wissen&forschung thema Momente der Wahrheit Die RELEVANZ VON TOUCHPOINTS entlang der Customer Journey 50 planung&analyse 2/2017 Für Verbraucher wird die Wahl eines Produktes im Supermarkt zunehmend komplexer – im Überangebot von mehr oder weniger austauschbaren Artikeln kämpft eine stetig steigende Anzahl von Waren um den immer knapper werdenden Platz im Regal. Im Wettstreit um Kunden übertrumpfen sich Marken durch besonders aufmerksamkeitsstarke Platzierungen, einzigartige Verpackung, Produktinnovationen, limitierte Editionen und unwiderstehliche Sonderangebote. Neueste Forschung zeigt allerdings, dass die Platzierung der Marke im Supermarkt alleine nicht ausreichend ist. Denn trotz des verschärften Wettbewerbs um Aufmerksamkeit am Point of Sale (PoS) kaufen Kunden häufig die von ihnen bereits vor dem Kauf präferierten Marken. Bei verschiedenen Konsumgütern wird in über der Hälfte der Kaufsituationen die präferierte Marke gewählt, bei Kaffee gar in 70 Prozent der Fälle (siehe Abbildung 1). Im Gegensatz zu anderen Kategorien fällt bei Konsumgütern die Entscheidung für oder gegen ein Produkt in viel kürzerer Zeit und mit geringerem kognitiven Aufwand. Es handelt sich zumeist um häufig wiederkehrende Kaufsituationen. Aus diesem Grund spielen die emotionalen Werte und das Vertrauen in die Marke eine entscheidende Rolle. Ein langfristiger Markenaufbau ist unerlässlich, um den Moment der Kaufentscheidung für die eigenen Produkte zu gewinnen. Daher ist das Supermarktregal tatsächlich nicht der alleinige Moment der Wahrheit, sondern wird durch viele weitere wichtige Momente in der gesamten Customer Journey ergänzt. Doch welche konkreten Momente sind es, in denen die Wahrnehmung der Marke beeinflusst und damit Wachstumspotenzial realisiert werden kann? FOTO: FOTOLIA A m Supermarktregal kommt der Moment der Wahrheit: Wird das Produkt wahrgenommen? Zieht es Interesse auf sich? Wird es in den Einkaufswagen gelegt? Aber die Entscheidung für oder gegen ein Produkt wird nicht vollständig im Supermarkt gefällt. Vielmehr spielt das Erleben der Marken über verschiedenste Kontaktpunkte hinweg eine entscheidende Rolle. Dies ergaben zwei Studien von Kantar TNS, die von Dr. Niels Neudecker, Nicola Niesl und Caroline Schicketanz vorgestellt werden. Das Markenerleben findet an jedem Kontaktpunkt zwischen Konsument und Marke statt. Diese Momente, auch Touchpoints genannt, sind somit das wesentliche Beeinflussungsinstrument der Markenführung. Entscheidend ist, ob durch entsprechende Maßnahmen eines Unternehmens die richtigen Konsumenten erreicht werden, wie gut Kontaktpunkte zwischen Konsumenten und Marken erinnert werden und ob die Marke an den jeweiligen Touchpoints einen positiven oder negativen Eindruck hinterlässt. Mehrere Touchpoints formen die Marke Das Spektrum verschiedener Touchpoints ist sehr groß: Jedes Erlebnis mit einem Produkt formt die Marke. Mit Touchpoints sind daher sowohl klassische TV-Werbung gemeint als auch Social-Media-Kommentare, aber auch die eigene Produkterfahrung. Touchpoint-Erlebnisse entstehen dabei entlang des gesamten Kundenlebenszyklus: vor, während und nach dem Kauf (siehe Abbildung 2). Gerade bei Konsumgütern gilt aufgrund des kurzen Kaufzyklus, dass nach dem Kauf häufig auch vor dem nächsten Kauf ist. Eine von Kantar TNS durchgeführte Studie im deutschen Kaffeemarkt verdeutlicht, welchen Einfluss die verschiedenen Touchpoints auf das Markenerleben der Konsumenten haben und welche Momente damit die entscheidenden für den Markenaufbau sind. Insgesamt ist der deutsche Kaffeemarkt von einer hohen Dynamik geprägt. Grund hierfür sind die sich verändernden Konsumgewohnheiten. Das steigende Interesse an Kaffeekapseln sowie Espressomarken setzt traditionelle Filterkaffeemarken unter Druck. Die Nutzung von Kapselautomaten führt zu erhöhten Wech- Kaffeemarke steht auf dem Einkaufszettel Anteil der Kaufsituationen, in denen die vor dem Kauf präferierte Marke gekauft wird 70 in Prozent 66 62 57 57 26 Kaffee Schmerzmittel Spirituosen Quelle: Kantar TNS, 2017 selbarrieren, da oftmals nur die Kapseln einer bestimmten Marke pro Automat verwendet werden können. Hinzu kommen die steigende Nachfrage nach Fair-TradeKaffee und der Einfluss von Discountern, die ebenfalls hochwertige Kaffeemarken anbieten. Der Lebensmittel-Discounter Aldi beispielsweise verspricht mit Kaffee aus eigenen Röstereien höchsten Qualitätsstandard. Markenerleben findet auch am Point of Sale statt Um die Bedeutung der Kontaktpunkte in solch einem dynamischen Markt zu untersuchen, wurden in der Studie 43 Touchpoints hinsichtlich ihres Einflusses auf das Markenerleben von 13 Kaffeemarken analysiert. Die Ergebnisse der Studie zeigen die unterschiedliche Relevanz von Touchpoints und erlauben die Ableitung verschiedener Handlungsempfehlungen für Konsumgütermarken. Über alle Kaffeemarken hinweg hat der Kontakt mit dem Produkt am Su- Haarpflege Waschmittel Auto planung&analyse 2/2017 permarktregal mit 21 Prozent den größten Anteil am Markenerleben (siehe Abbildung 3). Aufsteller mit Produkten am Point of Sale sind mit einem Anteil von zehn Prozent ein weiterer wichtiger Touchpoint. Insgesamt machen Touchpoints am Point of Sale 37 Prozent des gesamten Markenerlebens aus. Die Verfügbarkeit und geschickte Platzierung der eigenen Marke im Supermarkt sind also auch in Zeiten zunehmender Digitalisierung und Diversifizierung von Kontaktpunkten weiterhin die Top-Treiber von langfristiger Markenpräferenz. Allerdings zeigt dieses Ergebnis auch, dass der Großteil des Markenerlebens eben nicht im Supermarkt, sondern in anderen Momenten stattfindet. Ein weiterer wichtiger Touchpoint auf dem Kaffeemarkt ist die eigene Produkterfahrung. Bei Kaffee kann das Produkterleben vielschichtiger als bei anderen Konsumgütern sein, da mitunter der Kaffee selbst gemahlen und aufgebrüht wird. Ebenso spielen Empfehlungen von Freunden und Familie, die sogenannten Earned wissen&forschung thema Touchpoints, eine übergeordnete Rolle, weil Kaffee eine hohe soziale Komponente hat, etwa wenn man Freunde zum Kaffee einlädt. Diese beiden Touchpoints generieren 23 Prozent des Markenerlebens (siehe Abbildung 3). Konsumenten, die eine Kaffeemarke bereits getestet oder gekauft haben, werden somit zu einer wichtigen Zielgruppe im Touchpoint-Management. Zum einen lässt sich ihr eigenes Markenerleben durch Produkterfahrung steigern. Tauschen sich diese Konsumenten zudem mit Freunden oder der Familie aus, können sie auch deren Markenerleben beeinflussen. Eine Strategie, um diese Touchpoints zu stärken, ist es, potenziellen neuen Kunden die erste eigene Erfahrung mit einer Marke zu erleichtern. Hierfür bieten sich die Verteilung von Produktproben und die Verkostung im Supermarkt oder bei Veranstaltungen an. Nach dem Kauf ist vor dem Kauf Marken sind die Summe aller Erlebnisse mit einem Produkt PAID Fernsehwerbung OWNED während des Kaufs Produktproben/ Produktproben/ Produktproben/ Produktproben/ Verkostung Verkostung Verkostung Verkostung Verkostung Präsenz im Supermarktregal EARNED vor dem Kauf Empfehlungen Empfehlungen von Freunden Freunden von Social-Media-Posts/ Tweets Radiowerbung im Supermarkt Quelle: Kantar TNS, 2017 Unter den traditionellen Touchpoints leistet vor allem TV-Werbung einen bedeutsamen Beitrag zur Stärkung der Markenpräferenz auf dem Kaffeemarkt. Über die analysierten Kaffeemarken hinweg wurden im Schnitt 13 Prozent des Markenerlebens durch TV-Werbung generiert. Während für die Discountermarke von Aldi keine TV Werbung eingesetzt wurde, konnten andere Marken bis zu 30 Prozent ihres Markenerlebens darüber erzeugen. Radio- und Plakatwerbung sind für das Markenerleben hingegen nahezu unbedeutende Touchpoints in dieser Produktkategorie mit im Schnitt nur einem Prozent. Die Stärke dieser Touchpoints liegt nicht im langfristigen Markenaufbau, sondern primär in der kurzfristigen Verkaufsaktivierung. Verknüpfung von Offline- und Online-Touchpoints Online-Kontaktpunkte spielen bei Kaffeemarken mit gerade einmal sieben Prozent des Markenerlebens eine noch untergeordnete Rolle. Digitale Touchpoints dürfen in ihrer Wirkung aber nicht unterschätzt werden. Dies wird in einer weiteren von Kantar TNS durchgeführten Studie unter Spülmittelmarken deutlich. Insgesamt wurden zwölf Spülmittelmarken über 43 Touchpoints gemessen. Der PoS wirkt nicht alleine Wirkung von verschiedenen Touchpoints auf das Markenerleben bei Kaffeemarken Aufsteller mit Produkten am Point of Sale Produktpräsenz im Supermarktregal 21% 37%: Touchpoints am Point of Sale 31%: Earned Touchpoints 25%: Traditionelle Media Touchpoints 7%: Online Touchpoints Empfehlungen von Familie und Freunden Eigene Produkterfahrung Quelle: Kantar TNS, 2017 52 planung&analyse 10% 13% TV-Werbung 8% 1% 15% 1% Radiowerbung Plakatwerbung planung&analyse 2/2017 2/2017 Printwerbung Kundenclub/ Treueprämie Tests/Berichte planung&analyse 2/2017 Die Ergebnisse dieser Studie decken sich mit den Erkenntnissen von Binet und Field, die über 996 Kampagnen hinweg die kurz- und langfristige Effektivität von Marketinginvestitionen analysiert haben. Sie betonen, dass TV-Werbung ein unerlässlicher Touchpoint beim Aufbau einer emotionalen und langfristigen Markenbindung darstellt. Doch sehen sie auch großes Potenzial in digitalen Touchpoints, die zur Stärkung der Markenbindung ergänzend herangezogen werden sollten. Langfristige Markenbindung durch TV-Werbung nach dem Kauf Dabei zeigte sich, dass Marken, die auf den traditionellen Medien verharren, durch digitale Kampagnen der Konkurrenz mitunter in den Schatten gestellt werden. Im Ergebnis der Studie wurde deutlich, dass eine der untersuchten Marken sich besonders stark durch digitale Touchpoints wie Online-Kundenempfehlungen, Online-Coupons, Online-Videos und Werbebanner gegenüber etablierten Marken profilieren konnte. Die Erklärung hierfür liegt in der Marketing-Strategie dieser Marke, deren Kampagne sich rund um die Bereitstellung von Online-Coupons drehte, die von Kunden online heruntergeladen und später im Laden aktiviert werden konnten. Durch diese Verbindung digitaler Touchpoints mit dem Einkauf im stationären Handel schaffte die Marke eine ganz besondere Art des Markenerlebnisses. Integrierte Kommunikation schafft Wachstum An dem Beispiel der Spülmittelmarke zeigt sich, dass der Erfolg der Kampagne auf der integrierten Kommunikation über Offlineund Online-Touchpoints hinweg basiert. Somit liegt die Vermutung nahe, dass Touchpoints nicht nur einen direkten positiven Effekt auf die Markeneinstellung haben, sondern auch einen Verstärkungseffekt auf andere Touchpoints bewirken können. Diese synergetischen Effekte von Touchpoints untereinander wurden ebenfalls in der Studie erfasst. Betrachtet man die Synergiewirkungen im Wettbewerbsvergleich der Spülmittelmarken, werden deutliche Unterschiede erkennbar: Die integrierte Kampagne einer Marke generiert über alle 43 erhobenen Touchpoints hinweg deutlich mehr Synergieeffekte als Wettbewerbermarken ohne integrierte Kampagnen. Zwar sind auch für die Wettbewerber einige Synergien zwischen verschiedenen Offline-Touchpoints erkennbar, allerdings findet keinerlei Verzahnung von Online- und Offline-Touchpoints statt. Die Marke mit integrierter Kampagne schafft es dagegen, fast alle Touchpoints miteinander zu verbinden und so deren Einflüsse auf die Marke zu verstärken. Bei der anschließenden Simulation der zukünftigen Marktentwicklung konnte für die Marke mit integrierter Kampagne ein zukünftiges Marktwachstum prognostiziert werden, während für die Wettbewerber ein leichter Rückgang der Marktanteile zu erwarten ist. Touchpoint Management muss ganzheitlich sein Die Ergebnisse dieser beiden Fallstudien im Konsumgütermarkt zeigen, dass etwa ein Drittel des Markenerlebens direkt am Supermarktregal stattfindet. Die geschickte Platzierung am PoS hat also tatsächlich einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die Präferenz für eine Marke. Allerdings heißt dies im Umkehrschluss auch, dass zwei Drittel des Markenerlebens eben nicht im Supermarkt stattfindet, sondern an anderen Touchpoints. Dies unterstreicht die Bedeutung der Marke in dieser Kategorie und die Wichtigkeit von ganzheitlichem Touchpoint Management. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass integriertes Marketing und Marktwachstum unmittelbar zusammenhängen. Es gilt also, die Markenbotschaft möglichst orchestriert und effizient über unterschiedliche Touchpoints zu vermitteln. Dazu müssen die entscheidenden Touchpoints identifiziert und synergetisch miteinander kombiniert werden, sodass ein ganzheitliches Markenerleben daraus entsteht. Dass dies keine leichte Aufgabe ist, zeigen die Ergebnisse der durchgeführten Studien. Selbst etablierten Marken fällt es schwer, Kon- taktpunkte sinnvoll aufeinander abzustimmen, insbesondere wenn es um die Verzahnung von On- und Offline-Touchpoints geht. Gründe dafür könnten sein, dass klassische Werbung und Digitales im Unternehmen häufig unabhängig voneinander geplant werden und dabei zu wenig Abstimmung stattfindet. Es ist dabei ebenso problematisch, wenn klassische Werbung eins zu eins auf digitale Kanäle übertragen wird, ohne die Besonderheiten dieser Kanäle zu berücksichtigen und zu nutzen. Um ein effizientes integriertes Marketing zu ermöglichen, müssen also auch unternehmensintern die richtigen Strukturen geschaffen werden. Die interne Zusammenarbeit muss gestärkt und über die Jahre selbst geschaffenes Silo-Denken zwischen verschiedenen Abteilungen überwunden werden. Denn wichtig ist, was beim Kunden ankommt, und zwar in jedem einzelnen der vielfältigen Momente der Wahrheit. Die Autoren Dr. Niels Neudecker leitet bei Kantar TNS das Global Connect Centre und ist verantwortlich für die Beratung und Weiterentwicklung des Touchpoint Management Ansatzes. [email protected] Nicola Niesl berät als Senior Consultant bei Kantar TNS Unternehmen weltweit zur Optimierung des Touchpoint Managements. Caroline Schicketanz berät als Consultant bei Kantar TNS Unternehmen weltweit zur Optimierung des Touchpoint Managements. [email protected] caroline.schicketanz@ tnsglobal.com