Die Bohr-Schr€dinger – Debatte Zur Interpretation der Quantenmechanik Zum Thema: Die Quantenmechanik ist eine der heute experimentell bestens €berpr€ften physikalischen Theorien. Im Folgenden soll deshalb nicht €ber die Quantenmechanik an sich diskutiert werden, sondern €ber die Herausforderungen, welche die Quantenmechanik an unser Denkverm•gen und unsere Sprache stellt. SchrÄdinger war nebst Einstein einer der Ersten, der die Kopenhagener Interpretation, wie sie von Bohr und Heisenberg entwickelt wurde, grunds‚tzlich infrage stellte. Bohrs Argumente wurden durch Pauli und Dirac unterst€tzt, die weitere wichtige Beitr‚ge zur Quantenmechanik erarbeiteten. F€r Einstein war die Quantenmechanik nicht vollst‚ndig, da sie in der vorliegenden Form nicht deterministisch1 war, und Schr•dinger unternahm den Versuch, sie auf die klassische Physik zur€ck zu f€hren. Die Kontrahenten Niels Hendrik David Bohr wurde am 7. Oktober 1885 in Kopenhagen geboren. Nach dem Abitur 1903 studierte er an der Universit‚t seiner Heimatstadt Physik, Mathematik, Chemie und Philosophie. Bohr war zuerst Experimentalphysiker, wobei er sich schon fr€h mit dem Aufbau der Atome befasste. 1911 ging er nach Cambridge, wo Joseph John Thomson forschte. Im folgenden Jahr wechselte er nach Manchester zu Ernst Rutherford. Dieser hatte bei Streuexperimenten festgestellt, dass Atome einen positiven Kern haben m€ssten, um den die negativen Elektronen kreisen sollten. Dies aber widersprach der klassischen Physik, da bewegte Ladungen Energie abstrahlen. Durch den Energieverlust m€ssten deshalb die Elektronen mit der Zeit in den Kern hineinst€rzen. Bohr hingegen nahm an, dass die Elektronen ihre Energie nicht kontinuierlich ‚ndern, sondern nur in Vielfachen des Planck’schen Wirkungsquantum. Die Bahnen sind deshalb stabil und strahlen keine Energie ab. Das Bohr’sche Atommodell geht von einem positiv geladenen Atomkern (rot) aus, welcher von den negativ geladenen Elektronen (blau) umkreist wird. Die Elektronen k•nnen nur auf bestimmten Bahnen den Kern umkreisen, wobei sie dabei keine Energie abstrahlen. Zwischen den Bahnen besteht eine Energiedifferenz. Wird dem Atom Energie zum Beispiel durch einen Laserimpuls zugef€hrt, so kann ein Elektron auf eine h•here Bahn springen, sofern die zugef€hrte Energie gross genug ist, um die Energiedifferenz zu €berwinden. Das Elektron macht dann einen ‚Quantensprung‘. Springt das Elektron zur€ck auf einen energetisch tieferen Punkt, so gibt es die €bersch€ssige Energie in Form von Strahlung ab. Obwohl das Bohr’sche Atommodell vom physikalischen Standpunkt aus €berholt ist, ist es eines der n€tzlichsten Modelle in der angewandten Physik und Chemie. Dieses bildhafte Modell wird auch im Physikunterricht der Mittelstufe zu recht bis heute vorgestellt und erl‚utert. E.P. Fischer schreibt €ber Bohr: „Mindestens vier grosse Pers•nlichkeiten muss derjenige erw‚hnen, der Nils Bohr vorstellen m•chte – den Wissenschaftler, der 1913 ein revolution‚res Atommodell pr‚sentiert, das Oberhaupt der Physiker, der den legend‚ren Geist von Kopenhagen zum Leben erweckt, den Philosophen, der mit Einstein erkenntnistheoretische Die Gesetze der klassischen Physik sind deterministisch. Kennt man den Zustand eines abgeschlossenen Systems vollst‚ndig, kann man theoretisch alle zuk€nftig m•glichen Beobachtungen an diesem System exakt voraussagen. In der Quantenmechanik gibt es nur noch Wahrscheinlichkeiten f€r die Vorhersage. 1 1 Fragen diskutiert und ihn von der Vollst‚ndigkeit der Quantentheorie zu „berzeugen versucht, und den Politiker, der f„r seinen Traum einer offenen Welt eintritt.“ Bohr erhielt 1922 den Nobelpreis f€r Physik. W‚hrend der deutschen Besatzung D‚nemarks engagierte er sich im Widerstand, musste aber 1943 nach Schweden fl€chten. Nach dem Krieg kehrte er nach Kopenhagen zur€ck und forschte auf dem Gebiet der Atomenergie, wobei er aber vor der missbr‚uchlichen Nutzung f€r milit‚rische Zwecke warnte. Niels Bohr starb am 18. November 1962 in Kopenhagen. Erwin Rudolf Josef Alexander SchrÄdinger wurde am 12. August 1887 in Wien-Erdberg geboren. Nach dem Gymnasium studierte er von 1906 bis 1910 in Wien Mathematik und Physik, wo er sich auch habilitierte. Schr•dinger f€hrte ein unstetes Leben. Er nahm am Ersten Weltkrieg teil, war danach Professor f€r theoretische Physik in Jena, Stuttgart, Breslau und ab 1922 Professor an der Universit‚t Z€rich. 1927 wurde er Nachfolger von Max Planck nach Berlin. 1936 ging er nach Graz und nach dem Anschluss †sterreichs an Deutschland verbrachte er die Kriegsjahre in Dublin. 1956 kehrte er nach Wien zur€ck und lehrte dort am Institut f€r theoretische Physik der Universit‚t. Schr•dinger, der an philosophischen Fragestellungen interessiert war, sch•pfte daraus seine Motivation f€r die Physik. Mit den Ideen der Quantenphysik konnte er sich lange nicht anfreunden, und er sah es als seine Aufgabe an, die neue Physik klassisch zu erkl‚ren. Nachdem Louis de Broglie dem Elektron eine bestimmte Wellenl‚nge zugeordnet hatte, sah er in seiner Z€rcher Zeit den Weg, die Vorg‚nge im Atom mit einer Wellengleichung zu beschreiben. Seine ‚Schr•dingergleichung‘ entstand wenig sp‚ter als Heisenbergs Matrizenmechanik und hatte den Vorteil, dass er die aus der klassischen Mechanik bekannte Mathematik benutzte. Zu seinem ‡rger musst er aber einsehen, dass seine Wellenmechanik dieselben Vorhersagen €ber die Quantenphysik machte, wie die Gleichungen von Heisenberg. 1933 erhielt er – zusammen mit Paul Dirac – den Nobelpreis f€r Physik. Schr•dinger starb am 4. Januar 1961 in Wien-Alsergrund. Das unterschiedliche Verstƒndnis der Physik Die Bohr-Schr•dinger – Debatte fand im Herbst 1926 im Hause von Niels Bohr statt. Es gab damals noch keine €berzeugende Interpretation der Quantenmechanik. Ausl•ser war die Deutung der Schr•dingergleichung durch Max Born, Professor f€r theoretische Physik in G•ttingen und Lehrer von Pauli und Heisenberg. Danach beschreibt die Wellenfunktion nicht physikalisch messbare Gr•ssen, sondern nur die Wahrscheinlichkeit ein Teilchen an einem bestimmten Ort vorzufinden. SchrÄdinger wollte das nicht akzeptieren. RÄssler schreibt dazu: „Schr•dinger betrachtete das Atom als ein schwingendes System. Er fasste die Wellenfunktion als ‚etwas Reales‘, gleichsam ‚Substanzielles‘ auf. Diese Ansicht wiederum teilte Bohr nicht. So lud Bohr Schr•dinger im September nach Kopenhagen ein, um mit ihm die Deutung der Wellenmechanik zu besprechen.“ Die Diskussionen begannen am fr€hen Morgen und wurden bis in die Nacht fortgesetzt. „Sogar als Schr•dinger nach einigen Tagen krank wurde, kam die Diskussion nicht zum Stillstand. Der sonst so zur„ckhaltende Bohr sass an der Bettkante und sprach auf Schr•dinger ein. Im Zuge dieser Gespr‚che fiel auch Schr•dingers sp‚ter so viel zitierte Satz: ‚Wenn es doch bei dieser verdammten Quantenspringerei bleiben soll, so bedaure ich, mich „berhaupt jemals mit der Quantentheorie abgegeben zu haben.‘ Bohr gab zur Antwort: ‚ Aber wir anderen sind Ihnen so dankbar daf„r, dass sie es getan haben, denn Ihre Wellenmechanik stellt doch in ihrer mathematischen Klarheit einen riesigen Fortschritt gegen„ber der bisherigen Quantenmechanik das.‘ Die Fragen rund um die Deutung der Quantenmechanik blieben offen.“ In den folgenden Jahren wurde die Kopenhagener Interpretation weiter entwickelt. Danach ist der Wahrscheinlichkeitscharakter nicht Ausdruck der Unvollkommenheit der Theorie; die Wellenfunktion dient lediglich als Mittel zur Vorhersage der relativen H‚ufigkeit von Messergebnissen. Diese Messergebnisse sind allein real, wobei es zur Messung Instrumente braucht, die der klassischen Physik gen€gen und dem Kausalit‚tsprinzip gehorchen. In welcher Form oder wo ein Teilchen zwischen zwei Messungen existiert, dar€ber macht die Quantenmechanik nach der Kopenhagener Deutung keine Aussage. Der eigentliche 2 Knackpunkt liegt aber darin, dass ein Quantenobjekt (zum Beispiel ein Atomkern) sich vor einer Messung in einem Šberlagerungszustand – einer Superposition – befindet. Erst durch die Messung springt das Atom in einen physikalisch definierten Zustand. SchrÄdinger fand das unsinnig und er erfand dazu ein Gedankenexperiment – Schr•dingers Katze – mit der er sich €ber die Kopenhagener Deutung lustig machen wollte2. Dabei €bertrug er quantenmechanische Begriffe auf die makroskopische Welt. Nach Schr•dinger m€sste man auch quantenmechanische Vorg‚nge mit menschlicher Logik und menschlicher Sprache erkl‚ren k•nnen. Einem anderen quantenmechanischen Ph‚nomen gab dann Schr•dinger den einpr‚gsamen Namen der ‚Verschr‚nkung‘. Dabei bilden zwei oder mehrere ‚Teilchen‘ ein gemeinsames System. F€hrt man an einem der ‚Teilchen‘ eine Messung durch, so nimmt unmittelbar das andere ‚Teilchen‘ auch einen eindeutig definierten Zustand an. Die Wirkung ist nicht lokal und verst•sst gegen die Grundannahmen der klassischen Physik. Einstein nannte das ‚eine spukhafte Fernwirkung‘, w‚hrend Schr•dinger noch annahm, es sei eine statistische Korrelation. Ein weitere Theorie der Quantenmechanik ist die Dekoh‚renz. Nochmals zur€ck zu Schr•dingers Katze. Nach dieser Theorie kommt es zur Unterdr€ckung der Koh‚renzeigenschaften (Superposition), wenn das quantenmechanische System mit einer Umgebung oder einem W‚rmebad in Kontakt tritt. Die Katze als makroskopisch warmes System ist schon lange Opfer der Dekoh‚renz geworden, und sie ist im Kasten an der Vergiftung durch die ausstr•mende Blaus‚ure rasch gestorben. Nachwirkungen Nach Einstein war die Quantentheorie unvollst‚ndig, und er nahm an es m€sse verborgene Variablen geben, welche daf€r sorgen w€rden, dass Kausalit‚t und Lokalit‚t weiterhin G€ltigkeit haben. Obwohl Bohr Einsteins Argumente entkr‚ftete, war die Frage noch lange im Raum. 1952 entwickelte David Bohm eine deterministische Form zur Quantenmechanik. Dabei kommt der Schr•dingergleichung eine F€hrungsfunktion zu die das reale Teilchen mit definierten Ort und Impuls an die richtigen Orte lenkt. Damit hat Bohm eine Theorie mit verborgenen Variablen aufgestellt, die zu den gleichen Messresultaten f€hrte. 1964 ver•ffentlichte der irische Physiker John Bell ein mathematisches Kriterium, mit dem diese Streitfrage gekl‚rt werden konnte. Die Experimente sprachen f€r die Quantentheorie und gegen die verborgenen Variablen. 1957 wurde die ‚Viele-Welten-Interpretation‘ von Hugh Everett vorgestellt. Dabei wird postuliert, dass die Schr•dingergleichung immer exakt gilt. Dabei wird angenommen, dass sich bei einer Messung an einem Quantensystem das Universum in viele parallel existierende Welten aufteilt, wobei in jeder dieser Welten nur eines der verschiedenen m•glichen Ergebnisse realisiert sei. Ein Beobachter in der einen Welt kann aber nicht wissen, was in der anderen Welt passiert. Dies ist doch eine recht skurrile Vorstellung. Wie die obigen Ausf€hrungen zeigen, wiederholt sich hier die Planck-Mach – Debatte. Die Kopenhagener Interpretation vertritt eine instrumentalistische Position von Mach. Danach sind die quantenmechanischen Modelle und Gleichungen keine Abbildung der Realit‚t, sie sind lediglich ein n€tzlicher mathematischer Formalismus zur Berechnung der zu erwartenden Messresultate. Bei der Bohm’sche Theorie handelt es sich um eine realistische Deutung der Quantenmechanik, wie sie auch Planck vertrat. Die Bohm‘sche Theorie spielt auch heute noch bei philosophischen Diskussionen eine grosse Rolle. Einen ganz neuen Ansatz zur Interpretation der Quantenmechanik basiert auf der Informationstheorie. Bei den bisherigen Interpretationen wird ein mathematischer Formalismus vorausgesetzt, den man dann Schr•dingers Katze ist in eine Kiste eingesperrt, wobei ein radioaktives Pr‚parat einen Mechanismus ausl•st, wodurch eine t•dliche Menge Gift (Blaus‚ure) ausstr•mt. W€rden die Vorstellungen der Quantenmechanik auch makroskopisch Anwendung finden, w‚re nun die Katze solange in einem Šberlagerungszustand von ‚lebendig‘ und ‚tot‘, bis man die Kiste •ffnet und die Feststellung trifft, ob sie lebendig oder tot sei. 3 2 zu interpretieren sucht. Nimmt man aber an, dass Information eine Fundamentalgr•sse ist, dann beschreiben die quantenmechanischen Gleichungen wie man mit Information umgeht. Zwischen Physik und Information gibt es zwei grunds‚tzlich unterschiedliche Ans‚tze: Die Verarbeitung der Information basiert auf den Gesetzen der Physik. Physik ist grundlegend, Information ist ein abgeleitetes Konzept. Alles, was wir €ber Physik wissen, ist Information. Die Prinzipien der Physik sind informationstheoretischer Natur, oder – wie Zeilinger sagt – ‚Information und Wirklichkeit ist dasselbe.‘ Anscheinend ist es bis heute nicht m•glich, eine schl€ssige Interpretation der Quantenmechanik zu geben. Ich m•chte deshalb diese Debatte mit drei Zitaten schliessen: Name ist Schall und Rauch (Johann Wolfgang Goethe). Wovon man nicht reden kann, dar„ber muss man schweigen (Ludwig Wittgenstein). Es gab eine Zeit, als Zeitungen sagten, nur zw•lf Menschen verst„nden die Relativit‚tstheorie. Ich glaube nicht, dass es jemals eine solche Zeit gab. Auf der anderen Seite denke ich, sicher sagen zu k•nnen, dass niemand die Quantenmechanik versteht (Richard Feynman). Literaturhinweise: Esfeld M., Philosophie der Physik. Berlin 2012: Shurkamp. Fischer E.P., Aristoteles, Einstein & Co. Leonardo, Heisenberg & Co. M€nchen 1995 und 2000: Piper. Heisenberg W., Der Teil und das Ganze. M€nchen 1969: Piper. Kiefer C., Quantentheorie. Frankfurt am Main: 2002: Fischer. R•ssler W., Eine kleine Nachtphysik. Reinbeck bei Hamburg 2009: Rowohlt. Scheibe E., Die Philosophie der Physiker. M€nchen 2007: C.H. Beck. Zeilinger A., Einsteins Schleier. M€nchen 2005: Goldmann. 4