13 Physik der Atome und ihre Anwendungen I Inhalt 13.1 13.2 13.3 13.4 13.5 13.6 13.7 13.8 13.9 13.10 13.11 Quantenphysik und Atome . . . . . . . Das Wasserstoffatom nach Schrödinger Magnetismus von Atomen . . . . . . . Elektronenspin und Feinstruktur . . . . Atome mit zwei Elektronen . . . . . . . Wie strahlen die Atome? . . . . . . . . Lichtkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . Atomoptik . . . . . . . . . . . . . . . . Der Einfluss der Atomkerne . . . . . . Kräfte zwischen Atomen . . . . . . . . Quantenmaterie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659 662 671 675 685 692 714 718 721 741 747 Niels Bohr (rechts) und Wolfgang Pauli betrachten einen ,,Spinumkehr-Kreisel“, der sich nach kurzer Rotation von selbst auf den Kopf stellt (Aufnahme: Universität Lund, Schweden 1954) M Einleitung Einleitung: Das Versagen der klassischen Physik vor dem Atom. Um die Jahrhundertwende stellte man sich das Atom als ein hochelastisches Klümpchen von etwa 1 Å = 10−10 m Durchmesser vor. Hierdurch waren seine mechanischen und thermischen Eigenschaften ziemlich vollständig beschrieben. Atome sind elektrisch neutral, enthalten aber zweifellos Elektronen, wie die Elektrolyse und die Gasentladungen beweisen. So kam J. J. Thomson zu seinem Bild des Atoms als eines 1 Å großen Kügelchens, in dem positive Ladung gleichmäßig verteilt ist und in das praktisch punktförmige Elektronen eingebettet sind. Elektronen würden in einer solchen positiven Ladungswolke, wenn sie reibungsfrei schwingen, scharfe Spektrallinien aussenden, nur leider nicht die experimentell beobachteten. Die α-Streuversuche von Ernest Rutherford (Abschn. 12.5) zerstörten dieses Bild, indem sie nachwiesen, dass die positive Ladung des Atoms zusammen mit praktisch seiner ganzen Masse im Kern, d. h. auf einem viel kleineren Raum von weniger als 10−14 m Durchmesser konzentriert ist. Da mechanisch und thermisch das Atom als Gebilde von etwa 10−10 m Durchmesser erscheint, blieb nichts übrig, als hierfür eine Hülle aus Elektronen verantwortlich zu machen, die den Kern in Abständen von dieser Größenordnung frei umschweben. Nach den Gesetzen der klassischen Mechanik können sie sich dort im Feld des positiven Kerns nur halten, wenn sie Bahnen ähnlich den Kepler-Bahnen beschreiben, im einfachsten Fall Kreise oder Ellipsen. Dabei ist allerdings die gegenseitige Störung der Elektronen sehr viel größer als im sonst analogen Fall der Planeten des Sonnensystems. Wie Rutherford, Geiger u. A. zeigten, Niels Bohr kommt mit Frau und Mitarbeitern aus einer langen Nachtsitzung in den Karlsberg-Bierstuben. Da beginnt der Holländer ,,Cas“ Casimir, begeisterter Alpinist, die Rustica-Fassade eines Bankgebäudes zu erklettern. Bohr versucht es nach kurzem Besinnen ebenfalls. Frau Bohrs Augen werden noch besorgter, als sich zwei Polizisten in Eilmärschen nähern, aber plötzlich sagt der eine: ,,Ach lass, das ist ja bloß der Professor Bohr!“ 658 13. Physik der Atome und ihre Anwendungen ist die Kernladung und damit auch die Anzahl der neutralisierenden Hüllenelektronen für die einzelnen Elemente verschieden und steigt mit der Ordnungszahl des Elementes im periodischen System. Es liegt nahe, dass Wasserstoff, das leichteste Element, nur ein Elektron hat. Es ist sozusagen die Mutter aller Atome und hat bei der Entwicklung der Quantenphysik wegen seiner besonders einfachen Spektralserien eine überragende Rolle gespielt. Heute sind Atome die vielleicht bestverstandenen mikroskopischen Objekte überhaupt, sie bieten dem Experimentator ein reichhaltiges Labor der Quantenphysik. 13.1 Quantenphysik und Atome 13.1.1 Bohr-Sommerfeld-Modelle des Atoms Die Experimente von Rutherford (Abschn. 12.5) hatten ein Atommodell nahe gelegt, das auf mikroskopischer Skala wie ein kleines Planetensystem aussah und beim Wasserstoff auf einen schweren Kern (das Proton) und ein einzelnes leichtes Elektron, das sich um den Kern bewegte, reduziert war. Dieses Modell verursachte aber ein neues Problem, denn die kontinuierlich beschleunigten und oszillierenden Elektronen sollten durch elektromagnetische Strahlung Energie verlieren und immer tiefer in das Coulomb-Potential des Kerns fallen, solche Atome wären nach der klassischen Physik instabil. Niels Bohr (1885–1962, Nobelpreis 1922) war allerdings aufgefallen, dass man die Stabilität der Atome und damit der Materie allgemein mit Hilfe des Wirkungsquantums, das Max Planck als Folge der Strahlungsgesetze gefordert hatte, ,,retten“ konnte: . . . Wie man die Bewegungsgesetze der Elektronen auch modifizieren mag, man kommt nicht daran vorbei, eine der klassischen Elektrodynamik fremde Größe – nämlich die plancksche Konstante oder, wie sie oft bezeichnet wird, das elementare Wirkungsquantum – in die betreffenden Gesetze einzuführen. Tut man das, so ändert sich die Frage nach der stabilen Konfiguration der Elektronen im Atom wesentlich, da die plancksche Konstante eine Dimension und Größe hat, die sie – in Verbindung mit der Masse und Ladung der Teilchen – befähigt, eine Länge der geforderten Größenordnung zu bestimmen. ... (N. Bohr, Über den Aufbau der Atome und Moleküle, Philos. Mag. 26, 1 (1913)) Dazu musste man die später Bohr-Sommerfeld Postulate genannten Forderungen stellen: • hνij = ∆Eij = Ei − E j , h . • 2πrn = n · λ = n · m el vel Das erste Postulat fordert, dass die beobachteten Spektrallinien durch strahlende Übergänge zwischen nur wenigen vorgegebenen Energieniveaus i, j, . . . zustande kommen, die durch eine ,,Bahn“ charakterisiert 13.1 Quantenphysik und Atome werden. Die zweite Bedingung stellt fest, welche Bahnen erlaubt sind: solche nämlich, deren Länge gerade einem Vielfachen der de BroglieWellenlänge entsprechen (Abb. 13.1). Bohr hatte diese Bedingung mit Hilfe des Wirkungsintegrals pdq = n · h etwas anders ausgedrückt, die Formulierungen sind aber äquivalent. Arnold Sommerfeld (1868–1951) erweiterte das bohrsche Modell auf elliptische Bahnen (Abb. 13.2). Beim Studium der relativistischen Einflüsse auf die Elektronenbewegung entdeckte er die Feinstrukturkonstante α (s. Abschn. 13.1.3). 13.1.2 Quanten-Fluktuationen stabilisieren die Atome Nach dem Versagen der klassischen Mechanik bei mikroskopischen Dimensionen muss die Bewegung des atomaren Elektrons mit Hilfe der Quantenmechanik, also der Schrödingergleichung beschrieben werden. Deren Lösung ergibt eine Wellenfunktion, die wir als Amplitude der Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons interpretieren können. Die Stabilisierung der Elektronenbahn kann man im Wellenbild anschaulich deuten: Die Beschränkung der Elektronenbewegung auf ein immer kleineres Volumen – wenn das Elektron in das Coulomb-Potential fällt – verursacht eine immer kürzere de Broglie-Wellenlänge, die wiederum einer wachsenden kinetischen Energie entspricht. Diese Bewegung bezeichnet man als Schwankungen oder Fluktuationen. Selbst im tiefsten elektronischen Zustand, dem Grundzustand, muss nämlich wenigstens eine (de Broglie)- Halbwelle in den Aufenthaltsbereich ,,hineinpassen“, der Gewinn an Bindungsenergie wird also durch eine Zunahme der kinetischen Energie abgeschwächt, bis es zu einem Gleichgewicht kommt. Um die Wirkung der Quantenfluktuationen genauer zu fassen, vereinfachen wir das Problem zunächst auf eine Dimension und betrachten die vereinfachte Schrödinger-Gleichung im Coulomb-Potential, h2 d2 e2 /4πε0 Eψ(x) = − − ψ(x) . 2m dx 2 x Die kinetische Energie wird darin durch den Operator −h 2 /2m · d 2 /dx 2 beschrieben. Vereinfacht gesprochen ist sie wegen der zweiten Ableitung d 2 /dx 2 proportional zur Krümmung der Wellenfunktion und wir nehmen grob an, dass sie sich nach h 2 /2ma2 , der niedrigsten Energie im Kastenpotential der Breite a, abschätzen lässt. Dann erwarten wir ein Gleichgewicht von Bindungsenergie und kinetischer Energie bei 2 e2 /4πε0 h d =0. − da 2ma2 a Daraus ergibt sich sofort die nur von den fundamentalen physikalischen Konstanten h, m, e bestimmte charakteristische Länge, die als Bohrradius bezeichnet wird, λ = a0 , Bohrradius: a0 = h2 = 0,529 Å , m(e2 /4πε0 ) (13.1) Abb. 13.1. Bohrs Quantenbedingung: Die Trajektorienlänge eines atomaren Elektrons sollte gerade ein Vielfaches seiner de Broglie-Wellenlänge sein. Sommerfeld erweiterte das bohrsche Modell durch Quantenbedingungen für elliptische Bahnen Kern 4,1 4,2 4,3 4,4 Abb. 13.2. Erweiterung des bohrschen Modells durch Sommerfeld. Zur die Hauptquantenzahl n = 4 kommen die Nebenquantenzahlen n φ = 1 − 4 vor, die die Elliptizität der Bahn charakterisieren. Die Quantenmechanik ergibt l = 0 − 3, eine Bahn mit n φ = 0 würde aber als Strich durch den Kern laufen, klassisch undenkbar 659 660 13. Physik der Atome und ihre Anwendungen und die mittlere Bindungsenergie E Ryd = (e2 /4πε0 )/2a0 , die als RydbergEnergie bezeichnet wird: Rydberg-Energie: E Ryd = − m (e2 /4πε0 )2 = − 13,6 eV . (13.2) 2 h2 Noch bekannter ist die Rydbergkonstante R∞ = E Ryd /hc. Der Index ∞ weist daraufhin, dass sie für einen unendlich schweren Atomkern gilt und bei Kernen endlicher Masse entsprechend korrigiert werden muss. Ihr international akzeptierter Wert beträgt derzeit R∞ = 109 737,315 685 5(8) cm−1 , mit einer relativen Unsicherheit ∆R∞ /R∞ < 10−12 ! Sie ist eine sekundäre Naturkonstante, weil sie aus anderen, fundamentaleren Größen bestimmt werden kann. Sie ist die genauest bekannte physikalische Größe überhaupt und verdankt diesen Umstand allein der Untersuchung des Wasserstoffatoms mit Hilfe der Laser-Präzisionsspektroskopie. Dessen spektrale Linien sind sogar mit noch 1000fach höherer Genauigkeit vermessen worden, jedoch kann die Rydbergkonstante nicht direkt aus diesen Messungen abgeleitet werden, weil die vom Proton verursachte Modifikation des Coulomb-Potentials nicht genau genug bekannt ist (s. Abschn. 13.9.1). In letzter Konsequenz ist also nicht einmal das Wasserstoffatom ein ,,echtes“ Zweikörperproblem! Hier zeigt sich aber auch, welche große Bedeutung die Spektroskopie in der Metrologie, der Wissenschaft von den Präzisionsmessungen besitzt. 13.1.3 Atomare Einheiten und Feinstrukturkonstante α Rydbergkonstante und Bohr-Radius geben typische atomaren Größen für Bindungsenergie und Atomradius an. Es ist daher häufig sinnvoll, andere Größen in diesen Einheiten auszudrücken, sodass zum Beispiel übersichtliche Gleichungen entstehen. Dazu verwendet man die Naturkonstanten als Einheiten, d. h. wir setzen e = e2 /4πε0 = m el = h = 1 und erhalten automatisch auch für den Bohr-Radius den Wert 1. Aus der mittleren kinetischen Energie kann man noch aus mv2 /2 = h 2 /2ma02 eine Abschätzung für die mittlere quadratische Geschwindigkeit v̄ des Elektrons gewinnen: v̄2 1/2 = h = α·c , ma0 die wir mit der berühmten Feinstruktur-Konstante α = e2 1 1 4πε0 hc 137 (13.3) ins Verhältnis setzen können zur Lichtgeschwindigkeit c. Die FeinstrukturKonstante α ist dimensionslos, und ihr kleiner Wert zeigt, dass man das Wasserstoff-Atom in guter Näherung wegen α = v/c 1 ohne Berücksichtigung der Relativitätstheorie betrachten kann. Wir können α auch 13.2 Das Wasserstoffatom nach Schrödinger Name Symbol Länge a0 Geschwindigkeit v0 Formel h2 4πε0 me2 e2 4πε0 h Tabelle 13.1. Atomare oder natürliche Einheiten (a.e.) SI-Wert 0,529 · 10−10 m 2,19 · 106 m/s Lichtgeschwindigkeit c = v0 /α = 137 a.e. Zeit τ0 = a0 /v0 Energie E0 = e2 4πε0 a0 h 3 (4πε0 )2 me4 me4 (4πε0 )2 h 2 2,4 · 10−17 s 27,2 eV Ruhenergie mc2 = E 0 /α2 = 1,87 · 104 a.e. l0 = ma0 v0 Drehimpuls Elekt. Dipolmoment Magn. Feld Magn. Dipolmoment 1,05 · 10−34 J s m 2 e5 5,1 · 1011 V/m (4πε0 )3 h 4 4πε0 h 2 d0 = ea0 0,85 · 10−29 C m me m 2 e3 5 2,3 · 10 T Bat = Eat /v0 (4πε0 )2 h 3 B-Feld am Kern B = 2Eat /c = 2α2 Bat = 10−4 a.e. Eat = Elekt. Feld h e 4πε0 a02 eh/m 1,85 · 10−23 J/T µat Bohr-Magneton µB = µat /2 = 1/2 a.e. e = (e2 /4πε0 )1/2 = m el = h = 1 und α = 1/137,04 verwenden, um die Rydbergenergie aus (13.2) nach 1 E Ryd = α2 mc2 2 auszudrücken, der Ruhenergie mc2 = 511 keV des Elektrons. Bohr-Radius und Rydbergenergie geben uns charakteristische Skalen für die physikalischen Größen Länge, Zeit, Geschwindigkeit usw. bei atomaren, d. h. mikroskopischen Dimensionen. Man spricht auch von natürlichen oder atomaren Einheiten. In Tabelle 13.1 sind wichtige Beispiele zusammengestellt. 13.2 Das Wasserstoffatom nach Schrödinger 13.2.1 Das Kepler-Problem im Coulombfeld Zwar verliert die klassische Mechanik auf mikroskopischer Skala ihre Gültigkeit, wichtige Grundsätze oder, genauer gesprochen, Erhaltungsgrößen wie z. B. der Drehimpuls behalten aber Ihre Bedeutung. Deshalb lohnt es sich, einige Ergebnisse der Bewegung in Zentralfeldern (s. Abschn. 1.7.4) am Beispiel des Coulomb-Feldes in Erinnerung zu rufen. Nach dem Rutherford-Modell bewegt sich das atomare Elektron mit der Masse m und Ladung q = −e im Coulombpotential Φ(r) Φ(r) = Ze2 qQ =− 4πε0r 4πε0r (13.4) 661 13. Physik der Atome und ihre Anwendungen 662 des Atomkerns mit Masse M und Ladung Q = Ze, wobei Z die Kernladungszahl ist. Die klassische Physik nach Newton beschreibt die Bewegung des Elektrons nach der Gleichung m r̈ = ṗ = −∇Φ(r) , und muss bei mikroskopischen Skalen durch die Schrödinger-Gleichung ersetzt werden. Die Newton-Gleichung kann bekanntlich einmal integriert d werden (m r̈ ṙ = 12 dt m r̈ 2 ), d d m 2 ṙ = − ṙ · ∇Φ(r) = − Φ(r) , dt 2 dt und drückt darin die Energieerhaltung des Systems aus, m 2 ṙ + Φ(r) = E kin + E pot = E ges . 2 Wenn die Gesamtenergie negativ ist, sind die Zustände gebunden und wir gewinnen mit p2 + Φ(r) (13.5) 2m eine Form, die ganz analog in der quantenmechanischen Behandlung auftritt. E Bin = E 0 Drehimpuls-Barriere ~ 1/r 2 Klassische Umkehrpunkte Aus der klassischen Physik ist ferner bekannt, dass im Zentralfeld (FCoul = −q∇Φ(r) = −Ze2 /4πε0r · er ) der Drehimpuls L = r × p = r × p⊥ erhalten ist. Mit p = pr er + p⊥ findet man nach kurzer Rechnung eine überschaubare eindimensionale Bewegungsgleichung für die r-Koordinate, EBin Gebundener Zustand Coulomb-Potential ~ 1/r r Abb. 13.3. Effektives Potential aus Coulomb-Potential und DrehimpulsBarriere pr2 L2 m + Φ(r) = (13.6) ṙ + + Φeff (r) = E Bin . 2 2m 2mr 2 Die Bewegung klassischer gebundener Teilchen im Coulomb-Potential findet also auf Keplerbahnen (Kreisen und Ellipsen) statt. Im eindimensionalen Bild (Abb. 13.3) pendelt das Teilchen zwischen den so genannten klassischen Umkehrpunkten. 13.2.2 Schrödinger-Gleichung für das Wasserstoffatom Das Wasserstoffatom muss nach den Regeln der Quantenphysik behandelt werden. Wenn wir die klassischen Größen Energie und Impuls mit den Regeln E → ih∂/∂t und p → ih∇ ersetzen, gewinnen wir direkt aus (13.5) die vollständige Schrödinger-Gleichung, Ze2 h2 2 ∇ − ψ(r, t) . (13.7) ih ψ̇(r, t) = Ĥψ(r, t) = − 2m 4πε0r Während die Koordinaten {x(t), p(t)} als Lösungen der Newton-Gleichung die Trajektorie des Elektrons angeben, bilden {ψ(r, t), ∇ψ(r, t)} die Lösungen der Schrödinger-Gleichung. Die Wellenfunktion ψ(r, t) wird als Amplitude der elektronischen Wahrscheinlichkeitsverteilung P(r, t) 13.2 Das Wasserstoffatom nach Schrödinger interpretiert, |ψ(r, t)|2 = P(r, t) . Da die Gesamtwahrscheinlichkeit, das Elektron im Gesamtvolumen V zu finden, eins sein muss, wird die Wellenfunktion nach |ψ(r, t)|2 dV = P(r, t) dV = 1 V V normiert. Der Gradient der Wahrscheinlichkeitsverteilung beschreibt die Wahrscheinlichkeitsstromdichte ∇ψ(r, t). Die Energieerhaltung des klassischen Problems entspricht hier der Separierbarkeit der Zeitabhängigkeit, ψ(r, t) = ψ(r) exp (−i Et/h). Für stationäre Lösungen erhalten wir das bekannte Eigenwertproblem der Quantenmechanik mit dem Hamilton-Operator Ĥ, h2 2 Eψ(r) = − (13.8) ∇ + Φ(r) ψ(r) = Ĥψ(r) , 2m dessen Lösungen das Energiespektrum des Wasserstoffatoms ergeben. Wenn die Wellenfunktion eines stationären Zustandes bekannt ist, kann man seine Energie berechnen nach ∗ Ĥ = ψ (r) Ĥψ(r) dV = E ψ ∗ (r)ψ(r) dV = E . V V Skizze Reduktion auf ein Einteilchen-Problem Das Wasserstoff-Atom besteht aus zwei Teilchen, und muss im Prinzip durch eine gemeinsame Wellenfunktion ψ(rel , rp ) für die Koordinaten von Elektron und Proton beschrieben werden. Man muss die vollständige stationäre Schrödinger-Gleichung lösen mit dem Hamilton-Operator, h2 2 h2 2 ∇el − ∇p + Φel-p (rel − rp ) ψ(rel , rp ) , Ĥψ(rel , rp ) = − 2m 2m man kann aber ganz analog zur klassischen Mechanik diese Gleichung separieren, indem man auf Schwerpunkts- (rCM ) und Relativkoordinaten (r) nach rCM = m p rp + m el rel /(m p + m el ) , r = rel − rp transformiert. Im Schwerpunktsystem lautet die Schrödinger-Gleichung −1 −1 nun mit der reduzierten Masse µ = (m −1 el + m p ) h2 2 Eψ(r) = − ∇ + Φ(r) ψ(r) . 2µ Die Rydberg-Energie (13.2) bzw. die zugehörige Rydberg-Konstante R∞ wird dann ersetzt durch die Rydberg-Konstante Rµ zur reduzierten Masse µ, Rµ = µe2 . 8ε0 h 2 (13.9) 663 664 13. Physik der Atome und ihre Anwendungen Drehimpuls im Wasserstoffatom. Der Differential-Operator −h 2 ∇2 /2m, der die kinetische Energie repräsentiert, erschwert mathematisch gesehen die Behandlung der Schrödinger-Gleichung. Das zentralsymmetrische Problem wird sinnvollerweise in Kugelkoordinaten formuliert: 1 ∂2 1 ∂2 1 ∂2 1 ∂ 2 ∇ = + . r+ 2 + r ∂r 2 r ∂θ 2 tan θ ∂θ sin2 θ ∂φ2 Der allein von (θ, φ) abhängige Teil entspricht gerade dem Drehimpulsoperator L̂ = hl̂ = r̂ × p̂ und 1 ∂2 1 2 ∂2 1 ∂ 2 + = l̂ = + , L̂ h2 ∂θ 2 tan θ ∂θ sin2 θ ∂φ2 wie man durch Nachrechnen, etwa durch komponentenweise Transformation von kartesischen auf Kugelkoordinaten, L̂ xyz → L̂rθφ , zeigen kann. Die z-Komponente von L̂, L̂ z (φ) = −ih∂/∂φ, ist besonders einfach und hängt nur von φ ab. Zu den Drehimpulsoperatoren gehören Eigenwertgleichungen, die die Drehimpulsquantenzahlen l und m festlegen, L̂2 Ylm = h 2l(l + 1)Ylm Bahndrehimpuls-Quantenzahl l = 0, 1, 2, . . . Lˆz Ylm = hlˆz Ylm = hm Ylm (13.10) Magnetische Quantenzahl m = −l, −(l − 1), . . . , (l − 1), l Lösungen sind die so genannten Kugelflächenfunktionen (engl. spherical harmonics) (Abb. 13.4) Ylm = Clm eimφ Plm (cos θ) . Tabelle 13.2. Assoziierte Legendre-Polynome Plm (cos θ) l= 0 1 m=0 m = ±1 m = ±2 1 cos θ sin θ 2 1 2 2 (3 cos θ − 1) 3 cos θ sin θ 3 sin2 θ Darin bezeichnet Plm (x) die assozierten Legendre-Polynome, die für die niedrigsten Quantenzahlen in Tabelle 13.2 gegeben sind. Die Funktionen sind normiert mit 2l + 1 (l − m)! Clm = (−)m 4π (l + m)! (13.11) und 2π π ∗ dφ d(cos θ)Ylm Yl m = δll δmm . 0 0 Sowohl die z-Komponente des Drehimpulses als auch sein Betrag sind Konstanten der Bewegung, denn L̂2 und L̂ z haben gemeinsame Eigenfunktionen. Das gilt jedoch – im Gegensatz zur klassischen Mechanik – nicht für L̂ x und L̂ y . Die geometrische Form der Wellenfunktionen veranschaulicht man sich am einfachsten mit einem geeigneten Programm der Computeralgebra. Für l = m = 0 finden wir eine vollkommen isotrope Verteilung (Y00 = 1), für alle anderen Drehimpulskonfigurationen eine auch azimuthal modulierte Verteilung. Sie besitzt l − m Knotenflächen auf Kegelflächen. Im Unterschied zur klassischen Physik kann der Drehimpuls 13.2 Das Wasserstoffatom nach Schrödinger l=0 l=2 l=1 Abb. 13.4. Kugelflächenfunktionen. Die Phasenabhängigkeit ist mit der weiß-blauen Farbskala veranschaulicht l=3 m=0 m=1 Z m=2 m=3 0 π 2π Abb. 13.5. Richtungsquantelung des Drehimpulses im Vektormodell l=3 3 s = 1/2 2 1 +1/ 2 0 –1 –2 –1 / 2 –3 nicht in beliebige Richtungen zeigen, man spricht von Richtungsquantelung (Abb. 13.5), die mit dem Stern-Gerlach-Experiment (s. u.) bewiesen wurde. 665 666 13. Physik der Atome und ihre Anwendungen E/ERyd 0,4 0,2 r/a 0 0 –0,2 Die Wirkung des Drehimpulsoperators L̂2 kann nach (13.10) durch dessen Eigenwert ersetzt werden, l=2 –0,4 l=1 –0,6 –0,8 Die radiale Schrödinger-Gleichung. Die Lösungen der SchrödingerGleichung (13.8) zerfallen nun in ein Produkt aus Radial- und Winkelanteilen, ψ(r, θ, φ) = R(r)Y(θ, φ), man sagt, sie sei separierbar, h2 1 ∂2 L̂2 E R(r)Y(θ, φ) = − r+ + Φ(r) R(r)Y(θ, φ) . (13.12) 2µ r ∂r 2 2µr 2 h2 1 ∂2 h 2l(l + 1) E R(r) = − r + + Φ(r) R(r) , 2µ r ∂r 2 2µr 2 l=0 –1,0 5 10 15 20 25 Abb. 13.6. Das effektive Potential des Wasserstoff-Atoms für die niedrigsten Drehimpuls-Quantenzahlen 6 5 4 3 2 1 0 1,5 1,0 n 2; l 0 (13.13) und wir müssen nur noch die radialen Lösungen finden. Weil das effektive Potential (Abb. 13.6) und daher (13.13) von der Drehimpulsquantenzahl l abhängt, muss auch die radiale Wellenfunktion Rnl (r) davon abhängen, und um die Lösungen zu nummerieren, haben wir auch schon die Hauptquantenzahl n eingeführt. Üblicherweise vereinfacht man weiter Rnl (r) := u nl (r)/r und konstruiert die Gesamtwellenfunktion aus dem Produkt 0,5 n 1; l 0 0 0,4 0,2 2 4 6 8 ° r/A n 2; l 1 2 4 6 8 ° r/A 1,0 0,5 u nl (r) (13.14) Ylm (θ, φ) . r ∞ Die Normierung erhält dann die einfache Form, 0 u ∗ (r)u(r) dr = 1. Die radialen Wellenfunktionen können wir wieder als Wahrscheinlichkeitsamplituden interpretieren, ψnlm (r, θ, φ) = Rnl (r)Ylm (θ, φ) = • |u(r)|2 : Aufenthaltswahrscheinlichkeit in einer Kugelschale dr bei r, • |R(r)|2 : Aufenthaltswahrscheinlichkeit in einem Volumenelement n 3; l 0 dr dθ dφ, ° r/A 0 0,3 0,1 n 3; l 1 0,2 0,1 n 3; l 2 und die radialen Lösungen (Abb. 13.7, Tabelle 13.3) lauten Rnl (ρ) = u nl (ρ)/ρ = Cnl ρl e−ρ/2 L 2n+1 n−l−1 (ρ) ° r/A 2 4 6 8 10 12 mit n ≥ l + 1 , n = 1, 2, 3, . . . (13.15) ° r/A Abb. 13.7. Die Radialwellenfunktionen Rnl des Wasserstoffatoms Tabelle 13.3. Assoziierte Laguerre-Polynome L km (ρ) Tabelle 13.4. Radiale Wellenfunktionen für das Wasserstoffatom l n=1 n=2 n=3 C0 −ρ/2 0 R10 = e 1/2 C0 R20 = √ e−ρ/2 (2 − ρ) 8 C0 −ρ/2 R30 = √ ((ρ − 3)2 − 3) e 243 1 C0 R21 = √ e−ρ/2 ρ 24 C0 −ρ/2 R31 = √ ρ(4 − ρ) e 486 L k0 = 1 L k1 = −x + k + 1 L k2 = 12 x 2 −2(k + 2)x+(k + 2)(k + 1) 2 ρ = 2Zr/na0 , C0 = (Z/a0 )3/2 C0 e−ρ/2 ρ2 R32 = √ 2430 13.2 Das Wasserstoffatom nach Schrödinger mit dem normierten Radius ρ und dem Normierungsfaktor Cnl 2n(n + l)! −1/2 ρ = 2r/na0 und Cnl = . (n − l − 1)! Die Funktionen L km (ρ) heißen (assoziierte) Laguerre-Polynome und sind in Tabelle 13.3 und in Tabellenwerken der Mathematik zu finden. In Tabelle 13.4 sind die radialen Wellenfunktionen für die niedrigliegenden Wasserstoff-Orbitale angegeben. 13.2.3 Quantenzahlen, Spektrum und Energiediagramm Wir haben bisher drei Quantenzahlen des Wasserstoffatoms gefunden, • Hauptquantenzahl n = 1, 2, 3, . . . , • Drehimpulsquantenzahl 0 ≤ l ≤ n − 1, • Magnetische Quantenzahl −l ≤ m ≤ l. Mit der Gesamtlösung wird auch die exakte Lage der Energieniveaus festgelegt. Es ist bemerkenswert, dass die Energieniveaus des Wasserstoffatoms gar nicht von den Drehimpulsquantenzahlen (l, m) abhängen, das Rydberg-Gesetz berücksichtigt allein die Hauptquantenzahl n und die Rydberg-Konstante Rµ zur reduzierten Masse µ nach (13.9), E nlm = E n = − Rµ . n2 (13.16) Man sagt, die Lösungen der Schrödinger-Gleichung sind in den Drehimpulsquantenzahl entartet (Abb. 13.8); der Entartungsgrad g lässt sich hier E/hcRµ Ionisationsgrenze 0 –(1/5) 2 –(1/4) 2 –(1/3) 2 –(1/2) 2 n 2 = 16 n=4 n2 = 9 n=3 n2 = 4 n=2 m = –1,0,1 Entartung –1 n=1 S, l = 0 “sharp” n2 = 1 P, l = 1 “principal” D, l = 2 “diffuse” F, l = 3 “fundamental” Abb. 13.8. Energiediagramm des Wasserstoffatoms. Die Punkte symbolisieren die jeweils erlaubten magnetischen Quantenzahlen −l ≤ m ≤ l 667 13. Physik der Atome und ihre Anwendungen Abb. 13.9. Spektralserien im Wasserstoffatom. Links der Coulomb-Topf mit den stationären Energiezuständen. In der Mitte die möglichen Übergänge, nach Spektralserien geordnet. Rechts die Spektralserien im Frequenzspektrum Ly ma Ba n lm Pa er sch Br en ac ke tt 668 sofort angeben, wobei jeder elektronische Zustand wegen der noch einzuführenden Spinquantenzahl doppelt zu nehmen ist: g = 2n 2 . Das Analogon in der klassischen Newton-Gleichung (13.5) ist das Auftreten geschlossener Bahnen. Wir können aus (13.16) unmittelbar ableiten, dass die spektralen Serien (Abb. 13.9) den Gesetzen RH 1 Lyman-Serie ν1n = 1− 2 n≥2, h n RH 1 1 n≥3, − Balmer-Serie ν1n = h 22 n 2 RH 1 1 n≥4 − Paschen-Serie ν1n = h 32 n 2 usw. folgen. Im Experiment dominiert die Spektralserie, die im Grundzustand endet, für Wasserstoff (Abb. 13.10) die dort allerdings wegen der sehr kurzen Wellenlängen technisch schon schwierig zu beobachtende Lyman-Serie. Die Übergänge der Haupt- oder P-Serie (principal) enden in den Zuständen mit l = 1, die aus diesen historischen Gründen den Namen ,,P-Zustände“ erhalten haben. Die Drehimpulszustände mit l = 0 werden entsprechend als S-Zustände bezeichnet, weil die Spektralserie von (n, l) = (2, 1) → (n , 0) ,,scharfe“ Linien lieferte, im Gegensatz zur ,,diffusen“ DSerie ((2, 1) → (n , 2)). Die F-Serie (fundamental) ((3, 2) → (n , 3)) hat den Zuständen mit l = 3 den Namen gegeben, für höhere Drehimpulse werden alphabetische Bezeichnungen g, h, . . . verwendet. Abb. 13.10. Balmer-Spektrum aus einer Hochfrequenzentladung in Wasserstoff. Die Linien zwischen den Balmer-Linien werden von molekularem Wasserstoff (H2 ) verursacht. Die Beobachtung der Lyman-Serie, die im Grundzustand des Wasserstoffatoms endet, ist wegen der kurzen UV-Wellenlängen (λ < 121 nm) experimentell sehr viel aufwändiger Hα Hβ Hγ Hδ H ε H ξ H η H λ Grenze 13.2 Das Wasserstoffatom nach Schrödinger Grenzkontinuum ζ ε δ γ Abb. 13.11. Balmer-Serie (ohne Hα) in Emission und Absorption in den Spektren der Sterne γ Cassiopeiae und α Cygni (Deneb). (Aus R. W. Pohl: Einführung in die Physik, Band 3: Optik und Atomphysik, 13. Aufl. (Springer, Berlin Heidelberg 1976)) β Bei genauerer Untersuchung atomarer Spektren stellt sich heraus, dass die Linien i. Allg. aus Multipletts bestehen, die in äußeren Feldern aufgespalten werden und die Einführung einer weiteren, drehimpulsartigen Quantenzahl erfordern, nämlich der Spin-Quantenzahl s. Weil sie die häufigsten Elemente im Kosmos sind, spielen die Spektren von Wasserstoff und Helium in der Astronomie eine große Rolle (Abb. 13.11). Bei genauer Kenntnis der atomaren Spektren kann man zum Beispiel aus der Doppler-Verschiebung Informationen über die Geschwindigkeit von Sternen oder kosmischen Gasen gewinnen. λ/nm K p2 8s-4s 6p-4s 6s (3s) 6p (4p1) (4p2) 5s (2s) 500 f 6d 6f 5d 5f 5 4d 4f 4 3d 3 6d-4p 8s-4p 5d-4p 7s-4p 4d-4p 6s-4p 1000 H d 5p (3p1) (3p2) 5p-4s Die hohe Entartung der l-Quantenzahl (Entartungsfaktor n 2 ) im Wasserstoff-Spektrum ist eine Folge der hohen Symmetrie des CoulombPotentials, die sich auch in der Existenz geschlossener klassischer Bahnen äußert. Jede noch so kleine Störung hebt diese Entartung aber auf, und die Rolle der Drehimpulsquantenzahlen wird schnell deutlich. Das CoulombPotential wird zum Beispiel durch den Ionenrumpf der Atome mit Z > 1 nachhaltig gestört, sodass dort die l-Entartung vollständig aufgehoben ist. Die Alkali-Atome (Li, Na, K, Rb, Cs, Fr) ebenso wie die EdelmetallAtome (Cu, Ag, Au) sind dem Wasserstoff sehr ähnlich (Abb. 13.12), sie besitzen ein einzelnes ,,Leucht“-Elektron, das sich im Wesentlichen außerhalb eines viel kleineren Ionenrumpfes aufhält. Die Spektralserien bzw. Energiediagramme dieser Atome folgen in guter Näherung einem Gesetz p1 7s-4s 13.2.4 Aufhebung der l-Entartung: Einelektronenatome E nl = − s 285,6 300 4p (2p1) (2p2) 4p-4s 8f-3d 7f-3d 6f-3d 5f-3d 3d-4p 5s-4p 4f-3d 2 2000 4,32 4s (1s) Abb. 13.12. Spektrum und Termleitern des Kaliumatoms. Rechts zum Vergleich die Termleiter des Wasserstoffs RAtom , (n − δl )2 Quantendefekt δ l 4 Caesium 3 2 – Rubidium Kalium (Ionenrumpf) + 0 Natrium 0,S 1,P 1 Lithium 2,D 3,F Drehimpuls-Quantenzahl l Abb. 13.13. Aufhebung der l-Entartung und Quantendefekte der Alkaliatome. Im linken Trajektorienmodell werden die Kepler-Ellipsen des reinen Coulomb-Potentials durch den Ionenrumpf deformiert 669 670 13. Physik der Atome und ihre Anwendungen das ganz ähnliche Form wie beim Wasserstoff (13.16) hat. Der Einfluss des Ionenrumpfes ist auf eine Konstante δl reduziert, die nur noch von der Drehimpuls-Quantenzahl abhängt (Abb. 13.13). 13.3 Magnetismus von Atomen 13.3.1 Stern-Gerlach-Experiment Im Jahr 1921 haben Otto Stern (1888–1969, Nobelpreis 1943) und Walter Gerlach (1889–1979) in Hamburg eines der berühmtesten Experimente zur Atom- und Quantenphysik publiziert, das heute ganz allgemein mit ihrem Namen verknüpft ist. Sie untersuchten die Ablenkung eines Atomstrahls von neutralen Silberatomen – geeignete Vakuum-Apparaturen waren übrigens erst im Jahrzehnt zuvor verfügbar geworden – in einem inhomogenen Magnetfeld (Abb. 13.14). Während die klassische Physik eine breite thermische Verteilung vorhersagt, beobachteten sie eine Aufspaltung des Strahls (Abb. 13.15) in zwei Komponenten. Ergebnisse des Stern-Gerlach-Experiments sind: • der Beweis für die Richtungsquantelung des Drehimpulses, • eine Messung des magnetischen Moments des Ag-Atoms. 13.3.2 Magnetisches Moment eines Atoms Abb. 13.14. Apparatur zur Untersuchung der Richtungsquantelung von Atomen im inhomogenen Magnetfeld nach Stern und Gerlach (schematisch) Wie in einem klassischen Stromkreis verursachen auch die Bewegungen der atomaren Elektronen ein Magnetfeld. In der klassischen Elektrodynamik ist mit einem ebenen Kreisstrom I bekanntlich ein magnetisches Dipolmoment verknüpft (Abschn. 7.5.5), µ= I ·A. Der Flächenvektor A steht senkrecht auf der Bahnebene und ist parallel und proportional zum Drehimpuls L. Auf dieses Dipolmoment wirkt im äußeren Magnetfeld B das Drehmoment Stärke des Niederschlags 15 τ = µ× B . 10 mit Feld Darüber hinaus ist mit dem Dipolmoment eine magnetische Energie (,,Einstellenergie“) verbunden, Vmag = −µ · B . 5 ohne Feld 0 30 40 50 60 x 70 Abb. 13.15. Niederschlagsdichte auf dem Detektor beim Stern-GerlachVersuch (13.17) Mit einer kleinen Analogiebetrachtung können wir den Operator des atomaren magnetischen Moments erraten: Den atomaren Kreisstrom können wir aus der Umlauffrequenz berechnen, I = q/TUmlauf = −eω/2π, der Drehimpuls wird nach |L| = mωr 2 berechnet und ist proportional zur Fläche A = πr 2 . Das magnetische Moment beträgt dann µ = −eω/2π · πr 2 = −(e/2m)mωr 2 = −(e/2m)|L|. Den Operator des magnetischen Dipolmoments können wir dann angeben nach µ̂ = − eh e L̂ = − l̂ . 2m 2m (13.18) 740 13. Physik der Atome und ihre Anwendungen Kondensat Speicherpotential |Ψ |2 Chemisches Potential µ Abb. 13.82. In der Thomas-Fermi-Näherung reflektiert die makroskopische Wellenfunktion des Bose-EinsteinKondensats genau den Verlauf des Speicherpotentials dass es für µ = E 0 gerade die maximale Teilchenzahl im thermischen Gas angibt. In (13.82) haben wir das Wechselwirkungspotential der BoseTeilchen nach (13.74) eingesetzt. Die Wellenfunktion Ψ(r) beschreibt eine mittlere Amplitude, die als Molekularfeld (engl. mean field) bezeichnet wird. Das Molekularfeld ist nur unterhalb von Tc von Null verschieden, daher wird es auch Ordnungsparameter genannt, der die kondensierte Phase charakterisiert. Wenn im harmonischen Potential sehr viele Teilchen gefangen sind, kann man den Beitrag der kinetischen Energie im Vergleich zur potentiellen und zur interatomaren Wechselwirkungsenergie vernachlässigen. Dann wird (13.82) in der Thomas-Fermi-Näherung von der Wellenfunktion Ψ(r) mit 1 (µ − V(r)) |Ψ(r)|2 = U0 gelöst (Abb. 13.82). Sie reflektiert den Verlauf des Speicherpotentials. In Abb. 13.81 ist der erwartete Verhalten der Impulskomponenten in einem asymmetrischen Potential (angedeutet durch die elliptische Form) vorgestellt: Die Impulskomponenten sind proportional zu ∇Ψ(r), daher werden die stärker eingeschränkten Komponenten nach Abschalten der Speicherkräfte einer stärkeren Expansion unterliegen – das Verhältnis der Ellipsenachsen der gespeicherten Wolke wird dabei invertiert. 13.11.4 Materiewellen Von Materiewellen erwarten wir, dass sie ganz wie optische Wellen Interferenzfähigkeit zeigen. Das Bose-Einstein-Kondensat ist das erste Beispiel einer Materiewelle, die aus vielen Teilchen besteht, ganz analog zum Laserlicht, das ebenfalls nicht aus einzelnen, sondern aus sehr vielen Photonen besteht. In Abb. 13.83 bedeutet also das Auftreten von weißen Streifen in dem Überlagerungsteil der beiden Kondensate destruktive Interferenz, schwarze Streifen konstruktive Interferenz. Im Gegensatz zur Atominterferometrie aus Abschn. 13.8.2, die auf der Selbstinterferenz einzelner Teilchen beruht, ist hier die Interferenz einer makroskopischen 50% geteiltes Kondensat Abb. 13.83. Rechts: Das erste Interferenzbild mit Materiewellen von 1997 von W. Ketterle. Experimentelles Schema (links): Ein gespeichertes Bose-Einstein-Kondensat wird mit einem intensiven fokussierten ,,Lasermesser“ durch optische Dipolkräfte in zwei Hälften geteilt. Nach Abschalten der Speicherkräfte expandieren und überlagern sich die beiden Teilkondensate und bilden dabei Interferenzstreifen aus Expansion 1 mm Kontrast 0% 13.11 Quantenmaterie Wellenfunktion zu sehen. Das Bose-Kondensat verhält sich analog wie eine klassische Materiewelle – es wird durch Amplitude und Phase, die komplexe Größe Ψ(r) beschrieben, und es gilt das Superpositionsprinzip Es liegt nahe, nach der Anwendung des Bose-Einstein-Kondensats als ,,Atomlaser“ zu fragen. Dazu kann man die Atome aus dem Speicher zwar gleichmäßig herausfließen lassen, muss aber doch periodisch nachladen – den kontinuierlichen Atomlaser hoher Intensität gibt es bis heute nicht. Es gibt auch wichtige Unterschiede zum Licht: Dessen Strahlen durchdringen einander ungehindert, beim Atomlaser werden unweigerlich die Wechselwirkungen auftreten, die wir schon in der Gross-PitaevskiGleichung bemerkt haben – die atomare Wellenoptik mit vielen Teilchen ist von vornherein nichtlinear! 13.11.5 Suprafluidität und Vortizes Suprafluidität ist ein Kennzeichen wechselwirkender Quantenflüssigkeiten und vor allem vom flüssigen He unterhalb des so genannten λ-Punktes bei T = 2,17 K bekannt. Die Supraflüssigkeit zeigt außergewöhnliche Viskositätseigenschaften, denn unterhalb einer bestimmten kritischen Geschwindigkeit können in einer Supraflüssigkeit keinerlei Anregungen erzeugt werden, dort findet reibungsfreier Fluss statt. Dieser Zustand tritt auch bei den atomaren Bose-Kondensaten auf. Eine besonders eindrucksvolle Konsequenz der Suprafluidität tritt bei Rotationen auf. Wenn man eine klassische Flüssigkeit durch Drehen des Behälters in Rotation versetzt, wird sie wegen der Reibung an der Behälterwand mit derselben Geschwindigkeit wie der Behälter selbst rotieren, wie man auch am parabolischen Oberflächenprofil erkennt. Man kann dazu auch ein Geschwindigkeitsfeld angeben – v = Ω × r bei der Winkelgeschwindigkeit Ω. Das Bose-Kondensat verhält sich dagegen wie eine Supraflüssigkeit – unterhalb einer kritischen Geschwindigkeit behält es seine Ruheposition, und dann beginnt es ein Wirbelfilament (,,Vortex“) zu bilden. Erhöht man die Rotationsgeschwindigkeit weiter, treten mehrere Wirbel auf, die ein Gitter bilden. Die Gross-Pitaevski-Gleichung (13.82) erfüllt die Kontinuitätsgleichung ∂n/∂t + ∇ · j = 0 mit der Teilchendichte n(r) und der Stromdichte h j= (Ψ ∗ ∇Ψ − Ψ ∇Ψ ∗ ) . 2mi √ Aus Ψ = neiφ findet man j = nh∇φ/m, woraus man die Geschwindigkeit vsfl = h∇φ/m der Supraflüssigkeit entnehmen kann. Sie beschreibt den reibungsfreien Fluss eines Kondensats. Wenn wir einen geschlossenen Weg C betrachten (Abb. 13.84), + + h d s · vsfl = d s · ∇φ , m C C C Abb. 13.84. Das Wegintegral um einen Vortex muss ein Vielfaches von 2π betragen 741 742 13. Physik der Atome und ihre Anwendungen dann muss das Integral ein Vielfaches von 2π sein, um die Kontinuität der Kondensat-Wellenfunktion zu garantieren. Die Rotation ist deshalb quantisiert: + d s · vsfl = 2πn C h m mit n = 0, ±1, ±2, . . . . Das Geschwindigkeitsfeld muss bei zylindrischer Symmetrie wie r −1 skalieren, eine Situation die auf der Achse eines solchen Vortex Ψ(r) = 0 erzwingt, um eine Singularität zu vermeiden. Der Drehimpuls eines allein auftretenden Wirbels mit n = 1 hat erwartungsgemäß die Größe h pro Teilchen. (Die Wellenfunktion Ψ (13.81) ist auf die Gesamtzahl aller Teilchen normiert!) Im Experiment (Abb. 13.85) wird das sonst immer zylindrisch symmetrische Speicherpotential elliptisch verformt und in Rotation versetzt, die Anisotropie übernimmt hier die Rolle des reibungsbehafteten Behälters bei einer gewöhnlichen Flüssigkeit. Oberhalb einer kritischen Winkelgeschwindigkeit Ωc erscheint ein ,,Loch“ im Kondensat, das gerade einem Vortex entspricht. Wird die Rotationsgeschwindigkeit weiter erhöht, wird nicht der Drehimpuls dieses Wirbels erhöht, es treten stattdessen mehrere Wirbel auf, die sich in der gleichen Richtung drehen und untereinander abstoßen. Sind die Vortizes einmal angeregt worden, bleiben sie auch nach Abschalten des Antriebs bestehen, weil der supraflüssige Zustand unterhalb einer kritischen Geschwindigkeit vollkommen reibungsfrei ist. Sie sind aber metastabil, denn sie entsprechen nicht dem thermodynamischen Gleichgewichtszustand. Kleine Störungen lassen sie zerfallen, wobei die Rotationsenergie des Wirbelzustandes frei wird. opt. Dichte opt. Dichte (a) 0,8 0,4 0 Abb. 13.85. Erzeugung von Vortizes (Wirbeln) in einem atomaren Bose-Kondensat. Das zylindrisch symmetrische Speicherpotential wird elliptisch verformt und in Rotation versetzt. Oberhalb einer kritischen Winkelgeschwindigkeit treten Wirbel auf. Die Daten wurden von Jean Daliard, ENS Paris, zur Verfügung gestellt (b) 0,8 0,4 0 100 200 µm 0 0 100 200 µm (c) < 146 Hz (d) 148 – 159 Hz (e) 168 Hz 13.11 Quantenmaterie Skizze Von der Quantenflüssigkeit zum Mott-Isolator. Die Quantenflüssigkeit des atomaren Bose-Einstein-Kondensats wird mit einer makrokopischen Wellenfunktion beschrieben, wie in Abschn. 13.11.3 vorgestellt. Diese Quantenflüssigkeit kann durch Dipolkräfte in einem optischen Stehwellenfeld in 1–3 Dimensionen (,,Optisches Gitter“) auf experimentell einfache Weise einem periodischen Potential ausgesetzt werden (Abb. 13.86). Wenn das periodische Potential langsam anwächst, tauchen im Impulsraum-Bild (Abb. 13.87, nach der Methode von Abb. 13.81) im Abstand 2π/L vom zentralen Bild des Kondensats neue, scharfe Komponenten auf. Sie können als Beugung der atomaren Materiewelle am optischen Gitter mit der Periodenlänge L gedeutet werden. Die Interferenzlinien unterstreichen, dass die makroskopische Wellenfunktion eine sinnvolle Beschreibung der Quantenflüssigkeit liefert: Die einzelnen Atome sind ,,delokalisiert“, sie bewegen sich mit zunehmender Potentialtiefe in Energiebändern ähnlich wie Elektronen in einem Metall oder Halbleiter (Abschn. 16.3.5). Die Delokalisierung ist möglich, weil durch den Tunneleffekt zwischen benachbarten Potentialmulden ein Energiegewinn auftritt, der die abstoßende atomare Wechselwirkung überwiegt. Eine Momentaufnahme der Quantenflüssigkeit im periodischen Potential würde eine statistische Verteilung der Atome auf die Potentialmulden zeigen (Abb. 13.88). Abb. 13.86. Quantenflüssigkeit im periodischen Potential, das einem harmonischen Speicherpotential überlagert ist. Der hellblaue Bereich deutet den Energiebereich des Kondensats an E wachsende Modulationsamplitude U Tunnelrate fällt Gitteramplitude U wächst Supraflüssigkeit Mott Isolator Abb. 13.87. Die Bilder zeigen den Impulsraum eines atomaren Quantengases nach gleichzeitigem Abschalten des harmonischen Speichers und des überlagerten optischen Gitters mit kubischer Symmetrie. Im Bereich der Supraflüssigkeit beweisen die scharfen Interferenzlinien die langreichweitige Kohärenz – die Delokalisierung – der makroskopischen Wellenfunktion. Oberhalb einer kritischen Tiefe des periodischen Potentials verschwinden die Interferenzerscheinungen schlagartig. Stattdessen tritt ein breites, inkohärentes Streumuster auf. Es zeigt die hohe Lokalisierung der Atome in einzelnen Potentialtöpfen. Mit freundlicher Erlaubnis von Immanuel Bloch 743 744 13. Physik der Atome und ihre Anwendungen Abb. 13.88. Atomares Bose-Kondensat in einem optisches Gitter. Wenn das Gitter schwach ausgeprägt ist, bewegen sich die Atome über viele Potentialtöpfe hinweg, sie sind ,,delokalisiert“. Bei einer Momentaufnahme würde man die Atome statistisch verteilt in den Töpfen finden. Wenn die Potentialtiefe einen kritischen Wert übersteigt, überwiegt die Abstoßung zwischen den Atomen und unterdrückt das Tunneln Bosonen Fermionen Wenn die Tiefe des periodischen Potentials immer weiter wächst, dann nimmt die Tunnelrate zwischen den Potentialtöpfen ab und die Wechselwirkungen zwischen den Atomen dominieren plötzlich deren Verhalten: Das Tunneln in eine schon besetzte Potentialmulde kostet jetzt so viel Energie, dass der Prozess ganz unterdrückt wird: In jedem Potentialtopf befindet sich höchstens ein Atom. Der Übergang von einem delokalisierten bzw. supraflüssigen Zustand in einen lokalisierten oder Isolatorzustand ist nach Sir Neville Mott benannt (,,Mott-Phasenübergang“), der diesen Effekt 1974 für einen elektronischen Metall-Isolator-Übergang vorhergesagt hat. Er ist ein Beispiel für einen Quantenphasenübergang, in dem sich der Charakter des Vielteilchenzustandes aufgrund des Wettbewerbs zweier Energiebeiträge (hier: Tunnelrate und atomare Abstoßung) schlagartig ändern kann. 13.11.6 Atomare Fermi-Gase Fermi-Gase unterscheiden sich dramatisch von Bose-Gasen, allein weil das Pauli-Prinzip verbietet, einen Quantenzustand mehr als einfach zu besetzen (Abb. 13.89). Während die Teilchen eines Bose-Gases bei Abkühlung plötzlich bei Tc in den niedersten verfügbaren Zustand kondensieren, findet der Übergang zum entarteten Quantenregime im Fermi-Gas, der durch die charakteristische Temperatur TF = E F /kB bei der Energie E F des höchsten noch besetzten Quantenzustandes markiert wird, eher kontinuierlich statt. Ist der Übergang zum Fermi-Quantengas schon schwierig zu erkennen, können auch die Kühlverfahren zur Erzeugung eines atomaren Bose-Einstein-Kondensats nicht einfach kopiert werden: Für identische Fermi-Teilchen ist die s-Wellenstreuung aus Symmetriegründen streng Bosonen Fermionen Abb. 13.89. Fermi-Gase können jeden Quantenzustand mit maximal einem Teilchen besetzen Abb. 13.90. Ein Gemisch aus bosonischem (7 Li, links) und aus fermionischem Lithium (6 Li, rechts) wird im selben Volumen abgekühlt. Jedes Paar von Bildern (die Isotope können durch Wellenlängenselektion getrennt werden) gehört zu einer bestimmten Temperatur, die von oben nach unten abnimmt. Wenn alle niedrig liegenden Quantenzustände besetzt sind, kann das Fermi-Gas unterhalb von TF trotz Abkühlung nicht weiter schrumpfen. Das Bild wurde von Randy Hulet, Rice University Houston, U.S.A., zur Verfügung gestellt 810 nK 510 nK 240 nK 13.11 Quantenmaterie verboten (Abschn. 13.10.3), und alle anderen Streuprozesse nehmen mit der Temperatur ab. Die Konsequenz: Verdampfungskühlen eines einkomponentigen Fermi-Gases ist gar nicht realisierbar. Der Ausweg: Man verwendet ein gemischtes Gas, das entweder durch Verwendung desselben Atoms, aber in einem anderen inneren Quantenzustand, oder eines fremden Isotops, zum Beispiel des Gemisches 6 Li/7 Li, die s-Wellenstreuung und damit Verdampfungskühlen erlaubt. Atomare Fermi-Gase sind im Labor Realität geworden, und Abb. 13.90 zeigt in schöner Weise den Unterschied zwischen dem bosonischen und dem fermionischen Isotop von Li, die gleichzeitig in einem Gemisch abgekühlt werden: Während das bosonische System bei Tc kondensiert, verhindert der so genannte Fermi-Druck als Folge des Pauli-Prinzips das weitere Schrumpfen des fermionischen Systems unterhalb von TF . Fermi-Gase sind die Ursache bemerkenswerter Phänomene in der Natur, darunter des periodischen Systems der Elemente (Kap. 15), der Leitfähigkeit in Metallen (Abschn. 16.3.2), des Quanten-Hall-Effekts (Aufgabe 16.3.5) oder der Existenz von Neutronensternen (Abschn. 19.3): Sie alle ,,schulden“ ihre Existenz dem Pauli-Prinzip. L Ausblick Die atomaren Quantengase haben den Experimentalphysikern ein komplexes Labor der Quantenphysik zur Verfügung gestellt, mit dem der Raum zwischen einzelnen mikroskopischen Teilchen und der makroskopischen Welt intensiv studiert werden kann. In jüngster Zeit ruft aber auch ein mikroskopisches atomares System wieder hohes Interesse hervor: Kürzlich wurden die ersten Antiwasserstoffatome, also das gebundene System aus einem Antiproton und einem Positron, hergestellt. Künftig sollen Spektrallinen des Antiwasserstoffatoms äußerst präzise durch Laserspektroskopie mit denjenigen des gewöhnlichen Wasserstoffatoms verglichen werden. Wird dabei auch nur eine winzige Verletzung der Symmetrie zwischen Materie und Antimaterie beobachtet, so könnte das einen Hinweis darauf geben, wieso wir in einem Universum leben, und nicht in einem Antiuniversum. Anteil nachgewiesener Antiwasserstoff Atome 1,6 1,2 0,8 0,4 0,0 0 20 40 60 80 ionisierendes Feld V/cm Seit kurzem gibt es kalte Antimaterieatome, die beim Durchmischen von Antiprotonen- und Positronenplasmen entstehen. Es werden dabei zunächst lose gebundene Zustände (Rydberg-Zustände mit großen Hauptquantenzahlen) erzeugt, die durch ein äußeres elektrisches Feld wieder aufgetrennt werden können (Feldionisation). Bei jedem Messzyklus werden fast 1 000 Antiwasserstoff-Atome produziert und nachgewiesen. Die Messdaten zeigen den relativen Anteil der AntiwasserstoffAtome, die ein zusätzliches ,,Diskriminatorfeld“ überlebt haben, als Funktion der Ionisationsfeldstärke. Schon bei etwa 60 V/cm werden im Experiment alle Atome ionisiert, was auf Hauptquantenzahlen n > 50 schließen lässt. Mit freundlicher Erlaubnis von Jochen Walz 745 746 13. Physik der Atome und ihre Anwendungen Aufgaben . . . •• 13.1.1 Bohr-Modell anders Wir leiten die Bohr-Radien und Energiestufen auf etwas andere Weise her, die noch wesentlich verallgemeinerungsfähiger ist. Dazu brauchen wir nur die Unschärferelation ∆x ∆ p ≈ h. Ein Teilchen sei in ein Volumen mit dem Durchmesser d eingesperrt. Welches ist seine maximale Orts- und die zugehörige minimale Impulsunschärfe? Welchen Impuls und welche kinetische Energie (Nullpunktsenergie) hat also das Teilchen mindestens? Ein Elektron kann sich in verschiedener energetischer Höhe im CoulombPotentialtopf des Kerns ansiedeln. Setzen Sie die Gesamtenergie (E pot + E kin ) an. Wo liegt das Minimum? Eine dritte Art, zu den Bohr-Energien zu gelangen, zeigen Aufgaben 12.5.1 und 12.5.2. • 13.1.2 Bohr-Geschwindigkeit Bestimmen Sie Umlaufgeschwindigkeiten und -frequenzen für das Elektron in den einzelnen Zuständen des H-Atoms. Lassen sich diese Rechnungen für höhere Atome fortsetzen? • 13.1.3 Ionisierung Wie kann man die Ionisierungsspannung des H-Atoms aus dem BohrModell bestimmen? Geht das für andere Elemente (vgl. z. B. Abb. 13.10, 15.1) auch direkt, oder welche Modifikationen muss man anbringen? • 13.1.4 Energie-Größenordnungen Vergleichen Sie folgende typischen Energien, immer bezogen auf ein Atom oder Molekül: Energie eines Elektrons im Atom (z. B. im H-Atom); chemische Energie, z. B. Bindungsenergie von H2 ; Bindungsenergie der Teilchen in einer Flüssigkeit, z. B. Wasser; Oberflächenenergie, z. B. der auf ein H2 O-Molekül entfallende Anteil; elastische Energie, z. B. aus Festigkeitsgrenze und Bruchdehnung eines Metalls. Deuten Sie die gefundenen Größenordnungen atomistisch (vgl. die vorstehenden Aufgaben). Kann man sagen, es handele sich eigentlich immer um die gleiche Art von Energie? •• 13.2.1 Rydberg-Atome In Abb. 13.11 sind die Linien Hη und Hϑ kaum noch, die höheren gar nicht mehr erkennbar. Verdünnt man das Entladungsgas, so erscheinen immer höhere Linien. Wie kommt das? Können Sie schätzen, mit welchem Gasdruck Abb. 13.10 aufgenommen worden ist? Würden Sie meinen, dass bei der Verdünnung unter sonst gleichen Entladungsbedingungen die übrigen Linien auch intensiver werden? •• 13.2.2 Balmer-Absorption Balmer-Absorptionslinien sind ziemlich schwer zu erzeugen. Warum? Unter welchen Umständen gelingt das doch? • 13.3.1 Quantenbedingung Machen Sie sich das bohrsche Postulat, nach dem sich Drehimpulskomponenten immer nur um ganzzahlige Vielfache von h unterscheiden können, aus der Unbestimmtheitsrelation klar. Sie gilt z. B. zwischen Impulskomponente px und Koordinate x, aber auch zwischen Drehimpulskomponente und der entsprechenden konjugierten Variablen. Welche wird das sein? Welche maximale Unschärfe kann sie haben? Welcher minimale Unterschied in L z ergibt sich daraus? Warum gibt es keine so allgemeingültige Stufe für Impuls oder Energie? Unter welchen Umständen sind diese Größen überhaupt gequantelt, und warum ist es der Drehimpuls immer? • 13.3.2 Bohr-Magneton Geben Sie die Werte des gyromagnetischen Verhältnisses γ für die Teilchen in Tabelle 13.5 an. Welche anschauliche Bedeutung hat γ z. B. für ein ,,spinnendes Elektron“ oder ein Elektron auf einer bohrschen Kreisbahn? •• 13.3.3 Stern-Gerlach-Versuch Wie sollte das Profil der SilberNiederschlagsdichte auf dem Schirm des Stern-Gerlach-Versuchs in Richtung der Achse des Elektromagneten aussehen? Berücksichtigen Sie die Geschwindigkeitsverteilung im Atomstrahl. Warum müssen die Polschuhe so eigenartig ausgebildet sein? Wie groß müssen das Magnetfeld und seine Inhomogenität sein, damit die beiden Teilstrahlen sauber getrennt werden? Wie könnte man die Schärfe der Niederschlags-Flecken verbessern? Wie sähe das Ergebnis aus, wenn einige Silberatome ionisiert wären? Kann das vorkommen? •• 13.3.4 Zeeman-Effekt I Als Modell für den Zeeman-Effekt kann man ein harmonisch gebundenes Elektron betrachten, das nicht nur einem elektrischen Wechselfeld (13.3), sondern gleichzeitig im magnetischen Feld der Lorentzkraft ausgesetzt ist. Das magnetische Feld sei senkrecht zur Bahnebene des Elektrons in zRichtung orientiert. Wie sieht dann die modifizierte Bewegungsgleichung aus? Welchen Einfluss hätte ein B-Feld in der Bahnebene? •• 13.3.5 Zeeman-Effekt II Damit sich die Zeeman-Aufspaltung aus der thermischen, der druckbedingten, der natürlichen Linienverbreiterung heraushebt, muss das Magnetfeld gewisse Grenzen übersteigen. Geben Sie diese Grenzen an. Sonnenflecken sind magnetische Zentren, wie man mittels des ZeemanEffekts feststellte. Wie groß muss das Magnetfeld dort mindestens sein? •• 13.3.6 Larmor-Präzession Man kann die Larmor-Frequenz, mit der jedes Elektron um die Richtung eines Magnetfeldes präzediert, auch rein elektrodynamisch durch den Induktionseffekt beim Einschalten dieses Feldes erklären. Untersuchen Sie die Spannungen und Kräfte, die beim Einschalten auftreten, und zeigen Sie, dass der Gesamteffekt unabhängig davon ist, auf welche Art, wie schnell usw. man das Feld eingeschaltet hat. Aufgaben •• 13.4.1 Feinstruktur Schätzen Sie die Größe der Feinstruktur- und der Hyperfeinstruktur-Aufspaltung. Welches mittlere Magnetfeld erzeugt der Umlauf des Elektrons in der Bahnebene? Ist es klassisch vernünftig, dieses Feld auf das Spinmoment desselben Elektrons zurückwirken zu lassen? • 13.5.1 Pickering-Serie Im Funkenspektrum des Heliums gibt es eine Pickering-Serie von der jede zweite Linie praktisch mit einer Balmer-Linie des Wasserstoffs zusammenfällt; die übrigen Linien fallen dazwischen. Wie deuten Sie diese Serie? Wie erklärt sich die geringfügige Abweichung von den BalmerLinien? •• 13.5.2 Spektralklassen Die Astrophysiker ordnen die Sterne nach ihren Spektren in die Klassen O, B, A, F, G, K , M, R, N (,,O be a fine girl, kiss me right now“). In dieser Reihe wandert das Emissionsmaximum immer mehr ins Langwellige (Farbe!). O-Sterne haben starke Emissionslinien, in den übrigen herrschen Absorptionslinien vor. Die H-Absorptionslinien sind bei A-Sternen am kräftigsten (Deneb, Sirius, Wega), beiderseits werden sie immer schwächer. B-Sterne haben die stärksten He-Linien (Rigel, Regulus). Verstehen Sie das? •• 13.5.3 Zwei Elektronen Schätzen Sie die Energie E des Grundzustandes eines Atoms oder Ions mit zwei Elektronen nach der Unschärferelation. Aus welchen Anteilen setzt sich W zusammen? Das erste Elektron sei auf einen Bereich vom Radius r1 beschränkt, das zweite auf r2 . Drücken Sie E durch r1 und r2 aus. Wo liegt das Minimum? Gemessene Werte für H− , He, Li+ , Be++ , B+++ , C++++ : 1,05; 5,81; 14,5; 27,3; 44,1; 64,8, ausgedrückt als Vielfache der Rydberg-Einheit − 13,65 eV. •• 13.6.1 21 cm-Linie Kalter atomarer Wasserstoff hat nur eine Möglichkeit, niederfrequente Strahlung zu absorbieren oder emittieren: Der Elektronenspin kann sich parallel oder antiparallel zum Kernspin einstellen. Schätzen Sie die Energie, Frequenz und Wellenlänge des Überganges zwischen diesen beiden Zuständen und vergleichen Sie mit der ersten eigentlichen Elektronenanregung (Lyman-Übergang). Rechnen Sie zuerst mit einem klassischen Punktelektron, dann mit einem quantenmechanischen 1s-Elektron, dessen Aufenthaltswahrscheinlichkeit ψψ ∗ gemäß ψ = ψ0 e−r/r0 verteilt ist (r0 : Rohr-Radius). •• 13.9.1 Kernmitbewegung Das Elektron kreist nicht einfach um den ruhenden Kern, sondern beide kreisen um den gemeinsamen Schwerpunkt. Um wie viel verändern sich dadurch die Radien, Energien, Frequenzen des Bohr-Modells? Warum hängt man an den Wert R∞ , wie er in Abschn. 13.1.2 definiert ist, den Index ∞ an? Bei der Rechnung beachten Sie, dass jetzt der Drehimpuls des Gesamtsystems der Quantenbedingung unterliegt. • 13.9.2 Kernspin Versuchen Sie die in Tabelle 13.5 angegebenen Kernspins und magnetischen Momente aus den Spins der Bausteine zusammenzusetzen. Bei welchen Teilchen gelingt das problemlos, und worauf beruht die Diskrepanz bei den anderen? •• 13.9.3 Protonen im Eis Schätzen Sie aus Abb. 13.51 das Störfeld am Ort des untersuchten Protons. Wenn ein Nachbarproton dafür verantwortlich ist, welcher Abstand der beiden ergibt sich daraus? Könnte die Aufspaltung von anderen Teilchen herrühren? Sähe die Resonanzkurve auch so aus, wenn das Proton im Eis in der Mitte einer O−O-Bindung säße? Es scheint, als sprängen die Protonen zwischen den beiden möglichen Lagen auf einer solchen Bindung hin und her (Abschn. 16.1.6). Was kann man über die Sprungfrequenz aussagen? •• 13.9.4 Spinecho Wie groß war in Abb. 13.52 das Hochfrequenzfeld B1 , wenn der HF-Impuls 10 µs dauerte? Was bedeutet die Abklingzeit des Echos von etwa 10 ms? •• 13.9.5 Chemische Verschiebung Wie kommt es zu der Größenordnung ∆ω/ω ≈ 10−6 für die chemischen Verschiebungen bei der hochauflösenden Kernresonanz? Mit welcher Stoffkonstante, die ähnliche Größenordnung hat, hängt das direkt zusammen? Wenn Sie weiterdenken, lassen sich beide Werte auf ein Verhältnis von Naturkonstanten zurückführen, das in der Atomphysik seit langem einen besonderen Namen hat. Welches? •• 13.9.6 Rabi-Versuch In einem Magnetfeld von 0,3453 T werde die Resonanzbedingung bei 14,693 MHz erfüllt. Um was für Teilchen wird es sich gehandelt haben? Machen Sie nähere Angaben über die Abmessungen der Apparatur in Abb. 13.59. Dürfen die Teilchen eine Ladung oder ein elektronisches magnetisches Moment haben? Was bedeutet die Breite des Maximums in Abb. 13.61? Welche Amplitude hatte das Wechselfeld? •• 13.11.1 Fermionen und Bosonen Der Zustand zweier Teilchen wird durch eine Wellenfunktion ψ(x1 , x2 ) beschrieben. Wie ergibt sich daraus die Wahrscheinlichkeit P, Teilchen 1 in (x1 , x1 + dx1 ) und Teilchen 2 in (x2 , x2 + dx2 ) zu finden? Wie ändert sich P, wenn man Teilchen gleicher Art vertauscht? Und wenn man sie nochmal vertauscht? Was folgt daraus für ψ? •• 13.11.2 Fermi-Druck Nach dem Pauli-Prinzip können höchstens zwei Elektronen (mit entgegengesetzten Spins) den gleichen Zustand einnehmen. Welches Volumen steht jedem Elektron in einem Elektronengas mit n Elektronen/m3 zur Verfügung? Welche kinetische 747 748 13. Physik der Atome und ihre Anwendungen Energie muss es mindestens haben (auch bei T = 0)? Wie reagiert das Gas auf Kompression? Kann man einen Druck definieren (Fermi-Druck pF , auch Schrödinger-Druck genannt), den es auch bei T = 0 ausübt? Wie verhält sich pF zum üblichen gaskinetischen Druck? In welcher logischen und numerischen Beziehung steht er zur Kompressibilität oder zum Elastizitätsmodul? • 13.11.3 Bergeshöhe und Fermionen Wie hoch kann ein Berg auf der Erde oder auf einem anderen Planeten sein? Ein Material lässt sich höchstens so hoch auftürmen, bis sein Druck auf die Unterlage deren Elastizitäts- oder Festigkeitsgrenze überschreitet. In welcher Tiefe muss demnach das Gestein plastisch sein? Wie dick sind die Kontinentalschollen (vgl. Aufgabe 1.7.11)? Wie hoch könnten Berge auf Mond, Mars, Jupiter sein? Erreichen sie diese Höhe? Wie groß dürfte ein Himmelskörper sein, damit die ,,Berge“ auf ihm ungefähr so hoch sein können wie sein Radius? Im Augenblick ist Phobos der größte unregelmäßige (nicht im wesentlichen kugelige) Körper, den wir im Weltall aus Nahaufnahmen kennen. Stimmt das zur obigen Betrachtung? • 13.11.4 Kräuselwellen An einem sehr ruhigen Tag regt ein leiser Wind zunächst Wellen an, die dem Übergang von den Schwere- zu den Kapillarwellen entsprechen. Warum? Wie groß ist die entsprechende Wellenlänge λ? Physikalisch wesentlicher ist λ− = λ/(2π), diese Länge ist etwa 107 Atomdurchmesser. Andererseits ist die maximale Bergeshöhe (vgl. Aufgabe 13.11.3) etwa 107 λ−. Ist das Zufall oder Gesetz? Gilt auf anderen Planeten Entsprechendes? •• 13.11.5 Der größte Planet Wenn ein Himmelskörper nicht die in Aufgabe 13.5.1 und Aufgabe 13.5.2 berechnete Mindest-Fusionstemperatur Tfus hat, hält sein eventueller Wärmevorrat nicht lange vor (vgl. Aufgabe 13.11.4). Wer hält dann dem Gravitationsdruck die Waage? Wie groß wird der Himmelskörper bei gegebener Masse? •• 13.11.6 Jupiter ist aus Fermi-Gas Warum hat kondensierte Materie fast immer Dichten zwischen 1 und 20 g cm−3 ? Wie kann man diese Dichte allein durch atomare Konstanten ausdrücken? Wie hängen demnach Masse und Radius eines kleinen Himmelskörpers zusammen? Bei welchen Werten von Masse, Radius, Druck geht diese ,,normale“ Abhängigkeit in die von Aufgabe 13.11.5 über? Was ist die physikalische Ursache für diesen Übergang? •• 13.11.7 Der leichteste Stern Eine Gasmasse wird erst dann zum Stern, wenn in ihr Fusion stattfindet. Wieso? Wie müssen M und R (oder N und d, s. Aufgabe 11.2.25) des Sterns zusammenhängen, damit er die dazu nötige Minimaltemperatur hat? Eine weitere Bedingung ist, dass nicht der Fermi-, sondern der thermische Druck den Gravitationsdruck kompensiert. Warum? Wie groß ist also der leichteste Stern? ••• 13.11.8 ChandrasekharGrenze Für das Folgende brauchen wir den Virialsatz für relativistische Teilchen. Wiederholen Sie die Ableitung von Abschn. 1.5.9i. Was ändert sich daran? Bleibt Fi = ṗi ? Bleibt pi ṙi = 2E kin ? Beachten Sie Abschn. 18.2.7. Welchen Wert hat die Gesamtenergie? Kann man relativistische Teilchen durch ein r −2 -Kraftfeld stabil zusammenhalten? •• 13.11.9 Der schwerste Stern Kann ein Stern so heiß werden, dass der Strahlungsdruck pS den thermischen Druck pT überholt? Vergleichen Sie unter diesen Umständen die kinetische Energie der Teilchen mit der Energie des Strahlungsfeldes, d. h. der Photonen. Kann das System stabil sein (Virialsatz)? Wie schwer sind also die größten stabilen Sterne? Welche atomistische Konstante erkennen Sie in dem Massenverhältnis des schwersten und des leichtesten Sterns wieder? 14.3 Laser, Typen und Eigenschaften Nach (14.11) werden aus einem Laser mit der Rate paus = T · p Photonen ausgekoppelt, (G − V − T ) A (R − R0 ) paus = T · =T· · . (14.13) V +T V +T β In Abb. 14.16 haben wir die Laser-Ausgangsleistung als Funktion der Transmissionsrate T (normiert auf die inneren Verluste V ) dargestellt. Wie erwartet steigt die Ausgangsleistung eines Lasers zunächst an, durchläuft ein Maximum und verschwindet, wenn die Transmission so groß wird, dass die Laserschwelle unterschritten wird. 14.3 Laser, Typen und Eigenschaften Mit Laseroszillatoren werden kohärente Lichtfelder erzeugt, die für zahlreiche Anwendungen immer wichtiger werden. Kohärentes Licht lässt sich wie in Abschn. 14.2 besprochen sehr gut bündeln und damit auch über große Entfernungen transportieren. Kohärente Lichtstrahlen sind ferner die Voraussetzung, um einen scharfen Fokus nach dem Rayleigh-Kriterium aus Abschn. 10.1.5 zu erzeugen, Laserlicht lässt sich also so gut wie theoretisch möglich, wir sprechen vom ,,Beugungslimit“, fokussieren. Obwohl Laserlicht bei so ziemlich allen Wellenlängen im Experiment und in der Anwendung gesucht wird, gibt es kein einheitliches, allgemeines Prinzip für den Laserbau, geschweige denn den perfekten, durchstimmbaren Laser. In diesem Abschnitt stellen wir ausgewählte und wichtige Lasertypen vor. Auskoppelrate Paus Wachsende Verstärkung G 0 0 1 2 3 T/V 4 Abb. 14.16. Die Ausgangsleistung eines Lasers ist proportional zur Auskoppelrate von Photonen paus . Sie wächst mit der Verstärkung G und hängt von der Transmissionsrate T ab (14.13) 14.3.1 Helium-Neon-Laser und Gaslaser Der Helium-Neon-Laser mit der roten Wellenlänge von 633 nm ist der vielleicht bekannteste Laser. Er wurde 1961 als erster Dauerstrich- oder cw-Laser (von engl. continuous wave) der Welt betrieben und zählt zur Klasse der Gaslaser. Er war über lange Zeit der Modellaser schlechthin, um allgemeine Lasereigenschaften zu studieren. In seinem eher komplizierten Gasgemisch wird die Laserstrahlung von den Neonatomen erzeugt, das Helium hilft lediglich bei der effizienten Anregung. Der Helium-NeonLaser hat in der Vergangenheit auch in Anwendungen eine große Rolle Kathode – Kapillarrohr Justierbarer Anode + Spiegel Auskoppelspiegel Glaskörper Abb. 14.17. Helium-Neon-Laser, schematisch. Inversion und Verstärkung werden durch eine Entladung erzeugt, die auf der Achse der Laserröhre brennt. Die Kathode ist als großer Becher ausgebildet, um Abtragung durch die Entladung zu verhindern. In dem engen Kapillarrohr sorgen Wandstöße für die Entleerung des unteren Laserzustandes 759 760 14. Laserphysik Helium Neon 2 1S0 3s n* 2p n0 3 2 S1 1s Wandstöße 1 1S0 Abb. 14.18. Inversion im Helium-NeonLaser. Durch Elektronenstoß werden Heliumatome in einen langlebigen Zustand befördert, aus welchem die Anregungsenergie durch Stöße auf die Neonatome übertragen wird. Lasertätigkeit ist zwischen den angeregten 3s- und 2 p-Neonzuständen möglich, am bekanntesten ist die rote 633 nm-Linie. Es gibt aber noch weitere Laserlinien zwischen 543 (grün) und 3 392 nm (infrarot). Die Zustandsbezeichnungen entsprechen der spektroskopischen Konvention. Die Kreise auf den Neonzuständen deuten die Population in diesen Zuständen an αB Littrow-Prisma mit Endspiegel Abb. 14.19. Wellenlängenselektion im Helium-Neon-Laser mit einem LittrowPrisma. Die Wellenlänge kann durch Kippen der Prisma-Spiegel-Kombination gewählt werden, weil blaue Wellenlängen stärker gebrochen werden als rote. Der Lichtstrahl tritt durch die Glasflächen unter dem Brewsterwinkel ein (s. Abschn. 10.2.4), um die Verluste im Resonator möglichst gering zu halten gespielt, wird jedoch mehr und mehr durch kompaktere und preiswertere rote Diodenlaser (s. Abschn. 14.3.4) ersetzt. In einem Helium-Neon-Gasgemisch (He:Ne 10:1, 10 mbar Helium) brennt eine Entladung, die die Heliumatome durch Elektronenstoß in einen langlebigen Zustand anregt. Deren Anregungsenergie wird durch Stöße sehr effizient auf die Neonatome übertragen und erzeugt dort eine Inversion zwischen hochliegenden Zuständen (s. Abb. 14.18). Auf denselben Übergängen, die vom Leuchten der Reklame-Neonröhren her bekannt sind, wird durch stimulierte Emission Laserbetrieb möglich. Zu den technischen Besonderheiten des Helium-Neon-Lasers gehört sein Betrieb in einer engen Kapillarröhre (∅ ∼ 1 mm), die die Neonatome durch einen Stoß mit der Wand in den Grundzustand zurück befördert und für den Laserprozess wieder verfügbar macht. Die Inversionsbedingung und damit die Lasertätigkeit könnten nicht aufrecht erhalten werden, wenn sich die Neonatome im unteren, metastabilen Laserniveau 1s in (Abb. 14.18) ansammelten. Der Helium-Neon-Laser entspricht weitgehend dem idealisierten Vier-Niveau-Laser (s. Abb. 14.6). Laserstrahlung kann auf allen Übergängen eines Atoms emittiert werden, auf denen Inversion erzeugt werden kann. Im Helium-Neon-Laser stehen dafür neben der bekanntesten roten Wellenlängen bei 633 nm noch zahlreiche weitere Laserlinien zwischen 543 nm im grünen Spektralbereich und 3 392 nm im Infraroten zur Verfügung. Meistens haben diese Linien gemeinsame Zustände (z. B. 3s im Neon-Atom, Abb. 14.18) und es schwingt nur die Linie mit der größten Verstärkung an. Um auch andere Linien über die Laserschwelle zu bringen, muss man im Laserresonator geeignete wellenlängenselektive Filter einsetzen. Zum Beispiel wird dieses Ziel im Helium-Neon-Laser mit einem so genannten Littrow-Prisma (Abb. 14.19) erreicht: Der Laser ist immer nur für eine einzige Wellenlänge korrekt justiert. Die Ausgangsleistung des Helium-Neon-Lasers ist relativ gering, sie beträgt selten mehr als 25 mW. Weil der Anregungsprozess nur bei relativ geringen Drücken effizient ist, kann man die Verstärkung nur durch Verlängerung der Laserröhre erhöhen. Dann dominiert aber schon ab ca. 0,5 m Länge die meistens unerwünschte Laserline bei 3 392 nm, die die mit Abstand höchste Verstärkung besitzt, und zwar auch ohne externe Resonatorspiegel. Ähnliche technische Detailprobleme treten bei fast allen Lasertypen auf. Neben dem Helium-Neon-Laser sind mehrere andere Gaslaser in Gebrauch. In Gaslasern wird die Verstärkung auf atomaren oder molekularen Übergängen erzielt, sie sind immer Festfrequenzlaser. Das Gas muss aber auch unter technisch sinnvollen Bedingungen herstellbar sein, und Edelgase sowie Molekülgase wie CO oder CO2 sind schon deshalb bevorzugte Lasermedien, denn sie liegen schon bei Raumtemperatur gasförmig vor. Zu den technisch bedeutendsten Lasersystemen zählen ArgonionenLaser, CO2 -Laser und Excimer-Laser. Im Argonionen-Laser findet die Lasertätigkeit sogar im zweifach ionisierten Argonatom statt. Der Argonlaser ist einer der leistungsstärksten sichtbaren Laser (die wichtigsten Laserlinien sind λ = 514 nm, 488 nm, 334–364 nm.), aber dieser Vorteil wird um einen hohen Preis erkauft, weil im Laserprozess sehr viel Energie 14.3 Laser, Typen und Eigenschaften Helium-Neon-Laser Argonionen-Laser Excimer-Laser NeodymLaser CO2-Laser Diodenlaser Mol. Rotation Mol. Schwingung FIR Äußere atomare Hülle NIR VIS 10 µm 1 µm UV Innere atomare Hülle EUV 0,1 µm X-Ray 0,01 µm Wellenlänge als Abwärme freigesetzt wird. Die vom technischen Standpunkt außerordentlich wichtige Konversionseffizienz (das Verhältnis von elektrischer Anschlussleistung zur Laser-Ausgangsleistung) ist mit ca. 10−3 gering. Ausgangsleistungen von 10 W erfordern daher mit 10 kW und mehr einen hohen Energieverbrauch. Der CO2 -Laser emittiert infrarotes Laserlicht (λ = 9,2–10,8 µm) und gehört zu den leistungsstärksten Lasertypen überhaupt. Seine Laserstrahlung wird von Schwingungsübergängen des CO2 -Moleküls getragen. Moleküllaser können viel mehr Laserlinien emittieren, weil außer den elektronischen Anregungen auch Schwingungs- und Rotationsübergänge zur Verfügung stehen, sie sind aber nicht kontinuierlich durchstimmbar. Das Spektrum der Laserlinien eines Moleküllasers in Abb. 14.21 ähnelt dessen Rotations-Schwingungsspektrum (s. Abschn. 15.3.3). Der CO2 -Laser liefert Ausgangsleistungen bis zu 100 kW bei einer Konversionseffizienz bis zu 10% und wird daher in großen Zahlen für die Materialbearbeitung (Schneiden, Schweißen u. A.) eingesetzt. Laserlicht lässt sich in der Materialbearbeitung sehr gut verwenden, weil das kohärente Lichtfeld nach dem Rayleigh-Kriterium (s. Abschn. 10.1.5) die Energie berührungslos und mit hoher Präzision auf einen sehr kleinen Brennfleck zu fokussieren erlaubt. Immer größere Bedeutung gewinnen die so genannten Excimer-Laser, die aus ganz ungewöhnlichen Molekülen bestehen, nämlich Edelgashalogeniden (z. B. ArF), die überhaupt nur im angeregten Zustand ArF∗ existieren (Abb. 14.22)! Die Herstellung der Inversion ist also gar nicht schwierig, weil das Molekül nach dem Übergang sofort zerfällt. Diese Laser werden im Pulsbetrieb verwendet, denn nach jedem Laserblitz muss das in einer Entladung erzeugte Excimer-Gas ausgetauscht werden. Mit Excimerlasern lassen sich sehr kurze UV-Wellenlängen mit guter Ausbeute (∼ 1 Joule/Puls) herstellen. Excimer-Laser spielen eine wachsende Rolle in der Mikrolithographie (s. Abschn. 10.1.5), deren Auflösungsvermögen durch die verwendete Wellenlänge begrenzt wird. Dabei treten immer mehr technologische Probleme auf, denn so ziemlich alle bekannten optischen Materialien verlieren spätestens bei ∼ 200 nm Wellenlänge ihre Transparenz (Abb. 14.23). 14.3.2 Neodym-Laser und Festkörperlaser Die Atome aus der Gruppe der Seltenen Erden (Ordnungzahlen 58 (Cer) bis 71 (Lutetium)) lassen sich in bestimmten Kristallen bei großer Abb. 14.20. Wellenlängen und Anregungstyp für ausgewählte atomare bzw. molekulare Gaslaser. Zum Vergleich sind die heute verfügbaren Wellenlängenbereiche für Diodenlaser dunkelblau markiert. (FIR: Fern-Infrarot; NIR: NahInfrarot; VIS: Sichtbares Licht (engl. visible); UV: Ultraviolett; EUV: Extrem-Ultraviolett; X-Ray (engl.): Röntgenlicht) Laserleistung R 9,0 P 9,5 R 10,0 P 10,5 11,0 Wellenlänge/µm Abb. 14.21. Linienspektrum eines CO2 -Lasers. Es handelt sich um die Rotationsbanden (s. Abschn. 15.3.3) eines Vibrationsübergangs bei 9,4 bzw. 10,4 µm Energie XY* X+Y* Gebundenes Eximer-Molekül UV-Übergänge X+Y Ungebundene Atome Interatomarer Abstand Abb. 14.22. Energieschema mit Laserübergängen im Excimer-Molekül 761 14. Laserphysik Transparenzgrenze optischer Materialien 300 λ /nm 200 F2* ArF * 157 193 KrF * 248 XeCl* XeF * 308 351 Abb. 14.23. Wellenlängen von ExcimerLasern. Unterhalb von etwa 200 nm verlieren alle optischen Materialien ihre Transparenz Nd-Absorptionsspektrum in YAG DiodenlaserAnregung 790 800 810 820 Wellenlänge/nm Abb. 14.24. Absorptionsspektrum des Neodym-Ions in YAG und Emissionsspektrum einer 808 nm-HochleistungsLaserdiode Energie 10–3cm–1 14 4 F5/2 12 4 10 8 F3/2 1064 nm 762 DL 808 nm 6 4 4 I11/2 2 0 4 I9/2 Abb. 14.25. Atomare Energiezustände des Neodym-Ions (Nd3+ ) und Vier-Niveau-Laserprozeß. Die Zustände sind mit ihren spektroskopischen Bezeichnungen gezeigt. Die kristalline Umgebung der Ionen im Festkörper verursacht die Feinstruktur der Zustände Verdünnung (Dotierung) wie ein gefrorenes Gas unabhängiger Atome betrachten. Bei diesen Elementen werden relativ tief innen liegende Energiezustände, die so genannte 4 f -Schale (s. Abschn. 15.1.6), sukzessive mit Elektronen gefüllt, während sich die äußere Elektronenhülle, die die Bindungszustände zum Beispiel in einem Kristallgitter bestimmt, nur geringfügig ändert. Die 4 f -Schalen werden deshalb durch den Wirtskristall nur geringfügig gestört und besitzen ähnlich wie ein freies Atom scharfe Energiezustände, die sich hervorragend zur Erzeugung von festfrequenter Laserstrahlung eignen. Die Verstärkung kann große Werte erreichen, weil sich diese Eigenschaft auch noch bei 1000fach höherer Dichte als in typischen Gaslasern erhält. Das wichtigste Beispiel für diese Festkörper-Laser ist der NeodymLaser. Er kann in verschiedenen Kristallen realisiert werden, von denen Yttrium-Aluminium-Granat (YAG) mit der Laser-Wellenlänge 1,064 µm (Abb. 14.25) der bekannteste ist. Die Wirtsmaterialien müssen hervorragende optische Qualität besitzen und sollen außerdem über eine hohe Wärmeleitfähigkeit verfügen, um die beim Laserprozess immer entstehende Abwärme schnell abführen zu können – ansonsten werden die Ausbreitungseigenschaften der gaußschen Laserstrahlen schnell empfindlich gestört. Und selbst bei den üblichen geringen Dotierungen von nur 1% ist die Dichte dieses ,,gefrorenen Gases“ noch immer viel höher als in einer Gasentladung, sodass man sehr hohe Ausgangsleistungen erwarten kann. Die Inversion wird im Neodym-Laser durch optische Anregung erzeugt, traditionell mit Anregungslampen, heute mehr und mehr mit effizienten Hochleistungslaserdioden, die im idealen Fenster bei 808 nm sehr effizient absorbiert werden (Abb. 14.24). Das Energieschema ist in Abb. 14.25 vorgestellt und zeigt den Neodym-Laser als ein sehr gutes Beispiel für einen Vier-Niveau-Laser. Die extrem schnellen Übergänge vom Pumpniveau (4F5/2 ) in den oberen 4F3/2 -Laserzustand sowie die Entvölkerung des unteren 4I11/2 -Laserzustandes werden hier durch Anregung von Gitterschwingungen (Phononen, Abschn. 16.2.4) verursacht. In Abb. 14.26 sind zwei Beispiele für die Geometrie von Neodym-Festkörpern gezeigt. Auch der ,,Miser“ aus Abb. 14.14 und Abb. 14.15 ist ein Beispiel für einen Festkörperlaser. Die monolithische Form verleiht diesem Laser besondere mechanische und damit Frequenzstablität. Ein anderer bedeutender Laser ist der Erbium-Laser, der ganz analog zum Neodym-Laser arbeitet, er wird mit Diodenlasern bei der Wellenlänge 980 nm gepumpt und emittiert bei 2,9 µm und vor allem bei 1,55 µm. Diese Wellenlänge ist für die optische (Langstrecken-) Kommunikation außerordentlich wichtig, weil das spektrale Mimimum der Absorption von Glasfaserkabeln (s. Abschn. 9.1.4), die das Licht mit extrem geringen Verlusten transportieren, gerade bei 1,55 µm liegt. Die Erbium-Atome werden im EDFA (engl. Erbium Doped Fibre Amplifier) direkt in den Kern einer Glasfaser eingebracht. Der Pumpstrahl läuft in einem zweiten Mantel, der nicht zylindersymmetrisch ist, um zu vermeiden, dass die Pumpstrahlung nur um den Kern herumläuft statt in ihm absorbiert zu werden (Abb. 14.27). Aus dem Verstärker wird ein Faserlaser, indem als Endspiegel so genannte Bragg-Spiegel aufgebracht werden. Dazu wird der Faser eine periodische Brechungsindex-Modulation aufgeprägt, die 14.3 Laser, Typen und Eigenschaften IP eine hohe Reflektivität nach der Bragg-Bedingung unter senkrechtem Einfall (s. Abschn. 16.2.2) erzeugt. Faserlaser (Abb. 14.29) sind generell vorteilhaft zur Erzeugung von Laserstrahlung, weil die Verstärkungsdichte im Faserkern über lange Strecken sehr hoch ist. Abb. 14.26. Pumpsysteme für Festkörperlaser. Im einfachsten Fall wird der Pumpstrahl der Laserdiode kollinear zur Resonatorachse eingestrahlt (Linkes Bild: ein Endspiegel ist direkt auf den Kristall aufgebracht). Um eine höhere Ausgangsleistung zu erzielen, wird das Licht mehrerer Diodenlaser absorbiert. Dazu kann zum Beispiel in der so genannten ,,Scheiben-Geometrie“ der Laserstrahl unter Totalreflexion in einem Laserkristall geführt werden. Das Pumplicht kann dann transversal zugeführt werden (rechtes Bild) 14.3.3 Diodenlaser Monomoden-Emission Pumpdiode Bragg-Spiegel Abb. 14.28. Schematischer Aufbau eines Faserlasers mit Diodenpumpquelle und Bragg-Spiegel. Die Faserlänge kann viele Meter betragen und lässt sich aufwickeln Abb. 14.29. Faserlaser. Die nierenförmige Anordnung verbessert die Absorption des Pumplichts im Faserkern. Institut für Angewandte Optik, Universität Jena (mit freundlicher Genehmigung) Aktiver Faserkern Inneres Cladding Äußeres Cladding Brechzahl Diodenlaser (Abb. 14.31) gehören heute zu den meist verwendeten Laserlichtquellen. Sie können mit den Methoden der Mikroelektronik in großen Mengen hergestellt werden (Abb. 14.12), sind entsprechend preiswert und bieten vor allem eine unschlagbar hohe Konversionseffizienz bis über 50%. Mit Silizium, dem Standardmaterial der Mikroelektronik, kann man zwar sehr leistungsfähige Photodioden, aber leider keine Halbleiterlaser bauen. Silizium besitzt nämlich im Gegensatz zu GaAs, dem wichtigsten Material für die optische Halbleiter nur eine indirekte Bandlücke (Abb. 16.55), während für die optische Emission eine direkte Bandlücke erforderlich ist (s. Abschn. 16.4). Die Größe der Bandlücke ist eine Eigenschaft des Halbleitermaterials, die auch schon zu den verschiedenen Farben der Elektroluminiszenzdioden oder LEDs (s. Abschn. 16.4.3) führt. Derzeit sind Halbleitermaterialien mit bis zu 4 Komponenten (z. B. InPGaAs) in Gebrauch, die heute – allerdings mit großen Lücken, s. Abb. 14.20 – Wellenlängenbereiche von blauen Wellenlängen bei 0,4 µm bis über 4 µm im Infraroten erschließen. Inversion kann man im Diodenlaser erstaunlicherweise direkt durch Injektion von Ladungsträgern, Elektronen und Löchern (s. Abschn. 16.4) Faserquerschnitt Abb. 14.27. Querschnitt durch einen Faserlaser. Das innere Cladding ist deformiert, um alle Pumpstrahlen durch den absorbierenden Kern, der die Dotierung enthält, zu lenken 763 764 14. Laserphysik Abb. 14.30. Vorwärtsbetrieb von pnÜbergängen im optischen Halbleiter. Im Bereich des Übergangs treffen Elektronen (im Leitungsband L) und Löcher (im Valenzband V) aufeinander und können unter Emission von Licht rekombinieren. Um ausreichende Verstärkung zu erzielen, müssen die Bandkanten durch die Materialzusammensetzung geeignet geformt werden. Sehr enge Heterostrukturen werden zum Quantenfilm, weil sich die Elektronen und Löcher wie Teilchen in einem Potentialtopf verhalten (s. Abschn. 12.7) Glasfenster Wärmeableiter TOGehäuse Laserdiode MonitorPhotodiode Abb. 14.31. Typische Bauform einer Laserdiode. Der winzige Laserchip mit der Resonatorform aus Abb. 14.18 strahlt das Licht mit großer Divergenz ab. Der Strahl der Laserdioden muss daher immer kollimiert werden + Homostruktur – L + Heterostruktur V – L V + Quantenfilm – L V in einen pn-Übergang erzielen. Löcher sind positiv geladene, unbesetzte Elektronenzustände und können im Übergangsbereich mit einem Elektron unter Emission eines Photons ,,rekombinieren“. Die Laserleistung zeigt ein Verhalten, das mit der einfachen Theorie aus Abschn. 14.3.2 sehr gut zu verstehen ist. Die Schwellströme liegen für typische Laserdioden bei einigen 10 mA. Hohe Ausgangsleistungen über 100 mW können mit einem einzelnen Streifen einer Laserdiode nicht erzielt werden, weil die interne Erwärmung die Verstärkung wieder reduziert und im ,,roll-over“-Bereich die Leistung nicht weiter ansteigt (Abb. 14.32). Durch Kombination mehrerer Laserdiodenstreifen können große Ausgangsleistungen von mehreren 10 W erzielt werden, allerdings auf Kosten der Strahlqualität, die nun ein oft kompliziertes Interferenzmuster zeigt. Hochleistungs-Laserdioden eignen sich wegen der hohen Konversionseffizienz andererseits ausgezeichnet als intensive Pumplichtquellen, zum Beispiel für die Festkörperlaser des vorhergehenden Abschnitts, sie werden zum Beispiel zum transversalen Pumpen in der Scheibengeometrie aus Abb. 14.26 eingesetzt. Diodenlaser haben sich zahlreiche Anwendungen erobert, sie dienen mit roten Wellenlängen und batteriebetrieben als Laserpointer, sind das Herz jeder Lese- oder Schreibeinrichtung für CD-ROM-Speicher und sorgen dafür, dass Laserdrucker mit höchster Auflösung schreiben. Laserdioden stehen wohl noch immer am Anfang ihrer Entwicklung. 14.3.4 Durchstimmbare Laser Der Wunsch jedes Laseranwenders ist ein Knopf, an welchem sich die Laserwellenlänge wie die Frequenz an einem elektronischen Funktionsgenerator einstellen lässt. Innerhalb bestimmter Wellenlängenbereiche gibt es tatsächlich Lasermaterialien, die diesen Vorstellungen recht nahe kommen. Die bekanntesten Beispiel sind der Farbstofflaser und der Titan-SaphirLaser. Sie haben spektral voneinander wohl getrennte Absorptions- und Emissionslinien. Man kann Inversion erzeugen, und sie emittieren bei optischer Anregung ein sehr breites und kontinuierliches Spektrum, das grundsätzlich bei allen vorkommenden Farben auch zur Verstärkung beitragen kann (Abb. 14.33). In einem durchstimmbaren Laser muss die erwünschte Frequenz durch geeignete optische Elemente im Resonator selektiert werden, andernfalls oszilliert der Laser immer bei der Wellenlänge mit der höchsten Verstärkung oder auch gleichzeitig bei mehreren Wellenlängen. Ein Beispiel hatten wir für den Helium-Neon-Laser schon in Abb. 14.19 vorgestellt. In der Praxis sind dazu im Allgemeinen mehrere Filter mit wachsendem Feinheitsgrad notwendig. Der Titan-Saphir-Laser beispielsweise emittiert Licht zwischen 650 und 1 100 nm und kann fast im ganzen Bereich auch als Laser betrieben werden. Varianten des achtförmigen Resonators aus Abb. 14.13 werden bevorzugt für durchstimmbare Laser verwendet. In seinen langen Armen propagiert ein gut gebündelter Laserstrahl, der durch optische Elemente nur geringfügig gestört wird. Ein konzeptionell interessanter Laser ist der so genannte FreieElektronen-Laser (FEL), der im Prinzip große Durchstimmbarkeit in nahezu beliebigen Wellenlängenbereichen verheißt. In einem FEL wird ein Elektronenstrahl durch ein periodisch alternierendes Magnetfeld (Abb. 14.34) in transversale Schwingungen versetzt und gibt dabei Synchrotronstrahlung ab (Abschn. 11.3.2). Wenn sich die Beiträge der einzelnen Elektronen phasenrichtig addieren, kann man kohärentes Licht erzeugen, wie es von einem Laser erwartet wird. Die räumliche Oszillationsperiode der Elektronen wird durch die Geometrie des Magnetfelds (im so genannten Undulator) bestimmt, die Oszillationsfrequenz dann nur noch durch die Geschwindigkeit des Elektronenstrahls. Um in den interessanten kurzwelligen Bereich zu gelangen, sind kurze Undulatorperioden und hohe Elektronenenergien erforderlich. Im Jahr 2000 wurde am DESY-Labor in Hamburg erstmals Laserstrahlung bei etwa 100 nm erzeugt. Laserleistung 14.4 Kurzzeitlaser Kink“ ” Roll over“ ” Schwellstrom Injektionsstrom Abb. 14.32. Kennlinie einer Laserdiode. Das Verhalten entspricht der Erwartung nach Abb. 14.5. Details der Kennlinie zeigen Veränderungen im Betrieb der Diode an, zum Beispiel das Anschwingen eines unerwünschten Lasermodes (,,Kink“) oder Abnahme der Verstärkung durch zu starke Erwärmung (,,rollover“) relative Einheiten Absorption Fluoreszenz 14.4 Kurzzeitlaser Die Periodendauer einer Lichtschwingung bei optischen Frequenzen (5 · 1014 Hz = 500 THz bei λ = 600 nm wegen λν = c) beträgt nicht mehr als 2 fs oder 2 · 10−15 s. Wie kurz diese Zeit ist, kann man mit menschlichen Maßstäben kaum ermessen, sie ist wohl ebenso schwierig wie das geschätzte Alter des Universums zu erfassen, das etwa 1018 s beträgt und sozusagen die andere, lange Seite der Zeit auslotet. Erstaunlicherweise sind Laser aber ein fast perfektes Instrument, um dynamische Prozesse auf der Femtosekunden-Zeitskala wie mit einem Stroboskop zu untersuchen. Wie wir schon in Abschn. 14.2 erfahren haben, wird die Verstärkung im stationären Betrieb gesättigt und begrenzt natürlich auch die erzielbare Laserleistung. Man kann aber die Laserstrahlung zunächst unterdrücken, um mehr Verstärkung für höhere Ausgangsleistung aufzubauen. Diese Situation betrachten wir kurz unter dem Stichwort Güteschaltung, bei der Laserpulse auf der Nanosekundenskala und mit hoher Energie erzeugt werden. Ein anderer Typ von kurzen Laserimpulsen kommt in der so genannten Modenkopplung durch die Überlagerung einer großen Anzahl von Laserschwingungen zustande, die aus einer periodischen Reihe extrem kurzer Laserpulse entsteht. 14.4.1 Güteschaltung Der Neodym-Laser aus Abschn. 14.3.2 ist ein gutes Beispiel für einen Laser, mit dem Impulse mit sehr großer Intensität erzeugt werden können. In einem Lasermedium kann nämlich die Anregungsenergie der Inversion ge- 350 450 550 650 750 850 950 1050 λ/nm Abb. 14.33. Absorptions- und Emissionsspektrum eines Titan-SaphirKristalls. Der Titan-Saphir-Laser läuft fast im ganzen Emissionsbereich Abb. 14.34. Ein Elektronenstrahl wird im periodischen Magnetfeld eines Undulators zu Schwingungen angeregt. Wenn sich die Strahlungsfelder überlagern, kommt es zu stimulierter Emission eines Freie-Elektronen-Lasers (vgl. Abb. 11.28) 765 766 14. Laserphysik Abb. 14.35. Ein einfacher Güteschalter. Der Laser blitzt nur dann auf, wenn das Rotationsprisma gerade die richtige Stellung hat ng Öffnen des Güteschalters u ärk rst e V Laserschwelle Resonatorgüte Abb. 14.36. Riesenimpulserzeugung durch Güteschaltung. Die Verstärkung wird weit über die Schwellverstärkung aufgebaut. Die Öffnung des Güteschalters erhöht schlagartig die Resonatorgüte und zündet den Laser. Die gespeicherte Energie wird in einem kurzen, sehr intensiven Laserimpuls abgebaut speichert werden, wenn die Lebensdauer des oberen Laserzustandes nicht zu kurz ist. Im Neodym-Laser zerfällt der obere Zustand nach ca. 240 µs, so lange kann man also auch mit einem Dauerstrichlaser Energie in das Medium pumpen, wenn man gleichzeitig die Laseroszillation unterdrückt. Dazu wird ein so genannter Güteschalter verwendet, der den Gütefaktor des Laserresonators stark reduziert (s. Abb. 14.35). Man baut dadurch für kurze Zeit eine Verstärkung auf, die die gesättigte Verstärkung des Dauerstrichbetriebes (s. Abschn. 14.2) weit übersteigt. Wenn nun der Güteschalter geöffnet wird, dann führt diese große Verstärkung kurzzeitig zur Emission eines Riesenimpulses. Diese Laserdynamik lässt sich übrigens auf dem Computer nach (14.9) leicht modellieren (s. Aufgabe 14.1.3). Mit der Güteschaltung (engl. Q-Switching) können Laserimpulse mit mehr als 1 J Energieinhalt und typisch 1–10 ns Länge erzeugt werden. 14.4.2 Modenkopplung Wie kann es zur Emission extrem kurzer Laserimpulse im Femtosekundenbereich kommen? Dazu betrachten wir zunächst einen Modelllaser mit 8 möglichen, aufeinander folgenden Schwingungen (Abb. 14.37). In der obersten Bildreihe sind nur zwei der möglichen Schwingungen angeregt. Wir kennen das Phänomen der Schwebungen, das sich hier als eine Amplitudenmodulation äußert, bereits aus Abschn. 4.4. Das Lichtfeld ist auch im Resonator intensitätsmoduliert, denn der ausgekoppelte Strahl ist nur der transmittierte Anteil. Die Periode der Schwebung entspricht gerade der inversen Differenzfrequenz der Laserschwingungen, und für die gilt bei der Resonatorlänge l 1 2l = . (14.14) ∆ν c Mit ∆ν = c/2l wird auch der vom Fabry-Perot-Interferometer bekannte Modenabstand bezeichnet (s. Abschn. 9.3.3). Modengekoppelte Laser werden üblicherweise mit 80 MHz–6 GHz Repetitionsrate betrieben. Wenn wir alle acht Schwingungen mit gleicher Amplitude und mit genau definierter Phasenbeziehung versehen anregen, dann ergibt sich die Pulsform aus der zweiten Bildreihe. Die einzelnen Wellen überlagern sich ganz ähnlich wie beim optischen Gitter, nur findet die Überlagerung hier in der Zeit und nicht am Ort statt. Weil alle Resonatorschwingungen einen festen Frequenzabstand besitzen, können wir die gesamte elektrische Feldstärke als Fourierreihe schreiben, T= E(t) = e−i(ω−N∆ω/2)t N an e−in∆ωt . (14.15) n=1 Es ist bekannt, dass solche Fourierreihen ein genau mit der Periode T aus (14.14) periodisches Verhalten zeigen, und diese Periode entspricht genau der Umlaufzeit des Laserimpulses im Resonator. Die komplexen Koeffizienten an bezeichnen die Amplituden und Phasen der einzelnen Moden oder Resonatorschwingungen. Der Laser läuft bei der Mittenfrequenz ω. In der dritten Bildreihe haben wir die Amplituden zwar gleich groß gewählt, ihre Phasen aber zufällig zwischen 0 und 2π. Dann bleibt zwar