Was wird aus der Einkaufstüte?

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MARKETING Tragetaschen
Papiertragetaschen werden oft als umweltfreundlichere Alternative zu Plastiktüten gesehen
Was wird aus
der Einkaufstüte?
Foto: Zeichen & Wunder
Die EU hat eine Richtlinie zur Reduzierung des Plastiktütenverbrauchs erlassen. Wie
wirkt sich diese bzw. deren nationale Umsetzung auf das Thema Tragetaschen insgesamt aus? Wie werden sich der Markt, die Konzepte der Händler und das Verhalten
der Konsumenten ändern?
von Stefanie Hütz
Die Verschmutzung der Weltmeere mit Plastikmüll und das sogenannte Littering, also die
Unsitte, Abfälle im öffentlichen Raum achtlos
wegzuwerfen, zählen zu den Umweltproblemen
„Maßgeschneiderte“
Papiertasche,
hier für Shell
unserer Zeit. Als eine Maßnahme, diese anzugehen und zugleich Ressourcen zu schonen,
haben sich die Mitgliedsstaaten der EU zum
Ziel gesetzt, den Konsum von Kunststofftüten
deutlich zu reduzieren. Zurzeit verbraucht jeder
Europäer im Durchschnitt 198 davon im Jahr.
Ab 2020 sollen es „nur“ noch 90, ab 2026 pro
Kopf 40 sein. Im Ländervergleich ist Irland, wo
es eine Steuer auf Plastiktüten gibt, mit aktuell
18 Tüten pro Kopf Primus, Bulgarien mit 421
negatives Schlusslicht. Deutschland steht mit
zuletzt ermittelten 71 Tüten je Einwohner recht
gut da. Bernhard Sprockamp, Geschäftsführer
des Industrieverbandes Papier- und Folienverpackung (IPV) schätzt sogar, „dass es derzeit
nur noch 60 sind“. Sprockamp meint: „Allein
durch die öffentliche Diskussion ist ein Rückgang des Verbrauchs spürbar.“
Foto: Bags by Riedle
02 2016 stores+shops
So gibt es als nationale Umsetzung der
EU-Richtlinie auch lediglich eine Vereinbarung
des Handels mit dem Bundesumweltministerium und kein Gesetz (siehe Interview). Ein Grund
dafür, dass Deutschland einen vergleichsweise niedrigen Verbrauch hat, wird im „Tütengroschen“ gesehen, der im Lebensmittelhandel
bereits seit Jahrzehnten auf freiwilliger Basis
etabliert ist. Dieser Weg, Tüten nur gegen ein
aus kartellrechtlichen Gründen individuell zu
bestimmendes Entgelt abzugeben, soll nun
auch im Nonfood-Handel eingeführt werden.
Saubere Weltmeere
Der Outdoor-Ausrüster Globetrotter zum Beispiel gibt Einwegtüten seit dem 1. April nur
noch gegen einen Betrag von 20 Cent aus und
unterstützt das Projekt „Meere ohne Plastik“
Tragetaschen MARKETING
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Genutzte Plastiktüten pro Einwohner 2010
Irland
18
Deutschland
71
Europäische Union
198
Bulgarien
421
Quelle: Europäische Kommission
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU).
Der Mode-Filialist Tally Weijl hat die Plastiktüte komplett verbannt und gibt jetzt auch Tragetaschen aus Papier nur noch gegen eine
Gebühr von 20 Cent aus. 50 Prozent des Erlöses, so heißt es, gehen an das MeeresmüllProjekt „Seekuh“ der Organisation One Earth
– One Ocean. Auch der Modehändler Lengermann + Trieschmann aus Osnabrück führte zum
1. April eine Gebühr für Plastik- und Papiertüten in Höhe von 20 Cent ein und machte ein
plakatives Bekenntnis zum Umweltschutz daraus: 4 Wochen lang stand die SchaufensterDeko unter dem Motto „Saubere Weltmeere“.
Die SB-Warenhauskette Famila-Nordost
hat die Selbstverpflichtung des HDE ebenfalls
bereits unterzeichnet. Seit Langem sind dort
sämtliche Taschen kostenpflichtig. Für Plastiktüten und Papiertragetaschen sind 20 Cent zu
entrichten, darüber hinaus stehen Baumwolltragetaschen, Bigbags und Plastik-Klappkörbe zur
Interview
Kunststofftüten künftig nicht mehr kostenlos
In Deutschland wird die EU-Richtlinie Nr.
2015/720 durch eine Vereinbarung des
Handels mit dem Bundesumweltministerium umgesetzt. Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands
Deutschland HDE über Hintergründe und
Inhalte.
Warum erachtet der Handelsverband
Deutschland es als wichtig, eine gesetzliche Vorschrift zu vermeiden?
Wozu ein Gesetz, wenn wir in Deutschland
schon heute weniger Tüten verbrauchen, als
es die EU-Richtlinie für 2020 vorsieht? Bundesumweltministerin Hendricks hatte zudem von
Anfang an signalisiert, eine freiwillige Lösung
des Handels zu bevorzugen. Das deckt sich
mit unserem Grundverständnis, unternehmerische Freiheit nicht unnötig durch Gesetze einzuschränken.
Stefan Genth
Hauptgeschäftsführer des
HDE mit Sitz in Berlin
Was beinhaltet die Selbstverpflichtungserklärung und wann tritt sie in Kraft?
Die mit dem Bundesumweltministerium geschlossene Vereinbarung tritt zum 1. Juli dieses Jahres in Kraft. Mit der freiwilligen Vereinbarung
verpflichten sich alle teilnehmenden Unternehmen dazu, zukünftig keine Kunststofftüten mehr
kostenlos an ihre Kunden abzugeben. Von der
Bezahlpflicht ausgenommen bleiben lediglich
sogenannten Hemdchenbeutel zum Beispiel für
frische Lebensmitte sowie hochwertige Permanenttragetaschen. Teil der Vereinbarung ist
02 2016 stores+shops
überdies ein Monitoring des Tütenaufkommens.
Verbräuche werden seitens der Unternehmen
transparent gemacht und durch unabhängige
Dritte überprüft. Ziel ist, dass innerhalb von zwei
Jahren 80 Prozent der Kunststofftüten im Einzelhandel kostenpflichtig sein sollen, vom Start
weg sind wir bei etwa 60 Prozent.
Im Lebensmittelhandel ist es seit Jahrzehnten Usus, Tragetaschen nur gegen
Gebühr auszugeben. Warum tun sich andere Handelsbranchen schwer damit?
Tragetaschen sind eine wichtige Serviceleistung des Händlers für seine Kunden, von denen
viele erwarten, dass sie für ihren Einkauf eine
sichere und saubere Transportmöglichkeit zur
Verfügung gestellt bekommen. An dieser Stelle
einen Bewusstseinswandel herbeizuführen und
für die umweltpolitische Weichenstellung zu sensibilisieren, gelingt nicht von heute auf morgen.
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