FITNESS F R E I T A G , 1 7. A U G U S T 2 0 1 2 NR. 191 SEITE D5 Speisesalz Den exakten Salzbedarf eines Menschen kennt man nicht. Er hängt von vielen Komponenten ab, etwa vom Alter, vom Wetter und von der sportlichen Aktivität. Alle pauschalen Empfehlungen zum Salzverzehr sind daher nur Schätzwerte, die wissenschaftlich keineswegs gesichert sind. Die richtige Menge Speisesalz Mehr Salz im Essen nicht automatisch schuld an Bluthochdruck Von unserer Mitarbeiterin Ulrike Gonder Z um Thema Salz und Gesundheit heißt es meist pauschal, wir würden zu viel davon essen, und das sei schlecht. Das Salz in unserem Essen erhöhe den Blutdruck, was fatal ist, weil Bluthochdruck zwar nicht schmerzt, aber ein wichtiger Risikofaktor für den Schlaganfall ist. Deswegen sollen wir alle sparsam mit den weißen Kristallen umgehen, raten deutsche, englische und amerikanische Gesundheitsbehörden ebenso wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Wir sollen unseren Salzkonsum etwa halbieren, indem wir salzreduzierte Fertigprodukte kaufen, bei Tisch nicht nachsalzen, mehr mit Kräutern und Gewürzen kochen und uns für natriumarmes Mineralwasser entscheiden. Die allgemeinen Salzsparempfehlungen für alle Bürger sind wissenschaftlich keineswegs gut belegt. Richtig ist, dass Salz und Blutdruck eng zusammenhängen. Kochsalz besteht aus den beiden Mineralstoffen Natrium und Chlorid, die der Körper beide zum Leben braucht. Sie sind wichtige Bestandteile der Körperflüssigkeit, die alle Zellen umspült. Mit Hilfe des Chlorids entstehen Verdauungssäfte und die Magensäure. Das Natrium ist ein unentbehrlicher Regulator des Wasserhaushalts. Sein Gegenspieler ist das Kalium. Da Wasser das wichtigste Transport- und Lösungsmittel im Organismus darstellt, das zudem für die Wärmeregulation sorgt, regelt der gesunde Körper den Natriumpegel im Blut sehr genau. Spezialisierte Geschmacksrezeptoren auf der Zunge sorgen für die exakte Erkennung von Salz im Essen. Präzise Rückkopplungsmechanismen passen den Appetit auf Salziges an den Bedarf an. Deswegen fällt es meist auch sehr schwer, deutlich weniger Salz als gewohnt zu essen. Eine ganze Reihe von Hormonen steuert hier mit, um den Salzund Wasserhaushalt und den Tonus der Blutgefäße an die jeweiligen Bedürfnisse anzupassen. Die Nieren sorgen dafür, dass nicht zu viel oder zu wenig Natrium und Wasser ausgeschieden werden. Sie können einmal herausgefiltertes Natrium bei Bedarf aktiv ins Blut zurückholen. Salz bindet Wasser im Körper. Mehr Salz im Essen sorgt gewöhnlich für mehr Durst. Beides, Salz und Wasser, bestimmen auch über den Blutdruck. Denn wenn mehr Wasser im Körper gebunden ist, erhöht sich das Blutvolumen und mit ihm steigt der Blutdruck. Auch umgekehrt kann es problematisch werden. Denn dickt das Blut ein, weil zu wenig Natrium vorhanden ist, um genügend Wasser zu binden, kann es zu Durchblutungsstörungen kommen, die ebenfalls das Risiko für Herz- und Gefäßkrankheiten erhöhen. Weil die Nieren über die Ausscheidung von Wasser und Salz mitentscheiden, spielen sie – neben vielen anderen Akteuren – auch eine entscheidende Rolle bei der Regulation des Blutdrucks. Daher sollte bei hohem Blutdruck auch an Nierenprobleme gedacht werden. Steigt der Blutdruck, scheiden (gesunde) Nieren mehr Natrium und Wasser aus. In der Folge sinkt das Blutvolumen und mit ihm auch der Druck in den Gefäßen. Warum wird ständig gewarnt? Wie wichtig die Nieren sind, zeigt sich bei Patienten, die eine Transplantation hatten: Ihr Blutdruck pendelt sich auf dem Niveau ihres Spenders ein. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung erklärt, dass die Natriummengen in Körperflüssigkeiten und -geweben in erster Linie hormonell und via Nieren geregelt werden. Vor diesem Hintergrund muss die Frage erlaubt sein, warum es ständig Warnungen vor zu viel Salz im Essen gesunder Menschen gibt. Anders gesagt: Wäre es nicht sinnvoller, nur Hochdruckpatienten zum Salzsparen zu motivieren? Tatsächlich sinkt der Blutdruck, wenn weniger Salz gegessen wird. Das haben viele Studien eindeutig gezeigt. Bei Jungen und Gesunden sinkt er jedoch nur unwesentlich, und diese Änderung verliert sich mit der Zeit meist wieder. Deutlicher reagieren Senioren, dunkelhäutige Menschen und Bluthochdruckpatienten auf weniger Salz im Essen. Dazu kommt, dass eine salzreduzierte Kost dabei hilft, mit weniger Hochdruckmedikamenten auszukommen. Doch selbst bei Menschen mit Hochdruck zeigen sich individuelle Unterschiede in ihrer Reaktion auf eine Salzreduktion. Es reagiert nicht jeder. Daher spricht man von salzempfindlichen oder -sensitiven Personen. Salzempfindlichkeit scheint ein eigenständiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sein. Möglicherweise zeigt sie einen gestörten Stoffwechsel an. Leider existieren derzeit weder eine verbindliche Definition noch ein allgemeines Erkennungsmerkmal dafür. Das erschwert es, diese Risikogruppe zu identifizieren und nur ihr zu weniger Salz zu raten. Wer unter Bluthochdruck leidet, ist darauf angewiesen, auszuprobieren, ob und wie stark der eigene Blutdruck auf weniger Salz im Essen reagiert. Seit es die pauschalen Salzsparempfehlungen gibt, wurden sie Sterben die Salzliebhaber wirklich früher? Wissenschaftliche Studien zeigen: Zu wenig und sehr viel Salz erhöhen das Herz-Kreislauf-Risiko Sterben die Salzliebhaber früher? Oder verlängert eine salzreduzierte Kost das Leben? Schützt sie wenigstens vor Herzinfarkt und Schlaganfall? Man mag es kaum glauben, aber die wissenschaftliche Datenlage ist sehr wackelig. Leuven. (ug) Ob viel Salz der Gesundheit schadet oder ob das bei wenig Salz der Fall ist, hat die Wissenschaft noch nicht eindeutig klären können. Nun ist eine Studie an der belgischen Universität Leuven anhand von gut 3600 Teilnehmern und einer Beobachtungszeit von rund acht Jahren zu folgender Erkenntnis gekommen: Mit steigender Natriumauscheidung im Urin – also mit zunehmendem Salzkonsum –, sank die Sterberate für Herzund Gefäßerkrankungen. Das ist das Gegenteil dessen, was man erwartet hatte. Wer mehr Salz gegessen hatte, entwickelte im Studienverlauf nicht häufiger Bluthochdruck als Probanden mit niedrigem Salzverzehr. Auch das widerspricht allen Voraussagen. An der Universität New York fassten die Medizin-Professoren Michael H. Alderman und Hillel W. Cohen, zwei Kritiker der pauschalen Verunglimpfung des Salzes, in einer aktuellen Übersichtsarbeit den Kenntnisstand so zusammen: Bei manchen Menschen sinkt der Blutdruck, wenn sie weniger Salz essen. Dies aktiviert allerdings eine hormonelle Gegensteuerung im Körper (im Aldosteron-Angiotensin-ReninSystem), was wiederum zu einer Reihe unerwünschter Effekte führt. So verschlechtert salzarme Kost die Insulinwirksamkeit, sie erhöht die Aktivität des sympathischen Nervensystems, den Cholesterin- und den Blutfettspiegel. Alles das kann das Risiko einer Herz- oder Gefäßerkrankung steigern. Die tatsächlichen gesundheitlichen Auswirkungen einer bevölkerungsweiten Salzreduktion ließen sich demnach nicht an einem einzelnen Effekt wie dem Blutdruck ablesen. Nach Durchsicht der relevan- ten Studien schließen die beiden Autoren, dass sowohl zu viel als auch zu wenig Salz schaden kann. Besonders Diabetiker profitieren nicht davon, weil eine salzarme Kost deren Insulinresistenz verstärken kann. In der Folge steigt der Insulinspiegel, was wiederum dafür sorgt, dass die Niere mehr Salz zurückhält. Die Autoren der Übersichtsarbeit schließen aus den vorliegenden Daten, dass Salzmengen unter etwa sechs und über 15 Gramm täglich mit einem erhöhten Herz-KreislaufRisiko verbunden sind. Die Evidenz dafür sei „robust“ und unterstütze nicht die universale Salzreduktion auf fünf bis sechs Gramm pro Tag für alle. kritisiert. Allerdings hat man die Kritiker nicht angehört oder nicht ernst genommen. So erschien 2009 eine große zusammenfassende Auswertung von 13 Studien, die keinen Zweifel daran ließ: Der übliche Salzkonsum ist für einen erklecklichen Anteil der Schlaganfälle und Herzinfarkte verantwortlich. Würden wir täglich nur fünf Gramm weniger Salz essen, etwa einen Teelöffel voll, könnten jährlich weltweit drei Millionen Todesfälle durch Herzund Gefäßerkrankungen verhindert werden. Dies ist allerdings eine Modellrechnung, reine Theorie. Es gibt bislang keine Studie, die sie überprüft oder gar belegt hätte. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn die allgemein empfohlene Salzreduktion erstens erreichbar und zweitens ungefährlich wäre. Beides scheint nicht der Fall zu sein. Langzeituntersuchungen aus den USA und England zeigen die Erfolglosigkeit aller bisherigen Kampagnen. Trotz enormer Bemühungen sank der Salzkonsum nicht. Dazu wertete man Studien aus, in denen die Natriumausscheidung im Urin gemessen wurde. Sie gilt als der Gold- Über einen Förderturm wird frisch gewonnenes Speisesalz aus einer Meerwassersaline zu einem imposanten Berg aufgeschüttet. FOTO: F1 standard zur Ermittlung des Salzverzehrs, weil sie wesentlich genauer ist als Befragungen. Für die USA wurde über Jahrzehnte eine mittlere Natriumausscheidung von rund 3,5 Gramm täglich ermittelt, was knapp neun Gramm Salz entspricht. Das liegt zwar über dem, was als „akzeptabel“ gilt. Eine derartige Konstanz spricht jedoch sehr für eine körperinterne Regelung, die weitgehend immun gegenüber äußeren Einflüssen ist. Offensichtlich ist dem Körper der Schutz vor einem gefährlichen Salzmangel wichtiger als ein wenig zu viel Salz, dass gesunde Nieren problemlos wieder ausscheiden können. Nachdenklich machen sollte außerdem die Beobachtung, dass mit sinkendem Fettverzehr der Konsum von Salz steigt. Pauschale Appelle zum Salzsparen sind wissenschaftlich fragwürdig Saarbrücken. (ug) Die Vorliebe für Salziges ist uns angeboren. Das Ausmaß dieser Liebe wird jedoch von Umweltbedingungen geprägt: von der Verfügbarkeit und der Gewohnheit ebenso wie von krankheits- oder aktivitätsbedingten Verlusten. Wer sehr viel Salziges isst, dazu noch wenig kaliumreiche Lebensmittel wie Gemüse, Kartoffeln, Nüsse oder Salat oder wer bereits einen hohen Blutdruck hat, sollte seinen Salzkonsum durchaus kritisch hinterfragen und ausprobieren, ob er mit weniger Salz nicht besser zurecht kommt. Alle anderen mit pauschalen Salzsparmaßnahmen zu behelligen, ist wissenschaftlich fragwürdig. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hält sechs Gramm Kochsalz täglich für akzeptabel beziehungsweise ausreichend. Da übliches Kochsalz zu 40 Prozent aus Natrium besteht, entsprechen diese sechs Gramm Salz einem Natriumanteil von 2,4 Gramm. Nach Angaben der Nationalen Verzehrsstudie II liegt die durchschnittliche Natriumzufuhr der Frauen hierzulande bei 2,38 Gramm täglich, bei Männern bei 3,22 Gramm Natrium beziehungsweise gut acht Gramm Salz täglich. Die DGE nennt als minimal nötige tägliche Natriumzufuhr einen Schätzwert von 0,55 Gramm (entsprechend 1,4 Gramm Salz).