Soziales Lernen an Bord

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Leuphana Universität Lüneburg
Fakultät 1: Sozialwesen
Diplomarbeit zum Thema:
„Soziales Lernen an Bord“
Analyse und Konzeption für Klassenfahrten auf Traditionsseglern
im Kontext der Schulsozialarbeit
Vorgelegt von: Annika Sehlcke
Matr. Nr.: 1157996
Tel.: 0171-7 30 10 76
Mail: [email protected]
1. Prüfer: Horst Kowalewski
2. Prüfer: Klaus Düwal
Abgabedatum: 04.03.2009
2
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis............................................................................................... 5
1. Einleitung ................................................................................................................ 6
2. Soziale Kompetenz ................................................................................................. 9
2.1 Definition „soziale Kompetenz“ ........................................................................ 9
2.2 Bildung sozialer Kompetenzen ........................................................................ 15
2.2.1 Theoretische Grundlagen .......................................................................... 15
2.2.2 Die Rolle der Eltern bei der Herausbildung sozialer Kompetenzen ......... 21
2.2.3 Erziehung zur sozialen Kompetenz in der Schule .................................... 24
2.2.4 Die Rolle der Peer Group.......................................................................... 25
2.3 Defizite in der Entwicklung sozialer Kompetenzen......................................... 26
2.3.1 Aggression bei Kindern und Jugendlichen ............................................... 29
2.3.2 Mobbing und Diskriminierung.................................................................. 32
2.4 Themenfelder der Förderung sozialer Kompetenz........................................... 35
2.4.1 Wahrnehmung ........................................................................................... 36
2.4.2 Kommunikation ........................................................................................ 36
2.4.3 Interaktionen ............................................................................................. 41
2.4.4 Konflikte ................................................................................................... 42
2.4.5 Soziales Lernen in der Gruppe.................................................................. 42
3. Veränderte Lebensbedingungen für Kinder und Jugendliche ........................ 44
4. Die aktuelle Situation der Schule........................................................................ 48
4.1 Soziales Lernen und Bildung in der Schule .................................................... 52
4.2 Motivation der SchülerInnen in der Schule ..................................................... 53
4.3 Gewalt und Diskriminierung in der Schule...................................................... 56
4.4 Schulsozialarbeit .............................................................................................. 57
4.5 Mediation in der Schule ................................................................................... 62
4.5.1 Bedingungen für eine erfolgreiche Implementierung eines
Mediationsprojektes .................................................................................. 65
4.5.2 Mediation und Schulsozialarbeit............................................................... 67
3
5. Klassenfahrten auf Traditionsseglern ................................................................ 68
5.1 Die Geschichte des Lernens auf See ................................................................ 68
5.1.1 Darstellung eines „klassischen“ Sailtrainings am Beispiel des
erlebnispädagogischen Konzeptes der Thor Heyerdahl............................ 70
5.1.2 Eine Differenzierung der Angebote auf Traditionsseglern ....................... 72
5.2. Beschreibung der Situation einer Klassenfahrt auf einem Traditionssegler
in den Niederlanden ....................................................................................... 72
5.2.1 Traditionssegler auf dem Islemeer ............................................................ 73
5.2.2 Die Situation auf dem Schiff.................................................................... 75
5.2.3 Die soziale Situation auf dem Schiff......................................................... 77
5.2.4 Situation der LehrerInnen ......................................................................... 78
5.2.5 Situation der SchülerInnen........................................................................ 79
5.2.6 Situation der SchiffsführerInnen............................................................... 81
5.3 Spezielle Lernfelder auf Traditionsseglern ...................................................... 83
5.4 Das Potenzial einer Klassenfahrt im Allgemeinen.......................................... 87
6. Konzeption für Klassenfahrten auf Traditionsseglern..................................... 90
6.1 Begründung für eine Konzepterstellung .......................................................... 90
6.2 Ziele des Konzeptes ......................................................................................... 92
6.3 Angewandte Methoden in dieser Konzeption .................................................. 92
6.3.1 Erlebnispädagogik als Methode ................................................................ 93
6.3.2 Interaktionspädagogik............................................................................. 101
6.3.3 Mediation ................................................................................................ 104
6.4 Grundlagen der Umsetzung des Konzeptes ................................................... 107
6.4.1 Verhaltensregeln ..................................................................................... 107
6.4.2 Verhalten und Rolle der TrainerInnen .................................................... 108
6.4.3 Anforderungen an den Kapitän ............................................................... 110
6.5 Struktur des Programms................................................................................. 111
6.6 Exemplarische Wiedergabe eines vollständigen Programmablaufs .............. 119
7. Abschließende Betrachtung .............................................................................. 122
Literaturverzeichnis............................................................................................... 125
4
Abbildungsverzeichnis
Abb. 01
Grundstruktur des Wertequadrates
S. 12
Abb. 02
Vertrauen als Tugend im Wertequadrates
S. 12
Abb. 03
Einflussfaktoren auf die Psychosoziale Kompetenz
S. 14
Abb. 04
Prozessmodell
S. 16
Abb. 05
Verschiedene Wirkungsebenen
S. 26
Abb. 06
Kreislaufmodell der Aggression
S. 28
Abb. 07
Akteure beim Mobbingprozess
S. 32
Abb. 08
Die "Anatomie einer Nachricht"
S. 35
Abb. 09
Kommunikationsprozess mit Feedback
S. 37
Abb. 10
Motivationsmodell 1
S. 53
Abb. 11
Motivationsmodell 2
S. 53
Abb. 12
Das Lernzonenmodell
S. 94
Abb. 13
Experiential Learning Cycle
S. 98
Abb. 14
Konfliktlösung
S. 105
5
1. Einleitung
In den Handlungssituationen auf einem Traditionssegler1 liegt ein pädagogisches
Potential, das zu sozialem Lernen anregen und in der Arbeit mit Jugendlichen
genutzt werden kann. In der Erlebnispädagogik wird die Arbeit auf Schiffen schon
lange als pädagogisches Lernfeld genutzt. Umso erstaunlicher ist es, dass zahlreiche
Klassenreisen
auf
Traditionsseglern
durchgeführt
werden,
ohne
dass
das
pädagogische Potenzial genutzt wird. Auf den niederländischen Schiffen machte ich
die Erfahrung, dass die SchülerInnen auf ihrer Klassenfahrt sich mehr oder weniger
selbst überlassen waren. Das betraf die Konflikte, die sich zwangsläufig aus einem
gemeinsamen Leben und Arbeiten an Bord ergaben, sowie die Verarbeitung der
Erlebnisse und Erfahrungen, die sie in dieser Zeit an Bord machten. Dabei bieten
diese Reisen ein beachtliches Lernfeld im Bereich der sozialen Kompetenzen.
Ich habe viele Reisen mit Jugendlichen auf Schiffen begleitet und längere Zeit als
Maatin2 an Bord eines Traditionsseglers gearbeitet. Weitere Tätigkeiten als
erlebnispädagogische Trainerin und die Erfahrungen aus einer studienbegleitenden
Ausbildung zur Mediatorin unterstützten die Erkenntnis der positiven Erfolge dieser
Methoden. Durch die eigenen Erfahrungen an Bord wurde mein Interesse geweckt,
die Nutzung des pädagogischen Potenzials auf Traditionsseglern bei Klassenreisen
zu verbessern.
Ein weiterer Gesichtspunkt motivierte mich, mich dem Thema zu widmen: Soziale
Kompetenzen beeinflussen den Schulerfolg und schützen gleichzeitig vor
psychosozialen Krisen (vgl. NIEBANK und PETERMANN 2000, in JUGERT et al. 2007,
S. 10) "Während vor 15 Jahren noch zwei bis vier Kinder pro Klasse auffällig waren,
spricht man heute von 30 bis 50 Prozent auffälligen Kindern. Und im Jahr 2008
waren bereits 20 Prozent aller 18 Jährigen nicht arbeitsfähig. Die Tendenz scheint
steigend zu sein." (WINTERHOFF in TENZER 2008, S. 62) Diese Zahlen belegen nicht
nur die Notwendigkeit sozialen Lernens, sondern auch die Suche nach alternativen
Lernformen, bzw. nach besserer Ausnutzung vorhandener Potenziale in diesem
Bereich. Grundsätzlich ist dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb sollte
auch die Schule ein Interesse daran haben, die Herausbildung der sozialen
1
Als Traditionssegler werden älter Segelschiffe und Segelboote bezeichnet, die weitgehend
in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten sind, oder in diesen zurückversetzt wurden.
2
MaatInnen leiten die Kommandos an die Mannschaft weiter und sind für deren sachgemäße
Ausführung verantwortlich.
6
Kompetenzen bei Jugendlichen zu unterstützen. Soziale Kompetenzen sind auch
hilfreich in Hinblick auf die Chancen am Arbeitsmarkt, bei der Suche einer
Ausbildungsstelle oder einer Anstellung und werden von den Arbeitgebern
zunehmend erwartet.
In der Auseinandersetzung mit diesem Thema treten weiter Fragen auf, die im
Verlauf dieser Diplomarbeit beantwortet werden sollen; Was ist konkret unter
sozialen, emotionalen und kommunikativen Kompetenzen von Kindern und
Jugendlichen zu verstehen und wie lassen sie sich vermitteln und fördern? In Bezug
auf die Schule ist auch die Frage interessant, in welchem Verhältnis sie zu fachlichen
Kompetenzen stehen? Und ist die Schule ein Ort, in dem ihnen zur Zeit möglich ist,
diese Kompetenzen in ausreichendem Maße zu erlernen?
Auf der wissenschaftlichen Ebene gibt es zahlreiche Veröffentlichungen, die sich mit
Segelreisen für Jugendliche beschäftigen. Ich möchte diese Erkenntnisse, in Hinblick
auf Klassenfahrten auf Traditionsseglern, in meiner Konzeption zusammenführen. In
dieser Arbeit soll deshalb die Frage untersucht werden, ob ein Traditionssegler im
Rahmen der derzeitigen Nutzungsbedingungen in den Niederlanden, ein geeignetes
Handlungsfeld für Schüler ist, um die Zielsetzung der Förderung von sozialen
Kompetenzen auf Klassenfahrten zu verwirklichen und wie eine Konzeption hierfür
aussehen könnte.
Diesem Thema widme ich mich in dieser Arbeit und werde unterschiedliche
Methoden und Disziplinen zusammenführen, um das pädagogische Potenzial besser
zu nutzen. Dabei wird auch die Institution Schule eine Rolle spielen, denn sie bildet
den Kontext aus dem heraus die SchülerInnen auf Klassenreise gehen. In der
anschließenden
Konzeption
werde
ich
einen
möglichen
alternativen
Programmvorschlag zu den herkömmlichen Klassenreisen auf Traditionsseglern
machen. Ziel des Konzeptes ist es, bewusst pädagogische Zielsetzungen in die Arbeit
mit den Jugendlichen an Bord zu implementieren.
Obwohl die Betrachtung alle Traditionssegler betrifft, bezieht sich diese Arbeit
speziell auf die Traditionssegler, die unter Niederländischer Flagge fahren3. Sie
unterliegen anderen Nutzungsbedingungen als Traditionssegler, die unter deutscher
Flagge fahren. Eine Betrachtung aller Traditionssegler dieser Art wäre in diesem
3
Unter niederländischer Flagge fahren bedeutet, dass die Gesetze und Bestimmungen der Niederlande für
das Betreiben des Schiffes gelten
7
Rahmen zu umfangreich. Obwohl die Betrachtung alle Traditionssegler betrifft,
bezieht sich diese Arbeit speziell auf die Traditionssegler in den Niederlanden. Sie
unterliegen anderen Nutzungsbedingungen als Traditionssegler, die unter deutscher
Flagge fahren.4
Um zu der zentralen Frage zu kommen, ob Klassenfahrten auf Traditionsseglern in
den Niederlanden sich dazu eignen, soziale Kompetenzen von SchülerInnen zu
fördern, soll im zweiten Kapitel durch die Darstellung der theoretischen Grundlagen,
der Beschreibung, der Entstehung, der Entwicklung und der Förderung von sozialen
Kompetenzen eine wissenschaftstheoretische Grundlage geschaffen werden. Im
dritten Kapitel wird die Lebenswelt der Jugendlichen beschrieben, auf denen
aufbauend dann im folgenden vierten Kapitel ein Teil dieser Lebenswelt, die Schule,
näher betrachtet wird. In diesem Kapitel wird auch auf den Kontext der Schule, der
Schulsozialarbeit und der Förderung sozialer Kompetenzen eingegangen. Die
Mediation wird als eine Methode vorgestellt, die bei einer ganzheitlichen
Implementierung in Schulen diesen Prozess unterstützen kann.
Bevor dann die Methoden des Konzeptes vorgestellt und erläutert werden, werden
die grundsätzlichen Bedingungen einer Segelreise auf Traditionsseglern in Kapitel
fünf beschrieben und das pädagogische Potenzial, sowie die Funktion einer
Klassenfahrt in Kapitel sechs. Am Anfang des siebten Kapitels widme ich mich dann
den Überlegungen, wie auf dieser Grundlage Segelreisen mit pädagogischem
Hintergrund gestaltet werden können. Ziel ist hierbei, ein pädagogisches Konzept für
Klassenfahrten auf Traditionsseglern zu entwickeln, das ab dem Kapitel 7.5
beschrieben wird.
Ich werde Fußnoten für die Erläuterungen der nautischen und seemännischen
Fachbegriffe nutzen, da diese für die LeserInnen, die nicht aus diesem Fachbereich
kommen, zum besseren Verständnis einer erklärenden Ergänzung bedürfen die,
integriert in den Text, den Lesefluss erheblich stören würde.
Ich habe eine Schreibweise gewählt die alle Geschlechter berücksichtigt. Bei
wörtlichen Zitaten ist die Schreibweise aus dem Originaltext übernommen worden.
4
Für Schiffe, die unter deutscher Flagge fahren, gelten die deutschen Rechte.
8
2. Soziale Kompetenz
In diesem Kapitel widme ich mich den theoretischen Grundlagen, der Beschreibung,
der Bildung, der Entwicklung und der Förderung von sozialen Kompetenzen und der
Entstehung von sozialen Kompetenzdefiziten.
Alle Menschen haben gewisse Bedürfnisse, die befriedigt werden wollen und im
Laufe des Lebens entwickelt jeder Mensch bestimmte Strategien, um seine
Bedürfnisse innerhalb seiner sozialen Umwelt zu befriedigen. Ob und wie gut ihnen
dies gelingt, ist abhängig von persönlichen Eigenschaften, sowie Ausprägung und
Einsatz bestimmter sozialer Kompetenzen mit ihrer sozialen Umwelt in Kontakt zu
treten. Die Schwierigkeit eines „sozial kompetenten Verhaltens“ zeigt sich in der
Abwägung zwischen individuellen Bedürfnissen und sozialer Anpassung (vgl.
STROBL 2008, S. 21 und HANSEN 2008, S. 27).
2.1 Definition „soziale Kompetenz“
Wenn wir uns dem Begriff der sozialen Kompetenz nähern wollen, so müssen wir
uns dem menschlichen Verhalten und seinen bestimmenden Faktoren zuwenden.
Was für ein Verhalten gezeigt wird, ist abhängig von zahlreichen unterschiedlichen
Faktoren: Menschliches Verhalten ist determiniert; durch die Motivation, die
Situation
und
die
Verhaltenserwartungen
potenzieller
oder
tatsächlicher
Interaktionspartner.
PARSON führt dies weiter aus und beschreibt drei Systeme: das personale System, das
auf Bedürfnisse und Motivationen aufbaut, das soziale System, das sich auf
Interaktionen konstituiert und das kulturelle System für den Bereich normativer und
kognitiver Bedürfnisse und Symbole (vgl. LAMNEK 2007, S. 16).
Den Begriff der "Sozialkompetenz" hat HEINRICH ROTH (1969) geprägt. Er schrieb
dem Menschen drei Kompetenzbereiche zu: Selbstkompetenz, Sozialkompetenz,
Sachkompetenz (vgl. SEYD 2000, S. 1). Diese Kompetenzbereiche lassen sich weiter
aufschlüsseln in einzelne Kompetenzbereiche, wie z.B. GROB und MERKI sie
beschreiben:
Sie
nennen
Kommunikationsfähigkeit,
verschiedene
Komponenten
Kooperations-
und
sozialer
Kompetenz.
Koordinationsfähigkeit,
9
Konfliktfähigkeit und Teamfähigkeit, sowie Empathie, Sensibilität, interpersonale
Flexibilität
und
Durchsetzungsfähigkeit
zählen
zu
diesen
Kompetenzen.
Sie verstehen soziale Kompetenz als einen Sammelbegriff, der sich aus vielen
einzelnen Fähigkeiten zusammensetzt. Deshalb sprechen sie auch nicht von der
"sozialen Kompetenz", sondern von "sozialen Kompetenzen" woraus sich ergibt,
dass es keine allgemeingültige Begriffserklärung gibt. (vgl. GROB und MERKI in
DE
BOER 2008, S. 20)
Aus diesen Beschreibungen von sozialen Kompetenzen lassen sich eine Reihe von
konkreten beobachtbaren Verhaltensbeschreibungen formulieren. Es besteht jedoch
keine Übereinstimmung in der Literatur bei der Beschreibung konkreter
Verhaltensweisen, die sozial kompetentes Verhalten ausmachen. Ich möchte hier
beispielhaft einige konkrete Verhaltensweisen, die öfter beschrieben werden,
aufzählen, um zu verdeutlichen, worum es geht. Diese konkret beobachtbaren
Verhaltensweisen lassen sich auch als Feinziele bezeichnen und sich den Grobzielen,
die nicht konkret beobachtbar sind sondern allgemeine Fähigkeiten beschreiben,
unterordnen.
Mögliche Feinziele sind: Nein sagen, Versuchungen zurückweisen, auf Kritik
angemessen reagieren , Änderungen bei
störendem Verhalten
verlangen,
Widerspruch äußern, Unterbrechungen im Gespräch unterbinden, sich entschuldigen,
Schwächen eingestehen, Komplimente akzeptieren, Komplimente machen, auf
Kontaktangebote reagieren, Gespräche beginnen und beenden, erwünschte Kontakte
arrangieren, unerwünschte Kontakte beenden, um Gefallen bitten und Gefühle offen
zeigen, etc. (vgl. GAMBRILL 1995a, in HINSCH).
Anhand dieser Aufzählung wird deutlich, dass diese sozialen Verhaltensweisen sich
der Umwelt vor allem auf der kommunikativen Ebene zeigen. "Kommunikation
steht offenbar im Zentrum der Sozialkompetenz; sie wird in allen Konstrukten an
erster Stelle genannt" (SEYD 2000, S. 3). Zur Kommunikation zähle ich an dieser
Stelle nicht nur verbale Bestandteile, wie effektive Aufforderungen, Befehle, Fragen,
Kommentare, Ausdruck eigener Gefühle und Bedürfnisse etc., sondern auch
nonverbale Kommunikation mit Hilfe derer man in Kontakt mit seiner Umwelt tritt;
dazu gehört auch die Körpersprache, wie Gesichtsausdruck, Gestik, Mimik,
10
Blickkontakt, Distanzverwendung, Körperhaltung, Intonation, Lautstärke, usw. Dies
unterstreicht die Wichtigkeit kommunikativer Kompetenzen als Vorraussetzung für
einen erfolgreichen Kontakt zur sozialen Umwelt. In Anlehnung an DÖPFER möchte
ich folgende allgemeine Definition zur Arbeitsgrundlage machen:
"Unter sozialer Kompetenz verstehen wir die Verfügbarkeit und Anwendung
von kognitiven, emotionalen und motorischen Verhaltensweisen, die in
bestimmten sozialen Situationen zu einem langfristig günstigen Verhältnis
von positiven und negativen Konsequenzen für den Handelnden führen"
(HINSCH, PFINGSTEN 2002, S. 5).
In dieser Definition wird berücksichtigt, dass das Zeigen sozial kompetenter
Verhaltensweisen stark situationsabhängig ist und eine grundsätzlich vorhandene
Fähigkeit nicht in jeder Situation gezeigt wird oder werden kann. Dies spielt auch in
unserem Zusammenhang eine wichtige Rolle, denn es ist möglich, dass ein
bestimmtes „unsoziales“ Verhalten z.B. nur in der Schule gezeigt wird oder nur bei
einer bestimmten Lehrkraft. Soziale Kompetenz ist also immer abhängig von der
jeweiligen Situation und der individuellen Wahrnehmung.
Jede Situation zeichnet sich durch ganz bestimmte Gegebenheiten aus. Diese lassen
sich nach PFINGSTEN in drei Kategorien einteilen: So finden wir in jeder Situation
soziale Bedingungen, die die an der Situation beteiligten Personen betreffen ,wie z.B.
Alter, Geschlecht, Rollenverteilung, kultureller und gesellschaftlicher Hintergrund.
Des weiteren finden wir räumliche und zeitliche Bedingungen, wie z.B. die Uhrzeit
und die Beschaffenheit der Räume, sowie persönliche Bedingungen, die in einer
Situation auf die beteiligten Personen wirken, wie z.B. eigene Ziele, Interessen,
Stimmungen und Bedürfnisse (vgl. HINSCH, PFINGSTEN 2002, S. 14). Das bedeutet,
dass je nach vorhanden spezifischen Faktoren die eine Situation kennzeichnen, in
jeder Situation unterschiedliche Anforderungen an das Verhalten gestellt werden. Es
macht einen Unterschied, ob ich bei meiner Familie, bei Freunden oder von
Geschäftspartnern zum Essen eingeladen werde, denn bei einem sozial kompetenten
Verhalten werden die vorhanden Bedingungen zu einer Anpassung des Verhaltens
führen (vgl. HINSCH, PFINGSTEN 2002, S. 14–15).
11
Bei der Einteilung in sozial kompetentes und nicht sozial kompetentes Verhalten
stoßen wir auf Probleme bei der Kategorisierung, denn soziale Kompetenz lässt sich,
wie bereits angesprochen, nicht pauschal bestimmten Personen zuschreiben, da
niemand immer nur, ungeachtet der Situation, sozial kompetente Verhaltensweisen
an den Tag legt. So kommt es zunächst darauf an, ein Bewusstsein für sozial
kompetentes Verhalten zu schaffen und die Handlungsmöglichkeiten zu erweitern, so
dass
dem
Individuum
in
einer
sozialen
Situation
eine
Auswahl
an
Verhaltensmöglichkeiten zur Verfügung steht, zwischen denen es sich entscheiden
kann. Dadurch wäre es bei Ärger zum Beispiel möglich, nicht die einzig bekannte
und dadurch auch einzig mögliche Handlungsstrategie der Gewalttätigkeit
anzuwenden, sondern eine andere auszuwählen.
Die Wahrnehmung einer Situation beeinflusst entscheidend die Reaktion und
welches Verhalten von einer Person gezeigt wird. Eine besondere Form der
Reaktion, die HINSCH beschreibt, ist eine Form der Vermeidung. Ein sozial
kompetentes Verhalten setzt voraus, dass eine Aufgabe überhaupt in Angriff
genommen und ihre Lösung nicht vollständig vermieden wird" (HINSCH, PFINGSTEN
2002, S. 16). Hierzu gibt PFINGSTEN ein Beispiel: Wenn der Kellner einem Gast ein
Essen serviert, das er nicht bestellt hat, könnte er der Lösung des Problems entgehen,
indem er das Essen nicht reklamieret, sondern das Gericht isst, obwohl es ihm nicht
schmeckt; dies wäre eine Vermeidung der Problemlösung. Er vermeidet die
Konfrontation und die Auseinandersetzung mit dem Kellner, muss aber eine innere
Dissonanz aushalten, da ihm das Essen eigentlich nicht schmeckt. Anders gestaltet
sich die Sache, wenn er gar nicht wahrnimmt, dass er ein anderes Essen bestellt hat
als ihm der Kellner gebracht hat. Der Aufgabencharakter einer Situation ergibt sich
erst aus der Wahrnehmung und kognitiven Verarbeitung der handelnden Person.
Wenn nicht wahrgenommen wird, dass ein falsches Essen geliefert wurde, stellt sich
der Person auch keine Aufgabe, die es zu lösen gilt Es existiert für die handelnde
Person in dem Moment keine Dissonanz zwischen dem eigenen Bedürfnis und der
Situation.
12
Ich möchte noch einen weiteren Aspekt ansprechen, der mir bei der Betrachtung
sozialer Kompetenzen und deren Förderung im Bildungsbereich wichtig erscheint:
Wer beurteilt, ob ein Verhalten sozial kompetent ist oder nicht? KRAPPMANN stellt
fest, dass soziales Lernen oft vom Ergebnis aus beurteilt wird. Wenn SchülerInnen
gesprächsbereit und friedlich sind, wird ihnen zugeschrieben, sie wären sozial
kompetent. In diesem Sinne heißt „sozial kompetent“ den Anforderungen der
Erwachsenen zu entsprechen. Hier liegt meiner Meinung nach auch eine Gefahr in
der Diskussion um soziale Kompetenz, die nicht mit Anpassung an äußere
Anforderungen verwechselt werden sollte.
KRAPPMANN konnte auch beobachten wie sich SchülerInnen aus guten Gründen
dafür entschieden, den Anforderungen der Erwachsenen nicht zu entsprechen. Um zu
dieser Entscheidung zu kommen, gilt es eine Reihe von Beweggründen und Folgen
ihrer Entscheidung gegeneinander abzuwägen. Sie müssen die Situation analysieren
und die Relevanz ihres Verhaltens einschätzen, bevor sie ein Urteil fällen und eine
Handlung planen. Diese Beweggründe bleiben den LehrerInnen oder Erwachsenen
oft im Verborgenen und so bleiben die Handlungen manchmal auch unverständlich
(vgl. KRAPPMANN 2008, S. 26).
Im Gegensatz zu medizinischen Modellen, in denen KlientInnen eher von der Seite
der
Defizite
bzw.
seiner
Defekte
beschrieben
wird,
fragt
man
bei
Kompetenzkonzepten auch nach positiven Ressourcen, also nach schon vorhandenen
positiven Verhaltensanteilen, die es zu fördern gilt. Dies möchte ich anhand des
Wertequadrates nach SCHULZ
VON
THUN verdeutlichen. Die Wertequadrat-Struktur
baut auf der Vorstellung auf, dass jede Tugend und Fähigkeit als die rechte Mitte
zwischen zwei fehlerhaften Extremen zu bestimmen ist basiert es auf dem Bild einer
dynamischen Balance zwischen den Polen. Die Grafik in Abb. 01 zeigt die
Grundstruktur des Wertequadrates. In der Grafik in Abb. 02 soll diese an einem
Beispiel veranschaulicht werden.
13
Abb. 01, Grundstruktur des Wertequadrates (vgl. VON THUN 2003b, S. 38 ff.)
Abb. 02, Vertrauen als Tugend im Wertequadrates (vgl. VON THUN 2003b, S. 38 ff.)
Ich möchte dies an einem Beispiel verdeutlichen: Das Vertrauen, das ohne den
positiven Gegenwert „die Vorsicht“ zur naiven Vertrauensseligkeit verkommt, um
wird aber auch umgekehrt „die Vorsicht“ ohne Vertrauen zum paranoiden
Misstrauen. Jede negative Eigenschaft hat einen positiven Gegenpol, der entwickelt
werden kann. Demnach hat auch jede andere „negative“ Tugend und Fähigkeit einen
positiven Gegenwert. Das Ziel ist hierbei keine statische Verhaltensweise, sondern
eine dynamische Balance zwischen den Polen. Diese Grafik des Wertemodells macht
die Grundlage eines nicht defizitorientierten Ansatzes deutlich. Es zeigt, wie in jeder
Fähigkeit eine positive und eine negative Ausprägung vorhanden sind und dass sich
in jeder negativ erscheinenden Ausprägung ein positiver Kern erkennen lässt, den es
zu fördern gilt (vgl. VON THUN 2003b, S. 38–55).
14
2.2 Bildung sozialer Kompetenzen
Eine Reihe von inneren Verarbeitungsprozessen entscheidet darüber, wie sich eine
Person verhält, ob sie ein sozial kompetentes oder inkompetentes Verhalten zeigt.
Bei der Herausbildung sozialer Kompetenzen geht es unter anderem um komplexe
Lernprozesse, in denen soziale, emotionale und kommunikative Kompetenzen
gebildet werden. Der Prozess des Lernens ist wiederum in ein Bedingungsgefüge von
Zielen, Situationen, Beteiligten und situativer Rahmung integriert (vgl.
DE
BOER,
2008, S. 30).
2.2.1 Theoretische Grundlagen
Bei den Bedingungen und der Entstehung der psychosozialen Entwicklung
überschneiden sich viele wissenschaftliche Gebiete. Angefangen im Säuglingsalter
bis Kinder- und Jugendzeit gibt es viele Bedingungen und beteiligte Personen und
Instanzen, die an der Herausbildung psychosozialer Kompetenzen
eines
aufwachsenden Individuums mitwirken.
Eine erfolgreich aufgebaute soziale Kompetenz und die aus ihr resultierenden
Fähigkeiten, wirken als Schutzfaktoren. Sie schützen sowohl davor zum Täter als
auch zum Opfer, Mitläufer oder Zuschauer gewalttätiger sozialer Interaktionen zu
werden, indem das Individuum sich durch seine Kompetenzen in seiner sozialen
Umwelt besser behaupten kann (vgl. GEBAUER 2007, S. 89). Die Grafik in Abb.03
soll
einen
Überblick
geben
über
die
unterschiedlichen
und
vielfältigen
Forschungsgebiete, in denen Faktoren zu finden sind, die Einfluss auf die
Herausbildung sozialer Kompetenzen haben.
15
Abb.03, Einflussfaktoren auf die Psychosoziale Kompetenz, (GEBAUER 2007, S. 88)
Ich möchte im Folgenden einige Modelle näher beschreiben, die mir in Bezug auf
das anschließende Konzept wichtig erscheinen, werde jedoch im Rahmen dieser
Arbeit nicht auf alle Bereiche eingehen, da nicht alle Bereiche für die spätere
Auswahl der Methoden zur Förderung der sozialen Kompetenzen bei SchülerInnen
von Bedeutung sind.
Modell sozial-kognitiver Informationsverarbeitung
"Unter dem Begriff der sozial-kognitiven Informationsverarbeitung ist der kognitive
Verarbeitungsprozess zu verstehen, der zwischen der Wahrnehmung einer sozialen
Situation und dem daraus resultierenden Handeln einer Person liegt (vgl. DÖPFNER,
1989 in JUGERT et al. 2007, S. 29–32). DODGE (1993) spricht von einem mentalen
Prozess, der stufenweise abläuft und der die kognitiven und emotionalen Aspekte in
die Informationsverarbeitung mit einbezieht. Anhand dieses Modells können Defizite
16
auf verschiedenen Stufen der Informationsverarbeitung erklärt werden. Fünf Stufen
werden nach DODGE während einer Handlungsentscheidung durchlaufen.
1. Wahrnehmung der Situation
Die Wahrnehmung steht am Beginn jeden Verarbeitungsprozesses. Hier werden alle
relevanten Informationen erfasst und hier spielt eine angemessene Selbst- und
Fremdwahrnehmung eine wichtige Rolle.
2. Interpretation der Informationen
Aus den wahrgenommenen Reizen müssen die Gefühle, Motive und Gedanken der
InteraktionspartnerInnen erkannt werden, um externe und interne Ursachen von
Handlungen erkennen zu können. Diese Interpretation der Reize wird von
emotionalen Bedürfnissen und Zielen des Einzelnen beeinflusst.
3. Suche nach Handlungsalternativen
Verschiedene Lösungsmöglichkeiten werden aus dem Gedächtnis gerufen.
4. Bewertung der Reaktionsmöglichkeiten und Auswahl der Reaktion
Bei der Auswahl der Reaktion können während der Entscheidungsfindung eigene
moralische Urteile und Wertvorstellungen eine Rolle spielen. Auch die zu
erwartenden Konsequenzen auf das ausgewählte Verhalten bezüglich der
interpersonalen, intrapersonalen und instrumentellen Ergebnisse sind von Bedeutung
5. Ausführung der Handlung
Die ausgewählte Reaktion wird umgesetzt.
(vgl. JUGERT et al. 2007, S. 29–32)
HINSCH und PFINGSTEN beschreiben diesen Ablauf in sozialen Situationen ähnlich
und verdeutlichen den Prozess der Informationsverarbeitung an einem Modell.
17
Abb.04, Prozessmodell in (HINSCH, PFINGSTEN 2002, S. 14)
Nach
dem
Prozessmodell
von
PFINGSTEN
wird
eine
soziale
Situation
wahrgenommen, kognitiv sowie emotional verarbeitet und führt dann auf dieser
Grundlage zu einem bestimmten beobachtbaren Verhalten, das wiederum in der
Umwelt Konsequenzen auslöst, die auf die Person zurückwirken. Diese
Rückkopplung zeigt sich in verschiedenen Formen: Erstens durch eine direkte
Verhaltensmodifikation in der jeweiligen Situation. Die Person reagiert durch
kontinuierliche Steuerung ihres Verhaltens auf ihr Gegenüber. Zum Beispiel, wenn
der Gesprächspartner nicht zu verstehen scheint, wird lauter gesprochen. Zweitens
zeigt sich eine weitere Form der Rückkoppelung in kurzfristigen Konsequenzen auf
ein bereits vollendetes Verhalten, z.B. das Gespräch ist beendet und die andere
Person ist sauer. Drittens finden wir auch langfristige Formen von Konsequenzen auf
ein Verhalten, wenn z.B. aufgrund des Gesprächs und des anschließenden Ärgers der
Kontakt zu der Person in Zukunft vermieden wird oder dieser Person in Zukunft von
vorne herein unfreundlich begegnet wird (vgl. HINSCH, PFINGSTEN 2002, S. 16).
18
Sozial-kognitive Lerntheorie und Prozesse sozialen Lernens
Lernen am Modell nach BANDURA (1986), bezieht sich auf den Beobachtungsaspekt
von Verhalten. Verhalten wird nach dieser Theorie durch Beobachten und
Nachahmen erworben. Auch die Beobachtung von strafenden oder belohnendem
Konsequenzen,
die
die
Modellperson
erfährt,
kann
Verhalteshemmungen
hervorheben oder schwächen. BANDURA formulierte vier Prozesse, die die
Vorraussetzung dafür bilden, dass Verhalten von Modellen übernommen werden
kann.
1. Aufmerksamkeit und ihre Bedingungen: Modelllernen funktioniert nur, wenn
auch die Aufmerksamkeit auf das Modell gerichtet ist. Diese Aufmerksamkeit muss
geweckt und erhalten werden. Der Status, die Kompetenz und Sachkenntnis der
Modellperson spielen hierbei eine Rolle. Um neues Verhalten erlernen zu wollen,
muss eine ausreichende Motivation vorhanden sein. Dies ist abhängig von
Haltungen, die auf bereits erfahrenen Verstärkungen beruhen.
2. Gedächtnis und seine Optimierung: Um das beobachtete Verhalten später
ausüben zu können muss es bildlich oder verbal gespeichert werden. Die
Schwierigkeit liegt darin, dass oft nicht das Wesentliche mit seinen Details behalten
wird, sondern eine eigene innere Übersetzung davon. Für den Prozess des Behaltens
vom Wesentlichen ist eine symbolische oder motorische Wiederholung mit Feedback
nötig.
3. Ausführen von Verhalten: Einüben und Ausführen von Verhalten ist der
Schwerpunkt dieser Phase.
4. Motivation mit den unterschiedlichen Arten der Verstärkung: Die notwendige
motivierende Verstärkung erfolgt nach BANDURA (1986) durch direkte äußere
Anreize, wie die materielle Verstärkung in Form Geld, Essen oder neuer Kleidung,
sowie Lob, Anerkennung und
Zuwendung (=soziale Verstärkung). Auch eine
stellvertretende Verstärkung durch Modellpersonen, die Belohnung für ein gezeigtes
Verhalten erfährt, ist denkbar. Selbstverstärkung meint sich selber für ein Verhalten
zu belohnen und diese Belohnung bei Nichterfüllung wegzulassen.
Nach PETERMANN ist davon auszugehen, dass die vier Prozesse nicht vollständig
durchlaufen wurden, wenn trotz mehrmaliger Darbietung sozial angemessenen
19
Verhaltens von Modellen, dieses Verhalten nicht gezeigt wird. Diese Defizite haben
Einfluss auf den Lernerfolg (vgl. PETERMANN & PETERMANN in JUGERT et al. 2007,
S. 33).
Das Konzept der Selbstwirksamkeit
BANDURA (1994) erweiterte später die sozial-kognitive Lerntheorie um das Konzept
der Selbstwirksamkeit, welches ich hier kurz beschreiben möchte und auf welches in
späteren Kapiteln nochmals zurückgegriffen wird. Selbstwirksamkeit meint die
eigene Überzeugung durch eigenes Handeln Ziele zu erreichen und Einfluss auf seine
Umwelt zu nehmen. Die Motivation zu einer Handlung wird von der Kompetenzund Ergebniserwartung einer Person kognitiv beeinflusst (BANDURA 1994, in JUGERT
et al. 2007, S. 35–36). Es geht hierbei um die innere Überzeugung eine schwierige
Handlung mit Erfolg ausführen zu können. TEASDALE (1978) und DÖPFNER (1989)
gehen davon aus "dass Handlungen nur dann ausgeführt werden, wenn eine positive
Ergebniserwartung und eine hinreichend hohe Kompetenzerwartung vorliegen"
(JUGERT et al. 2007, S. 35–36).
Kognitive Prozesse beeinflussen entscheidend das Verhalten. "Gedanken,
Gefühle und Verhalten wirken wechselseitig aufeinander und müssen daher bei einer
Verhaltensmodifikation Berücksichtigung finden" (LAUTH 1983, in JUGERT et al.
2007, S. 36). Geringes Selbstvertrauen kann unter anderem daraus resultieren, dass
zu viele Zweifel an den eigenen Fähigkeiten vorhanden sind und die Überzeugung
das eigene Leben nicht zufriedenstellend beeinflussen zu können. Niedrige
Selbstwirksamkeitserwartungen führen signifikant häufiger zu Stresssymptomen als
bei Personen mit einer positiv ausgeprägten Selbstwirksamkeitserwartung (ebd.).
Weitere Folgen einer niedrigen Selbstwirksamkeitserwartung sind: eine negative
Grundstimmung, Mutlosigkeit und ein Gefühl, Opfer von äußeren Umständen zu
sein. Dies bestätigen BANDURA (1986, 1994), SELIGMAN (1986) und SCHWARZER
(1987) in (JUGERT et al. 2007, S. 37). „Personen, die Vertrauen in die eigene
Handlungskompetenz entwickeln konnten, erleben ihre eigene Wirksamkeit durch
kompetentes, zielorientiertes Handeln. Sie zeigen sich in der Lage, vielfältige
Möglichkeiten der Problembewältigung zu entwickeln und Misserfolge zu
20
überwinden. Dies führt zur Bewältigung von immer schwierigeren Problemen und
zum Aufbau von Selbstvertrauen und Selbstsicherheit." (JUGERT et al. 2007, S. 37)
Wenn Jugendliche die Erfahrung machen, dass ihr eigenes Handeln zu von ihnen
beabsichtigten Konsequenzen führt, dann wirkt dies verstärkend und führt zu einem
höheren Selbstvertrauen. (vgl. JUGERT et al. 2007, S. 43).
2.2.2 Die Rolle der Eltern bei der Herausbildung sozialer Kompetenzen
Einige Verhaltensgenetiker vertraten zwischenzeitlich die Ansicht, dass Eltern in
dem Leben ihrer Kinder vollkommen unwichtig seien. Sie behaupteten, dass die
Gene die entscheidenden Faktoren sind, die das Verhalten bestimmen und gegen
diese Vererbung nicht „gegenan“ erzogen werden kann. Dies wurde bereits von
EntwicklungspsychologInnen widerlegt. Inzwischen liegen neue Untersuchungen
vor, sie widerlegen und differenzieren das Bild und bestätigen den Einfluss der
Familie (vgl. KUCKLICK 2002).
„Gene sind demnach kein Schicksal. Zwar bestreiten auch Sozialisationsforscher
nicht mehr, dass Erbanlagen einen erheblichen Einfluss auf die Kindesentwicklung
ausüben - Gene prädisponieren beispielsweise in unterschiedlichem Ausmaß die
Fähigkeiten und die Fertigkeiten von Kindern, ihre Probleme und Talente. Aber all
diese genetische Risiken und Chancen wirken sich meist erst unter entsprechenden
Erziehungsbedingungen aus“ (KUCKLICK 2002). Somit tragen auch die Eltern einen
Teil dazu bei, ob ihre Kinder soziale Kompetenz erlernen oder nicht. Des Weiteren
haben verschiedene Komponenten des elterlichen Erziehungsstils und das Verhältnis
zwischen den Ehepartnern Einfluss auf gewalttätiges Verhalten der Kinder (vgl.
EISNER, RIBEAUD 2003, S. 194).
Der Jugendpsychiater MICHAEL WINTERHOFF macht auch darauf aufmerksam, dass
der Entwicklungsstand vieler Kinder und Jugendlicher denen von Kleinkindern
entspricht, denn sie versuchen ihr Leben rein nach dem Lustprinzip zu führen. Er
macht hierfür die Eltern verantwortlich, weil sie ihre Kinder nicht kindgerecht
erziehen (vgl. TENZER 2008, S. 61). Was kindgerechte Erziehung bedeutet, gilt es zu
ergründen und es gibt individuell sehr unterschiedliche Meinungen dazu. In den USA
und in Australien beschäftigt man sich schon sehr lange mit dem Thema, was Mütter
und Väter in ihrer Erziehung besser machen können. Hier wurden auch die
21
Grundlagen zu dem Elterntraining gelegt. Neue, methodisch solide Studien bringen
Erkenntnisse darüber, ob und wie Eltern auf ihre Kinder einwirken. Sie zeigen, dass
anders als viele Verhaltensgenetiker im vergangenen Jahrzehnt immer wieder
behauptet haben, Eltern einen enormen Einfluss auf die Entwicklung ihrer Kinder
haben. Nach diesen Studien lässt sich sagen, dass Eltern eine effektive und gute
Erziehung lernen können und es lässt sich auch ziemlich genau bestimmen, wie diese
aussehen sollte (vgl. KUCKLICK 2002).
Oftmals bemühen sich Eltern, durch Drohen, Schimpfen oder Schlagen
unerwünschtes Verhalten auszutreiben, statt erwünschtes Kinderverhalten zu fördern,
doch es entspricht nicht dem, wie Kinder lernen. Die Mitglieder eines solchen
Systems entwickeln gezwungenermaßen ein Verhalten, das darauf ausgerichtet ist,
einander nicht durch Belohung und Aufmerksamkeit zu beeinflussen, sondern durch
Bestrafung und Demütigung. Dies kann bei Kindern Aggressionen provozieren.
Davon geht auch GERALD PATTERSON, der Begründer eines Erziehungsansatzes, dem
„Positive Parenting Program“ aus. Sein Ansatz baut auf die Theorien von SKINNER
(1961) auf (vgl. KUCKLICK 2002). Dies deckt sich auch mit den Ansichten von
MARSHALL B. ROSENBERG der in seinen Ausführungen über gewaltfreie
Kommunikation von einem Grundbedürfnis nach Wertschätzung spricht, das, wenn
es erfüllt wird, soziales Verhalten fördert.
Eine Studie des "Social Learning Center" in Eugene, im US-Bundesstaat Oregon,
unter der Leitung von MARION FORGATCH belegt den Erfolg von systemischen
Elterntrainings. Ihre "experimentelle Interventionsstudie" zeigt, dass Interventionen
in Form von Eltern-Erziehungskursen signifikante Erfolge gegenüber der
Kontrollgruppe bei den Eltern und den Kindern verzeichnen konnten. Den Kindern
der trainierten Mütter ging es in vielen Bereichen besser. Im Vergleich zu den
Kindern der Kontrollgruppe waren sie weit weniger aggressiv, verübten weniger
Straftaten,
waren
seltener
depressiv,
trieben
sich
seltener
mit
anderen
Problemkindern herum, gehorchten eher und ihre Lesefähigkeit hatte sich verbessert.
Die Lehrer, die nicht wussten, welche Mütter an dem Programm teilnahmen,
beschrieben diese Kinder als positiv verändert. Weiterhin zeigte die Studie, dass auch
die Mütter Vorteile erfuhren: Sie litten seltener unter Depressionen und wiesen
weniger Partnerwechsel auf als die Kontrollgruppe (vgl. KUCKLICK 2002).
22
Es lassen sich aus diesen Ausführungen drei entscheidende Dimensionen der
Erziehung herausarbeiten: Liebe, klare transparente Regeln, auf deren Einhaltung
bestanden wird und die Förderung der Persönlichkeit und der Kreativität. Dieser
Erziehungsstil wird als "autoritativ" bezeichnet. LAURENCE STEINBERG ist Professor
der Psychologie an der „Temple University“ in Philadelphia und beschäftigt sich mit
diesem Erziehungsstil. Nach STEINBERG ist es entscheidend, dass in der Erziehung
von Kindern streng zwischen Verhalten und Persönlichkeit unterschieden und
angemessene Umgangsformen praktiziert werden. Schlechtes Benehmen sollte nicht
mit einem Angriff auf die Persönlichkeit beantwortet werden, indem das Kind als
„Trottel“ oder „VersagerIn“ bezeichnet wird. Die Studie hat nach STEINBERG die
Effektivität belegt. Sie zeigt, dass nach diesem Stil erzogene Kinder meist über ein
größeres Selbstbewusstsein verfügen, sie sind seltener depressiv, ängstlich oder
aggressiv, sie absolvieren die Schule meist ohne Probleme und konsumieren weniger
Drogen (vgl. Kucklick 2002).
Die Erziehung muss sich auch mit Konsequenzen von unsozialem und
unerwünschtem Verhalten beschäftigen. Diese Konsequenzen sollten Gerechtigkeit
und Verantwortungsübernahme anstreben. Nach BUEB gibt es fünf Bedingungen, die
eine gerechte Strafe auszeichnen. „Erstens: Sie muss vorher bekannt sein. Zum
Beispiel: Wenn du unerlaubt fernsiehst, wird die Kiste drei Tage ausgeschaltet.
Zweitens: Sie muss angemessen sein. Das TV-Gerät sollte also nicht drei Monate
ausgeschaltet werden. Drittens: Sie muss sofort erfolgen. Viertens: Das Delikt muss,
wenn die Strafe abgedient ist, vergessen werden. Fünftens: Jede Strafe muss mit
einem Hilfsangebot verbunden sein. Das Kind muss das, was es falsch gemacht hat,
wieder gutmachen können“ (GEO Kompakt 2008).
Auch das eigene Vorleben der Eltern spielt eine wichtige Rolle. Wie sie ihre
Beziehung zu ihrem/ihrer PartnerIn gestalten und wie sie miteinander umgehen, hat
Auswirkungen auf das spätere Verhalten des Kindes. Die Forschung hat in vielen
Studien den Nachweis gebracht, dass ein überdurchschnittliches Risiko eigener
Gewaltausübung bei den Jugendlichen besteht, die in ihrer Vergangenheit
23
regelmäßig Zeugen von gewaltsamen Konflikten zwischen den Eltern waren (vgl.
GELLES/STRAUSS in EISNER/RIBEAUD 2003, S. 194).
Diese Zusammenfassung soll einen Überblick geben über Möglichkeiten von Eltern
zu einer sozial kompetenten Erziehung ihrer Kinder beizutragen, denn ein Training
sozialer Kompetenzen allein,
kann keine durchgängig defizitäre Erziehung
auffangen.
2.2.3 Erziehung zur sozialen Kompetenz in der Schule
Die Schule ist ein weiterer Baustein bei der Herausbildung sozialer Kompetenzen
von Kindern und Jugendlichen. In dem Kapitel 4.1. werden die Bereiche und
Möglichkeiten beschrieben, in denen die Schule zur Bildung sozialer Kompetenz
beitragen kann. Es sind mindestens neun Jahre, die zur Herausbildung und Förderung
sozialer Kompetenzen genutzt werden können. Die Schule kann dazu beitragen,
negative Erfahrungen nicht zu verstärken, positives Sozialverhalten zu fördern und
Diskriminierung und Gewalt keinen Nährboden bieten. Wie wichtig es ist, sozial
kompetentes Verhalten zu fördern und sich der, in der Schule, in Erscheinung
tretenden Aggressivität einiger SchülerInnen anzunehmen, zeigt auch eine Studie
von FARRINGTON (1991). Diese belegt, dass aggressive Verhaltensweisen, die sich im
Kindheitsalter zeigen, beibehalten werden. Er konnte den Zusammenhang zwischen
der Aggressivität achtjähriger Kinder und der späteren Gewalttätigkeit als 30-jähriger
feststellen. (vgl. KASSIS 2008, S. 60).
Indem die Schule sich positiven Projekten der Prävention und Demokratisierung
zuwendet, hilft sie ein gutes Schulklima aufzubauen. Dies kann z.B. durch die
Umsetzung von Gewaltpräventions-, Konfliktschulungs-, Demokratisierungs-,
Mediations- oder Streitschlichterprogrammen geschehen. Eine Möglichkeit unter
vielen, dies praktisch umzusetzen, ist die Einführung von Klassenräten. Der
Klassenrat ist ein Selbstbestimmungsorgan, ein Instrument der Demokratie, an dem
alle Klassenmitglieder gleichberechtigt teilnehmen. "Der Klassenrat kann Konflikte
innerhalb der Klasse klären, Konflikte von Schülern mit Lehrern klären, über
Erkundungen beraten, über Unterrichtsmethoden beraten und über Lerninhalte
beraten. Dadurch werden unter anderem das Gemeinschaftsgefühl gestärkt,
24
demokratische Einstellungen und kommunikative Kompetenzen gefördert, sowie das
selbstständige Lernen unterstützt." (MINISTERIUM FÜR KULTUR 2008, S. 39)
2.2.4 Die Rolle der Peer Group
"Die Peergruppe [...] sind diejenigen, denen sich Kinder und Jugendliche zugehörig
fühlen, in deren Gemeinschaft sie gleichrangig sind und sich somit als Gruppe von
anderen (Erwachsenen) abgrenzen. In der Erziehungswissenschaft versteht man unter
diesem Begriff eine Gruppe von gleichaltrigen Heranwachsenden, die meist aus
demselben Milieu stammen und die ähnliche oder übereinstimmende Interessenlagen
haben" (OPP et al. 2006, S. 13). Der Begriff „peer“ stammt vom lateinischen „par“,
„paris“ ab, welches man mit „gleich“ übersetzen kann und Gleichrangige oder
Ebenbürtige bezeichnet. (ebd.)
Der Rolle der Peer Group wird neben der der Eltern eine hohe Bedeutung
zugesprochen, was die Sozialisation betrifft.
Die traditionelle Bedeutung der
Kernfamilie hat sich verändert, da ab der mittleren Kindheit mehr Zeit mit
Gleichaltrigen als mit den Eltern verbracht wird. Dadurch dürfte die Bedeutung der
Peer Group für Kinder und Jugendliche angestiegen sein, Freundschaftsnetzwerke
und Peergruppen sind wichtige Faktoren in der Verhaltensentwicklung (BEELMANN,
RAABE 2007, S. 94). "Je mehr das soziale Kapital der Lebenswelten erodiert, je
weniger die umgebende Erwachsenenkultur von Liebe, Freundschaft und Fürsorge
geprägt ist, desto stärker wird die Orientierung an der Peerkultur ausfallen" (OPP et
al. 2006, S. 15).
Während viele Untersuchungen und Studien sich mit dem negativen Einfluss von
Peers untereinander beschäftigen, stellt die Positiv Peer Culture die positiven Seiten
in den Vordergrund, sie schreibt der Peer Culture positive entwicklungs- und
persönlichkeitsstärkende Potenziale zu (vgl. OPP et al. 2006, S. 13).
Die Idee, die darauf aufbaut, ist das Positive Peer Counseling, eine Beratung durch
Gleichgesinnte. Der Ansatz beruht darauf, den Heranwachsenden die Kompetenzen
und Fähigkeiten zuzutrauen, die sie brauchen, um ihre Probleme im Kreis
Gleichgesinnter ernsthaft bearbeiten und lösen zu können. Hier setzt auch die Peer
Mediation an, auf die ich noch zu sprechen komme und die auch in meinem Konzept
vorgesehen ist. Dieses Vertrauen in die Kompetenzen der Jugendlichen wird durch
25
die Resilenzforschung legitimiert, welche belegt, dass ein Drittel von Kindern, die
unter massiven sozialen Risiken aufwuchsen, ihr Leben als Erwachsene ohne soziale
Auffälligkeiten meisterten. Dies ist möglich, wenn ein wesentlicher unterstützender
Faktor zum Tragen kommt, wenn andere Personen da sind, die Unterstützen, Hilfe
anbieten und Sicherheit geben und eine gute emotionale Bindung an FreundInnen
vorhanden ist (vgl. OPP et al. 2006, S. 13–14).
Daraus folgt, dass Jugendliche in ihren Peergroups soziale Kompetenzen erwerben
können. Der Umgang mit Gleichaltrigen bietet einen Raum, in dem sie sich
ausprobieren können, unter ihresgleichen Erfahrungen sammeln können und
Feedback auf ihr Verhalten bekommen. Ein gewisses Maß an sozialen Fähigkeiten
ist Vorraussetzung, um gute emotionale Bindungen, wie sie in Freundschaften
bestehen, aufbauen zu können.
2.3 Defizite in der Entwicklung sozialer Kompetenzen
Unter sozialen Kompetenzproblemen versteht man Defizite in der Entwicklung
sozialer
Fähigkeiten
und
Fertigkeiten,
die
sich
in
unterschiedlichen
Verhaltensformen und Intensität ausdrücken können. Dieses Verhalten wird auch als
abweichendes Verhalten oder Devianz bezeichnet. Hierzu zählen unter anderem
innerer Rückzug, extreme Schüchternheit, Aggression, Gewalt, bis hin zu
kriminellen Handlungen (vgl. JUGERT et al. 2007, S. 39 ff.).
Defizite in der Herausbildung sozialer Kompetenzen führen zu einer Störung des
sozialen Umfeldes. Dennoch geht es bei der Herausbildung sozialer Kompetenzen
nicht darum, so zu sein wie es der Umwelt passt, weil es ein Vorteil der sozialen
Umwelt ist. Das Problem sozial inkompetenten Verhaltens liegt nicht nur in der
vermeintlichen Störung des Umfeldes, sondern es hat auch zur Folge, dass die Person
die dieses Verhalten zeigt, nach diesem Modell vermehrt mit für sie unangenehmen
negativen Konsequenzen rechnen muss, mit denen sie konfrontiert wird. Auf lange
Sicht betrachtet ist also dieses Verhalten für die Person, die es ausübt selber nicht
effektiv, wenn wir davon ausgehen, dass jeder Mensch ein Bedürfnis nach
Bestätigung hat.
26
Eine verstärkte Form der Devianz ist die Jugendkriminalität. Auf dieser Stufe der
Devianz geraten die Jugendlichen mit dem Gesetz in Konflikt. Dieses Verhalten wird
dann als Delinquent bezeichnet. (vgl. LAMNEK 2007, S. 14). Es sind viel
konkurrierende Theorien verfasst worden über dir Ursachen von Jugendgewalt.
Zahlreiche Bedingungsfaktoren für Jugendgewalt sind empirisch nachgewiesen, es
ist unklar wie sie zusammenwirken und es existieren in der Forschung geteilte
Meinungen über Ursache- und Wirkungsketten (vgl. EISNER, RIBEAUD 2003, S. 182).
Allgemein lässt sich sagen, dass bei allen Erklärungsansätzen von sozialem oder
unsozialem Verhalten immer Norm, Sanktion, soziale Kontrolle und Situation in der
Konzeption berücksichtigt werden sollten.
Ursachen und Auswirkungen
In Bezug auf die Schule kann deviantes Verhalten von Jugendlichen dadurch
entstehen, dass sie bei einem Scheitern in Bezug auf die schulischen
Leistungsanforderungen und den dadurch fehlenden Status, diesen versuchen durch
Devianz zu erreichen. Sie verlagern ihr Handeln in Bereiche, in denen sie Erfolg und
Anerkennung durch ihr Umfeld erhalten (vgl. JUGERT et al. 2007, S. 41). „Zahlreiche
Studien haben auf engen Zusammenhang zwischen leistungsbezogenem Versagen,
sowie
der
damit
verbundenen
Wahrnehmung
ungünstiger
berufs-
und
bildungsbezogener Zukunftschancen und dem Entstehen von Jugendkriminalität
hingewiesen“ (vgl. ELLIOT, HUIZINGA, MERANO, 1989, JESSOR, DONOVAN, COSTA,
1991 in HURRELMANN 2008b, S. 62).
Es gilt als gesichert, „dass vor allem Jugendliche aus sozial problematischen
Familien, sowie aus Familien mit ungünstigen materiellen und wohnlichen
Bedingungen
bei
Überrepräsentiert
kriminellen
ist
darüber
Verhaltensweisen
hinaus
der
Anteil
überrepräsentiert
sind.
derjenigen,
ohne
der
Berufsausbildung und ohne Beschäftigungsverhältnis kriminell wird. Kriminalität
bietet somit vielfach den Endpunkt einer langen Kette von Belastungen durch
ungünstige Sozialisationsbedingungen in der Familie, geringen Schulerfolg,
fehlenden Schulabschluss, mangelhafte oder fehlende Berufsausbildung und
Arbeitslosigkeit" (HURRELMANN 2008b, S. 61).
"Die Feststellung gravierender sozialer Defizite bei Schülern führt automatisch zu
der Frage, wie diese Defizite in der begrenzten Zeit verringert werden können. Dabei
27
kann es keine Patentrezepte geben, sondern lediglich Erfahrungen, die den völlig
unterschiedlichen Ausgangssituationen angepasst werden müssen" (MINISTERIUM
FÜR KULTUR
2008, S. 35).
Auch soziale Ängste können eine Ursache sein. Es spricht einiges dafür, dass soziale
Ängste meist die primäre Störung darstellen, die sozialen Kompetenzstörungen
vorausgehen,
weil
sie
anderen
Störungen
zeitlich
vorausgehen.
Soziale
Angststörungen sind eine Form von sozialen Kompetenzproblemen, aber nicht die
einzige. Nach HINSCH und PFINGSTEN besteht eine begründende Beziehung zwischen
sozialen Kompetenzproblemen und psychischen Störungen (vgl. HINSCH, PFINGSTEN
2002, S. 233).
Es existiert kein einheitlicher Erklärungsansatz für alle Formen der Devianz.
Vielmehr lässt sich eine Systematik von Erklärungsansätzen ausfindig machen, die
sich auf unterschiedliche Ebenen beziehen.
Individuum
Individu
1. Ebene
2. Ebene
3. Ebene
4. Ebene
Abb. 05 Verschiedene Wirkungsebenen, Grafik (nach EISNER und RIBEAUD in RAITHEL et al. 2003, S. 187)
EISNER und RIBEAUD beschreiben vier Wirkungsebenen und einen Kern, in dem sich
das Individuum mit seiner ihm eigenen Motivationsstruktur befindet. Die
Erklärungen der unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen beziehen sich
28
meist auf eine Ebene von diesem Modell, die Grenzen der Wirkungsebenen sind
jedoch fließend, ergänzen und überschneiden sich. Die Ebenen wirken bei der
Entstehung von sozialen Kompetenzdefiziten und Gewalt in unterschiedlichem
Ausmaß zusammen. Auf der ersten Wirkungsebene befindet sich die primäre
Sozialisationsinstanz, die Familie. Auf der Zweiten Ebene spielen alle unmittelbaren
Netzwerke, die von direkten regelmäßigen Interaktionen mit Gleichaltrigen,
Nachbarn, Lehrpersonen, etc. geprägt sind, eine Rolle und die dritte Ebene enthält
das erschlossene weitere Umfeld eines Stadtteils, einer Stadt oder Region mit den
jeweiligen
Strukturen
von
Vergemeinschaftungen.
Als
Handlungsmustern,
vierte
Ebene
Ressourcenverteilungen
gelten
und
gesamtgesellschaftliche
Institutionen, Strukturen und kulturelle Muster (vgl. EISNER, RIBEAUD 2003, S. 187).
2.3.1 Aggression bei Kindern und Jugendlichen
Aggression zeigt sich nicht nur in einer offenen Form der Gewalttätigkeit, sondern
auch in einer verdeckten und indirekten Form, die die Beziehungen zu
Gleichaltriegen oder die Gefühle der sozialen Zugehörigkeit und Akzeptanz zu
beschädigen versucht. Diese Form wird als soziale oder relationale Aggression
bezeichnet. Dazu gehören Intrigen, Mobbing und Gerüchte. Auch diese Form der
Aggression geht mit bedeutsamen psychosozialen Beeinträchtigungen für das Opfer
einher und löst weitere Aggressionen aus (vgl. JUGERT et al. 2007, S. 41).
"Zu den Entstehungsbedingungen aggressiven Verhaltens gehören familiäre
Einflüsse ebenso wie genetische und persönlichkeitsspezifische“ (SCHEITHAUER &
PETERMANN, 2000 in JUGERT et al. 2007, S. 41). Aggressives Verhalten wird
hauptsächlich durch Verstärkung von außen, durch die Reaktionen der Beteiligten,
auch des Opfers selbst, aufrechterhalten. Ein Nebeneffekt ist manchmal auch ein
materieller Gewinn, der verstärkend wirken kann. Auch die Bewunderung eines
solchen Verhaltens durch Gleichaltriege wirkt verstärkend. So bildet sich ein
Kreislauf, der dazu beiträgt, aggressives Verhalten aufrecht zu erhalten. In
Anlehnung an OLWEUS (1996) wird der Kreislauf in der folgenden Grafik
wiedergegeben (vgl. JUGERT et al. 2007, S. 41).
29
Abb. 06, Kreislaufmodell der Aggression. (JUGERT et al. 2007, S. 41)
Ein Modell zur Erklärung aggressiven Verhaltens bei Kindern und Jugendlichen
stützt
sich
auf
das
bereits
beschriebene
Modell
sozial-kognitiver
Informationsverarbeitung, welches DODGE (1993) entwickelte. Er beschreibt den
Weg von einem wahrgenommenen Reiz bis zur aktiven Reaktion in einzelnen
Stufen. Dieses Modell ist vor allem deshalb für diese Arbeit wichtig, da es möglich
ist, die Informationswahrnehmung und Verarbeitung durch gezielte Aktionen und
Übungen zu schulen und zu beeinflussen. Ich habe das Modell in seinen Grundzügen
bereits in Kapitel 2.2.1 beschrieben und möchte hier noch einmal speziell auf den
Aspekt der Entstehung von aggressivem Verhalten nach diesem Modell eingehen.
Nach diesem Modell lassen sich Aggressionen auf Defizite auf den verschiedenen
Stufen der Informationsverarbeitung erklären und analysieren und daraus lassen sich
wiederum Interventionen ableiten.
Durch eine verzerrte Wahrnehmung werden von aggressiven Personen, auf der
ersten Stufe von diesem Modell überwiegend feindliche Reize aus der Umwelt
wahrgenommen und unbedrohliche bleiben unbeachtet. Die Wahrnehmung wird
weiterhin beeinflusst durch ein mangelndes Differenzierungsvermögen, welches
30
zwischen der eigenen Personen und einer fremden unterscheiden sollte (vgl. PIAGET
& INHELDER 1955, in JUGERT et al. 2007, S. 30 ff.). Dies führt dazu, dass eigene
aggressive und feindliche Gedanken der anderen Person unterstellt werden. Personen
mit aggressivem Verhalten stehen eher unter Anspannung, da sie sogar neutrale
Reize als feindlich interpretieren .Dies führt zu einer erhöhten inneren Anspannung,
die die Person in Alarmbereitschaft versetzt und deshalb aggressives Handeln
begünstigt. Wenn diese Person dementsprechend häufig mit aggressivem Verhalten
reagiert beeinflusst dies auch die Interaktionspartner, die bei mehrmaligen
Begegnungen mit dieser Person mit aggressivem Verhalten rechnen werden und
dieser somit eher mit Ablehnung, Bestrafung oder auch mit aggressivem Verhalten
begegnen werden. Hier zeigt sich, dass ein Kreislauf der Aggression aufrechterhalten
wird, indem sich die Person, die das aggressive Verhalten zuerst in die Interaktion
einbrachte, in ihrem Verhalten bestätigt fühlt (vgl. JUGERT et al. 2007, S. 30 f.).
Die Zweite Stufe beschäftigt sich mit der Interpretation der Information. „Je
eher ein bedrohliches, schädliches oder hinderliches Ereignis erwartet wird, desto
wahrscheinlicher wird der Reiz auch als solcher interpretiert“ (JUGERT et al. 2007, S.
31). Weitere Defizite wurden bei der Fähigkeit festgestellt, fremde Rollen zu
übernehmen und sich in andere hineinzuversetzen um dessen Situation und
Absichten besser zu verstehen. (ebd.)
Auf der dritten Stufe, werden alle Reaktionsmöglichkeiten aus dem Gedächtnis
abgerufen und überprüft um auf die Situation zu reagieren. Dabei reagieren
aggressive
Personen
weniger
positiv
und
bieten
weniger
durchdachte
Problemlösungen an. Infolgedessen verhalten sie sich auch weniger prosozial oder
beziehungsfördernd. Bei neu zu erschließenden sozialen Kontakten zeigen sie
aufgrund ihrer Erwartung ein eher destruktives Verhalten, dass sich in verbalen oder
physischen Aggressionen äußert. Entsprechend reagieren auch die anderen auf solche
Provokationen. Wenn eine Reaktion nicht zum beabsichtigten Erfolg geführt hat,
wird nicht nach weiteren Lösungsmöglichkeiten gesucht (vgl. DODGE 1993, JUGERT
et al. 2007, S. 31).
Bei der vierten Stufe geht es um die individuelle Entescheidungsfindung. Wenn
eine Person mehrmals mit aggressivem Verhalten erfolgreich war, wird gelernt, dass
„der Nutzen der Aggression größer ist als die negativen Folgen, was zu einer
positiven Ergebniserwartung führt.“ Nur die kurzfristigen Folgen des aggressiven
31
Handelns werden berücksichtigt und "aggressive Handlungen werden als leicht
durchführbar wahrgenommen" (JOFFE et al., 1990). "Wenn diese kurzfristigen Folgen
erfolgsversprechend und wenig bedrohlich erscheinen, wird die Handlung
ausgeführt" (JUGERT et al. 2007, S. 32).
2.3.2 Mobbing und Diskriminierung
Ich beziehe mich in diesem Kapitel speziell auf die Formen von Gewalt und
Diskriminierung, die im Kontext der Schule eine Rolle spielen. Unter
abweichendem, aber nicht kriminellem Verhalten, lässt sich auch Mobbing und
Diskriminierung in der Schule einordnen. Dieses Verhalten hat oft, wenn es gezeigt
wird, keine formellen Sanktionen, sondern informelle positive oder negative
Sanktionen. Die SchülerInnen, die KlassenkammeradInnen auslachen, haben keine
schlechtere Benotung in der Klassenarbeit, die eine formelle Sanktion wäre, zu
erwarten. Durch die KlassenkameradInnen könnte das Verhalten jedoch informell
sanktioniert werden, indem sie den/die SchülerIn, in der Pause meiden oder auf
andere Art und Weise zeigen, dass sie mit dem diskriminierenden Verhalten nicht
einverstanden sind. Diskriminierendes Verhalten sollte auch nicht dadurch
unterstützt werden, indem es schweigend akzeptiert wird.
Eine spezielle Form der Diskriminierung und Gewalt in der Schule ist das Mobbing
oder auch Bullying. "Der Begriff Mobbing kommt vom engl. "to mob" =
schikanieren, anpöbeln. Mobbing bedeutet, dass eine Person belästigt oder
ausgegrenzt wird (ALSAKER 2005, in GEBAUER 2007, S. 29). Die gemobbte Person
gerät in eine hilflose Position. Bei Mobbing spielt auch der Zeitfaktor eine wichtige
Rolle; man spricht nur dann von Mobbing, wenn die Schikanen systematisch und
wiederholt auftreten und sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Einmalige
Ereignisse dürfen daher nicht als Mobbing angesehen werden. Auch wenn zwei etwa
gleiche Parteien in gewalttätige Auseinandersetzungen geraten, spricht man nicht
von Mobbing" (GEBAUER 2007, S. 29). Die angegriffene Person erlebt sich als
unterlegen. Bullying (engl.: tyrannisieren) wird im schulischen Kontext als Synonym
für Mobbing verwendet (vgl. MINISTERIUM FÜR KULTUR 2008, S. 49).
Darüber hinaus verwenden manche Autoren “Bullying”, wenn körperliche Gewalt
oder deren Androhung eine dominierende Rolle spielten. In der Regel weisen
Mobbing- und Bullyingfälle in der Schule die nachstehenden Verhaltensweisen auf:
32
• Ausgrenzung aus der Klassengemeinschaft
• Beschädigung von Schulsachen und Materialien
• körperliche Gewalt oder deren Androhung
• Auslachen
• Verstecken von Kleidungsstücken
• ungerechtfertigte Beschuldigungen
• Knuffen, Stolpern lassen und Schlagen auf dem Pausenhof
• Erpressung und Bedrohung
• sexuelle Belästigung
„Die Auswirkungen der Schikanen werden bei Kindern und Jugendlichen mit
zunehmender
Dauer
immer
mehr
sichtbar:
Nervosität,
Schlafstörungen,
Depressionen, Krankheiten, Ausreden, um den Sportunterricht zu meiden, häufiges
Fehlen ohne Entschuldigung" (vgl. MINISTERIUM FÜR KULTUR 2008, S. 49).
„Mobbing
hat
Einfluss
auf
das
Klassenklima
und
beeinträchtigt
die
Leistungsfähigkeit der betroffenen Schüler und Schülerinnen“ (GEBAUER 2007, S.
31). Mobber wollen Macht ausüben und den anderen verletzen, ohne selber getroffen
zu werden. Dem Mobbingopfer ist es oft nicht möglich, sich aus eigener Kraft aus
der Situation zu befreien. Wenn Mobbing in einer Schule oder einer
Klassengemeinschaft stattfindet, sind oft mehrere Personen beteiligt, selbst wenn wir
nur einen aktiven Akteur vorfinden, so gibt es häufig noch außer dem Mobber und
dem Opfer
Zuschauer und Mitläufer. "Forschungen von MECHTHILD SCHÄFER,
München, haben herausgefunden, dass diese Rollen auch im späteren Leben
beibehalten werden. Mobbing beginnt oft schon in der Grundschule. Mobbing ist ein
Gruppenprozess und als solcher zu begreifen. Nicht die gemobbten Personen sind
schuld, sondern der Kontext, die Umgebung, die sie zu Opfern macht. (…)
Mobbing hat Spätfolgen: Wer über längere Zeit Opfer gewesen ist, fühlt sich als
Erwachsener emotional verlassen, leidet unter einem geringen Selbstwertgefühl und
hat Probleme, Freundschaften zu schließen.” (M.SCHÄFER in MINISTERIUM
FÜR
KULTUR, 2008, S. 49)
33
Abb.07, Akteure beim Mobbingprozess (GEBAUER 2007, S. 34)
Die Grundstruktur von Mobbing (Abb. 07) ist meist so angelegt, dass der/die TäterIn
nicht alleine bleibt, sondern von MitläuferInnen unterstützt wird. Es gibt nicht immer
eine scharfe Trennung zwischen MitläuferInnen und TäterIn. Täter und
MitläuferInnen versuchen Macht, zum Beispiel durch Gewaltandrohung, auf das
Opfer auszuüben und es zu demütigen. Je öfter TäterInnen erleben dass sie diese
Macht auf MitschülerInnen erfolgreich ausüben können, desto mehr verfestigen sich
die Mobbingstrukturen. Oft ist die Gewaltanwendung auch nicht offen erkennbar,
sondern spielt sich auf einer subtilen Ebene ab, die weniger konkret ist und es somit
für das Opfer schwieriger macht, sich Hilfe zu holen (vgl. GEBAUER 2007, S. 34).
Kennzeichnend ist auch, dass die Opfer selbst meist von den Vorgängen überrascht
sind und keine nachvollziehbaren Erklärungen für die offenen oder verdeckten
Angriffe und Demütigungen von ihren MitschülerInnen finden können. Dadurch,
dass die Opfer die Situation nicht durchschauen, ihre Wahrnehmung ihnen diffus
erscheint und sie sich aufgrund dessen schämen, wird die Handlungsfähigkeit
geschwächt. Oft geht dies einher mit Gefühlen von Ohnmacht und Hilflosigkeit (vgl.
GEBAUER 2007, S. 64).
Mögliche Ursachen finden wir in der individuellen Erfahrung, die in der
Vergangenheit gemacht wurden und die sich auf die Entwicklungsgeschichte und
somit auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirken. Innere Leere und Unsicherheit
und ein nicht ausreichend entwickeltes Selbstwertgefühl, die aufgrund vergangener
34
Erfahrungen in der Kindheit entstanden sind, lösen ein Bedürfnis nach Auflösung
dieser Gefühle aus. Diesem Ohnmachtgefühl wird versucht, Abhilfe zu schaffen,
indem es zu Machtausübung über andere und Omnipotenzgefühlen kommt (vgl.
GEBAUER 2007, S. 32 ff.). Mobbing ist auch eine mögliche Folge unsicherer
Bindungserfahrungen in der Kindheit (vgl. GEBAUER 2007, S. 43). Des Weiteren
können allgemeine negative Einflussfaktoren, die die Auftrittswahrscheinlichkeit
erhöhen, benannt werden: die gesellschaftliche Situation, Perspektivlosigkeit
Jugendlicher, geringe Ausbildungschancen, familiäre Entwurzelung, negative
Vorbilder im sozialen Umfeld der Familie und auch in den Medien.
"Oft kann sich Mobbing nur dadurch ereignen, weil Lehrer den emotional-sozialen
Vorgängen in einer Klasse keine oder eine zu geringe Beachtung schenken"
(GEBAUER 2007, S. 31). "Ein starkes Selbstwertgefühl scheint die beste
Vorraussetzung dafür zu sein, gut mit einer Mobbingsituation umgehen zu können.
Eine innere Stabilität hilft am ehesten, die Destruktion und Verworrenheit, die
solchen Situationen anhaften, zu durchschauen und handlungsfähig zu bleiben"
(GEBAUER 2007, S. 63).
2.4 Themenfelder der Förderung sozialer Kompetenz
Aufgrund
der
Vielzahl
bereits
zur
Verfügung
stehender
Konzepte
und
Sozialkompetenztrainings werden im Folgendem keine einzelnen Trainingskonzepte
im Detail vorgestellt, sondern die Themenfelder, in denen die Förderung der sozialen
Kompetenz
ansetzt,
zusammenfassend
beschrieben.
Die
grundsätzlichen
Themenfelder, die in diesen Konzepten mit unterschiedlichen Methoden für die
Zielgruppe der Jugendlichen in Gruppen bearbeitet werden, ähneln sich häufig.
Meistens werden folgende Themenfelder bearbeitet: Wahrnehmung, Gefühle,
Kommunikation, Gruppendynamik (Rollen in der Gruppe), Interaktionen, Konflikte
sowie Themenblöcke zu Aggression, Gewalt, Mobbing.
35
2.4.1 Wahrnehmung
"Die Wahrnehmung der eigenen Gefühle, Gedanken und Handlungskompetenzen ist
Vorraussetzung für Kommunikation und Interaktion mit anderen" (DE BOER 2008, S.
21). Nach dem Modell von DODGE (siehe Kapitel 2.2.1) steht die Wahrnehmung am
Beginn jeden Verarbeitungsprozesses, der während einer Handlungsentscheidung
durchlaufen wird. Es müssen alle relevanten Informationen erfasst werden. Bei
diesem Prozess spielt eine angemessene Selbst- und Fremdwahrnehmung eine Rolle.
Aus den wahrgenommenen und interpretierten Reizen resultiert dann die Reaktion.
Durch gezielte Übungen und Feedback kann die Selbst- und Fremdwahrnehmung
geschult werden.
2.4.2 Kommunikation
Miteinander kommunizieren zu können ist keine angeborene Fähigkeit oder
Begabung, sondern ein Lernprozess, der angeregt und gesteuert werden kann. Durch
Übung des miteinander Kommunizierens kann diese Fähigkeit gefördert und
verbessert werden. Durch die gemeinsame Erarbeitung von Regeln für Gespräche
und Feedback in einer Schulklasse kann hierfür eine gute Grundlage geschaffen
werden (DE BOER 2008, S. 27).
Ich möchte zunächst näher auf einige wichtige grundlegende Aspekte der
Kommunikation eingehen, da diese eine Basis für den Austausch zwischen
Individuen ist. Die nonverbale Kommunikation wird in diese Aspekte mit
einbezogen. Fast jedes Konzept zur Förderung der sozialen Kompetenz widmet sich
in einem Part der Kommunikation. Sie ist die nächste Stufe des kognitiven Prozesses
nach der Wahrnehmung und der Informationsverarbeitung. Durch Kommunikation
ist es möglich Gefühle, Gedanken und Wissen auszutauschen und mit seiner Umwelt
in Interaktion zu treten, sowie sein Handeln nach außen durch Erklärung transparent
zu machen und somit das Verständnis anderer zu erlangen.
Kommunikationsprozesse
In Gesprächen sind unterschiedliche Prozesse wirksam, denn menschliche
Kommunikation vollzieht sich auf mehreren Ebenen.
„Die Mehrdimensionalität
einer Kommunikation oder Nachricht wurde von BÜHLER (1934) und später von der
36
PALO-ALTO Gruppe (BATESON, BEAVIN, JACKSON, HEALEY und WATZLAWIK)
ausführlich beschrieben" (WELLHÖFER 2007, S. 23).
Nach WATZLAWIK vollzieht sich menschliche Kommunikation auf zwei Ebenen.
"Auf der Inhaltsebene informieren wir mit Hilfe der Sprache über die Sache. Die
Botschaften auf der Beziehungsebene verlaufen meist sprachfrei (Mimik, Gestik,
Körperhaltung, Sprechrythmus usw.) und zeigen, wie wir unsere Beziehung zum
Gesprächspartner sehen und wie dieser das Gesagte verstehen soll. Somit enthält die
Inhaltsebene sachliche und inhaltsbezogene Informationen. Auf der zweiten Ebene,
der Beziehungsebene, befinden sich die gefühlsmäßigen und nonverbalen
Botschaften. (ebd.)
Abb. 08, Die "Anatomie einer Nachricht", in Anlehnung an SCHULZ VON THUN in (WELLHÖFER 2007, S. 25)
Erfolgreiches
Kommunizieren
bedeutet
nach
diesem
Modell,
Störungen,
Missverständnisse und Verzerrungen in der Kommunikation zu vermeiden, indem
man die Prozesse auf der Inhalts- und Beziehungsebene steuert. Wenn diese nicht
vollständig vermieden werden können, so sollten sie möglichst schnell erkannt,
angesprochen und bewältigt werden. "Eine Kommunikation ist immer dann
erfolgreich, wenn die Nachricht unverfälscht beim Empfänger ankommt,
d.h.
wenn
keine
Informationsverzerrungen
oder
-verluste
im
Kommunikationsprozess auftreten" (WELLHÖFER 2007, S. 26–27).
SCHULZ
VON
THUN beschreibt ein Modell der Kommunikation, dass sich auf vier
Ebenen bezieht. Eine Nachricht wird auf vier Ebenen gesendet und empfangen. In
37
sozialen Kompetenz- und Kommunikationstrainings wird häufig der Schwerpunkt
auf
das
Kommunikationsverhalten
gelegt.
Das
bedeutet:
eine
„richtige“
Kommunikation wird, ähnlich einem Verhaltenstraining, gelernt.
SCHULZ VON THUN ist der Meinung, dass das klassische Verhaltenstraining zu kurz
greift, denn der entscheidende Fehler besteht in dem Versuch, "Menschen in die
Schablone eines Idealverhaltens zu pressen," .Dieses Idealverhalten soll für alle
gleich sein, damit wird jedoch nur eine andere Art der Anpassung bewirkt: Ein
"Psychologisch und partnerschaftlich korrektes Musterschülergehabe“, das dem
Inneren nicht entspricht. Das neu erworbene Verhalten – Ich- Botschaften statt Du Botschaften, aktives Zuhören...- wirken dann gut gemeint, aber künstlich. Eine der
neuen Erkenntnisse lautet: „Ein zwischenmenschliches Verhalten ist nur dann
heilsam und aussichtsreich, wenn es übereinstimmt mit dem "inneren Menschen",
mit der Persönlichkeit und der aktuellen Befindlichkeit." Dieser "Innenseite" wurde
nach V.THUN bislang wenig Beachtung geschenkt (vgl. VON THUN 2003a, S. 15).
Eine weitere Gegebenheit ist die Kreisförmigkeit der Kommunikation.
Normalerweise läuft Kommunikation als Kreisprozess ab, das heißt, sie ist nicht
einseitig. "Die Einwegkommunikation erweist sich meistens als schneller, der
Informationsfluss ist allerdings weniger präzise." Bei einer Einwegkommunikation
fehlt der Abgleich der Informationen zwischen den kommunizierenden Personen in
Form von Rückfragen, dadurch entsteht eine Ungenauigkeit aufgrund der
Mehrdeutigkeit der gesendeten Nachricht. Diese Möglichkeit nachzufragen und die
empfangenen Informationen mit dem abzugleichen, was gesendet wurde, bezeichnet
man als Feedback. "Je besser bei der Zweiwegkommunikation die Rückkoppelung
(Feedback) gelingt, desto geringer ist der Informationsverlust, desto angenehmer ist
normalerweise der Kommunikationsprozess (Feedback-Schleife)" (vgl. WELLHÖFER
2007, S. 29).
38
Abb.09, Kommunikationsprozess mit Feedback in (VON THUN 2006, S. 81)
Der sogenannte Frontalunterricht in der Schule –Eine/Einer redet, der Rest hört zuist eine Einwegkommunikation. Wenn der/die EmpfängerIn keine Möglichkeit hat,
zu überprüfen, ob eine gesendete Nachricht korrekt empfangen wurde oder
bestehende Unsicherheiten bezüglich des Inhalts durch seine eigene Fantasie
bewältigt, kommt es zu Missverständnissen. Wenn dies im Stillen passiert und er
diese Deutungen für sich behält, kommt es zu einer Isolierung zur Umwelt und die
Annahmen entziehen sich einer Überprüfung und Korrektur, die durch die
Einbringung in den Kommunikationsprozess stattfinden würde (vgl. WELLHÖFER
2007, S. 30–31).
Gewaltfreie Kommunikation
Das Prinzip der gewaltfreien Kommunikation wie M. B. ROSENBERG (2005) sie
beschreibt, möchte ich in meiner Arbeit einen Platz einräumen, denn sie spielt auch
bei
Konflikten,
Kommunikationsprozessen
und
Mediationsprozessen
eine
grundlegende Rolle. Kommunikation ist nach M. B. ROSENBERG ein Mittel zur
Bedürfnisbefriedigung. Wer seine Bedürfnisse angemessen kommunizieren kann, ist
zufriedener und leistungsfähiger, deshalb ist es wichtig, angemessen und sozial
39
kompetent kommunizieren zu können - es ist der Schlüssel zum gelungenen sozialen
Kontakt.
Wie
emotionale
Kompetenz
bei
SchülerInnen
und
LehrerInnen
praxistauglich umgesetzt werden kann, zeigt M. B. ROSENBERG in seinem Modell der
gewaltfreien Kommunikation. In Schulen, Therapie und Mediation findet dieses
Konzept Anwendung. Es orientiert sich konsequent an den Gefühlen und
Bedürfnissen der Menschen. Die von M. B. ROSENBERG beschriebene Erziehung geht
von der Annahme aus, dass die Beziehungen der SchülerInnen untereinander und zu
dem, was sie lernen, für die Zukunft mindestens genauso wichtig sind wie die
Lerninhalte (vgl. ROSENBERG 2004, S. 19).
Nach dem Modell von M. B. ROSENBERG gibt es vier wichtige Komponenten einer
gewaltfreien Kommunikation:
Erstens: Beobachten ohne zu bewerten. Bei dieser Komponente ist es das Ziel
dem Gegenüber mitzuteilen, was der Auslöser von bestimmten eigenen Gefühlen ist.
Diese Mitteilungen sollen keine Bewertungen des Verhaltens des Gegenübers
enthalten. Hierfür ist es notwenig, sich an beobachtbare Tatsachen zu halten und
diese von Interpretationen und Bewertungen zu unterscheiden. Ziel ist es auch, ein
Bewusstsein darüber zu erlangen, dass andere Menschen nicht für unsere Gefühle
verantwortlich sind, ihre Handlungen können bestenfalls Auslöser sein.
Unsere
Gedanken und die Haltung mit der wir auf etwas reagieren, beeinflussen unsere
Gefühle.
Die zweite Komponente bezieht sich auf die Gefühle und Emotionen. Das Gefühl
sollte erkundet und möglichst genau benannt werden können. Die Aussage: Mir geht
es „schlecht“, wird dann bei einer genaueren Differenzierung, zum Beispiel zu
„traurig“ oder „wütend“ und somit genauer.
Bei der dritten Komponente geht es um die Bedürfnisse, die mit den Gefühlen
verbunden sind. Erst wenn wir unserer Bedürfnisse bewusst sind, können wir sie
kommunizieren. Wenn Bedürfnisse erfüllt werden, entstehen angenehme Gefühle,
wenn diese unerfüllt bleiben, leiden wir unter negativen Gefühlen. Nach M. B.
ROSENBERG geht es im Grundprinzip für alle um die gleichen Bedürfnisse, wie z.B.
Nahrung, körperliche Unversehrtheit, Kontakt mit anderen Menschen, Verständnis,
Wertschätzung oder Sinnhaftigkeit. Wie versucht wird, die vorhandenen Bedürfnisse
zu befriedigen, ist individuell unterschiedlich und abhängig von seiner Persönlichkeit
40
und Sozialisationsgeschichte. Wenn Bedürfnisse in einer angemessenen Art dem
Gegenüber vermittelt werden können, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das
Gegenüber bereit ist, etwas dazu beizutragen. Wenn mit Strategien wie Kritik am
anderen und Druck gearbeitet wird, verringert sich diese Wahrscheinlichkeit.
Die vierte Komponente ist das Bitten. Hier geht es darum, möglichst konkrete
Bitten zu äußern, die unser Bedürfnis erkennbar machen. Sie sollten klar, positiv
formuliert und erfüllbar sein. Dies setzt voraus, dass man sich selber über seine
Bedürfnisse im Klaren ist und auch eine eigene Vorstellung davon hat, wie sie erfüllt
werden könnten. Eine Bitte, wie sie M. B. ROSENBERG beschreibt, muss auch immer
ein „Nein“ akzeptieren, denn die Verantwortung der Erfüllung der Bedürfnisse liegt
nicht bei dem jeweiligen Gegenüber. Es geht nicht darum, jemanden dazu zu
bringen, etwas zu tun, was man möchte, ohne die Bedürfnisse dieser Person zu
berücksichtigen. Als erfolgreich kann eine Kommunikation, nach M. B. ROSENBERG
dann bewertet werden, wenn sie zur Bedürfnisbefriedigung führt oder zu einer neuen
Einsicht, durch die das Bedürfnis modifiziert, relativiert oder aufgehoben wird (vgl.
ROSENBERG 2004, S. 44).
Die Ausführungen über die Kommunikationstheorien in dieser Arbeit begründen sich
durch ihre Wichtigkeit für die Kommunikationsschulung zur Förderung der sozialen
Kompetenzen. Im Zusammenhang mit mehrjährigen, qualitativen empirischen
Untersuchungen
zum sozialen Lernen zeigte sich, dass „die Versprachlichung
komplexer Zusammenhänge und die Kommunikation über kontroverse Fragen im
ritualisierten und geregelten Setting zu wesentlichen Erkenntnisprozessen und
kommunikativen Kompetenzen führten“ (vgl. DE BOER 2008, S. 22).
2.4.3 Interaktionen
"Die Wahrnehmung der eigenen Gefühle, Gedanken und Handlungskompetenzen ist
Vorraussetzung für Kommunikation und Interaktion mit anderen, doch ohne
kollektive Aushandlungsprozesse gibt es keine individuelle Weiterentwicklung der
sozialen Kompetenz" (DE BOER 2008, S. 21). Was Interaktionen zum sozialen Lernen
beitragen können, wird ausführlich im Kapitel 7.3.1 über die Interaktionspädagogik
beschrieben.
41
Durch das Aufeinanderangewiesensein an Bord eines Schiffes herrscht ein
Interaktionszwang, dem nicht ausgewichen werden kann. "An Bord von
Segelschiffen ist vielleicht einer der wenigen verbliebenen Orte in unserer heutigen
Welt, an denen das Aufeinanderangewiesensein noch unmittelbar für jeden erfahren
und einsehbar werden kann" (STADLER 1988, S. 67–68).
2.4.4 Konflikte
"In der Klärung von Konflikten liegt ein entscheidendes Lernfeld für den Aufbau
psychosozialer
Kompetenz"
(GEBAUER
2007,
S.
63).
Durch
ein
Konfliktlösungstraining kann dieses Lernfeld genutzt werden. Das Training sollte
dabei unter anderem die Einstellung zu Konflikten, soziale Fähigkeiten,
Selbsteinschätzung bezüglich der Lösung von Konflikten und kooperatives Lernen
thematisieren. Darüber hinaus ist es wichtig, dass auch der gesamte Lehrkörper in
Konfliktlösungs- und Mediationsstrategien geschult wird. Die LehrerInnen dienen
den SchülerInnen somit als positives Beispiel, was wiederum ein Schulklima schafft,
das die Prinzipien der positiven Konfliktbewältigung unterstützt" (vgl. BEHN et al.
2006, S. 45).
2.4.5 Soziales Lernen in der Gruppe
LEWIN (1963) fasst die Gruppe als eine dynamische Ganzheit auf, die durch die
wechselseitige Abhängigkeit ihrer Glieder oder Teilbereiche charakterisiert ist (vgl.
WELLHÖFER 2007, S. 8). Jüngere Erhebungen heben die Bedeutung der sozialen
Interaktionen hervor (vgl.
DE
BOER 2008, S. 22). Soziales Lernen als
gruppendynamisch-interaktionistische Funktion fördert das Interaktionsverhalten der
Gruppenteilnehmer und die Entwicklung innerhalb der Lerngruppe, wobei diese
Gruppe als soziales System verstanden werden kann. Der Schwerpunkt liegt in der
Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen durch Gruppenprozesse (vgl. PRIOR in
REINERS 2007, S. 25 f.). MILLER führt in seiner Explikation über kollektive
Lernprozesse
individuelle,
interaktive
und
kollektive
Prozesse
für
das
Sozialkompetent-Werden zusammen. Er macht mit seinen empirischen Analysen von
Gesprächen unter Kindern sichtbar, dass die Partizipation an der sozialen Gruppe
42
und die Interaktion an sozialen Prozessen zu fundamentalen Lernschritten für die
einzelne Person führen (vgl. MILLER 1996, in DE BOER 2008, S. 22).
Ein positiver Gruppenprozess und die Identifikation mit der Gruppe spielen eine
wichtige Rolle für das Klassenklima, die Motivation und Erfolgschancen von
SchülerInnen. "[...] Individuen, die sich mit einer Gruppe in einer Organisation,
sowie mit der Organisation als Ganzes identifizieren, besser lernen, sich stärker für
die Interessen der Organisation einsetzen, weniger häufig fehlen und weniger stark
dazu tendieren, die Organisation zu verlassen." In teamorientierten Klassen ist das
Lernklima besser und das Ausmaß an interkulturellen Konflikten geringer. Die
Identifikation mit der Institution Schule wird von den SchülerInnen jedoch nur dann
angestrebt werden, wenn sie ihre Bedürfnisse ernst genommen und berücksichtigt
sehen. Wenn die Werte nur auf Leistung und Wissen bezogen sind, werden all
diejenigen, die diese Anforderungen nicht erfüllen, auch die Motivation verlieren,
sich einzubringen (vgl. ZICK 2002, S. 214).
43
3. Veränderte Lebensbedingungen für Kinder und
Jugendliche
In diesem Kapitel wird zunächst auf die Besonderheiten eingegangen, die die
Lebensphase der „Jugend“ kennzeichnen. Anschließend wird die aktuelle Situation
und die Veränderung der Lebenswelt von Jugendlichen beschrieben. Es werden die
Aufgaben und Anforderungen dargestellt, die es für sie heutzutage zu bewältigen gilt
und welche sozialen Kompetenzen dafür benötigt werden.
Nach HURRELMANN (1999) wird das Jugendalter als Lebensphase beschrieben, die
zwischen der Kindheit und dem Erwachsenstatus liegt und durch eigene Werte und
Besonderheiten
gekennzeichnet
ist.
„Diese
Zwischenposition
impliziert,
Verhaltensformen und Privilegien der Kindheit aufzugeben und neue Kompetenzen
zu erwerben“ (OERTER & DREHER 1998, in JUGERT et al. 2007, S. 37). Seit 50
Jahren ist der Begriff der Entwicklungsaufgaben aus der Entwicklungspsychologie
bekannt, der einen wichtigen Aspekt der Lebensphase Jugend beschreibt. Jeder
Lebensphase kommen eine Reihe von Aufgaben zu, die für eine erfolgreiche
Entwicklung zu bewältigen sind. (vgl. JUGERT et al. 2007, S. 37).
Im Bereich der physischen Veränderungen liegt die Verlagerung des Jugendalters.
Der Beginn der Geschlechtsreife hat sich im Zeitraum von 1800 bis 2000 um fünf
Jahre nach vorne verschoben. Im Durchschnitt liegt heute der Eintritt der
Geschlechtsreife beim weiblichen Geschlecht bei 11, 5 Jahren und beim männlichen
Geschlecht ungefähr ein Jahr später (vgl. HURRELMANN 2008a, S. 302).
Weitere Veränderungen, die den Kindern Probleme bereiten, finden sich oft auf einer
konstitutionellen Ebene. Laut einer Studie bei Zwölfjährigen haben 40% der Kinder
Kreislaufprobleme,
Muskelschwäche,
33%
30%
haben
der
Haltungsprobleme,
Schüler
klagen
50%
über
haben
eine
Schlafstörungen,
Konzentrationsschwäche, Kopf- und Magenschmerzen (vgl. GEBAUER 2007, S. 89
f.). Nach einer Studie des Robert-Koch Instituts haben die psychischen Störungen
bei Kindern zugenommen, bereits jedes fünfte Kind ist psychisch auffällig,
Grundschüler leiden immer häufiger an Ängsten und Depressionen und zeigen sich
in ihrem Sozialverhalten gestört (vgl. TENZER 2008, S. 61). "Wie verbreitet
Verhaltensauffälligkeiten bereits im Vorschulalter sind, belegt eine repräsentative
44
Kindergarten-Studie aus Braunschweig: Dort fiel knapp jedes fünfte Kind wegen
Aggressivität, Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsschwäche oder Ruhelosigkeit auf - in
einem Ausmaß, das die Psychologen als klinisch bedeutsam einstuften. Sieben
Prozent gingen bereits zu einem Therapeuten. Besonders bei aggressiven Kindern
kommen oft mehrere Diagnosen zusammen, wie eine andere Studie zeigt: 60 Prozent
leiden zugleich an einer Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS)."
(POSSEMEYER 2004) In ausweglos erscheinenden Situationen, wenn der psychische
Druck unerträglich wird, versuchen Kinder und Jugendliche auch den Suizid. 30 000
unternehmen jedes Jahr einen Suizidversuch und tausend dieser Versuche enden
tödlich (vgl. GEBAUER 2007, S. 89–90). OPP und UNGER sprechen auch von einer
Zunahme
von
Beziehungsabbrüchen,
Gewalterfahrungen,
physischer
und
psychischer Vernachlässigung oder Misshandlung, sowie steigender sozialer
Vereinsamung in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen (vgl. OPP et al.
2006, S. 15).
Ein gutes soziales Netz, Freundschaften und die Zugehörigkeit zu Gemeinschaften
können als Schutzfaktor wirken (siehe Kapitel 2.2.1), doch immer mehr Kinder
wachsen nicht in einer Gemeinschaft auf. Die Größe der Familien nimmt ab und
somit haben die Kinder immer weniger soziale Kontakte während ihres
Aufwachsens. "Kinder leben heute in Zufallsgemeinschaften oder sind den Medien
ausgeliefert. Die Straßengemeinschaften gibt es nicht mehr, das Vereinswesen nimmt
ab, die Jugendarbeit der Kirchen geht zurück: Zu viele Kinder verbringen ihre Zeit
zum Beispiel vor dem TV-Gerät oder verlieren sich im Internet" (GEO Kompakt
2008). Auch BUEB hebt die Wichtigkeit der Gemeinschaften für die Entwicklung des
Kindes hervor. Seiner Meinung nach sollte jedes Kind den Genuss der Erfahrung
machen, in einer Gemeinschaft aufzuwachsen. "Nur in der Gemeinschaft kann ein
Kind die Tugenden des menschlichen Zusammenlebens erlernen, wie etwa Toleranz.
Das kann ein Kind nicht durch Belehrung verinnerlichen. Es muss im Umgang mit
Gleichaltrigen, der „Peergroup“, selbst erleben, wie schwer es etwa ist, zu
akzeptieren, dass andere Kinder die gleichen Rechte haben. Oder dass ein anderes
Kind auch einmal im Spiel gewinnen darf. Diesen Gemeinsinn können junge
Menschen nur in einer Gemeinschaft erfahren. Je früher Kinder anderen Kindern
begegnen, mit ihnen spielen, essen und bei ihnen übernachten, desto früher erfahren
45
sie zum Beispiel, dass nicht immer alles im Überfluss vorhanden ist und dass man
bestimmte Dinge teilen muss. Bereits ein Einjähriger ist in der Lage zu begreifen,
dass ein anderes Kind das gleiche Recht auf ein Stück Schokolade hat“ (GEO
Kompakt 2008).
"It takes a Village to raise a child." Ist ein Afrikanisches Sprichwort und bedeutet,
dass es ein ganzes Dorf, also viele Personen, braucht, um ein Kind großzuziehen. In
der heutigen Situation müssen aber einige Kinder durch die Wohnsituation auf
bestimmte Bezugspersonen und Beziehungen verzichten. Und so gehen wichtige
soziale Kontakte verloren. REINERS fasst die veränderten Lebensbedingungen wie
folgt zusammen: Das Bedürfnis nach Individualität steigt bei gleichzeitig
abnehmender Tendenz der Solidarität. Die Welt der Erwachsenen hat mit der Welt
der Kinder nur noch wenige Berührungspunkte. Wohn- und Arbeitsstätten sind
meistens getrennt. Der kindliche Drang nach Abenteuern, Selbsterfahrung und
Entdecken wird durch "zweckmäßige" Architektur (Hochhäuser) gebremst und
unterdrückt. Die Möglichkeit im Wald zu spielen, Bäche mit Staudämmen zu
versehen, Baumhäuser zu bauen oder Beeren zu pflücken, bleibt vielen Kindern
verwehrt. Das Kind hat einen starken Drang zum Entdecken, Experimentieren und
eine natürliche Sehnsucht nach Abenteuern, die sich dann nicht selten in Aktionen,
die jenseits der Legalität liegen, kompensiert werden. (vgl.REINERS 2007, S. 15 ff. ,
23)
Eltern nehmen sich heutzutage nicht mehr Zeit als zuvor für ihre Kinder, aber sie
verbringen weniger „hochwertige“ Zeit mit ihren Kindern. Hochwertige Zeit
beschreibt die Zeit, in der die Eltern mit ihren Kindern etwas unternehmen, sich
miteinander beschäftigen und im Kontakt sind. Nur zwanzig Minuten dieser Zeit
verbringen Väter im Schnitt mit ihren Kindern.
„In Deutschland verbringen Väter mit ihren Kindern im Schnitt etwa 20 Minuten
‚hochwertige Zeit’ am Tag“ (vgl.GEO Kompakt 2008). 60% der Zeit in der Familie
werden laut einer Studie in Österreich sprachlos vor dem Fernseher verbracht (vgl.
WILELMSTÄTTER 1998, S. 5) und 33% der Kinder sind nachmittags alleine zuhause
(vgl. GEBAUER 2007, S. 89–90).
46
KÄßMANN formuliert das Fehlen einer Vernetzung der Institutionen und der zivilen
Bevölkerung in Deutschland. Durch die zunehmende Institutionalisierung werden
den Menschen viele soziale Aufgaben abgenommen und von außen geregelt. Dies
kann auch zu einer Abgabe der sozialen Verantwortung an die Institutionen führen,
das eigene Verantwortungsbewusstsein für eine soziale Umwelt wird nicht mehr
wahrgenommen (vgl. GEO Wissen 2006, S. 27).
Die
vermehrte
Zunahme
der
technischen
Kommunikations-
und
Unterhaltungsmöglichkeiten birgt Chancen und Risiken zugleich. Insgesamt nimmt
die Möglichkeit der passiven Beschäftigung zu. ZIEGENSPECK formuliert bereits
1995: "In unserer Gesellschaft herrscht eine in diesem Umfang noch nie da gewesene
Reizüberflutung, der die Jugendlichen weitgehend schutzlos und unvorbereitet
ausgeliefert sind. Neben den traditionellen Medien - Radio, Fernsehen, Presse - sind
neue hinzugekommen: Video, Stereo-Anlagen, "Walkman" -Geräte, Flipper-Hallen
und Spiel-Höllen. Damit werden immer mehr Möglichkeiten passiver, den Geist
unterfordernder Beschäftigungsmöglichkeiten, eröffnet" (ZIEGENSPECK 1995, S. 15).
Und seit dieser Zeit sind noch weitere Konsummöglichkeiten in Bezug auf die neuen
Medien hinzugekommen. Auch REINERS schreibt: „Die Reizüberflutung durch neue
Medien lässt die Menschen mehr und mehr in die Zuschauermentalität verfallen.“
(REINERS 2007, S. 15 ff. , 23)
47
4. Die aktuelle Situation der Schule
In diesem Kapitel geht es um die Rolle der Schule und anschließend auch um die
Rolle der Schulsozialarbeit in Hinblick auf die Herausbildung und Förderung
sozialer Kompetenzen. Zunächst wird auf die Aufgaben der Schule eingegangen und
es werden dabei Themen herausgegriffen, die in Hinblick auf die Konzeption von
Bedeutung sind. Des Weiteren wird, als eine Möglichkeit der Förderung sozialer
Kompetenzen,
die
Implementierung
von
Mediationsprojekten
an
Schulen
beschrieben.
Da die Klassenfahrt und die Schulsozialarbeit nicht getrennt vom System Schule
betrachtet werden können, werde ich im Folgenden auf einige aktuelle Probleme der
Schule eingehen. Von der Schule heute wird viel erwartet: Sie soll im internationalen
Vergleich auf der Wissensebene gut abschneiden, die Schüler auf ihre Zukunft
vorbereiten,
durch
die
vorangegangene
Erziehung
der
Eltern
bedingte
Entwicklungsdefizite ausgleichen und soziale Kompetenzen vermitteln.
Schule sollte zur Mündigkeit erziehen; HEINRICH ROTH beschrieb in seinem
Handlungskompetenzmodell von 1971 drei überfachliche Kompetenzbereiche: die
"Selbstkompetenz", "Sozialkompetenz" und "Sachkompetenz" und er warf damals
schon dem Schulsystem vor, die kognitive Seite, die Sachkompetenz allzu sehr zu
betonen und Selbst- und Sozialkompetenz zu vernachlässigen (vgl. SEYD 2000, S. 1).
Dadurch machte er deutlich, dass Mündigkeit mehr ist als nur das rein fachliche,
kognitive Lernen (vgl.
DE
BOER 2008, S. 20). Viele Schulen werden diesem
Anspruch jedoch aus unterschiedlichen Gründen nicht gerecht. Grundschulen setzen
diese Ziele am weitesten um, da sie im Lehrplan festgeschrieben sind. Vermittlung
von Schlüsselqualifikationen (vgl. MINISTERIUM FÜR BILDUNG 1997, S.9 ff.).
HARTMUT
VON
HENTIG formulierte bereits 1987 eine Notwendigkeit der
Veränderung der Schulen. Er schilderte die Schule der Zukunft als einen Ort , "an
dem sich die Lust an der Sache einstellen kann, an dem Konzentration möglich ist
und Durchhaltekraft belohnt wird, an dem man gemeinsame Grunderkenntnisse hat
und sich bewusst macht, an dem Gemeinsinn herrscht und wohl tut, an dem man mit
einem Stück Natur leben kann, an dem man erfahren kann, wie man Fehler macht,
und an dem die Frage nach dem Sinn gestellt werden kann - und gestellt wird“ (vgl.
HENTIG in ZIEGENSPECK 1995, S. 25).
48
Die aktuelle Situation unserer Schulen sieht aber häufig anders aus, obschon zur Zeit
ein Umdenken und eine Umstrukturierung des Schulsystems stattfindet. Wenn wir
das System Schule betrachten, finden wir häufig hierarchische Strukturen vor. Es
gibt ein Lernziel, das von außen vorgegeben wird und das es für die SchülerInnen zu
erreichen gilt. Nicht die SchülerInnen bestimmen, was sie lernen wollen, sondern die
LehrerInnen und die Institution durch ihre Lehrpläne geben vor, was sie lernen
sollen. Als eine „gute“ Lernatmosphäre gilt es, wenn die SchülerInnen ruhig sind und
fleißig mitarbeiten und dem Folge leisten, was ihnen aufgetragen wird. Der
Schwerpunkt liegt hierbei häufig auf Wissensvermittlung auf einer theoretischen
Ebene und auch die hierbei verwendeten Methoden konzentrieren sich häufig auf
eine rein kognitive Wissensverarbeitung. Dies trifft eher auf die weiterführenden
Schulen zu als auf Grund- und Gesamtschulen. Raum für praktische Erfahrungen,
Dinge auszuprobieren und zu erforschen bieten die weiterführenden Schulen kaum.
RUEP bemerkt zu diesem Thema: "Wir sind „Wissensriesen“ und „Könnenszwerge.
(…) Was in den Lehrplänen steht und in den Schulen behandelt wurde, wird am
Ende nicht gekonnt" (vgl. RUEP 2005, S. 4).
Dies weist darauf hin, dass wir die Art, wie in Schulen gelernt wird, überdenken
müssen. Dieser Prozess hat mittlerweile eingesetzt. Dennoch begegnen wir in unsere
Schulen immer noch viel zu häufig dem Frontalunterricht, dem Aneignen von
Wissen durch Zuhören, Lesen und Nachmachen. Es wird immer noch zu wenig
Raum geboten für erfahrungsorientiertes Ausprobieren und ganzheitliches Lernen.
Die LehrerInnen müssen ihren Lehrplan einhalten und haben wenig Zeit für die
persönlichen Probleme der SchülerInnen ,denn im Lehrplan sind Ziele wie z.B. ein
positives Klassenklima, nicht enthalten. So werden diese Ziele anderen, die im
Lehrplan enthalten sind, untergeordnet. Dabei haben die HirnforscherInnen längst
festgestellt, dass positive Emotionen, Motivationen und ein gutes Lernklima dazu
beitragen, effizienter zu lernen. "So kann positive Stimmung die Verarbeitung von
positiver Information, Kreativität, Kontaktfreude und Hilfsbereitschaft fördern. Man
nimmt sich selbst und auch die Umwelt positiver wahr und traut sich selbst mehr zu.
Auch die Findung von Ideen wird gefördert und die Geschwindigkeit des Denkens
nimmt zu. Allerdings bringt die positive Stimmung auch Nachteile mit sich. So
werden Informationen zum Beispiel nur oberflächlich bearbeitet und auch die
49
erhöhte Risikobereitschaft ist nicht immer von Vorteil" (EDLINGER, HASCHER 2008,
S. 67 ff.). Weiter beschreiben EDLINGER und HASCHER, dass nur Informationen,
die „emotional berühren“ auf lange Sicht behalten werden. "Ist Interesse an einem
Text vorhanden, wird dieser gelesen und auch weiter gelesen" (EDLINGER, HASCHER
2008, S. 67 ff.).
Durch das dreigliedrige Schulsystem werden die SchülerInnen am Ende ihrer
Grundschulzeit
schon
früh
in
GewinnerInnen
und
VerliererInnen
der
"Wissensgesellschaft" aufgeteilt. In den siebziger Jahren besuchten noch 70% eines
Jahrgangs die Hauptschule, sie galt damals als solide Grundausbildung. Heute
besuchen nur noch 33,2% diese Schulart. Kaum jemand besucht sie freiwillig, denn
ihr Abschluss sichert nicht mehr den beruflichen Erfolg (vgl. KOULI, EKATARINA, S.
1). 90 Prozent eines Jahrgangs an der Hauptschule bekommen keinen
Ausbildungsplatz (vgl. GEO Kompakt 2008).
Der Bielefelder Pädagoge KLAUS-JÜRGEN TILLMANN bezeichnet die Hauptschule als
ein Sammelbecken der „Negativauslese“. "Wir haben heute auf den Haupt- und
Sonderschulen eine immer dichtere Konzentration von Kindern aus sozial
problematischen Verhältnissen. Das hat dort zu einer massiven Ankurbelung der
Gewaltspirale geführt" (POSSEMEYER 2004).
Inzwischen
hat
eine
Umstrukturierung
des
Schulsystems
eingesetzt:
Die
Bundesländer tendieren dazu, das dreigliedrige Schulsystem abzuschaffen. Das neue
Schulgesetz, das zum Beispiel der Landtag für Schleswig Holstein verabschiedet hat,
ist seit dem 9. Februar 2007 in Kraft. Der individuellen Förderung der Kinder und
Jugendlichen soll durch veränderte Regelungen zu Versetzungen und Rückstufungen
in der Grundschule und in der Sekundarstufe I begegnet werden. Eine veränderte
Arbeit in der Schuleingangsphase soll allen Kindern gute Startchancen bieten. "Statt
der bisher bestehenden Hauptschulen und Realschulen soll es ab dem Schuljahr
2010/11 nur noch die neu eingeführte Regionalschule geben: Sie fasst die
Bildungsgänge zum Haupt- und Realschulabschluss zusammen. Daneben wird es auf
Antrag der Schulträger die neue Gemeinschaftsschule geben, die alle Bildungsgänge
zusammenfasst- einschließlich des Gymnasiums. Bestehende Gesamtschulen sollen
bis
zum
Jahr
2010/11
zu
Gemeinschaftsschulen
umgewandelt
werden"
(LANDESREGIERUNG SCHLESWIG-HOLSTEIN 2009).
50
In einigen Schulen, abgesehen von den Gesamtschulen, ist keine Teamarbeit
vorgesehen. Oft sind die LehrerInnen in einem System eingebunden, in dem sie
alleine arbeiten, kaum Rückmeldung erhalten, viel Verantwortung tragen und
Entscheidungen
alleine
treffen
müssen.
Hinzu
kommt,
dass
die
LehrerInnenausbildung zwar inhaltlich und didaktisch vorbereitet, aber, trotz
Praktika, auf die sozialen Schwierigkeiten, mit denen die Lehrkräfte in der Praxis
konfrontiert werden, nicht ausreichend eingeht. Wenn sie dies tut, so meist nur in der
Theorie, die Praxis bleibt außen vor. Eine Form der Konfliktfähigkeit und der
sozialen Kompetenzen für Lehrkräfte, die ihnen im Unterricht hilfreich sei könnten,
ist nicht Teil der Ausbildung an den Universitäten. Die Aussage von RUEB, dass wir
„Wissensriesen und „Könnenszwerge“ sind (RUEP 2005, S. 4), lässt sich also sowohl
auf manche SchülerInnen als auch auf einige LehrerInnen beziehen." LehrerInnen
sind auf den Umgang mit schwierigen Kindern oft nicht vorbereitet", sagt auch
RAINER DOLLASE, Psychologe am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und
Gewaltforschung in Bielefeld. "Erziehung muss man lernen, von Angesicht zu
Angesicht", ereifert sich DOLLASE. "Sie würden ihr Kind doch auch nur Ärzten
anvertrauen, die ihr Handwerk in vivo gelernt haben. Aber bei den Pädagogen wurde
die Praxis abgeschafft" (POSSEMEYER 2004). Wenn die Lehrkraft erst einmal an
einer Schule praktiziert, muss sie immer noch häufig alleine entscheiden, handeln
und sein Handeln bewerten, auch wenn diese Struktur
Die Unkündbarkeit von
verbeamteten Lehrkräften macht sich in der Qualität ihrer Arbeit häufig bemerkbar.
BUEB, ein bekannter Kritiker des deutschen Erziehungswesens, vertritt die Meinung,
dass LehrerInnen kündbar sein sollten. SchulleiterInnen sollten das Recht haben,
LehrerInnen zu entlassen, die ihre Ziele nicht erreichen. In einer Firma würden
MitarbeiterInnen, welche die Anforderungen nicht erfüllen, auch gekündigt werden;
dies ist in Deutschland aber nicht immer möglich. „Einem Schulleiter bleibt nichts
anderes, als schlechte Lehrer aus der Schule herauszuekeln. Sie gestalten zum
Beispiel einen unerträglichen Stundenplan. Sie grüßen den Betroffenen nicht mehr.
Bis er oder sie aufgibt und geht. (…) Sie haben keine andere Chance. Sie können an
einer staatlichen Schule in Deutschland einen Lehrer nicht entlassen, weil er
schlechten Unterricht gibt oder Kinder ungerecht behandelt.“ (GEO Kompakt 2008).
Weiterhin schlägt er in dem Interview vor, dass die SchülerInnen anhand von nicht
anonymen Fragebögen die Qualität des Unterrichts der LehrerInnen beurteilen. Dies
51
ist eine gute Möglichkeit dem Ungleichgewicht der einseitigen Bewertung seitens
der
LehrerInnen
entgegenzuwirken und eine Transparenz gegenüber den
SchulleiterInnen zu erreichen. Diese sollten auf dieser Grundlage mit den
LehrerInnen ein jährliches Gespräch führen. Dies ist auch als eine Form der
Wertschätzung zu verstehen, an denen es Lehrkräften laut BUEB so mangelt (vgl.
GEO Kompakt 2008). Diese Vorschläge von BUEB werden inzwischen auch an
einigen Schulen umgesetzt.
4.1 Soziales Lernen und Bildung in der Schule
Bildung ist zur Zeit ein großes Thema, doch sind es hauptsächlich die mess- und
vergleichbaren fachlichen Kompetenzen, die in der aktuellen Debatte im Mittelpunkt
stehen. "Dies erstaunt umso mehr, als in der schulischen Praxis nicht zuletzt vor dem
Hintergrund bemerkenswerter gesellschaftlicher Veränderungen den überfachlichen
Kompetenzen von SchülerInnen in zunehmendem Maße Bedeutung beigemessen
wird - wie etwa die Einführung (und bisweilen kurz darauf folgende
Wiederabschaffung) der umstrittenen Kopfnoten zeigt. Mittlerweile sind auch die
überfachlichen Kompetenzen zu einem Thema für die Bildungsinstitution Schule
geworden, doch stehen die überfachlichen Kompetenzen im Dienste der fachlichen
Kompetenzen. Das bedeutet, dass den überfachlichen Kompetenzen nur in dem
Sinne eine Bedeutung zugemessen wird wie sie die Effizienz des schulischen
Unterrichts erhöhen sollen, somit als Mittel zum Zweck gefördert werden und nicht
die Persönlichkeitsförderung zum Ziel haben. Das Bedürfnis, selbst diese messen,
benoten und vergleichen zu wollen, entspricht dem Zeitgeist (vgl. ROHLFS et al.
2008, S. 12). Hier steht die Schule mit ihrem bewertenden Instrumenten vor einem
Problem. Auf der einen Seite werden immer mehr soziale Kompetenzen von den
SchülerInnen gefordert, auf der anderen Seite lässt sich diese Forderung nach der
Vermittlung sozialer Kompetenzen nur schwer in das aktuelle Schulsystem, das auf
Bewertungen aufgebaut ist, implementieren. Denn die Rechtfertigung der
Integration, so scheint es, wird nur dann akzeptiert, wenn sie messbare und
kontrollierbare Erfolge zeigt und genau dies lässt sich bei sozialer Kompetenz kaum
objektiv umsetzen. Eine Aufgabe der Mathematik kann richtig oder falsch gelöst
werden. Bei einer Klassenarbeit orientieren sich dann die Noten an der erreichten
Gesamtpunktzahl. Aber eine Bewertung der sozialen Kompetenz lässt sich nicht
52
kategorisieren und in ein Punktesystem einpassen und somit auch schwer bewerten
(vgl. Rohlfs et al. 2008, S. 12).
Vor allem von Auszubildenden werden später soziale Kompetenzen erwartet, denn
die Anforderungen des Arbeitsmarktes haben sich verändert, sie stellen zunehmend
neben Fachkompetenzen erhöhte Ansprüche an soziale Kompetenzen, wie z.B.
Teamfähigkeit, Kooperationsfähigkeit, Flexibilität, emotionale Belastbarkeit und
Kommunikationsfähigkeit von Schulabsolventinnen und Absolventen (vgl. ROHLFS
et al. 2008, S. 12).
Aktuell wurden von den Ausbildungsbetrieben folgende Defizite bei den
Auszubildenden zunehmend festgestellt und formuliert: Unpünktlichkeit, mangelnde
Gewissenhaftigkeit,
fehlende
Motivation
und
Verantwortungsbereitschaft,
vorhandene Ausdrucksfähigkeit und unzureichende Teamfähigkeit (vgl. ROHLFS et
al. 2008, S. 12). Viele dieser sozialen Fähigkeiten könnten und sollten im
Klassenverband und im Zusammenleben innerhalb der Institution Schule gelernt
werden. Ein altes Sprichwort besagt: "Das Zusammenleben wird nirgendwo gelernt,
doch alle sollten es können" (GROSSMANN 1987, S. 38).
Wenn die Schule auf die Zukunft vorbereiten will, sollte sie gerade in Anbetracht
zunehmender
Ausbildungs-
und
Jobschwierigkeiten
auch
auf
Persönlichkeitsentwicklung und die Vermittlung sozialer Kompetenzen setzen, denn
ein funktionierendes soziales Netz ist Gesundheitsprävention, schützt vor
destruktiven Einflüssen und gibt Lebensinhalt, gerade wenn äußere positive
Motivationen wegfallen (Erfolg im Job, Karriere, Anerkennung durch Leistung). Ein
positiv ausgestaltetes und erfüllendes Familienleben, Zusammenleben in anderen
Gemeinschaften, soziales Engagement oder andere sinn gebende Tätigkeiten, sie alle
setzen ein gewisses Maß an sozialen Kompetenzen voraus.
4.2 Motivation der SchülerInnen in der Schule
Eine gute Lernatmosphäre steigert die Motivation zum Lernen. "Faktenlernen
muss Hand in Hand gehen mit der Entwicklung der Schüler zur Harmonie. Ein
Schüler, der sich unwohl fühlt, hat es schwer, etwas zu lernen" (EDLING, KOLL 2004,
S. 9). Dieses Unwohlsein kann durch verschiede Faktoren begünstigt werden. Das
Gefühl einer mangelnden Unterstützung seitens der Lehrkräfte, keine FreundInnen in
53
der Klassengemeinschaft, hoher Lärmpegel und Unruhe während des Unterrichts,
Mobbing und Diskriminierung durch SchülerInnen und LehrerInnen sind nur einige
mögliche Ursachen. Auf den Aspekt von Mobbing und Diskriminierung werde ich
später noch eingehen.
Was die SchülerInnen lernen, ist abhängig davon, ob und was sie lernen wollen. Den
Unterricht zu „besuchen“ reicht nicht aus. Wenn die Motivation nicht das Lernen an
sich ist, sondern der angestrebte Abschluss oder ein Sitzenbleiben zu vermeiden, mit
dem geringsten möglichen Energieaufwand. sich etwas „wirklich“ beizubringen,
kostet Mühe und Zeit und konkurriert mit vielen leichteren Wegen, Spaß zu haben
oder Geld zu verdienen. Wenn Erkenntnis und Wissen in der Umgebung eines
Kindes nichts gilt und auch die LehrerInnen keine Faszination für ihr Fach entfachen
können fehlt es an Motivation, sich mühsam mit Inhalten auseinander zu setzen. Es
fehlt die Freude an der Sache.
LEWIN beschreibt zwei unterschiedliche Motivationstypen zum Handeln. Diese
lassen sich auch auf die Motivation zum Lernen übertragen, da Lernen auch als eine
Form des Handelns bezeichnet werden kann. LEWIN beschrieb diese bereits 1931,
jedoch haben sie nichts an Aktualität verloren, weswegen ich sie hier kurz
beschreiben möchte.
Der erste Motivationstyp beschreibt Motivation durch Druck von außen, der zum
Beispiel durch Strafandrohung geschaffen wird und der andere Motivationstyp
beschreibt den motivierenden Zug zum Ziel. Bei dem ersten Typ der Motivation wird
die Person getrieben durch die Vermeidung negativer Konsequenzen oder Strafe, bei
dem Versuch ein für ihn neutrales Ziel zu erreichen. Das kann dazu führen, dass das
individuelle Ziel der Person erst einmal Vermeidung der negativen Konsequenzen
lautet und sie versuchen wird, diesen auszuweichen. Dieses Verhalten führt aber
nicht unbedingt dazu, dass sie sich dem Ziel nähert (hiezu Abb. 10), da die Person
das Feld auch nach rechts und links verlassen könnte (z.B. durch Krankmeldung,
Schwänzen des Unterrichts oder andere Vermeidungsstrategien). Deswegen müssen
nach diesem Modell weitere Barrieren errichtet werden, die aus weiteren negativen
Konsequenzen oder Regeln bestehen, die dieses Ausweichen verhindern sollen (vgl.
STADLER 1988, S.49 ff.). Das Schema nach LEWIN (1931) stellt das durch
54
Strafandrohung motivierende Handeln dar. Eine Person (P) wird durch die negativen
Konsequenzen, dargestellt durch das linke Quadrat, dazu gebracht, sich auf das Ziel
(Z) hinzubewegen. Ein seitliches Ausbrechen wird durch die Begrenzungen
verhindert.
Abb. 10, Motivationsmodell 1 (STADLEr 1988, S.49 ff.)
Bei der anderen Version der Motivation wird die Person automatisch vom Ziel
angezogen. Das Ziel ist für die Person positiv besetzt, deswegen wird sie intrinsisch
motiviert sein, es zu erreichen. Dies muss nicht unbedingt auf direktem Wege
geschehen. Das Ziel hat positiven Aufforderungscharakter. So gewinnt die Person
das Gefühl autonom zu handeln (vgl. STADLER 1988, S.ff.).
Abb. 11, Motivationsmodell 2 (STADLER 1988, S. 49–51)
Die Person (P) bewegt sich von sich aus auf das Ziel (Z) zu. Sie folgt der
Attraktivität des Ziels. In diesem Sinne erweitert sich der Aufgabenbereich der
Lehrkraft auf die Motivation der SchülerInnen. Indem die SchülerInnen ihre eigenen
Chancen und Möglichkeiten erkennen, steigt auch ihre Motivation zu lernen (vgl.
STADLER 1988, S. 49 ff.).
Zusammenfassend lässt sich feststellen dass es Aufgabe der Schule und der
Lehrkräfte ist, ein gutes Klassenklima zu unterstützen, Motivation zu fördern, die
SchülerInnen und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen und Partizipation zu
ermöglichen.
55
4.3 Gewalt und Diskriminierung in der Schule
Gewalt hat viele unterschiedliche Formen und Ausprägungen: Physische und
psychische,
Diebstahl,
Vandalismus,
Mobbing,
Erpressung,
Lehrergewalt,
Bestrafung durch Eltern, usw.
Dass die Wahrscheinlichkeit von Gewalt mit vielen schulbezogenen Merkmalen von
Jugendlichen stark zusammenhängt, gilt mittlerweile als empirisch belegt. Zu diesen
Merkmalen gehören bei gewaltbereiten Jugendlichen "insbesondere schwache
schulische Leistungen, eine tiefe Leistungsmotivation, eine geringe Bindung an die
Schule, häufiges Schwänzen und geringe Aspirationen. Kurz: Gewalttätige
Jugendliche gehen nicht gerne in die Schule" (vgl. EISNER in RIBEAUD 2003, S. 194).
Die physische Gewalt hat in den letzten zehn Jahren nach einer Studie des
Bundesverbandes der Unfallkassen abgenommen. "Ein harter Kern von etwa fünf
Prozent der männlichen Schüler macht Klassenkameraden und Lehrern das Leben
schwer. Die Täter werden jünger und ihre Auseinandersetzungen härter. Neu ist der
Anstieg und der alltägliche Gebrauch verbaler Gewalt: Schülerinnen und Schüler
haben heute einen lässigeren und gehässigeren Umgangston als früher" (vgl. BEHN et
al. 2006, S. 9).
Verbale Gewalt bezieht sich in diesem Kontext auf Störungen im Unterricht,
Beschimpfungen unter SchülerInnen, hinter dem Rücken reden unter SchülerInnen,
wiederholtes Hänseln und Ausgrenzen von SchülerInnen. Diese verbalen Formen
und Rangeleien kommen bei 70-90 % der befragten Schulen einer Studie mehrmals
in der Woche vor. Weiterhin nannten 31% der Schulen Erniedrigung von
SchülerInnen, 29% körperliche Gewalt von SchülerInnen und 16% Bedrohung durch
SchülerInnen. 20 % der Schulen gaben an, dass Erpressung und Nötigung durch
SchülerInnen circa jeden Monat oder häufiger vorkommt. Das Vorkommen von
Diebstahl liegt bei 30% und Sachbeschädigung bei 49%. 69% der Schulen stellten
körperliche Gewalt mindestens jeden Monat fest (vgl. BEHN et al. 2006, S. 21).
Verbalattacken dagegen erleben vier Fünftel aller Schüler regelmäßig (vgl.
POSSEMEYER 2004).
Streitschlichterprogramme, Konfliktlösungsschulungen und Schülereinsätze für die
Gemeinschaft können Schulgewalt reduzieren. Vor allem aber fördern sie das soziale
Lernen.
56
Gehorsam und Aggression sind gleichsam alternative Strategien von Kindern. Auf
welche die Kleinen - unbewusst - zurückgreifen, hängt entscheidend vom Verhalten
der Eltern ab, denn wenn Kinder bereits im Elternhaus lernen, dass Aggression zum
Erfolg führt, werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit dieses Verhalten auch in der
Schule einsetzen. "Dass Aggression für Kinder tatsächlich zum Erfolg führt, wies
Patterson anhand von Interaktions-Analysen nach. Er wertete aus, wie oft Kinder ihre
Eltern davon abbringen, sie weiter mit einem Anliegen zu "behelligen". In „ZwangsFamilien“, die nach dem Prinzip Befehl und Gehorsam erziehen, erzielen Kinder in
rund 80 Prozent der Fälle Erfolg darin, ihr Anliegen durch Wutanfälle,
Trotzattacken, zuweilen durch Zurückschlagen durchzusetzen: Sie schaffen es, ihre
Eltern zur Aufgabe zu zwingen. In „Kooperativen Familien“ liegt die Quote genauso
hoch (vgl. KUCKLICK 2002). Das bedeutet, dass die Kinder aus „Kooperativen
Familien“ die gleichen Erfolge durch kooperatives Verhalten und ohne Aggression
erreichen. Die Verhaltensweisen, die die Kinder im Elternhaus erworben haben,
bringen sie als Startkapital mit in die Schule. Mit Gewalt und Diskriminierung
umzugehen und dafür die geeigneten Strategien einzusetzen, ist mittlerweile ein
Thema, dem sich die Lehrkräfte und SchulleiterInnen zuwenden müssen.
4.4 Schulsozialarbeit
In diesem Kapitel wird auf den Kontext von Schulsozialarbeit und der Förderung von
sozialen Kompetenzen bei SchülerInnen eingegangen. Zunächst wird die
Schulsozialarbeit in ihren Grundzügen beschrieben und anschließend wird auf ihre
Schwierigkeiten, ihre Bedeutung und ihre Möglichkeiten eingegangen.
Die vorhandenen Defizite im Schulbereich, sowohl die Wissensebene als auch die
Ebene der sozialen Kompetenzen betreffend (siehe Kapitel 4. und 4.1), werden schon
seit längerer Zeit diskutiert. Es gibt Vorschläge für eine grundsätzliche Schulreform
als Lösungsstrategie, die seit 30 Jahren bekannt ist aber nur an vereinzelten Schulen
realisiert wurden (vgl. HAFEN 2005, S. 11). Ein weiterer Versuch diesen Defiziten zu
begegnen, ist der Ausbau der Kooperation zwischen Schule und Sozialer Arbeit. In
Deutschland, hat in den letzten Jahren, die Bedeutung der Sozialen Arbeit in der
Schule zugenommen (HOLLENSTEIN 2000, TANNER 2003, in HAFEN 2005, S. 12).
57
Aufgaben und Modelle der Schulsozialarbeit
Schulsozialarbeit bietet ganz allgemein gesehen sozialpädagogische Beratung und
Einzelfallhilfe für SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern an. Schulsozialarbeit
unterstützt durch Berufsvorbereitungsmaßnahmen Kinder und Jugendliche und bietet
freiwillige Gruppenangebote für alle SchülerInnen der betreuten Schule an.
Schulsozialarbeit ist an der Schule verortet und sorgt für einen Auf- und Ausbau von
Vernetzungs- und Zusammenarbeitsstrukturen zwischen Jugendhilfe und Schule und
anderen Stellen, die erzieherische Aufgabenstellungen haben oder mit problembehafteten Kindern und Jugendlichen befasst sind. Es gibt keine grundlegende
Gesamtkonzeption von Schulsozialarbeit. Sie ist als Bestandteil in die Kinder- und
Jugendhilfe integriert, findet aber im SGB VIII keine eigene gesetzliche Grundlage.
Für
die
Schulsozialarbeit
lassen
sich
nach
SCHWENDEMANN
vier
unterschiedliche Modelle beschreiben (vgl. BASSARAK et al. 2008, S. 46–47). Das
Subordinationsmodell, das Kooperationsmodell und das Integrationsmodell. Alle drei
Modelle werden im Folgenden kurz erklärt.
Das Subordinationsmodell geht grundsätzlich von der These aus, dass
Schulsozialarbeit mit der Schule zusammenarbeiten muss, sich die Schulsozialarbeit
aber dem Handlungsauftrag der Schule unterordnet. Ihre Aufgabe ist bei diesem
Modell in erster Linie die Gewährleistung des reibungslosen Unterrichts bzw. der
schulischen Abläufe. Nach diesem Modell ist das Ziel der Schulsozialarbeit, "des
Kindes potentielle Stärken und Fähigkeiten für eine befriedigende effektive und
akzeptable Ausführung der Rolle des Schülers zu erreichen" (MAAS 1966, ABELS
1971 in DRILLING 2008, S. 181). Die SchülerInnen sollen sich möglichst gut an die
Institution und ihre Bedingungen anpassen, ohne dass diese selbst auf ihre
Funktionalität überprüft werden (vgl. BASSARAK et al. 2008, S. 48 ff.).
Bei dem Kooperationsmodell arbeiten Jugendhilfe und Schule intensiv zusammen.
Die Schulsozialarbeit ist in diesem Fall mehr als nur eine Hilfskraft. Die
Zusammenarbeit entspricht einer Symbiose zweier gleichberechtigter Akteure unter
Einbeziehung der unterschiedlichen Handlungsaufträge. Der reibungslose Ablauf des
Unterrichts ist nicht die Hauptaufgabe. Ein eigenständiger Handlungsauftrag am
Lebensort Schule wird verfolgt. Die Schulsozialarbeit verfolgt das Ziel,
Chancenungleichheit zu reduzieren und positive Aspekte einer Erziehung und
58
Sozialisation zu unterstützen (vgl. BASSARAK et al. 2008, S. 48 ff.). Für dieses
Modell formuliert DRILLING: "Schulsozialarbeit setzt sich zum Ziel, Kinder und
Jugendliche im Prozess des Erwachsenwerdens zu begleiten, sie bei einer für sie
befriedigenden Lebensbewältigung zu unterstützen und ihre Kompetenzen zur
Lösung von persönlichen oder sozialen Problemen zu fördern. Dazu adaptiert
Schulsozialarbeit Methoden und Grundsätze der sozialen Arbeit für das System
Schule" (DRILLING 2008, S. 181). Mit dieser Definition rückt DRILLING die
Persönlichkeitsentwicklung und Entwicklung zur Eigenständigkeit der SchülerInnen
ins Zentrum. Er geht davon aus, dass SchülerInnen die befähigt werden, ihre
Probleme selber anzugehen ihr Leben befriedigender gestalten können und auch eine
bessere Lernfähigkeit und Motivation entwickeln. Um dies zu erreichen, sieht das
Konzept von DRILLING eine enge Kooperation zwischen Schule und Jugendarbeit
vor. Auch die Zusammenarbeit und Mitwirkung aller, im Schulhaus und ihrem
Umfeld tätigen Personen trägt dazu bei, die Wirkung zu erhöhen. "Schulsozialarbeit
kann (…) nur so erfolgreich sein, wie die Schule in der sie angeboten wird, es
zulässt" (vgl. DRILLING 2008, S. 181).
Das Integrationsmodell strebt auch nach intensiver Zusammenarbeit und
Gleichberechtigung und ähnelt in seinen Grundzügen dem Kooperationsmodell. Es
kommt jedoch noch ein weiteres Ziel hinzu: langfristig auf eine Veränderung der
Schule
mit
mehr
sozialpädagogischen
und
sozialarbeiterischen
Elementen
hinzuarbeiten. Es wird eine Qualifizierung der Schule und eine Verschmelzung der
beiden Systeme, Jugendhilfe und Schule, angestrebt (vgl. BASSARAK et al. 2008, S.
48–51).
Nach OLK, BATHKE und HARTNUß (2000) lassen sich die bestehenden Programme
der Schulsozialarbeit auch nach Arbeitsinhalten systematisieren und einteilen (vgl.
BASSARAK et al. 2008, S. 52 ff.). Sie unterteilen die Schulsozialarbeit in einen
freizeitpädagogischen-, einen problembezogenen fürsorgerischen- und einen
integrierten sozialpädagogischen Ansatz.
Der freizeitpädagogische Ansatz hat alle SchülerInnen als Zielgruppe und ergänzt
das schulinterne Unterrichtsgeschehen durch Maßnahmen und Angebote der offenen
Kinder- und Jugendarbeit und beruht auf der Gesetzesgrundlage des § 11 SGB VIII.
Das Verhältnis zwischen Jugendhilfe und Schule ist in diesem Fall als Additiv zu
59
bezeichnen. Bei dem problembezogenen fürsorgerischen Ansatz ist das Verhältnis
additiv oder hierarchisch. Dieser Ansatz bezieht sich auf junge Menschen in
Problemsituationen auf der Grundlage des § 13 SGB VIII. Die Zielgruppe sind junge
Menschen mit sozialen Benachteiligungen oder individuellen Beeinträchtigungen.
Der integrierte sozialpädagogische Ansatz strebt eine Verknüpfung von einzelfallund gruppenbezogenen Probleminterventionen an. Das Angebot beinhaltet offene,
präventiv ausgerichtete Freizeit- und Betreuungsangebote und richtet sich an alle
SchülerInnen. Die Gesetzesgrundlage bilden § 11 und § 13 des SGB VIII. Intensive
Kooperationsbeziehungen prägen bei diesem Ansatz die Zusammenarbeit von
Jugendhilfe und Schule (vgl. BASSARAK et al. 2008, S. 52 ff.).
Schwierigkeiten in der Schulsozialarbeit:
Die Zusammenarbeit zweier unterschiedlicher Systeme, wie das Erziehungssystem
und das System der Sozialen Arbeit gestaltet sich nicht ohne Schwierigkeiten. Es
bestehen Unterschiede in der Struktur der beiden Bereiche, die miteinander
koordiniert werden müssen und die Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und
Fachleuten aus der Sozialen Arbeit ist nicht immer einfach. Die Vorstellung des
einen Systems in Hinblick auf die Aufgaben und Kompetenzen des Systems sind
unklar und auch bei der Selbstbeschreibung der beiden Systeme finden sich
„erhebliche theoretische und empirische Defizite.“ Beide Systeme haben
Schwierigkeiten die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis zu
transferieren (vgl. HAFEN 2005, S. 12).
Die Soziale Arbeit in der Schule wird zwar vermehrt in Anspruch genommen,
bekommt aber nur selten die Gelegenheit, ihre (sozial)pädagogische Kompetenz
einzubringen. Sie ist nach TANNER vielmehr oft ein "Pannendienst zur Behebung von
Funktionsdefiziten der Schule" (TANNER 2003, in HAFEN 2005, S. 12), der die
schwierigen SchülerInnen der Schule abnimmt, "ohne zur Beseitigung der Defizite
beizutragen, welche die "Störfälle" mitproduzieren" (vgl. HAFEN 2005, S. 12).
Die Herausforderung der Vereinbarkeit der beiden Systeme zeigt sich auch am
Beispiel
des
Angebotes
der
Beratung
durch
die
Schulsozialarbeit.
Die
Schulsozialarbeit verfolgt das Prinzip der Freiwilligkeit. Eine Beratung ist ein
60
offenes Angebot. Wenn wir nun das Ziel näher betrachten, in dem formuliert wird,
dass sich die Schulsozialarbeit mit SchülerInnen zusammensetzen soll, die den
Unterricht stören, aber gleichzeitige das Prinzip der Freiwilligkeit verfolgt, so zeigt
sich deutlich die Diskrepanz der beiden Ansprüche, denn SchülerInnen, die den
Unterricht stören, haben nicht automatisch die Einsicht der Notwendigkeit eines
Beratungsgesprächs
beim
zuständigen
SchulsozialarbeiterIn.
Eine
Lösungsmöglichkeit wäre die von GÖTZMANN vorgeschlagene Regelung, die
zwischen der Beratung und der Kontaktaufnahme einen Unterschied macht. So sollte
die Aufforderung der Lehrkräfte an SchülerInnen, den/die SozialarbeiterIn
aufzusuchen, mit Angabe des Grundes, als Verpflichtung gelten. Das bedeutet, dass
die SchülerInnen den/die SchulsozialarbeiterIn aufsuchen müssen, sich aber dann für
eine Beratung freiwillig entscheiden kann. Hier ist die Kompetenz der
SozialpädagogInnen gefragt, die Motivation der SchülerInnen für eine Beratung zu
aktivieren. Somit muss sie sich auf die Ziele des Jugendlichen einstellen und sollte
ressourcenorientiert arbeiten. GÖTZMANN hat hierbei bereits die Erfahrung gemacht,
dass die allermeisten Jugendlichen sich für eine Beratung entscheiden, da sie ein
eigenes Interesse daran haben, ihre Situation zu verbessern. Diese spezielle Form des
Angebots hat zum Ziel, dass Jugendliche sich mit ihrem Verhalten auseinandersetzen
und eigene Lösungswege entwickeln, die auf ihre individuelle Situation abgestimmt
sind und vor allem aus eigener Motivation heraus entstehen sollten. Wenn die
Jugendlichen es wünschen, können auch Lehrkräfte oder Eltern mit in das
Beratungsgespräch einbezogen werden. Dies kann hilfreich sein, da es den
Erwachsenen die Chance bietet, zu erkennen, dass die Jugendlichen selbst ihre
Situation verändern wollen und diese Einsicht dazu führen kann, ihre Sichtweisen in
ihrer Beziehung zu den Jugendlichen zu überdenken (vgl. GÖTZMANN 2008, S. 192).
Schlussfolgerungen
Im Zuge der Förderung von sozialen Kompetenzen und in Bezug auf die
Gewaltprävention ist es von entscheidender Wichtigkeit, dass die LehrerInnen bereit
sind zu kooperieren, ihre Position als AlleinkämpferInnen aufgeben und eine
partnerschaftliche
Zusammenarbeit
mit
SchulsozialarbeiterInnen
anstreben.
Evaluationen der Schulsozialarbeit in Deutschland und der Schweiz haben ergeben,
dass dieses Konzept des Kooperationsmodells die Ziele zur Gewaltprävention am
61
besten erreicht. Durch Offenheit und Vertrauen kann eine Verständigung über eine
einheitliche Haltung in der Schule erarbeitet werden (vgl. BAUMANN 2008, S. 186).
Schulsozialarbeit hat die Möglichkeit, durch ihre Integration in die Institution Schule
schnell und effektiv zu intervenieren. Sie kann die Schule, die Soziale Arbeit und die
Eltern mit ihrem Methoden und Handlungswissen unterstützen. Sie kann ein
niedrigschwelliges und freiwilliges Interventionsangebot für SchülerInnen, Eltern
und Lehrkräfte bieten. Weiterhin kann sie sich dafür einsetzten, dass Prävention als
Aufgabe
für
die
gesamte
Schule
ernst
genommen
wird,
denn
die
Auftrittswahrscheinlichkeit von Mobbing, aggressivem oder unsozialem Verhalten
an der Schule steht in kausalem Zusammenhang zu bestimmten Merkmalen in der
Schule, wie z.B. das soziale Klima oder das pädagogische Konzept (vgl. ROLAND
1999, GALLOWAY 2004, in MALTI et al. 2008, S. 218).
Die SchulsozialpädagogInnen können sich für die Umsetzung eines Peer
Mediationsprogrammes einsetzen, von dem alle SchülerInnen profitieren. Ein
Konfliktlösungstraining für alle SchülerInnen, in den Stundenplan integriert, könnte
einem Peer Mediationstraining in kleinen Gruppen ausgewählter SchülerInnen,
außerhalb des Unterrichts, vorausgehen, "Das Konfliktlösungstraining sollte dabei
unter anderem die Einstellung zu Konflikten, soziale Fähigkeiten, Selbsteinschätzung
bzgl. der Lösung von Konflikten und kooperatives Lernen thematisieren" (BEHN et
al. 2006, S. 45). In ein solches Programm können auch erlebnisorientierte Methoden
integriert werden (vgl. GILSDORF, VOLKERT 2004, S. 12–20).
4.5 Mediation in der Schule
Im Rahmen meiner Recherchen zur Diplomarbeit hat sich herausgestellt, dass eine
Kombination meines Konzeptes für Klassenfahrten zur Förderung sozialer
Kompetenzen bei Jugendlichen mit einem Mediationsprojekt in der jeweiligen
Schule, im Sinne der Nachhaltigkeit und zur Erhöhung der Transferleistung, Sinn
macht. Deshalb werde ich in diesem Kapitel auf Mediationsprojekte an Schulen
eingehen. Im Folgenden werde ich, nachdem ich die Grundsätze der Methode
beschrieben habe, zunächst die Vorteile schildern, die ein solches Projekt bringen
kann, um dann die weiteren Bedingungen zu schildern, die den Erfolg eines
Mediationsprojektes an Schulen ausmachen. Dabei beziehe ich mich auf die
62
bundesdeutsche Evaluation, die von BEHN, KÜGLER, LEMBECK, PLEIGER,
SCHAFFRANKE, SCHROER und WINK veröffentlicht wurde (vgl. BEHN et al. 2006).
Mediation bedeutet “Vermittlung” und ist ein Konfliktlösungsverfahren, das in den
USA entwickelt worden ist. Seit den 90er Jahren fand es zunehmend Verbreitung in
deutschen Schulen und kann in allen
Schularten eingesetzt werden (vgl.
MINISTERIUM FÜR KULTUR 2008, S. 42). Um die Qualität eines Mediationsverfahrens
zu gewährleisten, sollen die allgemein geltenden Grundsätze der Mediation
eingehalten werden. Diese Grundsätze gelten für jedes Mediationsverfahren: Ziel
einer Mediation ist immer eine Lösung, unter der Berücksichtigung der Interessen
aller beteiligten Konfliktparteien. MediatorInnen helfen den Konfliktparteien auf
dem Weg zu einer Lösung mit der beide Parteien einverstanden sind (vgl.
MINISTERIUM FÜR KULTUR 2008, S. 67–68).
Die Implementierung von Mediationsprojekten in Schulen kann unter bestimmten
Bedingungen erheblich zur Verbesserung von sozialen Kompetenzen bei
SchülerInnen und einem positiven Schulklima beitragen. Die Forschungsergebnisse
der Studien (siehe oben) haben den Erfolg solcher Projekte belegt. Sie zeigen, dass
sich an Schulen mit erfolgreich implementierten Projekten das Schulklima verbessert
hat. Die Zahl der Konfliktfälle insgesamt hat sich verringert, es ist zu einem
Rückgang von Gewalt gekommen und die Streit- und Konfliktkultur hat sich zum
positiven gewandelt (vgl. BEHN et al. 2006, S. 30 und S. 39 ff.). Indem die
SchülerInnen befähigt werden, einen Teil ihrer Konflikte eigenständig zu lösen,
entfällt dies dem Aufgabenbereich der LehrerInnen und diese können somit entlastet
werden (vgl. BEHN et al. 2006, S. 30).
Streitschlichter Konzepte oder Konfliktlotsenmodelle, bei denen SchülerInnen
in Mediation ausgebildet werden, sind divergent konzipiert. Sie unterscheiden
sich in folgenden Fragestellungen: Mediieren SchülerInnen sich gegenseitig in Form
einer Peer Mediation? Mediieren ausschließlich Lehrkräfte und PädagogInnen die
SchülerInnen
oder
werden
beide
Varianten
angewendet?
Sollen
StreitschlichterInnen und MediatorInnen von sich aus aktiv werden und auf die
Konfliktparteien zugehen oder nur auf Anfragen der SchülerInnen mediieren? Kann
63
eine Mediation seitens der Lehrkräfte angeordnet werden? Wie wird mit dem Prinzip
der Freiwilligkeit umgegangen? Werden alle an der Entscheidung für ein solches
Projekt und an dem Prozess beteiligten Personen (LehrerInnen, SchülerInnen, Eltern,
SchulleiterInnen, SchulsozialpädagogInnen) mit einbezogen oder entscheiden sich
nur einzelne Lehrkräfte oder SchulsozialpädagInnen für den Einsatz von Mediation?
Setzt der/die SchulleiterIn das Projekt ohne Partizipation des Lehrkörpers durch?
Hier wird deutlich wie vielschichtig die Möglichkeiten sind, ein Mediationsprojekt
an einer Schule umzusetzen.
Bei Peer Mediationen ist der Erfolg erwiesen. Peer Mediationen werden besser
angenommen als Mediationen von Erwachsenen für SchülerInnen. "Zwischen 85 %
und 95 % aller mediierten Schülerkonflikte kommen zu anhaltenden Übereinkünften
zwischen den Streitparteien" (vgl. BEHN et al. 2006, S. 39 ff.).
Möglichkeiten der Implementierung von Mediationsprojekten
Schule und Mediation sind in gewissem Sinne zwei unterschiedliche Systeme, in
denen unterschiedliche Regeln und Prinzipien gelten. Wenn eine Schule Mediation
implementiert, ist sie mit diesem Systemkonflikt konfrontiert. Im Umgang mit
diesem Konflikt lassen sich dabei mehrere Wege beschreiben, Mediationsprojekte
umzusetzen (vgl. BEHN et al. 2006, S. 30). Grundsätzlich kann man drei
Umgehensweisen beschreiben, die die einzeln für sich stehen, aber auch kombiniert
werden können.
a) Die Inselsituation. Das Mediationsprojekt steht für sich und ist nicht Teil eines
ganzheitlich angelegten Schulprojektes und somit nicht in alltägliche Prozesse der
Schule integriert. Die BegleitlehrerInnen müssen einen Rollenwechsel zwischen
Lehrtätigkeit und Mediationsprojekt vollziehen. Die Verantwortung liegt vollständig
bei den BegleitlehrerInnen. Bei einer solchen Umsetzung hat sich in Ergebnissen von
Studien gezeigt, dass die SchülerInnen in ihrer persönlichen Entwicklung von der
Ausbildung profitieren (vgl. BEHN et al. 2006, S. 30 ff.).
b) Schulmediation wird an das System Schule angepasst. Dies bedeutet eine
Einschränkung der Prinzipien der Mediation durch die Anpassung an die
Bedingungen
des
Schulsystems:
Freiwilligkeit,
Gleichberechtigung,
Selbstverantwortung, Anonymität, z.B. durch Benotung der Mediation oder wenn
64
SchülermediatorInnen grundsätzlich älter sein müssen als TeilnehmerInnen. Auch
hier zeigt sich nur eine geringe Effektivität (vgl. BEHN et al. 2006, S. 30 ff.).
c) Die Prinzipien der Schulmediation werden auf die gesamte Schule
angewendet. In langfristigen Prozessen werden strukturelle Veränderungen
angestrebt. Es wird ein Verständigungs- und Entwicklungsprozess mit allen
Beteiligten
begonnen,
in
dem
auch
die
Schulziele
definiert
werden.
Gewaltprävention und partnerschaftlicher Umgang werden in diesen Zielen
aufgenommen. Es gelten die Grundprinzipien einer konstruktiven demokratischen
Konfliktkultur auf allen Ebenen der Schule. Das Einzelkämpfertum der
LehrerInnen wird durch Zusammenarbeit in Teamstrukturen ersetzt (vgl. BEHN et al.
2006, S. 30 ff.).
Am erfolgreichsten haben sich, laut Studie, die Projekte erwiesen, die nach dem
letztgenannten Modell umgesetzt wurden. Der Bundesverband für Mediation hat eine
Reihe von qualifizierten Anregungen und Vorgaben erarbeitet, die für die
erfolgreiche Implementierung eines Schulmediationsprojektes von Bedeutung sind
(vgl. BEHN et al. 2006, S. 28).
4.5.1 Bedingungen für eine erfolgreiche Implementierung eines
Mediationsprojektes
Damit sich die Schule insgesamt entwickelt, müssen Konfliktbearbeitung,
Gewaltprävention
und
soziales
Lernen
ein
Gesamtkonzept
bilden.
Das
Mediationsprojekt ist dann Teil einer übergreifenden Veränderung der Schule. Die
Einbindung des Mediationsprojektes in das Schulprogramm ist einer der zentralen
Faktoren, um das Mediationsprojekt zu einem wichtigen Baustein des sozialen
Lernens und der Gewaltprävention zu machen (vgl. BEHN et al. 2006, S. 32).
Ein ganzheitlicher Ansatz bedeutet auf der praktischen Ebene, dass Fortbildung für
das gesamte Kollegium zum Thema Konfliktbearbeitung durchgeführt und im
Verlauf des Projektes fortgeführt werden. Auch die Einrichtung einer kollegialen
Beratung oder Supervision ist sinnvoll. Schulmediation muss in das Programm und
den Unterricht der Schule mit eingebunden sein. Die Zuständigkeit einer
Steuerungsgruppe für das Projekt hat sich als hilfreich erwiesen, genauso wie eine
65
Einbindung und gleichberechtigte Zusammenarbeit von SchulsozialarbeiterInnen und
Lehrkräften und eine allgemeine Förderung der Teamarbeit durch strukturelle
Veränderungen.
Die
Verknüpfung
verschiedener
Maßnahmen
im
Bereich
Konfliktbearbeitung (vgl. BEHN et al. 2006, S. 31 ff.).
Das Grundprinzip der Freiwilligkeit der Teilnahme an einer Mediation sollte
beibehalten werden. Bei den meisten Schulen wird laut der Studie von BEHN mit
diesem Grundsatzprinzip der Mediation gebrochen, wodurch Erfolgschancen
minimiert werden. Angefangen von einem einfachen "Schicken" durch eine
Lehrkraft, bis hin zu deutlich ausgeübten Druck durch entsprechende Sanktionen,
falls die Mediation von dem/der Betroffenen nicht angegangen wird. Mediation sollte
eine Konfliktlösungsmöglichkeit im Vorfeld von Sanktionen und schulischen
Ordnungsmaßnahmen sein (vgl. BEHN et al. 2006, S. 27).
Sanktionen lassen sich auch bei Schulen mit erfolgreich implementierten
Mediationsprojekten nicht vollständig aus der Schule verweisen. Dies müssen sie
auch nicht, doch bisherige Sanktionsformen sollten überdacht werden und das
Verhältnis zwischen Mediation und schulischen Sanktionsmaßnahmen sollte geklärt
werden. Mediation und Sanktion sollten als gleichwertige Instrumente nebeneinander
installiert werden, um den Grundsatz der freiwilligen Inanspruchnahme der
Mediation aufrechtzuerhalten: Nicht Mediation statt Sanktion, sondern Mediation
und Sanktion. Wichtig ist eine Verständigung im Kollegium darüber, welche
schulischen Strategien zur Bearbeitung von Konflikten in welchen Situationen zum
Einsatz kommen (vgl. BEHN et al. 2006, S. 35).
Die Akzeptanz bei Mediationsprojekten gehört zu den zentralen Bedingungen für ein
Gelingen, wie die Studie belegt. Die Schulleitung sollte als Moderations- und
Koordinationsstelle vor allem in der Einführungsphase eines Mediationsprojektes,
stark in Erscheinung treten (vgl. BEHN et al. 2006, S. 25). Bei der Zusammensetzung
des Mediatorenteams sollte darauf geachtet werden, dass die gesamte Schülerschaft
in Hinblick auf Alter, Geschlecht und Herkunft bei der Auswahl der Mediatorinnen
repräsentiert wird (BEHN et al. 2006, S. 36).
66
4.5.2 Mediation und Schulsozialarbeit
"Die Zusammenarbeit mit der Schulsozialarbeit kann als ein strukturell verankerter
Ansatzpunkt bezeichnet werden. Der Kooperation von Schule und Schulsozialarbeit
kommt für die erfolgreiche Durchführung eines Mediationsprojektes besondere
Bedeutung
zu.
Insbesondere
die
hauptverantwortliche
Zuständigkeit
und
Koordinationsfunktion der SchulsozialarbeiterInnen für ein Mediationsprojekt wird
als sinnvoll und gewinnbringend erachtet, da sie aus Sicht der SchulvertreterInnen im
Vergleich zum Lehrpersonal viel eher die Möglichkeit haben, ein solches Projekt in
ihr Aufgabengebiet zu integrieren. Damit ist auch gemeint, dass sozialpädagogische
Fachkräfte,
bedingt
durch
ihre
Profession
und
Qualifizierung
mit
dem
Themenbereich, vertrauter sind und zu dessen Bearbeitung auf andere Methoden
zurückgreifen können als LehrerInnen" (BEHN et al. 2006, S. 113). Eine Anbindung
der Schulsozialarbeit an das Mediationsprojekt erwies sich als hilfreich für das
Gelingen von Mediationsprojekten (vgl. BEHN et al. 2006, S. 111). Weiterhin hatte
sich gezeigt, dass sich Mediationsprojekte, die von SchulsozialarbeiterInnen begleitet
wurden, durch eine besondere Kontinuität und Verlässlichkeit auszeichneten. Die
Einbindung der Schulsozialarbeit bietet weitere Vorteile für die Umsetzung des
Projektes. Die BegleitlehrerInnen können sich mit den SchulsozialarbeiterInnen
besprechen und die SchulsozialarbeiterInnen können Hilfestellung bei der
Ausbildung der SchülermediatorInnen geben. Sie können Fälle übernehmen, bei
denen die Mediation nicht erfolgreich war und diese klären oder Fälle übernehmen,
die von vornherein zu schwierig für eine Schülermediation sind und sie können die
SchülermediatorInnen beraten (vgl. BEHN et al. 2006, S. 108).
67
5. Klassenfahrten auf Traditionsseglern
In diesem Kapitel wird zuerst die Geschichte des Lernens auf See geschildert.
Weiterhin wird auf eine Differenzierung des Programmangebotes eingegangen, das
„klassische Sailtraining“ als Beispiel des Lernens auf See beschrieben und durch ein
Beispiel des Traditionsseglers „Thor Heyerdahl“ veranschaulicht, um anschließend
die Bedingungen und die Situation von Klassenreisen auf dem Islemeer darzustellen
und spezielle Lernfelder auf Traditionsseglern darzulegen.
5.1 Die Geschichte des Lernens auf See
Das Segeln mit Traditionsseglern zu Ausbildungszwecken hat eine lange Tradition.
Früher wurden alle Angehörigen der Marine auf den Segelschulschiffen des Militärs
ausgebildet, wie zum Beispiel auf der „Gorch Fock“, einem Traditionssegler der
Bundesmarine. Später entdeckte KURT HAHN das pädagogische Potenzial einer
Segelreise; sein Programm orientierte sich stark an den von ihm entwickelten
„Outward Bound“5 Prinzipien6. „Outward-Bound“ bedeutet: Ein Schiff ist für die
große Fahrt bereit und wird in diesem Kontext als Metapher verwendet. Die
Jugendlichen sollen auf die Fahrt ins Leben vorbereitet werden. Die Prinzipien, die
KURT HAHN prägte, waren: Das körperliche Training, der Rettungsdienst, das
Projekt, die Expedition und bei Programmen auf See, die Seemannschaft. KURT
HAHN nannte es „Erziehung durch die See“. "Nicht um das Segeln und seinen
Selbstzweck geht es, sondern das Segeln wird zum Medium, mit dem pädagogisch
auf aktuelle Jugendprobleme reagiert wird" (vgl. ARBEITSGEMEINSCHAFT SEGELN
MIT KINDERN, JUGENDLICHEN UND JUNGEN ERWACHSENEN
(Hg.) 1987, S. 21).
Bereits 1980/81 gründete sich die erste Arbeitsgemeinschaft „Segeln mit Kindern,
Jugendlichen und jungen Erwachsenen“ an der Hochschule Lüneburg unter der
Leitung von DR. J. ZIEGENSPECK. Sie hatten sich zur Aufgabe gemacht, das Segeln
auf seine persönlichkeitsbildende Bedeutung hin zu untersuchen. Es gelang ihnen
5
6
Outward Bound“ ist ein Verein, der im Jahre 1914 mit der Gründung einer Schule in Wales, durch Laurence
Holt und Kurt Hahn seinen Anfang nahm. Ziel war es, mit Methoden des ganzheitlichen und
handlungsorientierten Lernens, die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen zu fördern.
Die „Outward Bound“ Prinzipien beziehen sich auf die von Kurt Hahn formulierten Faktoren zur
Förderung der Persönlichkeit und den Verfall der Werte. Siehe auch Kapitel 7.3.1
68
kurz darauf, ein Schulungsschiff anzuschaffen und als besonders förderungswürdiger
Träger der Jugendhilfe auf Landesebene anerkannt zu werden. Dennoch galten
pädagogische Segelaktivitäten noch lange als randständig. Anknüpfungspunkt einer
Diskussion über die Kurzzeitpädagogik waren die damals bekannten „Kurzschulen“
KURT HAHNs.
Früher herrschte auf Schiffen ein eindeutiges hierarchisches System von Befehl und
Gehorsam. Dies wird auch heutzutage noch häufig auf Schiffen praktiziert und oft
mit der Zweckdienlichkeit legitimiert. Auch auf manchen pädagogischen Segelreisen
haben solche Kapitäne7 die Befehlsmacht. Oft wird die Seefahrt noch von
jahrhunderte alten Traditionen beherrscht und durch die Kapitäne8 der „alten“ Schule
aufrechterhalten. Inzwischen hält eine neue Schiffsführergeneration Einzug. Gerade
auf dem Islemeer trifft man immer mehr junge Schiffsführer auf Traditionsseglern,
die nicht dieser „alten“ Seefahrtsschule entstammen. Nach der „alten“ Schule wurde,
wenn der Maat9 die Kommandos über Deck brüllte, ganz im Sinne von Befehl und
Gehorsam, ein korrektes Ausführen der Kommandos erwartet Ein grundsätzliches
Verstehen des eigenen Handelns seitens der Mannschaft, wurde nicht verlangt.
Früher gab es gewichtige Gründe für das zurückhalten von fachlich seemännischen
Informationen und nautischen Kenntnissen10 an Bord. Der Kapitän versuchte die
Mannschaft nicht mehr als nötig zu qualifizieren, um seine eigene Autorität zu
wahren und einer Meuterei11 vorzubeugen (vgl. STADLER 1988, S. 36 ff.).
M. STADLER beschreibt auch eine alternative Handlungsweise, die auf die
Persönlichkeitsentwicklung der Mannschaftsmitglieder abzielt: Er bezieht sich zum
Beispiel auf das Kommando „Auffieren12“, was eine Veränderung der Segelstellung
meint. Der/Die WachführerIn könnte zu dem Mannschaftsmitglied hingehen und ihm
die Situation erläutern, so dass es dem Crewmitglied möglich ist, den
7
8
9
10
11
12
Ich möchte an dieser Stelle anmerken das es früher in der Seefahrt keine Frauen in der Seefahrt gegeben hat. Es
hieß sogar, dass Frauen an Bord Unglück bringen. Da es damals keine Kapitäninnen gab verwende ich bei
Beschreibungen der „alten“ Seefahrt nur die männliche Form.
KapitänIn bezeichnet die SchiffsführerIn; Jemand, der befähigt ist, ein Schiff unter Einbeziehung
von geographischen, meteorologischen und hydrologischen Bedingungen zu führen und zu steuern
Die MaatIn leitet die Kommandos an die Mannschaft weiter und ist für die sachgemäße Ausführung
verantwortlich.
nautische Kenntnisse bezeichnen das Wissen über das Führen eines Schiffes auf See.
Eine Meuterei ist eine Revolte der Schiffsbesatzung gegen die Schiffsführung und den
Kapitän die, die Übernahme des Schiffes zum Ziel hat.
Auffieren oder Fieren bedeutet „Lose“ geben. In diesem Fall ist das Lockern des Seiles gemeint welches
die Segel an ihrer Position fixiert.
69
Zusammenhang und den Sinn des Befehls zu verstehen. Das „Auffieren“ ist wichtig
für einen guten Trimm13 , denn dadurch gewinnt das Schiff an Geschwindigkeit.
Weiterhin könnte er bei Interesse erklären, was einen guten Trimm ausmacht. So
könnten die Crewmitglieder das nächste Mal selbst die Notwendigkeit zum Handeln
erkennen und eine Trimmveränderung in Form von „Auffieren“ vorschlagen. Es gibt
auch die Möglichkeit, wenn es die Wetterbedingungen zulassen, die Crewmitglieder
den besten Trimm selber herausfinden zu lassen, indem sie verschiedene Arten des
Trimms ausprobieren und mit Hilfe des GPS14, an dem sie die Geschwindigkeit des
Schiffes und die Abdrift15 berechnen können, ihren Erfolg überprüfen können (vgl.
STADLER 1988, S. 36 ff.). Um dies umsetzten zu können, muss bei den
BefehlsgeberInnen, der MaatIn und der KapitänIn, die Bereitschaft vorhanden sein,
diese Möglichkeiten im Sinne von pädagogischen Zielen zu nutzen.
Je besser der Mannschaft Zusammenhänge und Notwendigkeiten erklärt werden,
desto mehr fühlt sie sich eingebunden. Neben der sachlichen Anerkennung durch die
Autoritäten
dürfte
eine höhere persönliche Anerkennung
die Folge sein.
Veränderungen bei Wind, Welle, Untiefen und anderem Wasserverkehr bedingen in
bestimmten Situationen den unmittelbaren Vollzug bestimmter Tätigkeiten, z.B.
Auffieren – damit die Fahrt verringert oder der Kurs geändert werden kann. Ist der
Mannschaft dieses Manöver vorher erklärt worden, kann sie mitdenken und bei
auftretenden
Krisensituationen
entsprechend
handeln.
Insgesamt
würde
eine„einbezogene“ Mannschaft für alle Tätigkeiten höhere Qualifikationen erreichen
und als Resultat auch motivierter arbeiten. Eine weitere Folge dürfte ein Anwachsen
des Selbstwertgefühls sein.
5.1.1 Darstellung eines „klassischen“ Sailtrainings am Beispiel des
erlebnispädagogischen Konzeptes der Thor Heyerdahl.
Zum Vergleich möchte ich in Auszügen das Konzept des Dreimast-Traditionsseglers
„Thor Heyerdahl“ vorstellen. Das pädagogische Konzept der „Thor Heyerdahl“
wurde von der „pädagogischen Werkstatt“ der Universität Lüneburg ausgearbeitet.
Zielgruppe sind Jugendliche und junge Erwachsene. Da zu diesen Projekten
13
Als Trimm werden die Einstellungen der Segel und die Verlagerung des Gewichtes
bezeichnet die die Geschwindigkeit beeinflussen.
14
Ein technisches Gerät zum bestimmen der Position und der Geschwindigkeit.
15
Durch die Segelstellung und den Kurs beeinflusste Seitwärtsbewegung des Schiffes.
70
zahlreiche Veröffentlichungen erschienen sind, möchte ich diese Konzeption nicht
ausführlich darstellen. Es sind noch weitere Schiffe in Fahrt, die nach diesen oder
ähnlichen Konzepten des „Sailtrainings“ arbeiten. Die gemeinsamen Schwerpunkte
dieser Konzepte sind: Das Erlernen der traditionellen Schifffahrt und das Vorbild
guter Seemannschaft16. Diese Konzepte beruhen auf den reformpädagogischen
Ansätzen KURT HAHNS. Er beschrieb diese Ziele einst als „Erziehung durch die See“.
Als Ziel der Reise nach dem Konzept für die „Thor Heyerdahl“ wird die
Schiffsübergabe an die Jugendlichen am letzten Tag angestrebt, bei welcher die
SchülerInnen das Schiff eigenständig führen sollen. Mit jedem Tag nehmen die
TeilnehmerInnen die Aufgaben auf dem Schiff mehr und mehr selber in die Hand,
bis sie zum Ende der Fahrt das Schiff führen können. Sie wählen KapitänIn,
RudergängerIn, MaschinistInnen, WachführerInnen usw. und sollen versuchen, ein
vorgegebenes Ziel eigenständig zu erreichen. Ziel der Schiffsübergabe ist es, dass die
Jugendlichen
lernen,
durch
die
erworbenen
Qualifikationen
ihre
Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Dies ist eine wichtige Vorraussetzung für "die
Entwicklung von Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein und für das, so genannte,
Eigenmachtserleben" (STADLER 1988, S. 39). Unter Eigenmachtserleben versteht
man das Gefühl, seine Umwelt beeinflussen und in gewissem Maß kontrollieren zu
können. "Wer sich von außen kontrolliert fühlt und seine Handlungen als Reaktion
auf andere begreift, sieht keinen Grund dafür, die Verantwortung für seine
Handlungen auch zu übernehmen" (vgl. STADLER 1988, S. 39).
Auf der „Thor Heyerdahl“ dauert ein Törn meist nur zwei Wochen. Die meisten
Fahrten finden auf der Ostsee statt. Es wird in Wachen gefahren17. Vier Stunden sind
eine Wache. Wachwechsel ist um 00:00 Uhr, 4:00 Uhr, 8:00 Uhr und 12:00 usw.,
solange das Schiff sich in Fahrt befindet oder vor Anker liegt, wird Wache gegangen.
Die SchülerInnen dürfen sich nicht aussuchen mit wem sie in einer „Wache“ sein
wollen. Die Einteilung erfolgt aufgrund der Belegung der Kammern (Zimmer), da
sich sonst schlafende und wachende TeilnehmerInnen gegenseitig stören würden.
Um die Grundelemente von KURT HAHN zu vervollständigen, wurde das „Run and
Dip“ zu einem Teil des körperlichen Trainings und zusätzlich zu den Arbeiten an
16
Seemannschaft umfasst letztendlich alles, was der Mensch können und wissen muss,
um sich mit einem Schiff auf See zu begeben
17
Die Mannschaft an Bord wird in Wachen (Gruppen) eingeteilt die zu unterschiedlichen
Zeiten für den Dienst an Deck zuständig sind.
71
Bord hinzugefügt: Die SchülerInnen rudern an bestimmten Tagen morgens vor dem
Frühstück an Land, um dort zu joggen und anschließend ins Wasser zu gehen, bevor
sie zum Frühstück an Bord zurückkehren. Bei der ersten Durchführung dieser Aktion
auf einer Reise ist es Pflicht für jeden SchülerInnen, mit an Land zu kommen, bei
allen folgenden Angeboten von „Run and Dip“ herrscht das Prinzip der
Freiwilligkeit.
5.1.2 Eine Differenzierung der Angebote auf Traditionsseglern
Die Angebote von Segelreisen für Jugendliche sind vielfältig, was den Schiffstyp,
das Fahrtgebiet, die Dauer der Reise und die angesprochenen Zielgruppen betrifft.
Eine wichtige Rolle spielt auch, ob die Schiffe von einem Verein oder gewerblich
betrieben werden. Die meisten Schiffe, die unter deutscher Flagge fahren, werden
von gemeinnützigen Vereinen betrieben (vgl. BREIG 2006), die sich in der
Vereinsorganisation und im Vereinskonzept unterscheiden können. In den
Niederlanden
sind
die
Schiffe
meist
gewerblich
betrieben
und
somit
gewinnorientiert. Die Angebote auf den Traditionsseglern umfassen unter anderem
Klassenfahrten, Bildungsreisen, Resozialisierungs-Projekte, interkulturelle Projekte
und Reisen mit therapeutischem Charakter. Manche Projekte beinhalten nicht nur
das Leben und Segeln an Bord, sondern auch die Pflege und Instandhaltung des
Schiffes, Reparaturarbeiten und Werftzeiten. Es sind auch Angebote auf Jollen18 und
anderen kleinen Booten zu finden, jedoch möchte ich mich im Kontext dieser Arbeit
auf die großen Schiffe beschränken, denen es möglich ist, ganze Schulklassen
aufzunehmen.
5.2. Beschreibung der Situation einer Klassenfahrt auf einem
Traditionssegler in den Niederlanden
Zu dem Thema des klassischen „Sailtrainings“ an Bord von Traditionsseglern ist viel
Literatur erschienen und auch Diplomarbeiten beschäftigen sich mit diesen
Konzepten. Deshalb werde ich an dieser Stelle auf eine ausführlichere Darstellung
18
Kleine offene Segelboot ohne Wetterschutz
72
verzichten und werde in diesem Kapitel die spezielle Situation der Traditionssegler
beschreiben, welche Klassenfahrten in den Niederlanden anbieten.
Zu diesem Kapitel ist noch keine Literatur vorhanden und somit stütze ich mich auf
meine eigenen Beobachtungen und Erfahrungen, sowie auf die Informationen aus
den Gesprächen mit LehrerInnen, SchülerInnen, SchiffsführerInnen und MaatInnen.
Ich habe selber als Maatin auf Traditionsseglern in unterschiedlichen Fahrtgebieten
gearbeitet. Um die Aussagen und Thesen zu belegen, müsste eine empirische Studie
der Situation der Traditionssegler durchgeführt werden, die im Umfang meiner
Diplomarbeit nicht zu leisten ist. In den Fallbeispielen beziehe ich mich auf eine
Klassenfahrt auf der „Ambiance“, die im Sommer 2008 stattgefunden hat und die
stellvertretend für andere Schiffe und Klassenfahrten stehen kann, da die Struktur
und die Bedingungen auf den Schiffen ähnlich sind.
5.2.1 Traditionssegler auf dem Islemeer
Die Besatzung: Die meisten Traditionssegler, die Fahrten für Klassenreisen
anbieten, fahren mit einer SchiffsführerIn und einer MaatIn als Besatzung. Nicht
selten sind die KapitänInnen auch gleichzeitig der/die EignerIn des Schiffes. Die
MaatInnen bleiben üblicherweise mindestens eine Saison auf dem gleichen Schiff.
Sie wohnen, genauso wie der/die KapitänIn, an Bord und sind für alle technischen
und seemännischen Handlungen und den Unterhalt des Schiffes verantwortlich. Es
gibt ungefähr 550 Traditionssegler
in den Niederlanden, die Reisen auf
Traditionsseglern anbieten (VERENIGING
VOOR BEROEPSCHARTERVAART
(BBZ)
15.02.2009).
Das Fahrtgebiet bezieht sich auf die niederländische Küste und ihre zahlreichen
Inseln. Die meisten Segler fahren nachts nicht, dies macht eine sonst übliche
Wacheinteilung der Mannschaft auf 24 Stunden überflüssig. Wenn nur tagsüber
gefahren wird, wird die Mannschaft in zwei oder drei Gruppen eingeteilt, die im
Wechsel von sechs oder vier Stunden für den Schiffsbetrieb Rudergehen19, Ausguck
gehen20 und für die Segelführung zuständig sind. Sie müssen während dieser Zeit
19
20
Das Schiff steuern.
Nach Gegebenheiten Ausschau halten die dem Schiff gefährlich werden könnten oder für die Navigation
wichtig sind, wie z.B. andere Schifffahrzeuge, Leuchttürme, Landmarken, Tonnen, Untiefen, etc.
73
diese Aufgaben übernehmen und unter Anleitung der MaatIn ausführen.
Ausgenommen sind hierbei Manöver, bei denen alle Mannschaftsmitglieder
gebraucht werden; bei solchen Manövern müssen alle mithelfen.
Die Positionen der Schiffsführung werden bei Fahrten dieser Art nicht abgegeben,
dies unterscheidet sie auch vom „Sailtraining“. Die Besetzung des Funkgerätes,
Ausguck in schwierigen Situationen,
Anleitung in Erster Hilfe, Übung von
vorbereiteten und unvorbereiteten „Mensch über Bord Manövern“ werden nicht mit
SchülerInnen durchgeführt oder an SchülerInnen abgegeben - ausgenommen ist das
Rudergehen unter Aufsicht bei guter Sicht und außerhalb von Fahrwassern21.
Weiterhin finden bei diesen Fahrten keine Expeditionen statt, da die meisten Schiffe
kaum noch Beiboote mit sich führen und weil die Betreuung der SchülerInnen nicht
gewährleistet werden kann.
Im Gegensatz zu den Traditionsseglern auf der Ostsee, die unter deutscher Flagge
fahren und oft einen gemeinnützigen Verein als Träger haben, sind die Schiffe in den
Niederlanden als Unternehmen strukturiert, das Gewinn abwerfen muss und nicht
von staatlichen Fördergeldern profitieren kann. Dies mag einer der Gründe sein,
weshalb der Schiffsbetrieb in Holland, in finanzieller Hinsicht effizienter
ausgerichtet ist. Dies bedeutet für die SchiffsbetreiberInnen, möglichst viele Tage im
Jahr zu fahren: Wenn eine Gruppe von Montag bis Freitag fährt und Freitag morgen
abreist, wird das Schiff ab Freitag nachmittag schon wieder verbucht. Pädagogische
Konzepte sind bei diesen Reisen meistens nicht vorgesehen. Für die Umsetzung
fehlen den SchiffsführerInnen und MaatInnen auch die zeitlichen Kapazitäten.
Ein Schiff zu führen, bedeutet immer auch Menschen zu führen. Nun sind die
KapitänInnen zwar für die Seefahrt ausgebildet,
jedoch pädagogisch und
methodisch, in Anbetracht der Vermittlung von Inhalten und Gruppenleitung, in der
Regel nicht.
Die Schiffe, so wie sie auf dem Islemeer ausgestattet sind, lassen sich auch zu zweit
bedienen. Im Gegensatz zu anderen Traditionsschiffen, wie z.B. der „Thor
Heyerdahl“, bei denen, aufgrund ihrer Konstruktion der Takelage22, die ganze
21
22
Fahrwasser: Eine durch Signalzeichen gekennzeichnete Seeschiffartstraße.
Allg. Bezeichnung für Masten, Stengen, Rahen sowie deren sichernde und stützende Elemente
74
Mannschaft für ein Manöver gebraucht wird und keiner zusehen kann, muss in
diesem Fall explizit darauf geachtet werden, dass jeder/jede TeilnehmerIn eine
Aufgabe bekommt und mit eingebunden wird.
5.2.2 Die Situation auf dem Schiff
Die Situation auf dem Schiff ist durch besondere Gegebenheiten gekennzeichnet, die
in diesem Kapitel beschrieben werden sollen.
An Bord befinden sich mit SchiffsführerIn, MaatIn, LehrerInnen und SchülerInnen
circa 35 Personen. Die Größe des Schiffes ist unterschiedlich, wobei die meisten eine
Schifflänge von ungefähr 39 Metern über Deck23 aufweisen. Die übliche Reisedauer
für Klassenfahrten in den Niederlanden liegt zwischen 5 und 10 Tagen.
.
Meistens laufen die Schiffe morgens um 10:00 Uhr aus und am frühen Abend wieder
in einen Hafen ein. Mit dem sicheren Erreichen des Liegeplatzes im Hafen endet die
Programmgestaltung und Zuständigkeit der Schiffsbesatzung für die Schüler. Die
SchülerInnen haben „Freizeit“, gehen an Land, um einzukaufen, Eis zu essen oder
baden zu gehen. Bei älteren SchülerInnen ist bei Landgängen auf manchen Reisen
teilweise intensiver Alkoholkonsum zu erwarten.
Trotz einer hervorragenden Basis für erlebnispädagogische Elemente und
Auswertungen, bleiben die auftretenden Konflikte an Bord meist unbearbeitet und
unreflektiert, da die Implementierung eines pädagogischen Konzeptes fehlt.
Wind und Wetter:
Das Leben an Bord und auf See wird maßgeblich vom Wetter beeinflusst. Welcher
Hafen als nächstes angelaufen wird, wird vom Wind mitbestimmt. Ein Segelschiff
braucht bestimmte Wind- und Wetterbedingen, um an sein geographisches Ziel zu
kommen.
Das Wetter lässt sich auch trotz moderner Technik nicht genau
hervorsagen und der Reiseverlauf muss immer wieder den Wetterbedingungen
angepasst werden. Zwar haben die Schiffe alle starke Motoren, doch jede unter
Maschine gefahrene Seemeile nimmt den „Flair“ des Segelns, lautlos, ohne
23
Der oberste voll begehbare Abschluss des Schiffsrumpfes
75
Maschinenkraft, übers Wasser zu fahren. Bei starkem Wellengang können einige
seekrank werden, der Reiseverlauf muss der Belastungs- und Leistungsfähigkeit der
Mannschaft angepasst werden.
Ressourcen:
Ein Vorrat an Lebensmitteln, Treibstoff, Wasser und elektrischer Energie befindet
sich nur in begrenztem Maße an Bord, abhängig von den Speicherkapazitäten, der
Größe der Tanks und der Leistung der Generatoren etc. Das Auffüllen der
Ressourcen muss bei der Routenplanung berücksichtigt werden. Viele Schiffe
verfügen über Elektrizität, Gasherd, Kühlschrank, Duschen, Toiletten mit
Wasserspülung etc. Einige haben mittlerweile auch eine eigene Waschmaschine an
Bord. Somit ist die Herausforderung der Versorgung nicht mehr besonders hoch und
auch die Einschränkungen im technischen Bereich auch eher gering; häufig hat man
sogar Handyempfang und auch das Aufladen der Handys an Bord stellt kein Problem
dar. Die ständige Anwesenheit der Küste vermittelt ein Sicherheitsgefühl welches
bei weiten Fahrten über das offene Meer nicht gegeben ist. Es kann fast zu jeder Zeit
ein Hafen angelaufen werden.
Der Aufenthalt an Bord bedeutet eine Einschränkung des gewohnten Lebensraumes
durch
das
begrenzte
Platzangebot.
Daraus
ergeben
sich
mangelnde
Rückzugsmöglichkeiten und damit zusätzliche Anforderungen an das soziale
Gruppenleben, denen sich keiner entziehen kann. Ein Schiff auf See stellt es ein
eigenes geschlossenes System dar, da es nicht einfach verlassen werden kann!
Das Leben und Segeln auf dem Wasser erfordert umsichtiges und vorausschauendes
Handeln, um die Sicherheit aller an Bord befindlicher Personen zu gewährleisten.
Bei den Segelmanövern müssen viele Menschen, zum Teil bis zu 30 Personen, gut
koordiniert zusammenarbeiten. Dies ist eine große Herausforderung, die pädagogisch
genutzt werden kann.
Nicht zu vergessen, ist natürlich auch das traditionelle Flair, welches den Aufenthalt
auf einem Traditionssegler mit sich bringt. Die Seefahrt hat eine lange
jahrhundertlange Tradition, aus der viele Lieder und Geschichten hervorgegangen
sind.
76
5.2.3 Die soziale Situation auf dem Schiff
Das Schiff kann als soziales System betrachtet werden, das sich aus diversen
Systemelementen zusammensetzt, die wechselseitig interdependent sind (vgl.
GROSSMANN 1987, S. 9). Während dieser Klassenfahrt auf einem Traditionssegler
setzen sich die Systemelemente wie folgt zusammen: SchiffsführerIn, MaatIn und die
Mannschaft, die in diesem Fall durch die Klasse und die BegleitlehrerInnen
repräsentiert werden. GROSSMANN schreibt in Bezug auf das soziale System an Bord:
"Das Aneignen des Rüstzeuges für den Umgang mit anderen kommt im
Schiffsbetrieb besondere Bedeutung zu, zumal ja eine Flucht vor persönlichen
Konflikten mit anderen nicht realisierbar ist" (GROSSMANN 1987, S. 25).
Das Hierarchische System an Bord. Die Hierarchie an Bord sollte immer auf den
Kompetenzen der RolleninhaberInnen beruhen und primär auch durch diese
legitimiert werden. Der SchiffsführerIn trägt laut Gesetz die gesamte Verantwortung
für die Sicherheit aller an Bord befindlichen Personen und muss im Ernstfall auch die
rechtlichen Konsequenzen tragen. Es gibt Situationen auf See, in denen schnell
Entscheidungen getroffen und Handlungsanweisungen an die Mannschaft gegeben
werden müssen. Diese Handlungsanweisungen werden von dem/der SchiffsführerIn
bekannt gegeben und durch den/die MaatIn an die Mannschaft herangetragen.
Der/Die MaatIn koordiniert auch den Ablauf des Manövers und die Einteilung der
Aufgaben und Positionen für die Segelbedienung. Teilweise müssen die Handlungen
zeitgleich oder kurz nacheinander ablaufen und müssen deshalb gut aufeinander
abgestimmt sein.
Das Leben an Bord wird bestimmt durch den wenig vorhandenen Platz. Die
SchülerInnen wohnen in kleinen Kammern24, mit 2-6 Kojen25. Es gibt keine klare
Trennung von Arbeit, Wohnen und Freizeit. Wie auf den meisten Schiffen gibt es aus
Schutz vor Seeschlag26 keine Fenster, sondern nur Dachluken oder Bullaugen27.
Diese lassen die Kammern noch kleiner erscheinen. Es gibt meist
nur wenige
Duschen und Toiletten, so muss hier die Nutzung koordiniert werden. Wenn die
24
Zimmer an Bord eines Schiffes
Betten oder Schlafgelegenheiten an Bord eines Schiffes.
26
Wassereinbruch durch den Schlag der Wellen verursacht.
27
Kleine rund Fenster
25
77
Begleitlehrerinnen einer Klasse sich dieser Aufgabe nicht annehmen, entstehen
zusätzliche Reibungsmöglichkeiten oder Konfliktsituationen.
STADLER beschreibt, dass für das Leben auf engem Raum besondere Regeln und
soziale Kompetenzen notwendig sind. Weiterhin können durch die ungewohnte
soziale
Dichte
an
Bord,
die
Stresssymptome
verursachen
können,
„Territorialkonflikte“ auftreten, die zu aggressiven Verhaltensweisen führen. Wenn
eine Person in den Bereich eindringt, der von jemand anderem für sich beansprucht
wird, entsteht ein solcher Konflikt, der von STADLER als „Territorialkonflikt“
bezeichnet wird (vgl. STADLER 1999b, S. 126).
5.2.4 Situation der LehrerInnen
Die KlassenlehrerInnen sind oft diejenigen, die die Reise buchen. Im Normalfall sind
die KlassenlehrerInnen bei der Reise auch anwesend und kennen in der Regel die
Klasse schon länger. Die LehrerInnen sind mit vielen Aufgaben konfrontiert. Sie
müssen die Verpflegung planen, einkaufen und an Bord bringen oder dieses
delegieren bzw. koordinieren... Beim Segeln liegt die Verantwortung bei dem/der
SchiffsführerIn und MaatIn. Hier ist die Lehrkraft, die oft nicht segeln kann, in einer
ungewöhnlichen Situation: Wenn sie bisher noch nie gesegelt hat, weiß sie auf
diesem Gebiet meistens nicht mehr als die Schüler.
ZIEGENSPECK beschrieb innerhalb seiner erlebnispädagogischen Arbeit an Bord: "Die
gemeinsamen Erlebnisse von Jugendlichen und Pädagogen tragen zu einer neuen
Form der Beziehung bei." Die Anforderungen an die PädagogInnen sind jedoch
hoch, sie haben keinen Feierabend mehr und befinden sich auf ihnen nicht
vertrautem Gebiet. Das führt häufig dazu, dass auch sie Schwächen zeigen werden.
Sie müssen sich als Personen zeigen und nicht nur als PädagogInnen. Da die
Bedingungen für alle gleich sind, müssen sie ein Stück ihrer Autorität abgeben.
Dadurch kann eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den SchülerInnen
entstehen und die Identifikationswahrscheinlichkeit der SchülerInnen mit ihrem
LehrerInnen erhöht sich (vgl. ZIEGENSPECK 1995, S. 223).
78
5.2.5 Situation der SchülerInnen
Wenn die SchülerInnen das erste Mal an Bord kommen, müssen sie als unerfahrene
TeilnehmerInnen an den ersten Tagen teilweise anspruchsvolle kognitive Leistungen
vollbringen. Sie haben noch keine Übersicht über die zahlreichen Leinen28, Blöcke29
und Segel und keine Vorstellung über die Zusammenhänge der technischen
Vorgänge im Segelbetrieb. Die Handlungsabläufe, die es für das Segeln eines
solchen Schiffes braucht, müssen erst erlernt werden. Die SchülerInnen werden in
den Segelbetrieb zukünftig mit einbezogen und in so genannten „Manövern“30
müssen sie als Mannschaft gemeinschaftlich handeln.
Wenn auf einem Segelschiff im ‘Wachbetrieb’ gefahren wird, so bedingt dies
zwangsläufig, dass man mit den Personen der eigenen ‘Wache’ den intensivsten
Kontakt hat. Den Mitgliedern der anderen ‘Wachen’ begegnet man bedeutend
weniger,
evtl.
nur
beim
‘Wachwechsel’31.
Mit
Personen
außerhalb
der
Bordgemeinschaft kann kaum Kontakt aufgenommen werden, solange sich das
Schiff in Fahrt befindet. Durch diese relative Abgeschlossenheit der Gruppe kann
eine eingeschworene Gemeinschaft entstehen.
Ungewohnt ist für die meisten auch die Verwendung einer Fachsprache an Bord.
Links wandelt sich in „Backbord“, hinten zu „Achtern“, die Betten werden zu
„Kojen“, die Seile zu „Tauen“ usw. Bei vielen Fahrten dieser Art konnte ich
beobachten, dass keine ausführliche Segeleinweisung erfolgte. Das bedeutet, dass die
SchülerInnen nicht mit Begriffen und den Gegebenheiten des Schiffes an Bord
vertraut gemacht worden sind.
Um ein Segelmanöver durchzuführen, werden den SchülerInnen einzelne
Teilaufgaben zugewiesen, die es erstmal zu erlernen gilt, ohne die eigene Handlung
in ihrem Kontext zu verstehen. Mit der Zeit und Wiederholung der Handlungsabläufe
und entsprechender Erklärungen wird ihnen aber deutlich werden, wie die einzelnen
Aktionen zusammen hängen. Es ist wichtig, dass jede der Teilaufgaben korrekt
erfüllt wird, um ein gelungenes Manöver zu vollbringen.
28
29
30
31
Seil an Bord eines Schiffes
Block: Umlenkrolle; Rolle oder Scheibe in einem Gehäuse; meist aus Holz
Nautisch-technische Maßnahmen; Handlungsabläufe bei deren Anwendung ein Schiff in eine andere
Lage oder geänderte Position gebracht wird
Meint die ‘Übergabe’ der Schiffsführung von einer Wache auf die nächste Wache.
79
Gemeinsames Leben an Bord zeichnet sich durch besondere Gegebenheiten aus. Die
Kammern zum Schlafen sind klein und somit entsteht eher Stress unter den
SchülerInnen, da sie sich auch hier gut miteinander arrangieren müssen. Wenn das
Wetter schlecht ist, wird es eng mit einer ganzen Klasse unter Deck und die
TeilnehmerInnen reagieren schneller gereizt.
Die SchülerInnen sind dafür
verantwortlich, die Aufgaben innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches korrekt
auszuführen. Eine Aufgabe ist z.B. die Backschaft. Als Backschaft bezeichnet man
den Küchendienst an Bord eines Schiffes. Die SchülerInnen sind in wechselnden
Gruppen für die Zubereitung des Essens verantwortlich. Viele haben wenig
Erfahrung im Kochen und werden dann vor die Aufgabe gestellt, für die ganze
Gruppe, ca. 30 Personen, zu kochen oder eine Mahlzeit zuzubereiten. Diese muss zu
einem angekündigten Zeitpunkt fertig sein, da die Essenszeiten dem Segelbetrieb
angepasst werden müssen. Meistens wird morgens gemeinsam gefrühstückt, mittags
ist aufgrund des Segelbetriebes und manchmal wegen des Wellenganges nur eine
kalte Mahlzeit möglich. Abends, wenn das Schiff im Hafen liegt, gibt es ein warmes
Gericht. Die Mahlzeiten müssen im Voraus geplant werden, damit die notwendigen
Lebensmittel an Bord sind. Es dürfen auch nur dir eingeplanten Lebensmittel pro
Mahlzeit verbraucht werden, denn sonst fehlen diese der nächsten Gruppe beim
Zubereiten der nächsten Mahlzeit.
Auch „Reinschiff“32 ist eine der Aufgaben der SchülerInnen. Der Sauberkeit und der
Ordnung an Bord kommt eine große Bedeutung zu, da sie als relevant für die
Sicherheit an Bord angesehen werden. Von herumliegenden Gegenständen kann
immer, insbesondere bei einem Notfall Gefahr ausgehen, weil sie die Ausführung
von sicherheitsrelevanten Handlungen verhindern könnten. Bei einem Brand muss es
zum Beispiel allen Insassen möglich sein, ungehindert durch die Kammern und die
Dachluken zu entkommen. Jeden Tag werden Dienste vergeben, die die
Gemeinschaftsräume, Sanitärbereiche, Kombüse und das Deck sauber halten.
Diese eher unkomfortable Situation an Bord zu erleben, hat zwei Seiten. Zum einen
kann es durch die ungewohnte Situation zu psychischen und physischen Belastungen
kommen, wie z.B. Schlafmangel, Seekrankheit, sozialer Stress und Erschöpfung
durch ungewohnte körperliche Arbeit. Gleichzeitig wird genau durch diese
32
Putzen und Aufräumen
80
Umstände der besondere „Reiz“ ausgemacht, der von Stolz geprägt ist, wenn z.B. der
Sturm überstanden oder eine schwierige Situation gemeistert ist.
Ein weiteres
Beispiel: Wenn zwei SchülerInnen eine Nacht lang Ankerwache halten müssen
anstatt zu schlafen, übernehmen sie gleichzeitig die Verantwortung für die Sicherheit
der anderen. und damit eine zusätzliche Belastung. Dieses im Zusammenhang mit
einer vielleicht sehr stürmischen Nacht, wird gleichzeitig das Potenzial für ein
unvergessliches Erlebnis. Diese Belastungen, die auf dem Schiff zu bewältigen sind,
werden von dem Einzelnen sehr unterschiedlich wahrgenommen. (Siehe hierzu auch
das „Komfortzonenmodell“ im Kapitel 7.3.1.)
5.2.6 Situation der SchiffsführerInnen
Der/die SchiffsführerIn sollte eine Führungspersönlichkeit sein, die zu jeder Zeit
anerkannt wird. Vergleichbar mit PersonalchefInnen eines Betriebes sollte der/die
SchiffsführerIn sich immer dessen bewusst sein, dass das Produktionsergebnis an
Bord in erster Linie von sozialen Normen bestimmt wird, mehr als durch
physiologische Leistungsgrenzen (vgl. GROSSMANN 1987, S. 34).
Die Schiffsführung muss die Sicherheit des Schiffes gewährleisten, ist für alle
navigatorischen Aspekte verantwortlich und muss bei der Reiseplanung die Zeit,
Treibstoffvorräte, Öl, Wasser, meteorologische Parameter mit einkalkulieren, um am
Ende der Reise auch garantiert den Zielhafen zu erreichen (vgl. GROSSMANN 1987, S.
40). Dies erfordert viel Erfahrung und vorausschauende Planung und steht manchmal
im Konflikt mit den pädagogischen Zielen an Bord, beispielsweise, wenn
die
soziale Situation an Bord und der Gruppenprozess sich so gestalten, dass eine Nacht
auf See für die Gruppe sinnvoll wäre, die Wind und Wetterbedingungen oder andere
Faktoren dies aber nicht zulassen.
Das Schiff ist für den/die SchiffsführerIn gleichzeitig sein Zuhause, auch hier finden
wir keine klare Trennung zwischen Wohnen, Arbeit und Freizeit. Er/Sie verbringt
fast den ganzen Tag mit der Gruppe und auch bei den Mahlzeiten ist es üblich, dass
gemeinsam gegessen wird. Die Rückzugsmöglichkeiten sind für ihn gering, er/sie
kann sich der Anwesenheit der Gruppe kaum entziehen Er/sie bewohnt zwar meist
einen eigenen Bereich im hinteren Teil des Schiffes, doch die räumliche Entfernung
81
zwischen dem privatem und dem öffentlichen Bereich ist gering. Dieser andauernde
Mangel an Privatsphäre - gepaart mit einer gewissen Präsenzerwartung seitens der
Gruppe - kann zu psychischen Belastungen und Stress führen.
Der Maat oder die Maatin wohnen und schlafen, genauso wie der/die
SchiffsführerIn, die gesamte Segelsaison an Bord. Sie sind zuständig für den
reibungslosen Ablauf während der ganzen Fahrt und für die Umsetzung der
Entscheidungen des/der SchiffsführerIn. Sie koordinieren und delegieren die
Aufgaben an die Klasse. Gleichzeitig sind sie der erste Ansprechpartner für die
Gruppe und tragen bei Bedarf, Anliegen an den/die SchiffsführerIn weiter.
MaatInnen brauchen in der Regel keine besondere maritime Ausbildung oder
Führerscheine. Meistens ist auch keine pädagogische Ausbildung vorhanden. Sie
kommen meist für eine oder mehrere Saisons auf das Schiff,
um dort für ein
geringes Gehalt zu arbeiten.
Es ist zu beobachten, dass die ausführliche Vermittlung technischen Wissens über
die Segelabläufe von den MaatInnen an die SchülerInnen oft zu kurz kommt. Der
Schwerpunkt liegt auf dem reibungslosen Ablauf des Segelbetriebes und nicht auf
pädagogischen Inhalten. Um den Ablauf zu gewährleisten, reicht es den
SchülerInnen zu sagen und zu zeigen, was sie machen sollen, ohne weiter auf die
Sinnhaftigkeit und den Gesamtzusammenhang der Aufgabe einzugehen.
Diesen Gedanken in die Praxis transferiert bedeutet: Es reicht nicht aus, das Schlagen
eines Palsteks33 solange einzuüben bis dieser einhändig und mit verbundenen Augen
ausgeführt werden kann, sondern gleichzeitig ist es wichtig zu vermitteln, wann und
wo dieser Knoten eingesetzt wird und wo er fehl am Platze ist. Dies ist auch die
Vorraussetzung für ein selbstständiges Arbeiten an Bord (vgl. STADLER 1988, S. 37).
Die Ausführung einer fachgerechten seemännischen Arbeit - um das Wissen der
Funktion dieser Arbeit - im Gesamtzusammenhang zu erweitern, bedeutet mehr
Arbeit für die MaatInnen und sie nehmen sich deswegen dieser Aufgabe nicht immer
an.
33
das knüpfen eines speziellen Knotens
82
Dieses Wissen ist die Vorraussetzung für eigenständiges Handeln der SchülerInnen
und für die Erlangung eines Bewusstseins, etwas zu können. Der nächste Hafen muss
nicht so schnell wie möglich erreicht werden, sondern die Förderung der
Persönlichkeitsentwicklung
der Einzelnen steht im Vordergrund. Dieser
Schwerpunkt sollte auch von der Schiffsführung berücksichtigt werden (vgl.
STADLER 1988, S. 37).
5.3 Spezielle Lernfelder auf Traditionsseglern
Ein Segelschiff ist ein besonderes pädagogisches Medium. In diesem Kapitel, in dem
ich an die Erlebnispädagogik anknüpfe, soll es um die pädagogischen Aspekte des
Segelns auf einem Traditionssegler gehen. Viele Elemente dieser Natursportart
Segeln können mit den Methoden der Erlebnispädagogik genutzt werden.
Segelreisen bieten aber auch andere Möglichkeiten, sie können
freizeitpädagogisch
oder
umweltpädagogisch
ausgerichtet
sein.
z.B. auch
In
meiner
Konzeption soll das soziale Lernen im Mittelpunkt stehen.
An Bord kann eine Atmosphäre entstehen, die von Ruhe und Entspannung - ohne
Erfolgszwang - geprägt ist. Durch die klaren geregelten, immer wiederkehrenden
Abläufe auf dem Schiff kann einem die Hektik des Alltages bewusst werden. Es
kann eine angenehme Entspannung entstehen, wenn alle nach einem anstrengenden
Segeltag in der Abendsonne auf dem Deck liegen und den Sonnenuntergang
beobachten. Bei dem gemeinsamen Arbeiten während des Wachdienstes und dem
gemeinsamen Zusammenleben bieten sich ungezwungene Kommunikationsanlässe
zwischen SchülerInnen und LehrerInnen. Durch die Naturnähe können auch hier
umweltbezogene Fragestellungen und Denkanstöße, wie z.B. der Kreislauf des
Wassers an Bord, initiiert werden.
Ein Traditionssegler bietet vielschichtige Möglichkeiten auf verschiedenen Ebenen
etwas zu lernen. Um einen Überblick zu geben, stelle ich im Folgenden in
Anlehnung an STADLER einige Ebenen dar. Sie beinhalten sowohl
alltäglich
benötigtes Wissen für den Segelbetrieb an Bord, als auch darüber hinausreichende
Fähigkeiten, die z.B. die Instandhaltung und Reparatur der Materialien betreffen. Die
83
einzelnen Ebenen sind nicht streng voneinander getrennt, sondern ergänzen und
überschneiden sich. Es geht mir
darum, einen Überblick über die vielfältigen
Lernchancen auf Traditionsseglern allgemein zu geben, da ich in meiner
nachfolgenden Konzeption nur einen Teilbereich der Möglichkeiten aufgreifen
werde.
Bei den meisten Angeboten einer Klassenreise auf Traditionsseglern kommen
Tätigkeiten, die über die alltäglichen Arbeiten an Bord hinausgehen, kaum vor. Der
Schwerpunkt liegt im alltäglichen Betrieb der Fortbewegung des Schiffes und den
damit zusammenhängenden Arbeiten inklusive der Versorgung der Mannschaft.
a)
Die Praktische Ebene: Hier lassen sich Fähigkeiten und Fertigkeiten, die im
Bereich der Seemannschaft gelernt werden können
zusammenfassen: im
alltäglichen Segelbetrieb kann der Umgang mit Tauwerk34 (Aufschießen35,
Knoten),
den Segeln,
dem Ankergeschirr, Kombüsenbewirtschaftung36,
Kochen, Vorratshaltung, Backschaft37 und Hygiene gelernt werden.
Über den alltäglichen Betrieb hinaus kann das Reparieren und Erhalten von
Tauwerk, das Scheren von Taljen38, Segelpflege und Reparatur, Holzarbeiten,
Holzpflege, Bemalung, Schleifen, Lackarbeiten, Metallarbeiten, Entrosten,
Umgang mit Werkzeug erlernt werden.
b)
Die Technische Ebene: Auf der technischen Ebne kann im alltäglichen
Segelbetrieb der Umgang mit elektronischen Geräten: Echolot, GPS, Radar,
Wetterfax, Abhören von Wetterberichten, Funkgerät usw. erlernt werden.
Bei der Wartung und Beobachtung des Schiffsmotors und seiner Instrumente
können die SchülerInnen einbezogen werden; hierzu gehören auch die
Treibstoff- und Ölversorgung, Lenzanlagen kontrollieren etc. Über den
alltäglichen Betrieb hinaus können auch im Bereich der Elektrotechnik und
im Bau und der Reparatur von elektrischen Anlagen Erfahrungen gesammelt
werden.
34
Seile an Bord eines Schiffes
Das Zusammennehmen der Seile
36
Küchenbewirtschaftung
37
Küchendienst
38
Der Umgang und das Einscheren von Seilen in Flaschenzüge
35
84
c)
Wissenschaftliche Ebene: Im alltäglichen Segelbetrieb kann der Umgang
mit nautisch-optischen Geräten gelernt werden. Über den alltäglichen Betrieb
hinaus kann im Bereich der Physik etwas über Hydrodynamik und
Aerodynamik des Segelns gelernt werden. Im Gebiet der Meteorologie
können Beobachtung von Wettererscheinungen und Auswertungen von
Wetterberichten erstellt werden oder die Wettervorhersage kann dokumentiert
werden. Der Bereich der Mathematik ist auch an Bord zu finden: Ebene- und
Sphärische Geometrie, Lesen von Gezeitentafeln. Bereiche der Biologie
eröffnen weitere Möglichkeiten: Kennenlernen von Flora und Fauna, wie z.B.
Besonderheiten
des
Wattenmeeres,
Ökologie,
Verhalten
von
Meereslebewesen, Umweltschutz. In der Geographie können wir uns an Bord
mit der Naturbeschaffenheit, Küstenformationen und dem Meeresgrund
beschäftigen. Wenn Fahrten ins Ausland unternommen werden, können deren
politische
Verhältnisse,
rechtskundliche,
seefahrtsrechtliche
und
zollrechtliche Bestimmungen näher betrachtet werden.
d)
Körperliche Ebene: im alltäglichen Segelbetrieb: Körperbeherrschung,
Geschicklichkeit, angstfreies und sicheres Arbeiten in der Takelage39, Mut,
Kraft,
Ausdauer,
Schwindelfreiheit,
psychologisches
Vorbeugen
der
Seekrankheit; hygienische und medizinische Grundkenntnisse, wie z.B. die
Wundbehandlung bei Verletzungen und Verbrennungen, Verhalten bei
Knochenbrüchen, Vergiftungen usw.
e)
Wahrnehmungsebene:
im
alltäglichen
Segelbetrieb:
Entfernungseinschätzung, Erkennen optischer Täuschungen (wichtig für den
Rudergänger),
Beobachtung
und
Interpretation
nächtlicher
Lichterscheinungen auf See, Entwicklung von Sicherheitsbewusstsein,
Entwicklung
von
Antizipationsfähigkeit
und
vorausschauender
Handlungsplanung, Entwicklung von Umweltbewusstsein.
f)
Soziale Ebene: Grundsätzlich ist eines der großen Lernfelder im Bereich der
sozialen Kompetenzen die Zusammenarbeit. Der Schiffsbetrieb zwingt die
SchülerInnen zur Zusammenarbeit und es ist nicht immer möglich, sich
auszusuchen mit wem man zusammenarbeiten will. Im Zuge einer
gelungenen Zusammenarbeit bieten die Teildisziplinen der sozialen
39
Allgemeine Bezeichnung für Masten, Stengen, Rahen sowie deren sichernde und stützende Elemente
85
Kompetenzen, Kooperation, Kommunikation und Kritikfähigkeit
weitere
Lernfelder an Bord.
Die Integration von AußenseiterInnen liegt in der natürlichen Gegebenheit
des Schiffes. "Die Bordsituation erlaubt es kaum, über die Art der sozialen
Kontakte, die man eingehen möchte, selbst zu bestimmen, wie dies an Land
in der Regel der Fall ist" (STADLER 1988, S. 62 f.). An Land und in der
Schule gibt es eher die Möglichkeit sich aus dem Weg zu gehen, es herrscht
kein Kooperationszwang wie es durch das gemeinsame Leben an Bord
gegeben ist. Tätigkeiten die nur kooperativ bewältigt werden können, tragen
zur Stärkung des Gruppenzusammenhalts bei (vgl. ZICK 2002, S. 215). Wenn
die Möglichkeit der Flucht vor schwierigen sozialen Situationen nicht mehr
gegeben ist, bleibt oft nur noch die Möglichkeit eines klärenden Gesprächs.
So kann gelernt werden, dass man Differenzen mit der sozialen Umwelt nicht
nur durch Flucht abbauen kann, sondern dass auch ein solches Gespräch eine
Lösung sein kann. GROSSMANN beschreibt weiterhin auch ein reduziertes
Stigmatisierungslevel an Bord. Ein Stigma lässt sich nur schwer aufrecht
erhalten, wenn man die Person erstmal gut kennen gelernt hat. Durch die
soziale Enge und die Zusammenarbeit gelingt dies an Bord meist sehr schnell.
(vgl. GROSSMANN 1987, S. 54).
Um diesen Prozess an Bord zu unterstützen, ist es hilfreich einen in dieser
Hinsicht geschulten PädagogInnen an Bord zu haben. Kenntnisse im Bereich
der Kommunikationspsychologie und der Mediation sind hier von Vorteil. Im
Kapitel 7.3. wird noch genauer darauf eingegangen.
Bei einem Seeexperiment auf einem Traditionssegler mit 14 Besatzungsmitgliedern
stellte sich bei einer Befragung der TeilnehmerInnen heraus, dass die
Kooperationsbereitschaft der Einzelnen signifikant im Vergleich zu einer an Land
gebliebenen Kontrollgruppe zugenommen hat. Dieses Ergebnis bestätigte sich auch
bei einer späteren Befragung an Land (vgl. GROSSMANN 1987, S. 36 f.). Durch den
Zwang der Zusammenarbeit, die stark von den Regeln des Zusammenlebens auf dem
Schiff geprägt ist, kann die Erkenntnis entstehen, dass Normen und Werte keinesfalls
immer eine Einschränkung sind, sondern dass sie oft Lebensnotwendig sind. Wenn
der Kontext, in dem sie eingebunden sind, erkannt wird, können
die eigenen
86
Interessen eher zugunsten der der Gesamtheit zurückgestellt werden. Das Schiff
bietet viele Möglichkeiten und Herausforderungen so dass die SchülerInnen die
Grenzen ihrer eigenen Belastbarkeit erfahren können (vgl. GROSSMANN 1987, S. 54).
Die soziale Ebene bildet den Schwerpunkt meiner Arbeit. Da ich in den anderen
Kapiteln ausführlich Aspekte dieser Ebene beschreibe, werde ich hier nicht den
Raum für eine ausführliche Darstellung nutzen, sondern nur kurz eine
Zusammenfassung weiterer Lernfelder an Bord niederschreiben: Entwicklung von
sozialen Kompetenzen in Bezug auf das Verhalten in der Gruppe, den Umgang mit
Lehrkräften und MitschülerInnen, das Erkennen und behandeln sozialer Konflikte,
das Entwickeln von Gemeinschaftsgefühl, die Entwicklung von Selbstwertgefühl und
Übernahme von Eigenverantwortlichkeit.
Diese möglichen Lernchancen müssen natürlich gestaltet und gefördert werden,
damit sie genutzt werden können. Eine Möglichkeit dies zu tun ist z.B. die Methode
der Erlebnispädagogik, bei der durch Reflexion solche Prozesse bewusst gemacht
und kognitiv verarbeitet werden. Damit die Lernchancen von den Jugendlichen auch
genutzt werden, ist es wichtig, sie in ihren Interessen und Motivationen und ihren
Vorkenntnissen entsprechend auf diesen Ebenen zu fördern. Das bedeutet, die
vorhandene Lernmotivation zu nutzen und den einzelnen SchülerInnen verstärkt in
diesen Bereichen ihres Interesses Aufgaben zuzuweisen. Die für die SchülerInnen
schwierige soziale Situation an Bord fordert geradezu Entwicklung und Lernen in
dem Bereich der sozialen Kompetenz heraus (vgl. STADLER 1988, S. 67).
5.4 Das Potenzial einer Klassenfahrt im Allgemeinen
In diesem Kapitel werden Klassenfahrten im Allgemeinen, also nicht nur auf
Traditionsschiffen, beschrieben und es wird insbesondere um das pädagogische
Potenzial gehen, das Klassenreisen bieten können.
Klassenfahrten, die als Segelreisen durchgeführt werden, sind schulische
Veranstaltungen, die aber in einem außerschulischen Feld stattfinden. Klassenfahrten
können eine besondere Veranstaltung mit pädagogischen Zielen im Bereich des
sozialen Lernens sein oder Vergnügen und Freizeit zum Ziel haben. Wie dieses
Verhältnis bestimmt wird, ist von der Konzeption der Reise abhängig. Welche
87
Zielsetzungen auf der Segelreise verwirklicht werden, ist grundsätzlich offen. Es gibt
viele Möglichkeiten, pädagogische Ziele in eine Klassenreise auf einem
Traditionssegler zu integrieren. Die später von mir beschriebene Konzeption ist eine
Möglichkeit von vielen.
Bei Klassenfahrten werden selten besondere pädagogischen Erwartungen seitens der
Lehrkräfte an die Schiffsreise gestellt, noch ein methodisches, pädagogisches
Vorgehen vorbereitet, das auf eine gewisse Zielvorstellung hinweist. Gerade hier
wird meiner Meinung nach ein großes Potenzial einer solchen Reise verschenkt.
Eine Klassenfahrt bietet auf dem Schiff oder in einer Jugendherberge viele
Lernchancen. Auf dem Schiff werden die vorhandenen Herausforderungen des
sozialen Gruppenlebens jedoch verstärkt. "Ein Team ist eine spezielle Gruppe, bei
der die TeilnehmerInnen zusammenarbeiten (müssen), um gemeinsame (nicht
unbedingt selbst gewählte Arbeits-) Ziele zu erreichen. In diesem Sinne ist nach
WELLHÖFER zwar jedes Team eine Gruppe, aber nicht jede Gruppe ist ein Team"
(WELLHÖFER 2007, S. 8). Um aus einer Klasse ein Team zu bilden bleibt in der
Schule kaum Zeit. Eine Klassenreise kann hier als Gelegenheit genutzt werden, an
diesem Aspekt zu arbeiten, denn dies bringt wiederum Vorteile für den Schulalltag.
ZICK schrieb in Bezug darauf: "Individuen die sich mit einer Gruppe in einer
Organisation, sowie mit der Organisation als Ganzes identifizieren, besser lernen,
sich stärker für die Interessen der Organisation einsetzen, weniger häufig fehlen und
weniger stark dazu tendieren, die Organisation zu verlassen. "In teamorientierten
Klassen ist das Lernklima besser und das Ausmaß an interkulturellen Konflikten
geringer“ (ZICK 2002, S. 214).
Gemeinsam etwas zu unternehmen und zu erleben, wie es Klassenfahrten anbieten,
ist ein wichtiger Beitrag für das Gemeinschaftsgefühl und eine gute Möglichkeit,
soziale
Fähigkeiten
zu
erlernen,
aber
auch
die
LehrerInnen
und
die
KlassenkameradInnen in einem anderen Kontext kennen zu lernen und somit neue
Erfahrungen zu sammeln und vielleicht neue Freundschaften zu schließen.
BUEB beschreibt auch die Wichtigkeit des Erlebnisses und der Interaktionen unter
Gleichaltrigen, die im Unterricht, keine Rolle spielt. "Kinder, so BUEB, brauchen
88
Gleichaltrige, um soziale Verhaltensregeln zu erlernen. Ein Zeltlager etwa fördere
Toleranz und Gemeinsinn" (GEO Kompakt 2008).
Eine Klassenfahrt bedeutet jedoch auch eine große Verantwortung für die
LehrerInnen. Es kommt immer wieder vor, dass Lehrkräfte sich - in Anbetracht der
Zunahme von „schwierigen“ Schülern - mit der Gestaltung und Durchführung einer
Klassenfahrt überfordert fühlen.
Einigen wenige Veranstalter bieten ein erlebnispädagogisches Programm und die
Unterstützung durch ausgebildete TrainerInnen, die für die Durchführung der
Aktionen verantwortlich sind, an. Dieses Angebot wird seit Jahren gut angenommen
ist somit ein Beleg für das vorhandene Potenzial.
89
6. Konzeption für Klassenfahrten auf Traditionsseglern
In diesem Kapitel werde ich zuerst auf die Ziele und Methoden eingehen und diese
beschreiben um dann darauf aufbauend die Inhalte des Konzeptes zu entwickeln, bis
hin zu einer exemplarischen Programmgestaltung.
6.1 Begründung für eine Konzepterstellung
Nach jahrelangen Erfahrungen als Maatin auf Traditionsseglern, sowie regelmäßiger
Tätigkeit als erlebnispädagogische Trainerin in Verbindung mit meinem Studium der
Sozialpädagogik,
entstand
die
Idee,
eine
qualitative
Verbesserung
der
(erlebnis)pädagogischen Angebote auf Traditionsseglern anzustreben. Als Beispiel
beziehe ich mich in dieser Arbeit auf Traditionssegler in den Niederlanden, da diese
für die Durchführung von Klassenfahrten am stärksten frequentiert sind.
Klassenfahrten auf einem Traditionssegler sind mittlerweile nicht mehr selten. Oft
bleibt aber das pädagogische Potenzial einer solchen Klassenfahrt ungenutzt.
Um dieser Intention in meiner Diplomarbeit nachzugehen, musste ich das Feld auf
das sich die Konzeption bezieht, einschränken. Das Angebot auf Traditionsseglern ist
zahlreich und vielfältig und würde in der Gesamtheit den Rahmen einer Diplomarbeit
sprengen. Im Mittelpunkt dieser Konzeption steht das Thema der Stärkung sozialer
Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen während eines Segeltörns. Soziale
Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen sind ein aktuelles Thema für die soziale
Arbeit und die Sozialpädagogik, vor allem im Zusammenhang mit der aktuellen
Debatte über Bildung in der Schule und Zukunftschancen der SchülerInnen.
Das Ziel dieser Arbeit ist es, aufzuzeigen, wie Klassenfahrten als Lernort sozialer
Kompetenzen genutzt werden können. Obwohl aus den vorangegangenen Kapiteln
hervorgeht, dass eine Verbesserung der sozialen Kompetenzen am besten durch
ganzheitlich und langfristig angelegte Projekte in den Schulen umgesetzt werden
kann, so können auch kürzere pädagogische Segeltörns für diese Zwecke sinnvoll
sein (vgl. STADLER 1988, S. 75), obgleich sie nicht die gleichen Erfolge erzielen
können.
Die
Gesamtschau
der
Untersuchungen
zur
Wirksamkeit
erlebnispädagogischer Maßnahmen, vor allem in Bezug auf die Förderung der
90
sozialen Kompetenz und der Selbstkompetenz, wurde immer wieder bestätigt (vgl.
REINERS 2007, S. 19).
Bei der vorliegenden Konzeption handelt es sich um eine Kurzzeitintervention, die
aber durchaus auch in eine Implementierung eines ganzheitlichen Konzeptes, wie
z.B. die Einführung eines Streitschlichterprogramms, in Schulen sinnvoll mit
eingebunden werden kann. Dennoch ist tendenziell immer ein ganzheitliches
Konzept anzustreben. Durch ein pädagogisches Kurzzeitprogramm, das mit den
nachstehend beschriebenen Methoden arbeitet, können Lehrkräfte, durch ihre
praktische Umsetzung durch die TrainerInnen, mit ihnen vertraut gemacht werden.
Dies kann sie wiederum dazu animieren, ein ganzheitliches Projekt, das auch mit
diesen Methoden arbeitet, an ihrer Schule zu initiieren. Dies könnte z.B. ein
ganzheitliches Streitschlichter- oder Konfliktlotsenprogramm sein.
Die Zahlen (siehe Kapitel 3) zur aktuellen Erziehungssituation belegen einen
Handlungsbedarf auf diesem Gebiet und sprechen dafür, ungenutzte Potenziale für
die Entwicklung von Kompetenzen zu nutzen. Bei den Problemen, die vor allem bei
jugendlichen SchülerInnen auftreten, können neu gewonnene Erfahrungen einer
erlebnispädagogischen Reise, neue Impulse geben. Körperliche Bewegung wird
erfahren und ausprobiert. Ein neues Hobby kann gefunden werden. Probleme
innerhalb der Gruppenstruktur können angegangen oder überhaupt erste erkannt
werden (vgl. GEBAUER 2007, S. ff.).
Es ist mittlerweile nachgewiesen, dass nachhaltiges Lernen durch Lernen im sozialen
Kontext
gefördert
wird
und
Kommunikation
Verstehensprozesse nach sich zieht (vgl.
DE
unter-
und
miteinander
BOER 2008, S. 22). "Wiesemann macht
sichtbar, wie anstelle von Belehrungen und Ermahnungen, die regelmäßig schulische
Disziplinierungsmaßnahmen begleiten, Verständigungsprozesse, bei denen das
soziale Miteinander zum schulischen Lernthema wird, soziales Lernen befördern"
Sie schreibt, dass Situationen in denen Gespräche über die Ordnung des Sozialen
und deren Störungen geführt werden , zu entscheidenden Lernsituationen zu rechnen
sind (WIESEMANN 1999, in
DE BOER
2008, S. 22).
91
6.2 Ziele des Konzeptes
Ziel ist, durch eine verbesserte Nutzung des pädagogischen Potenzials von
Klassenfahrten auf Traditionsseglern, eine Verbesserung der sozialen Kompetenzen
bei Jugendlichen zu erreichen. Das soziale Miteinander soll an Bord zum Lernthema
werden. Dieses grob gefasste Ziel lässt sich in mehrere Feinziele auffächern:
Verbesserung der Kommunikations-, Kooperations- und Konfliktfähigkeit. Die
Schüler sollen die Möglichkeit haben, ihr Selbstwertgefühl zu entwickeln und die
Voraussetzungen für ein besseres Klassenklima
Methoden
dieses
Konzeptes
sollen
den
sollen geschaffen werden. Die
SchülerInnen
Erfolgserfahrungen
ermöglichen, wodurch die Selbstwirksamkeitserwartung der SchülerInnen verbessert
wird (vgl. MALTI et al. 2008, S. 198).
Durch das Programm sollen die LehrerInnen ihr Methodenwissen erweitern können
und an einem praktischen Beispiel die positiven Auswirkungen dieser Methoden
schätzen lernen.
6.3 Angewandte Methoden in dieser Konzeption
Im Folgenden werden die einzelnen
pädagogischen Methoden, die in der
Konzeption Anwendung finden werden, in ihren Grundzügen vorgestellt, da diese
innerhalb des Konzepts miteinander kombiniert werden. Die vorliegende Arbeit
verfolgt als Zielsetzung eine Konzepterstellung und kein Methodenvergleich,
deswegen soll es sich auf eine grobe Vorstellung beschränken.
nachzulesen
sind
diese
Methodenbeschreibungen
in
den
Ausführlich
jeweiligen
Literaturverweisen.
Das Konzept basiert auf der erlebnispädagogischen Methode, die durch das Konzept
der Interaktionspädagogik ,die auf vergleichbaren Grundannahmen aufbauen, ergänzt
und erweitert wird. Darüber hinaus wird die Mediation als eine weitere Methode
beschrieben und die Sinnhaftigkeit einer Integration dieser Methode in das Konzept
erläutert.
92
6.3.1 Erlebnispädagogik als Methode
Definition der Erlebnispädagogik.
Es gibt keine einheitliche Definition der Erlebnispädagogik. Arbeitsgrundlage ist im
Folgenden eine Definition von HECKMAIR und MICHL: "Erlebnispädagogik ist eine
handlungsorientierte Methode und will durch exemplarische Lernprozesse, in denen
junge Menschen vor physische, psychische und soziale Herausforderungen gestellt
werden, diese in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern und sie befähigen,
ihre Lebenswelt verantwortlich zu gestalten." (HECKMAIR und MICHL in REINERS
2007, S. 13)
Ziele der Erlebnispädagogik sind die Persönlichkeitsentwicklung durch Förderung
der Selbstwahrnehmung und Reflexionsfähigkeit, Klärung von Zielen und
Bedürfnissen, Entwicklung von Eigeninitiative, Spontaneität, Kreativität und
Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl etc., sowie die Stärkung der
sozialen Kompetenzen durch Förderung der Kooperations-, Kommunikations- und
Konfliktfähigkeit etc. und das Wachsen eines systemischen, ökologischen
Bewusstseins, das unter anderem einen pro aktiven Einsatz für die Bewahrung von
Naturräumen und -schönheiten zur Folge hat (vgl. REINERS 2007, S. 13).
Allgemein will Erlebnispädagogik zum Handeln aktivieren. Sie fordert die
Eigenaktivität und versucht durch Rahmenbedingungen ein passives Konsumieren
unmöglich zu machen. Dadurch soll den TeilnehmerInnen klar werden, dass sie ihre
Lebensumstände durch eigene Aktivitäten verändern können (vgl. ZIEGENSPECK
1995, S. 223).
Geschichte der Erlebnispädagogik
KURT HAHN wird öfter als Vater der Erlebnispädagogik bezeichnet. Er hat die
Erlebnispädagogik nicht erfunden, sondern verschiedene Ideen von Vordenkern
wie JEAN-JAQUES ROUSSEAU, JOHN DEWEY, HERMANN LIETZ und HENRY
DAVID THOREAU aufgegriffen und zu einem Konzept zusammengefasst (vgl.
REINERS 2007, S. 10).
Die Ziele des HAHNschen Erziehungskonzeptes waren die Charakterförderung des
Menschen und die Erziehung zu verantwortungsvollem Denken und Handeln in einer
Gemeinschaft, die auf freiheitlichen und demokratischen Grundlagen aufbaut und
93
durch die Auseinandersetzung mit sich selbst und der Umwelt (vgl. REINERS 2007, S.
11). KURT HAHN entwickelte ein erlebnispädagogisches Gesamtkonzept. Die vier
Grundelemente des Konzeptes sollten, den
von ihm zuvor diagnostizierten
Zivilisationskrankheiten entgegenwirken und damit den jungen Menschen zum
mündigen Bürger erziehen:
1) Körperliches Training gegen den Verfall der körperlichen Tauglichkeit
2) Expeditionen gegen schwindende Eigeninitiative und Überwindungskraft
3) Projekte gegen den Verfall von Geschicklichkeit und Sorgfalt
4) Rettungsdienst gegen den Verfall des Mitgefühls
(vgl. REINERS 2007, S. 23)
KURT HAHNs Erziehungskonzept ist in seinen Grundzügen noch immer aktuell. Es
geht nach wie vor darum, Heranwachsende zu eigenständig denkenden und
verantwortungsvoll handelnden Mitgliedern einer Gesellschaft zu erziehen. Diese
Auseinandersetzung des Individuums mit sich selbst und der Umwelt will die
Erlebnispädagogik weiterhin fördern (vgl. REINERS 2007, S. 11).
Mittlerweile findet die Erlebnispädagogik vielerorts Anwendung: Als Therapie, als
Maßnahme in der Jugendhilfe, als Methode im Training sozialer Kompetenzen und
Schlüsselqualifikationen, als Integrationshilfe für Behinderte etc.
Lernen im Sinne der Erlebnispädagogik
Die Erlebnispädagogik geht davon aus, dass aus Erlebnissen gelernt wird: Lernen
durch Erleben. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, was ein Erlebnis
ist und welche Faktoren es bestimmen. Ein „Erlebnis wird als innerer, mentaler
Vorgang gesehen, bei dem äußere Reize aufgrund von Wahrnehmung, Vorwissen
und Stimmung subjektiv zu einem Eindruck verarbeitet werden“ (HECKMAIR, MICHL
2002 in REINERS 2007, S. 13) Ob eine Aktion als Erlebnis wahrgenommen wird
,beruht auf der subjektiven Wahrnehmung eines jeden Teilnehmers.
Das Lernzonenmodell stellt - bezogen auf das Lernen - verschiedene Zonen des
individuellen Erlebens, das auf der subjektiven Wahrnehmung beruht, dar.
94
Abb. 12, Das Lernzonenmodell, ,(SENNINGER 2000, S. 21)
Wenn Personen, Situationen und Erlebnissen begegnen, die ihnen bereits bekannt
sind und für die sie bereits passende Handlungsstrukturen entwickelt haben, befinden
sie sich in der Komfortzone. In dieser Zone sind die zu verarbeitenden Reize der
Umwelt bereits bekannt, sie ist von Alltagssituationen gekennzeichnet. In der
Panikzone oder auch dem Risikobereich, fühlt sich die Person von der Situation,
äußeren Reizen oder den Umständen bedroht und reagiert gestresst und teilweise
emotional. Die Lernzone oder auch Wachstumszone liegt zwischen der Komfortund der Panikzone. Die Person sieht sich mit einer Herausforderung oder einer
unbekannten Situation oder mit unbekannten Reizen konfrontiert Diese kann auch
körperliche Symptome der Aufregung auslösen, aber nicht zur Panik führen. Die
Lernzone stellt den optimalen Bereich zwischen zu homogenen (vertrauten Reizen)
und zu fremdartigen (Furcht erregenden) Reizen dar (vgl. SENNINGER 2000, S. 21).
Eine reizvielfältige Umwelt trägt neben ihrem positiven Einfluss auf die
Gehirnentwicklung auch dazu bei, psychische Entwicklungsschritte anzuregen (vgl.
GEBHARD 2003, S. 102).
Dieses Modell auf das Schiff übertragen, bedeutet, dass die Gegebenheiten auf dem
Schiff, abhängig von
den Vorerfahrungen, die die SchülerInnen mitbringen,
individuell unterschiedlich wahrgenommen werden (vgl. SENNINGER 2000, S. 21).
„Das subjektive Sicherheitsgefühl der Personen an Bord kann sehr unterschiedlich
ausgeprägt sein. In ein und derselben Situation kann es sein, dass eine Person sich
95
Wind und Wellen gegenüber ausgeliefert fühlt, während eine andere Person das
Gefühl hat, die Situation – auch wenn sie heikel ist – vollständig im Griff zu haben“
(STADLER 1999a, S. 107 ff.).
In dem Kapitel 4 über das Lernen in der Schule, gehe ich bereits darauf ein, dass
Stress Lernen behindert. Als Schlussfolgerung aus diesen Erkenntnissen und
Modellen ziehe ich für mein Konzept die Orientierung auf die Lern- oder
Wachstumszone, die es mit Hilfe erlebnisorientierter Methoden zu erreichen gilt.
Lernmodelle
In der Literatur werden sechs unterschiedliche Modelle des Lernens und der
Arbeitsweise während eines erlebnispädagogischen Programms beschrieben. Die
folgende Beschreibung basiert auf den Ausführungen von REINERS und SENNINGER
Lernen durch Handeln
Dies ist das „klassische“ Modell, das auch unter dem Namen „The mountains speak
for themselves“ bekannt ist. Bei diesem Ansatz wird davon ausgegangen, dass
Erlebnisse für sich wirken und unterbewusst zu Lernerfahrungen beitragen. Eine
Reflexion der Erlebnisse ist hier nicht vorgesehen.
Kommentiertes Handlungslernen
Die Leitung bringt ihre Interpretation des Verhaltens der GruppenteilnehmerInnen
ein. Die PädagogInnen haben hierbei die Rolle der ExpertInnen inne und die
Teilnehmer werden nicht angehalten, eigenständige Lösungen und Interpretationen in
Bezug auf die durchgeführte Aktion zu finden.
Lernen durch Reflexion,
Ein Erlebnis zeigt eine nachhaltigere Wirkung, wenn es durch eine strukturierte
Diskussion und durch Fragenstellungen seitens der Leitung reflektiert wird. Von der
Leitung werden keine Lösungen vorgegeben und eigene Interpretationen vermieden,
sie soll dazu anregen, dass die Gruppenmitglieder eigenständig Erkenntnisse
gewinnen und diese in den Alltag transferieren. Dieses Modell wird laut SENNINGER
häufig verwendet. Dieses Modell wird auch als „Outward Bound plus“ Modell
bezeichnet.
96
Antizipierte Erlebnisse durch „Frontloading“ und Reflexion.
Bei dieser Methode werden die TeilnehmerInnen durch gezielte Fragen auf die
erlebnispädagogische Aktion vorbereitet und der Erlebnisprozess wird kognitiv
vorweggenommen, indem Meinungen, Einstellungen und Prognosen abgefragt
werden, bevor es zu dem eigentlichen Erlebnis kommt. Nach der Aktion ist eine
Reflexionsphase vorgesehen, um Ideen, Erwartungen und tatsächliche Geschehnisse
miteinander abzugleichen und einen Transfer zum Alltag zu schaffen.
Metaphorisch isomorphe Erlebnispädagogik.
Die erlebnispädagogische Aktion wird möglichst exakt auf die Lebenssituation der
TeilnehmerInnen zugeschnitten. Es wird eine möglichst hohe Isomorphie durch
Metaphern zur Alltagssituation angestrebt. Die TeilnehmerInnen werden „bildhaft“
ihre Alltagsrealität erfahren. Die Transferwahrscheinlichkeit ist durch die Nähe zum
Alltag gegeben. Diese Vorgehensweise setzt aber voraus, dass die Alltags- und
Lebenssituation
den
TrainerInnen
sehr
gut
bekannt
ist.
Weiterhin
sind
Qualifikationen im Bereich der Tiefenpsychologie und des Psychodramas hilfreich.
(vgl. REINERS 2007, S. 20; SENNINGER 2000, S. 10 ff.)
Diese Modelle können einander auch ergänzen und oft finden wir Mischformen
dieser Modelle bei erlebnispädagogischen Aktionen. Die erste Form des Lernens
liegt z.B. einfach in der Natur von erlebnispädagogischen Aktionen und lässt sich
somit kaum ausschließen. Diese Form ist gleichzeitig auch die Ur-Form der
erlebnispädagogischen Lernmodelle, doch seit ungefähr Mitte der 80er Jahre hat sich
die Notwendigkeit von Feedback in Form von Reflexionen als Methode durchgesetzt
(vgl. HECKMAIR, MICHL 1994, S. 45). Für das Konzept soll unter anderem das
Modell „Lernen durch Reflexion“ eine Grundlage sein, ohne die anderen komplett
auszuschließen. Das Modell deckt sich am meisten mit den oben beschriebenen
Erkenntnissen und Methoden in Bezug auf die Förderung des sozialen Lernens von
SchülerInnen. Der Ansatz geht davon aus, „dass Menschen am ehesten bereit sind, an
sich zu arbeiten und an Veränderungsprozessen mitzuwirken, wenn sie diesen
Prozess aktiv mitbestimmen und beeinflussen können. (…) Die Rolle der Leitung ist
begleitend und unterstützend (vgl. SENNINGER 2000, S. 11).
97
Transfer
Um einen nachhaltigen Lernprozess zu gewährleisten, ist es notwendig, sich mit der
Frage auseinander zu setzten, wie die Erfahrungen, die in einem Umfeld (auf
Schiffen) gemacht werden, das sich deutlich vom Alltagsleben unterscheidet, in das
"normale" Leben transferiert werden können? (vgl. REINERS 2007, S. 19). Die
Reflexion spielt für den Transfer eine wichtige Rolle. Durch die kognitive Reflexion
wird
nach
SENNINGER
ein
Transfer
der
Lernerfahrungen
aus
dem
erlebnispädagogischen Setting in die Alltagswelt der SchülerInnen gewährleistet.
"Als Transfer wird hier ganz allgemein das Fortschreiten des Lernenden vom
Konkreten zum Abstrakten verstanden, indem er neue Verhaltensweisen in der
konkreten (Kurs-) Situation entdeckt, diese Lernerfahrungen generalisiert und auf
andere (Alltags-) Situationen überträgt." (REINERS 2007, S. 19)
Die Reflexion und der Transfer sind eingebunden in einen Kreislauf des Lernens
(siehe Abb. 13). Lernen ist ein stetiger Prozess, der in der Erlebnispädagogik genutzt
werden kann. SENNINGER stellt dies in einem Modell mit unterschiedlichen
Dimensionen
und
Phasen
dar:
Zielfindungsphase,
Aktionsphase
und
Reflexionsphase, deren Grundlage die Erfüllung der Vorraussetzungen für das
Lernen sind. Die Grundvoraussetzungen fürs Lernen sind zum einen, das Erkennen
einer Notwendigkeit des Lernens, z.B. in Form eines Wunsches nach Veränderung,
der gepaart mit einer Vision der Vorstellung einer Verbesserung der Situation, zu
einer Handlungsmotivation führt.
Übertragen auf das Beispiel einer Schulklasse, kann die Notwendigkeit und der
Wunsch nach Veränderung aus einem schlechten Klassenklima entstehen, das für die
SchülerInnen Stress verursacht. Gemeinsam kann an einer Vision gearbeitet werden,
wie das Klassenklima positiver aussehen könnte und auf dieser Grundlage kann dann
in den Lernprozess eingestiegen werden, der mit einer Definition des Ziels beginnen
würde. Entwicklung und Lernen können nur auf der Grundlage eines guten
Lernklimas stattfinden; dieses sollte angstfrei und vertrauensvoll sein.
98
Abb. 13, „Experiential Learning Cycle“ (SENNINGER 2000, S. 28)
1. Dimension, Zielfindungsphase:
Wenn Lernen nicht zufällig stattfinden soll, ist es sinnvoll, mit Hilfe von geeigneten
Methoden Ziele für ein selbstverantwortliches Lernen zu definieren.
2. Dimension, Aktionsphase:
Eine Aufgabe oder eine Herausforderung wird angegangen.
3. Dimension, Reflexionsphase:
Das Erlebte wird in vier Schritten verarbeitet und Reflektiert. Es werden
Beobachtungen geschildert, bewertet, beurteilt und in den Alltag oder auf eine neue
Aufgabe transferiert. Bei der Aufzählung der Beobachtungen durch die
TeilnehmerInnen geht es nur um rein sachliche und beobachtbare Tatsachen, ohne
dass Bewertungen abgegeben werden. Beim zweiten Schritt der Beurteilung werden
99
aus den Beobachtungen Hypothesen formuliert, sowie Ursachen und Gründe für den
Verlauf der Aktion erforscht. Danach werden diese gewonnenen Ergebnisse
bewertet.
Bei
diesem
dritten
Schritt
sind
Meinungen,
Emotionen
und
Stellungnahmen gefragt. In einem letzten Schritt werden die Erkenntnisse auf ihre
Alltagstauglichkeit überprüft. Hier kann eine mögliche Leitfrage sein: Welche
Relevanz hat die gemachte Erfahrung für mich in meinem Alltag?
1. Dimension in der 4. Phase, Zielfindungsphase:
Es folgt eine Neuorientierung, aufgrund der gemachten Erfahrung werden alte Ziele
überprüft und neue Ziele können definiert werden.
(vgl. SENNINGER 2000, S. 28 f.)
Flow
PLÖHN führt die besondere innere Ausgeglichenheit, die von Einzelnen auf einer
Segelreise empfunden werden kann, auf das „Flow-Erleben“ zurück (vgl. PLÖHN
1998, S. 130–132) (siehe auch Kapitel 7.3.1). „Flow“ ist ein Zustand des
selbstvergessenen Aufgehens im Augenblick, weder störende Umwelteinflüsse, noch
düstere Gedanken oder das eigene Ich werden wahrgenommen. Ein realistisches
Zeitgefühl geht verloren oder die Zeit wird verzehrt wahrgenommen. Es kommt zu
einer
vollständigen
Übereinstimmung
von
Wahrnehmungs-,
Gefühls-
und
Bewegungsfunktionen. Dieser besondere Bewusstseinszustand wurde von Mihaly
CSIKSZENTMIHALYI als ,,Flow“ bezeichnet. Die Summe solcher qualitativ
hochwertiger
Erlebnisse
trägt
nach
HAHN
und
CSIKSZENTMIHALYI
zur
Persönlichkeitsentwicklung bei (vgl. REICHEL, SCALA 1996, S. 52). Durch wirkliche
und schaffbare Herausforderungen werden alle Energien des Menschen auf eine
Sache zentriert. Um diese Erfahrung zu machen, muss sich der Mensch
Herausforderungen stellen und Sicherheitsnetze aufgeben (vgl. KÖRBER 1989, S. 51
ff.). Auch hier entscheidet die Wahl der richtigen Herausforderung (vgl. Kapitel
7.3.1, das Lernzonenmodell) über das „Flow-Erleben“. Sowohl zu niedrige (es
entsteht Langeweile), als auch zu hohe (es entsteht Angst oder Überforderung)
Herausforderungen verhindern ein „Flow-Erlebniss“ (vgl. KÖRBER 1989, S. 32 ff.).
100
6.3.2 Interaktionspädagogik
Interaktionspädagogik ist ein spezieller Ansatz der Erlebnispädagogik. Die
Interaktionspädagogik wie sie von REINERS beschrieben wird, kann als eine Methode
zur Förderung des sozialen Lernens eingesetzt werden. REINERS bezeichnet die
Interaktionspädagogik als Teilkonzept des sozialen Lernens (vgl. REINERS 2007, S.
30). Aus dem „Project Adventure“, dass ursprünglich aus dem „Outward Bound“
Konzept hervorgegangen ist, sind Curricula entstanden, die es ermöglichen,
grundlegende Ansätze der Erlebnispädagogik in die Schule zu transferieren. Es ging
darum, ein längerfristiges wirkungsvolles Konzept zu entwickeln, dass auch vor Ort
umsetzbar ist; dies ist nachweislich gelungen (vgl. SENNINGER 2000, S. 15).
Es wurden unter anderem Spiele entwickelt, die „New Games“, die auf der
Grundlage entstanden fair zu spielen und Spaß zu haben und die auf die typische
Einteilung in GewinnerInnen und VerliererInnen von traditionellen Spielen
verzichteten. In diesem Konzept werden diese Spiele und Übungen, die der
Interaktionspädagogik zuzuordnen sind, Anwendung finden.
Die Grundlagen der Interaktionspädagogik sind der Lernzyklus (siehe Abb. 13), das
Lernzonenmodell (siehe Kapitel 7.3.1, Abb. 11) und das Prinzip des „Challenge by
Choice“, welches auf der Freiwilligkeit aller TeilnehmerInnen aufbaut, seine
Herausforderung selber zu wählen. Die Abenteueraktionen, Interaktionsspiele oder
Problemlösungsaufgaben sind Aktionen mit einer klaren pädagogischen Intention
(vgl. SENNINGER 2000, S. 15).
Interaktionspiele und Übungen:
Der Mensch ist ein dialogisches Wesen und kann sich in Auseinandersetzung mit
seiner Umwelt erkennen und bestimmen. Er ist in gewissem Maße abhängig von
dem, was ihn umgibt und gleichzeitig durch sein Wirken an seiner Mitgestaltung
beteiligt. Weder ist der Mensch nur Individuum noch Kollektiv. "Der Begriff
Interaktion bezeichnet dieses wechselseitige, aufeinander bezogene Handeln von
Individuen in Gruppen, welches HABERMAS als kommunikatives Handeln
(symbolisch vermittelte Interaktion und sprachlicher Austausch zwischen Menschen)
in Abgrenzung zum instrumentalen (zweckrationalem Handeln) und reflexiven
Handeln (kritische Prüfung des Sinns von Arbeit und Interaktion) beschreibt"
101
(REINERS 2007, S. 24). Dieser Kontakt zwischen Menschen
wird zusätzlich
beeinflusst durch die Persönlichkeit des Individuums auf der intrapersonellen Ebene
und durch den Einfluss der Gesellschaft auf der institutionellen Ebene. Die
Interaktionspädagogik setzt auf der interpersonellen Ebene an und will das soziale,
zwischenmenschliche Verhalten verbessern. Soziale Erfahrungen aus bereits
gemachten Interaktionssituationen beeinträchtigen das Denken und Handeln in
zukünftigen Situationen. Nach GUDJONS ist das Ziel der Interaktionserziehung
die Förderung der allgemeinen ‚sozialen Kompetenz‘, die Reifung durch
Auseinandersetzung mit dem eigenen Erleben in der offenen Begegnung mit
anderen, die Schulung der Selbst- und Fremdwahrnehmung und die
Erweiterung des sozialen Verhaltensrepertoires sowie die Selbstverantwortung
und Ich-Stärke (vgl. REINERS 2007, S. 24).
Der natürliche Beziehungsrahmen des Menschen als soziales Wesen ist die Gruppe
in der psychosoziales Lernen stattfindet. "Interaktionelle Gruppen haben das
ausschließliche Ziel, das Lernen im Bereich von Interaktion, Kommunikation und
Kooperation zu fördern. In der interaktionellen Gruppe wird sich der Einzelne
deshalb stärker bewusst, wie er sich tatsächlich verhält." (REINERS 2007, S. 25)
Interaktionsübungen oder -spiele können außerdem dazu beitragen, „durch
überraschende Erfahrungen die gegenseitige Wahrnehmung zu schulen und das
eigene Verhalten zu reflektieren. Gleichzeitig dienen sie der Auflockerung von
Unterrichts oder Gesprächsphasen und erlauben es, für einen bestimmten Zeitraum in
eine andere Rolle zu schlüpfen“ (MINISTERIUM FÜR KULTUR 2008, S. 79).
Der Vorteil dieser besonderen Kategorie der Erlebnispädagogik ist ihre
Anpassungsfähigkeit an die Situation: Dadurch dass wir es im Prinzip mit einer
„künstlichen“ Problemstellung zu tun haben, sind wir nicht so sehr an äußere
Gegebenheiten gebunden, wie es z.B. bei einer Wanderung der Fall wäre. Wenn eine
Gruppe einen 30 kilometer langen Weg durch die Berge finden muss, um die Hütte
zu erreichen, ist der Schwierigkeitsgrad durch die Dauer, das Wetter, die
Wegbeschaffenheit und die Kondition der TeilnehmerInnen naturgemäß von außen
vorgegeben und nicht variabel.
102
Interaktionsübungen
oder
Problemlösungsaufgaben
sind
künstliche
Problemstellungen die im Schwierigkeitsgrad, ihrer Komplexität, ihrem
pädagogischen Ziel und in ihrer Dauer anpassungsfähig sind. Gleichzeitig sind
sie auch an unterschiedlichen Orten einsetzbar. Manche dieser Übungen sind auch in
Räumen oder auf einem Schulhof durchführbar.
Die Interaktionsaufgaben zeichnen sich durch einen hohen Aufforderungscharakter
aus, durch die interessante Gestaltung der Aufgabe sind die TeilnehmerInnen
intrinsisch motiviert die Lösung anzugehen und sich "auszuprobieren". Neue
Verhaltensweisen können in ihnen erprobt und neue Erfahrungen können gesammelt
werden.
Das Spiel bietet eine fiktive Situation, die einen "Als-ob-Charakter"
innehat, der anschließend in der Reflexion distanziert betrachtet werden kann. Das
eigene Verhalten und die Rolle können ausgewertet und hinterfragt werden. "Das
Spiel bietet eine direkte Erfahrung, die im Gegensatz zur abstrakten Vermittlung
einen Zugang zur Wirklichkeit darstellt" (REINERS 2007, S. 28). Durch das aktive
miteinander Interagieren wird der Zusammenhalt der Gruppe gestärkt. Bei
Interaktionsspielen gibt es keine GewinnerInnen oder VerliererInnen (ebd.).
Interaktionsspiele sind eine Reproduktion der Realität in einer fiktiven Situation, die
Gruppendynamik und Strategien einer Gruppe werden sich hier genauso zeigen wie
in realen Situationen.
Es gibt Interaktionsspiele zu verschiedenen pädagogischen Schwerpunkten. REINERS
teilt
diese
in
fünf
Kategorien
auf:
Körper
und
Raumerfahrung,
Wahrnehmungsschulung, Ausdrucksspiele, Empathiespiele und Kooperationsspiele.
In den Übungen können folgende Kompetenzen angesprochen werden: Soziale
Kompetenz,
Lernbereitschaft,
Persönlichkeitsentwicklung,
Wertehaltungen,
Problemlösungsfähigkeit,
Kommunikationsfähigkeit,
Kooperationsfähigkeit,
Vertrauen und Spaß. Konkrete Ziele dieser Schwerpunkte können Sensibilisierung
von Wahrnehmung, Hilfe zur Kommunikation von Wahrnehmung und Emotionen,
Erkennen der eigenen Person und Aufbau eines Selbstbildes, Selbstvertrauens,
Selbstverantwortlichkeit, Hilfe zur Entwicklung von Vertrauen, Offenheit, Echtheit,
offenes konstruktives Feedback, flexibler Umgang mit Rollen und Normen,
Kooperation und Entscheidungs- und Konfliktstrategien sein.
103
"Erlebnispädagogische Maßnahmen in der Interaktionspädagogik erhöhen den
Anreiz der Beteiligung an Übungen. Interaktionsspiele stellen ein wichtiges
Instrument der Erlebnispädagogik dar, da sie Erfahrungen vorbereiten, vertiefen und
reflektieren können" (REINERS 2007, S. 38). Eine Interaktionsübung kann den Weg
einer Entscheidungsfindung deutlich machen und die Zusammenarbeit und
Kooperation einer Gruppe fördern. (ebd.)
6.3.3 Mediation
Die Mediation als Methode wurde bereits in dem Kapitel 4.5. (Mediation in der
Schule) beschrieben. An Bord steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von
Konflikten durch die in Kapitel 5.2.1. und 5.2.2. beschriebenen spezifischen
Umstände des Zusammenlebens an Bord. Ziel, die Mediation als Methode an Bord
einzusetzen, ist es, bei auftretenden Konflikten an Bord besser vermitteln und diese
Konflikte konstruktiv austragen zu können. Zum einen nützen Ausbildungen,
Kenntnisse
und
Erfahrungen
aus
dem
Bereich
der
Mediation
den
erlebnispädagogischen TrainerInnen und zum anderen soll dieses Wissen an die
SchülerInnen vermittelt werden, da es auch für sie hilfreich ist. (siehe 2.4.2)
Der Umgang mit Konflikten ist ein grundlegender Beitrag für ein erfolgreiches
Programm. Dies schreibt unter anderem auch SENNINGER (vgl. SENNINGER 2000, S.
76).
Konflikte
Das Thema Konflikte ist sehr vielschichtig und facettenreich, in der Fachliteratur
wurde bereits viel darüber geschrieben und so möchte ich mich an dieser Stelle
darauf beschränken, einige für die erlebnispädagogische Arbeit wichtige Facetten
anzusprechen und nicht detailliert auszuführen.
Bei einem Konflikt geht es um die Berücksichtigung der eigenen Bedürfnisse die in
Konkurrenz stehen zu der Berücksichtigung der Bedürfnisse anderer. Konflikte
können auf verschiedenen Ebenen auftreten. SENNINGER beschreibt in Anlehnung an
das Modell der Themenzentrierten Interaktion (TZI) von RUTH COHN, drei
verschiedene Ebenen; Intrapersönliche Konflikte, Konflikte in der Gruppe, Konflikte
mit der Leitung und Konflikte mit dem Thema (vgl. SENNINGER 2000, S. 76).
104
Ein Intrapersönlicher Konflikt ist ein interner Konflikt, bei dem die Ursache in der
Nichtbefriedigung eines Bedürfnisses liegt. Dies kann sich auf einen Mangel an
Anerkennung oder Respekt beziehen oder ein Zeichen dafür sein, dass eine
Lerngrenze erreicht wurde. Eine mögliche Ursache kann sein, dass die unbewussten
und bewussten Mechanismen und Verhaltensmuster, die entwickelt wurden, um mit
angstbesetzten Situationen umzugehen und Bedürfnisse zu befriedigen , nicht mehr
greifen oder dem Alter unangemessen sind (vgl. SENNINGER 2000, S. 76).
Bei Konflikten in der Gruppe geht es meist um Beziehungskonflikte zwischen
den Gruppenmitgliedern. Die Ursachen können ungeklärte Machtstrukturen,
missverständliche Kommunikation oder unklare Bedürfnisse sein.. Zum Beispiel
muss die Rollenstruktur in der Gruppe ausgehandelt werden, denn der Konflikt endet
bei der Rollenzuschreibung erst, wenn jeder mit seiner Rolle zufrieden ist. Dies ist
ein Aushandlungsprozess, der ein hohes Konfliktpotenzial birgt. "Um Konflikte
zwischen den TeilnehmernInnen zu lösen, müssen diese offen über ihre Unterschiede
zueinander sprechen können - allerdings mit Respekt vor anderen Meinungen,
Werten, Lebenseinseinstellungen etc." (SENNINGER 2000, S. 78). Genau an diesem
Punkt setzt die Mediation an und kann ihren Teil dazu beitragen, eine faire
Streitkultur zwischen den SchülerInnen aufzubauen. Bei Konflikten zwischen der
Leitung und der Gruppe muss der Konflikt angesprochen und die Art und Weise der
Zusammenarbeit mit der Gruppe gemeinsam überprüft werden. Hier geht es meistens
um eine Akzeptanz und gemeinsame Definition von Macht und Autorität. Konflikte
mit
dem
Thema
sind
Unstimmigkeiten
auf
der
Sachebene,
die
durch
unterschiedliche Vorinformation oder Wissen auftauchen können, z.B. wenn die
Inhalte des Kurses nicht den Erwartungen der Teilnehmer entsprechen. (vgl.
SENNINGER 2000, S. 79)
Konfliktlösungsstrategien
Die
Lösung
von
Konflikten
bewegt
sich
auf
zwei
Dimensionen;
die
Berücksichtigung der eigenen Bedürfnisse und die Berücksichtigung der Bedürfnisse
anderer.
105
Abb. 14, Konfliktlösung, K. COLE, 1996 in (SENNINGER 2000, S. 80)
Nach diesem Modell schafft eine wirklich ausgeglichene Bilanz nur die Kooperative
Strategie der Konfliktlösung. Neben den Möglichkeiten der Vermeidung, dem
Nachgeben, dem Zwang oder dem Kompromiss bietet die kooperative Strategie die
Möglichkeit ,die Zufriedenheit beider Konfliktpartner zu erreichen (vgl. SENNINGER
2000, S. 80). Ihr Ziel ist eine sogenannte „Win/Win“ Lösung, die auch die Grundlage
der Mediation ist.
Konflikte an Bord, Konfliktfähigkeit lernen an Bord
An Bord kommt es durch die bereits im Kapitel 5.2.1 gegebenen Umstände eher zu
Konflikten. Gleichzeitig, ist durch die Umstände aber auch die Notwendigkeit der
Zusammenarbeit gegeben. Somit bietet das Schiff zum einen die Gelegenheit
wichtige Erkenntnis in Konfliktlösungsstrategien zu erlangen und zum anderen
gleichzeitig ein praktisches Lernfeld, in dem diese neuen Erkenntnisse zeitnah
erprobt werden können.
In diesem Sinne ist es durchaus sinnvoll, ein Konflikttraining oder eine Ausbildung
zu SchülermediatorInnen und StreitschlichterInnen in das Programm auf dem Schiff
zu implementieren. Dies hätte unter anderem auch den Vorteil, dass externe
AusbilderInnen neue Lernerfahrungen für die Schüler eröffnen können, da ihre
Autorität nicht durch das Bewertungssystem der Schule belastet ist (vgl. BEHN et al.
2006, S. 23).
106
Auch kleinere Unterrichtseinheiten mit erlebnisorientierten Methoden zum Thema
Kommunikation, Konfliktfähigkeit und Feedback können, je nach Alter der
TeilnehmerInnen, sinnvoll an Bord eingesetzt werden. Um diesen Möglichkeiten
Rechnung
zu
tragen,
wurde
in
das
Konzept
ein
„Themenmodul“
als
Programmbaustein integriert, welches die vorangehend beschriebenen Ansätze
berücksichtigt.
6.4 Grundlagen der Umsetzung des Konzeptes
Im Folgenden möchte ich einige Grundsätzliche Themen beschreiben die für die
Umsetzung des Konzeptes von Bedeutung sind und für jedes Programmdesign gültig
sind.
6.4.1 Verhaltensregeln
Um neue angemessene und prosoziale Verhaltensweisen bei Jugendlichen
aufzubauen, hilft es, gemeinsam Verhaltensregeln zu erarbeiten zu entwickeln oder
vorzugeben
und
ihre
Einhaltung
zu
kontrollieren:
"Regeln
stellen
die
Grundbedingung für ein relativ konfliktfreies Miteinander dar und sind hilfreich
beim Lösen von Konflikten." (JUGERT 2007, S. 51 f.). Aus diesem Grunde werden zu
Beginn der Klassenfahrt an Bord gemeinsam mit den SchülerInnen Verhaltensregeln
erarbeitet, die sich auf den Umgang miteinander und auf das Verhalten an Bord
beziehen.
"Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Regeln besser akzeptiert werden, wenn
die Gruppe an der Entwicklung aktiv beteiligt ist. Dies schafft ein Gefühl der
Zugehörigkeit und der Eigenverantwortung und führt zum besseren einhalten der
Regeln" (JUGERT et al. 2007, S. 52). Trotzdem gibt es Situationen, in denen die
Trainer damit konfrontiert werden, dass Verhaltensregeln nicht eingehalten werden.
In einem solchen Fall sollten die Trainer ihre Reaktion und Intervention nach dem
Prinzip der logischen Konsequenz ausrichten wie sie in ihren Grundzügen z.B. von
ADLER beschrieben wurde. "Es war Alfred Adler, der zu erste erkannt hat, das Lohn
und Strafe in der Erziehung nur dann Sinn haben und eingesetzt werden sollen, wenn
sie als logische Konsequenzen des Verhaltens einsehbar sind und nicht als von
anderen willkürlich gesetzt erscheinen. Ein Verbot zum Landgang etwa eignet sich
107
demnach nicht als Strafe für ein Nichtantreten der Wache, da der innere
Zusammenhang dieser beiden Geschehnisse nicht erkennbar ist. Wohl aber könnte
ein Verbot zum Landgang als logische Konsequenz auf ein verspätetes Zurückkehren
zum Schiff ausgesprochen werden, wodurch sich etwa ein Auslauftermin verzögert
haben könnte. Als Bestrafung für einen verzögerten Wachantritt könnte dem
gegenüber etwa der Ausschluss vom gemeinsamen Mittagessen dienen, indem der
Wachdienst für den betreffenden Jugendlichen um eine Stunde verlängert wird, um
die Zeit auszugleichen, die ein wachfreies Crewmitglied benötigte, um dessen
Backschaftsdienst zu verrichten. (…) Strafen als willkürlich erscheinende
Erniedrigungen der eigenen Person vermindern bei dem Jugendlichen das
Selbstwertgefühl (was bei sozial auffälligen Jugendlichen ohnehin schon stark
vermindert ist) und werden als Angriff auf die eigene Person erlebt mit der Folge,
dass entweder Resignation oder Trotzhaltungen eintreten" (STADLER 1988, S. 47).
6.4.2 Verhalten und Rolle der TrainerInnen
Das Selbstverständnis eines erlebnispädagogischen Trainers oder einer Trainerin an
Bord stellt ROSENBERG in seiner Aussage über die Aufgabe von Lehrern wie folgt
dar: "Lehren ist so ähnlich wie Reiseveranstalter zu sein. Für mich heißt Lehren, den
Schülern Lust aufs Reisen zu machen. Reiseveranstalter bieten dir verschiedene
Reiseziele an, sie können dir auch etwas empfehlen oder dich beraten, aber sie sagen
dir nicht wo du hinfahren sollst. Reiseveranstalter erwarten von ihren Kunden weder,
dass sie alle zusammen fahren, noch dass sie an den gleichen Ort fahren. Und:
Reiseveranstalter vermitteln die Reise und kümmern sich um das Organisatorische,
aber sie fahren nicht mit" (ROSENBERG, SEILS 2007, S. 121 f.). Dies bedeutet für die
TrainerInnen an Bord, einen Rahmen zu schaffen, der das Erlernen sozialer
Kompetenzen ermöglicht und fördert, doch die SchülerInnen können und sollen den
Prozess mitentscheiden und mitgestalten.
Die TrainerInnen sollten eine Autorität darstellen wie BUEB sie in einem Interview
mit der GEO beschreibt; sie baut auf der Grundlage einer „rechtmäßig ausgeübten
Macht“ auf, die nicht missbraucht wird. Eine „rechtmäßig ausgeübten Macht“ meint
in diesem Zusammenhang eine „Macht“, die aus Kompetenzen und nicht aus der
Rollenzuschreibung resultiert und aus diesem Grund von den TeilnehmerInnen
108
akzeptiert wird. Er nennt den Charakter von MachtinhaberInnen als ein
entscheidendes Regularium, das vor einer Machtausnutzung bewahrt. (vgl. GEO
Kompakt 2008)
Es ist die Aufgabe der PädagogInnen und TrainerInnen eine angstfreie Atmosphäre
an Bord zu schaffen, die es ermöglicht, Vertrauen zueinander und untereinander
aufzubauen. Zu dieser Aufgabe gehört auch, vorhandene Ängste zu akzeptieren und
anzuerkennen. "Ein Pädagoge, der die Teilnehmer - aus welchen Gründen auch
immer - ängstigt oder Gefühle der Angst nicht annehmen kann, sie abwertet oder
ignoriert, kann nicht als geeignet für die Durchführung erlebnispädagogischer
Aktivitäten angesehen werden" (ZIEGENSPECK 1995, S. 227).
Wenn es in der Gruppe zu tiefgreifenden Konflikten kommt, sollten die TrainerInnen
in der Lage sein, die Gruppe erfolgreich durch diesen Konflikt zu begleiten. Es ist
unumgänglich sich als Kursleiter oder Pädagoge mit Konfliktlösungsstrategien
auseinanderzusetzen. Es gilt auch verdeckte Konflikte, die sich in Widerstand,
Aggression, Flucht oder Sabotage oder anderem Abwehrverhalten ausdrücken
können, zu erkennen. In der praktischen Arbeit sollte dies Teil des Wissens aller
TrainerInnen
sein.
Sie
müssen
zusätzlich
über
Fertigkeiten
im
Bereich
Gesprächsführung und Moderation verfügen (vgl. SENNINGER 2000, S. 11).
Externe TrainerInnen neben den Lehrkräften einzusetzen, hat durchaus Vorteile:
SchülerInnen, die als „abweichend“ etikettiert wurden, neigen häufiger dazu, sich
auch abweichend zu verhalten, als wenn nur die Handlung als abweichend
bezeichnet oder angesprochen wurde. (dazu auch Kapitel 2.3.3) Wenn nur die
Handlung als abweichend eingestuft wird, kann der/die SchülerIn sein/ihr positives
Selbstbild erhalten, wenn jedoch seine/ihre ganze Person als abweichend etikettiert
wird, muss er/sie die Devianz auf seine/ihre eigene Person beziehen und sich selbst
als abweichend betrachten. Wenn dies vermehrt geschieht, kann sich eine so
genannte "Schulidentität" ausbilden, die von einem negativen Selbstkonzept geprägt
ist und dadurch im Verlauf auch zu schlechterem Verhalten des Schülers oder der
SchülerIn in der Schule führen wird. Wenn eine Etikettierung vorliegt, erwartet der
Lehrer durch diese Etikettierung schlechtes Verhalten. Hier kann durch externe
TrainerInnen eine neue Situation geschaffen werden. Diesen TrainerInnen ist es
109
möglich, solche Etikettierungen zu erkennen und den SchülerInnen ist es
möglich,durch die Anwesenheit einer neuen Bezugsperson andere Seiten zu zeigen,
die auch eher anerkannt werden; somit bekommt der/die Jugendliche neue
Informationen. "Das Individuum wird zu dem, als was es bezeichnet wird" (vgl.
TANNENBAUM 1938, nach HARGREAVES 1981, in ANDORFF 1988, S. 21).
6.4.3 Anforderungen an den Kapitän
In dem Kapitel 5.2.3 wird die Situation des Kapitäns an Bord ausführlich
beschrieben.
Für
die
erfolgreiche
Durchführung
eines
pädagogischen
Kursprogramms sollte der/die KapitänIn gewisse Anforderungen an sein/ihr
Verhalten erfüllen. Dies ist meines Erachtens nur möglich, wenn der/die KapitänIn
gewillt und motiviert ist, pädagogische Zielsetzungen zu unterstützen und dafür auch
Einschränkungen oder Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen.
STADLER formuliert Verhaltensweisen, die KapitänInnen bei pädagogischen Fahrten
zeigen sollten: Die Regeln, die an Bord gelten und die der/die KapitänIn gegenüber
der Gruppe artikuliert, sollte er/sie selber als Vorbild am strengsten einhalten. Es
steigert die Motivation der TeilnehmerInnen, wenn er/sie bei schwierigen Manövern
nicht nur Befehle erteilt, sondern sich kooperativ zeigt und wenn möglich, auch
eigenen Einsatz bringt. Wenn es die Situation zulässt, sollte der/die KapitänIn den
SchülerInnen Handlungsspielräume lassen und strenge Anweisungen nur dort
verwenden, wo es nötig ist. Wenn Entscheidungen anstehen, sollten diese mit den
SchülerInnen abgesprochen werden, wobei mehrere Möglichkeiten zur Wahl stehen
sollten. Wenn Entscheidungen seitens der Schiffsführung getroffen wurden, sind
diese transparent zu kommunizieren und deren Beweggründe offen zu legen. Dies
kann auch nach einer Aktion passieren, wenn der Zeitdruck keine Erklärung in der
Situation zulässt. Es existieren traditionelle Kapitänsprivilegien, auf die bei einer
solchen Fahrt verzichtet werden sollte. Vorhandene Qualifikationen und bestehendes
Wissen sollte weitergegeben werden.
SchiffsführerIn und MaatIn sollten ihre Anweisungen in angemessener Lautstärke
und langsam geben und die Ansprache an konkrete Personen richten. Es sollten nicht
mehrere Anweisungen gleichzeitig gegeben werden. Bei der Arbeitsteilung an Bord
sollten die Bedürfnisse, Interessen und Probleme berücksichtigt werden (vgl.
STADLER 1988, S. 66).
110
6.5 Struktur des Programms
Für die Programmgestaltung, in der ich die theoretischen Ausführungen der voran
gegangenen Kapitel umsetzten möchte, habe ich mich für eine Struktur entschieden,
die sich aus einzelnen Programmbausteinen zusammensetzt. Sie sind flexibel
einsetzbar und an die Bedürfnisse der Zielgruppe individuell anzupassen, somit
ermöglichen sie den TrainerInnen flexibel auf den Gruppenprozess zu reagieren. Ein
Programmbaustein ist eine in sich geschlossene Aktion, die als solche eingesetzt,
aber auch mit anderen kombiniert werden kann.
Die Gestaltung eines Konzeptes mit Hilfe von Programmbausteinen ermöglicht es,
flexibel auf unterschiedliche Zielsetzungen und Schwerpunkte einzugehen. Die
meisten Elemente können für unterschiedliche Ziele eingesetzt werden. Durch die
inhaltliche Ausgestaltung der Elemente, sowie die Gestaltung der Moderation und
Auswertung eines Bausteins, können die Elemente auf die gewünschten Ziele hin
ausgerichtet werden.
Mögliche Schwerpunkte und Ziele der Programmbausteine zur Förderung sozialer
Kompetenzen innerhalb des Programms einer Klassenfahrt sind: Kooperation,
Kommunikation, Grenzen überwinden, Vertrauen (in sich selbst und in andere),
Verantwortung übernehmen, Förderung von Körpererfahrung durch sportliche
Aktivitäten, Durchhaltevermögen, Planen und Organisieren, Teamarbeit, Kreativität
und Wahrnehmung.
Programmbausteine
•
Kurseröffnung: Nachdem die Gruppe die Kammern bezogen und das
Gepäck verstaut hat, folgt ein gemeinsames Treffen, um sich gegenseitig
kennen zu lernen. Hier können erste Informationen ausgetauscht werden. Ein
wichtiger Punkt bei Beginn einer Fahrt ist das gemeinsame Erarbeiten von
den Erwartungen und Befürchtungen in Bezug auf die bevorstehende
gemeinsame Zeit an Bord. Die Lehrkräfte werden meistens schon
Informationen über die Reise weitergegeben haben und es ist wichtig, diese
mit den tatsächlichen Erwartungen der Klasse abzugleichen. Ängste sollten
genommen und Befürchtungen offen ausgesprochen werden können. Die
Programmgestaltung sollte auf Übereinstimmung mit den Wünschen und
111
Erwartungen der Gruppe überprüft werden. Es kann an dieser Stelle einen
Konflikt geben zwischen den Erwartungen und Wünschen der Lehrkräfte und
denen der Klasse. An dieser Stelle sollten die Rollen transparent gemacht
werden: Welche Aufgaben haben sie, welche haben die Lehrkräfte, TrainerIn
oder der SchiffsführerIn?
•
Kursauswertung: Die Kursauswertung steht am Ende eines jeden Kurses.
Sie dient der Gruppe zur Reflexion des Erlebten der gesamten Woche und hat
den Transfer der gesammelten Erkenntnisse zum Ziel (siehe Kapitel 7.4.2).
•
Reporterteam: Das Reporterteam wird von den SchülerInnen gestellt und
hat die Aufgabe, das gesamte Geschehen an Bord durch Fotos und Interviews
mit allen Beteiligten zu dokumentieren. Diese Daten werden dann später in
der Schule aufbereitet und bei einem Nachtreffen in Form einer Zeitung oder
eines Diavortrages präsentiert. Dies kann als Transferhilfe eingesetzt werden.
•
Interaktionsübungen: Den SchülerInnen werden Problemlösungsaufgaben
gestellt, die in einem Setting zusammengestellt sind und die sie nur
gemeinsam als Gruppe lösen können und die in ihrem Schwierigkeitsgrad
aufeinander
aufbauen.
Diese
Aufgaben
können
unterschiedliche
Zielsetzungen haben, wie z.B., die Förderung der Wahrnehmung,
Kommunikation, Zusammenarbeit, Vertrauensfähigkeit, Planungskompetenz,
etc. (siehe auch Kapitel 7.3.2).
•
Verpflegungsplanung als Gruppenaufgabe: Vor der Fahrt findet eine
gemeinsame intensive Planung der Lebensmittelversorgung statt, bei der die
SchülerInnen zwar Beratung erhalten, aber die Verantwortung der Leitung
und Durchführung übernehmen sollen. Dies soll die gemeinsame
Verantwortung für das „Unternehmen Klassenfahrt“ ins Blickfeld rücken. Die
Aufgaben dieses Projektes reichen von den Kochrezepten, den benötigten
Lebensmitteln, der Einteilung der Küchendienste und Kochgruppen, dem
Erstellen der Einkaufslisten, bis hin zur Einkaufsplanung. Selbstversorgung
kann ein wichtiges Element zur Erprobung der Eigenverantwortlichkeit und
Selbstständigkeit sein. Bei diesem Baustein wird der Ansatz des
erfahrungsorientierten Lernens sehr alltagsnah umgesetzt.
•
Bewegungsspiele:
Durch
bewegungsintensive
Spiele
können
Berührungsängste und Frustrationen abgebaut werden und durch den
112
gemeinsamen Spaß wird das Kennenlernen und das Gemeinschaftsgefühl
gefördert.
•
Segeleinweisung: Wenn gesegelt wird, geht dem eine fachsportliche
Schulung voraus. Diese kann schon vor der Klassenreise in der Schule
durchgeführt werden oder am Anfang der Reise an Bord des Schiffes. Die
SchülerInnen werden mit den Gegenständen und Abläufen an Bord vertraut
gemacht. Die wichtigsten Fachbegriffe und Knoten werden gelernt. Die
Funktion des Segelns wird erklärt und anhand von kleinen Schiffsmodellen
veranschaulicht, mit denen auch die Manöver geübt werden können.
•
Nachtwanderung:
Wenn
das
Schiff
im
Hafen
liegt,
können
Nachtwanderungen an Land durchgeführt werden. Je nach Standort können
diese am Strand oder im Wald durchgeführt werden. Sie dienen der
Wahrnehmungsschulung,
bieten
Zeit
für
Selbstwahrnehmung
und
Verarbeitung der Erlebnisse. Die Wanderungen werden schweigend
durchgeführt und enthalten einen Part, indem jede/r für sich eine Weile gehen
oder stehen wird, um die Ablenkung durch die anderen TeilnehmerInnen zu
verringern und Raum für Besinnung zu schaffen.
•
Floßbau: Der Floßbau gehört zu dem Bereich der Interaktionsübungen und
ist eine Aufgabe, bei der die TeilnehmerInnen in Kleingruppen aus
vorgegebenen Materialien ein Floß bauen müssen, mit dem sie nach
Fertigstellung eine Strecke von zweihundert Metern zurücklegen können.
•
Naturerfahrungen: Die Reise auf einem Traditionssegler ist eine intensive
Naturerfahrung. Aktionen mit dem Ziel der Naturerfahrung können zusätzlich
in vielfältiger Weise ins Programm eingebunden werden, um diesen Effekt zu
verstärken. Durch die ständige Anwesenheit von Wind, Wasser und Wellen
wirkt die Natur für sich.
•
„Run and Dip“: Gemeinsam mit den SchülerInnen, wird an Land durch die
Natur gelaufen bzw. gejoggt und anschließend im Meer gebadet. Ziel ist die
Körpererfahrung, das Naturerlebnis und die Erweckung der Sinne.
•
Mastklettern: Den SchülerInnen wird die Möglichkeit gegeben, gesichert bis
zur Mastspitze zu klettern und dann entweder wieder abzusteigen oder über
die Seilüberquerung von einem Mast zum anderen zu gehen und von dort
abzusteigen.
Die
SchülerInnen
werden
vorher
in
Kletter-
und
113
Sicherungstechniken eingewiesen und sollen sich bei dieser Aktion
gegenseitig sichern. So müssen die Sichernden die Verantwortung für ihre
KletterpartnerInnen übernehmen und die KletterInnen müssen ihnen
vertrauen
können.
Bei
dieser
Aktion
spielen
Angstbewältigung,
Körperwahrnehmung, Vertrauensstärkung, Konzentration und Sorgfalt eine
Rolle.
•
Seilüberquerung:
Die
SchülerInnen
erhalten
die
Aufgabe,
eine
Seilüberquerung über einer Senke zwischen zwei Bäumen aufzubauen. Für
diese Aktion werden sie in Kleingruppen geteilt, die - jede für sich - einen
Teil des Aufbaus gezeigt bekommen. Anschließend sollen die Kleinteams
gemeinsam den Aufbau durchführen. Um erfolgreich zu sein, ist ein hohes
Maß
an
Kooperations-
und
Kommunikationsbereitschaft
gefragt.
Anschließend können sie mit Hilfe eines Klettergurtes gesichert, die Senke an
den gespannten Seilen überqueren.
•
Dienste: Jeder/Jede TeilnehmerIn muss Gemeinschaftsaufgaben erledigen,
die der gesamten Gruppe dienen. Dazu gehört z.B. die „Backschaft“. Sie ist
an Bord ähnlich dem Küchendienst und hat die Aufgabe gesamte Mannschaft
zu verpflegen. Ein weiterer Dienst wird als „Reinschiff“ bezeichnet und
bedeutet die Sauberkeit und Ordnung an Bord, an und unter Deck,
herzustellen und aufrecht zu erhalten Dies ist wichtig, um die Sicherheit an
Bord zu gewährleisten.
•
Funkorientierung: Die Funkorientierung ist eine Expedition über Land, die
in der Länge und Dauer variabel ist. Bei dieser Übung wird die Gruppe in
zwei Kleingruppen unterteilt und bekommt den Ausschnitt der Karte, die die
Wegstrecke und das Ziel der anderen Gruppe zeigt und umgekehrt. Also hat
Gruppe A die Karte von Gruppe B und Gruppe B die Karte von Gruppe A.
Mit Hilfe von Funkgeräten können sie kommunizieren, um sich gegenseitig
den Weg zu zeigen. Dabei müssen sie die vorgegebenen Gesprächzeiten
beachten. Der Motivationscharakter kann bei dieser Aufgabe dadurch erhöht
werden, indem das Schiff die SchülerInnen in einem Hafen X an Land setzt.
Nun ist es das Ziel der SchülerInnen, den Hafen Y zu finden, zu dem das
Schiff fahren wird, um sie wieder an Bord zu nehmen.
114
•
Abschlussabend: Der Abschlussabend soll von den SchülerInnen als Projekt
in Kleingruppen selber gestaltet werden. Für diese Aufgabe stehen die
TrainerInnen ihnen als Hilfe zur Seite. Sie können eine Party organisieren,
ein Buffet machen, Theater aufführen oder ähnliches. Auch bei dieser
Aufgabe handelt es sich um eine Interaktion der Gruppe, die ein
gemeinsames Ziel erreichen muss: Einen schönen Abend zu gestalten.
•
„Captains Dinner“: Ursprünglich hat der/die KapitänIn beim „Captains
Dinner“ meistens in mehreren Gängen für die Mannschaft gekocht. Diese
Aktion funktioniert auch umgekehrt. Wenn es eine gute Segelwoche war, ist
diese Aktion als Dankeschön an den Schiffsführer gedacht, da alle wieder
sicher angekommen sind. Die SchülerInnen teilen sich in Gruppen und jede
Gruppe ist für einen Teil des Dinners verantwortlich: den Einkauf der
Zutaten, die Vorspeise, das Hauptgericht, das Dessert, die Dekoration, die
Musik, die Tischkärtchen etc. Bei dieser Aufgabe müssen sich alle ein letztes
Mal miteinander absprechen und zusammenarbeiten. Die Vorbereitung eines
solchen Abends gleicht einer großen Interaktion und kann als finale Aufgabe
betrachtet werden. Bei Gruppeninteraktionen, wie z.B. den Abschlussabend
zu gestalten oder in diesem Fall das „Captains Dinner“ vorzubereiten, kommt
es meiner Erfahrung nach häufig zu Konflikten. Anders als bei offensichtlich
angeleiteten
Übungen
zu
bestimmten
Themenfeldern
der
sozialen
Kompetenzen, ist bei diesen Aufgaben das pädagogische Ziel eher verdeckt
und die Gestaltung des Abends erscheint als vordergründige Aufgabe. Ich
konnte beobachten, dass einige Gruppen bei Aufgaben, die offensichtlich der
Schulung von sozialem Verhalten dienten, sehr gut zusammenarbeiteten und
rücksichtsvoll miteinander umgingen, bei verdeckten Übungen und Aufgaben
aber in ihr altes Verhalten zurückfielen. Daraus ziehe ich den Schluss, dass es
sinnvoll ist, auch möglichst realitätsnahe soziale Aufgaben zu schaffen. Die
TrainerInnen sollten hierbei anwesend sein und somit die Möglichkeit bieten,
bei auftretenden Konflikten, die SchülerInnen bei einer Lösung zu
unterstützen.
•
Themenmodule:
Es
können
Themenmodule
zu
unterschiedlichen
Schwerpunkten der sozialen Kompetenzen ausgeführt werden. Diese Module
bestehen aus theoretischen Einheiten und dazu passenden praktischen
115
Übungen, die mit Methoden arbeiten wie: Problemlösungsaufgaben,
Initiativaufgaben und Rollenspiele, die auf dem erfahrungsorientierten
Lernen basieren. Mögliche Themenmodule sind Kommunikations- und
Konfliktschulung oder ein Streitschlichtertraining.
Es
ist
z.B.
möglich
Orientierungsstufe
die
einer
Grundausbildung
Schule
der
mit
SchülerInnen
der
implementiertem
Streitschlichterprogramm auf dem Schiff durchzuführen. An Bord können
sich dann die gewonnenen Erkenntnisse aus den theoretischen Einheiten
perfekt in der praktischen Umsetzung, beim Segeln, bewähren.
Eine Möglichkeit die Förderung der kommunikativen Kompetenzen an Bord
zu implementieren, ist die Integration eines Moduls zum Thema
Kommunikation in den Programmablauf. Das Ziel eines solchen Moduls ist
die Kommunikationsfähigkeit und -bereitschaft zu erhöhen und so zu fördern,
dass die SchülerInnen einen Nutzen für ihre alltäglichen Gespräche in der
Schule oder im Privatleben daraus ziehen können. Für den sozialen Umgang
ist es wichtig, sich sprachlich gut ausdrücken und mitteilen zu können. Dies
bedeutet, dass man seine Wünsche und Erwartungen klar formulieren,
selbstbewusst auftreten, Kritik angemessen äußern und Konflikte fair
austragen kann.
Das „Ministerium für Kultur, Jugend und Sport Baden Württemberg“
beschreibt in einem Programm zur Förderung sozialer Kompetenzen ein
Themenmodul zur Kommunikation und Konfliktlösung wie es auch an Bord
umgesetzt werden könnte. „Das vierstündige Training wird in zwei Teile
gegliedert. Im ersten Teil steht der Bezug zu Schule und Unterricht im
Vordergrund. Die Schülerinnen und Schüler erhalten zunächst Informationen
über Grundformen der Kommunikation. Im Anschluss daran sollen sie ihre
mündliche Unterrichtsbeteiligung überdenken und herausarbeiten, welche
Faktoren sie daran hindern, sich am Unterricht zu beteiligen. Im zweiten Teil
geht es stärker um den zwischenmenschlichen Beziehungsaspekt. Die
Schülerinnen und Schüler erfahren mehr über Körpersprache und den
Umgang mit unsympathischen Menschen. Weiterhin lernen sie Ich- und Du116
Botschaften kennen und Projekte für soziales Lernen anzuwenden. Am Ende
werden die Merkmale guter Gespräche gemeinsam erarbeitet" (MINISTERIUM
FÜR KULTUR
2008, S. 87).
Faktoren die bei der Gestaltung und Umsetzung des Programms
berücksichtigt werden müssen:
•
Ziele, Wünsche und Vorstellungen der LehrerInnen, der SchülerInnen,
des Schiffsführers und der TrainerInnen: Es ist wichtig eine
Kommunikation mit allen Beteiligten über ihre Vorstellungen und Ziele zu
pflegen. In der Vorbereitungsphase, dem Beginn der Kursplanung,sollten
TrainerInnen und LehrerInnen ihre Vorstellungen und Ziele abgleichen
,damit das Programm entsprechend ausgerichtet werden kann. Die
SchülerInnen sollten vor der Klassenfahrt informiert werden, was sie erwartet
und am ersten Abend an Bord sollte das Programm sich auch nach ihren
Wünschen und Bedürfnissen richten. Dieser Abstimmung dient die
Kurseröffnung.
Ein Konflikt entsteht, wenn die Lehrkräfte andere Vorstellungen und
Wünsche bezüglich des Programms haben als die SchülerInnen. Hier entsteht
für die TrainerInnen eine Diskrepanz zwischen Kundenorientierung, die
LehrerInnen sind die Kunden, und pädagogischen Idealen in Bezug auf die
Partizipation der SchülerInnen.
•
Vorerfahrungen
der
SchülerInnen:
Die
Vorerfahrungen,
die
die
SchülerInnen sowohl im sozialen Bereich durch bereits gemachte
Sozialtrainings, als auch im fachsportlichen Bereich des Kletterns oder des
Segelns gemacht haben, beeinflussen das Programm. Der Schwierigkeitsgrad
sollte dem Niveau der Gruppe angepasst werden
•
Gruppensituation: Die soziale Situation in der Klasse, die Gruppendynamik
und Rollenverteilung spielen eine Rolle bei der Aufgabengestaltung. Wenn
die Rollenverteilung in der Klasse erkannt wurde, ist es z.B. möglich,
AußenseiternInnen gezielt verantwortungsvolle Aufgaben zuzuteilen, bei
denen sicher ist, dass sie diese bewältigen können, um eine Situation zu
schaffen, in der sie ihr Können zeigen dürfen.
117
•
Motivation der SchülerInnen berücksichtigen: Wenn die Lehrkraft ohne
Mitbestimmung der SchülerInnen die pädagogische Klassenreise gebucht hat,
haben die SchülerInnen eine andere Motivationsgrundlage als wenn sie sich
selber für diese Reise entschieden haben. Hier wird auch der Vorteil der
Kombination
vom
Training
sozialer
Kompetenzen
und
erlebnispädagogischen Methoden deutlich, denn sie besitzen einen hohen
Aufforderungscharakter, welches ein reines „Training sozialer Kompetenzen“
nicht vorweisen kann. Kaum eine Klasse würde sich, meiner Meinung nach,
für ein „Training sozialer Kompetenzen“ als Klassenreise entscheiden. Eine
gemeinsame Segelreise mit Erlebnischarakter erhöht die Attraktivität.
•
Zielorientierung: Eine normale Klassenfahrt dauert meist nicht länger als
zehn Tage. Bei einer kurzen Zeitspanne ist es sinnvoll, Schwerpunkte für die
Reise zu setzten. Die pädagogischen Ziele sollten auf die wichtigsten
beschränkt werden, denn die Möglichkeiten der Förderung von Kompetenzen
sind vielfältig.
•
Bedürfnisorientierung:
Das
Programm
sollte
immer
wieder
den
Bedürfnissen der Gruppe angepasst werden. Eine unzufriedene Gruppe
verbreitet schlechte Stimmung und lernt weniger. Bei allen Ansprüchen an
pädagogische Ziele sollte doch der Spaß eine wichtige Rolle spielen. Durch
aktuelle Problemstellungen muss auch von der Planung abgewichen werden
können.
•
Leistungsprofil der Klasse: Das Leistungsprofil bezieht sich auf physische,
psychische,
sicherheitstechnische,
inhaltliche
und
pädagogische
Komponenten. Die Leistungsbereitschaft und Fähigkeit muss so eingeschätzt
werden, dass die TeilnehmerInnen sich
nicht über längere Zeit in der
Panikzone (siehe Kapitel 7.3.1) befinden.
•
Äußere Einflüsse: Wind und Wetter beeinflussen die Reiseplanung und bei
hohem Seegang oder zuviel Wind muss die Route entsprechend geändert
werden.
118
6.6 Exemplarische Wiedergabe eines vollständigen
Programmablaufs
Ich möchte an dieser Stelle beispielhaft ein Programm vorstellen, wie es
durchgeführt
werden
könnte,
um
die
theoretischen
Ausführungen
der
Programmmodule zu veranschaulichen. Um das Programm gestalten zu können, hat
vorher ein ausführlicher Informationsaustausch mit den LehrerInnen über Wünsche,
Ziele und Bedürfnisse stattgefunden. Des Weiteren wurden Informationen über die
Klasse, die Klassenstruktur, Gruppendynamik, vorhandene Konflikte und besondere
Problemstellungen eingeholt.
Bei diesem Programm gehe ich von einer achten Klasse eines Gymnasiums aus. Die
SchülerInnen kennen sich teilweise von der Grundschule und andere kennen sich gar
nicht. Die Gruppenkonstellation ist durch die Wahl unterschiedlicher Fächer für alle
neu. Sie werden voraussichtlich bis zur dreizehnten Klasse zusammen arbeiten und
lernen. Das Ziel der Fahrt ist, nach gemeinsamen Überlegungen mit den Lehrkräften,
die Klasse zu einer Gemeinschaft zusammenzuführen und die SchülerInnen in ihrer
Rollenfindung zu unterstützen, sowie einen positiven sozialen Umgang miteinander
zu erarbeiten.
Täglich stattfindende Rituale (Dienste wie Küchendienst, Reinschiff etc.) werde ich
nicht mit ausführen. Nach dem Ablegen des Schiffes sind für die SchülerInnen nicht
durchgehend Aufgaben zu erledigen, deshalb können in dieser Zeit Themenmodule
bearbeitet oder Aktionen, wie z.B. das „Captains Dinner“ vorbereitet werden. Die
Durchführung kleinerer Interaktionsaufgaben an Bord wird den Segel- und
Wetterbedingungen angepasst.
Montag
Ankommen und Einführung. Die Klasse erreicht am Nachmittag den Hafen von
Lelystad am Islemeer. Nach einer allgemeinen Begrüßung der Lehrkräfte und
SchülerInnen erhalten sie die erste Interaktionsaufgabe, die sie gemeinsam lösen
müssen. Um auf das Schiff zu gelangen, muss über die Pier gegangen werden. Die
Klasse erhält die Aufgabe, sich eine Lösung für folgende Aufgabe auszudenken: Die
Jungen der Klasse dürfen den Boden der Pier berühren, aber die Gepäckstücke nicht.
119
Die Mädchen dürfen zwar die Gepäckstücke berühren, aber nicht den Boden. Ziel ist,
dass alle TeilnehmerInnen und Gepäckstücke an Bord gelangen. Während dieser
ersten
Übung
bekommen
die
TrainerInnen
einen
ersten
Eindruck
der
Gruppenstruktur der Klasse, da die SchülerInnen gefordert sind, zusammen zu
arbeiten. Anschließend werden die Kammern bezogen und es gibt eine erste
Schiffseinweisung. Am Anreisetag wird auch die Kurseröffnung (siehe 7.5)
durchgeführt.
Dienstag
Das Frühstück wird für eine Interaktionsaufgabe genutzt. Die SchülerInnen
erhalten die Aufgabe, mit zusammengebundenen Händen zu frühstücken. Jede rechte
Hand ist mit der linken seines/seiner NachbarIn durch eine Band verbunden. So
müssen die SchülerInnen untereinander Absprachen treffen, wer zu welcher Zeit
Handlungen ausführen darf. Nach dem Frühstück findet eine Reflexion und
Auswertung statt. Dabei kann es um Fragen gehen wie: Worauf kommt es bei einer
guten Zusammenarbeit an? Welche Bedeutung hat für uns Zusammenarbeit in
Hinblick auf das unmittelbar anstehende, gemeinsame Segeln? Anschließend folgt
eine Segeleinweisung und es wird abgelegt. Daraufhin wird das Bedienen der Segel
geübt. Abends im Hafen erfolgt eine Auswertung des Erlebten. Hier geht es um eine
Reflexion der Zusammenarbeit und des sozialen Umgangs miteinanders.
Mittwoch
Ablegen nach dem Frühstück und den erledigten Diensten. Durchführen eines
Themenmoduls z.B. zum Thema Zusammenarbeit. Es folgen in Hinblick auf das
Themenmodul Manöverübungen unter Segeln, die anschließend reflektiert werden.
Abends gibt es im Hafen eine weitere Übung zum Thema Zusammenarbeit: Der
Floßbau (siehe 7.5). Auf freiwilliger Basis können alle nach der Tagesauswertung an
einer besinnlichen Nachtwanderung teilnehmen.
Donnerstag
Der Tag beginnt mit einem „Run and Dip“ (siehe 7.5). Danach erfolgt die
Einweisung
und
Durchführung
der
Funkorientierung
mit
anschließender
Auswertung zum Thema Kommunikation. Am Ziel der Strecke wartet auf die
120
Kleingruppen ein vorbereitetes Picknick oder Grillen am Strand. Nach dem Grillen
wird mit dem Schiff ausgelaufen und vor Anker gegangen. Es wird Sternenkunde
mit Sternentafeln an Deck angeboten.
Freitag
Wenn man Ankert bietet, es sich an, morgens direkt vom Schiff aus schwimmen zu
gehen. Von den Masten und Gaffeln aus können die Taue als Lianen benutz werden,
um ins Wasser zu schwingen. Danach werden die Segel gesetzt und ein neues Ziel
angesteuert. Ein weiteres Themenmodul zum Thema Kommunikation wird
durchgeführt und nimmt Bezug auf die Funkorientierung und deren Auswertung.
Abends im Hafen folgt die Einweisung in die Aktion „Captains Dinner“.
Samstag
Einkaufen für das „Captains Dinner“, Ablegen, Segeln und währenddessen das
„Captains Dinners“ vorbereiten. Im Hafen folgt das Dinner an Bord, anschließend
findet
der
Abschlussabend mit
abschließender Abschlussauswertung und
Lagerfeuer am Strand statt.
Sonntag
Packen, Aufräumen und Saubermachen des Schiffes, Auswertungsgespräche mit den
Lehrkräften und Besprechung der Nachbereitungsphase. Durchführung einer
Abschiedsaktion mit der Klasse bevor die Gruppe wieder an Land geht.
121
7. Abschließende Betrachtung
Die thematischen, theoretischen und praktischen Ausführungen dieser Arbeit zeigen,
dass es durchaus sinnvoll und möglich ist, soziale Kompetenzen von Jugendlichen
durch eine konzeptionelle inhaltliche Gestaltung der Klassenfahrt an Bord von
Traditionsseglern, zu fördern. Dies ist auch im Rahmen der Nutzungsbedingungen
für Traditionssegler in den Niederlanden möglich. Es kann ein Handlungsfeld für
SchülerInnen geschaffen werden, indem soziales Lernen stattfindet. Die besondere
Qualifikation dieser Schiffe für solche Maßnahmen wurde ebenfalls sichtbar.
In dieser Arbeit wurden verschiedene Aspekte und Faktoren des sozialen Lernens
betrachtet und in einer Konzeption für Klassenfahrten praktisch ausgeführt. Dabei
zeigt sich deutlich, dass eine wirklich nachhaltige und weit reichende Förderung
sozialer Kompetenzen bei SchülerInnen nur durch ein ganzheitliches Konzept
erreicht werden kann, welches alle Ebenen des sozialen Lernens einbezieht. Die
Sozialisationssysteme Familie, Schule und Peergroups wirken zusammen und
beeinflussen die Sozialisation der Jugendlichen. Wenn wir voraussetzen, dass wir
soziale Kompetenzen im Rahmen der Institution Schule fördern wollen, so ist die
Implementierung eines ganzheitlichen Konzeptes zu empfehlen. Die Elemente eines
solchen Konzeptes verbinden mehrere Ansätze zur Förderung sozialer Kompetenzen.
Eine Klassenfahrt auf einem Traditionssegler kann durch eine Integration in eine
solche konzeptionelle Rahmung mehr zur Förderung sozialer Kompetenzen
beitragen, als eine nicht in ein ganzheitliches Schulkonzept integrierte. Dennoch
komme ich zu dem Schluss, dass eine Umsetzung eines pädagogischen Konzeptes
für die Klassenfahrten auf Traditionsseglern aus folgenden Gründen sinnvoll ist:
Klassenfahrten auf Traditionsseglern werden häufig durchgeführt, ohne dass das
Potenzial genutzt wird, infolge dessen stellt die Integration eines pädagogischen
Konzeptes eine inhaltliche Verbesserung der Klassenfahrten dar. Des Weiteren
können kognitive Verarbeitungsprozesse bei den SchülerInnen angestoßen werden,
die noch über die Klassenfahrt hinaus wirken. Ebenso erhalten die Lehrkräfte einen
Einblick in Methoden, die ihnen bisher möglicherweise nicht vertraut waren.
Die neuen Erfahrungen können sie dazu animieren, ganzheitliche Veränderungen in
122
ihrer Schule anzustreben, bis hin zu der Motivation, ein ganzheitliches Projekt zu
implementieren.
Bei der Umsetzung einer Klassenreise auf Traditionsseglern mit pädagogischer
Zielsetzung wird eine SchiffsführerIn und eine MaatIn benötigt denen bewusst ist,
was diese Zielsetzung, für die Schiffsbesatzung bedeutet. Sie müssen dazu bereit
sein, sich auf ein pädagogisches Arbeiten einzulassen und die Segelführung, ihre
Verhaltensweisen und Handlungen diesem anzupassen. Es muss akzeptiert werden,
dass Manöver länger dauern und intensiver vor- und nachbereitet werden. Vor allem
die MaatIn muss bereit sein, mehr Zeit zu investieren, um den SchülerInnen die
Abläufe und Hintergründe des Segelns transparent zu machen.
Ich komme weiterhin zu dem Schluss, dass die Mehrzahl der weiterführenden
Schulen in Deutschland dem Erwerb fachlicher Kompetenzen immer noch mehr
Bedeutung zumisst als den sozialen Kompetenzen. Die Schule ist zur Zeit kein Ort,
an dem es in ausreichendem Maße möglich ist, soziale Kompetenzen zu erlernen. Es
kann Aufgabe der SchulsozialpädagogInnen vor Ort sein, nach Möglichkeiten zu
suchen, wie sie die Schule, an der sie tätig sind, als einen Ort an dem soziales Lernen
gefördert wird, gestalten können. Dies setzt jedoch voraus, dass eine Stelle für
einen/eine SchulsozialpädagogIn geschaffenen wurde, was an den meisten Schulen
noch nicht der Fall ist. Diese Stellen sollten von den zuständigen Ministerien
geschaffen werden. SchulsozialpädagogInnen sollten sich nicht den Zielen der
Institution Schule unterordnen, sondern einen Raum schaffen, der frei von
Bewertungen und Leistungsdruck ist. Sie können sich an ihrer Schule dafür
einsetzten, dass ganzheitliche Konzepte zur Förderung sozialen Lernens in den
alltäglichen
Ablauf
der
Schule
integriert
werden.
Hier
kann
auch
die
Erlebnispädagogik als Methode des handlungsorientierten Lernens einen Beitrag
leisten. Ich erachte es als sinnvoll, solche Förderprogramme an Schule
durchzuführen,
da
dadurch
vor
allem
Kinder
aus
schwierigem
Familienverhältnissenn erreicht werden. Diese wären ansonsten nur schwer
erreichbar.
123
Eine pädagogische Klassenfahrt dieser Art könnte insbesondere für den Beginn einer
neuen Klassenstufe mit einer neuen Schülerkonstellation, bei der Versetzung an eine
weiterführende Schule, als Grundlage genutzt werden. Der Neubeginn einer Klasse
bietet die Chance, von Anfang an einen pädagogischen Grundton zu setzten (vgl.
GILSDORF, VOLKERT 2004, S. 67). So könnten von Anfang an, Mobbing und
diskriminierenden Verhaltensweisen innerhalb einer Klasse präventiv begegnet
werden. Es könnte innerhalb der Klassenreise an einem positiven Klassenklima
gearbeitet und die SchülerInnnen in ihrer Rollenfindung unterstützt werden.
Während der Reise werden gemeinsam Regeln in Bezug auf den sozialen Umgang
miteinander erarbeitet, diese finden auch über die Klassenreise hinaus in dem
Schulunterricht Anwendung.
124
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Eidesstattliche Erklärung
Hiermit versichere ich, dass ich diese Diplomarbeit eigenständig verfasst
und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt
habe.
Annika Sehlcke
Lüneburg, den 04.02.2009
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