hauptaufgabe. Ein eigenständiger Handlungsauftrag am Lebensort Schule wird verfolgt. Die Schulsozialarbeit verfolgt das Ziel, Chancenungleichheit zu reduzieren und positive Aspekte einer Erziehung und 58 Sozialisation zu unterstützen (vgl. BASSARAK et al. 2008, S. 48 ff.). Für dieses Modell formuliert DRILLING: "Schulsozialarbeit setzt sich zum Ziel, Kinder und Jugendliche im Prozess des Erwachsenwerdens zu begleiten, sie bei einer für sie befriedigenden Lebensbewältigung zu unterstützen und ihre Kompetenzen zur Lösung von persönlichen oder sozialen Problemen zu fördern. Dazu adaptiert Schulsozialarbeit Methoden und Grundsätze der sozialen Arbeit für das System Schule" (DRILLING 2008, S. 181). Mit dieser Definition rückt DRILLING die Persönlichkeitsentwicklung und Entwicklung zur Eigenständigkeit der SchülerInnen ins Zentrum. Er geht davon aus, dass SchülerInnen die befähigt werden, ihre Probleme selber anzugehen ihr Leben befriedigender gestalten können und auch eine bessere Lernfähigkeit und Motivation entwickeln. Um dies zu erreichen, sieht das Konzept von DRILLING eine enge Kooperation zwischen Schule und Jugendarbeit vor. Auch die Zusammenarbeit und Mitwirkung aller, im Schulhaus und ihrem Umfeld tätigen Personen trägt dazu bei, die Wirkung zu erhöhen. "Schulsozialarbeit kann (…) nur so erfolgreich sein, wie die Schule in der sie angeboten wird, es zulässt" (vgl. DRILLING 2008, S. 181). Das Integrationsmodell strebt auch nach intensiver Zusammenarbeit und Gleichberechtigung und ähnelt in seinen Grundzügen dem Kooperationsmodell. Es kommt jedoch noch ein weiteres Ziel hinzu: langfristig auf eine Veränderung der Schule mit mehr sozialpädagogischen und sozialarbeiterischen Elementen hinzuarbeiten. Es wird eine Qualifizierung der Schule und eine Verschmelzung der beiden Systeme, Jugendhilfe und Schule, angestrebt (vgl. BASSARAK et al. 2008, S. 48–51). Nach OLK, BATHKE und HARTNUß (2000) lassen sich die bestehenden Programme der Schulsozialarbeit auch nach Arbeitsinhalten systematisieren und einteilen (vgl. BASSARAK et al. 2008, S. 52 ff.). Sie unterteilen die Schulsozialarbeit in einen freizeitpädagogischen-, einen problembezogenen fürsorgerischen- und einen integrierten sozialpädagogischen Ansatz. Der freizeitpädagogische Ansatz hat alle SchülerInnen als Zielgruppe und ergänzt das schulinterne Unterrichtsgeschehen durch Maßnahmen und Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit und beruht auf der Gesetzesgrundlage des § 11 SGB VIII. Das Verhältnis zwischen Jugendhilfe und Schule ist in diesem Fall als Additiv zu 59 bezeichnen. Bei dem problembezogenen fürsorgerischen Ansatz ist das Verhältnis additiv oder hierarchisch. Dieser Ansatz bezieht sich auf junge Menschen in Problemsituationen auf der Grundlage des § 13 SGB VIII. Die Zielgruppe sind junge Menschen mit sozialen Benachteiligungen oder individuellen Beeinträchtigungen. Der integrierte sozialpädagogische Ansatz strebt eine Verknüpfung von einzelfallund gruppenbezogenen Probleminterventionen an. Das Angebot beinhaltet offene, präventiv ausgerichtete Freizeit- und Betreuungsangebote und richtet sich an alle SchülerInnen. Die Gesetzesgrundlage bilden § 11 und § 13 des SGB VIII. Intensive Kooperationsbeziehungen prägen bei diesem Ansatz die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule (vgl. BASSARAK et al. 2008, S. 52 ff.). Schwierigkeiten in der Schulsozialarbeit: Die Zusammenarbeit zweier unterschiedlicher Systeme, wie das Erziehungssystem und das System der Sozialen Arbeit gestaltet sich nicht ohne Schwierigkeiten. Es bestehen Unterschiede in der Struktur der beiden Bereiche, die miteinander koordiniert werden müssen und die Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und Fachleuten aus der Sozialen Arbeit ist nicht immer einfach. Die Vorstellung des einen Systems in Hinblick auf die Aufgaben und Kompetenzen des Systems sind unklar und auch bei der Selbstbeschreibung der beiden Systeme finden sich „erhebliche theoretische und empirische Defizite.“ Beide Systeme haben Schwierigkeiten die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis zu transferieren (vgl. HAFEN 2005, S. 12). Die Soziale Arbeit in der Schule wird zwar vermehrt in Anspruch genommen, bekommt aber nur selten die Gelegenheit, ihre (sozial)pädagogische Kompetenz einzubringen. Sie ist nach TANNER vielmehr oft ein "Pannendienst zur Behebung von Funktionsdefiziten der Schule" (TANNER 2003, in HAFEN 2005, S. 12), der die schwierigen SchülerInnen der Schule abnimmt, "ohne zur Beseitigung der Defizite beizutragen, welche die "Störfälle" mitproduzieren" (vgl. HAFEN 2005, S. 12). Die Herausforderung der Vereinbarkeit der beiden Systeme zeigt sich auch am Beispiel des Angebotes der Beratung durch die Schulsozialarbeit. Die Schulsozialarbeit verfolgt das Prinzip der Freiwilligkeit. Eine Beratung ist ein 60 offenes Angebot. Wenn wir nun das Ziel näher betrachten, in dem formuliert wird, dass sich die Schulsozialarbeit mit SchülerInnen zusammensetzen soll, die den Unterricht stören, aber gleichzeitige das Prinzip der Freiwilligkeit verfolgt, so zeigt sich deutlich die Diskrepanz der beiden Ansprüche, denn SchülerInnen, die den Unterricht stören, haben nicht automatisch die Einsicht der Notwendigkeit eines Beratungsgesprächs beim zuständigen SchulsozialarbeiterIn. Eine Lösungsmöglichkeit wäre die von GÖTZMANN vorgeschlagene Regelung, die zwischen der Beratung und der Kontaktaufnahme einen Unterschied macht. So sollte die Aufforderung der Lehrkräfte an SchülerInnen, den/die SozialarbeiterIn aufzusuchen, mit Angabe des Grundes, als Verpflichtung gelten. Das bedeutet, dass die SchülerInnen den/die SchulsozialarbeiterIn aufsuchen müssen, sich aber dann für eine Beratung freiwillig entscheiden kann. Hier ist die Kompetenz der SozialpädagogInnen gefragt, die Motivation der SchülerInnen für eine Beratung zu aktivieren. Somit muss sie sich auf die Ziele des Jugendlichen einstellen und sollte ressourcenorientiert arbeiten. GÖTZMANN hat hierbei bereits die Erfahrung gemacht, dass die allermeisten Jugendlichen sich für eine Beratung entscheiden, da sie ein eigenes Interesse daran haben, ihre Situation zu verbessern. Diese spezielle Form des Angebots hat zum Ziel, dass Jugendliche sich mit ihrem Verhalten auseinandersetzen und eigene Lösungswege entwickeln, die auf ihre individuelle Situation abgestimmt sind und vor allem aus eigener Motivation heraus entstehen sollten. Wenn die Jugendlichen es wünschen, können auch Lehrkräfte oder Eltern mit in das Beratungsgespräch einbezogen werden. Dies kann hilfreich sein, da es den Erwachsenen die Chance bietet, zu erkennen, dass die Jugendlichen selbst ihre Situation verändern wollen und diese Einsicht dazu führen kann, ihre Sichtweisen in ihrer Beziehung zu den Jugendlichen zu überdenken (vgl. GÖTZMANN 2008, S. 192). Schlussfolgerungen Im Zuge der Förderung von sozialen Kompetenzen und in Bezug auf die Gewaltprävention ist es von entscheidender Wichtigkeit, dass die LehrerInnen bereit sind zu kooperieren, ihre Position als AlleinkämpferInnen aufgeben und eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit SchulsozialarbeiterInnen anstreben. Evaluationen der Schulsozialarbeit in Deutschland und der Schweiz haben ergeben, dass dieses Konzept des Kooperationsmodells die Ziele zur Gewaltprävention am 61 besten erreicht. Durch Offenheit und Vertrauen kann eine Verständigung über eine einheitliche Haltung in der Schule erarbeitet werden (vgl. BAUMANN 2008, S. 186). Schulsozialarbeit hat die Möglichkeit, durch ihre Integration in die Institution Schule schnell und effektiv zu intervenieren. Sie kann die Schule, die Soziale Arbeit und die Eltern mit ihrem Methoden und Handlungswissen unterstützen. Sie kann ein niedrigschwelliges und freiwilliges Interventionsangebot für SchülerInnen, Eltern und Lehrkräfte bieten. Weiterhin kann sie sich dafür einsetzten, dass Prävention als Aufgabe für die gesamte Schule ernst genommen wird, denn die Auftrittswahrscheinlichkeit von Mobbing, aggressivem oder unsozialem Verhalten an der Schule steht in kausalem Zusammenhang zu bestimmten Merkmalen in der Schule, wie z.B. das soziale Klima oder das pädagogische Konzept (vgl. ROLAND 1999, GALLOWAY 2004, in MALTI et al. 2008, S. 218). Die SchulsozialpädagogInnen können sich für die Umsetzung eines Peer Mediationsprogrammes einsetzen, von dem alle SchülerInnen profitieren. Ein Konfliktlösungstraining für alle SchülerInnen, in den Stundenplan integriert, könnte einem Peer Mediationstraining in kleinen Gruppen ausgewählter SchülerInnen, außerhalb des Unterrichts, vorausgehen, "Das Konfliktlösungstraining sollte dabei unter anderem die Einstellung zu Konflikten, soziale Fähigkeiten, Selbsteinschätzung bzgl. der Lösung von Konflikten und kooperatives Lernen thematisieren" (BEHN et al. 2006, S. 45). In ein solches Programm können auch erlebnisorientierte Methoden integriert werden (vgl. GILSDORF, VOLKERT 2004, S. 12–20). 4.5 Mediation in der Schule Im Rahmen meiner Recherchen zur Diplomarbeit hat sich herausgestellt, dass eine Kombination meines Konzeptes für Klassenfahrten zur Förderung sozialer Kompetenzen bei Jugendlichen mit einem Mediationsprojekt in der jeweiligen Schule, im Sinne der Nachhaltigkeit und zur Erhöhung der Transferleistung, Sinn macht. Deshalb werde ich in diesem Kapitel auf Mediationsprojekte an Schulen eingehen. Im Folgenden werde ich, nachdem ich die Grundsätze der Methode beschrieben habe, zunächst die Vorteile schildern, die ein solches Projekt bringen kann, um dann die weiteren Bedingungen zu schildern, die den Erfolg eines Mediationsprojektes an Schulen ausmachen. Dabei beziehe ich mich auf die 62 bundesdeutsche Evaluation, die von BEHN, KÜGLER, LEMBECK, PLEIGER, SCHAFFRANKE, SCHROER und WINK veröffentlicht wurde (vgl. BEHN et al. 2006). Mediation bedeutet “Vermittlung” und ist ein Konfliktlösungsverfahren, das in den USA entwickelt worden ist. Seit den 90er Jahren fand es zunehmend Verbreitung in deutschen Schulen und kann in allen Schularten eingesetzt werden (vgl. MINISTERIUM FÜR KULTUR 2008, S. 42). Um die Qualität eines Mediationsverfahrens zu gewährleisten, sollen die allgemein geltenden Grundsätze der Mediation eingehalten werden. Diese Grundsätze gelten für jedes Mediationsverfahren: Ziel einer Mediation ist immer eine Lösung, unter der Berücksichtigung der Interessen aller beteiligten Konfliktparteien. MediatorInnen helfen den Konfliktparteien auf dem Weg zu einer Lösung mit der beide Parteien einverstanden sind (vgl. MINISTERIUM FÜR KULTUR 2008, S. 67–68). Die Implementierung von Mediationsprojekten in Schulen kann unter bestimmten Bedingungen erheblich zur Verbesserung von sozialen Kompetenzen bei SchülerInnen und einem positiven Schulklima beitragen. Die Forschungsergebnisse der Studien (siehe oben) haben den Erfolg solcher Projekte belegt. Sie zeigen, dass sich an Schulen mit erfolgreich implementierten Projekten das Schulklima verbessert hat. Die Zahl der Konfliktfälle insgesamt hat sich verringert, es ist zu einem Rückgang von Gewalt gekommen und die Streit- und Konfliktkultur hat sich zum positiven gewandelt (vgl. BEHN et al. 2006, S. 30 und S. 39 ff.). Indem die SchülerInnen befähigt werden, einen Teil ihrer Konflikte eigenständig zu lösen, entfällt dies dem Aufgabenbereich der LehrerInnen und diese können somit entlastet werden (vgl. BEHN et al. 2006, S. 30). Streitschlichter Konzepte oder Konfliktlotsenmodelle, bei denen SchülerInnen in Mediation ausgebildet werden, sind divergent konzipiert. Sie unterscheiden sich in folgenden Fragestellungen: Mediieren SchülerInnen sich gegenseitig in Form einer Peer Mediation? Mediieren ausschließlich Lehrkräfte und PädagogInnen die SchülerInnen oder werden beide Varianten angewendet? Sollen StreitschlichterInnen und MediatorInnen von sich aus aktiv werden und auf die Konfliktparteien zugehen oder nur auf Anfragen der SchülerInnen mediieren? Kann 63 eine Mediation seitens der Lehrkräfte angeordnet werden? Wie wird mit dem Prinzip der Freiwilligkeit umgegangen? Werden alle an der Entscheidung für ein solches Projekt und an dem Prozess beteiligten Personen (LehrerInnen, SchülerInnen, Eltern, SchulleiterInnen, SchulsozialpädagogInnen) mit einbezogen oder entscheiden sich nur einzelne Lehrkräfte oder SchulsozialpädagInnen für den Einsatz von Mediation? Setzt der/die SchulleiterIn das Projekt ohne Partizipation des Lehrkörpers durch? Hier wird deutlich wie vielschichtig die Möglichkeiten sind, ein Mediationsprojekt an einer Schule umzusetzen. Bei Peer Mediationen ist der Erfolg erwiesen. Peer Mediationen werden besser angenommen als Mediationen von Erwachsenen für SchülerInnen. "Zwischen 85 % und 95 % aller mediierten Schülerkonflikte kommen zu anhaltenden Übereinkünften zwischen den Streitparteien" (vgl. BEHN et al. 2006, S. 39 ff.). Möglichkeiten der Implementierung von Mediationsprojekten Schule und Mediation sind in gewissem Sinne zwei unterschiedliche Systeme, in denen unterschiedliche Regeln und Prinzipien gelten. Wenn eine Schule Mediation implementiert, ist sie mit diesem Systemkonflikt konfrontiert. Im Umgang mit diesem Konflikt lassen sich dabei mehrere Wege beschreiben, Mediationsprojekte umzusetzen (vgl. BEHN et al. 2006, S. 30). Grundsätzlich kann man drei Umgehensweisen beschreiben, die die einzeln für sich stehen, aber auch kombiniert werden können. a) Die Inselsituation. Das Mediationsprojekt steht für sich und ist nicht Teil eines ganzheitlich angelegten Schulprojektes und somit nicht in alltägliche Prozesse der Schule integriert. Die BegleitlehrerInnen müssen einen Rollenwechsel zwischen Lehrtätigkeit und Mediationsprojekt vollziehen. Die Verantwortung liegt vollständig bei den BegleitlehrerInnen. Bei einer solchen Umsetzung hat sich in Ergebnissen von Studien gezeigt, dass die SchülerInnen in ihrer persönlichen Entwicklung von der Ausbildung profitieren (vgl. BEHN et al. 2006, S. 30 ff.). b) Schulmediation wird an das System Schule angepasst. Dies bedeutet eine Einschränkung der Prinzipien der Mediation durch die Anpassung an die Bedingungen des Schulsystems: Freiwilligkeit, Gleichberechtigung, Selbstverantwortung, Anonymität, z.B. durch Benotung der Mediation oder wenn 64 SchülermediatorInnen grundsätzlich älter sein müssen als TeilnehmerInnen. Auch hier zeigt sich nur eine geringe Effektivität (vgl. BEHN et al. 2006, S. 30 ff.). c) Die Prinzipien der Schulmediation werden auf die gesamte Schule angewendet. In langfristigen Prozessen werden strukturelle Veränderungen angestrebt. Es wird ein Verständigungs- und Entwicklungsprozess mit allen Beteiligten begonnen, in dem auch die Schulziele definiert werden. Gewaltprävention und partnerschaftlicher Umgang werden in diesen Zielen aufgenommen. Es gelten die Grundprinzipien einer konstruktiven demokratischen Konfliktkultur auf allen Ebenen der Schule. Das Einzelkämpfertum der LehrerInnen wird durch Zusammenarbeit in Teamstrukturen ersetzt (vgl. BEHN et al. 2006, S. 30 ff.). Am erfolgreichsten haben sich, laut Studie, die Projekte erwiesen, die nach dem letztgenannten Modell umgesetzt wurden. Der Bundesverband für Mediation hat eine Reihe von qualifizierten Anregungen und Vorgaben erarbeitet, die für die erfolgreiche Implementierung eines Schulmediationsprojektes von Bedeutung sind (vgl. BEHN et al. 2006, S. 28). 4.5.1 Bedingungen für eine erfolgreiche Implementierung eines Mediationsprojektes Damit sich die Schule insgesamt entwickelt, müssen Konfliktbearbeitung, Gewaltprävention und soziales Lernen ein Gesamtkonzept bilden. Das Mediationsprojekt ist dann Teil einer übergreifenden Veränderung der Schule. Die Einbindung des Mediationsprojektes in das Schulprogramm ist einer der zentralen Faktoren, um das Mediationsprojekt zu einem wichtigen Baustein des sozialen Lernens und der Gewaltprävention zu machen (vgl. BEHN et al. 2006, S. 32). Ein ganzheitlicher Ansatz bedeutet auf der praktischen Ebene, dass Fortbildung für das gesamte Kollegium zum Thema Konfliktbearbeitung durchgeführt und im Verlauf des Projektes fortgeführt werden. Auch die Einrichtung einer kollegialen Beratung oder Supervision ist sinnvoll. Schulmediation muss in das Programm und den Unterricht der Schule mit eingebunden sein. Die Zuständigkeit einer Steuerungsgruppe für das Projekt hat sich als hilfreich erwiesen, genauso wie eine 65 Einbindung und gleichberechtigte Zusammenarbeit von SchulsozialarbeiterInnen und Lehrkräften und eine allgemeine Förderung der Teamarbeit durch strukturelle Veränderungen. Die Verknüpfung verschiedener Maßnahmen im Bereich Konfliktbearbeitung (vgl. BEHN et al. 2006, S. 31 ff.). Das Grundprinzip der Freiwilligkeit der Teilnahme an einer Mediation sollte beibehalten werden. Bei den meisten Schulen wird laut der Studie von BEHN mit diesem Grundsatzprinzip der Mediation gebrochen, wodurch Erfolgschancen minimiert werden. Angefangen von einem einfachen "Schicken" durch eine Lehrkraft, bis hin zu deutlich ausgeübten Druck durch entsprechende Sanktionen, falls die Mediation von dem/der Betroffenen nicht angegangen wird. Mediation sollte eine Konfliktlösungsmöglichkeit im Vorfeld von Sanktionen und schulischen Ordnungsmaßnahmen sein (vgl. BEHN et al. 2006, S. 27). Sanktionen lassen sich auch bei Schulen mit erfolgreich implementierten Mediationsprojekten nicht vollständig aus der Schule verweisen. Dies müssen sie auch nicht, doch bisherige Sanktionsformen sollten überdacht werden und das Verhältnis zwischen Mediation und schulischen Sanktionsmaßnahmen sollte geklärt werden. Mediation und Sanktion sollten als gleichwertige Instrumente nebeneinander installiert werden, um den Grundsatz der freiwilligen Inanspruchnahme der Mediation aufrechtzuerhalten: Nicht Mediation statt Sanktion, sondern Mediation und Sanktion. Wichtig ist eine Verständigung im Kollegium darüber, welche schulischen Strategien zur Bearbeitung von Konflikten in welchen Situationen zum Einsatz kommen (vgl. BEHN et al. 2006, S. 35). Die Akzeptanz bei Mediationsprojekten gehört zu den zentralen Bedingungen für ein Gelingen, wie die Studie belegt. Die Schulleitung sollte als Moderations- und Koordinationsstelle vor allem in der Einführungsphase eines Mediationsprojektes, stark in Erscheinung treten (vgl. BEHN et al. 2006, S. 25). Bei der Zusammensetzung des Mediatorenteams sollte darauf geachtet werden, dass die gesamte Schülerschaft in Hinblick auf Alter, Geschlecht und Herkunft bei der Auswahl der Mediatorinnen repräsentiert wird (BEHN et al. 2006, S. 36). 66 4.5.2 Mediation und Schulsozialarbeit "Die Zusammenarbeit mit der Schulsozialarbeit kann als ein strukturell verankerter Ansatzpunkt bezeichnet werden. Der Kooperation von Schule und Schulsozialarbeit kommt für die erfolgreiche Durchführung eines Mediationsprojektes besondere Bedeutung zu. Insbesondere die hauptverantwortliche Zuständigkeit und Koordinationsfunktion der SchulsozialarbeiterInnen für ein Mediationsprojekt wird als sinnvoll und gewinnbringend erachtet, da sie aus Sicht der SchulvertreterInnen im Vergleich zum Lehrpersonal viel eher die Möglichkeit haben, ein solches Projekt in ihr Aufgabengebiet zu integrieren. Damit ist auch gemeint, dass sozialpädagogische Fachkräfte, bedingt durch ihre Profession und Qualifizierung mit dem Themenbereich, vertrauter sind und zu dessen Bearbeitung auf andere Methoden zurückgreifen können als LehrerInnen" (BEHN et al. 2006, S. 113). Eine Anbindung der Schulsozialarbeit an das Mediationsprojekt erwies sich als hilfreich für das Gelingen von Mediationsprojekten (vgl. BEHN et al. 2006, S. 111). Weiterhin hatte sich gezeigt, dass sich Mediationsprojekte, die von SchulsozialarbeiterInnen begleitet wurden, durch eine besondere Kontinuität und Verlässlichkeit auszeichneten. Die Einbindung der Schulsozialarbeit bietet weitere Vorteile für die Umsetzung des Projektes. Die BegleitlehrerInnen können sich mit den SchulsozialarbeiterInnen besprechen und die SchulsozialarbeiterInnen können Hilfestellung bei der Ausbildung der SchülermediatorInnen geben. Sie können Fälle übernehmen, bei denen die Mediation nicht erfolgreich war und diese klären oder Fälle übernehmen, die von vornherein zu schwierig für eine Schülermediation sind und sie können die SchülermediatorInnen beraten (vgl. BEHN et al. 2006, S. 108). 67 5. Klassenfahrten auf Traditionsseglern In diesem Kapitel wird zuerst die Geschichte des Lernens auf See geschildert. Weiterhin wird auf eine Differenzierung des Programmangebotes eingegangen, das „klassische Sailtraining“ als Beispiel des Lernens auf See beschrieben und durch ein Beispiel des Traditionsseglers „Thor Heyerdahl“ veranschaulicht, um anschließend die Bedingungen und die Situation von Klassenreisen auf dem Islemeer darzustellen und spezielle Lernfelder auf Traditionsseglern darzulegen. 5.1 Die Geschichte des Lernens auf See Das Segeln mit Traditionsseglern zu Ausbildungszwecken hat eine lange Tradition. Früher wurden alle Angehörigen der Marine auf den Segelschulschiffen des Militärs ausgebildet, wie zum Beispiel auf der „Gorch Fock“, einem Traditionssegler der Bundesmarine. Später entdeckte KURT HAHN das pädagogische Potenzial einer Segelreise; sein Programm orientierte sich stark an den von ihm entwickelten „Outward Bound“5 Prinzipien6. „Outward-Bound“ bedeutet: Ein Schiff ist für die große Fahrt bereit und wird in diesem Kontext als Metapher verwendet. Die Jugendlichen sollen auf die Fahrt ins Leben vorbereitet werden. Die Prinzipien, die KURT HAHN prägte, waren: Das körperliche Training, der Rettungsdienst, das Projekt, die Expedition und bei Programmen auf See, die Seemannschaft. KURT HAHN nannte es „Erziehung durch die See“. "Nicht um das Segeln und seinen Selbstzweck geht es, sondern das Segeln wird zum Medium, mit dem pädagogisch auf aktuelle Jugendprobleme reagiert wird" (vgl. ARBEITSGEMEINSCHAFT SEGELN MIT KINDERN, JUGENDLICHEN UND JUNGEN ERWACHSENEN (Hg.) 1987, S. 21). Bereits 1980/81 gründete sich die erste Arbeitsgemeinschaft „Segeln mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen“ an der Hochschule Lüneburg unter der Leitung von DR. J. ZIEGENSPECK. Sie hatten sich zur Aufgabe gemacht, das Segeln auf seine persönlichkeitsbildende Bedeutung hin zu untersuchen. Es gelang ihnen 5 6 Outward Bound“ ist ein Verein, der im Jahre 1914 mit der Gründung einer Schule in Wales, durch Laurence Holt und Kurt Hahn seinen Anfang nahm. Ziel war es, mit Methoden des ganzheitlichen und handlungsorientierten Lernens, die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen zu fördern. Die „Outward Bound“ Prinzipien beziehen sich auf die von Kurt Hahn formulierten Faktoren zur Förderung der Persönlichkeit und den Verfall der Werte. Siehe auch Kapitel 7.3.1 68 kurz darauf, ein Schulungsschiff anzuschaffen und als besonders förderungswürdiger Träger der Jugendhilfe auf Landesebene anerkannt zu werden. Dennoch galten pädagogische Segelaktivitäten noch lange als randständig. Anknüpfungspunkt einer Diskussion über die Kurzzeitpädagogik waren die damals bekannten „Kurzschulen“ KURT HAHNs. Früher herrschte auf Schiffen ein eindeutiges hierarchisches System von Befehl und Gehorsam. Dies wird auch heutzutage noch häufig auf Schiffen praktiziert und oft mit der Zweckdienlichkeit legitimiert. Auch auf manchen pädagogischen Segelreisen haben solche Kapitäne7 die Befehlsmacht. Oft wird die Seefahrt noch von jahrhunderte alten Traditionen beherrscht und durch die Kapitäne8 der „alten“ Schule aufrechterhalten. Inzwischen hält eine neue Schiffsführergeneration Einzug. Gerade auf dem Islemeer trifft man immer mehr junge Schiffsführer auf Traditionsseglern, die nicht dieser „alten“ Seefahrtsschule entstammen. Nach der „alten“ Schule wurde, wenn der Maat9 die Kommandos über Deck brüllte, ganz im Sinne von Befehl und Gehorsam, ein korrektes Ausführen der Kommandos erwartet Ein grundsätzliches Verstehen des eigenen Handelns seitens der Mannschaft, wurde nicht verlangt. Früher gab es gewichtige Gründe für das zurückhalten von fachlich seemännischen Informationen und nautischen Kenntnissen10 an Bord. Der Kapitän versuchte die Mannschaft nicht mehr als nötig zu qualifizieren, um seine eigene Autorität zu wahren und einer Meuterei11 vorzubeugen (vgl. STADLER 1988, S. 36 ff.). M. STADLER beschreibt auch eine alternative Handlungsweise, die auf die Persönlichkeitsentwicklung der Mannschaftsmitglieder abzielt: Er bezieht sich zum Beispiel auf das Kommando „Auffieren12“, was eine Veränderung der Segelstellung meint. Der/Die WachführerIn könnte zu dem Mannschaftsmitglied hingehen und ihm die Situation erläutern, so dass es dem Crewmitglied möglich ist, den 7 8 9 10 11 12 Ich möchte an dieser Stelle anmerken das es früher in der Seefahrt keine Frauen in der Seefahrt gegeben hat. Es hieß sogar, dass Frauen an Bord Unglück bringen. Da es damals keine Kapitäninnen gab verwende ich bei Beschreibungen der „alten“ Seefahrt nur die männliche Form. KapitänIn bezeichnet die SchiffsführerIn; Jemand, der befähigt ist, ein Schiff unter Einbeziehung von geographischen, meteorologischen und hydrologischen Bedingungen zu führen und zu steuern Die MaatIn leitet die Kommandos an die Mannschaft weiter und ist für die sachgemäße Ausführung verantwortlich. nautische Kenntnisse bezeichnen das Wissen über das Führen eines Schiffes auf See. Eine Meuterei ist eine Revolte der Schiffsbesatzung gegen die Schiffsführung und den Kapitän die, die Übernahme des Schiffes zum Ziel hat. Auffieren oder Fieren bedeutet „Lose“ geben. In diesem Fall ist das Lockern des Seiles gemeint welches die Segel an ihrer Position fixiert. 69 Zusammenhang und den Sinn des Befehls zu verstehen. Das „Auffieren“ ist wichtig für einen guten Trimm13 , denn dadurch gewinnt das Schiff an Geschwindigkeit. Weiterhin könnte er bei Interesse erklären, was einen guten Trimm ausmacht. So könnten die Crewmitglieder das nächste Mal selbst die Notwendigkeit zum Handeln erkennen und eine Trimmveränderung in Form von „Auffieren“ vorschlagen. Es gibt auch die Möglichkeit, wenn es die Wetterbedingungen zulassen, die Crewmitglieder den besten Trimm selber herausfinden zu lassen, indem sie verschiedene Arten des Trimms ausprobieren und mit Hilfe des GPS14, an dem sie die Geschwindigkeit des Schiffes und die Abdrift15 berechnen können, ihren Erfolg überprüfen können (vgl. STADLER 1988, S. 36 ff.). Um dies umsetzten zu können, muss bei den BefehlsgeberInnen, der MaatIn und der KapitänIn, die Bereitschaft vorhanden sein, diese Möglichkeiten im Sinne von pädagogischen Zielen zu nutzen. Je besser der Mannschaft Zusammenhänge und Notwendigkeiten erklärt werden, desto mehr fühlt sie sich eingebunden. Neben der sachlichen Anerkennung durch die Autoritäten dürfte eine höhere persönliche Anerkennung die Folge sein. Veränderungen bei Wind, Welle, Untiefen und anderem Wasserverkehr bedingen in bestimmten Situationen den unmittelbaren Vollzug bestimmter Tätigkeiten, z.B. Auffieren – damit die Fahrt verringert oder der Kurs geändert werden kann. Ist der Mannschaft dieses Manöver vorher erklärt worden, kann sie mitdenken und bei auftretenden Krisensituationen entsprechend handeln. Insgesamt würde eine„einbezogene“ Mannschaft für alle Tätigkeiten höhere Qualifikationen erreichen und als Resultat auch motivierter arbeiten. Eine weitere Folge dürfte ein Anwachsen des Selbstwertgefühls sein. 5.1.1 Darstellung eines „klassischen“ Sailtrainings am Beispiel des erlebnispädagogischen Konzeptes der Thor Heyerdahl. Zum Vergleich möchte ich in Auszügen das Konzept des Dreimast-Traditionsseglers „Thor Heyerdahl“ vorstellen. Das pädagogische Konzept der „Thor Heyerdahl“ wurde von der „pädagogischen Werkstatt“ der Universität Lüneburg ausgearbeitet. Zielgruppe sind Jugendliche und junge Erwachsene. Da zu diesen Projekten 13 Als Trimm werden die Einstellungen der Segel und die Verlagerung des Gewichtes bezeichnet die die Geschwindigkeit beeinflussen. 14 Ein technisches Gerät zum bestimmen der Position und der Geschwindigkeit. 15 Durch die Segelstellung und den Kurs beeinflusste Seitwärtsbewegung des Schiffes. 70 zahlreiche Veröffentlichungen erschienen sind, möchte ich diese Konzeption nicht ausführlich darstellen. Es sind noch weitere Schiffe in Fahrt, die nach diesen oder ähnlichen Konzepten des „Sailtrainings“ arbeiten. Die gemeinsamen Schwerpunkte dieser Konzepte sind: Das Erlernen der traditionellen Schifffahrt und das Vorbild guter Seemannschaft16. Diese Konzepte beruhen auf den reformpädagogischen Ansätzen KURT HAHNS. Er beschrieb diese Ziele einst als „Erziehung durch die See“. Als Ziel der Reise nach dem Konzept für die „Thor Heyerdahl“ wird die Schiffsübergabe an die Jugendlichen am letzten Tag angestrebt, bei welcher die SchülerInnen das Schiff eigenständig führen sollen. Mit jedem Tag nehmen die TeilnehmerInnen die Aufgaben auf dem Schiff mehr und mehr selber in die Hand, bis sie zum Ende der Fahrt das Schiff führen können. Sie wählen KapitänIn, RudergängerIn, MaschinistInnen, WachführerInnen usw. und sollen versuchen, ein vorgegebenes Ziel eigenständig zu erreichen. Ziel der Schiffsübergabe ist es, dass die Jugendlichen lernen, durch die erworbenen Qualifikationen ihre Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Dies ist eine wichtige Vorraussetzung für "die Entwicklung von Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein und für das, so genannte, Eigenmachtserleben" (STADLER 1988, S. 39). Unter Eigenmachtserleben versteht man das Gefühl, seine Umwelt beeinflussen und in gewissem Maß kontrollieren zu können. "Wer sich von außen kontrolliert fühlt und seine Handlungen als Reaktion auf andere begreift, sieht keinen Grund dafür, die Verantwortung für seine Handlungen auch zu übernehmen" (vgl. STADLER 1988, S. 39). Auf der „Thor Heyerdahl“ dauert ein Törn meist nur zwei Wochen. Die meisten Fahrten finden auf der Ostsee statt. Es wird in Wachen gefahren17. Vier Stunden sind eine Wache. Wachwechsel ist um 00:00 Uhr, 4:00 Uhr, 8:00 Uhr und 12:00 usw., solange das Schiff sich in Fahrt befindet oder vor Anker liegt, wird Wache gegangen. Die SchülerInnen dürfen sich nicht aussuchen mit wem sie in einer „Wache“ sein wollen. Die Einteilung erfolgt aufgrund der Belegung der Kammern (Zimmer), da sich sonst schlafende und wachende TeilnehmerInnen gegenseitig stören würden. Um die Grundelemente von KURT HAHN zu vervollständigen, wurde das „Run and Dip“ zu einem Teil des körperlichen Trainings und zusätzlich zu den Arbeiten an 16 Seemannschaft umfasst letztendlich alles, was der Mensch können und wissen muss, um sich mit einem Schiff auf See zu begeben 17 Die Mannschaft an Bord wird in Wachen (Gruppen) eingeteilt die zu unterschiedlichen Zeiten für den Dienst an Deck zuständig sind. 71 Bord hinzugefügt: Die SchülerInnen rudern an bestimmten Tagen morgens vor dem Frühstück an Land, um dort zu joggen und anschließend ins Wasser zu gehen, bevor sie zum Frühstück an Bord zurückkehren. Bei der ersten Durchführung dieser Aktion auf einer Reise ist es Pflicht für jeden SchülerInnen, mit an Land zu kommen, bei allen folgenden Angeboten von „Run and Dip“ herrscht das Prinzip der Freiwilligkeit. 5.1.2 Eine Differenzierung der Angebote auf Traditionsseglern Die Angebote von Segelreisen für Jugendliche sind vielfältig, was den Schiffstyp, das Fahrtgebiet, die Dauer der Reise und die angesprochenen Zielgruppen betrifft. Eine wichtige Rolle spielt auch, ob die Schiffe von einem Verein oder gewerblich betrieben werden. Die meisten Schiffe, die unter deutscher Flagge fahren, werden von gemeinnützigen Vereinen betrieben (vgl. BREIG 2006), die sich in der Vereinsorganisation und im Vereinskonzept unterscheiden können. In den Niederlanden sind die Schiffe meist gewerblich betrieben und somit gewinnorientiert. Die Angebote auf den Traditionsseglern umfassen unter anderem Klassenfahrten, Bildungsreisen, Resozialisierungs-Projekte, interkulturelle Projekte und Reisen mit therapeutischem Charakter. Manche Projekte beinhalten nicht nur das Leben und Segeln an Bord, sondern auch die Pflege und Instandhaltung des Schiffes, Reparaturarbeiten und Werftzeiten. Es sind auch Angebote auf Jollen18 und anderen kleinen Booten zu finden, jedoch möchte ich mich im Kontext dieser Arbeit auf die großen Schiffe beschränken, denen es möglich ist, ganze Schulklassen aufzunehmen. 5.2. Beschreibung der Situation einer Klassenfahrt auf einem Traditionssegler in den Niederlanden Zu dem Thema des klassischen „Sailtrainings“ an Bord von Traditionsseglern ist viel Literatur erschienen und auch Diplomarbeiten beschäftigen sich mit diesen Konzepten. Deshalb werde ich an dieser Stelle auf eine ausführlichere Darstellung 18 Kleine offene Segelboot ohne Wetterschutz 72 verzichten und werde in diesem Kapitel die spezielle Situation der Traditionssegler beschreiben, welche Klassenfahrten in den Niederlanden anbieten. Zu diesem Kapitel ist noch keine Literatur vorhanden und somit stütze ich mich auf meine eigenen Beobachtungen und Erfahrungen, sowie auf die Informationen aus den Gesprächen mit LehrerInnen, SchülerInnen, SchiffsführerInnen und MaatInnen. Ich habe selber als Maatin auf Traditionsseglern in unterschiedlichen Fahrtgebieten gearbeitet. Um die Aussagen und Thesen zu belegen, müsste eine empirische Studie der Situation der Traditionssegler durchgeführt werden, die im Umfang meiner Diplomarbeit nicht zu leisten ist. In den Fallbeispielen beziehe ich mich auf eine Klassenfahrt auf der „Ambiance“, die im Sommer 2008 stattgefunden hat und die stellvertretend für andere Schiffe und Klassenfahrten stehen kann, da die Struktur und die Bedingungen auf den Schiffen ähnlich sind. 5.2.1 Traditionssegler auf dem Islemeer Die Besatzung: Die meisten Traditionssegler, die Fahrten für Klassenreisen anbieten, fahren mit einer SchiffsführerIn und einer MaatIn als Besatzung. Nicht selten sind die KapitänInnen auch gleichzeitig der/die EignerIn des Schiffes. Die MaatInnen bleiben üblicherweise mindestens eine Saison auf dem gleichen Schiff. Sie wohnen, genauso wie der/die KapitänIn, an Bord und sind für alle technischen und seemännischen Handlungen und den Unterhalt des Schiffes verantwortlich. Es gibt ungefähr 550 Traditionssegler in den Niederlanden, die Reisen auf Traditionsseglern anbieten (VERENIGING VOOR BEROEPSCHARTERVAART (BBZ) 15.02.2009). Das Fahrtgebiet bezieht sich auf die niederländische Küste und ihre zahlreichen Inseln. Die meisten Segler fahren nachts nicht, dies macht eine sonst übliche Wacheinteilung der Mannschaft auf 24 Stunden überflüssig. Wenn nur tagsüber gefahren wird, wird die Mannschaft in zwei oder drei Gruppen eingeteilt, die im Wechsel von sechs oder vier Stunden für den Schiffsbetrieb Rudergehen19, Ausguck gehen20 und für die Segelführung zuständig sind. Sie müssen während dieser Zeit 19 20 Das Schiff steuern. Nach Gegebenheiten Ausschau halten die dem Schiff gefährlich werden könnten oder für die Navigation wichtig sind, wie z.B. andere Schifffahrzeuge, Leuchttürme, Landmarken, Tonnen, Untiefen, etc. 73 diese Aufgaben übernehmen und unter Anleitung der MaatIn ausführen. Ausgenommen sind hierbei Manöver, bei denen alle Mannschaftsmitglieder gebraucht werden; bei solchen Manövern müssen alle mithelfen. Die Positionen der Schiffsführung werden bei Fahrten dieser Art nicht abgegeben, dies unterscheidet sie auch vom „Sailtraining“. Die Besetzung des Funkgerätes, Ausguck in schwierigen Situationen, Anleitung in Erster Hilfe, Übung von vorbereiteten und unvorbereiteten „Mensch über Bord Manövern“ werden nicht mit SchülerInnen durchgeführt oder an SchülerInnen abgegeben - ausgenommen ist das Rudergehen unter Aufsicht bei guter Sicht und außerhalb von Fahrwassern21. Weiterhin finden bei diesen Fahrten keine Expeditionen statt, da die meisten Schiffe kaum noch Beiboote mit sich führen und weil die Betreuung der SchülerInnen nicht gewährleistet werden kann. Im Gegensatz zu den Traditionsseglern auf der Ostsee, die unter deutscher Flagge fahren und oft einen gemeinnützigen Verein als Träger haben, sind die Schiffe in den Niederlanden als Unternehmen strukturiert, das Gewinn abwerfen muss und nicht von staatlichen Fördergeldern profitieren kann. Dies mag einer der Gründe sein, weshalb der Schiffsbetrieb in Holland, in finanzieller Hinsicht effizienter ausgerichtet ist. Dies bedeutet für die SchiffsbetreiberInnen, möglichst viele Tage im Jahr zu fahren: Wenn eine Gruppe von Montag bis Freitag fährt und Freitag morgen abreist, wird das Schiff ab Freitag nachmittag schon wieder verbucht. Pädagogische Konzepte sind bei diesen Reisen meistens nicht vorgesehen. Für die Umsetzung fehlen den SchiffsführerInnen und MaatInnen auch die zeitlichen Kapazitäten. Ein Schiff zu führen, bedeutet immer auch Menschen zu führen. Nun sind die KapitänInnen zwar für die Seefahrt ausgebildet, jedoch pädagogisch und methodisch, in Anbetracht der Vermittlung von Inhalten und Gruppenleitung, in der Regel nicht. Die Schiffe, so wie sie auf dem Islemeer ausgestattet sind, lassen sich auch zu zweit bedienen. Im Gegensatz zu anderen Traditionsschiffen, wie z.B. der „Thor Heyerdahl“, bei denen, aufgrund ihrer Konstruktion der Takelage22, die ganze 21 22 Fahrwasser: Eine durch Signalzeichen gekennzeichnete Seeschiffartstraße. Allg. Bezeichnung für Masten, Stengen, Rahen sowie deren sichernde und stützende Elemente 74 Mannschaft für ein Manöver gebraucht wird und keiner zusehen kann, muss in diesem Fall explizit darauf geachtet werden, dass jeder/jede TeilnehmerIn eine Aufgabe bekommt und mit eingebunden wird. 5.2.2 Die Situation auf dem Schiff Die Situation auf dem Schiff ist durch besondere Gegebenheiten gekennzeichnet, die in diesem Kapitel beschrieben werden sollen. An Bord befinden sich mit SchiffsführerIn, MaatIn, LehrerInnen und SchülerInnen circa 35 Personen. Die Größe des Schiffes ist unterschiedlich, wobei die meisten eine Schifflänge von ungefähr 39 Metern über Deck23 aufweisen. Die übliche Reisedauer für Klassenfahrten in den Niederlanden liegt zwischen 5 und 10 Tagen. . Meistens laufen die Schiffe morgens um 10:00 Uhr aus und am frühen Abend wieder in einen Hafen ein. Mit dem sicheren Erreichen des Liegeplatzes im Hafen endet die Programmgestaltung und Zuständigkeit der Schiffsbesatzung für die Schüler. Die SchülerInnen haben „Freizeit“, gehen an Land, um einzukaufen, Eis zu essen oder baden zu gehen. Bei älteren SchülerInnen ist bei Landgängen auf manchen Reisen teilweise intensiver Alkoholkonsum zu erwarten. Trotz einer hervorragenden Basis für erlebnispädagogische Elemente und Auswertungen, bleiben die auftretenden Konflikte an Bord meist unbearbeitet und unreflektiert, da die Implementierung eines pädagogischen Konzeptes fehlt. Wind und Wetter: Das Leben an Bord und auf See wird maßgeblich vom Wetter beeinflusst. Welcher Hafen als nächstes angelaufen wird, wird vom Wind mitbestimmt. Ein Segelschiff braucht bestimmte Wind- und Wetterbedingen, um an sein geographisches Ziel zu kommen. Das Wetter lässt sich auch trotz moderner Technik nicht genau hervorsagen und der Reiseverlauf muss immer wieder den Wetterbedingungen angepasst werden. Zwar haben die Schiffe alle starke Motoren, doch jede unter Maschine gefahrene Seemeile nimmt den „Flair“ des Segelns, lautlos, ohne 23 Der oberste voll begehbare Abschluss des Schiffsrumpfes 75 Maschinenkraft, übers Wasser zu fahren. Bei starkem Wellengang können einige seekrank werden, der Reiseverlauf muss der Belastungs- und Leistungsfähigkeit der Mannschaft angepasst werden. Ressourcen: Ein Vorrat an Lebensmitteln, Treibstoff, Wasser und elektrischer Energie befindet sich nur in begrenztem Maße an Bord, abhängig von den Speicherkapazitäten, der Größe der Tanks und der Leistung der Generatoren etc. Das Auffüllen der Ressourcen muss bei der Routenplanung berücksichtigt werden. Viele Schiffe verfügen über Elektrizität, Gasherd, Kühlschrank, Duschen, Toiletten mit Wasserspülung etc. Einige haben mittlerweile auch eine eigene Waschmaschine an Bord. Somit ist die Herausforderung der Versorgung nicht mehr besonders hoch und auch die Einschränkungen im technischen Bereich auch eher gering; häufig hat man sogar Handyempfang und auch das Aufladen der Handys an Bord stellt kein Problem dar. Die ständige Anwesenheit der Küste vermittelt ein Sicherheitsgefühl welches bei weiten Fahrten über das offene Meer nicht gegeben ist. Es kann fast zu jeder Zeit ein Hafen angelaufen werden. Der Aufenthalt an Bord bedeutet eine Einschränkung des gewohnten Lebensraumes durch das begrenzte Platzangebot. Daraus ergeben sich mangelnde Rückzugsmöglichkeiten und damit zusätzliche Anforderungen an das soziale Gruppenleben, denen sich keiner entziehen kann. Ein Schiff auf See stellt es ein eigenes geschlossenes System dar, da es nicht einfach verlassen werden kann! Das Leben und Segeln auf dem Wasser erfordert umsichtiges und vorausschauendes Handeln, um die Sicherheit aller an Bord befindlicher Personen zu gewährleisten. Bei den Segelmanövern müssen viele Menschen, zum Teil bis zu 30 Personen, gut koordiniert zusammenarbeiten. Dies ist eine große Herausforderung, die pädagogisch genutzt werden kann. Nicht zu vergessen, ist natürlich auch das traditionelle Flair, welches den Aufenthalt auf einem Traditionssegler mit sich bringt. Die Seefahrt hat eine lange jahrhundertlange Tradition, aus der viele Lieder und Geschichten hervorgegangen sind. 76 5.2.3 Die soziale Situation auf dem Schiff Das Schiff kann als soziales System betrachtet werden, das sich aus diversen Systemelementen zusammensetzt, die wechselseitig interdependent sind (vgl. GROSSMANN 1987, S. 9). Während dieser Klassenfahrt auf einem Traditionssegler setzen sich die Systemelemente wie folgt zusammen: SchiffsführerIn, MaatIn und die Mannschaft, die in diesem Fall durch die Klasse und die BegleitlehrerInnen repräsentiert werden. GROSSMANN schreibt in Bezug auf das soziale System an Bord: "Das Aneignen des Rüstzeuges für den Umgang mit anderen kommt im Schiffsbetrieb besondere Bedeutung zu, zumal ja eine Flucht vor persönlichen Konflikten mit anderen nicht realisierbar ist" (GROSSMANN 1987, S. 25). Das Hierarchische System an Bord. Die Hierarchie an Bord sollte immer auf den Kompetenzen der RolleninhaberInnen beruhen und primär auch durch diese legitimiert werden. Der SchiffsführerIn trägt laut Gesetz die gesamte Verantwortung für die Sicherheit aller an Bord befindlichen Personen und muss im Ernstfall auch die rechtlichen Konsequenzen tragen. Es gibt Situationen auf See, in denen schnell Entscheidungen getroffen und Handlungsanweisungen an die Mannschaft gegeben werden müssen. Diese Handlungsanweisungen werden von dem/der SchiffsführerIn bekannt gegeben und durch den/die MaatIn an die Mannschaft herangetragen. Der/Die MaatIn koordiniert auch den Ablauf des Manövers und die Einteilung der Aufgaben und Positionen für die Segelbedienung. Teilweise müssen die Handlungen zeitgleich oder kurz nacheinander ablaufen und müssen deshalb gut aufeinander abgestimmt sein. Das Leben an Bord wird bestimmt durch den wenig vorhandenen Platz. Die SchülerInnen wohnen in kleinen Kammern24, mit 2-6 Kojen25. Es gibt keine klare Trennung von Arbeit, Wohnen und Freizeit. Wie auf den meisten Schiffen gibt es aus Schutz vor Seeschlag26 keine Fenster, sondern nur Dachluken oder Bullaugen27. Diese lassen die Kammern noch kleiner erscheinen. Es gibt meist nur wenige Duschen und Toiletten, so muss hier die Nutzung koordiniert werden. Wenn die 24 Zimmer an Bord eines Schiffes Betten oder Schlafgelegenheiten an Bord eines Schiffes. 26 Wassereinbruch durch den Schlag der Wellen verursacht. 27 Kleine rund Fenster 25 77 Begleitlehrerinnen einer Klasse sich dieser Aufgabe nicht annehmen, entstehen zusätzliche Reibungsmöglichkeiten oder Konfliktsituationen. STADLER beschreibt, dass für das Leben auf engem Raum besondere Regeln und soziale Kompetenzen notwendig sind. Weiterhin können durch die ungewohnte soziale Dichte an Bord, die Stresssymptome verursachen können, „Territorialkonflikte“ auftreten, die zu aggressiven Verhaltensweisen führen. Wenn eine Person in den Bereich eindringt, der von jemand anderem für sich beansprucht wird, entsteht ein solcher Konflikt, der von STADLER als „Territorialkonflikt“ bezeichnet wird (vgl. STADLER 1999b, S. 126). 5.2.4 Situation der LehrerInnen Die KlassenlehrerInnen sind oft diejenigen, die die Reise buchen. Im Normalfall sind die KlassenlehrerInnen bei der Reise auch anwesend und kennen in der Regel die Klasse schon länger. Die LehrerInnen sind mit vielen Aufgaben konfrontiert. Sie müssen die Verpflegung planen, einkaufen und an Bord bringen oder dieses delegieren bzw. koordinieren... Beim Segeln liegt die Verantwortung bei dem/der SchiffsführerIn und MaatIn. Hier ist die Lehrkraft, die oft nicht segeln kann, in einer ungewöhnlichen Situation: Wenn sie bisher noch nie gesegelt hat, weiß sie auf diesem Gebiet meistens nicht mehr als die Schüler. ZIEGENSPECK beschrieb innerhalb seiner erlebnispädagogischen Arbeit an Bord: "Die gemeinsamen Erlebnisse von Jugendlichen und Pädagogen tragen zu einer neuen Form der Beziehung bei." Die Anforderungen an die PädagogInnen sind jedoch hoch, sie haben keinen Feierabend mehr und befinden sich auf ihnen nicht vertrautem Gebiet. Das führt häufig dazu, dass auch sie Schwächen zeigen werden. Sie müssen sich als Personen zeigen und nicht nur als PädagogInnen. Da die Bedingungen für alle gleich sind, müssen sie ein Stück ihrer Autorität abgeben. Dadurch kann eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den SchülerInnen entstehen und die Identifikationswahrscheinlichkeit der SchülerInnen mit ihrem LehrerInnen erhöht sich (vgl. ZIEGENSPECK 1995, S. 223). 78 5.2.5 Situation der SchülerInnen Wenn die SchülerInnen das erste Mal an Bord kommen, müssen sie als unerfahrene TeilnehmerInnen an den ersten Tagen teilweise anspruchsvolle kognitive Leistungen vollbringen. Sie haben noch keine Übersicht über die zahlreichen Leinen28, Blöcke29 und Segel und keine Vorstellung über die Zusammenhänge der technischen Vorgänge im Segelbetrieb. Die Handlungsabläufe, die es für das Segeln eines solchen Schiffes braucht, müssen erst erlernt werden. Die SchülerInnen werden in den Segelbetrieb zukünftig mit einbezogen und in so genannten „Manövern“30 müssen sie als Mannschaft gemeinschaftlich handeln. Wenn auf einem Segelschiff im ‘Wachbetrieb’ gefahren wird, so bedingt dies zwangsläufig, dass man mit den Personen der eigenen ‘Wache’ den intensivsten Kontakt hat. Den Mitgliedern der anderen ‘Wachen’ begegnet man bedeutend weniger, evtl. nur beim ‘Wachwechsel’31. Mit Personen außerhalb der Bordgemeinschaft kann kaum Kontakt aufgenommen werden, solange sich das Schiff in Fahrt befindet. Durch diese relative Abgeschlossenheit der Gruppe kann eine eingeschworene Gemeinschaft entstehen. Ungewohnt ist für die meisten auch die Verwendung einer Fachsprache an Bord. Links wandelt sich in „Backbord“, hinten zu „Achtern“, die Betten werden zu „Kojen“, die Seile zu „Tauen“ usw. Bei vielen Fahrten dieser Art konnte ich beobachten, dass keine ausführliche Segeleinweisung erfolgte. Das bedeutet, dass die SchülerInnen nicht mit Begriffen und den Gegebenheiten des Schiffes an Bord vertraut gemacht worden sind. Um ein Segelmanöver durchzuführen, werden den SchülerInnen einzelne Teilaufgaben zugewiesen, die es erstmal zu erlernen gilt, ohne die eigene Handlung in ihrem Kontext zu verstehen. Mit der Zeit und Wiederholung der Handlungsabläufe und entsprechender Erklärungen wird ihnen aber deutlich werden, wie die einzelnen Aktionen zusammen hängen. Es ist wichtig, dass jede der Teilaufgaben korrekt erfüllt wird, um ein gelungenes Manöver zu vollbringen. 28 29 30 31 Seil an Bord eines Schiffes Block: Umlenkrolle; Rolle oder Scheibe in einem Gehäuse; meist aus Holz Nautisch-technische Maßnahmen; Handlungsabläufe bei deren Anwendung ein Schiff in eine andere Lage oder geänderte Position gebracht wird Meint die ‘Übergabe’ der Schiffsführung von einer Wache auf die nächste Wache. 79 Gemeinsames Leben an Bord zeichnet sich durch besondere Gegebenheiten aus. Die Kammern zum Schlafen sind klein und somit entsteht eher Stress unter den SchülerInnen, da sie sich auch hier gut miteinander arrangieren müssen. Wenn das Wetter schlecht ist, wird es eng mit einer ganzen Klasse unter Deck und die TeilnehmerInnen reagieren schneller gereizt. Die SchülerInnen sind dafür verantwortlich, die Aufgaben innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches korrekt auszuführen. Eine Aufgabe ist z.B. die Backschaft. Als Backschaft bezeichnet man den Küchendienst an Bord eines Schiffes. Die SchülerInnen sind in wechselnden Gruppen für die Zubereitung des Essens verantwortlich. Viele haben wenig Erfahrung im Kochen und werden dann vor die Aufgabe gestellt, für die ganze Gruppe, ca. 30 Personen, zu kochen oder eine Mahlzeit zuzubereiten. Diese muss zu einem angekündigten Zeitpunkt fertig sein, da die Essenszeiten dem Segelbetrieb angepasst werden müssen. Meistens wird morgens gemeinsam gefrühstückt, mittags ist aufgrund des Segelbetriebes und manchmal wegen des Wellenganges nur eine kalte Mahlzeit möglich. Abends, wenn das Schiff im Hafen liegt, gibt es ein warmes Gericht. Die Mahlzeiten müssen im Voraus geplant werden, damit die notwendigen Lebensmittel an Bord sind. Es dürfen auch nur dir eingeplanten Lebensmittel pro Mahlzeit verbraucht werden, denn sonst fehlen diese der nächsten Gruppe beim Zubereiten der nächsten Mahlzeit. Auch „Reinschiff“32 ist eine der Aufgaben der SchülerInnen. Der Sauberkeit und der Ordnung an Bord kommt eine große Bedeutung zu, da sie als relevant für die Sicherheit an Bord angesehen werden. Von herumliegenden Gegenständen kann immer, insbesondere bei einem Notfall Gefahr ausgehen, weil sie die Ausführung von sicherheitsrelevanten Handlungen verhindern könnten. Bei einem Brand muss es zum Beispiel allen Insassen möglich sein, ungehindert durch die Kammern und die Dachluken zu entkommen. Jeden Tag werden Dienste vergeben, die die Gemeinschaftsräume, Sanitärbereiche, Kombüse und das Deck sauber halten. Diese eher unkomfortable Situation an Bord zu erleben, hat zwei Seiten. Zum einen kann es durch die ungewohnte Situation zu psychischen und physischen Belastungen kommen, wie z.B. Schlafmangel, Seekrankheit, sozialer Stress und Erschöpfung durch ungewohnte körperliche Arbeit. Gleichzeitig wird genau durch diese 32 Putzen und Aufräumen 80 Umstände der besondere „Reiz“ ausgemacht, der von Stolz geprägt ist, wenn z.B. der Sturm überstanden oder eine schwierige Situation gemeistert ist. Ein weiteres Beispiel: Wenn zwei SchülerInnen eine Nacht lang Ankerwache halten müssen anstatt zu schlafen, übernehmen sie gleichzeitig die Verantwortung für die Sicherheit der anderen. und damit eine zusätzliche Belastung. Dieses im Zusammenhang mit einer vielleicht sehr stürmischen Nacht, wird gleichzeitig das Potenzial für ein unvergessliches Erlebnis. Diese Belastungen, die auf dem Schiff zu bewältigen sind, werden von dem Einzelnen sehr unterschiedlich wahrgenommen. (Siehe hierzu auch das „Komfortzonenmodell“ im Kapitel 7.3.1.) 5.2.6 Situation der SchiffsführerInnen Der/die SchiffsführerIn sollte eine Führungspersönlichkeit sein, die zu jeder Zeit anerkannt wird. Vergleichbar mit PersonalchefInnen eines Betriebes sollte der/die SchiffsführerIn sich immer dessen bewusst sein, dass das Produktionsergebnis an Bord in erster Linie von sozialen Normen bestimmt wird, mehr als durch physiologische Leistungsgrenzen (vgl. GROSSMANN 1987, S. 34). Die Schiffsführung muss die Sicherheit des Schiffes gewährleisten, ist für alle navigatorischen Aspekte verantwortlich und muss bei der Reiseplanung die Zeit, Treibstoffvorräte, Öl, Wasser, meteorologische Parameter mit einkalkulieren, um am Ende der Reise auch garantiert den Zielhafen zu erreichen (vgl. GROSSMANN 1987, S. 40). Dies erfordert viel Erfahrung und vorausschauende Planung und steht manchmal im Konflikt mit den pädagogischen Zielen an Bord, beispielsweise, wenn die soziale Situation an Bord und der Gruppenprozess sich so gestalten, dass eine Nacht auf See für die Gruppe sinnvoll wäre, die Wind und Wetterbedingungen oder andere Faktoren dies aber nicht zulassen. Das Schiff ist für den/die SchiffsführerIn gleichzeitig sein Zuhause, auch hier finden wir keine klare Trennung zwischen Wohnen, Arbeit und Freizeit. Er/Sie verbringt fast den ganzen Tag mit der Gruppe und auch bei den Mahlzeiten ist es üblich, dass gemeinsam gegessen wird. Die Rückzugsmöglichkeiten sind für ihn gering, er/sie kann sich der Anwesenheit der Gruppe kaum entziehen Er/sie bewohnt zwar meist einen eigenen Bereich im hinteren Teil des Schiffes, doch die räumliche Entfernung 81 zwischen dem privatem und dem öffentlichen Bereich ist gering. Dieser andauernde Mangel an Privatsphäre - gepaart mit einer gewissen Präsenzerwartung seitens der Gruppe - kann zu psychischen Belastungen und Stress führen. Der Maat oder die Maatin wohnen und schlafen, genauso wie der/die SchiffsführerIn, die gesamte Segelsaison an Bord. Sie sind zuständig für den reibungslosen Ablauf während der ganzen Fahrt und für die Umsetzung der Entscheidungen des/der SchiffsführerIn. Sie koordinieren und delegieren die Aufgaben an die Klasse. Gleichzeitig sind sie der erste Ansprechpartner für die Gruppe und tragen bei Bedarf, Anliegen an den/die SchiffsführerIn weiter. MaatInnen brauchen in der Regel keine besondere maritime Ausbildung oder Führerscheine. Meistens ist auch keine pädagogische Ausbildung vorhanden. Sie kommen meist für eine oder mehrere Saisons auf das Schiff, um dort für ein geringes Gehalt zu arbeiten. Es ist zu beobachten, dass die ausführliche Vermittlung technischen Wissens über die Segelabläufe von den MaatInnen an die SchülerInnen oft zu kurz kommt. Der Schwerpunkt liegt auf dem reibungslosen Ablauf des Segelbetriebes und nicht auf pädagogischen Inhalten. Um den Ablauf zu gewährleisten, reicht es den SchülerInnen zu sagen und zu zeigen, was sie machen sollen, ohne weiter auf die Sinnhaftigkeit und den Gesamtzusammenhang der Aufgabe einzugehen. Diesen Gedanken in die Praxis transferiert bedeutet: Es reicht nicht aus, das Schlagen eines Palsteks33 solange einzuüben bis dieser einhändig und mit verbundenen Augen ausgeführt werden kann, sondern gleichzeitig ist es wichtig zu vermitteln, wann und wo dieser Knoten eingesetzt wird und wo er fehl am Platze ist. Dies ist auch die Vorraussetzung für ein selbstständiges Arbeiten an Bord (vgl. STADLER 1988, S. 37). Die Ausführung einer fachgerechten seemännischen Arbeit - um das Wissen der Funktion dieser Arbeit - im Gesamtzusammenhang zu erweitern, bedeutet mehr Arbeit für die MaatInnen und sie nehmen sich deswegen dieser Aufgabe nicht immer an. 33 das knüpfen eines speziellen Knotens 82 Dieses Wissen ist die Vorraussetzung für eigenständiges Handeln der SchülerInnen und für die Erlangung eines Bewusstseins, etwas zu können. Der nächste Hafen muss nicht so schnell wie möglich erreicht werden, sondern die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung der Einzelnen steht im Vordergrund. Dieser Schwerpunkt sollte auch von der Schiffsführung berücksichtigt werden (vgl. STADLER 1988, S. 37). 5.3 Spezielle Lernfelder auf Traditionsseglern Ein Segelschiff ist ein besonderes pädagogisches Medium. In diesem Kapitel, in dem ich an die Erlebnispädagogik anknüpfe, soll es um die pädagogischen Aspekte des Segelns auf einem Traditionssegler gehen. Viele Elemente dieser Natursportart Segeln können mit den Methoden der Erlebnispädagogik genutzt werden. Segelreisen bieten aber auch andere Möglichkeiten, sie können freizeitpädagogisch oder umweltpädagogisch ausgerichtet sein. z.B. auch In meiner Konzeption soll das soziale Lernen im Mittelpunkt stehen. An Bord kann eine Atmosphäre entstehen, die von Ruhe und Entspannung - ohne Erfolgszwang - geprägt ist. Durch die klaren geregelten, immer wiederkehrenden Abläufe auf dem Schiff kann einem die Hektik des Alltages bewusst werden. Es kann eine angenehme Entspannung entstehen, wenn alle nach einem anstrengenden Segeltag in der Abendsonne auf dem Deck liegen und den Sonnenuntergang beobachten. Bei dem gemeinsamen Arbeiten während des Wachdienstes und dem gemeinsamen Zusammenleben bieten sich ungezwungene Kommunikationsanlässe zwischen SchülerInnen und LehrerInnen. Durch die Naturnähe können auch hier umweltbezogene Fragestellungen und Denkanstöße, wie z.B. der Kreislauf des Wassers an Bord, initiiert werden. Ein Traditionssegler bietet vielschichtige Möglichkeiten auf verschiedenen Ebenen etwas zu lernen. Um einen Überblick zu geben, stelle ich im Folgenden in Anlehnung an STADLER einige Ebenen dar. Sie beinhalten sowohl alltäglich benötigtes Wissen für den Segelbetrieb an Bord, als auch darüber hinausreichende Fähigkeiten, die z.B. die Instandhaltung und Reparatur der Materialien betreffen. Die 83 einzelnen Ebenen sind nicht streng voneinander getrennt, sondern ergänzen und überschneiden sich. Es geht mir darum, einen Überblick über die vielfältigen Lernchancen auf Traditionsseglern allgemein zu geben, da ich in meiner nachfolgenden Konzeption nur einen Teilbereich der Möglichkeiten aufgreifen werde. Bei den meisten Angeboten einer Klassenreise auf Traditionsseglern kommen Tätigkeiten, die über die alltäglichen Arbeiten an Bord hinausgehen, kaum vor. Der Schwerpunkt liegt im alltäglichen Betrieb der Fortbewegung des Schiffes und den damit zusammenhängenden Arbeiten inklusive der Versorgung der Mannschaft. a) Die Praktische Ebene: Hier lassen sich Fähigkeiten und Fertigkeiten, die im Bereich der Seemannschaft gelernt werden können zusammenfassen: im alltäglichen Segelbetrieb kann der Umgang mit Tauwerk34 (Aufschießen35, Knoten), den Segeln, dem Ankergeschirr, Kombüsenbewirtschaftung36, Kochen, Vorratshaltung, Backschaft37 und Hygiene gelernt werden. Über den alltäglichen Betrieb hinaus kann das Reparieren und Erhalten von Tauwerk, das Scheren von Taljen38, Segelpflege und Reparatur, Holzarbeiten, Holzpflege, Bemalung, Schleifen, Lackarbeiten, Metallarbeiten, Entrosten, Umgang mit Werkzeug erlernt werden. b) Die Technische Ebene: Auf der technischen Ebne kann im alltäglichen Segelbetrieb der Umgang mit elektronischen Geräten: Echolot, GPS, Radar, Wetterfax, Abhören von Wetterberichten, Funkgerät usw. erlernt werden. Bei der Wartung und Beobachtung des Schiffsmotors und seiner Instrumente können die SchülerInnen einbezogen werden; hierzu gehören auch die Treibstoff- und Ölversorgung, Lenzanlagen kontrollieren etc. Über den alltäglichen Betrieb hinaus können auch im Bereich der Elektrotechnik und im Bau und der Reparatur von elektrischen Anlagen Erfahrungen gesammelt werden. 34 Seile an Bord eines Schiffes Das Zusammennehmen der Seile 36 Küchenbewirtschaftung 37 Küchendienst 38 Der Umgang und das Einscheren von Seilen in Flaschenzüge 35 84 c) Wissenschaftliche Ebene: Im alltäglichen Segelbetrieb kann der Umgang mit nautisch-optischen Geräten gelernt werden. Über den alltäglichen Betrieb hinaus kann im Bereich der Physik etwas über Hydrodynamik und Aerodynamik des Segelns gelernt werden. Im Gebiet der Meteorologie können Beobachtung von Wettererscheinungen und Auswertungen von Wetterberichten erstellt werden oder die Wettervorhersage kann dokumentiert werden. Der Bereich der Mathematik ist auch an Bord zu finden: Ebene- und Sphärische Geometrie, Lesen von Gezeitentafeln. Bereiche der Biologie eröffnen weitere Möglichkeiten: Kennenlernen von Flora und Fauna, wie z.B. Besonderheiten des Wattenmeeres, Ökologie, Verhalten von Meereslebewesen, Umweltschutz. In der Geographie können wir uns an Bord mit der Naturbeschaffenheit, Küstenformationen und dem Meeresgrund beschäftigen. Wenn Fahrten ins Ausland unternommen werden, können deren politische Verhältnisse, rechtskundliche, seefahrtsrechtliche und zollrechtliche Bestimmungen näher betrachtet werden. d) Körperliche Ebene: im alltäglichen Segelbetrieb: Körperbeherrschung, Geschicklichkeit, angstfreies und sicheres Arbeiten in der Takelage39, Mut, Kraft, Ausdauer, Schwindelfreiheit, psychologisches Vorbeugen der Seekrankheit; hygienische und medizinische Grundkenntnisse, wie z.B. die Wundbehandlung bei Verletzungen und Verbrennungen, Verhalten bei Knochenbrüchen, Vergiftungen usw. e) Wahrnehmungsebene: im alltäglichen Segelbetrieb: Entfernungseinschätzung, Erkennen optischer Täuschungen (wichtig für den Rudergänger), Beobachtung und Interpretation nächtlicher Lichterscheinungen auf See, Entwicklung von Sicherheitsbewusstsein, Entwicklung von Antizipationsfähigkeit und vorausschauender Handlungsplanung, Entwicklung von Umweltbewusstsein. f) Soziale Ebene: Grundsätzlich ist eines der großen Lernfelder im Bereich der sozialen Kompetenzen die Zusammenarbeit. Der Schiffsbetrieb zwingt die SchülerInnen zur Zusammenarbeit und es ist nicht immer möglich, sich auszusuchen mit wem man zusammenarbeiten will. Im Zuge einer gelungenen Zusammenarbeit bieten die Teildisziplinen der sozialen 39 Allgemeine Bezeichnung für Masten, Stengen, Rahen sowie deren sichernde und stützende Elemente 85 Kompetenzen, Kooperation, Kommunikation und Kritikfähigkeit weitere Lernfelder an Bord. Die Integration von AußenseiterInnen liegt in der natürlichen Gegebenheit des Schiffes. "Die Bordsituation erlaubt es kaum, über die Art der sozialen Kontakte, die man eingehen möchte, selbst zu bestimmen, wie dies an Land in der Regel der Fall ist" (STADLER 1988, S. 62 f.). An Land und in der Schule gibt es eher die Möglichkeit sich aus dem Weg zu gehen, es herrscht kein Kooperationszwang wie es durch das gemeinsame Leben an Bord gegeben ist. Tätigkeiten die nur kooperativ bewältigt werden können, tragen zur Stärkung des Gruppenzusammenhalts bei (vgl. ZICK 2002, S. 215). Wenn die Möglichkeit der Flucht vor schwierigen sozialen Situationen nicht mehr gegeben ist, bleibt oft nur noch die Möglichkeit eines klärenden Gesprächs. So kann gelernt werden, dass man Differenzen mit der sozialen Umwelt nicht nur durch Flucht abbauen kann, sondern dass auch ein solches Gespräch eine Lösung sein kann. GROSSMANN beschreibt weiterhin auch ein reduziertes Stigmatisierungslevel an Bord. Ein Stigma lässt sich nur schwer aufrecht erhalten, wenn man die Person erstmal gut kennen gelernt hat. Durch die soziale Enge und die Zusammenarbeit gelingt dies an Bord meist sehr schnell. (vgl. GROSSMANN 1987, S. 54). Um diesen Prozess an Bord zu unterstützen, ist es hilfreich einen in dieser Hinsicht geschulten PädagogInnen an Bord zu haben. Kenntnisse im Bereich der Kommunikationspsychologie und der Mediation sind hier von Vorteil. Im Kapitel 7.3. wird noch genauer darauf eingegangen. Bei einem Seeexperiment auf einem Traditionssegler mit 14 Besatzungsmitgliedern stellte sich bei einer Befragung der TeilnehmerInnen heraus, dass die Kooperationsbereitschaft der Einzelnen signifikant im Vergleich zu einer an Land gebliebenen Kontrollgruppe zugenommen hat. Dieses Ergebnis bestätigte sich auch bei einer späteren Befragung an Land (vgl. GROSSMANN 1987, S. 36 f.). Durch den Zwang der Zusammenarbeit, die stark von den Regeln des Zusammenlebens auf dem Schiff geprägt ist, kann die Erkenntnis entstehen, dass Normen und Werte keinesfalls immer eine Einschränkung sind, sondern dass sie oft Lebensnotwendig sind. Wenn der Kontext, in dem sie eingebunden sind, erkannt wird, können die eigenen 86 Interessen eher zugunsten der der Gesamtheit zurückgestellt werden. Das Schiff bietet viele Möglichkeiten und Herausforderungen so dass die SchülerInnen die Grenzen ihrer eigenen Belastbarkeit erfahren können (vgl. GROSSMANN 1987, S. 54). Die soziale Ebene bildet den Schwerpunkt meiner Arbeit. Da ich in den anderen Kapiteln ausführlich Aspekte dieser Ebene beschreibe, werde ich hier nicht den Raum für eine ausführliche Darstellung nutzen, sondern nur kurz eine Zusammenfassung weiterer Lernfelder an Bord niederschreiben: Entwicklung von sozialen Kompetenzen in Bezug auf das Verhalten in der Gruppe, den Umgang mit Lehrkräften und MitschülerInnen, das Erkennen und behandeln sozialer Konflikte, das Entwickeln von Gemeinschaftsgefühl, die Entwicklung von Selbstwertgefühl und Übernahme von Eigenverantwortlichkeit. Diese möglichen Lernchancen müssen natürlich gestaltet und gefördert werden, damit sie genutzt werden können. Eine Möglichkeit dies zu tun ist z.B. die Methode der Erlebnispädagogik, bei der durch Reflexion solche Prozesse bewusst gemacht und kognitiv verarbeitet werden. Damit die Lernchancen von den Jugendlichen auch genutzt werden, ist es wichtig, sie in ihren Interessen und Motivationen und ihren Vorkenntnissen entsprechend auf diesen Ebenen zu fördern. Das bedeutet, die vorhandene Lernmotivation zu nutzen und den einzelnen SchülerInnen verstärkt in diesen Bereichen ihres Interesses Aufgaben zuzuweisen. Die für die SchülerInnen schwierige soziale Situation an Bord fordert geradezu Entwicklung und Lernen in dem Bereich der sozialen Kompetenz heraus (vgl. STADLER 1988, S. 67). 5.4 Das Potenzial einer Klassenfahrt im Allgemeinen In diesem Kapitel werden Klassenfahrten im Allgemeinen, also nicht nur auf Traditionsschiffen, beschrieben und es wird insbesondere um das pädagogische Potenzial gehen, das Klassenreisen bieten können. Klassenfahrten, die als Segelreisen durchgeführt werden, sind schulische Veranstaltungen, die aber in einem außerschulischen Feld stattfinden. Klassenfahrten können eine besondere Veranstaltung mit pädagogischen Zielen im Bereich des sozialen Lernens sein oder Vergnügen und Freizeit zum Ziel haben. Wie dieses Verhältnis bestimmt wird, ist von der Konzeption der Reise abhängig. Welche 87 Zielsetzungen auf der Segelreise verwirklicht werden, ist grundsätzlich offen. Es gibt viele Möglichkeiten, pädagogische Ziele in eine Klassenreise auf einem Traditionssegler zu integrieren. Die später von mir beschriebene Konzeption ist eine Möglichkeit von vielen. Bei Klassenfahrten werden selten besondere pädagogischen Erwartungen seitens der Lehrkräfte an die Schiffsreise gestellt, noch ein methodisches, pädagogisches Vorgehen vorbereitet, das auf eine gewisse Zielvorstellung hinweist. Gerade hier wird meiner Meinung nach ein großes Potenzial einer solchen Reise verschenkt. Eine Klassenfahrt bietet auf dem Schiff oder in einer Jugendherberge viele Lernchancen. Auf dem Schiff werden die vorhandenen Herausforderungen des sozialen Gruppenlebens jedoch verstärkt. "Ein Team ist eine spezielle Gruppe, bei der die TeilnehmerInnen zusammenarbeiten (müssen), um gemeinsame (nicht unbedingt selbst gewählte Arbeits-) Ziele zu erreichen. In diesem Sinne ist nach WELLHÖFER zwar jedes Team eine Gruppe, aber nicht jede Gruppe ist ein Team" (WELLHÖFER 2007, S. 8). Um aus einer Klasse ein Team zu bilden bleibt in der Schule kaum Zeit. Eine Klassenreise kann hier als Gelegenheit genutzt werden, an diesem Aspekt zu arbeiten, denn dies bringt wiederum Vorteile für den Schulalltag. ZICK schrieb in Bezug darauf: "Individuen die sich mit einer Gruppe in einer Organisation, sowie mit der Organisation als Ganzes identifizieren, besser lernen, sich stärker für die Interessen der Organisation einsetzen, weniger häufig fehlen und weniger stark dazu tendieren, die Organisation zu verlassen. "In teamorientierten Klassen ist das Lernklima besser und das Ausmaß an interkulturellen Konflikten geringer“ (ZICK 2002, S. 214). Gemeinsam etwas zu unternehmen und zu erleben, wie es Klassenfahrten anbieten, ist ein wichtiger Beitrag für das Gemeinschaftsgefühl und eine gute Möglichkeit, soziale Fähigkeiten zu erlernen, aber auch die LehrerInnen und die KlassenkameradInnen in einem anderen Kontext kennen zu lernen und somit neue Erfahrungen zu sammeln und vielleicht neue Freundschaften zu schließen. BUEB beschreibt auch die Wichtigkeit des Erlebnisses und der Interaktionen unter Gleichaltrigen, die im Unterricht, keine Rolle spielt. "Kinder, so BUEB, brauchen 88 Gleichaltrige, um soziale Verhaltensregeln zu erlernen. Ein Zeltlager etwa fördere Toleranz und Gemeinsinn" (GEO Kompakt 2008). Eine Klassenfahrt bedeutet jedoch auch eine große Verantwortung für die LehrerInnen. Es kommt immer wieder vor, dass Lehrkräfte sich - in Anbetracht der Zunahme von „schwierigen“ Schülern - mit der Gestaltung und Durchführung einer Klassenfahrt überfordert fühlen. Einigen wenige Veranstalter bieten ein erlebnispädagogisches Programm und die Unterstützung durch ausgebildete TrainerInnen, die für die Durchführung der Aktionen verantwortlich sind, an. Dieses Angebot wird seit Jahren gut angenommen ist somit ein Beleg für das vorhandene Potenzial. 89 6. Konzeption für Klassenfahrten auf Traditionsseglern In diesem Kapitel werde ich zuerst auf die Ziele und Methoden eingehen und diese beschreiben um dann darauf aufbauend die Inhalte des Konzeptes zu entwickeln, bis hin zu einer exemplarischen Programmgestaltung. 6.1 Begründung für eine Konzepterstellung Nach jahrelangen Erfahrungen als Maatin auf Traditionsseglern, sowie regelmäßiger Tätigkeit als erlebnispädagogische Trainerin in Verbindung mit meinem Studium der Sozialpädagogik, entstand die Idee, eine qualitative Verbesserung der (erlebnis)pädagogischen Angebote auf Traditionsseglern anzustreben. Als Beispiel beziehe ich mich in dieser Arbeit auf Traditionssegler in den Niederlanden, da diese für die Durchführung von Klassenfahrten am stärksten frequentiert sind. Klassenfahrten auf einem Traditionssegler sind mittlerweile nicht mehr selten. Oft bleibt aber das pädagogische Potenzial einer solchen Klassenfahrt ungenutzt. Um dieser Intention in meiner Diplomarbeit nachzugehen, musste ich das Feld auf das sich die Konzeption bezieht, einschränken. Das Angebot auf Traditionsseglern ist zahlreich und vielfältig und würde in der Gesamtheit den Rahmen einer Diplomarbeit sprengen. Im Mittelpunkt dieser Konzeption steht das Thema der Stärkung sozialer Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen während eines Segeltörns. Soziale Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen sind ein aktuelles Thema für die soziale Arbeit und die Sozialpädagogik, vor allem im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte über Bildung in der Schule und Zukunftschancen der SchülerInnen. Das Ziel dieser Arbeit ist es, aufzuzeigen, wie Klassenfahrten als Lernort sozialer Kompetenzen genutzt werden können. Obwohl aus den vorangegangenen Kapiteln hervorgeht, dass eine Verbesserung der sozialen Kompetenzen am besten durch ganzheitlich und langfristig angelegte Projekte in den Schulen umgesetzt werden kann, so können auch kürzere pädagogische Segeltörns für diese Zwecke sinnvoll sein (vgl. STADLER 1988, S. 75), obgleich sie nicht die gleichen Erfolge erzielen können. Die Gesamtschau der Untersuchungen zur Wirksamkeit erlebnispädagogischer Maßnahmen, vor allem in Bezug auf die Förderung der 90 sozialen Kompetenz und der Selbstkompetenz, wurde immer wieder bestätigt (vgl. REINERS 2007, S. 19). Bei der vorliegenden Konzeption handelt es sich um eine Kurzzeitintervention, die aber durchaus auch in eine Implementierung eines ganzheitlichen Konzeptes, wie z.B. die Einführung eines Streitschlichterprogramms, in Schulen sinnvoll mit eingebunden werden kann. Dennoch ist tendenziell immer ein ganzheitliches Konzept anzustreben. Durch ein pädagogisches Kurzzeitprogramm, das mit den nachstehend beschriebenen Methoden arbeitet, können Lehrkräfte, durch ihre praktische Umsetzung durch die TrainerInnen, mit ihnen vertraut gemacht werden. Dies kann sie wiederum dazu animieren, ein ganzheitliches Projekt, das auch mit diesen Methoden arbeitet, an ihrer Schule zu initiieren. Dies könnte z.B. ein ganzheitliches Streitschlichter- oder Konfliktlotsenprogramm sein. Die Zahlen (siehe Kapitel 3) zur aktuellen Erziehungssituation belegen einen Handlungsbedarf auf diesem Gebiet und sprechen dafür, ungenutzte Potenziale für die Entwicklung von Kompetenzen zu nutzen. Bei den Problemen, die vor allem bei jugendlichen SchülerInnen auftreten, können neu gewonnene Erfahrungen einer erlebnispädagogischen Reise, neue Impulse geben. Körperliche Bewegung wird erfahren und ausprobiert. Ein neues Hobby kann gefunden werden. Probleme innerhalb der Gruppenstruktur können angegangen oder überhaupt erste erkannt werden (vgl. GEBAUER 2007, S. ff.). Es ist mittlerweile nachgewiesen, dass nachhaltiges Lernen durch Lernen im sozialen Kontext gefördert wird und Kommunikation Verstehensprozesse nach sich zieht (vgl. DE unter- und miteinander BOER 2008, S. 22). "Wiesemann macht sichtbar, wie anstelle von Belehrungen und Ermahnungen, die regelmäßig schulische Disziplinierungsmaßnahmen begleiten, Verständigungsprozesse, bei denen das soziale Miteinander zum schulischen Lernthema wird, soziales Lernen befördern" Sie schreibt, dass Situationen in denen Gespräche über die Ordnung des Sozialen und deren Störungen geführt werden , zu entscheidenden Lernsituationen zu rechnen sind (WIESEMANN 1999, in DE BOER 2008, S. 22). 91 6.2 Ziele des Konzeptes Ziel ist, durch eine verbesserte Nutzung des pädagogischen Potenzials von Klassenfahrten auf Traditionsseglern, eine Verbesserung der sozialen Kompetenzen bei Jugendlichen zu erreichen. Das soziale Miteinander soll an Bord zum Lernthema werden. Dieses grob gefasste Ziel lässt sich in mehrere Feinziele auffächern: Verbesserung der Kommunikations-, Kooperations- und Konfliktfähigkeit. Die Schüler sollen die Möglichkeit haben, ihr Selbstwertgefühl zu entwickeln und die Voraussetzungen für ein besseres Klassenklima Methoden dieses Konzeptes sollen den sollen geschaffen werden. Die SchülerInnen Erfolgserfahrungen ermöglichen, wodurch die Selbstwirksamkeitserwartung der SchülerInnen verbessert wird (vgl. MALTI et al. 2008, S. 198). Durch das Programm sollen die LehrerInnen ihr Methodenwissen erweitern können und an einem praktischen Beispiel die positiven Auswirkungen dieser Methoden schätzen lernen. 6.3 Angewandte Methoden in dieser Konzeption Im Folgenden werden die einzelnen pädagogischen Methoden, die in der Konzeption Anwendung finden werden, in ihren Grundzügen vorgestellt, da diese innerhalb des Konzepts miteinander kombiniert werden. Die vorliegende Arbeit verfolgt als Zielsetzung eine Konzepterstellung und kein Methodenvergleich, deswegen soll es sich auf eine grobe Vorstellung beschränken. nachzulesen sind diese Methodenbeschreibungen in den Ausführlich jeweiligen Literaturverweisen. Das Konzept basiert auf der erlebnispädagogischen Methode, die durch das Konzept der Interaktionspädagogik ,die auf vergleichbaren Grundannahmen aufbauen, ergänzt und erweitert wird. Darüber hinaus wird die Mediation als eine weitere Methode beschrieben und die Sinnhaftigkeit einer Integration dieser Methode in das Konzept erläutert. 92 6.3.1 Erlebnispädagogik als Methode Definition der Erlebnispädagogik. Es gibt keine einheitliche Definition der Erlebnispädagogik. Arbeitsgrundlage ist im Folgenden eine Definition von HECKMAIR und MICHL: "Erlebnispädagogik ist eine handlungsorientierte Methode und will durch exemplarische Lernprozesse, in denen junge Menschen vor physische, psychische und soziale Herausforderungen gestellt werden, diese in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern und sie befähigen, ihre Lebenswelt verantwortlich zu gestalten." (HECKMAIR und MICHL in REINERS 2007, S. 13) Ziele der Erlebnispädagogik sind die Persönlichkeitsentwicklung durch Förderung der Selbstwahrnehmung und Reflexionsfähigkeit, Klärung von Zielen und Bedürfnissen, Entwicklung von Eigeninitiative, Spontaneität, Kreativität und Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl etc., sowie die Stärkung der sozialen Kompetenzen durch Förderung der Kooperations-, Kommunikations- und Konfliktfähigkeit etc. und das Wachsen eines systemischen, ökologischen Bewusstseins, das unter anderem einen pro aktiven Einsatz für die Bewahrung von Naturräumen und -schönheiten zur Folge hat (vgl. REINERS 2007, S. 13). Allgemein will Erlebnispädagogik zum Handeln aktivieren. Sie fordert die Eigenaktivität und versucht durch Rahmenbedingungen ein passives Konsumieren unmöglich zu machen. Dadurch soll den TeilnehmerInnen klar werden, dass sie ihre Lebensumstände durch eigene Aktivitäten verändern können (vgl. ZIEGENSPECK 1995, S. 223). Geschichte der Erlebnispädagogik KURT HAHN wird öfter als Vater der Erlebnispädagogik bezeichnet. Er hat die Erlebnispädagogik nicht erfunden, sondern verschiedene Ideen von Vordenkern wie JEAN-JAQUES ROUSSEAU, JOHN DEWEY, HERMANN LIETZ und HENRY DAVID THOREAU aufgegriffen und zu einem Konzept zusammengefasst (vgl. REINERS 2007, S. 10). Die Ziele des HAHNschen Erziehungskonzeptes waren die Charakterförderung des Menschen und die Erziehung zu verantwortungsvollem Denken und Handeln in einer Gemeinschaft, die auf freiheitlichen und demokratischen Grundlagen aufbaut und 93 durch die Auseinandersetzung mit sich selbst und der Umwelt (vgl. REINERS 2007, S. 11). KURT HAHN entwickelte ein erlebnispädagogisches Gesamtkonzept. Die vier Grundelemente des Konzeptes sollten, den von ihm zuvor diagnostizierten Zivilisationskrankheiten entgegenwirken und damit den jungen Menschen zum mündigen Bürger erziehen: 1) Körperliches Training gegen den Verfall der körperlichen Tauglichkeit 2) Expeditionen gegen schwindende Eigeninitiative und Überwindungskraft 3) Projekte gegen den Verfall von Geschicklichkeit und Sorgfalt 4) Rettungsdienst gegen den Verfall des Mitgefühls (vgl. REINERS 2007, S. 23) KURT HAHNs Erziehungskonzept ist in seinen Grundzügen noch immer aktuell. Es geht nach wie vor darum, Heranwachsende zu eigenständig denkenden und verantwortungsvoll handelnden Mitgliedern einer Gesellschaft zu erziehen. Diese Auseinandersetzung des Individuums mit sich selbst und der Umwelt will die Erlebnispädagogik weiterhin fördern (vgl. REINERS 2007, S. 11). Mittlerweile findet die Erlebnispädagogik vielerorts Anwendung: Als Therapie, als Maßnahme in der Jugendhilfe, als Methode im Training sozialer Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen, als Integrationshilfe für Behinderte etc. Lernen im Sinne der Erlebnispädagogik Die Erlebnispädagogik geht davon aus, dass aus Erlebnissen gelernt wird: Lernen durch Erleben. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, was ein Erlebnis ist und welche Faktoren es bestimmen. Ein „Erlebnis wird als innerer, mentaler Vorgang gesehen, bei dem äußere Reize aufgrund von Wahrnehmung, Vorwissen und Stimmung subjektiv zu einem Eindruck verarbeitet werden“ (HECKMAIR, MICHL 2002 in REINERS 2007, S. 13) Ob eine Aktion als Erlebnis wahrgenommen wird ,beruht auf der subjektiven Wahrnehmung eines jeden Teilnehmers. Das Lernzonenmodell stellt - bezogen auf das Lernen - verschiedene Zonen des individuellen Erlebens, das auf der subjektiven Wahrnehmung beruht, dar. 94 Abb. 12, Das Lernzonenmodell, ,(SENNINGER 2000, S. 21) Wenn Personen, Situationen und Erlebnissen begegnen, die ihnen bereits bekannt sind und für die sie bereits passende Handlungsstrukturen entwickelt haben, befinden sie sich in der Komfortzone. In dieser Zone sind die zu verarbeitenden Reize der Umwelt bereits bekannt, sie ist von Alltagssituationen gekennzeichnet. In der Panikzone oder auch dem Risikobereich, fühlt sich die Person von der Situation, äußeren Reizen oder den Umständen bedroht und reagiert gestresst und teilweise emotional. Die Lernzone oder auch Wachstumszone liegt zwischen der Komfortund der Panikzone. Die Person sieht sich mit einer Herausforderung oder einer unbekannten Situation oder mit unbekannten Reizen konfrontiert Diese kann auch körperliche Symptome der Aufregung auslösen, aber nicht zur Panik führen. Die Lernzone stellt den optimalen Bereich zwischen zu homogenen (vertrauten Reizen) und zu fremdartigen (Furcht erregenden) Reizen dar (vgl. SENNINGER 2000, S. 21). Eine reizvielfältige Umwelt trägt neben ihrem positiven Einfluss auf die Gehirnentwicklung auch dazu bei, psychische Entwicklungsschritte anzuregen (vgl. GEBHARD 2003, S. 102). Dieses Modell auf das Schiff übertragen, bedeutet, dass die Gegebenheiten auf dem Schiff, abhängig von den Vorerfahrungen, die die SchülerInnen mitbringen, individuell unterschiedlich wahrgenommen werden (vgl. SENNINGER 2000, S. 21). „Das subjektive Sicherheitsgefühl der Personen an Bord kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. In ein und derselben Situation kann es sein, dass eine Person sich 95 Wind und Wellen gegenüber ausgeliefert fühlt, während eine andere Person das Gefühl hat, die Situation – auch wenn sie heikel ist – vollständig im Griff zu haben“ (STADLER 1999a, S. 107 ff.). In dem Kapitel 4 über das Lernen in der Schule, gehe ich bereits darauf ein, dass Stress Lernen behindert. Als Schlussfolgerung aus diesen Erkenntnissen und Modellen ziehe ich für mein Konzept die Orientierung auf die Lern- oder Wachstumszone, die es mit Hilfe erlebnisorientierter Methoden zu erreichen gilt. Lernmodelle In der Literatur werden sechs unterschiedliche Modelle des Lernens und der Arbeitsweise während eines erlebnispädagogischen Programms beschrieben. Die folgende Beschreibung basiert auf den Ausführungen von REINERS und SENNINGER Lernen durch Handeln Dies ist das „klassische“ Modell, das auch unter dem Namen „The mountains speak for themselves“ bekannt ist. Bei diesem Ansatz wird davon ausgegangen, dass Erlebnisse für sich wirken und unterbewusst zu Lernerfahrungen beitragen. Eine Reflexion der Erlebnisse ist hier nicht vorgesehen. Kommentiertes Handlungslernen Die Leitung bringt ihre Interpretation des Verhaltens der GruppenteilnehmerInnen ein. Die PädagogInnen haben hierbei die Rolle der ExpertInnen inne und die Teilnehmer werden nicht angehalten, eigenständige Lösungen und Interpretationen in Bezug auf die durchgeführte Aktion zu finden. Lernen durch Reflexion, Ein Erlebnis zeigt eine nachhaltigere Wirkung, wenn es durch eine strukturierte Diskussion und durch Fragenstellungen seitens der Leitung reflektiert wird. Von der Leitung werden keine Lösungen vorgegeben und eigene Interpretationen vermieden, sie soll dazu anregen, dass die Gruppenmitglieder eigenständig Erkenntnisse gewinnen und diese in den Alltag transferieren. Dieses Modell wird laut SENNINGER häufig verwendet. Dieses Modell wird auch als „Outward Bound plus“ Modell bezeichnet. 96 Antizipierte Erlebnisse durch „Frontloading“ und Reflexion. Bei dieser Methode werden die TeilnehmerInnen durch gezielte Fragen auf die erlebnispädagogische Aktion vorbereitet und der Erlebnisprozess wird kognitiv vorweggenommen, indem Meinungen, Einstellungen und Prognosen abgefragt werden, bevor es zu dem eigentlichen Erlebnis kommt. Nach der Aktion ist eine Reflexionsphase vorgesehen, um Ideen, Erwartungen und tatsächliche Geschehnisse miteinander abzugleichen und einen Transfer zum Alltag zu schaffen. Metaphorisch isomorphe Erlebnispädagogik. Die erlebnispädagogische Aktion wird möglichst exakt auf die Lebenssituation der TeilnehmerInnen zugeschnitten. Es wird eine möglichst hohe Isomorphie durch Metaphern zur Alltagssituation angestrebt. Die TeilnehmerInnen werden „bildhaft“ ihre Alltagsrealität erfahren. Die Transferwahrscheinlichkeit ist durch die Nähe zum Alltag gegeben. Diese Vorgehensweise setzt aber voraus, dass die Alltags- und Lebenssituation den TrainerInnen sehr gut bekannt ist. Weiterhin sind Qualifikationen im Bereich der Tiefenpsychologie und des Psychodramas hilfreich. (vgl. REINERS 2007, S. 20; SENNINGER 2000, S. 10 ff.) Diese Modelle können einander auch ergänzen und oft finden wir Mischformen dieser Modelle bei erlebnispädagogischen Aktionen. Die erste Form des Lernens liegt z.B. einfach in der Natur von erlebnispädagogischen Aktionen und lässt sich somit kaum ausschließen. Diese Form ist gleichzeitig auch die Ur-Form der erlebnispädagogischen Lernmodelle, doch seit ungefähr Mitte der 80er Jahre hat sich die Notwendigkeit von Feedback in Form von Reflexionen als Methode durchgesetzt (vgl. HECKMAIR, MICHL 1994, S. 45). Für das Konzept soll unter anderem das Modell „Lernen durch Reflexion“ eine Grundlage sein, ohne die anderen komplett auszuschließen. Das Modell deckt sich am meisten mit den oben beschriebenen Erkenntnissen und Methoden in Bezug auf die Förderung des sozialen Lernens von SchülerInnen. Der Ansatz geht davon aus, „dass Menschen am ehesten bereit sind, an sich zu arbeiten und an Veränderungsprozessen mitzuwirken, wenn sie diesen Prozess aktiv mitbestimmen und beeinflussen können. (…) Die Rolle der Leitung ist begleitend und unterstützend (vgl. SENNINGER 2000, S. 11). 97 Transfer Um einen nachhaltigen Lernprozess zu gewährleisten, ist es notwendig, sich mit der Frage auseinander zu setzten, wie die Erfahrungen, die in einem Umfeld (auf Schiffen) gemacht werden, das sich deutlich vom Alltagsleben unterscheidet, in das "normale" Leben transferiert werden können? (vgl. REINERS 2007, S. 19). Die Reflexion spielt für den Transfer eine wichtige Rolle. Durch die kognitive Reflexion wird nach SENNINGER ein Transfer der Lernerfahrungen aus dem erlebnispädagogischen Setting in die Alltagswelt der SchülerInnen gewährleistet. "Als Transfer wird hier ganz allgemein das Fortschreiten des Lernenden vom Konkreten zum Abstrakten verstanden, indem er neue Verhaltensweisen in der konkreten (Kurs-) Situation entdeckt, diese Lernerfahrungen generalisiert und auf andere (Alltags-) Situationen überträgt." (REINERS 2007, S. 19) Die Reflexion und der Transfer sind eingebunden in einen Kreislauf des Lernens (siehe Abb. 13). Lernen ist ein stetiger Prozess, der in der Erlebnispädagogik genutzt werden kann. SENNINGER stellt dies in einem Modell mit unterschiedlichen Dimensionen und Phasen dar: Zielfindungsphase, Aktionsphase und Reflexionsphase, deren Grundlage die Erfüllung der Vorraussetzungen für das Lernen sind. Die Grundvoraussetzungen fürs Lernen sind zum einen, das Erkennen einer Notwendigkeit des Lernens, z.B. in Form eines Wunsches nach Veränderung, der gepaart mit einer Vision der Vorstellung einer Verbesserung der Situation, zu einer Handlungsmotivation führt. Übertragen auf das Beispiel einer Schulklasse, kann die Notwendigkeit und der Wunsch nach Veränderung aus einem schlechten Klassenklima entstehen, das für die SchülerInnen Stress verursacht. Gemeinsam kann an einer Vision gearbeitet werden, wie das Klassenklima positiver aussehen könnte und auf dieser Grundlage kann dann in den Lernprozess eingestiegen werden, der mit einer Definition des Ziels beginnen würde. Entwicklung und Lernen können nur auf der Grundlage eines guten Lernklimas stattfinden; dieses sollte angstfrei und vertrauensvoll sein. 98 Abb. 13, „Experiential Learning Cycle“ (SENNINGER 2000, S. 28) 1. Dimension, Zielfindungsphase: Wenn Lernen nicht zufällig stattfinden soll, ist es sinnvoll, mit Hilfe von geeigneten Methoden Ziele für ein selbstverantwortliches Lernen zu definieren. 2. Dimension, Aktionsphase: Eine Aufgabe oder eine Herausforderung wird angegangen. 3. Dimension, Reflexionsphase: Das Erlebte wird in vier Schritten verarbeitet und Reflektiert. Es werden Beobachtungen geschildert, bewertet, beurteilt und in den Alltag oder auf eine neue Aufgabe transferiert. Bei der Aufzählung der Beobachtungen durch die TeilnehmerInnen geht es nur um rein sachliche und beobachtbare Tatsachen, ohne dass Bewertungen abgegeben werden. Beim zweiten Schritt der Beurteilung werden 99 aus den Beobachtungen Hypothesen formuliert, sowie Ursachen und Gründe für den Verlauf der Aktion erforscht. Danach werden diese gewonnenen Ergebnisse bewertet. Bei diesem dritten Schritt sind Meinungen, Emotionen und Stellungnahmen gefragt. In einem letzten Schritt werden die Erkenntnisse auf ihre Alltagstauglichkeit überprüft. Hier kann eine mögliche Leitfrage sein: Welche Relevanz hat die gemachte Erfahrung für mich in meinem Alltag? 1. Dimension in der 4. Phase, Zielfindungsphase: Es folgt eine Neuorientierung, aufgrund der gemachten Erfahrung werden alte Ziele überprüft und neue Ziele können definiert werden. (vgl. SENNINGER 2000, S. 28 f.) Flow PLÖHN führt die besondere innere Ausgeglichenheit, die von Einzelnen auf einer Segelreise empfunden werden kann, auf das „Flow-Erleben“ zurück (vgl. PLÖHN 1998, S. 130–132) (siehe auch Kapitel 7.3.1). „Flow“ ist ein Zustand des selbstvergessenen Aufgehens im Augenblick, weder störende Umwelteinflüsse, noch düstere Gedanken oder das eigene Ich werden wahrgenommen. Ein realistisches Zeitgefühl geht verloren oder die Zeit wird verzehrt wahrgenommen. Es kommt zu einer vollständigen Übereinstimmung von Wahrnehmungs-, Gefühls- und Bewegungsfunktionen. Dieser besondere Bewusstseinszustand wurde von Mihaly CSIKSZENTMIHALYI als ,,Flow“ bezeichnet. Die Summe solcher qualitativ hochwertiger Erlebnisse trägt nach HAHN und CSIKSZENTMIHALYI zur Persönlichkeitsentwicklung bei (vgl. REICHEL, SCALA 1996, S. 52). Durch wirkliche und schaffbare Herausforderungen werden alle Energien des Menschen auf eine Sache zentriert. Um diese Erfahrung zu machen, muss sich der Mensch Herausforderungen stellen und Sicherheitsnetze aufgeben (vgl. KÖRBER 1989, S. 51 ff.). Auch hier entscheidet die Wahl der richtigen Herausforderung (vgl. Kapitel 7.3.1, das Lernzonenmodell) über das „Flow-Erleben“. Sowohl zu niedrige (es entsteht Langeweile), als auch zu hohe (es entsteht Angst oder Überforderung) Herausforderungen verhindern ein „Flow-Erlebniss“ (vgl. KÖRBER 1989, S. 32 ff.). 100 6.3.2 Interaktionspädagogik Interaktionspädagogik ist ein spezieller Ansatz der Erlebnispädagogik. Die Interaktionspädagogik wie sie von REINERS beschrieben wird, kann als eine Methode zur Förderung des sozialen Lernens eingesetzt werden. REINERS bezeichnet die Interaktionspädagogik als Teilkonzept des sozialen Lernens (vgl. REINERS 2007, S. 30). Aus dem „Project Adventure“, dass ursprünglich aus dem „Outward Bound“ Konzept hervorgegangen ist, sind Curricula entstanden, die es ermöglichen, grundlegende Ansätze der Erlebnispädagogik in die Schule zu transferieren. Es ging darum, ein längerfristiges wirkungsvolles Konzept zu entwickeln, dass auch vor Ort umsetzbar ist; dies ist nachweislich gelungen (vgl. SENNINGER 2000, S. 15). Es wurden unter anderem Spiele entwickelt, die „New Games“, die auf der Grundlage entstanden fair zu spielen und Spaß zu haben und die auf die typische Einteilung in GewinnerInnen und VerliererInnen von traditionellen Spielen verzichteten. In diesem Konzept werden diese Spiele und Übungen, die der Interaktionspädagogik zuzuordnen sind, Anwendung finden. Die Grundlagen der Interaktionspädagogik sind der Lernzyklus (siehe Abb. 13), das Lernzonenmodell (siehe Kapitel 7.3.1, Abb. 11) und das Prinzip des „Challenge by Choice“, welches auf der Freiwilligkeit aller TeilnehmerInnen aufbaut, seine Herausforderung selber zu wählen. Die Abenteueraktionen, Interaktionsspiele oder Problemlösungsaufgaben sind Aktionen mit einer klaren pädagogischen Intention (vgl. SENNINGER 2000, S. 15). Interaktionspiele und Übungen: Der Mensch ist ein dialogisches Wesen und kann sich in Auseinandersetzung mit seiner Umwelt erkennen und bestimmen. Er ist in gewissem Maße abhängig von dem, was ihn umgibt und gleichzeitig durch sein Wirken an seiner Mitgestaltung beteiligt. Weder ist der Mensch nur Individuum noch Kollektiv. "Der Begriff Interaktion bezeichnet dieses wechselseitige, aufeinander bezogene Handeln von Individuen in Gruppen, welches HABERMAS als kommunikatives Handeln (symbolisch vermittelte Interaktion und sprachlicher Austausch zwischen Menschen) in Abgrenzung zum instrumentalen (zweckrationalem Handeln) und reflexiven Handeln (kritische Prüfung des Sinns von Arbeit und Interaktion) beschreibt" 101 (REINERS 2007, S. 24). Dieser Kontakt zwischen Menschen wird zusätzlich beeinflusst durch die Persönlichkeit des Individuums auf der intrapersonellen Ebene und durch den Einfluss der Gesellschaft auf der institutionellen Ebene. Die Interaktionspädagogik setzt auf der interpersonellen Ebene an und will das soziale, zwischenmenschliche Verhalten verbessern. Soziale Erfahrungen aus bereits gemachten Interaktionssituationen beeinträchtigen das Denken und Handeln in zukünftigen Situationen. Nach GUDJONS ist das Ziel der Interaktionserziehung die Förderung der allgemeinen ‚sozialen Kompetenz‘, die Reifung durch Auseinandersetzung mit dem eigenen Erleben in der offenen Begegnung mit anderen, die Schulung der Selbst- und Fremdwahrnehmung und die Erweiterung des sozialen Verhaltensrepertoires sowie die Selbstverantwortung und Ich-Stärke (vgl. REINERS 2007, S. 24). Der natürliche Beziehungsrahmen des Menschen als soziales Wesen ist die Gruppe in der psychosoziales Lernen stattfindet. "Interaktionelle Gruppen haben das ausschließliche Ziel, das Lernen im Bereich von Interaktion, Kommunikation und Kooperation zu fördern. In der interaktionellen Gruppe wird sich der Einzelne deshalb stärker bewusst, wie er sich tatsächlich verhält." (REINERS 2007, S. 25) Interaktionsübungen oder -spiele können außerdem dazu beitragen, „durch überraschende Erfahrungen die gegenseitige Wahrnehmung zu schulen und das eigene Verhalten zu reflektieren. Gleichzeitig dienen sie der Auflockerung von Unterrichts oder Gesprächsphasen und erlauben es, für einen bestimmten Zeitraum in eine andere Rolle zu schlüpfen“ (MINISTERIUM FÜR KULTUR 2008, S. 79). Der Vorteil dieser besonderen Kategorie der Erlebnispädagogik ist ihre Anpassungsfähigkeit an die Situation: Dadurch dass wir es im Prinzip mit einer „künstlichen“ Problemstellung zu tun haben, sind wir nicht so sehr an äußere Gegebenheiten gebunden, wie es z.B. bei einer Wanderung der Fall wäre. Wenn eine Gruppe einen 30 kilometer langen Weg durch die Berge finden muss, um die Hütte zu erreichen, ist der Schwierigkeitsgrad durch die Dauer, das Wetter, die Wegbeschaffenheit und die Kondition der TeilnehmerInnen naturgemäß von außen vorgegeben und nicht variabel. 102 Interaktionsübungen oder Problemlösungsaufgaben sind künstliche Problemstellungen die im Schwierigkeitsgrad, ihrer Komplexität, ihrem pädagogischen Ziel und in ihrer Dauer anpassungsfähig sind. Gleichzeitig sind sie auch an unterschiedlichen Orten einsetzbar. Manche dieser Übungen sind auch in Räumen oder auf einem Schulhof durchführbar. Die Interaktionsaufgaben zeichnen sich durch einen hohen Aufforderungscharakter aus, durch die interessante Gestaltung der Aufgabe sind die TeilnehmerInnen intrinsisch motiviert die Lösung anzugehen und sich "auszuprobieren". Neue Verhaltensweisen können in ihnen erprobt und neue Erfahrungen können gesammelt werden. Das Spiel bietet eine fiktive Situation, die einen "Als-ob-Charakter" innehat, der anschließend in der Reflexion distanziert betrachtet werden kann. Das eigene Verhalten und die Rolle können ausgewertet und hinterfragt werden. "Das Spiel bietet eine direkte Erfahrung, die im Gegensatz zur abstrakten Vermittlung einen Zugang zur Wirklichkeit darstellt" (REINERS 2007, S. 28). Durch das aktive miteinander Interagieren wird der Zusammenhalt der Gruppe gestärkt. Bei Interaktionsspielen gibt es keine GewinnerInnen oder VerliererInnen (ebd.). Interaktionsspiele sind eine Reproduktion der Realität in einer fiktiven Situation, die Gruppendynamik und Strategien einer Gruppe werden sich hier genauso zeigen wie in realen Situationen. Es gibt Interaktionsspiele zu verschiedenen pädagogischen Schwerpunkten. REINERS teilt diese in fünf Kategorien auf: Körper und Raumerfahrung, Wahrnehmungsschulung, Ausdrucksspiele, Empathiespiele und Kooperationsspiele. In den Übungen können folgende Kompetenzen angesprochen werden: Soziale Kompetenz, Lernbereitschaft, Persönlichkeitsentwicklung, Wertehaltungen, Problemlösungsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Kooperationsfähigkeit, Vertrauen und Spaß. Konkrete Ziele dieser Schwerpunkte können Sensibilisierung von Wahrnehmung, Hilfe zur Kommunikation von Wahrnehmung und Emotionen, Erkennen der eigenen Person und Aufbau eines Selbstbildes, Selbstvertrauens, Selbstverantwortlichkeit, Hilfe zur Entwicklung von Vertrauen, Offenheit, Echtheit, offenes konstruktives Feedback, flexibler Umgang mit Rollen und Normen, Kooperation und Entscheidungs- und Konfliktstrategien sein. 103 "Erlebnispädagogische Maßnahmen in der Interaktionspädagogik erhöhen den Anreiz der Beteiligung an Übungen. Interaktionsspiele stellen ein wichtiges Instrument der Erlebnispädagogik dar, da sie Erfahrungen vorbereiten, vertiefen und reflektieren können" (REINERS 2007, S. 38). Eine Interaktionsübung kann den Weg einer Entscheidungsfindung deutlich machen und die Zusammenarbeit und Kooperation einer Gruppe fördern. (ebd.) 6.3.3 Mediation Die Mediation als Methode wurde bereits in dem Kapitel 4.5. (Mediation in der Schule) beschrieben. An Bord steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Konflikten durch die in Kapitel 5.2.1. und 5.2.2. beschriebenen spezifischen Umstände des Zusammenlebens an Bord. Ziel, die Mediation als Methode an Bord einzusetzen, ist es, bei auftretenden Konflikten an Bord besser vermitteln und diese Konflikte konstruktiv austragen zu können. Zum einen nützen Ausbildungen, Kenntnisse und Erfahrungen aus dem Bereich der Mediation den erlebnispädagogischen TrainerInnen und zum anderen soll dieses Wissen an die SchülerInnen vermittelt werden, da es auch für sie hilfreich ist. (siehe 2.4.2) Der Umgang mit Konflikten ist ein grundlegender Beitrag für ein erfolgreiches Programm. Dies schreibt unter anderem auch SENNINGER (vgl. SENNINGER 2000, S. 76). Konflikte Das Thema Konflikte ist sehr vielschichtig und facettenreich, in der Fachliteratur wurde bereits viel darüber geschrieben und so möchte ich mich an dieser Stelle darauf beschränken, einige für die erlebnispädagogische Arbeit wichtige Facetten anzusprechen und nicht detailliert auszuführen. Bei einem Konflikt geht es um die Berücksichtigung der eigenen Bedürfnisse die in Konkurrenz stehen zu der Berücksichtigung der Bedürfnisse anderer. Konflikte können auf verschiedenen Ebenen auftreten. SENNINGER beschreibt in Anlehnung an das Modell der Themenzentrierten Interaktion (TZI) von RUTH COHN, drei verschiedene Ebenen; Intrapersönliche Konflikte, Konflikte in der Gruppe, Konflikte mit der Leitung und Konflikte mit dem Thema (vgl. SENNINGER 2000, S. 76). 104 Ein Intrapersönlicher Konflikt ist ein interner Konflikt, bei dem die Ursache in der Nichtbefriedigung eines Bedürfnisses liegt. Dies kann sich auf einen Mangel an Anerkennung oder Respekt beziehen oder ein Zeichen dafür sein, dass eine Lerngrenze erreicht wurde. Eine mögliche Ursache kann sein, dass die unbewussten und bewussten Mechanismen und Verhaltensmuster, die entwickelt wurden, um mit angstbesetzten Situationen umzugehen und Bedürfnisse zu befriedigen , nicht mehr greifen oder dem Alter unangemessen sind (vgl. SENNINGER 2000, S. 76). Bei Konflikten in der Gruppe geht es meist um Beziehungskonflikte zwischen den Gruppenmitgliedern. Die Ursachen können ungeklärte Machtstrukturen, missverständliche Kommunikation oder unklare Bedürfnisse sein.. Zum Beispiel muss die Rollenstruktur in der Gruppe ausgehandelt werden, denn der Konflikt endet bei der Rollenzuschreibung erst, wenn jeder mit seiner Rolle zufrieden ist. Dies ist ein Aushandlungsprozess, der ein hohes Konfliktpotenzial birgt. "Um Konflikte zwischen den TeilnehmernInnen zu lösen, müssen diese offen über ihre Unterschiede zueinander sprechen können - allerdings mit Respekt vor anderen Meinungen, Werten, Lebenseinseinstellungen etc." (SENNINGER 2000, S. 78). Genau an diesem Punkt setzt die Mediation an und kann ihren Teil dazu beitragen, eine faire Streitkultur zwischen den SchülerInnen aufzubauen. Bei Konflikten zwischen der Leitung und der Gruppe muss der Konflikt angesprochen und die Art und Weise der Zusammenarbeit mit der Gruppe gemeinsam überprüft werden. Hier geht es meistens um eine Akzeptanz und gemeinsame Definition von Macht und Autorität. Konflikte mit dem Thema sind Unstimmigkeiten auf der Sachebene, die durch unterschiedliche Vorinformation oder Wissen auftauchen können, z.B. wenn die Inhalte des Kurses nicht den Erwartungen der Teilnehmer entsprechen. (vgl. SENNINGER 2000, S. 79) Konfliktlösungsstrategien Die Lösung von Konflikten bewegt sich auf zwei Dimensionen; die Berücksichtigung der eigenen Bedürfnisse und die Berücksichtigung der Bedürfnisse anderer. 105 Abb. 14, Konfliktlösung, K. COLE, 1996 in (SENNINGER 2000, S. 80) Nach diesem Modell schafft eine wirklich ausgeglichene Bilanz nur die Kooperative Strategie der Konfliktlösung. Neben den Möglichkeiten der Vermeidung, dem Nachgeben, dem Zwang oder dem Kompromiss bietet die kooperative Strategie die Möglichkeit ,die Zufriedenheit beider Konfliktpartner zu erreichen (vgl. SENNINGER 2000, S. 80). Ihr Ziel ist eine sogenannte „Win/Win“ Lösung, die auch die Grundlage der Mediation ist. Konflikte an Bord, Konfliktfähigkeit lernen an Bord An Bord kommt es durch die bereits im Kapitel 5.2.1 gegebenen Umstände eher zu Konflikten. Gleichzeitig, ist durch die Umstände aber auch die Notwendigkeit der Zusammenarbeit gegeben. Somit bietet das Schiff zum einen die Gelegenheit wichtige Erkenntnis in Konfliktlösungsstrategien zu erlangen und zum anderen gleichzeitig ein praktisches Lernfeld, in dem diese neuen Erkenntnisse zeitnah erprobt werden können. In diesem Sinne ist es durchaus sinnvoll, ein Konflikttraining oder eine Ausbildung zu SchülermediatorInnen und StreitschlichterInnen in das Programm auf dem Schiff zu implementieren. Dies hätte unter anderem auch den Vorteil, dass externe AusbilderInnen neue Lernerfahrungen für die Schüler eröffnen können, da ihre Autorität nicht durch das Bewertungssystem der Schule belastet ist (vgl. BEHN et al. 2006, S. 23). 106 Auch kleinere Unterrichtseinheiten mit erlebnisorientierten Methoden zum Thema Kommunikation, Konfliktfähigkeit und Feedback können, je nach Alter der TeilnehmerInnen, sinnvoll an Bord eingesetzt werden. Um diesen Möglichkeiten Rechnung zu tragen, wurde in das Konzept ein „Themenmodul“ als Programmbaustein integriert, welches die vorangehend beschriebenen Ansätze berücksichtigt. 6.4 Grundlagen der Umsetzung des Konzeptes Im Folgenden möchte ich einige Grundsätzliche Themen beschreiben die für die Umsetzung des Konzeptes von Bedeutung sind und für jedes Programmdesign gültig sind. 6.4.1 Verhaltensregeln Um neue angemessene und prosoziale Verhaltensweisen bei Jugendlichen aufzubauen, hilft es, gemeinsam Verhaltensregeln zu erarbeiten zu entwickeln oder vorzugeben und ihre Einhaltung zu kontrollieren: "Regeln stellen die Grundbedingung für ein relativ konfliktfreies Miteinander dar und sind hilfreich beim Lösen von Konflikten." (JUGERT 2007, S. 51 f.). Aus diesem Grunde werden zu Beginn der Klassenfahrt an Bord gemeinsam mit den SchülerInnen Verhaltensregeln erarbeitet, die sich auf den Umgang miteinander und auf das Verhalten an Bord beziehen. "Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Regeln besser akzeptiert werden, wenn die Gruppe an der Entwicklung aktiv beteiligt ist. Dies schafft ein Gefühl der Zugehörigkeit und der Eigenverantwortung und führt zum besseren einhalten der Regeln" (JUGERT et al. 2007, S. 52). Trotzdem gibt es Situationen, in denen die Trainer damit konfrontiert werden, dass Verhaltensregeln nicht eingehalten werden. In einem solchen Fall sollten die Trainer ihre Reaktion und Intervention nach dem Prinzip der logischen Konsequenz ausrichten wie sie in ihren Grundzügen z.B. von ADLER beschrieben wurde. "Es war Alfred Adler, der zu erste erkannt hat, das Lohn und Strafe in der Erziehung nur dann Sinn haben und eingesetzt werden sollen, wenn sie als logische Konsequenzen des Verhaltens einsehbar sind und nicht als von anderen willkürlich gesetzt erscheinen. Ein Verbot zum Landgang etwa eignet sich 107 demnach nicht als Strafe für ein Nichtantreten der Wache, da der innere Zusammenhang dieser beiden Geschehnisse nicht erkennbar ist. Wohl aber könnte ein Verbot zum Landgang als logische Konsequenz auf ein verspätetes Zurückkehren zum Schiff ausgesprochen werden, wodurch sich etwa ein Auslauftermin verzögert haben könnte. Als Bestrafung für einen verzögerten Wachantritt könnte dem gegenüber etwa der Ausschluss vom gemeinsamen Mittagessen dienen, indem der Wachdienst für den betreffenden Jugendlichen um eine Stunde verlängert wird, um die Zeit auszugleichen, die ein wachfreies Crewmitglied benötigte, um dessen Backschaftsdienst zu verrichten. (…) Strafen als willkürlich erscheinende Erniedrigungen der eigenen Person vermindern bei dem Jugendlichen das Selbstwertgefühl (was bei sozial auffälligen Jugendlichen ohnehin schon stark vermindert ist) und werden als Angriff auf die eigene Person erlebt mit der Folge, dass entweder Resignation oder Trotzhaltungen eintreten" (STADLER 1988, S. 47). 6.4.2 Verhalten und Rolle der TrainerInnen Das Selbstverständnis eines erlebnispädagogischen Trainers oder einer Trainerin an Bord stellt ROSENBERG in seiner Aussage über die Aufgabe von Lehrern wie folgt dar: "Lehren ist so ähnlich wie Reiseveranstalter zu sein. Für mich heißt Lehren, den Schülern Lust aufs Reisen zu machen. Reiseveranstalter bieten dir verschiedene Reiseziele an, sie können dir auch etwas empfehlen oder dich beraten, aber sie sagen dir nicht wo du hinfahren sollst. Reiseveranstalter erwarten von ihren Kunden weder, dass sie alle zusammen fahren, noch dass sie an den gleichen Ort fahren. Und: Reiseveranstalter vermitteln die Reise und kümmern sich um das Organisatorische, aber sie fahren nicht mit" (ROSENBERG, SEILS 2007, S. 121 f.). Dies bedeutet für die TrainerInnen an Bord, einen Rahmen zu schaffen, der das Erlernen sozialer Kompetenzen ermöglicht und fördert, doch die SchülerInnen können und sollen den Prozess mitentscheiden und mitgestalten. Die TrainerInnen sollten eine Autorität darstellen wie BUEB sie in einem Interview mit der GEO beschreibt; sie baut auf der Grundlage einer „rechtmäßig ausgeübten Macht“ auf, die nicht missbraucht wird. Eine „rechtmäßig ausgeübten Macht“ meint in diesem Zusammenhang eine „Macht“, die aus Kompetenzen und nicht aus der Rollenzuschreibung resultiert und aus diesem Grund von den TeilnehmerInnen 108 akzeptiert wird. Er nennt den Charakter von MachtinhaberInnen als ein entscheidendes Regularium, das vor einer Machtausnutzung bewahrt. (vgl. GEO Kompakt 2008) Es ist die Aufgabe der PädagogInnen und TrainerInnen eine angstfreie Atmosphäre an Bord zu schaffen, die es ermöglicht, Vertrauen zueinander und untereinander aufzubauen. Zu dieser Aufgabe gehört auch, vorhandene Ängste zu akzeptieren und anzuerkennen. "Ein Pädagoge, der die Teilnehmer - aus welchen Gründen auch immer - ängstigt oder Gefühle der Angst nicht annehmen kann, sie abwertet oder ignoriert, kann nicht als geeignet für die Durchführung erlebnispädagogischer Aktivitäten angesehen werden" (ZIEGENSPECK 1995, S. 227). Wenn es in der Gruppe zu tiefgreifenden Konflikten kommt, sollten die TrainerInnen in der Lage sein, die Gruppe erfolgreich durch diesen Konflikt zu begleiten. Es ist unumgänglich sich als Kursleiter oder Pädagoge mit Konfliktlösungsstrategien auseinanderzusetzen. Es gilt auch verdeckte Konflikte, die sich in Widerstand, Aggression, Flucht oder Sabotage oder anderem Abwehrverhalten ausdrücken können, zu erkennen. In der praktischen Arbeit sollte dies Teil des Wissens aller TrainerInnen sein. Sie müssen zusätzlich über Fertigkeiten im Bereich Gesprächsführung und Moderation verfügen (vgl. SENNINGER 2000, S. 11). Externe TrainerInnen neben den Lehrkräften einzusetzen, hat durchaus Vorteile: SchülerInnen, die als „abweichend“ etikettiert wurden, neigen häufiger dazu, sich auch abweichend zu verhalten, als wenn nur die Handlung als abweichend bezeichnet oder angesprochen wurde. (dazu auch Kapitel 2.3.3) Wenn nur die Handlung als abweichend eingestuft wird, kann der/die SchülerIn sein/ihr positives Selbstbild erhalten, wenn jedoch seine/ihre ganze Person als abweichend etikettiert wird, muss er/sie die Devianz auf seine/ihre eigene Person beziehen und sich selbst als abweichend betrachten. Wenn dies vermehrt geschieht, kann sich eine so genannte "Schulidentität" ausbilden, die von einem negativen Selbstkonzept geprägt ist und dadurch im Verlauf auch zu schlechterem Verhalten des Schülers oder der SchülerIn in der Schule führen wird. Wenn eine Etikettierung vorliegt, erwartet der Lehrer durch diese Etikettierung schlechtes Verhalten. Hier kann durch externe TrainerInnen eine neue Situation geschaffen werden. Diesen TrainerInnen ist es 109 möglich, solche Etikettierungen zu erkennen und den SchülerInnen ist es möglich,durch die Anwesenheit einer neuen Bezugsperson andere Seiten zu zeigen, die auch eher anerkannt werden; somit bekommt der/die Jugendliche neue Informationen. "Das Individuum wird zu dem, als was es bezeichnet wird" (vgl. TANNENBAUM 1938, nach HARGREAVES 1981, in ANDORFF 1988, S. 21). 6.4.3 Anforderungen an den Kapitän In dem Kapitel 5.2.3 wird die Situation des Kapitäns an Bord ausführlich beschrieben. Für die erfolgreiche Durchführung eines pädagogischen Kursprogramms sollte der/die KapitänIn gewisse Anforderungen an sein/ihr Verhalten erfüllen. Dies ist meines Erachtens nur möglich, wenn der/die KapitänIn gewillt und motiviert ist, pädagogische Zielsetzungen zu unterstützen und dafür auch Einschränkungen oder Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen. STADLER formuliert Verhaltensweisen, die KapitänInnen bei pädagogischen Fahrten zeigen sollten: Die Regeln, die an Bord gelten und die der/die KapitänIn gegenüber der Gruppe artikuliert, sollte er/sie selber als Vorbild am strengsten einhalten. Es steigert die Motivation der TeilnehmerInnen, wenn er/sie bei schwierigen Manövern nicht nur Befehle erteilt, sondern sich kooperativ zeigt und wenn möglich, auch eigenen Einsatz bringt. Wenn es die Situation zulässt, sollte der/die KapitänIn den SchülerInnen Handlungsspielräume lassen und strenge Anweisungen nur dort verwenden, wo es nötig ist. Wenn Entscheidungen anstehen, sollten diese mit den SchülerInnen abgesprochen werden, wobei mehrere Möglichkeiten zur Wahl stehen sollten. Wenn Entscheidungen seitens der Schiffsführung getroffen wurden, sind diese transparent zu kommunizieren und deren Beweggründe offen zu legen. Dies kann auch nach einer Aktion passieren, wenn der Zeitdruck keine Erklärung in der Situation zulässt. Es existieren traditionelle Kapitänsprivilegien, auf die bei einer solchen Fahrt verzichtet werden sollte. Vorhandene Qualifikationen und bestehendes Wissen sollte weitergegeben werden. SchiffsführerIn und MaatIn sollten ihre Anweisungen in angemessener Lautstärke und langsam geben und die Ansprache an konkrete Personen richten. Es sollten nicht mehrere Anweisungen gleichzeitig gegeben werden. Bei der Arbeitsteilung an Bord sollten die Bedürfnisse, Interessen und Probleme berücksichtigt werden (vgl. STADLER 1988, S. 66). 110 6.5 Struktur des Programms Für die Programmgestaltung, in der ich die theoretischen Ausführungen der voran gegangenen Kapitel umsetzten möchte, habe ich mich für eine Struktur entschieden, die sich aus einzelnen Programmbausteinen zusammensetzt. Sie sind flexibel einsetzbar und an die Bedürfnisse der Zielgruppe individuell anzupassen, somit ermöglichen sie den TrainerInnen flexibel auf den Gruppenprozess zu reagieren. Ein Programmbaustein ist eine in sich geschlossene Aktion, die als solche eingesetzt, aber auch mit anderen kombiniert werden kann. Die Gestaltung eines Konzeptes mit Hilfe von Programmbausteinen ermöglicht es, flexibel auf unterschiedliche Zielsetzungen und Schwerpunkte einzugehen. Die meisten Elemente können für unterschiedliche Ziele eingesetzt werden. Durch die inhaltliche Ausgestaltung der Elemente, sowie die Gestaltung der Moderation und Auswertung eines Bausteins, können die Elemente auf die gewünschten Ziele hin ausgerichtet werden. Mögliche Schwerpunkte und Ziele der Programmbausteine zur Förderung sozialer Kompetenzen innerhalb des Programms einer Klassenfahrt sind: Kooperation, Kommunikation, Grenzen überwinden, Vertrauen (in sich selbst und in andere), Verantwortung übernehmen, Förderung von Körpererfahrung durch sportliche Aktivitäten, Durchhaltevermögen, Planen und Organisieren, Teamarbeit, Kreativität und Wahrnehmung. Programmbausteine • Kurseröffnung: Nachdem die Gruppe die Kammern bezogen und das Gepäck verstaut hat, folgt ein gemeinsames Treffen, um sich gegenseitig kennen zu lernen. Hier können erste Informationen ausgetauscht werden. Ein wichtiger Punkt bei Beginn einer Fahrt ist das gemeinsame Erarbeiten von den Erwartungen und Befürchtungen in Bezug auf die bevorstehende gemeinsame Zeit an Bord. Die Lehrkräfte werden meistens schon Informationen über die Reise weitergegeben haben und es ist wichtig, diese mit den tatsächlichen Erwartungen der Klasse abzugleichen. Ängste sollten genommen und Befürchtungen offen ausgesprochen werden können. Die Programmgestaltung sollte auf Übereinstimmung mit den Wünschen und 111 Erwartungen der Gruppe überprüft werden. Es kann an dieser Stelle einen Konflikt geben zwischen den Erwartungen und Wünschen der Lehrkräfte und denen der Klasse. An dieser Stelle sollten die Rollen transparent gemacht werden: Welche Aufgaben haben sie, welche haben die Lehrkräfte, TrainerIn oder der SchiffsführerIn? • Kursauswertung: Die Kursauswertung steht am Ende eines jeden Kurses. Sie dient der Gruppe zur Reflexion des Erlebten der gesamten Woche und hat den Transfer der gesammelten Erkenntnisse zum Ziel (siehe Kapitel 7.4.2). • Reporterteam: Das Reporterteam wird von den SchülerInnen gestellt und hat die Aufgabe, das gesamte Geschehen an Bord durch Fotos und Interviews mit allen Beteiligten zu dokumentieren. Diese Daten werden dann später in der Schule aufbereitet und bei einem Nachtreffen in Form einer Zeitung oder eines Diavortrages präsentiert. Dies kann als Transferhilfe eingesetzt werden. • Interaktionsübungen: Den SchülerInnen werden Problemlösungsaufgaben gestellt, die in einem Setting zusammengestellt sind und die sie nur gemeinsam als Gruppe lösen können und die in ihrem Schwierigkeitsgrad aufeinander aufbauen. Diese Aufgaben können unterschiedliche Zielsetzungen haben, wie z.B., die Förderung der Wahrnehmung, Kommunikation, Zusammenarbeit, Vertrauensfähigkeit, Planungskompetenz, etc. (siehe auch Kapitel 7.3.2). • Verpflegungsplanung als Gruppenaufgabe: Vor der Fahrt findet eine gemeinsame intensive Planung der Lebensmittelversorgung statt, bei der die SchülerInnen zwar Beratung erhalten, aber die Verantwortung der Leitung und Durchführung übernehmen sollen. Dies soll die gemeinsame Verantwortung für das „Unternehmen Klassenfahrt“ ins Blickfeld rücken. Die Aufgaben dieses Projektes reichen von den Kochrezepten, den benötigten Lebensmitteln, der Einteilung der Küchendienste und Kochgruppen, dem Erstellen der Einkaufslisten, bis hin zur Einkaufsplanung. Selbstversorgung kann ein wichtiges Element zur Erprobung der Eigenverantwortlichkeit und Selbstständigkeit sein. Bei diesem Baustein wird der Ansatz des erfahrungsorientierten Lernens sehr alltagsnah umgesetzt. • Bewegungsspiele: Durch bewegungsintensive Spiele können Berührungsängste und Frustrationen abgebaut werden und durch den 112 gemeinsamen Spaß wird das Kennenlernen und das Gemeinschaftsgefühl gefördert. • Segeleinweisung: Wenn gesegelt wird, geht dem eine fachsportliche Schulung voraus. Diese kann schon vor der Klassenreise in der Schule durchgeführt werden oder am Anfang der Reise an Bord des Schiffes. Die SchülerInnen werden mit den Gegenständen und Abläufen an Bord vertraut gemacht. Die wichtigsten Fachbegriffe und Knoten werden gelernt. Die Funktion des Segelns wird erklärt und anhand von kleinen Schiffsmodellen veranschaulicht, mit denen auch die Manöver geübt werden können. • Nachtwanderung: Wenn das Schiff im Hafen liegt, können Nachtwanderungen an Land durchgeführt werden. Je nach Standort können diese am Strand oder im Wald durchgeführt werden. Sie dienen der Wahrnehmungsschulung, bieten Zeit für Selbstwahrnehmung und Verarbeitung der Erlebnisse. Die Wanderungen werden schweigend durchgeführt und enthalten einen Part, indem jede/r für sich eine Weile gehen oder stehen wird, um die Ablenkung durch die anderen TeilnehmerInnen zu verringern und Raum für Besinnung zu schaffen. • Floßbau: Der Floßbau gehört zu dem Bereich der Interaktionsübungen und ist eine Aufgabe, bei der die TeilnehmerInnen in Kleingruppen aus vorgegebenen Materialien ein Floß bauen müssen, mit dem sie nach Fertigstellung eine Strecke von zweihundert Metern zurücklegen können. • Naturerfahrungen: Die Reise auf einem Traditionssegler ist eine intensive Naturerfahrung. Aktionen mit dem Ziel der Naturerfahrung können zusätzlich in vielfältiger Weise ins Programm eingebunden werden, um diesen Effekt zu verstärken. Durch die ständige Anwesenheit von Wind, Wasser und Wellen wirkt die Natur für sich. • „Run and Dip“: Gemeinsam mit den SchülerInnen, wird an Land durch die Natur gelaufen bzw. gejoggt und anschließend im Meer gebadet. Ziel ist die Körpererfahrung, das Naturerlebnis und die Erweckung der Sinne. • Mastklettern: Den SchülerInnen wird die Möglichkeit gegeben, gesichert bis zur Mastspitze zu klettern und dann entweder wieder abzusteigen oder über die Seilüberquerung von einem Mast zum anderen zu gehen und von dort abzusteigen. Die SchülerInnen werden vorher in Kletter- und 113 Sicherungstechniken eingewiesen und sollen sich bei dieser Aktion gegenseitig sichern. So müssen die Sichernden die Verantwortung für ihre KletterpartnerInnen übernehmen und die KletterInnen müssen ihnen vertrauen können. Bei dieser Aktion spielen Angstbewältigung, Körperwahrnehmung, Vertrauensstärkung, Konzentration und Sorgfalt eine Rolle. • Seilüberquerung: Die SchülerInnen erhalten die Aufgabe, eine Seilüberquerung über einer Senke zwischen zwei Bäumen aufzubauen. Für diese Aktion werden sie in Kleingruppen geteilt, die - jede für sich - einen Teil des Aufbaus gezeigt bekommen. Anschließend sollen die Kleinteams gemeinsam den Aufbau durchführen. Um erfolgreich zu sein, ist ein hohes Maß an Kooperations- und Kommunikationsbereitschaft gefragt. Anschließend können sie mit Hilfe eines Klettergurtes gesichert, die Senke an den gespannten Seilen überqueren. • Dienste: Jeder/Jede TeilnehmerIn muss Gemeinschaftsaufgaben erledigen, die der gesamten Gruppe dienen. Dazu gehört z.B. die „Backschaft“. Sie ist an Bord ähnlich dem Küchendienst und hat die Aufgabe gesamte Mannschaft zu verpflegen. Ein weiterer Dienst wird als „Reinschiff“ bezeichnet und bedeutet die Sauberkeit und Ordnung an Bord, an und unter Deck, herzustellen und aufrecht zu erhalten Dies ist wichtig, um die Sicherheit an Bord zu gewährleisten. • Funkorientierung: Die Funkorientierung ist eine Expedition über Land, die in der Länge und Dauer variabel ist. Bei dieser Übung wird die Gruppe in zwei Kleingruppen unterteilt und bekommt den Ausschnitt der Karte, die die Wegstrecke und das Ziel der anderen Gruppe zeigt und umgekehrt. Also hat Gruppe A die Karte von Gruppe B und Gruppe B die Karte von Gruppe A. Mit Hilfe von Funkgeräten können sie kommunizieren, um sich gegenseitig den Weg zu zeigen. Dabei müssen sie die vorgegebenen Gesprächzeiten beachten. Der Motivationscharakter kann bei dieser Aufgabe dadurch erhöht werden, indem das Schiff die SchülerInnen in einem Hafen X an Land setzt. Nun ist es das Ziel der SchülerInnen, den Hafen Y zu finden, zu dem das Schiff fahren wird, um sie wieder an Bord zu nehmen. 114 • Abschlussabend: Der Abschlussabend soll von den SchülerInnen als Projekt in Kleingruppen selber gestaltet werden. Für diese Aufgabe stehen die TrainerInnen ihnen als Hilfe zur Seite. Sie können eine Party organisieren, ein Buffet machen, Theater aufführen oder ähnliches. Auch bei dieser Aufgabe handelt es sich um eine Interaktion der Gruppe, die ein gemeinsames Ziel erreichen muss: Einen schönen Abend zu gestalten. • „Captains Dinner“: Ursprünglich hat der/die KapitänIn beim „Captains Dinner“ meistens in mehreren Gängen für die Mannschaft gekocht. Diese Aktion funktioniert auch umgekehrt. Wenn es eine gute Segelwoche war, ist diese Aktion als Dankeschön an den Schiffsführer gedacht, da alle wieder sicher angekommen sind. Die SchülerInnen teilen sich in Gruppen und jede Gruppe ist für einen Teil des Dinners verantwortlich: den Einkauf der Zutaten, die Vorspeise, das Hauptgericht, das Dessert, die Dekoration, die Musik, die Tischkärtchen etc. Bei dieser Aufgabe müssen sich alle ein letztes Mal miteinander absprechen und zusammenarbeiten. Die Vorbereitung eines solchen Abends gleicht einer großen Interaktion und kann als finale Aufgabe betrachtet werden. Bei Gruppeninteraktionen, wie z.B. den Abschlussabend zu gestalten oder in diesem Fall das „Captains Dinner“ vorzubereiten, kommt es meiner Erfahrung nach häufig zu Konflikten. Anders als bei offensichtlich angeleiteten Übungen zu bestimmten Themenfeldern der sozialen Kompetenzen, ist bei diesen Aufgaben das pädagogische Ziel eher verdeckt und die Gestaltung des Abends erscheint als vordergründige Aufgabe. Ich konnte beobachten, dass einige Gruppen bei Aufgaben, die offensichtlich der Schulung von sozialem Verhalten dienten, sehr gut zusammenarbeiteten und rücksichtsvoll miteinander umgingen, bei verdeckten Übungen und Aufgaben aber in ihr altes Verhalten zurückfielen. Daraus ziehe ich den Schluss, dass es sinnvoll ist, auch möglichst realitätsnahe soziale Aufgaben zu schaffen. Die TrainerInnen sollten hierbei anwesend sein und somit die Möglichkeit bieten, bei auftretenden Konflikten, die SchülerInnen bei einer Lösung zu unterstützen. • Themenmodule: Es können Themenmodule zu unterschiedlichen Schwerpunkten der sozialen Kompetenzen ausgeführt werden. Diese Module bestehen aus theoretischen Einheiten und dazu passenden praktischen 115 Übungen, die mit Methoden arbeiten wie: Problemlösungsaufgaben, Initiativaufgaben und Rollenspiele, die auf dem erfahrungsorientierten Lernen basieren. Mögliche Themenmodule sind Kommunikations- und Konfliktschulung oder ein Streitschlichtertraining. Es ist z.B. möglich Orientierungsstufe die einer Grundausbildung Schule der mit SchülerInnen der implementiertem Streitschlichterprogramm auf dem Schiff durchzuführen. An Bord können sich dann die gewonnenen Erkenntnisse aus den theoretischen Einheiten perfekt in der praktischen Umsetzung, beim Segeln, bewähren. Eine Möglichkeit die Förderung der kommunikativen Kompetenzen an Bord zu implementieren, ist die Integration eines Moduls zum Thema Kommunikation in den Programmablauf. Das Ziel eines solchen Moduls ist die Kommunikationsfähigkeit und -bereitschaft zu erhöhen und so zu fördern, dass die SchülerInnen einen Nutzen für ihre alltäglichen Gespräche in der Schule oder im Privatleben daraus ziehen können. Für den sozialen Umgang ist es wichtig, sich sprachlich gut ausdrücken und mitteilen zu können. Dies bedeutet, dass man seine Wünsche und Erwartungen klar formulieren, selbstbewusst auftreten, Kritik angemessen äußern und Konflikte fair austragen kann. Das „Ministerium für Kultur, Jugend und Sport Baden Württemberg“ beschreibt in einem Programm zur Förderung sozialer Kompetenzen ein Themenmodul zur Kommunikation und Konfliktlösung wie es auch an Bord umgesetzt werden könnte. „Das vierstündige Training wird in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil steht der Bezug zu Schule und Unterricht im Vordergrund. Die Schülerinnen und Schüler erhalten zunächst Informationen über Grundformen der Kommunikation. Im Anschluss daran sollen sie ihre mündliche Unterrichtsbeteiligung überdenken und herausarbeiten, welche Faktoren sie daran hindern, sich am Unterricht zu beteiligen. Im zweiten Teil geht es stärker um den zwischenmenschlichen Beziehungsaspekt. Die Schülerinnen und Schüler erfahren mehr über Körpersprache und den Umgang mit unsympathischen Menschen. Weiterhin lernen sie Ich- und Du116 Botschaften kennen und Projekte für soziales Lernen anzuwenden. Am Ende werden die Merkmale guter Gespräche gemeinsam erarbeitet" (MINISTERIUM FÜR KULTUR 2008, S. 87). Faktoren die bei der Gestaltung und Umsetzung des Programms berücksichtigt werden müssen: • Ziele, Wünsche und Vorstellungen der LehrerInnen, der SchülerInnen, des Schiffsführers und der TrainerInnen: Es ist wichtig eine Kommunikation mit allen Beteiligten über ihre Vorstellungen und Ziele zu pflegen. In der Vorbereitungsphase, dem Beginn der Kursplanung,sollten TrainerInnen und LehrerInnen ihre Vorstellungen und Ziele abgleichen ,damit das Programm entsprechend ausgerichtet werden kann. Die SchülerInnen sollten vor der Klassenfahrt informiert werden, was sie erwartet und am ersten Abend an Bord sollte das Programm sich auch nach ihren Wünschen und Bedürfnissen richten. Dieser Abstimmung dient die Kurseröffnung. Ein Konflikt entsteht, wenn die Lehrkräfte andere Vorstellungen und Wünsche bezüglich des Programms haben als die SchülerInnen. Hier entsteht für die TrainerInnen eine Diskrepanz zwischen Kundenorientierung, die LehrerInnen sind die Kunden, und pädagogischen Idealen in Bezug auf die Partizipation der SchülerInnen. • Vorerfahrungen der SchülerInnen: Die Vorerfahrungen, die die SchülerInnen sowohl im sozialen Bereich durch bereits gemachte Sozialtrainings, als auch im fachsportlichen Bereich des Kletterns oder des Segelns gemacht haben, beeinflussen das Programm. Der Schwierigkeitsgrad sollte dem Niveau der Gruppe angepasst werden • Gruppensituation: Die soziale Situation in der Klasse, die Gruppendynamik und Rollenverteilung spielen eine Rolle bei der Aufgabengestaltung. Wenn die Rollenverteilung in der Klasse erkannt wurde, ist es z.B. möglich, AußenseiternInnen gezielt verantwortungsvolle Aufgaben zuzuteilen, bei denen sicher ist, dass sie diese bewältigen können, um eine Situation zu schaffen, in der sie ihr Können zeigen dürfen. 117 • Motivation der SchülerInnen berücksichtigen: Wenn die Lehrkraft ohne Mitbestimmung der SchülerInnen die pädagogische Klassenreise gebucht hat, haben die SchülerInnen eine andere Motivationsgrundlage als wenn sie sich selber für diese Reise entschieden haben. Hier wird auch der Vorteil der Kombination vom Training sozialer Kompetenzen und erlebnispädagogischen Methoden deutlich, denn sie besitzen einen hohen Aufforderungscharakter, welches ein reines „Training sozialer Kompetenzen“ nicht vorweisen kann. Kaum eine Klasse würde sich, meiner Meinung nach, für ein „Training sozialer Kompetenzen“ als Klassenreise entscheiden. Eine gemeinsame Segelreise mit Erlebnischarakter erhöht die Attraktivität. • Zielorientierung: Eine normale Klassenfahrt dauert meist nicht länger als zehn Tage. Bei einer kurzen Zeitspanne ist es sinnvoll, Schwerpunkte für die Reise zu setzten. Die pädagogischen Ziele sollten auf die wichtigsten beschränkt werden, denn die Möglichkeiten der Förderung von Kompetenzen sind vielfältig. • Bedürfnisorientierung: Das Programm sollte immer wieder den Bedürfnissen der Gruppe angepasst werden. Eine unzufriedene Gruppe verbreitet schlechte Stimmung und lernt weniger. Bei allen Ansprüchen an pädagogische Ziele sollte doch der Spaß eine wichtige Rolle spielen. Durch aktuelle Problemstellungen muss auch von der Planung abgewichen werden können. • Leistungsprofil der Klasse: Das Leistungsprofil bezieht sich auf physische, psychische, sicherheitstechnische, inhaltliche und pädagogische Komponenten. Die Leistungsbereitschaft und Fähigkeit muss so eingeschätzt werden, dass die TeilnehmerInnen sich nicht über längere Zeit in der Panikzone (siehe Kapitel 7.3.1) befinden. • Äußere Einflüsse: Wind und Wetter beeinflussen die Reiseplanung und bei hohem Seegang oder zuviel Wind muss die Route entsprechend geändert werden. 118 6.6 Exemplarische Wiedergabe eines vollständigen Programmablaufs Ich möchte an dieser Stelle beispielhaft ein Programm vorstellen, wie es durchgeführt werden könnte, um die theoretischen Ausführungen der Programmmodule zu veranschaulichen. Um das Programm gestalten zu können, hat vorher ein ausführlicher Informationsaustausch mit den LehrerInnen über Wünsche, Ziele und Bedürfnisse stattgefunden. Des Weiteren wurden Informationen über die Klasse, die Klassenstruktur, Gruppendynamik, vorhandene Konflikte und besondere Problemstellungen eingeholt. Bei diesem Programm gehe ich von einer achten Klasse eines Gymnasiums aus. Die SchülerInnen kennen sich teilweise von der Grundschule und andere kennen sich gar nicht. Die Gruppenkonstellation ist durch die Wahl unterschiedlicher Fächer für alle neu. Sie werden voraussichtlich bis zur dreizehnten Klasse zusammen arbeiten und lernen. Das Ziel der Fahrt ist, nach gemeinsamen Überlegungen mit den Lehrkräften, die Klasse zu einer Gemeinschaft zusammenzuführen und die SchülerInnen in ihrer Rollenfindung zu unterstützen, sowie einen positiven sozialen Umgang miteinander zu erarbeiten. Täglich stattfindende Rituale (Dienste wie Küchendienst, Reinschiff etc.) werde ich nicht mit ausführen. Nach dem Ablegen des Schiffes sind für die SchülerInnen nicht durchgehend Aufgaben zu erledigen, deshalb können in dieser Zeit Themenmodule bearbeitet oder Aktionen, wie z.B. das „Captains Dinner“ vorbereitet werden. Die Durchführung kleinerer Interaktionsaufgaben an Bord wird den Segel- und Wetterbedingungen angepasst. Montag Ankommen und Einführung. Die Klasse erreicht am Nachmittag den Hafen von Lelystad am Islemeer. Nach einer allgemeinen Begrüßung der Lehrkräfte und SchülerInnen erhalten sie die erste Interaktionsaufgabe, die sie gemeinsam lösen müssen. Um auf das Schiff zu gelangen, muss über die Pier gegangen werden. Die Klasse erhält die Aufgabe, sich eine Lösung für folgende Aufgabe auszudenken: Die Jungen der Klasse dürfen den Boden der Pier berühren, aber die Gepäckstücke nicht. 119 Die Mädchen dürfen zwar die Gepäckstücke berühren, aber nicht den Boden. Ziel ist, dass alle TeilnehmerInnen und Gepäckstücke an Bord gelangen. Während dieser ersten Übung bekommen die TrainerInnen einen ersten Eindruck der Gruppenstruktur der Klasse, da die SchülerInnen gefordert sind, zusammen zu arbeiten. Anschließend werden die Kammern bezogen und es gibt eine erste Schiffseinweisung. Am Anreisetag wird auch die Kurseröffnung (siehe 7.5) durchgeführt. Dienstag Das Frühstück wird für eine Interaktionsaufgabe genutzt. Die SchülerInnen erhalten die Aufgabe, mit zusammengebundenen Händen zu frühstücken. Jede rechte Hand ist mit der linken seines/seiner NachbarIn durch eine Band verbunden. So müssen die SchülerInnen untereinander Absprachen treffen, wer zu welcher Zeit Handlungen ausführen darf. Nach dem Frühstück findet eine Reflexion und Auswertung statt. Dabei kann es um Fragen gehen wie: Worauf kommt es bei einer guten Zusammenarbeit an? Welche Bedeutung hat für uns Zusammenarbeit in Hinblick auf das unmittelbar anstehende, gemeinsame Segeln? Anschließend folgt eine Segeleinweisung und es wird abgelegt. Daraufhin wird das Bedienen der Segel geübt. Abends im Hafen erfolgt eine Auswertung des Erlebten. Hier geht es um eine Reflexion der Zusammenarbeit und des sozialen Umgangs miteinanders. Mittwoch Ablegen nach dem Frühstück und den erledigten Diensten. Durchführen eines Themenmoduls z.B. zum Thema Zusammenarbeit. Es folgen in Hinblick auf das Themenmodul Manöverübungen unter Segeln, die anschließend reflektiert werden. Abends gibt es im Hafen eine weitere Übung zum Thema Zusammenarbeit: Der Floßbau (siehe 7.5). Auf freiwilliger Basis können alle nach der Tagesauswertung an einer besinnlichen Nachtwanderung teilnehmen. Donnerstag Der Tag beginnt mit einem „Run and Dip“ (siehe 7.5). Danach erfolgt die Einweisung und Durchführung der Funkorientierung mit anschließender Auswertung zum Thema Kommunikation. Am Ziel der Strecke wartet auf die 120 Kleingruppen ein vorbereitetes Picknick oder Grillen am Strand. Nach dem Grillen wird mit dem Schiff ausgelaufen und vor Anker gegangen. Es wird Sternenkunde mit Sternentafeln an Deck angeboten. Freitag Wenn man Ankert bietet, es sich an, morgens direkt vom Schiff aus schwimmen zu gehen. Von den Masten und Gaffeln aus können die Taue als Lianen benutz werden, um ins Wasser zu schwingen. Danach werden die Segel gesetzt und ein neues Ziel angesteuert. Ein weiteres Themenmodul zum Thema Kommunikation wird durchgeführt und nimmt Bezug auf die Funkorientierung und deren Auswertung. Abends im Hafen folgt die Einweisung in die Aktion „Captains Dinner“. Samstag Einkaufen für das „Captains Dinner“, Ablegen, Segeln und währenddessen das „Captains Dinners“ vorbereiten. Im Hafen folgt das Dinner an Bord, anschließend findet der Abschlussabend mit abschließender Abschlussauswertung und Lagerfeuer am Strand statt. Sonntag Packen, Aufräumen und Saubermachen des Schiffes, Auswertungsgespräche mit den Lehrkräften und Besprechung der Nachbereitungsphase. Durchführung einer Abschiedsaktion mit der Klasse bevor die Gruppe wieder an Land geht. 121 7. Abschließende Betrachtung Die thematischen, theoretischen und praktischen Ausführungen dieser Arbeit zeigen, dass es durchaus sinnvoll und möglich ist, soziale Kompetenzen von Jugendlichen durch eine konzeptionelle inhaltliche Gestaltung der Klassenfahrt an Bord von Traditionsseglern, zu fördern. Dies ist auch im Rahmen der Nutzungsbedingungen für Traditionssegler in den Niederlanden möglich. Es kann ein Handlungsfeld für SchülerInnen geschaffen werden, indem soziales Lernen stattfindet. Die besondere Qualifikation dieser Schiffe für solche Maßnahmen wurde ebenfalls sichtbar. In dieser Arbeit wurden verschiedene Aspekte und Faktoren des sozialen Lernens betrachtet und in einer Konzeption für Klassenfahrten praktisch ausgeführt. Dabei zeigt sich deutlich, dass eine wirklich nachhaltige und weit reichende Förderung sozialer Kompetenzen bei SchülerInnen nur durch ein ganzheitliches Konzept erreicht werden kann, welches alle Ebenen des sozialen Lernens einbezieht. Die Sozialisationssysteme Familie, Schule und Peergroups wirken zusammen und beeinflussen die Sozialisation der Jugendlichen. Wenn wir voraussetzen, dass wir soziale Kompetenzen im Rahmen der Institution Schule fördern wollen, so ist die Implementierung eines ganzheitlichen Konzeptes zu empfehlen. Die Elemente eines solchen Konzeptes verbinden mehrere Ansätze zur Förderung sozialer Kompetenzen. Eine Klassenfahrt auf einem Traditionssegler kann durch eine Integration in eine solche konzeptionelle Rahmung mehr zur Förderung sozialer Kompetenzen beitragen, als eine nicht in ein ganzheitliches Schulkonzept integrierte. Dennoch komme ich zu dem Schluss, dass eine Umsetzung eines pädagogischen Konzeptes für die Klassenfahrten auf Traditionsseglern aus folgenden Gründen sinnvoll ist: Klassenfahrten auf Traditionsseglern werden häufig durchgeführt, ohne dass das Potenzial genutzt wird, infolge dessen stellt die Integration eines pädagogischen Konzeptes eine inhaltliche Verbesserung der Klassenfahrten dar. Des Weiteren können kognitive Verarbeitungsprozesse bei den SchülerInnen angestoßen werden, die noch über die Klassenfahrt hinaus wirken. Ebenso erhalten die Lehrkräfte einen Einblick in Methoden, die ihnen bisher möglicherweise nicht vertraut waren. Die neuen Erfahrungen können sie dazu animieren, ganzheitliche Veränderungen in 122 ihrer Schule anzustreben, bis hin zu der Motivation, ein ganzheitliches Projekt zu implementieren. Bei der Umsetzung einer Klassenreise auf Traditionsseglern mit pädagogischer Zielsetzung wird eine SchiffsführerIn und eine MaatIn benötigt denen bewusst ist, was diese Zielsetzung, für die Schiffsbesatzung bedeutet. Sie müssen dazu bereit sein, sich auf ein pädagogisches Arbeiten einzulassen und die Segelführung, ihre Verhaltensweisen und Handlungen diesem anzupassen. Es muss akzeptiert werden, dass Manöver länger dauern und intensiver vor- und nachbereitet werden. Vor allem die MaatIn muss bereit sein, mehr Zeit zu investieren, um den SchülerInnen die Abläufe und Hintergründe des Segelns transparent zu machen. Ich komme weiterhin zu dem Schluss, dass die Mehrzahl der weiterführenden Schulen in Deutschland dem Erwerb fachlicher Kompetenzen immer noch mehr Bedeutung zumisst als den sozialen Kompetenzen. Die Schule ist zur Zeit kein Ort, an dem es in ausreichendem Maße möglich ist, soziale Kompetenzen zu erlernen. Es kann Aufgabe der SchulsozialpädagogInnen vor Ort sein, nach Möglichkeiten zu suchen, wie sie die Schule, an der sie tätig sind, als einen Ort an dem soziales Lernen gefördert wird, gestalten können. Dies setzt jedoch voraus, dass eine Stelle für einen/eine SchulsozialpädagogIn geschaffenen wurde, was an den meisten Schulen noch nicht der Fall ist. Diese Stellen sollten von den zuständigen Ministerien geschaffen werden. SchulsozialpädagogInnen sollten sich nicht den Zielen der Institution Schule unterordnen, sondern einen Raum schaffen, der frei von Bewertungen und Leistungsdruck ist. Sie können sich an ihrer Schule dafür einsetzten, dass ganzheitliche Konzepte zur Förderung sozialen Lernens in den alltäglichen Ablauf der Schule integriert werden. Hier kann auch die Erlebnispädagogik als Methode des handlungsorientierten Lernens einen Beitrag leisten. Ich erachte es als sinnvoll, solche Förderprogramme an Schule durchzuführen, da dadurch vor allem Kinder aus schwierigem Familienverhältnissenn erreicht werden. Diese wären ansonsten nur schwer erreichbar. 123 Eine pädagogische Klassenfahrt dieser Art könnte insbesondere für den Beginn einer neuen Klassenstufe mit einer neuen Schülerkonstellation, bei der Versetzung an eine weiterführende Schule, als Grundlage genutzt werden. Der Neubeginn einer Klasse bietet die Chance, von Anfang an einen pädagogischen Grundton zu setzten (vgl. GILSDORF, VOLKERT 2004, S. 67). So könnten von Anfang an, Mobbing und diskriminierenden Verhaltensweisen innerhalb einer Klasse präventiv begegnet werden. Es könnte innerhalb der Klassenreise an einem positiven Klassenklima gearbeitet und die SchülerInnnen in ihrer Rollenfindung unterstützt werden. Während der Reise werden gemeinsam Regeln in Bezug auf den sozialen Umgang miteinander erarbeitet, diese finden auch über die Klassenreise hinaus in dem Schulunterricht Anwendung. 124 Literaturverzeichnis ANDORFF, Jürgen (1988): Segelschoner "Jachara". Eine psychologische Studie über einen therapeutischen Segeltörn mit verhaltensauffälligen Jugendlichen. Lüneburg: Neubauer (Segeln und Sozialpädagogik, 9). ARBEITSGEMEINSCHAFT SEGELN MIT KINDERN, JUGENDLICHEN UND JUNGEN ERWACHSENEN (HG.) (1987): Segeln und Sozialpädagogik. Bericht über die Lüneburger Projekte ; eine Zwischenbilanz. Lüneburg: Neubauer. BASSARAK, Herbert: Grote, Herwig; Grote, Stephanie; Binder, Hartmut (2008): Aufgaben und Konzepte der Schulsozialarbeit, Jugendsozialarbeit an Schulen im neuen sozial- und bildungspolitischen Rahmen. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung (Arbeit und Soziales, 208). BAUMANN, Dorothea Schaffner (2008): Grenzen im Umgang mit Gewaltphänomenen aus schulpädagogischer Sicht. 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