Referat - Palliative Aargau

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Referat von Dr. med. Andreas Weisshaar, Pflegi Muri, 23.3.2015
Sterben zuhause, Balanceakt zwischen Wunsch und Machbarkeit
Sterben ist nicht so einfach. In unsrer technokratischen Gesellschaft ist fest verankert, dass
wir alles unternehmen nicht zu sterben. Wir leben auch, wie wenn wir unbeschränkt Zeit auf
dieser Welt hätten. Wir fürchten nichts so sehr wie den Tod. Auch sehr religiöse Menschen .
Am häufigsten kommen wir in den Medien damit in Kontakt, dort ist es aber sehr theoretisch,
betrifft meine Gefühle wenig. Erst beim Tod von Angehörigen komme ich dann näher damit
in Berührung und trotzdem, eine definitive Auseinandersetzung findet dann statt , wenn ich
selber eine Diagnose mit kurzer Restlebenszeitprognose erhalte.
Meist klammere ich mich in dieser Phase klammere mit aller Hoffnung an die medizinische
Kunst. Mit grossem Aufwand wird versucht den Todeszeitpunkt herauszuschieben, manchmal
nur wenige Wochen.
Wenn diese Phase vorüber ist, das Lebensende absehbar ist, kommt die Palliative Medizin
zum Einsatz. Als Hausarzt bin ich meist nur in der Phase der Diagnosestellung und dann
wieder in dieser Phase im Einsatz.
Man steht dann einem Menschen gegenüber, dem die behandelnden Ärzte im Spital die
Hoffnung auf Heilung genommen hat und er die letzte Phase bewältigen muss. Fast
ausschliesslich sind es Patienten, mit multiplen Problemen und auf vielfache Hilfe
angewiesen.
Was ich als Hausarzt antreffe ist nicht nur ein schwer kranker Patient, es ist auch ein Mensch
der sich mit seinem eigenen Tod auseinandersetzen muss. Ebenso ist auch eine Familie die
sich mit neuen Aufgaben konfrontiert sieht, sie muss Pflege übernehmen, Verantwortung für
den Patienten und sich auch mit dem Tod eines nahestehenden Menschen beschäftigen.
Ebenso muss man Hilfe von aussen annehmen, an erster Stelle Spitex, Onkospitex,
Pflegestationen oder Palliativzentren wie zum Beispiel Hospiz. Es gibt noch viele weiter
Institutionen wie das Rote Kreuz mit seinem Fahrdienst, Pro Senectute und viele andere,
deren Existenz auch für mich immer wieder überraschend ist.
Die Rolle des Arztes
S wie Symptomlinderung
E wie Entscheidungsfindung
N wie Netzwerk
S wie Support
Das sind die Schlagworte , die die ärztliche Tätigkeit umschreiben. Zumeist kenne ich den
Patienten schon eine längere Zeit, manchmal wird man kurzfristig involviert.
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Symptomlinderung vor allem bei Schmerz, Angst, Schlechtsein und Verstopfung. Die
Behandlung gehört zum medizinischen Handwerk, stellt meist kein grösseres Problem dar.
Schmerzen sollten auf ein erträgliches Mass reduziert werden, wobei die Schmerzschwelle
ganz verschieden sein kann. Manche tolerieren Schmerzen sehr gut, wollen lieber Schmerzen
aushalten statt Medikamente einzunehmen, andere beinträchtigen auch leichte Schmerzen
derart, dass sie lieber die Nebenwirkungen der Medikamente inkaufnehmen. Die bekanntesten
Schmerzmittel sind Opiate diese setzt man in der Palliativsituation häufig ein, da das
subjektive Empfinden höher gewertet wird als die Nebenwirkungen. Opiate haben auch den
Vorteil, dass sie in verschiedenen Darreichungsformen vorliegen und sehr gut dosierbar sind.
Es gibt Systeme die durch die Haut die Substanzen abgeben, daneben Tropfen, Langwirkende
Tabletten und Spritzen in jeder Form. Neben der Schmerzstillenden Wirkung tritt als
Nebenwirkung Beruhigung und Müdigkeit auf, manchmal werden diese Nebenwirkungen
bewusst eingesetzt. Übelkeit tritt als vegetatives Zeichen auch als Tumornebenwirkung oder
als medikamentöser unerwünschter Effekt auf. Neben den einfachen Mitteln, die wir auch als
Gesunder bei Übelkeit oder Seekrankheit einnehmen, werden dort Neuroleptika,
Medikamente aus der Schizophreniebehandlung mit gutem Erfolg eingesetzt.
Schwieriger wird es beim Symptom der Atemnot, da sind die Grenzen des Machbaren auch
für den Arzt oftmals erreicht. Sie ist für Patient und Umgebung am schwersten zu ertragen,
Sauerstoffdauertherapie und auch wieder Opiate werden als Therapie eingesetzt.
Die Entscheidungsfindung hat meist auch schon im Spital stattgefunden, das Netzwerk ist
teilweise auch aufgebaut. Meine Rolle ist dann die Unterstützung zu gewährleisten.
Verordnung von Medikamenten, Ausfüllen von Zeugnissen und Verordnungen.
Wenn man langfristig der Hausarzt war, besteht auch in dieser Phase durch Konsultationen
und später Hausbesuche ein intensiver Kontakt, die Bedürfnisse des Patienten und der Familie
können gut erfasst werden. Es ist meist eine intensive Zeit, aufwändige Zeit, aber durch die
Vertrautheit eine besonders wertvolle Zeit. Häufig wird man von Seiten des Patienten wie
auch von Seiten der Angehörigen in die ganze Lebensgeschichte und Lebensphilosophie
miteinbezogen.
Schwieriger ist es wenn eine Institution dazwischen geschaltet ist, wie die Spitex zum
Beispiel, die Problemstellungen übermittelt, man nicht spüren kann, sind es die Bedürfnisse
des Patienten der Angehörigen oder der Spitex.
Zur Entscheidungsfindung gehört vor allem auch die Wahl des Sterbeortes.75 % der
Menschen in der Schweiz würden gerne zuhause sterben laut einer BAG Umfrage von 2009.
Zuhause bedeutet, der Ort wo ich mich wohlfühle, wo die Menschen sind, die mir etwas
bedeuten. Es ist aber auch der Ort, wo ich auf Hilfe sowohl der eigenen Familie wie auch
Fremden angewiesen bin. Es kann für mich eine Belastung sein, auf meine Familie
angewiesen zu sein. Ich kann auf 24Stunden Hilfe angewiesen sein aus medizinischen
Gründen. Meine Symptome und die Hilflosigkeit können zur Belastung der Familie werden,
insbesondere wenn die Hilfe rund um die Uhr notwendig ist. In einer Institution ist die Hilfe
24Stunden vor Ort, die Hemmungen Hilfe zu beanspruchen ist geringer. Gerade bei Patienten
mit Angst eine wichtige Komponente
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Für die Familie sieht das Spannungsfeld entgegengesetzt gleich aus, ich möchte dem Kranken
gerne seinen Wunsch zuhause sterben ermöglichen, muss auch fremde Hilfe annehmen
können. Ich lerne meine persönlichen Grenzen kennen, kann in eine Überforderungssituation
geraten. Ein ganz wichtiges Element ist auch die Wohnungssituation, hat es unüberwindbare
Hindernisse wie Treppen in der Wohnung oder zur Wohnung, kleines Badezimmer etc.
Die persönlichen Grenzen zeigen sich beim Menschen häufig in Form von Aggression. Man
ist aggressiv auf den Patienten, weil er so viel Arbeit macht, auf den Arzt, weil er die
Situation nicht im Griff hat, auf die Spitex, weil sie zu viel fordert oder es nicht genauso
macht wie man es selber will. Kurze Zeit später hat man ein schlechtes Gewissen, weil es der
Kranke ja nicht verdient hat.
Ganz wichtig ist, dass man von Anfang an ein Netz aufbaut, das diese Situationen abfangen
kann. Wenn die Palliativsituation mehrere Monate anhält, brauchen die Angehörigen zum
Beispiel einen Ferienpflegeplatz, um sich selber erholen zu können. Wenn die Pflege über die
gewohnte Tageszeit hinausgeht, braucht man von Familie oder Institutionen eine zeitliche
Unterstützung. Man hat auch weiterhin Recht auf eigene freie Zeit. Je besser das Netz
aufgestellt ist, umso länger kann man den Kranken zuhause betreuen.
Auch beim stärksten Netz, der stärksten betreuenden Person, kann man die Grenze des
Machbaren erreichen. Die Überweisung in ein Akutspital, Pflegeheim oder Hospiz kann
notwendig sein. Es sind nicht nur die Angehörigen, die an die Grenzen kommen können,
genauso kann die Spitex mit einer Situation überfordert sein.
Der Übergang von Heimpflege in eine institutionelle Pflege ist psychisch oft belastend,
teilweise liegen Versprechen vor, den Patienten zuhause sterben zu lassen, die nun nicht mehr
erfüllt werden können. Es braucht oft die richtigen Worte, um die Emotionen zu glätten.
Zum Schluss noch eine kleine Episode aus meiner Praxis zu diesem Thema. Vor Jahren
wurde ich vom Uni Spital Zürich angefragt, ob ich bei einem aus-therapierten
Leukämiepatient die Sterbebegleitung machen würde, da er nach Rudolfstetetten zügeln
würde. Ich habe ihn dann besucht, er war in einem terminalen Zustand, hohe Dosen Opiate,
trotzdem mit Schmerzen, konnte sich nur im Rollstuhl fortbewegen.
Seine erste Frage nach der üblichen Begrüssung war, ob er wieder gesund werden würde. Sie
können sich vorstellen, dass dies eine akute Stressreaktion bei mir hervorrief, einerseits
dachte ich ja, er sei über seine Prognose informiert und andrerseits ihm an den Kopf zu
werfen, dass er innert kürzester zeit sterben würde, das konnte ich auch nicht über mein Herz
bringen. Jemandem die Hoffnung zu zerstören kann ich nicht, jemanden zu betrügen aber
genauso wenig. Mein spontaner Ausweg war, das ich ihm erklärte, gesund sein, sei kein fest
definierter Zustand, sondern das best möglich erreichbare im aktuellen Normalzustand. Ich
könne ihm also nicht sagen, ob er in einem Monat noch lebe, aber wenn er mit seinen
aktuellen Möglichkeiten richtig umgeht, dann kann er einen gesunden Zustand erreichen.
Irgendwie scheine ich ihn erreicht zu haben, ich habe auf jeden Fall eine Woche lang nichts
gehört, als ich ihn nach mehreren Versuchen erreichte und besuchte, traf ich einen völlig
veränderten Patienten, immer noch im Rollstuhl, aufgestellt, und er hatte fast alle Opiate
abgesetzt, da die Schmerzen massiv rückläufig seien. Er erzählte von Shopping Center
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besuchen, von Einladungen mit Freunden. Ich denke er hatte es geschafft im Rahmen seiner
Möglichkeiten gesund zu werden. 2 Wochen später ist er in einer Nacht eingeschlafen und
nicht mehr erwacht.
©Dr. med. Andreas Weisshar, 23.3.2015
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