Ein neuer Typ von Vulkanismus entdeckt

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nzz
02.08.06
Nr. 176
Seite 9
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Teil 01
Ein neuer Typ von Vulkanismus entdeckt
Aufbiegen der Erdkruste lässt Risse entstehen
Ein internationales Team von Wissenschaftern
hat vor der Küste Japans Hinweise auf einen
neuen Mechanismus entdeckt, der zur Entstehung von Vulkanen führt. Gewöhnlich befinden
sich Vulkane an den Grenzen von tektonischen
Platten, die sich voneinander weg- oder aneinander vorbeibewegen, sowie am Rand von Platten,
die sich über eine andere Platte schieben. Eine
Ausnahme bilden die Hotspot-Vulkane, die sich
innerhalb einer Platte befinden. Sie entstehen
laut Lehrbuch durch heisses Material, das sich an
der Grenze zwischen Erdkern und Erdmantel in
etwa 2900 Kilometer Tiefe löst, in den oberen
Mantel aufsteigt und dort durch Aufschmelzungsprozesse eine Art Magmalinse, einen sogenannten «mantle plume», entstehen lässt. Dieses Magma steigt dann ähnlich einer Fontäne an die Erdoberfläche, wo es schliesslich mitten in einer
Platte austritt und einen Vulkan entstehen lässt.
Da sich die Platte langsam über die stationäre
Magmaquelle hinwegbewegt, bilden sich über
Jahrmillionen immer neue Vulkane und reihen
sich in Form einer Kette aneinander. Beispiele
hierfür sind Hawaii und die Kanarischen Inseln.
Nun aber fanden Naoto Hirano vom Department of Earth and Planetary Science des Tokyo
Institute of Technology und seine Kollegen vor
der Küste Japans, wo sich die 135 Millionen Jahre
alte Pazifische Platte unter Japan schiebt, und 600
Kilometer südöstlich davon – in einem Bereich,
der nicht die gängigen Bedingungen für Vulkanismus aufweist – ein grosses Lavafeld und untermeerische Vulkane. Aufgrund der mit 0,005 bis
1 Quadratkilometer Ausdehnung nur geringen
Grösse der Vulkane nannte das Team das Gebiet
«Petit Spot».
Die Datierung der Vulkangesteine zeigte, dass
die Vulkane mit einem Alter zwischen einer Million und acht Millionen Jahren geologisch sehr
jung sind. Die Zusammensetzung der Spurenelemente und Edelgasisotope in der Lava weist
darauf hin, dass das Magma des «Petit Spot» aus
etwa 90 Kilometer Tiefe stammt, der sogenannten Astenosphäre, einem Bereich des oberen
Erdmantels nahe der Kruste. Es gibt keinerlei
Hinweise auf die Beteiligung tiefer stattfindender
Prozesse. Dies ist ungewöhnlich, da ein teilweises
Aufschmelzen des oberen Erdmantels zwar vor
mehr als dreissig Jahren postuliert wurde, neuste
Modelle aber davon ausgehen, dass dieser Bereich fest ist und kein aufgeschmolzenes Material
enthält. Petrologische Untersuchungen ergaben,
dass die Laven episodisch und sehr schnell gefördert worden sind und – im Gegensatz zu Hotspots
– nur in sehr kleinen Mengen.
Die Vulkane treten mit ihrer Lage auf einer
Krustenplatte, die dabei ist, unter eine andere abzutauchen, an einer ungewöhnlichen Stelle auf.
Allerdings befinden sie sich im Bereich einer
durch das Untertauchen der Platte (sogenannte
Subduktion) verursachten Aufwölbung der Kruste. Dort, so die Hypothese der Wissenschafter, ist
die alte und starre Kruste durch die bei der Subduktion wirkenden Kräfte an verschiedenen Stellen aufgerissen. Durch diese Risse konnte dann
das in geringen Mengen im oberen Erdmantel
vorkommende Magma an der Oberfläche austreten. Laut den Wissenschaftern passt die nur phasenweise Förderung von wenig Magma gut zu
dem von ihnen entworfenen Modell mit einer
Magmaquelle aus dem oberen Erdmantel. Einen
«mantle plume» schliessen sie aufgrund der geo-
chemischen Zusammensetzung der Laven aus.
Frühere tomographische Untersuchungen des
Untergrunds ergaben ebenfalls keine Hinweise
auf die Existenz einer solchen Magmalinse in dieser Region.
Auch ein in der Fachzeitschrift «Science» veröffentlichter Kommentar schliesst aus, dass die
«Petit Spots» durch einen «mantle plume» erzeugt wurden. Schon allein die Abwärtsbewegung der nahe gelegenen subduzierten Krustenplatte würde das Aufsteigen eines solchen
«plume» blockieren, erklärt darin Marcia
McNutt vom Monterey Bay Aquarium Research
Institute. Da das gängige «mantle plume»-Modell zur Erklärung des Hotspot-Vulkanismus in
den vergangenen Jahren durch ausgedehnte Forschungsarbeit ohnehin zunehmend in Erklärungsnöte geraten sei, schlägt McNutt vor, das
Modell für jeden Einzelfall kritisch zu überprüfen, um festzustellen, ob möglicherweise Mechanismen wie der von Hirano beschriebene auch
Vulkane erzeugt haben könnte, die bisher für
Hotspots gehalten wurden. Weitere Erkenntnisse erhofft man sich von anderen neu entdeckten Vulkanen und Lavafeldern auf der Pazifischen Platte, die in naher Zukunft erforscht werden sollen.
Simone Ulmer
Science, Online-Publikationen vom 27. Juli 2006 ( doi: 10.1126/
science.1128235; doi: 10.1126/science.1131298).
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