warenkunde Anders als viele Fischarten wird Dornhai nicht als Filet vermarktet. Man trennt Bauchlappen und Flossen ab, häutet den Körper und handelt ihn als ‚White Loin‘ oder ‚Back‘. Für jedes dieser Produkte gibt es interessierte Märkte. Die Bauchlappen sind vor allem in Deutschland begehrt, wo sie geräuchert als Schillerlocken in den Handel kommen. Langsamer Abschied von der Schillerlocke Ist der Handel mit Dornhaiprodukten noch vertretbar ? Schillerlocken und „Seeaal” waren früher aus unseren Fischtheken nicht wegzudenken. Weil der Dornhaibestand im Nordostatlantik überfischt ist, listen aber immer mehr Handelsketten die Produkte der vermeintlich bedrohten Fischart aus. Jetzt beklagen sich die Fischer an der Ostküste Nordamerikas. Dort gibt es noch reichlich Dornhai, doch kaum jemand will ihn haben. Was tun? Dornhaiprodukte aus dem Sortiment streichen oder weiter anbieten? I m Mai 2009 meldete Fish Information & Services (FIS), dass US-amerikanische Ostküsten-Fischer über die beachtlich gewachsenen DornhaiBestände klagen. Die Bestandsbiomasse dieser Haiart, die bei uns als bedroht gilt, sei auf 4 Mrd. lbs, etwa 1,8 Mio. t, angewachsen. Obwohl Dr. Steven E. Campana vom Canadian Shark Research Laboratory am Bedford Institute of Oceanography in Dartmouth (Nova Scotia) dieser Nachricht im Kern zustimmt, zeichnet er ein differenzierteres Bild. Grundsätzlich sei der Dornhai (Squalus 60 FischMagazin 6 / 2010 Der renommierte Haiforscher Dr. Steven E. Campana ist am Bedford Institute of Oceanography unter anderem für die Bestandsabschätzung der kommerziell genutzten Haiarten vor Kanadas Ostküste verantwortlich. acanthias), englisch Spiny Dogfish, Piked Dogfish oder Spurdog genannt, wohl die häufigste Haiart überhaupt. Nach grober Schätzung dürften im gesamten Verbreitungsgebiet, das sämtliche Weltmeere umfasst, noch annähernd eine Milliarde Tiere schwimmen. Wie groß die Dornhai-Population vor der Ostküste Nordamerikas tatsächlich sei, könne er aber erst im September mit hinreichender Genauigkeit sagen, wenn die Ergebnisse der jüngsten Bestandsaufnahme vorliegen. Im Januar 2010 hatten Campana und sein Team die Bestandsabschätzung in diesem Seegebiet erstmals gemeinsam mit ihren Kollegen aus den USA durchgeführt. Ein längst überfälliger Schritt, denn alle Dornhaischwärme vor der Atlantikküste Kanadas und der USA gehören zu einer zusammenhängenden Population. Da macht es wenig Sinn, wenn jede Seite separat für ihren Bereich eine eigene Bewertung vornimmt. Noch sind die Daten aber nicht vollständig ausgewertet und äußern will sich Campana dazu erst, wenn beide Seiten den Ergebnissen zugestimmt haben. Unabhängig vom Ausgang der Untersuchung weist der renommierte Haiforscher aber schon mal vorsorglich darauf hin, dass der Dogfish nicht nur eine der häufigsten, sondern auch eine der am stärksten gefährdeten Haiarten weltweit ist. Die Gesamtzahl www.fischmagazin.de [ dornhai ] sei in den letzten beiden Jahrzehnten weltweit alarmierend geschrumpft, wofür zweifellos Überfischung verantwortlich sei. Man dürfe sich nicht von der verbliebenen, immer noch relativ groß erscheinenden Zahl an Dornhaien in den Meeren täuschen lassen, denn diese lebendgebärende Haiart sei wenig produktiv, was sie besonders anfällig für Überfischung mache. Dornhaiweibchen werden im Nordatlantik (NA) erst mit 15 oder 16 Jahren geschlechtsreif, im Nordostpazifik (NOP) dauert es sogar 23 bis 32 Jahre, bis sie erstmals werfen. Zu diesem Zeitpunkt sind sie bereits 82 cm (NA) und 94 cm (NOP) groß. Bei den Männchen geht es etwas schneller, denn sie sind im Nordatlantik schon nach 10 Jahren mit 64 cm und im Nordostpazifik mit 14 Jahren und 70 cm geschlechtsreif. Zudem dauert die Tragezeit 18 bis 22 Monate, so dass Dornhaie nur alle zwei Jahre Nachwuchs erbringen. Erstgebärende Weibchen haben nur zwei bis drei 18 bis 20 cm große Junge. Je größer und älter die Weibchen, desto zahlreicher und größer sind die Nachkommen, was deren Überlebenschancen deutlich verbessert. Man weiß zwar nicht so ganz genau, bis zu welchem Alter Dornhaie Nachwuchs bekommen (vermutet werden bis zu 25 Jahre im Atlantik und etwa 40 Jahre im Pazifik), doch in den Bäuchen älterer Weibchen hat man schon bis zu 15 Haibabys gefunden, die 30 cm groß waren. Zu allem Übel sind beim Dornhai der späte Eintritt der Reife und die geringe Fruchtbarkeit auch noch mit einem extrem langsamen Wachstum kombiniert. Analysen der Zuwachszonen an den Dornen vor den Rückenflossen haben ergeben, dass die Tiere höchstens 3,5 cm im Jahr wachsen. Vereinzelt sind es aber auch nur 1,5 cm, wie Untersuchungen an markierten Exemplaren zeigen. Dafür www.fischmagazin.de Europa ist der Hauptmarkt für Dornhaiprodukte Entwicklung der Dornhaifänge in den Hauptfangregionen seit 1950 (Quelle: Figis, FAO). Hauptverbreitungsgebiete und die wichtigsten Fischereiregionen für den Dornhai (Squalus acanthias). werden Dornhaie sehr alt. Im Atlantik sind 35 Jahre bei Männchen und 50 Jahre bei Weibchen keine Seltenheit. Im Pazifik sollen die Tiere 80, vielleicht sogar 100 Jahre alt werden können. Ungünstiger könnten die Voraussetzungen für eine gezielte Fischerei kaum sein, denn Dornhaibestände brauchen sehr lange, um die erlittenen Verluste auszugleichen. Selbst wenn man die Populationen im Atlantik völlig ungestört ließe und nicht befischen würde, nähme die Individuenzahl jährlich um nur 4 bis 7% zu. Wenn die Fischerei zum Beispiel ein Zehntel des Bestandes entnimmt, so dauert es im Schnitt 1,5 bis 2,5 Jahre, um diesen Verlust wieder aufzufüllen. Dazu kommt noch, dass sich Dornhaie gleicher Größe und gleichen Geschlechts zu großen Schwärmen zusammenfinden. Dadurch erhöht sich das Risiko, das Reproduktionspotential der Population selektiv zu schwächen, denn die Fischerei zielt vor allem auf große Weibchen ab, die für den Erhalt des Bestandes besonders wertvoll sind. Infolge der starken Befischung liegt der Weibchenanteil in vielen Gebieten bei nur noch einem Drittel, im Nordostatlantik sogar bei nur einem Fünftel der Bestände. Von den zahlreichen Dornhaipopulationen, die es weltweit gibt, werden bislang erst wenige auf regelmäßiger Basis überwacht und fischereilich gemanagt. Ebenso lückenhaft, wie das Wissen über die Biologie dieser kleinwüchsigen Haie, sind auch unsere Kenntnisse über die Dynamik, die Abgrenzung und die Größe der Bestände. Das Repertoire fischereibiologischer Untersuchungsmethoden ist für den Dornhai nur eingeschränkt verwendbar, so dass man bei der Bestands­ einschätzung hauptsächlich auf Bewertungen der Einheitsfänge (CPUE), die Entwicklung der Anlandungsmengen sowie gezielte Markierungsexperimente zurückgreift. Oft werden Dornhaie nur unzureichend von anderen Kleinhaien im Fang getrennt, vor allem wenn sie als Beifang anfallen. Somit lässt sich häufig nur vage vermuten, wie viel Dornhai über die genehmigte Quote hinaus tatsächlich in einem Gebiet gefangen wird. Die FAO hat schon 2007 die schlechte Dokumentation beklagt und Verbesserungen angemahnt. Bisher ohne erkennbaren Erfolg, was bei diesem Fisch besonders problematisch ist, weil auch die Aufzeichnungen über den internationalen Handel mit Dornhaiprodukten oft mangelhaft sind. Wenige Staaten, darunter die USA, Kanada, Norwegen, Chile, Argentinien und Neuseeland dokumentieren den Handel entsprechend den üblichen Standards. Andere wie die Türkei, die angeblich 85% der Dornhaie im Schwarzen Meer fängt, melden unvollständig oder gar nicht. Anders als viele Fischarten wird Dornhai nicht als Filet vermarktet. Man trennt Bauchlappen und Flossen ab, häutet den Körper und hanFischMagazin 6 / 2010 61 [ warenkunde ] Anfang der 2000er Jahre konsumierten die europäischen Länder noch jährlich 20.000 t Dornhai, wovon eine Hälfte aus eigener Fischerei, die andere Hälfte aus Importen stammte. delt ihn als ‚White Loin‘ oder ‚Back‘. Für jedes dieser Produkte gibt es interessierte Märkte. Die Bauchlappen sind vor allem in Deutschland begehrt, wo sie geräuchert als Schillerlocken in den Handel kommen. Gefrostete Flossen werden vorwiegend nach Asien exportiert, um in Japan- oder China-Restaurants zu landen. Die Hairücken, interleaved oder im Block gefrostet, gehen zumeist nach UK, wo man sie für „fish and chips“ verwendet, oder in andere Länder Kontinental-Europas. Hierzulande kennt man sie unter dem irreführenden Namen „Seeaal“. Selbst die getrockneten Knorpelskelette der Dornhaie werden genutzt, denn die Nutraceutical-Industrie stellt daraus Lebensmittel mit pharmakologischer Wirkung her. Europa ist der mit Abstand wichtigste Markt für Dornhai. In den 62 FischMagazin 6 / 2010 1960er und 70er Jahren, als ein Dutzend europäische Länder, allen voran Norwegen und Irland, die Dornhaischwärme im Nord­ostatlantik befischte, lagen die Jahresfänge regelmäßig um 40.000 t, mitunter erreichten sie sogar fast 50.000 t. Addiert man die Fangmengen von 1950 bis 2006 und vergleicht sie mit anderen Meeresgebieten, wird klar erkennbar, dass in diesem Zeitraum mehr als 85% der weltweiten Dornhaifänge aus dem Nordostatlantik stammten. Bei einem Fisch mit solch geringer Reproduktionskapazität war das ein Raubbau, der für den Bestand nicht folgenlos bleiben konnte: der Dornhai des Nordostatlantiks gilt heute als total überfischt. Die Biomasse des Bestandes soll auf weniger als 5% des Ausgangswertes geschrumpft sein. Die IUCN stuft den „nord­ ostatlantischen Dornhai“ in ihrer Roten Liste der gefährdeten Arten als „vom Aussterben bedroht“ ein. Gemessen daran erscheinen die eingeleiteten Management- und Schutzmaßnahmen der europäischen Staaten recht halbherzig. Verbindliche Dornhai-Fangquoten (TAC) wurden in den EUGewässern zwar schon 1999 eingeführt, doch bis 2007 galten sie nur für die ICES-Gebiete IIa und IV. Bis 2005 war die Fangquote zudem so hoch angesetzt, dass die tatsächlichen Anlandungen deutlich darunter lagen, die Fischerei also in keiner Weise eingeschränkt war. Selbst 2009 erlaubte die Quote in den ICESGebieten IIa und IV noch einen Fang von 316 t Dornhai. Für Gebiet IIIa, das in etwa dem Skagerrak und Kattegat entspricht, waren 104 t genehmigt und weitere 1.002 t in den Gebieten I, V- VIII, XII und XIV. Um die für die Reproduktion wertvollen großen Weibchen wirksamer zu schützen, wurde die Maximalgröße der angelandeten Tiere zudem auf 100 cm begrenzt. Erst für 2010 hat sich die Europäische Kommission entschlossen, den TAC auf 0 t zu setzen, die gezielte Fischerei auf Dornhai vollständig zu schließen. Spät, hoffentlich nicht zu spät. Den Appetit der Europäer auf Schillerlocken und andere Dornhaispezialitäten hat das kaum geschmälert. Anfang der 2000er Jahre konsumierten die europäischen Länder noch jährlich 20.000 t Dornhai, wovon eine Hälfte aus eigener Fischerei, die andere Hälfte aus Importen stammte. Seither ist die Nachfrage zwar gesunken, weil viele Verbraucher durch Meldungen zur Überfischung der Haie verwww.fischmagazin.de [ dornhai ] unsichert sind und Kaufzurückhaltung üben, sie schwankt aber immer noch um 3.000 bis 4.000 t jährlich. Dieser Bedarf wird praktisch ausschließlich durch Importe gedeckt. Fast 70% der Import-Dornhaie, die wir heute in Europa verzehren, kommen aus den USA und Kanada. Beide Länder fangen Dornhaie sowohl im Nordostpazifik als auch im Nordwestatlantik. Dornhai ( Squalus acanthias ) Die häufigste Haiart in den Weltmeeren Nordamerikanische Bestände in wesentlich besserem Zustand Vor einhundert Jahren waren Dornhaie für die nordamerikanischen Fischer nur ein Ärgernis, weil sie Schäden an den Netzen und unnötige Arbeit verursachten, für die man ansonsten aber keine Verwendung hatte. Nur für die fettreiche Leber fanden sich manchmal Abnehmer, die daraus Lampenöl und Schmierstoff für Maschinen herstellten. Auch als Rohstoff für die Gewinnung von Vitaminen hatte die Haileber zu jener Zeit gewisse Bedeutung. Erst Anfang der 1960er Jahre, als die Europäer schon jedes Jahr um 40.000 t fingen, wurde der Dornhai auch für kanadische und US-amerikanische Fischer interessanter. Bis Ende der 80er Jahre blieb die Fangmenge auf relativ bescheidenem Niveau um 2.000 bis 3.000 t. Als nach 1995 in Kanada eine kleine Dornhaiindustrie entstand, stiegen die Fänge jedoch langsam an und erreichten nach der Jahrtausendwende ein stabiles Niveau von knapp 10.000 t, woran die Fischereien im Atlantik und im Pazifik zu annähernd gleichen Teilen beteiligt sind. In der gezielten Fischerei werden Dornhaie vorwiegend mit Langund Handleinen gefangen, die mit Hering oder Tintenfisch beködert sind. Gelegentlich kommen www.fischmagazin.de Beschreibung – Langgestreckter, im Körperquerschnitt rundlicher Hai. Der keilförmige Kopf ist vorne schmal und platt. Mund unterständig, auf den Kiefern je drei Reihen mit je 26-30 dreikantigen spitzen Zähnen. Auf beiden Seiten des Kopfes fünf enge senkrechte Kiemenspalten unmittelbar vor den großen Brustflossen. Rücken grau oder bräunlich, an den Seiten hellgrau und am Bauch schmutzig weiß gefärbt. Zwei Rückenflossen, vor denen dreikantige hornartige Stacheln stehen (hintere Flosse nur halb so hoch wie die vordere). Schwanzflosse asymmetrisch mit haitypisch großem oberen Lappen. Lebensraum – Kalte und temperierte Regionen (zwischen 0 und 15°C) der Weltmeere. Toleriert eine breite Salzgehaltsspanne und ist auch in Flussmündungen zu finden. Im Meer bis 730 m Tiefe. Lebensweise – Bildet Schwärme aus einigen Hundert oder Tausend Tieren, die alle das gleiche Geschlecht und annähernd gleiche Größe haben. Durchschnittliche Größe zwischen 75 und 105 cm, maximal 130 cm und 9 kg. Höchstalter etwa 70 bis 80 Jahre. Langsamwüchsig, sehr später Eintritt der Reife. Unternimmt Wanderungen über größere Distanzen, vereinzelt auch quer über den Atlantik. Ernährung – Allesfresser („omnivorer Opportunist”), vor allem Hering, Lodde, kleine Kabeljaue, Menhaden und Schellfisch, aber auch Krill, Krabben, Tintenfische, Borstenwürmer und sogar Quallen. Vermehrung – Lebendgebärend, Tragezeit 18-22 Monate. Anzahl der Nachkommen, die ihren Dottersack noch im Körper der Mutter aufzehren, hängt von der Größe der Weibchen ab. Zwischen 1 und 15 Junge, die 20 bis 30 cm groß sein können. Männchen nach 10 Jahren mit etwa 64 cm reif, Weibchen erst nach 15-16 Jahren mit 82 cm. Besonderheiten – Anders als oft angenommen, sind die Stacheln des Dornhais nicht giftig, können aber schmerzhafte Verletzungen hervorrufen. Früher galten die noch ungeborenen Eier und Embryonen des Dornhais als besondere Delikatesse. auch Kiemennetze und Schleppnetze zum Einsatz. Die Fischerei beginnt Ende des Frühjahrs, wenn die Schwärme im Verlaufe ihrer nordwärts gerichteten Wanderung an den Küsten vorbeiziehen und endet gewöhnlich zu Herbstanfang. Im gleichen Maße, wie die Fänge im Nordostatlantik zurückgingen, begannen die Europäer in anderen Teilen der Welt, nach Alternativen zu suchen. Den kanadischen Fischern boten sich dadurch Exportmöglichkeiten und ihr Interesse am Dornhai stieg. 2002 wurde deshalb für AtlantikKanada erstmals eine Fangquote von 2.500 t festgelegt – in Verbindung mit der Auflage, dass die Fischerei auch zur Sammlung wissenschaftlicher Basisdaten beiträgt. Im Jahr darauf stieg die Quote kurz auf 3.200 t, wurde 2004 aber wieder auf 2.500 t abgesenkt. Dieser TAC, der bis heute unverändert gilt, wurde seit 2004 noch nie ganz von den Fischern ausgeschöpft. Im Jahr 2009 fingen die kanadischen Atlantikfischer sogar nur 140 t, weil die Europäer immer weniger Dornhai abnehmen. Parallel zur Fischerei wird der Dornhaibestand seit Jahren intensiv wissenschaftlich bearbeitet. Die Ergebnisse des kanadischen Dornhai-Forschungsprogramms haben ergeben, dass die Biomasse des Fisches in den kanadischen Gewässern des Nordwestatlantiks mindestens 300.000 t beträgt. Im Vergleich zur Fangquote von 2.500 t erscheint das zwar viel, doch Haiforscher Steven E. Campana weist vorsorglich darauf hin, dass der TAC derzeit nicht wissenschaftlich ermittelt, sondern rein willkürlich festgelegt wurde. Erst wenn die Ergebnisse des gemeinsam mit den USA durchgeführten Assessments vorliegen, könne man sagen, ob FischMagazin 6 / 2010 63 [ warenkunde ] diese Quote wirklich im sicheren Bereich liegt. Seine Vorsicht ist verständlich, denn Kanada und die USA befischen zwar den gleichen Dornhaibestand, aber mit sehr unterschiedlichen Strategien. Während die Kanadier beide Dornhaigeschlechter fangen, haben es die US-Fischer hauptsächlich auf die großen Weibchen abgesehen, die für den Fortbestand der Population besonders wertvoll sind (Schillerlocken werden angeblich nur aus Bauchlappen der weiblichen Tiere hergestellt). Wie der Bestand die gezielte Weibchenfischerei langfristig verkraftet, wisse niemand. Offen ist auch die Frage, wie sich der Beifang von Dornhaien bei anderen Fische- reien im Gebiet auswirkt. Zumal kürzlich durchgeführte Experimente mit markierten Dornhaien den Schluss nahe legen, dass der Austausch zwischen den Populationen vor Kanada und den USA doch nicht so intensiv sein könnte, wie zuvor vermutet. Nur 10 bis 20% der Dornhaie ziehen aus den US-Gewässern nach Norden. Im Projekt ‚Ocean Tracking Network‘ (OTN) wollen die Forscher jetzt herausfinden, ob Tiere regelmäßig hin- und herziehen oder ob der Zug nur in eine Richtung geht. Indizien, dass der gezielte Fang von Weibchen zu Problemen führen könnte, gibt es bereits. Bei der letzten Untersuchung 2009 hat das Northeast Fisheries Science Center zwar keine Anzeichen für Überfischung entdeckt, weist aber darauf hin, dass relativ wenige Tiere über 100 cm und unter 70 cm Länge gefunden wurden. Das Fehlen der größeren Muttertiere und deren Nachwuchs macht sich bereits deutlich bemerkbar, denn der Bestand wird derzeit von Dornhaien zwischen 75 und 95 cm dominiert. In der Tendenz werde die Population deshalb bis 2017 leicht abnehmen, vermuten die Wissenschaftler. Wohl auch darum hat die Atlantic States Marine Fisheries Commission (ASMFC) die Fangquote für 2010/11 auf 15 Mio. lbs (etwa 6.800 t) reduziert und fordert, den Beifang von Dornhaien zu verringern. Die Chancen dafür stehen gut, schließlich könne jeder zweite Dornhai, der in ein Schleppnetz geraten sei, den Rückwurf ins Meer überleben. Bei Kiemennetzen liege die Überlebensrate zwischen 30 und 55%. MSC-Zertifizierung in Kanada und den USA steht bevor Sowohl in Kanada als auch in den USA standen die Fischer dem Versuch, den Dornhai auf die Anhangliste II der CITES (Convention on International Trade in Endangered Species) zu setzen, ablehnend gegenüber. Diese Listung würde einen enormen Die Hairücken, interleaved oder im Block gefrostet, gehen zumeist nach UK, wo man sie für „fish and chips“ verwendet, oder in andere Länder Kontinental-Europas. Hierzulande kennt man sie unter dem irreführenden Namen „Seeaal“. 64 FischMagazin 6 / 2010 www.fischmagazin.de [ dornhai ] Genehmigungsaufwand für jede einzelne Lieferung nach sich ziehen und Exporte nach Europa praktisch unmöglich machen, befürchtete Steve Barndollar, der Präsident von Seatrade International Inc., einer der drei wichtigsten Dornhaiexporteure der USA. Man gründete den Verband „Fishermen Organized for Responsible Dogfish Management”, der ein in solchen Fragen erfahrenes Rechtsanwaltsbüro engagierte und rund 20 einflussreiche Senatoren des US-Kongresses für die Durchsetzung seiner Interessen gewann. Ihr Hauptargument klingt durchaus plausibel: wenn die Europäer ihre Dornhaibestände im Nordostatlantik überfischt haben, bedeutet das noch lange nicht, dass auch alle anderen Bestände in der Welt in ähnlich beklagenswertem Zustand sind. Die nordamerikanischen Dornhaibestände sind jedenfalls nicht überfischt und werden nachhaltig genutzt. Deshalb gibt es auch keinen Anlass, den Export der Haiprodukte durch bürokratische Regulierungsversuche einzuschränken. Zumal eine solche Maßnahme keinerlei Einfluss auf die europäische Fischereipolitik hätte, in Zukunft sorgfältiger mit dieser Ressource umzugehen. Für Nordamerikas Dornhaiindustrie steht ein 80 bis 100 Millionen-Dollar-Business auf dem Spiel. Flossen nach Asien, die Rücken nach England, Frankreich, Italien und Belgien und die Bauchlappen nach Deutschland – das Geschäft mit dem Dornhai lohnt sich nur dann, wenn sämtliche Produkte verkauft werden können. Wenn auch nur einer dieser Abnehmer verloren geht, droht der Export unrentabel zu werden, meint auch Christian Brun, Geschäftsführer der Maritime Fishermen’s Union in New Brunswick. In den www.fischmagazin.de plante MSC-Zertifizierung kostet rund 90.000 Dollar und wenn der Export durch CITES-Auflagen nahezu unmöglich wird, kann man sich diese Ausgaben sparen. Auch die kanadische Dornhaifischerei im Atlantik will sich MSC-zertifizieren lassen. Und wie in den USA war bei ihnen das Preassessment positiv. Steven E. Campana, der Haiforscher vom Bedford Institute, weiß jedoch, dass die beauftragte Zertifizierungs-Agentur erst noch die Auswertung der Bestandseinschätzung abwarten will, die Kanada und die USA erstmals gemeinsam durchgeführt haben. Wenn die Ampel danach „Grün“ zeigt, soll der Prozess wohl im Herbst beginnen. Der Rohwarenbedarf wird heute praktisch ausschließlich durch Importe gedeckt. Fast 70% der Schillerlocken, die wir heute in Europa verzehren, kommen aus den USA und Kanada. Beide Länder fangen Dornhaie sowohl im Nordostpazifik als auch im Nordwestatlantik. letzten zwei Jahren ist das Geschäft zunehmend schwieriger geworden, weil die Nachfrage deutscher Kunden nach Bauchlappen um zwei Drittel einbrach. Deshalb sehe man sich derzeit gezwungen, ungefähr die Hälfte der Bauchlappen wegzuwerfen, bedauert Louis Juillard, Exportmanager des US-Unternehmens Marder Trawling. Unter dem Druck von Umweltverbänden fordern insbesondere deutsche, zunehmend aber auch französische Handelsketten, von den Dornhaianbietern eine MSC-Zertifikation. Nur so könne man den Konsumenten zeigen, dass der Fisch aus nachhaltig bewirtschafteten, nicht bedrohten Beständen stamme. Seatrade International Inc. (Massachusetts), Marder Trawling Inc. (New Bedford) und Zeus Packing Inc. (Gloucester), die drei wichtigsten Verarbeiter für Dornhai in den USA und eigentlich Wettbewerber, haben sich deshalb verbündet und bereits im Frühjahr 2009 den MSC-Zertifizierungsprozess in Gang gesetzt. Der Abschlussbericht der Vorprüfung am 28. September bestätigte, dass die US-Dornhaifischerei im Atlantik sehr gute Chancen hat, das MSC-Zertifikat zu erhalten. Mit der Voll-Zertifizierung wollten sich die drei Unternehmen jedoch bis März 2010 Zeit lassen, um die Entscheidung der CITESKonferenz abzuwarten. Die ge Etwas weiter sind da schon die Dornhaifischer auf der Pazifikseite Kanadas, denn auch die „Hook and Line“-Fischerei British-Columbias lässt sich MSCzertifizieren. Am 12. März 2010 teilte der MSC auf seiner Internetseite mit, dass das Zertifizierungsbüro Moody Marine jetzt in die Phase der InformationsSammlung eintritt. Vom 19. bis 23. April fanden Gespräche mit Vertretern der Fischerei, des Fischereimanagements sowie anderen Beteiligten statt. Wenn nichts dazwischen kommt, könnte die Zertifizierung wohl Ende 2010 oder Anfang 2011 erfolgen. Handelsketten, die jetzt Dornhaiprodukte mit dem Hinweis auf die Überfischung des Fisches auslisten, könnten also schon bald in die kuriose Situation kommen, ihren Kunden erklären zu müssen, warum es die gleichen Produkte beim Wettbewerber sogar mit dem MSC-Logo gibt, das für nachhaltige, bestandsschonende Fischerei steht. mk FischMagazin 6 / 2010 65