1 Das Reizleitungssystem des Herzens Wolfgang Herzberg 28.10.2014 Was unterscheidet das Reizleitungssystem des Herzens von einer nichtmyelinisierten nervalen Signalausbreitung ? Das Axon ist ein zellulärer Fortsatz eines Neuron und ist damit Teil eines übergeordneten nervalen Systems. Es besitzt auf seiner ganzen Länge eine kontinuierliche Membranstraße. Der Axondurchmesser (marklose C Fasern) beträgt 0,3 – 1,3 μm. Die Leitungsgeschwindigkeit beträgt 0,6 – 3 m/sec. Das Spitzenpotential eines Axon (marklose C Fasern) hat eine zeitliche Länge von 2 ms (Reichel, Bleichert S.36) (1). Die funktionelle Verbindung zwischen zwei Neuronen oder eines Neuron mit einer Nicht-Neuron-Zelle erfolgt über eine Synapse. Das Reizleitungssystem des Herzens besteht aus Fasern (false tendon), die sich aus modifizierten myokardialen Muskelzellen zusammensetzen. Damit ist es autochtoner Teil des Herzens und essentielle Voraussetzung der kardialen Funktionsautonomie. Im Querschnitt enthält eine dünne Faser (Abb.1) z.B. zwei bis drei Zellen (2). Das Durchmesser-Verhältnis eines Axon (Abb.1) zu einer derartigen Faser beträgt 1:20. Die spärlichen Myofibrillen liefern das mechanische Längengerüst, das aus der Reihung von Einzelzellen einen Strang entstehen läßt. Die Myofibrillen liegen in der peripheren Zone eines Strangquerschnittes, was zum einen mechanische Vorteile erzeugt (Bucher S.292) (3) und im Zusammenhang mit der sarkoplasmatischen (SR) Erregung und ihrer muskulären Koppelung steht. Die AP Dauer liegt bei 300 ms – etwa 150 fach länger als das nervale AP. Da das Reizleitungssystem nur noch eine schwache kontraktile Funktion besitzt, ist die Dichte an Mitochondrien deutlich geringer als bei den Myokardzellen. Der Signaltransport einer Faser erfolgt über die Außenmembran des Verbundes. Ob auch die interzellulären Membranen innerhalb einer Faser an der Membranerregung teilnehmen, ist nicht sicher entscheidbar (s.u.). Wenn das Durchmesser-Verhältnis von Nerv und Faser 1:20 ist, dann ist das Verhältnis der äußeren Membranoberflächen auch etwa 1:20. Es ist zunächst unbekannt, wie groß das Verhältnis der Na+ Ionen Kanaldichte ist; aber in jedem Fall wird der energetische Erregungsaufwand einer „false tendon“ erheblich größer sein als der eines Axon. Da die Erregung der Kammerwände von der Herzspitze her erfolgt, muss das Signal zunächst vom AV-Knoten zur Herzspitze und dann über die Purkinjefasern schließlich an die myokardiale Empfängerzelle so transportiert werden, dass „unterwegs“ keine unerwünschten Myokard-Depolarisationen entstehen können. Es sind also folgende Fragen zu beantworten: 1. Wie kann die Erregung die interzellulären Spalten überspringen ? 2. Wie werden unterschiedliche Reizleitungsgeschwindigkeiten erzeugt ? Wie wird die Umgebung gegen akzidentielle Myokard-Depolarisationen geschützt ? 3. Wird die interzelluläre Membranerregung innerhalb einer Faser verhindert ? 27.10.2014 Revision 0 Wolfgang Herzberg 2 Abb.1 Schematische Darstellung der Ultrastruktur der Fasern des Reizleitungssystems des Herzens. BM Basalembran, Co lockeres faseriges Bindegewebe, F Fibrozyt, Fi Myofibrille, ID Glanzstzreifen, Mi Mitochondrien, N Nervenfaser, Nu Zellkern, Pm Zellmembran - aus (2) 1. Wie kann die Erregung die interzellulären Spalten überspringen ? In Abb.2a zeigt sich der interzelluläre Spalt quasi obliteriert und in Abb.2b findet sich rechts im Bild ein Spalt, der etwa 10nm breit ist (2). Abb.2a Parallele Plasmamembranen (PM) zweier benachbarter Zellen im Inneren einer „false tendon“. Die benachbarten Membranen bilden Einsenkungen in Richtung zweier Z-Linien einer Zelle. In der Myofibrille (Fi) im Zentrum der Abbildung ist eine angedeutete M-Linie zwischen den stark markierten Z-Linien erkennbar. Mitochondrien (Mi) und Vesikel liegen dicht an den Membranen beider Zellen. X 35.000 27.10.2014 Revision 0 Wolfgang Herzberg 3 Abb.2b Detailausschnitt aus einer queren „intercalated disc“ zwischen zwei Zellen des Purkinje Systems. . Die gegenüber liegenden Membranen werden dicker und enthalten Vesikel. Zwischen Plasma Membran und Z Linie der Myofibrille ist ein dichtes osmiophiles granuliertes Material erkennbar. Die homogene Substanz von mittlerer Dichte im Spalt zwischen den Membranen ist möglicherweise ein halbflüssiger interzellulärer Zement. X 80.000 Mit einer Dimension von 10 nm liegt man im Bereich der Membranstärke (5nm). Soll ein Erregungssignal der äußeren Fasermembran eine Spalte von 10 nm überspringen, dann ist es entscheidend wichtig, dass die beiden „Ufer“ der Spalte auf gleichem Niveau und in gleicher Ebene liegen. Denn so wie ein Athlet, der einen Graben überspringen will, dieses nur dann vermag, wenn er Anlauf nehmen kann, das Gelände ihn dabei nicht in eine Schlucht führt, wo er schließlich den Graben queren soll und somit beide Ufer möglichst in einem Niveau liegen. Genauso verhält es sich mit dem induktiv-magnetischen Signaltransport. Führt das Gelände zunächst in eine Schlucht bevor diese sich dann verengt und schließlich einen schmalen Graben bildet, dann kann das Signal diesen Graben nicht mehr queren, da die andere Uferseite zur Signalebene anisoelektrisch geworden ist. Die Morphologie zwingt das Signal nunmehr in die Tiefe der Spalte, eine Querung bleibt zunächst ausgeschlossen. Damit sie aber gelingen kann, muß der Graben wie eine Klippe gestaltet sein – etwa wie das Grand Canion – so dass das Magnetfeld in seiner eigenen Membranebene, in welcher es am stärksten ist, den Graben überspannen kann und auf der Gegenseite im gleichen Niveau mit einer gerade noch ausreichenden Feldstärke den ersten Na+ Ionen Kanal depolarisieren kann. Denn „Anlauf“ nimmt das Signal dadurch, dass die Membranebene vor dem Hindernis in einer planen Ebene aufgespannt ist, damit eine ausreichende Summation der magnetischen Feldstärken synchron aktiver Na+ Ionen Kanäle entstehen kann. Eine in 90° abbrechende Kante auf beiden Seiten des Grabens sorgt zudem dafür, dass die Erregungsausbreitung sich nicht in die Tiefe des Grabens fortsetzen kann, da die Ablenkung der Feldebene um 90° die Feldstärke gleichzeitig zero werden läßt. Wenn man die Abbildung 1 auf diese Ausführungen hin anschaut, dann erkennt man jeweils solche Übergänge, die unpassierbar sind neben solchen, die die o.g. Bedingungen erfüllen. Für die Kontinuität des Signaltransportes ist es jeweils ausreichend, dass wenigstens eine sichere „Brücke“ über den „Graben“ existiert. Die zirkulär fortschreitende Erregungswelle wird aber an jedem Graben überall dort zum Stehen gebracht, wo der Graben unpassierbar ist. Hinter einer „Brücke“ wird sich die Erregung wieder so ausbreiten wie das Licht nach dem Durchgang durch einen engen Spalt: mit einer konzentrischen Erregungsausbreitung. 2. Wie werden unterschiedliche Reizleitungsgeschwindigkeiten erzeugt ? Wie wird die Umgebung gegen akzidentielle Myokard-Depolarisationen geschützt ? Es gibt prinzipiell drei Wege, Signal-Ausbreitungsgeschwindigkeiten zu steuern: 1. Durch modulierte Dichte-Verteilungsmuster der Na+ Ionen Kanäle 2. Durch Vergrößerung und gezielte Ausgestaltung der Membranoberfläche 3. Durch Schaffung eines hermetisch geschlossenen Systems. Da wohl nur Neurone und Glia-Zellen die Verteilungsmuster ihrer Kationenkanäle gezielt variieren und die kardialen Reizleitungszellen als modifizierte Myokardzellen eine derartige Variationsmöglichkeit wohl nicht zeigen, kommt dieses Instrument der gezielten Steuerung der Reizleitungsgeschwindigkeit für das kardiale Reizleitungssystem eher nicht in Betracht. 27.10.2014 Revision 0 Wolfgang Herzberg 4 Abb.3a Schnitt durch eine „false tendon“ Zelle zum Interstitium. Darüber könnte ein Fibrozyt mit großem Nukleus (Nu) getroffen sein. Zwischen Fibrozyt und Zelle des Purkinje Systems befinden sich Kollagenfibrillen. Das Zytolemm (C), bestehend aus Basalmembran, Zwischenraum und Plasmamembran, ist wellig mit ihren Fältelungen Richtung Glanzstreifen der peripheren Myofibrillen. Mitochondrien (Mi) liegen in der Umgebung der Myofibrillen. X 20.000 (2) Abb.3b Zelle des Purkinje Reizleitungssystems angrenzend an Kollagenfibrillen (Co) des Interstitiums. Das Zytolemm (C) ist in diesem Abschnitt der Purkinje-Faser papillär ausgestaltet. Mi = Mitochondrien, Fi = Fibrillen. X 22.500 (2) Die Abb.3 zeigt zwei unterschiedliche Membranprofile, wobei die Autoren (2) diese beiden Formen als die Stereotypen der Purkinjefasern bezeichnen. Während in Abb.3a das Profil 1,25μ in der Länge und o,5μ in der Tiefe mißt, zeigt Abb.3b eine wesentlich stärker zerklüftete Membranoberfläche: 0,20,4μ in der Länge und 0,6μ in der Tiefe. Da das sich an den Z-Linien orientierende Wellenprofil (Abb.3a) auch allseits im AV-Knoten vorherrscht, darf man vermuten (eine Überprüfung steht noch aus), dass das papilläre Profil ein Spezifikum der terminalen Purkinje Fasern ist. Beide Strukturen sind jeweils für sich betrachtet zu groß, als dass sich ein induktiv magnetisches Feld - etwa wie ein starres Brett über die Wellenberge des Wassers – plan über die gewundenen Strukturoberflächen ausbreiten könnte. Die Erregungswelle müsste dann Distanzen von etwa 0,5μ überspringen. Wenn man annimmt, dass die Abstände der Kationenkanäle der Membran wohl bestenfalls im niedrigsten 2stelligen nm-Bereich liegen, dann sind Distanzen von etwa 500 nm nur mit großen Summationsfeldern überwindbar. Damit sie zudem überhaupt entstehen können, sind plane Mebranoberflächen erforderlich, in denen sich die Einzelfelder synchron erregter Na+ Ionen Kanäle summieren können. In beiden Strukturvarianten aber fehlen solche Ebenen. Somit ist für beide 27.10.2014 Revision 0 Wolfgang Herzberg 5 Varianten anzunehmen, dass sich die Erregung wie in einer Berg- und Talfahrt über das Membranrelief hinweg ausbreiten muss. Da die Feldebenen der einzelnen erregten Kanäle von Kanal zu Kanal zueinander in einem Winkel verkippt sind, können kaum stärkere Summationsfelder entstehen. Entsprechend ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit verlangsamt. Wenn wir die beiden Stereotypen hinsichtlich ihrer Erregungsausbreitungsgeschwindigkeit vergleichen wollen, dann müssen zwei unterschiedliche Parameter in Anschlag gebracht werden. 1. Die unterschiedlich große Membranoberfläche, die in der Achsenebene der Faser betrachtet, unterschiedlich lange Wegstrecken erzeugt. 2. Die aufgrund der unterschiedlich starken Krümmungen ebenfalls unterschiedlich großen Ausbreitungsgeschwindigkeiten. In erster Näherung verhalten sich die Längen der Wegstrecken wie 1 : 2. Die Kalkulation der Geschwindigkeiten ist hingegen sehr spekulativ. Sie hängt zum einen von den Na+ Ionen Kanal Abständen ab und zum anderen von der Größe der Krümmungsradien (siehe „Morphologie und Funktion“). Geht man davon aus, dass die Kanal Dichte in beiden Varianten eher gering und bei beiden identisch ist und nimmt zudem an, dass eine begrenzte Feld-Summation und damit geringe Geschwindigkeitszunahme der Variante in Abbildung 3a noch möglich ist, dann mögen sich die Geschwindigkeiten wie 1 : 2 verhalten. Insgesamt verhalten sich dann die Signalgeschwindigkeiten pro Längenabschnitt der Faser wie 1 : 4. Warum werden die Membranoberflächen der Purkinje Fasern in zwei völlig unterschiedlichen und dabei doch stereotypen Arten modifiziert ? Da der Signaltransport in unmittelbarer Nachbarschaft zu Myokardzellen stattfindet, darf die Signalfeldstärke in den direkten Kontaktzonen nur so groß sein, dass eine Depolarisation der angrenzenden Myokardzellmembran ausgeschlossen ist. Dieses wird durch eine Erregungsausbreitung mit einer Vielzahl unterschiedlicher Feldebenen, die jeweils für sich genommen von nur geringer Feldstärke sind, erreicht. Dort, wo die Fasern terminal in die Myokardwände – als sog. „Möpse“ - eindringen, ist es denkbar, dass der Schutz der Umgebung gegen Induktionsfelder strengere Vorkehrungen benötigt als im subendokardialen Verlauf. Wäre aber nur das der Grund, dann würde man nicht erwarten, dass dieses Problem jeweils nur mittels zweier so sehr verschiedener Stereotypen zu lösen ist. Vielmehr würde man alle denkbaren Übergangsformen erwarten; denn da jegliche Modifikation der Oberflächenmorphologie Auswirkungen auf die Signalgeschwindigkeit hat, kann diese Morphologie nicht nur einem Ziel – eben der nur unterschwelligen Umgebungsstörung – dienen. Verfolgen wir diesen Gedanken weiter und schließen uns dabei der Überzeugung an, die schon Tawara klar formuliert hat: „Die eigentümliche Einrichtung, dass die Reizwelle in geschlossener Bahn direkt bis zu den entferntesten Abschnitten der Kammerwand getragen wird und dass diese Bahnen einen so eigenartigen Verlauf aufweisen, ist meiner Ansicht nach dazu bestimmt, den Erregungsreiz möglichst gleichzeitig an allen Punkten der Kammerwand zur Einwirkung kommen zu lassen.“ (Aus Schütz, S.145) (7), dann liegt es zunächst nahe anzunehmen, dass die beiden Stereotypen über unterschiedliche Leitungsgeschwindigkeiten die anatomisch unvermeidbar unterschiedlich langen Leitungswege ausgleichen, um die evidente Synchronizität der myokardialen Erregungsauslösung zu ermöglichen. Nun hat die Entdeckung, dass es ein durchgehendes Charakteristikum des kardialen Erregungssystems ist, dass alle Fasern eine eigene bindegewebige „Isolierung“ besitzen, die zunächst als Lymphsystem bezeichnet wird, die Möglichkeit geliefert, das Erregungssystem auch vollständig 27.10.2014 Revision 0 Wolfgang Herzberg 6 mit Injektionsversuchen zu visualisieren (Wahlin, Ter Borg, Spalteholz, aus Schütz S.142) (7). In Abb.4 ist das subendokardial sich ausbreitende Erregungssystem eines Papillarmuskels dargestellt. Abb.4 Tusche-injiziertes Purkinje-Netz am vorderen Papillarmuskel des linken Ventrikels. Nach Aagard und Hall; aus Physiologie des Herzens, E.Schütz (7) Diese netzartige, mit vielen Kreuzanastomosen versehene Struktur, die sich durchgehend für das gesamte Reizleitungssystem der Kammern finden läßt, steht jeglicher Vorstellung, die o.g. beiden Stereotypen könnten die Synchronizität über zwei unterschiedliche Reizleitungsgeschwindigkeiten organisieren, diametral entgegen. Die augenscheinlich keiner Systematik folgende Netzstruktur zwingt dazu, diese Hypothese fallen zu lassen. Nun zeigen die Tuscheversuche aber auch, dass es eine hermetisch geschlossene Einscheidung des gesamten kommunizierenden KammerErregungssystems gibt. (Physiologie des Herzens, E.Schütz 1958, Seite 28) (7) Diese Eigenschaft führt dazu, dass eine Erregung in diesem hermetischen System eine mit der Erregungsausbreitung wachsende transmembranöse Kationen-Verschiebung erzeugt: Der extrazelluläre Raum der Fasern wird zunehmend negativ, während der intrazelluläre Raum der Faserzellen positiv wird. Da sich die wachsende extrazelluläre Negativität – zumindest teilweise - unmittelbar dem gesamten extrazellulären Raum des Erregungssystems mitteilt, wird das Membranruhepotential (MRP) auch der distalsten Purkinjeverzweigungen schon vom Beginn der Erregungsausbreitung an sukzessiv verringert. Nimmt man nun an, dass das MRP der Purkinje Fasern der Papillarmuskeln geringfügig niedriger ist als das MRP der Purkinje-Fasern des Arbeitsmyokards, dann wird bei fortschreitender Zunahme der extrazellulären Negativität des Faser-Systems zunächst irgendwann die Membranschwelle der purkinjeschen Endäste aller Papillarmuskeln erreicht. Dieses führt dann schlagartig über die synchrone Depolarisation der insgesamt fünf papillären Netze zu einem sprunghaften Anstieg der extrazellulären Negativität und erreicht damit nach kurzem Zeitintervall auch die Membranschwelle des gesamten Purkinje-Netzes des Arbeitsmyokards. Damit ist zum einen eine wenig flexible zeitliche Koppelung der Papillarmuskelkontraktion zur Kontraktion des übrigen Arbeitsmyokards hergestellt und zum anderen eine Synchronizität der Kammererregung erzeugt. Über herzspitzennahe transseptale Anastomosen (7) der beiden Kammerschenkel wird zudem der rechts-links-Ausgleich der extrazellulären Potentiale gewährleistet, wenn z.B. die asymmetrische Verteilung der Papillarmuskeln (rechts 3, links 2) im Zustand ihrer Erregung auch ungleiche transmembranöse Ladungsverschiebungen erzeugen. Wenn man nun die beiden Stereotypen unter dieser Hypothese betrachtet, dann wird ihre spezifische Funktion in einem ganz anderen Zusammenhang erkennbar: 27.10.2014 Revision 0 Wolfgang Herzberg 7 Abb. 3a: Kombination aus 1. mäßig breiter Streuung der magnetischen Feldebenen 2. optimierter Erregungsausbreitungsgeschwindigkeit im Rahmen der Möglichkeiten 3. minimierter Oberfläche Abb. 3b: Kombination aus 1. extrem breiter Streuung der magnetischen Feldebenen 2. extrem minimierter Erregungsausbreitungsgeschwindigkeit 3. maximierter Oberfläche Nach dieser Spezifikation werden die Fasern der Abb. 3a für einen schnelleren Signaltransport und damit für große transmembranös verschobene Na+ Ionen Kontingente pro Zeit genutzt. Beim Erreichen der Aufzweigungen in die jeweiligen peripheren Netze löst sich der Charakter einzelner Faserstränge zugunsten eines richtungslos mit sich selbst verknoteten Gewebes auf. Auf dieser Ebene werden keine Signale im engeren Sinne von A nach B übertragen, sondern das einmal in das Netz hineingelangte Signal soll über die gesamte Netzausdehnung verbreitet werden. Dabei soll die extrazelluläre Negativität wachsen, bis zunächst der Erreggungsschwellenwert der Papillarnetze erreicht wird. Dieses geschieht (immer) bevor der Membranvorrat der Papillarnetze aufgebraucht ist. Mit der Auslösung der kollektiven Depolarisation der Papillarnetze werden durch die sprunghafte Zunahme der extrazellulären Negativität nun auch die terminalen Purkinjefasern des muralen Myokards depolarisiert. Da zwischen den jeweils terminalen Purkinjefasern und ihrem zugehörigen Netz keine Faserkontinuität besteht und diese zudem ein höheres MRP besitzen als die Fasern des Netzes, lassen sie sich nur auf dem Wege der kollektiven Depolarisation erregen (Abb.5). Abb.5 Purkinje Netz mit Schleifen und Knoten (grau). Terminale Purkinjefasern (schwarz) mit ihren Wurzeln am Netz und ihren Verbindungen zur Myokardzelle (oben) Die terminalen Purkinjefasern werden zunächst nur in ihrem netzseitigen Abschnitt depolarisiert. Da die terminalen Fasermembranen aber dem Typ 3b zugehören, erzeugt die kollektive Depolarisation an den Fasern eine sich selbst erhaltende depolarisierende Bugwelle extrazellulärer Negativität, die die erheblich vergrößerten Membranoberflächen mit extrem großer Geschwindigkeit depolarisiert und die dabei gleichzeitig benötigte kritische extrazelluläre Negativität fortschreitend selbst schafft. Auf diese Weise transportieren die terminalen Purkinjefasern, die mit ihrem kurzen und direkten Weg in die Myokardwand nahezu gleich lang sind, das Depolarisationssignal synchron bis zur myokardialen Empfängerzelle. Da die hohe extrazelluläre Negativität im Membranschlauch der Purkinjefasern auf dem Weg durch das Myokard aufgrund der Einscheidung isoliert ist und die foudroyant ablaufende Membrandepolarisation der Purkinje Fasern ihre entstehenden Induktionsspannungsvektoren in alle Richtungen streut, bleibt das Myokard geschützt. 27.10.2014 Revision 0 Wolfgang Herzberg 8 Der Übergang der terminalen Purkinjefasern in die Faser des Arbeitsmyokards geschieht nach histologischen Kriterien allmählich. Es ist also nicht so, dass die Purkinjefaser auf der Myokardfaser etwa quer andockt, was schon allein wegen des erheblich größeren Querdurchmessers der Purkinjefaser kaum vorstellbar ist. Aus einer „dicken“ Purkinjefaser wird schrittweise eine „schlanke“ Myokardfaser (Abb.6). Die bindegewebige Scheide der Purkinjefaser geht dabei in das Perimysium der Herzmuskelfaser über ( nach Lepeschkin, E: Das Elektrokardiogramm. Dresden und Leipzig 1947, zitiert in Schütz S.141) (7). Abb.6 Übergänge von Purkinje Fasern in Herzmuskelzellen. Häutchenpräparat vom Endokard (Schaf) (nach A.Benninghoff) (7) Der hermetisch geschlossene Raum des Reizleitungssystems setzt sich also über das Perimysium auf die Myokardzellen hin fort. Das bedeutet, dass auch das MRP der unmittelbar nachbarschaftlich mit eingeschlossenen Myokardzellen gesenkt wird. Diese MRP-Absenkung erreicht jedoch noch nicht die Membranschwelle dieser Myokardzellen; denn aus elektrophysiologischen Systemgründen, darf die Myokardzelle nur auf einer Zellseite – entweder peripher oder zentral – depolarisiert werden. Nur dadurch wird bei synchroner und zugleich isoelektrischer Depolarisation aller am Ende der Purkinjefasern befindlichen Myokardzellen ein magnetisches Summations-Magnetfeld ermöglicht, das wir in seinen Auswirkungen als EKG messen können. Weiter muss man davon ausgehen, dass die Myokardzellen der Kammerwände wohl an ihrer jeweils zentralen Seite „gestartet“ werden (siehe „Beweise“). Um aber die offenen Fragen tatsächlich beantworten zu können, müßte man wissen, wie die Zellmembranen im Übergangsbereich des terminalen Abschnittes der Purkinjefaser gestaltet sind. Um ein für die Startphase ausreichend starkes magnetisches Signal erzeugen zu können, bedarf es generell eines planen Membranabschnittes, der damit die Induktionsebene festlegt. Diese „Starter“Membranen werden durch die kollektiven Depolarisationen synchron erregt und müssen darum mit ihrem MRP funktionell noch dem Purkinje-System zugehörig sein. Das MRP der angrenzenden Myokardzellen liegt höher als das der Purkinjefaser. Darum kann die erregungsbedingte extrazelluläre Negativität des Purkinje-Systems allein kein myokardiales Aktionspotential auslösen. Erst zusammen mit der depolarisierenden Induktionsspannung der „Starter“-Membran der terminalen Purkinjefaser wird die Membranschwelle der „Empfänger“-Membranen der myokardialen Nachbarzellen erreicht. Die Membranen der Myokardzellen werden so nur in jenen Abschnitten, die in der Ebene des magnetischen Induktionsfeldes der „Starter“-Membran liegen, erregt. Die durch die extrazelluläre Negativität des Hohlraumsystems erzeugte unterschwellige Depolarisation noch weiter entfernt benachbarter Myokardzellen macht die Membranen zudem für die depolarisierende Induktionsspannung empfindlicher – ihr Wirkradius wird also größer – eine eskalierende induktiv magnetische Depolarisation setzt damit ein. Wenn diese Depolarisationswelle über die transmembranöse Kationenverschiebung eine Welle der extrazellulären Negativität mitführt, dann bleibt der Wirkradius der Induktionsspannung weiterhin groß und die Bündelung synchroner Erregungsphasen wächst. 27.10.2014 Revision 0 Wolfgang Herzberg 9 Zusammenfassend baut sich also die extrazelluläre Negativität im Leitungsbaum der Kammern schon im av-Knoten beginnend zunächst langsam auf. Erreicht die kumulierte Negativität die Membranschwelle des papillären Purkinjesystems, steigt die Negativität aufgrund der kollektiven Depolarisation des papillären Purkinjesystems sprunghaft an, die Papillarmuskeln werden zeitgleich erregt. Der Negativitätsanstieg erreicht wenige Millisekunden später die Membranschwelle des parietalen Purkinjesystems und depolarisiert es ebenfalls synchron. Aufgrund der größeren GesamtMembranoberfläche des parietalen Purkinjesystems ist der zweite Anstieg der Negativität größer als jener der papillären Depolarisation. Mit dem letzten Anstieg wird fast auch die Membranschwelle des parietalen Myokards erreicht und die Kammererregung wird nun synchron induktiv-magnetisch ausgelöst (Abb.7). Abb.7 Stufen der Membrandepolarisation des kardialen Reizleitungssystems des Menschen in der Zeit. Zum Zeitpunkt 0 ms verläßt ein Depolarisationssignal den Sinusknoten. Zum Zeitpunkt 23 ms beginnt die kontinuierliche Membrandepolarisation des AV-Knotens. Die Steigung der Geraden symbolisiert die im System wachsende extrazelluläre Negativität. 1 = kollektive Depolarisation des AV-Knotens und des His-Bündels; 2 = kollektive Depolarisation des papillären Purkinje-Systems; 3 = kollektive Depolarisation des Purkinje-Systems der Kammern; 4 = Depolarisation des Arbeitsmyokards; die willkürliche Festlegung von 20 mV als Differenz des MRP und der für alle Zellen als identisch festgelgten Membranschwellen ist rein didaktisch und hat keine Evidenz; die zeitliche Abfolge orientiert sich an Abb.8 Die in Abb.8 dargestellten Zeiten, in denen die Erregungssignale an verschiedenen Orten des kardialen Reizleitungssystems gemessen wurden, geben keine Auskünfte über die am jeweiligen Messpunkt erreichte extrazelluläre Nagativität. Da aber letztlich das Maß der Negativität das Gesamtsystem „taktet“, sind z.B. geringe zeitliche rechts-links-Differenzen für die tatsächliche Erregungsausbreitung in der Zeit irrelevant. Abb.8 Schema des menschlichen Reizleitungssystems (nach Wiggers). Die Zahlen bedeuten Leitungszeiten in Sekunden vom Sinusknoten (0,0) an gerechnet. Aus Physiologie des Herzens, Erich Schütz,1958, Springer Verlag, Seite 141 (7) 27.10.2014 Revision 0 Wolfgang Herzberg 10 Diese Theorie der kollektiven Depolarisation besitzt eine Evidenz in den Blockbildern des AV-Knotens und des His-Bündels. Für das Reizleitungssystems der Kammern sind die Durchschneidungsversuche von Scherf (7) geeignet, die Existenz einer kollektiven Depolarisation zu untermauern. Abb.9 Schema der Erregungsausbreitung bei Reizung der Außenwand des rechten Ventrikels. Reizleitungssystem intakt. (C.J. Rothberger in Schütz) (7) In Versuchsschritten läßt sich zeigen, dass sich ein für den Versuchsaufbau Abb.9 charkteristischer Depolarisations-Komplex im EKG solange nicht verändert, wie es noch Verbindungen zwischen rechtem und linkem Ausbreitungssystem gibt. Dabei ist es unmaßgeblich, wie lang oder kurz die erzwungenen Ausbreitungswege werden und in welcher Richtung sie erfolgen müssen. Erst wenn die beiden Hälften des Ausbreitungssystems gänzlich getrennt werden (Doppelpfeil Abb 10), verbreitert sich der Depolarisations-Komplex und verändert gleichzeitig seine Gestalt. Abb.10 Schema der Erregungsausbreitung bei Reizung der Außenwand des rechten Ventrikels nach Durchschneidung des basisnahen rechten Schenkels. In einem weiteren Versuch wird auch der wandnahe Abschnitt (Doppelpfeil) durchtrennt. (C.J. Rothberger in Schütz) (7) Daraus lassen sich folgende Feststellungen ableiten: 1. Das Reizleitungssystem der Kammern arbeitet kollektiv. 2. Solange noch eine Verbindung zwischen seinen Teilen erhalten bleibt, ist die GesamtFunktion ungestört. 27.10.2014 Revision 0 Wolfgang Herzberg 11 3. Derjenige Abschnitt des Reizleitungssystems, dessen Reiz-Zufuhr erhalten geblieben ist, arbeitet so, als wäre er weiterhin die Gesamtheit des Systems, während der ausgeschaltete Abschnitt in seiner Funktion ausfällt oder ggf. Automatie entfaltet. Diese Eigenschaften lassen sich mit einer richtungsbezogenen, auf Reizleitung beschränkten Funktion der Purkinjefasern nicht erklären. Sie können aber durch einen Systemcharakter erklärt werden, der synchron kollektive Zustände annimmt und über diese quantitativ abgestuften Energie-Niveaus gezielt das Signal an die jeweiligen Empfänger adressiert (Abb.7 Stufenplan). 3. Wird die interzelluläre Membranerregung verhindert ? Nun könnte man noch die Frage aufwerfen, ob sich die Erregung nicht auch zwischen den Zellen innerhalb der Reizleitungsfaser ausbreitet. Diese Frage darf man nur dann verneinen, wenn eine Erregungswelle, die sich in einem derart engen interzellulären Spalt auf beiden zueinander anisoelektrischen Membranen ausbreiten will, gegenseitig auslöschen kann. Prinzipiell kann diese Auslöschung dadurch erzeugt werden, dass beide Erregungsebenen anisoelektrisch zueinander arbeiten, also Magnetfelder erzeugen, die gegensätzlich ausgerichtet sind. Dazu muss aber das Feld der Gegenseite noch gross genug sein, um die Depolarisation des jeweiligen Folge-Na+ Ionen Kanales zu verhindern. Wenn man die Depolarisationsschwelle des Kanales mit 1/10 (H) - (H = maximale Feldstärke) – ansetzt, dann müsste das Feld der negativen (n) Gegenseite mit seiner Feldstärke (Hn) erwirken, dass die Feldstärke (Hp) der positiven (p) Seite so geschwächt wird, dass eine Depolarisation des Folgekanales verfehlt wird. Es gilt dann (Hp) - (Hn) < 1/10 (H). In der Kalkulation hängt die Größe (Hn) von dem Verhältnis (d/D) ab (d = Kanalabstand, D = Spaltbreite) (Abb.11). + Abb.11 Spalt zwischen zwei Zellen. D = Spaltbreite, schwarze Punkte = Na Ionen Kanäle, d = Kanalabstand, s = induktiver Wirkradius und α = Winkel zwischen zwei versetzt gegenüberliegenden Kanälen. Die Erregung verläuft von links nach rechts. Hp = H/d2 Hn = H ∙ cos α (Feldschränkung) ∙ 1/s2 = H ∙ cos α ∙ cos2α/d2 = cos3α ∙ H/d2 s = d/cos α Wenn in einer Grenzbetrachtung (Hp) – (Hn) = 1/10 (H) sein soll, dann gilt Hp – Hn = 0,1 H H/d2 - cos3α ∙ H/d2 = 0,1 H H/d2 ( 1 - cos3α) = 0,1 H ( 1 - cos3α)/0,1 = d2 In dieser Gleichung sind zwei von einander unabhängige Unbekannte enthalten: der Kanalabstand (d) und der Winkel (α). Man kann konkrete Werte also nur dann berechnen, wenn (α) und (d) bekannt sind. Aufgrund der Beziehung (D)/(d) = (tan α) ist das Verhältnis aus (D)/(d) mit dem Winkel (α) auch festgelegt. Da die Gleichung so angelgt ist, einen Grenzwert ermitteln zu können, muss das Verhältnis 27.10.2014 Revision 0 Wolfgang Herzberg 12 (D)/(d) ≤ (tan α) sein. Bei festgelegtem Kanalabstand (d) darf die Spaltbreite (D) einen Grenzwert nicht überschreiten, wenn eine gegenseitige Löschung der Erregungsleitung noch möglich sein soll. Nun entsteht bei sehr engen interzellulären Räumen unter der Erregungsausbreitung das Phänomen der „wachsenden extrazellulären Negativität“. Dieses ist je stärker ausgeprägt je enger der Spalt ist – also je kleiner (D) wird. Diese extrazelluläre Negativität reicht in ihrer depolarisierenden Wirkung weiter als die depolarisierende Wirkung der Induktionsspannung. Auf derselben – also isoelektrischen – Seite addieren sich ihre Wirkungen. Auf der Gegenseite befinden sich beide Wirkungen in Konkurrenz zueinander. Es sind also unterschiedliche Szenarien denkbar. Eine Erregung bewegt sich auf nur einer Membranseite in einen Spalt hinein. Diese Erregung wird die Gegenseite NIE induktiv-magnetisch depolarisieren können. In der Enge des Spaltes (z.B. 10 nm) verändert die Depolarisation nicht nur das intrazelluläre Membranpotential sondern auch das äußere: der Einstrom von Na+ Ionen in die Zelle erzeugt über die Abnahme der extrazellulären [Na+] Konzentration ein mit der Erregungsausbreitung zunehmendes negatives Potential. Dieses kann eine kritische Depolarisation der gegenüberliegenden Membran erzeugen. Beide zueinander anisoelektrisch wirkenden Membranerregungen erfolgen nun mit einem zunehmend geringeren Membranruhepotential (MRP), da das wachsende extrazelluläre negative Potential die transmembranöse Potentialdifferenz senkt. Die somit erniedrigte potententielle elektrische Energie des erniedrigten MRP erzeugt in der Depolarisation ein schwächeres induktiv magnetisches Signal. Das erniedrigte MRP macht jedoch auch die spannungsabhängigen Kationenkanäle für die Induktionsspannung empfindlicher. Es hängt schließlich vom Wirkungsverhältnis der Negativität und der magnetischen Induktion ab, ob die Erregung sistiert oder sich weiter fortsetzt. Literatur: 1. Reichel, H, Bleichert, A, Leitfaden der Physiologie des Menschen, Ferdinand Enke Verlag Stuttgart (D) 1970 2. Caesar R, Edwards GA, Ruska H, Electron microscopy of the impulse conducting system of the sheep heart. Z Zellforsch Mikrosk Anat. 1958;48(6) 3. Bucher,O, Cytologie, Histologie und mikroskopische Anatomie des Menschen, Medizinischer Verlag Hans Huber Bern (CH) und Stuttgart (D) 1968 4. Rothberger, CJ, Physiologie der Rythmik und Koordination. Erg. Physiol.32, 472 (1931) 5. Rothberger, CJ, Scherf, D, Erregungsausbreitung vom Sinusknoten auf den Vorhof. Z.exper. Med. 53, 792 (1926) 6. Scherf, D. Extrasystolen und extrasystolische Allorythmien. Z.exper. Med. 51, 816 (1926) 7. Schütz: Physiologie des Herzens, Springer Verlag Berlin 1958 8. Tawara, S. Das Reizleitungssystem des Säugetierherzens. Jena 1905 27.10.2014 Revision 0 Wolfgang Herzberg