58 MARKETING Tragetaschen Papiertragetaschen werden oft als umweltfreundlichere Alternative zu Plastiktüten gesehen Was wird aus der Einkaufstüte? Foto: Zeichen & Wunder Die EU hat eine Richtlinie zur Reduzierung des Plastiktütenverbrauchs erlassen. Wie wirkt sich diese bzw. deren nationale Umsetzung auf das Thema Tragetaschen insgesamt aus? Wie werden sich der Markt, die Konzepte der Händler und das Verhalten der Konsumenten ändern? von Stefanie Hütz Die Verschmutzung der Weltmeere mit Plastikmüll und das sogenannte Littering, also die Unsitte, Abfälle im öffentlichen Raum achtlos wegzuwerfen, zählen zu den Umweltproblemen „Maßgeschneiderte“ Papiertasche, hier für Shell unserer Zeit. Als eine Maßnahme, diese anzugehen und zugleich Ressourcen zu schonen, haben sich die Mitgliedsstaaten der EU zum Ziel gesetzt, den Konsum von Kunststofftüten deutlich zu reduzieren. Zurzeit verbraucht jeder Europäer im Durchschnitt 198 davon im Jahr. Ab 2020 sollen es „nur“ noch 90, ab 2026 pro Kopf 40 sein. Im Ländervergleich ist Irland, wo es eine Steuer auf Plastiktüten gibt, mit aktuell 18 Tüten pro Kopf Primus, Bulgarien mit 421 negatives Schlusslicht. Deutschland steht mit zuletzt ermittelten 71 Tüten je Einwohner recht gut da. Bernhard Sprockamp, Geschäftsführer des Industrieverbandes Papier- und Folienverpackung (IPV) schätzt sogar, „dass es derzeit nur noch 60 sind“. Sprockamp meint: „Allein durch die öffentliche Diskussion ist ein Rückgang des Verbrauchs spürbar.“ Foto: Bags by Riedle 02 2016 stores+shops So gibt es als nationale Umsetzung der EU-Richtlinie auch lediglich eine Vereinbarung des Handels mit dem Bundesumweltministerium und kein Gesetz (siehe Interview). Ein Grund dafür, dass Deutschland einen vergleichsweise niedrigen Verbrauch hat, wird im „Tütengroschen“ gesehen, der im Lebensmittelhandel bereits seit Jahrzehnten auf freiwilliger Basis etabliert ist. Dieser Weg, Tüten nur gegen ein aus kartellrechtlichen Gründen individuell zu bestimmendes Entgelt abzugeben, soll nun auch im Nonfood-Handel eingeführt werden. Saubere Weltmeere Der Outdoor-Ausrüster Globetrotter zum Beispiel gibt Einwegtüten seit dem 1. April nur noch gegen einen Betrag von 20 Cent aus und unterstützt das Projekt „Meere ohne Plastik“ Tragetaschen MARKETING 59 Genutzte Plastiktüten pro Einwohner 2010 Irland 18 Deutschland 71 Europäische Union 198 Bulgarien 421 Quelle: Europäische Kommission des Naturschutzbundes Deutschland (NABU). Der Mode-Filialist Tally Weijl hat die Plastiktüte komplett verbannt und gibt jetzt auch Tragetaschen aus Papier nur noch gegen eine Gebühr von 20 Cent aus. 50 Prozent des Erlöses, so heißt es, gehen an das MeeresmüllProjekt „Seekuh“ der Organisation One Earth – One Ocean. Auch der Modehändler Lengermann + Trieschmann aus Osnabrück führte zum 1. April eine Gebühr für Plastik- und Papiertüten in Höhe von 20 Cent ein und machte ein plakatives Bekenntnis zum Umweltschutz daraus: 4 Wochen lang stand die SchaufensterDeko unter dem Motto „Saubere Weltmeere“. Die SB-Warenhauskette Famila-Nordost hat die Selbstverpflichtung des HDE ebenfalls bereits unterzeichnet. Seit Langem sind dort sämtliche Taschen kostenpflichtig. Für Plastiktüten und Papiertragetaschen sind 20 Cent zu entrichten, darüber hinaus stehen Baumwolltragetaschen, Bigbags und Plastik-Klappkörbe zur Interview Kunststofftüten künftig nicht mehr kostenlos In Deutschland wird die EU-Richtlinie Nr. 2015/720 durch eine Vereinbarung des Handels mit dem Bundesumweltministerium umgesetzt. Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland HDE über Hintergründe und Inhalte. Warum erachtet der Handelsverband Deutschland es als wichtig, eine gesetzliche Vorschrift zu vermeiden? Wozu ein Gesetz, wenn wir in Deutschland schon heute weniger Tüten verbrauchen, als es die EU-Richtlinie für 2020 vorsieht? Bundesumweltministerin Hendricks hatte zudem von Anfang an signalisiert, eine freiwillige Lösung des Handels zu bevorzugen. Das deckt sich mit unserem Grundverständnis, unternehmerische Freiheit nicht unnötig durch Gesetze einzuschränken. Stefan Genth Hauptgeschäftsführer des HDE mit Sitz in Berlin Was beinhaltet die Selbstverpflichtungserklärung und wann tritt sie in Kraft? Die mit dem Bundesumweltministerium geschlossene Vereinbarung tritt zum 1. Juli dieses Jahres in Kraft. Mit der freiwilligen Vereinbarung verpflichten sich alle teilnehmenden Unternehmen dazu, zukünftig keine Kunststofftüten mehr kostenlos an ihre Kunden abzugeben. Von der Bezahlpflicht ausgenommen bleiben lediglich sogenannten Hemdchenbeutel zum Beispiel für frische Lebensmitte sowie hochwertige Permanenttragetaschen. Teil der Vereinbarung ist 02 2016 stores+shops überdies ein Monitoring des Tütenaufkommens. Verbräuche werden seitens der Unternehmen transparent gemacht und durch unabhängige Dritte überprüft. Ziel ist, dass innerhalb von zwei Jahren 80 Prozent der Kunststofftüten im Einzelhandel kostenpflichtig sein sollen, vom Start weg sind wir bei etwa 60 Prozent. Im Lebensmittelhandel ist es seit Jahrzehnten Usus, Tragetaschen nur gegen Gebühr auszugeben. Warum tun sich andere Handelsbranchen schwer damit? Tragetaschen sind eine wichtige Serviceleistung des Händlers für seine Kunden, von denen viele erwarten, dass sie für ihren Einkauf eine sichere und saubere Transportmöglichkeit zur Verfügung gestellt bekommen. An dieser Stelle einen Bewusstseinswandel herbeizuführen und für die umweltpolitische Weichenstellung zu sensibilisieren, gelingt nicht von heute auf morgen.