Financial Services - diesmal ein Erfolg? - Stiftung Risiko

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Haller Matthias
Financial Services – diesmal ein Erfolg?
in: Allfinanz oder Financial Services? Aktuelle Trends im Finanzdienstleistungs-Bereich,
Bernet Beat/Haller Matthias/Maas Peter (Hrsg.) Institut für Versicherungswirtschaft der
Universität St. Gallen 1998 S. 11-52
[email protected]
Matthias Haller
Financial Services – diesmal ein Erfolg?
Einführung
1. „Financial Services“: US-Initiativen und die europäischen Reaktionen
2. Europa: Paradoxie der Reaktionen
3. Marketing und Funktionendenken als Schlüsselfaktoren des Durchbruchs
4. Finanz-„Dienstleistung“: Von der Funktionenorientierung zum erweiterten Produktkonzept
5. Verwirklichung der „Financial-Services“ im Netzwerk?
Einführung
Wer die Entwicklungen in der Domäne der „Financial Services“ seit den achtziger Jahren
zunächst in den USA, dann auch in Europa aus kritisch-naher Distanz verfolgt hat, muss
verblüfft sein, welcher Sinneswandel sich in den vergangenen Jahren eingestellt hat. Bis 1990
stiess die Idee verbundener oder integrierter Finanzdienstleistungen auf verhohlene oder gar
offene Ablehnung und wurde als „akademische Spielerei“ abgetan; heute überbieten sich
Angehörige der Finanzpraxis, der Finanzpresse und – mit gehöriger Verspätung – der
Wirtschaftswissenschaft gegenseitig damit, den Verbund von Banken und Versicherungen zu
fordern und mit ständig neuen Begriffen zu belegen. Geht es bei den „Finanzdienstleistungen“
zunächst noch um eine sprachliche Übertragung, so haben „Allfinanz“ und „Bancassurance“
inhaltlich neue Tatbestände gesetzt. Die jüngste Sprachschöpfung „Assurfinance“, wiewohl
als „Gegenangriff der Versicherer gegen die Banken“1 charakterisiert, wird wohl weniger von
den Kunden als von jener Jury aufgegriffen werden, welche sich mit den Unworten der ausgehenden neunziger Jahre auseinandersetzt.
Wie ist es eigentlich zur Metamorphose der Bewertung gekommen? Was führte zur
Verschiebung von den Dienstleistungen im Finanzbereich zur Fokussierung auf Banken und
Versicherung (und deren Vertriebs-“Kanäle“)? Haben sich die neuen Fachbegriffe auch bei
Kundinnen und Kunden eingeprägt oder dominieren sie vorerst nur die Headlines der
Finanzpresse, der Börsenkommentare und der Finanzanalysten? Vielleicht lohnt es sich, den
neuen Fachjargon zunächst einmal am Verständnis der „End-User“ zu überprüfen, z.B. mit
der schlichten Fragestellung, was Laien an Assoziationen hochkommt, wenn sie die Begriffe
„Allfinanz“ oder „Financial Services“ (FS) hören. – Gefragt, getan: In einer Reihe von
Weiterbildungsseminarien wurde 1997/98 jeweils vor der Erörterung des FS-Themas der
Auftrag erteilt, den Unterschied zwischen den Begriffen „Allfinanz“ und „Financial
Services“ kurz zu umreissen. Von den wenigen Fällen abgesehen, in denen ein Unterschied
verneint wurde, fallen klare Schwerpunkte auf. Sicher nicht im statistischen Sinne
repräsentativ, können sie immerhin klare Hinweise geben, in welche Richtung die
Gegenüberstellungen (jeweils auf der selben Zeile) zielen:
1
Aeberli Urs, Assurfinance statt Bancassurance, in: Schweizer Versicherung 9/98, S.3
2
Bitte notieren Sie, was Sie verstehen unter
„Allfinanz“
„Financial Services“
-
Verbindung von Bank und Versicherung i.w.S
-
Dienstleistungen aus einem der Bereiche
-
Bank + Versicherung = ? (Bank)
-
Finanzbereich: alles für den Kunden
-
Zusammenwachsen von Bank und Versicherung unter
einem Dach
-
Umfassende Leistungserfüllung FDL - von einem
Anbieter
-
Bank und Versicherung „in einem Haus“; aus einer
Hand (nicht Kundenberater)
-
Alle Finanzangelegenheiten über einen einzigen
Zugang; Koordinator für alle Kundenbedürfnisse
-
Bank und Versicherung: ein Anbieter
- Dienstleistung aus einem der Bereiche (ein Anbieter)
-
Zusammenschluss Bank und Versicherung
gemeinsamer Produktvertrieb
-
-
Verschmelzung von Bank und Versicherungsbereichen; Gesamtberatung
- Dienstleistung aus dem Finanzbereich
-
Angebot aller Finanzdienstleistungen „aus einer Hand“
aus einem Konzern , z.T. gescheitert
-
Die Dienstleistungen , die mit Finanzströmen verbunden
sind
-
Die Möglichkeit, Finanzdienstleistungen aus
einer Hand anzubieten
-
Möglichkeit, alle Funktionen, die für den Kunden nötig
sind, aus einer Hand zu erfüllen
-
Bank und Versicherungs-Dienstleistungen aus einer
Hand
-
alle Beratungen
-
Abdecken aller Finanzbedürfnisse durch einen
Anbieter
-
ein Ausschnitt für spezielle Kundensegmente
-
ein Ansprechpartner für alle Finanzdienstleistungen
-
Finanzdienstleistungen, die einen hohen Nutzen für
den Kunden bringen
-
Angebot aller Finanzdienstleistungen aus einer Hand
(Vertriebssicht)
-
Services, bzw. Dienstleistungen; kein Vollständigkeitsanspruch (Sicht auf Funktionen)
-
Angebot Bank und Versicherung aus einer Hand
-
integrierte Produkte, kundengerecht an
Bedürfnissen orientiert
-
Ein Anbieter für alle Finanzprodukte
-
Alle Dienstleistungen, die sich auf Finanzprodukte
beziehen
-
Alle Arten von
Geldgeschäfte etc.
-
dito, aber aus der Perspektive des Dienstleistungsanbieters
Beratungen
und
Transaktionen,
Angebot in einem Verbund von Partnern (Beratung,
Produkte, Dienstleistungen)
Das Resultat: Während bei „Financial Services“ eindeutig der Aspekt der Dienstleistung
dominiert, tritt in gleicher Klarheit bei „Allfinanz“ der Anbieter in den Vordergrund. „In
einem Haus“ und „aus einer Hand“ zielen in die ähnliche Richtung, auch durch die Tatsache
verstärkt, dass sich bei „Allfinanz“ viele Nennungen bloss auf Bank und Versicherung (und
deren Vertriebskanäle) beziehen. Ist es der Produzent und Anbieter, der die linke Seite
verkörpert, so rückt über Bedürfnis und Beratung, aber auch explizit bei „Financial Services“
der Kunde in den Fokus. So ist es wohl nicht vermessen, aus den Nennungen die These
3
abzuleiten, dass (wirtschaftlich interessierte) Finanzdienstleistungslaien den Begriff
„Allfinanz“ mit Angebot und Produktebereitstellung, „Financial Services“ eher mit
Befriedigung des Kundenbedürfnisses assoziieren und zum Teil auch beim Kunden
selbst ansiedeln.
Eine interessante Ergänzung ergab im September 1998 die Anregung einer Kursteilnehmerin,
die bereits zusammengestellten und diskutierten Assoziationen noch um Gefühle im
Zusammenhang mit den beiden Begriffen zu ergänzen. Dabei stellt sich ein Diskrepanz
heraus, die das kognitive Resultat eher noch verstärkt: Während „Allfinanz“ offenbar
Assoziationen von (All-)Macht, Überheblichkeit, Konzentration, Konfektion, Aufzwingen
und Unbehagen auslöst, werden „Financial Services“ eher mit dienend, glaubwürdig, speziell
und vernetzt, mit Massanzug und Sympathie verknüpft. – Sympathie bzw. Antipathie bloss
gegenüber den Begriffen, oder mehr? – Weil die Sprache „spricht“ und die Kundenmotive
wertvolle Aufschlüsse für die Organisations- und Produktegestaltung vermitteln, wird man
gut daran tun, nicht bloss beim product wording, sondern im strategischen Management der
Finanzdienstleistungen grundsätzlich zu reflektieren,
· wie es ursprünglich zur „US-Financial Services“ – Bewegung kam
· worauf sich die (ursprüngliche) Skepsis in Europa abstützte,
· wie sich die Rahmenbedingungen in den neunziger Jahren veränderten,
um daraus abzuleiten,
· welche Erfolgsvoraussetzungen zur Jahrtausendwende für die „Financial Services“
und für „Allfinanz“ bestehen bezüglich Marketing, Produktkonzept und Vernetzung.
4
1. „Financial Services“: US-Initiativen und die europäischen Reaktionen
Die US-Financial Services gehen auf die frühen 80-er Jahre zurück, als sich in den
Vereinigten Staaten die Tendenz zur Verflechtung von Unternehmungen im Bereich
der Finanzfunktionen anbahnte. Zu diesem Zweck werden verschiedenartige Firmen
integriert, dies immer mit dem Zweck, die Finanzfunktionen in verschiedenen
Lebensbereichen (der Kunden) untereinander zu verknüpfen. Je nach der beherrschenden
Unternehmung übernimmt eine Branche die Führung; alle anderen Unternehmungen
tragen im Konzernverbund dazu bei, die integrierte Wahrnehmung aller Finanzfunktionen
zu gewährleisten.
Symptomatisch ist eine Darstellung der Business-Beilage der New York Times von 1981,
in welcher graphisch die Tochtergesellschaften von Sears an Ketten aufgereiht sind,
während unter dem Head „A Bank, by Any Other Name“ die These gesetzt ist: „A
'Banker' these days is as likely to come from heavy industry, insurance or retailing as
banking itself. All offer financial services“.
Abb.1: (aus The New York Times) 1981
Bei oberflächlicher Betrachtung fällt vorerst nur der Zusammenzug der Finanzfunktionen
im Konzernverbund auf, doch die Begleitumstände sind – vor allem aus heutiger Sicht –
ebenso bedeutsam. Schon 1986 wurden im Rahmen des Projektes „Assekuranz 2000“ die
markt- und marketingrelevanten Faktoren untersucht, um deren Auswirkung auf Europa zu
prognostizieren.2 Danach erwies sich die „Financial Services (R)Evolution“ zunächst
einmal als hoch US-spezifisch: (Abb. 2)
2
Haller Matthias, Funktionen-Marketing – zur Bewältigung der „Financial Services (R)Evolution“? in: Realisierung des
Marketing in unterschiedlichen Situationen und Märkten und Unternehmen, Band 2, Festschrift zum 60. Geburtstag von
Prof. Dr. oec. Heinz Weinhold-Stünzi, Savosa und St. Gallen 1986, S. 1097 -1124
5
Abb. 2: Verknüpfungen der Faktoren zur „US-Financial Services (R)Evolution“
Auf der Nachfrageseite sorgt im Zeichen der Hochzinswelle um 1980 ein zunehmend
rationaler Kunde (und dessen Berater) dafür, dass Erfahrungen aus dem industriellen RiskManagement und dem Money Management auf den Privatkundenbereich übertragen
werden, wobei die enormen Zinsschwankungen zwischen 1980/84 zur Beweglichkeit der
Kunden (und der Gier der Anbieter nach cash) beitrugen:
• Zunehmend flexible Anbieter reagieren auf diese Nachfrageimpulse nicht nur mit
neuen Produkten und Dienstleistungen, sondern setzen auch neuartige oder bisher
kaum kombinierte Vertriebswege ein, um an bestimmte Kundensegmente zu
gelangen.
• Die gegenseitige Verstärkung zwischen Angebot und Nachfrage ist dem intensiven
Wettbewerb und der alle Bereiche ergreifenden Deregulierung zuzuschreiben, wobei
die Technologie – die Periode fällt mit der Einführung des PC zusammen –
zweifellos eine Katalysatorfunktion übernimmt.
Es sind insbesondere die Newcomer unter den Finanzdienstleistern, welche modernste
Technologie in den Dienst der Kundensegmentierung und Informationsgewinnung stellen
und über den Kreditkartensektor neue Kanäle eröffnen. Auf ihnen sollen auch Angebote
aus dem übrigen Finanzdienstleistungsbereich „geschoben“ werden, so dass eine neuartige
Konkurrenz zwischen Banken, Warenhäusern, Travel Related Services und
Versicherungen entsteht.
6
Die überlappenden Marktfelder stehen im Zentrum des Interesses; dabei wird bei allen
Wettbewerbern von der Strategie ausgegangen, die „Lieferanten“ von Servicekomponenten
nach und nach in einen übergeordneten FS-Konzern zu integrieren. Mitte der achtziger
Jahre wird diese Kombination von kundenbezogener Leistungskonzentration und
lieferantenbezogener Konzernbildung als Kernvoraussetzung erfolgreicher FS-Politik
betrachtet. Die FS-Innovation wird umso intensiver wahrgenommen, als es sich bei den
Protagonisten um marketingbewusste Häuser wie Sears, Citibank und American Express
handelt. Vor allem Amexco wird in der Mitte der achtziger Jahre als repräsentatives
Beispiel für die Tendenz gehandelt, wonach sich die Bedeutung der verschiedenartigen FSSegmente im gesamten Umsatzvolumen mehr und mehr angleiche.3
Für die USA ist 1980 die FS-Entwicklung darum „revolutionär“, weil sie im Gegensatz
zur strikten Branchen- und Produktetrennung nach der Wirtschaftskrise und insbesondere
der Krise des amerikanischen Bankensystems in den zwanziger Jahren steht. Diese
gesetzlich forcierte Abschottung sorgte für geschützte Märkte, und erst die
Deregulierungstendenzen und eine forcierte Wettbewerbspolitik vermochten den
Marktdruck zu erzeugen. Kundenseitig entstehen „Financial Services“, anbieterseitig
wächst der Druck, sich an der „Welle“ zu beteiligen: The „New World of Financial
Services“ wie sie in vielen Inseraten, Seminarien und Publikationen bezeichnet wird, lässt
insgesamt einen Enthusiasmus verspüren, der eindeutig die integrierte Problemlösung
für die Kunden in den Fokus rückt.
3
Unter dem Titel „The changing face of a financial giant“ wird in der Financial Times vom 16.3.1983
in einem Leitartikel als markttypisch hervorgehoben, dass die „Decades of change“ bei American
Express durch folgende Segmentverschiebung gekennzeichnet ist sind.
Einkommensquellen
Amexco (in Mio. USD)
total
in %
- Traveller‘s Cheques
- Credit cards etc.
- Insurance (Firemans Fund)
- Banking
- Investment Banking & Securities)
1962
1972
1982
10
123
581
80
20
-
20
24
49
5
2
11
24
36
11
18
Die aktuelle Verteilung des Nettoeinkommens ist nicht direkt mit der Situation vor 15 Jahren vergleichbar.
Aus dem Jahresbericht 1997 geht jedoch hervor, dass vom Gesamteinkommen (1.991 billion $) auf die drei
strategischen Geschäftsfelder
Travel Related Services‘
‚American Express Financial Advisors‘
63%
32%
‚American Express Bank‘
4%
(vor allem Credit Cards und Traveller’s Cheques)
(vor allem Beratung und Investment Banking,
wenig Versicherung)
entfallen. Innerhalb der ‚Travel Related Services‘ kommt der Löwenanteil den Credit Cards und dem damit
verbundenen bankähnlichen Geschäft (Kredite) zu; die Traveller’s Cheques verlieren (verhältnismässig)
weiterhin an Bedeutung. Bei Financial Advisors nimmt das Investment Banking die zentrale Rolle ein, die
Versicherung als autonomes Geschäft wurde indessen im wesentlichen verkauft.
Somit entfallen heute rund 2/3 des Einkommens auf die ursprünglichen Funktionen, was dem Stand zwischen 1962 und 1972 entspricht. Fazit: Amexco ist im wesentlichen zu seinen Kernkompetenzen, den ‚travel
related functions,‘ zurückgekehrt.
7
Typisch für die FS-Denkweise ist die (ins Deutsche übertragene) Schematik, wie sie im
Rahmen von Einführungsworkshops Mitte der achtziger Jahre aufscheint: Privatkunde und
–kundin stehen im Zentrum, umgeben von Finanzberatungs- und Planungsmodulen, die
sich auf alle denkbaren Funktionen und die mit ihnen verknüpften Produkte beziehen.
(Abb.3)
Abb.3 Financial Services 1981– rund um Kunde und Kundin; (deutsch M.H)
Auf dieser Grundidee baut die Philosophie des „Alles-unter-einem-Dach“ und „Allesaus-einer-Hand“ auf, beides idealisierende Vorstellungen, die sich später bekanntlich nur
sehr begrenzt verwirklichen liessen. Bevor die Gründe dazu analysiert werden, interessiert
zunächst die Übertragung des „Financial-Services“-Ansatzes auf Europa.
2. Europa: Paradoxie der Reaktionen
Die Reaktion auf „Financial Services“ in Europa ist durch zwei unterschiedliche Phasen
gekennzeichnet. Während die 80-er Jahre durch national unterschiedliche, hoch kontroverse Auseinandersetzungen um FS gekennzeichnet sind, findet in den 90-er Jahren die
Hinwendung zu „Allfinanz“ im Zeichen der europäischen Marktöffnung statt.
8
Anfangs der achtziger Jahre wird die US Financial-Services-Welle in Europa scharf
beobachtet, und eine grosse Zahl von Delegationen nimmt an amerikanischen Kongressen
und Firmenbesuchen teil, um die konkreten Auswirkungen auf die jeweiligen Märkte und
Firmen zu studieren. Zum einen beeindrucken die Produktinnovationen (z.B. Variable
Life) und die neuen Vertriebskanäle (z.B. Credit Cards), zum anderen die Bestrebungen,
den (Privat-)Kunden eine umfassende Beratung zu bieten. Für den Europäer (insb. im
deutschsprachigen Bereich) ist die Entwicklung zunächst paradox: Was die Amerikaner im
Zeichen der Deregulierung als neuartig deklarieren, wäre im Prinzip (v.a. das Potential der
Universalbanken) schon weitgehend vorhanden gewesen. Kontrovers erscheint somit
nicht primär die Möglichkeit, sondern die Wünschbarkeit solcher Entwicklungen, denn
die Branchendurchmischung stellt vorhandene Marktregulierungen (über Aufsicht und
Verbände) in Frage. So ist es nicht erstaunlich, dass vor allem die Kartellorganisationen im
Versicherungs- wie im Bankenbereich mit scharfen Waffen gegen die Konzepte
integrierter Finanzdienstleistungen antreten. In dieser Situation erweist sich die Position
der Banken als etwas lockerer als jene der Versicherer, weil diese zum einen den laufenden
Verlusten an Marktanteilen bei Vorsorgespesen begegnen möchten, zum anderen mit
„Financial Services“ naturgemäss nur ein beschränkter Anteil ihres Geschäftsvolumens
involviert sehen. Wie nervös die Stimmung z.B. in Deutschland ist, erhellt aus der
Tatsache, dass ein relativ harmloser „Sparplan mit Versicherungsschutz“ (Deutsche Bank)
noch 1986 in der Finanzpresse als „Angriff aus dem Schatten“ und als „Kampfansage“
interpretiert wird, gar als „Duell der Giganten“, das der „Provokation der Banken“
entspringe.
Die damalige Haltung kommt gut in der Karikatur zum Ausdruck, welche „Finanz und
Wirtschaft“ aus Anlass eines Finanzdienstleistungssymposiums des Schweizerischen
Bankvereins für die Assekuranz einrückte: Ausgangspunkt ist die faktische Trennung der
Finanzteilmärkte, und selbst eine Übergreifen „bloss“ über die Vertriebssysteme löst – bei
begrenzter „Futtermenge“ – einen beträchtlichen Grenzstreit aus. 4
Abb. 4.: Karikatur aus „Finanz und Wirtschaft“ (Tagung SBV 1985)
4
vgl. Haller Matthias, Banken im Versicherungsgeschäft, in: Schweizerischer Bankverein (Hrsg.), Versicherungen und
Banken, Erinnerungsschrift zur Assekuranztagung 1985 vom 23./24.10.1985, Interlaken/Basel 1985, S. 11-33
9
Die Skepsis gegenüber Financial Services bezieht sich somit in erster Linie auf die herkömmlichen, branchenbezogenen Kernprodukte: Man möchte sie in Form, Inhalt und Preis
der Branche erhalten, wohlwissend, dass über die Vertriebsorgane insb. der Sparkassen
und des Raiffeisen-Verbandes die FS-Welle im Grund genommen bereits angelaufen ist.
Wo sich – wie in den romanischen Ländern – der Versicherungs- und Vorsorgemarkt erst
im Anschub befindet, verläuft die Entwicklung allerdings anders: Vor allem die LebenProdukte finden ihren Markterfolg in erster Linie über den Bankschalter, ein Tatbestand,
der sich bis heute durchzieht und jüngst zur Feststellung geführt hat, wonach ein enger
„Zusammenhang zwischen dem Wachstum des gesamten Versicherungssektors in diesen
Ländern und der Erfolgsgeschichte des Bankassurance-Konzepts“ 5 zu verzeichnen ist.
Wenn aus dieser spezifischen Entwicklung heraus „Allfinanz“-Ansätze in Europa oft
generell mit den französischen Begriffen „Bancassurance“ – und umgekehrt auch mit
„Assurfinance“ – gleichgesetzt werden, so bringt dies die Einengung,
Finanzdienstleistungen zunächst einmal auf Bank und Versicherung (und auf die
gegenseitige Nutzung von Vertriebskanälen) zu beschränken. Weniger kontrovers
vollziehen sich schliesslich die Entwicklungen in den (vor allem nördlichen) Märkten,
welche eine starke Maklerpräsenz aufweisen. Hier sind (indirekte) Querbeziehungen
bereits vorhanden; erst der gemeinsame Markt wird die Hauptimpulse zur Gruppenbildung
zwischen Versicherern und Banken setzen.
Fazit für die 80-er Jahre: Obwohl intensiv diskutiert und in – zum Teil gescheiterten Versuchen praktiziert, reichen die US-Vorgänge um „Financial Services“ für sich allein
nicht aus, um in Europa eine Grundtendenz zu Allfinanz auszulösen. Wenn man von
wenigen integrierten Firmengruppen und Vertriebsverbünden mit eigentlichen integrierten
Allfinanzprodukten absieht, so bleibt in den europäischen Märkten die auf den Kunden
bezogene intensive Auseinandersetzung mit neuen Leistungen weitgehend aus, und selbst
spektakuläre Erfolge von Teilinitiativen (z.B. Lebensversicherungen über den
Bankenvertrieb) lassen sich eher als Verfeinerung der Beziehung zwischen Bank und
Versicherung interpretieren.
Diese Eindämmung der Financial-Services-Welle dürfte allerdings nicht bloss darauf zurückzuführen sein, dass sich die wesentlichen Marktpartner gegen eine umfassende Liberalisierung sperrten. Gegen Ende der achtziger Jahre offenbart sich, dass die amerikanische
FS-Euphorie sich nicht im Cash-Flow der massgebenden Firmen niederschlägt, sei es,
dass Kunden nicht auf die neuen Angebote reagieren, sei es, dass die Integration der neuartigen Finanzgebilde eine Überforderung des Managements (und der Mitarbeiter)
bedeuten. Beide Faktoren sind im Anschluss aufzugreifen; vorerst stehen jedoch die
europäischen Allfinanz-Impulse der 90-er Jahre im Vordergrund.
• In den 90-er Jahren ist es nicht die „Allfinanz“–Idee, welche die Tendenz zur
Konzentration von europäischen Finanzhäusern begünstigt. Viel wichtiger – und für
„Allfinanz“ wirksamer – erweist sich vorerst die Wirtschaftspolitik der Europäischen
Gemeinschaft. Sie setzt im Rahmen der politisch-geistigen Grundwelle zu „EG 92“
entscheidende Impulse, dass intensive Änderungen in allen Märkten als Chance begrüsst
oder zumindest als (unabdingbare) Herausforderung akzeptiert werden.
5
Kern Holger, Bancassurance – Modell der Zukunft? in: Versicherungswirtschaft, Heft 16/ 98, S. 1124
10
Das Grundkonzept des EG-Binnenmarkts ging bekanntlich von der These aus, dass die
„Vier Freiheiten“ und die konsequente Durchsetzung der Deregulierung zu deutlichen
Wachstums- und Beschäftigungsschüben führe. Nun sollten - gemäss Cecchini-Bericht 6diese Ziele durch Kostenersparnisse, durch den Wegfall von Handelshemmnissen und –
vor allem – durch die Nutzung von Massenproduktionsvorteilen (economies of scale)
realisiert werden. In selbst- und fremdregulierten Märkten vermutete man ein besonders
hohes Wettbewerbspotential. Daher war die EG bestrebt, dort aktiv die Deregulierung
durchzusetzen, wo die Märkte bis anhin schwer zugänglich waren. Dabei wurde auch der
sozialpsychologische Verstärkungseffekt (self-fullfilling prophecy) bewusst in Rechnung
gestellt. Diese Rechnung ist insofern aufgegangen, als Vorauseffekte in bedeutendem
Ausmass Realität geworden sind: Es kommt zu Mergers und Acquisitions in grosser
Zahl, welche branchenintern und branchenübergreifend, national und international Platz
greifen. Allerdings sind viele dieser Initiativen weniger auf die Marktbedürfnisse, denn auf
die Wahrung der Selbständigkeit ausgerichtet. Im Zeichen der Schutzmassnahmen gegen
unfreundliche Übernahmen haben sich nicht wenige Unternehmungen zuerst selbst „übernommen“, und auch bei den übrigen blieb vorerst für verfeinertes, kundensegmentiertes
Marketing im Zeichen der „Allfinanz“-Gedanken relativ wenig Energie. So beschränken
sich denn auch die (verlautbarten) Begründungen für Übernahmen- und Kooperationen
meist auf die Grösse (als Garant der Selbständigkeit), auf die bestehende Marktdurchdringung (als Ausschöpfungspotential) sowie auf Synergiepotentiale (vor allem Fixkostenbereich des Asset Management und der Eigenkapitalbewirtschaftung). Man darf
daher die Feststellung treffen, dass die diesbezüglichen Initiativen im Banken- und im
Versicherungsbereich primär autonomie-, kosten- und angebotsorientiert waren, während
sich die Ausrichtung auf „Allfinanz“ vorerst eher als beiläufiges, im Anschluss aber
wichtiges Potential ergibt.
Seit Mitte der neunziger Jahre vollzieht sich allerdings eine nachhaltige Differenzierung:
Während in den bankengeleiteten Gruppierungen intensive Anstrengungen unternommen
wurden, um verschiedenste Potentiale in Kundenproblemlösungen überzuführen, zeichnen
sich die Assekuranzinitiativen eher durch eine stärkere Fokussierung auf ausgewählte
Kundensegmente (mit begrenzten Bankfunktionen) aus. In jenen Ländern, in denen sich,
wie z.B. in Deutschland, führende Häuser eher gegen die Branchenverknüpfung
entschieden haben, kommt es dennoch vermehrt zu Kooperationen (z.B. beim Asset Management). Besonders interessant ist die Tatsache, dass sich über ART (Alternative Risk
Transfer) generell die Tendenz zu „Allfinanz“ abzeichnet, hier allerdings völlig neu interpretiert: Weil solche Geschäfte ohnehin vorerst nur die Fortune-500-Firmen betreffen
und sie erst in Einführung begriffen sind7, lässt sich hier von Anfang an ein globalisierter
„Allfinanz“-Ansatz erkennen.
Fazit für die 90-er Jahre: Die politisch-geistige Grundwelle um EG 92 setzt
entscheidende Impulse, da sich mit Blick auf den Binnenmarkt Firmen zu grösseren Einheiten formieren und damit ein Potential begründen, welches insbesondere auch fruchtbare Applikationen im Allfinanzbereich erwarten lässt. Aus der Kundenperspektive wird
allerdings sorgfältig zu prüfen sein, wieweit die neuen Konglomerate in der Lage sind, die
6
Cecchini Paolo, Europa ´92 – Der Vorteil des Binnenmarkts, Baden-Baden 1988
vgl. z.B. Zimmermann E. , Swiss Re New Markets: Speerspitze der technologischen Entwicklung, in: Schweizer
Versicherung 9/98, S. 8 ff
7
11
economies of scale in economies of scope umzuwandeln, m.a.W. auch im Zeichen von
„Allfinanz“ die Service- und Kundenorientierung in den Vordergrund zu rücken. Im
Anschluss wenden wir uns deshalb der Frage zu, welche Anforderungen sich aus der Sicht
eines konsequenten Financial-Services-Marketing stellen.
3. Marketing und Funktionendenken als Schlüsselfaktoren des Durchbruchs
Um die ursprünglich primär kundenzentrierten Financial Services und die vorwiegend
potentialbetonte Allfinanz zu optimieren, wird man sich vertieft mit den grundsätzlichen
Marketingaspekten der beiden Strömungen beschäftigen müssen. Dazu gehen wir von der
These aus, wonach
1. die echte Entwicklung zu „Financial Services“ letztlich nicht als Ursache für die
beschriebenen Marktvorgänge, sondern als Wirkung globaler Veränderungen im
Zeichen der Dienstleistungsentwicklung zu interpretieren ist:
2. die wirklichen Ursachen in der konsequenten Übertragung des Marketing- und des
Funktionendenkens auf die Finanzdienstleistungen begründet liegen.
Was derzeit in den einzelnen Finanzdienstleistungsbranchen die Vorgänge aus strategischer Sicht bestimmt und damit potentiell Marktvolumen definiert, kann als Übertragung
(und Anpassung) des Marketing auf den Dienstleistungssektor gedeutet werden. Dieser
Vorgang ist im Verhältnis zur Industrie um eine Grössenordnung von 15 Jahren, zum Handel von 10 Jahren verschoben, doch deutet vieles darauf hin, dass hier zugleich die Konsequenzen gezogen werden, die sich aus dem Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft ergeben. Damit steigt der Stellenwert für individuelle Lösungen, für
zusätzliche Leistungen und Gesamtlösungen im Risiko- und Finanzbereich. Weil die geistigen Entwicklungen den realen um einige Jahre vorausgehen und zudem eine logische
Folge
1. Marketing als Kundenorientierung
2. Denken und Handeln in Funktionen
3. Veränderte Produkte und Marktleistungen
4. Veränderte Markt- und Unternehmensstrukturen
besteht, lassen sich die tatsächlichen Veränderungen relativ präzise analysieren und auch
voraussagen. Die realen Vorgänge erscheinen aus solcher Sicht wie die Spitze eines Eisbergs; die wesentlichen Strukturen befinden sich unterhalb der Wasserlinie (des
Funktionendenkens), und sie lassen sich schon vor der unmittelbaren Annäherung
orten.(Abb.5)
12
Global
Intensität der
Intensity
Strukturof
structural
veränderung
changes
veränderte Marktund Unternehmungsstrukturen
EU
problems
of
Kommunikationscommunication
und Konsensprobleme
and
consensus
(IV)
US
veränderte
altered
Produkte
products
und
andMarktmarket
leistungen
performances
(III)
Wasserlinie
Waterline
(II)
Marketing
Industry Marketing
Trade
Industrie
marketingHandel
marketing
Marketing
Marketing
Insurance/
Assekuranz
Industry/
Bank
Finanz-Dienste
Banking
(I)
Financial Services
Produktion /
Production
Verkaufsconcept
konzept of
sale
1950
Denken
/
thinking/
Handeln
acting in
infunctions
Funktionen
Differentiation
of values
. Stakeholders
. Shareholders
Kundenorientierung im Dienstleistungsbereich
customer - orientation in the service sector
1960
1970
1980
1990
2000
c MH090e.GRF
Abb.5 Das „Eisbergphänomen“: Die Realisierung der Kundenorientierung auch im Dienstleistungsbereich
Ausgangspunkt dieser konkreten Entwicklungen ist das Marketingkonzept, bei dem die Bedürfnisse, Wünsche und Probleme der aktuellen und möglichen Kunden ins Zentrum rücken.
Während die Anwendung des Marketing für die Konsumgüterproduzenten schon früh zur
Überlebensbedingung wurde, blieb es in den Dienstleistungsbranchen bis in die Mitte der
siebziger Jahre ein „freiwilliges“ Instrument. Heute gibt es wohl kaum noch eine Unternehmung, in der man sich nicht mit seinen wesentlichen Inhalten auseinandergesetzt hätte.
Bedeutend schwieriger ist allerdings die Verwirklichung, weil das Marketingkonzept den
Bezugspunkt der Tätigkeiten grundsätzlich ändert und es bis zur Deregulierung und zur
Schaffung des Binnenmarktes oft im Gegensatz zu den geschützten Produkten stand.
Wenn der Kunde mit seinen Bedürfnissen den Ausgangspunkt aller Aktivitäten bildet, rücken
Produkt und Produktion (Verwaltung) an das Ende der Kette. Wie nachfolgend dargestellt,
steht im Fokus der Kunde und dessen Grundbedürfnis (1a); dabei wird die Frage wichtig,
welche Funktion (1b) die eigene Leistung beim Kunden erfüllen könnte und soll. Erst auf
dieser Basis konkretisiert sich die Marktleistung (2), die ihrerseits stets eine Kombination von
(Kern-) Produkt (2a) und zugeordneter Dienstleistung (2b) bedeutet. (Abb.6)
3 Produktion/Verwaltung
(Wertschöpfungskette)
2a
Welches
Produkt
2b
Welche
Dienstleistung
2 Problemorientierung
1a
Welches
Grundbedürfnis
3
Produktion/
Verwaltung
zur optimalen
Erfüllung von
1 und 2
2
Welche Marktleistung
benötigt der Kunde, um
sein Problem zu lösen?
1b
Welche Funktion
können wir dabei
erfüllen
13
Kunde
1 Kundenbezogenheit
(M.H.1983)
Abb.6: Problemorientierung im Zentrum: Marketing als kundenorientierter Prozess
In der Folge sind Produktion und Verwaltung auch in der Wertschöpfungskette der Finanzdienstleister so einzusetzen, dass sie sich am Kunden und an dessen Problemen orientieren.
Marketing beschränkt sich allerdings nicht auf eine Umkehr der generellen Denkrichtung.
Ebenso wichtig ist die kreisförmige Denkfolge, die das Bemühen aller Unternehmensangehörigen ausdrückt, sich mit dem Kunden und seinen Problemen dauernd auseinanderzusetzen.
Dieses bedeutet von sich aus permanente Anpassung: Die stets (noch) bessere Lösung
bestimmter Kundenprobleme gilt als Massstab:
1. Kundenbezogenheit: Es werden verschiedene Kundentypen unterschieden, bei denen mit
verschiedenartigen Leistungen verschiedenartige Funktionen erfüllt werden können.
Insbesondere gilt es abzuklären, inwiefern solche Funktionen direkt mit herkömmlichen
Branchenprodukten zusammenhängen oder unabhängig von ihnen erfüllt werden.
2. Problemorientierung: Sie erweist sich als der Angelpunkt, an welchem sich die Ausrichtung auf den Kunden und die Erfüllung der angestammten Aufgaben und Stärken miteinander verknüpft werden: Das Kernprodukt – z.B. „Versicherungsschutz“ - und die ergänzenden Dienstleistungen verschmelzen zur umfassenden Marktleistung.
3. Produktion und Verwaltung: Im Rahmen der Wertschöpfungskette erfolgt die Produktbereitstellung im engeren Sinn des Wortes. Sie ist vom Kern her traditionell, doch
richtet sich auch die Tätigkeit in den Zentralen zunehmend auf die Endbestimmung in unterschiedlichen Kundensegmenten aus.
Das zentrale Anliegen des Funktionendenkens8 ist die (gar nicht selbstverständliche) Klärung der Frage, welche Funktion durch welche Leistung aus Kundensicht wahrgenommen wird. Auf dieser Basis stellen sich Anschlussfragen
a) nach den Kernkompetenzen: Welche Funktion(en) erfüllen wir besonders gut, welche
wollen wir verstärken oder vertiefen?
b) nach dem Substitutionspotential: Welche durch uns erfüllte Funktion könnte (ev.) mit
andern Mitteln durch Konkurrenten übernommen werden?
8
Dem Funktionendenken wird in einer Studie von Crane und Body derart grosse Bedeutung beigemessen, dass
daraus im Grundsatz eine Aufgliederung der heutigen Universalbank hervorgeht. Jeder Funktionenbereich (z.B.
Bauen/Hypotheken steht mit dem jeweiligen Spezialisten im Wettbewerb – aus Sicht der Autoren eine zentrale
Substitutionsgefahr. Vgl. B. Crane, Z. Bodie, Form Follows Function, Transformation of Banking, in: Harvard
Business Review, 3./4.1996
vgl. auch Doerig H.U., Universalbank, Banktypus der Zukunft, Bank- und Finanzwirtschaftliche Forschungen,
Band 229, Bern/Stuttgart/Wien 1996. Der Autor zieht den Schluss, dass sich aus der traditionellen Universalbank
die „transformierte, fokussierte und regenerierte Universalbank“ (S. 21) wird entwickeln müssen.
14
c)
nach dem Markterweiterungs- und Synergiepotential: Welche
Funktion(en) könnten wir mit den vorhandenen Mitteln übernehmen?
zusätzlichen
Solche Fragen bleiben in abgeschotteten (kartellierten) Märkten solange akademisch, als
Aktivitäten im je anderen Bereich verboten sind und eine enge, meist ausschliesslich
kognitive „Produkt-Konzeption“ besteht. Das Verhältnis zwischen Bank und Versicherung
ist ein treffendes Beispiel, wie über lange Zeit die gegenseitige Abschottung erhalten wird,
dann aber im Zuge der Marktöffnung und der Liberalisierung des Denkens die Grenzen relativ
rasch fallen.
Ursprünglich intensiv verwoben, haben beide Branchen bis in die 80-er Jahre ein ausgeprägtes
Abtrennungsbedürfnis empfunden, weil nach damaliger Auffassung eine völlige Durchmischung der Geschäfte aus Gründen der Risikoverminderung nicht im Interesse der Institutionen lag. Dennoch war man sich stets bewusst, dass grundlegende Gemeinsamkeiten bestehen:
− die Abwicklung von Finanzgeschäften,
− die Tätigkeit im Dienstleistungsgewerbe,
− der Massengeschäftscharakter,
− die Wirkung als Kapitalsammelbecken,
− das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit,
− die Bedeutung des Vorsorgegedankens,
− die staatliche Beaufsichtigung.
Führte diese Einsicht in einer ersten Phase zu einem Bedürfnis nach klarer Trennung und
peinlicher Respektierung der vorhandenen (Produkt-)Grenzen, so hat das Funktionendenken
im Marketing nach und nach eine Drucksituation zur Überschreitung der Grenzen
bewirkt. Bis vor kurzem schien sich die Konkurrenz nur in bestimmten Feldern und bezüglich
konkreter Produkte (insbesondere Sparen im Zusammenhang mit der sozialen Sicherung) zu
vollziehen. Stellt man aber die Frage nach dem massgebenden Grundbedürfnis und nach den
wahrgenommenen Funktionen, so wird deutlich, dass sich seit 1970 die
Funktionenüberlappung schrittweise verstärkt hat, und dass sich mit der Einführung des
Marketing auch die Interpretation der einzelnen Finanzdienstleistungen verfeinert hat.
So lassen sich (nebst anderen Konzeptionen) sechs wesentliche Teilfunktionen unterscheiden, welche – mit Blick auf Privatkunden – in verschiedener Intensität wahrgenommen und
durch diverse Dienstleistungen unterstützt werden können:9
•
•
•
Einnehmen
Ausgeben
Vermögensbildung/Sparen
über Löhne, Zinsen, Geschenke, Erbschaften etc.;
für Lebensunterhalt, Investitionen, Ausbildung etc.;
zwecks Vorsorge, Freiheit, Unabhängigkeit;
Diese drei Grundfunktionen ziehen drei ergänzende Funktionen nach sich:
•
Anlegen
im Zusammenhang mit der Vermögensbildung;
•
Schützen
gegen Einkommensentgang, unerwartete Ausgaben,
Vermögensverluste;
•
Verteilen
Transaktionen im Zusammenhang mit Finanzen.
9
vgl. auch Bätscher R., Financial Services für den privaten Haushalt - Entwicklung, Funktionen und konzeptioneller Ansatz im Lichte des Service-Gedankens, St.Gallen 1989
15
Es fällt auf, dass sich die „Belegung“ der Funktionenfelder seit den siebziger Jahren
merklich verschoben hat (Abb.7). Aus der Perspektive des Versicherers beschrieben, beschränkt sich dieser vorerst auf den Risikotransfer und stösst bloss mit dem Keil der finanziellen Vorsorge in den Sparbereich der Banken vor. Findet hier im Risk Management somit
noch eine Konzentration auf das Insurance Management statt, erweitert sich der
Funktionsbereich des Versicherers in der nächsten Phase auf alle güterlichen (Risk control)
und finanziellen (Risk financing/captives) Schutzfunktionen. Die anschliessende Phase steht
im Zeichen des „Gegenzugs“ der Banken: Sei es, dass sie Versicherungstöchter gründen, sei
es, dass Allfinanzkonzerne geschaffen werden, stossen sie in den Funktionenbereich des
„Schützens“ vor, während die Versicherer, wie bereits erwähnt, ihre Leistungen im Bereich
der (nun integrierten) Financial Services nach Kundensegmenten arrondieren.10
Abb.7: Verschiebung der Funktionenfelder – aus der Perspektive der Assekuranz
Die Situation der Jahrtausendwende ist mit den bisherigen Kriterien nicht mehr darstellbar:
Einerseits haben sich die Banken ihrerseits nach Teilfunktionen segmentiert und
divisionalisiert, andererseits sind zwischen Asset Management und Financial Risk
Management neue kombinierte Bereiche entstanden, welche kaum mehr der einen oder der
anderen Seite zuzuordnen sind. Dies trifft vor allem für ART – im Zwischenfeld von
Versicherung und Investment Banking – zu. 11
Ist daraus der Schluss zu ziehen, dass die Trennung zwischen Bank und Versicherung nun
obsolet ist und in naher Zukunft eine (umfassende) Integration im Sinne von „Allfinanz“
stattfindet? – Unsere These ist, dass sich zur Zeit eine neue Qualität von
10
Zur Marktverschiebung in der Schweiz vgl. Kuhn M., Allfinanz – ein Konzept mit Zukunft? in: SVZ 65 (1997)
S. 253 ff
11
vgl. Swiss Re, Rethinking Risk Financing, Zürich 1996
16
Funktionenorientierung und Organisationsentwicklung herausbildet, deren Konturen
sich abzeichnen:
- im Zeichen der Dienstleistungsgestaltung: die Tendenz zu einem umfassenderen Konzept
des „Produkts“:
- im Zeichen der Aufgliederung der Wertschöpfungsketten: die Tendenz zur Entwicklung
von Financial-Services-Netzwerken, in denen sich die Frage nach Branchen und
herkömmlichen Identitäten relativiert.
4. Finanz-“Dienstleistung“: Von der Funktionenorientierung zum erweiterten Produktkonzept
Obwohl das Marketingkonzept schon in seinem Ursprung das Kundenbedürfnis ins
Zentrum rückt, fordert die Entwicklung zur Dienstleistung die „Produzenten“ grundsätzlich
heraus: Weil sich „Dienstleistungen“ stets in Prozessform abwickeln und weil der
Interaktion mit den Kunden (im einzelnen) verschiedenartige Bedeutung zukommt, muss
die Dienstleistungsunternehmung grundsätzlich von drei neuen Qualitäten des „Produkts“
ausgehen: Bei der Dienstleistung
• erfolgt die Leistung nicht zu einem Zeitpunkt, sondern vollzieht sich in einem Zeitraum;
• tritt an die Stelle einer „Produkt“-Übergabe die Funktionserfüllung über die Zeit;
• steht nicht mehr das „Haben“ oder „Besitzen“, sondern das Pflegen (Care) im
Vordergrund.
Je mehr sich das zentrale Produkt einer Branche von der materiellen Stofflichkeit entfernt,
desto intensiver sind die Konsequenzen aus diesen drei grundsätzlichen Verschiebungen.
Was sich im Hotel- oder Restaurant-“Produkt“ ohne weiteres (und real erlebbar)
manifestiert, muss in den ehemals kartellierten und verwaltungsnah geführten Branchen
relativ mühsam entwickelt und in das Verhalten aller Unternehmensangehörigen
„implementiert“ werden. Knackpunkt ist die (überall vorhandene) Einsicht, dass nicht der
Abschluss der richtigen Versicherung und ebenso wenig die blosse korrekte Führung des
Bankkontos „Produkte“ darstellen, welche im Sinne des Marketing eine Kundenbeziehung
begründen und das Kundenbedürfnis erfüllen. Weil mit dem Konzept „Dienstleistung“ die
Funktionserfüllung über die Zeit zum zentralen Kriterium des Erfolgs wird, resultiert die
Gesamtleistung aus der Abfolge von Kundenkontakten, aus der steten Erfassung der
(Teil)-Bedürfnisse und aus der Erbringung einer Vielzahl von (Teil-)Services. Diese
Gesamtheit von (Teil)-Leistungen, im Service-Management als „moments of truth“
charakterisiert, führt schliesslich zur „Produkt-Qualität“:
• als Ergebnisqualität die wahrgenommene Qualität des Resultats,
• als Verrichtungsqualität die wahrgenommene Qualität auf dem Weg dazu.12
12
vgl. Lehmann Axel, Dienstleistungsmanagement, Strategien und Ansatzpunkte zur Schaffung von Servicequalität, 2.
Aufl. Stuttgart/Zürich 1995; Irons Ken, The Marketing of Services, Berkshire 1957
17
Daraus resultiert die Forderung, dass Dienstleistungen im Finanzbereich aus der
Serviceperspektive definiert sind und die durchgehende Funktionserfüllung den Massstab
für die Leistungserscheinung bildet. Aus einer solchen Sicht kommt es zur grundsätzlichen
Kritik am industriell geprägten (und dort im übrigen auch nicht mehr gültigen)
„Produkt“-Verständnis. Es geht im Zeichen der Service-Leistung nicht mehr darum, ein
primär wichtiges Kernprodukt mit „Zusatzleistungen“ und „Services“ anzureichern,
vielmehr ist die Perspektive umgekehrt: Im Rahmen einer optimalen Kundenbeziehung
über die Zeit werden ausgewählte (nur zum Teil präzis definierte) Funktionen
wahrgenommen, und in dieser „Schale“ können (unmittelbar oder über die Zeit)
Problemlösungen entstehen bzw. erarbeitet werden, welche ihrerseits konkrete, zum Teil
herkömmliche Produktkomponenten enthalten. Im Dienstleistungs“ambiente“ ist primär
nicht entscheidend, welche der verschiedenen Ebenen schliesslich den cash flow generiert.
Der „Produzent“, der bei Kundin und Kunde auf die Dauer Erfolg haben will, muss die
Komponenten vorerst als Kuppelprodukte auffassen und dann die Entscheidung fällen,
welche Komponenten selbständig erzeugt werden und welche andern allenfalls aus einer
Kooperation erwachsen.
Nimmt man als Ausgangspunkt die herkömmlichen Branchenperspektive, z.B.
„Versicherung“ so kann man vom traditionellen „Kernprodukt“ ausgehen, um – in einem
„Drei-Ebenen-Konzept“ die integrierte Dienstleistung zu definieren. 13(Abb.8)
Ebene 1 verkörpert das Kernprodukt (Sparplan, Versicherungsschutz etc.)
• Ebene 2 umfasst die Marktleistung, d.h. die konkrete Problemlösung unter Einschluss
der Beratung zur Kernfunktion;
• Ebene 3 schliesst erweiterte
Leistungen und Funktionen
ein, welche auf die spezifische
Lebenssituation Rücksicht nehmen
und so die Gesamtleistung unter der
Perspektive Kundenbeziehung
abrundet.
•
Abb. 8: 3-Ebenen-Konzept - auch für Finanzprodukte
Es versteht sich von selbst, dass die Leistungen als Ganzes nur dann den höchsten Kundennutzen (und damit auch die grössten Marktchancen) enthalten, wenn die drei Leistungsebenen unter sich optimal abgestimmt sind. So wird ein komplizierter Versicherungsschutz mit kompetenter Abschlussberatung verkauft; dagegen ist das Massenprodukt
„Autohaftpflicht“ zunächst kaum beratungsintensiv, erhält aber auf der 2. und 3. Ebene
entscheidende „Ergänzungen“, sobald der Haftpflichtfall eintrifft. Im Hinblick auf das
Konzept „Dienstleistung“ ist die Leistung der Aussendienste im Produkt integriert:
Inhalt und Qualität ihrer Arbeit verkörpern einen Teil der Gesamtleistung.
13
Zum 3-Ebenenkonzept vgl. Haller M./Ackermann W., Versicherungswirtschaft kundenorientiert. Vereinigung für
Berufsbildung der schweizerischen Versicherungswirtschaft (Hrsg.) Zürich 1992, S. 3-11
18
Wurde in den achtziger Jahren das 3-Ebenen–Konzept in erster Linie mit Blick auf die
potentiellen Substitutionsgefährdungen der Versicherung in „Assekuranz 2000“ (Abb.9)
angewandt, so können heute bei wenig veränderten Inhalten die drei Ebenen als Kriterien
für (frei wählbare und gestaltbare) erweiterte Leistungskonzepte auf autonomer Basis oder
in Form von Kooperationen verwendet werden. Was schon die Analyse der
Bank/Versicherungsbeziehung im Rahmen des 3-Ebenen-Models aufzeigt, ist - heute
bedeutend flexibler - auch im deregulierten Markt gültig:
Abb.9: Substitutionsbeziehungen auf drei Ebenen - am Beispiel Versicherung/Bank (aus: Assekuranz 2000)
Funktionen werden oft mit verschiedenen Kernprodukten wahrgenommen, treffen sich
aber auf Ebene 2 (Marktleistung) und Ebene 3 (erweiterte Leistungen). Welche Gesamtleistung schliesslich vom Kunden auf Dauer den Zuspruch erhält, wird damit durch
„Nebenaspekte“ festgelegt: Convenience (als einfache, schnelle und mühelose Erledigung
des Problems), Ort und Ambience der Zusammenkunft mit dem Kunden (meist
nachlässig als „Vertriebsweg“ bezeichnet) und schliesslich die generelle Servicefähigkeit
des Dienstleisters bestimmen den tatsächlichen Erfolg am Markt.
Mit Blick auf die US-Financial-Services-Initiativen (Abschn.1) lässt sich nach dem 3-Ebenen-Konzept die Feststellung treffen, dass die führenden Initiatoren – nämlich Warenhaus,
Kreditkartenunternehmung und Bank – in erster Linie mit „Produktkomponenten“ der 3.
Ebene operieren, also mit ungewohnter Umgebung, mit neuartigen „Kanälen“ etc. Obwohl
im Sinne eines integrierten, auf Lebenssituationen bezogenen Service angedacht, hat man
damit offenbar die Kundinnen und Kunden überfordert. Dagegen verzeichnet mehr Erfolg,
wer entlang der Denklinien und Gewohnheiten des herkömmlichen Finanzgeschäfts
operierte, nämlich Makler und Berater. Darüber hinaus geht aus Abb.9 hervor, dass die
industriebezogenen Services der 2. und 3. Ebene – von Eigenversicherung über Captives
bis zum Captive-Management - letztlich allesamt erfolgreich waren, weil sie den Grundstrukturen des Denkens im Industriemarkt entsprachen.
19
Im Zeichen der Deregulierung und der freien Gestaltung von Leistungspaketen führen die
konkreten Erfahrungen zur Einsicht, dass – mehr denn je – die gegenseitige, inhaltliche
Abstimmung zwischen den drei „Produkt-Ebenen“ im Finanzdienstleistungsmarkt
erfolgsentscheidend wird: Kernprodukt, Marktleistung und erweiterte Funktionen sind
unter sich koordiniert und enthalten neben den technisch-ökonomischen Komponenten
stets auch die (wohlreflektierte) psychisch-soziale Dimension.
Weil Kundinnen und Kunden primär die „Oberfläche“ der Leistungspakete wahrnehmen,
versteht sich von selbst, dass die Aktivitäten des Kundenkontakts in die 3-EbenenKonzeption eingeschlossen sind und damit die Leistungen (und das Verhalten) der sog.
„Vetriebsorgane“ zum Produkt zählen. Fazit: Die Funktionenorientierung verwirklicht sich
einheitlich und konsequent in den drei Ebenen und den erwähnten Dimensionen. (Abb. 10)
Durchgehende Kundenfunktionen
Abb. 10: Konsequente Integration der Funktionenorientierung in das Produkt
Wer die Erweiterung des Produktkonzepts bejaht, wird auch eine Reihe von praktischen
Konsequenzen ziehen müssen. Diese betreffen
• zum einen die Verknüpfung der drei Produktebenen;
• zum andern die Optimierung zwischen der technisch/ökonomischen und der
psychologisch/sozialen Dimension
Die Verknüpfung der drei Produktebenen in Finanzdienstleistungen führen zu
praktischen Konsequenzen:
1. Die Kernprodukte aller Finanzdienstleister bleiben zwar als (qualitativ hochstehende)
Produktmodule wichtig, verlieren aber im Verhältnis zur Gesamtsleistung gegenüber
den Kunden an Gewicht.
2. Wenn von neuen „Produkten“ die Rede ist, fordert die Funktionenorientierung, dass
nicht bloss die Kernprodukte, sondern das integrierte Leistungspaket angesprochen
wird. (Wie die Erfahrungen aus Managementkursen zeigen, bereitet diese
Umorientierung dem herkömmlichen Branchenvertretern besonders Mühe.)
20
3.
Wenn es auch völlig üblich ist, in Anlehnung an (veraltete) Vorstellungen der
Industrie bei Financial Services von „Produktion“, „Absatz“ und „Absatzkanälen“
zu reden, so wird der funktionenorientierte Finanzdienstleister solche Begriffe
vorsichtig verwenden, weil sie die integrierte Kundenorientierung systematisch
behindern. (Wie „Kanäle“ agieren und kommunizieren zu wollen, ist nicht nur ein
sprachliches Problem: Mit dem Zerrbild von „Absatz“ und „Vertrieb“ wird noch
immer die Vorstellung genährt, dass die (Dienst-)Leistung nicht vorne bei Kundinnen
und Kunden, sondern „hinten“ - im back office – entsteht und sodann in Richtung
„Front“ verschoben wird. Damit werden wichtige Organe des Finanzdienstleisters und
seiner Partner systematisch entwertet, ganz abgesehen davon, dass alle Vorstellungen
von „hinten“ und „vorne“ angesichts der neuen IT-Applikationen ohnehin fragwürdig
sind.
4.
„Vertrieb“ wird im Dienstleistungsbereich nur dort seine Bedeutung bewahren, wo es
um die Integration eines (eigenen) Produktes in eine nachgelagerte
Wertschöpfungsstufe geht. (Auf dieser nächsten Stufe scheint es dann nur noch als
Leistungskomponente auf.) Auch die Begriffswelt der „alternativen
Vertriebskanäle“ – z.B. bezüglich Direct Bank und Telefonverkauf - führt zu
ähnlichen Missverständnissen. Es handelt sich hier – auch bei identischem
Kernprodukt – um eine neue, andersartig integrierte Produktform, bei der die
kommunikative Funktion als Einheit einen ganz bestimmten Kundentypus – mit
eigenem Erleben der Finanzdienstleistung - anspricht. Das „Direkt-Segment“ wird
seine eigene Leistungswelt noch verstärkt vom herkömmlichen Markt loslösen;
ähnliche Überlegungen, aber in ihrer Konsequnez noch tiefgreifender, gelten für den
Internet-Bereich.
5.
Schliesslich wäre den erfolgreich operierenden Finanzdienstleistern zu wünschen, dass
Test- und Ratingorganisationen doch noch erkennen, welche Qualitäten integrierte
„Produkte“ im Zeichen der Dienstleistungsgesellschaft annehmen können und es
nicht damit getan ist, Produkte–“Tests“ bloss anhand von „Rennlisten“ bezüglich der
Preise der Kernkomponenten zu konzipieren.14
Auch die Unterscheidung von technisch-ökonomischer und psychologisch-sozialer
Dimension führt – in Kombination mit den drei Produktebenen – zu nachhaltigen
Konsequenzen. Je mehr wir nämlich vom Kernprodukt in Richtung der erweiterten
Funktionen vordringen, desto mehr gewinnt das Bündel von erweiterten Funktionen eine
erfolgsentscheidende Bedeutung. Nun neigt man aus wissenschaftlich-kognitiver
Perspektive dazu, das Kernprodukt als Ausgangspunkt und die weiteren Ebenen
entsprechend als „Ergänzung“ zu interpretieren; zieht man aber die lebensweltliche
Erfahrung der Kunden und Kundinnen zu Rate, so dürfte sich in vielen Fällen die
Perspektive umkehren: Hier wird primär die Einbindung in die Lebenssituation (erweiterte
Funktionen unter speziellen Bedingungen) wahrgenommen, dann die (stärker kognitiv
geprägte) Beratung und erst am Schluss das Kernprodukt, das aus der Kontaktaufnahme
und über den Zeitraum des Serviceprozesses resultiert.
14
Haller M./Lehmann A. , Versicherungsprodukte im „Warentest“ – Zur Problematik des Vergleichs von Dienstleistungen , in: Festschrift der Alten Leipziger Versicherung Aktiengesellschaft zum 175jährigen Jubiläum,
Leipzig 1994, S. 135-148
21
Oder auf die Schematik der drei Produkteebenen übertragen: Kundinnen und Kunden
erleben das „Produkt“ im Zeitablauf immer wieder „von aussen nach innen“, während
die herkömmliche Denkweise des Finanzdienstleisters eher „von innen nach aussen“
orientiert ist. 15
Der Erfolg des Produkts wird schliesslich durch eine günstige Kombination aller Ebenen
bestimmt. Wie vielfältig dabei die Erfolgsvoraussetzungen sind, lässt sich ansatzweise in
einer Aufreihung der Leistungskomponenten in einem Spannungsfeld darstellen. (Abb.11)
Vom reinen Sachproblem, dessen Lösung sachlich-rational in relativ klaren und planbaren
Strukturen erfolgen kann, führt der „Komponentenmix“ über Art und Ort der Begegnung
etc. bis hin zur Interaktion und zur (gemeinsamen) Identität, die letzteren auf offene
Strukturen und eine Verschmelzung zwischen Leistungserstellung und Leistungsempfang
basierend. Hier trifft die psychologisch-soziale Dimension in den Vordergrund.
Fusion von Leist er
und Leistung;
relat iv off ene
St rukturen
Identit ät
Interaktion
Kommunikationsf orm
Begegnung
Soziale Einbettung
" noch-mehr" Convenience
Problemlösung
relat iv geschlossene St rukturen;
klare Identität
des Leisters/
der Leistung
Convenience (Einfachheit, elegante Lösung)
technisch-ökonomisch
psychologisch-sozial
Abb. 11: Aufreihung von Leistungsinhalten im Komponentenmix
Werden nun die Hauptakteure im FS-Wettbewerb, nämlich Banken und Versicherungen,
nach ihren Erfolgschancen beurteilt, so wird man zumindest bei Privatkunden davon Abstand nehmen müssen, nur die bestmögliche, sachlich-rationale Lösung eines Finanzproblems als Masstab für die Qualitätsbeurteilung zu wählen.
15
Dieser Unterschied mag auch den Erfolg jüngerer „Makler“–Unternehmungen erklären, welche die Beratung in
speziellen Lebenssituationen (z.B. Assessments für angehende Ärzte) zum Ausgangspunkt nehmen, um anschliessend
Finanzprobleme anzugehen, z.B. MLP vgl. dazu Lautenschläger M., Mythos MLP, Erfolgsgeschichte eines
Finanzdienstleisters , Frankfurt 1996
22
Jede einzelne Komponente des „Produkts“ wird durch Kunden – bewusst und unbewusst –
ins Urteil einbezogen, und wer schliesslich mit Erfolg „das Rennen macht“, ist von einer
schwer zu sezierenden Gesamtbeurteilung abhängig. Immerhin können Motivforschungen
einige Anhaltspunkte vermitteln, wem beispielsweise Privatkunden in welchem
Zusammenhang
einen Vorschuss an Vertrauen und Problemlösungsfähigkeit
entgegenbringen: Danach geniessen Banken spontan eher mehr Vertrauen; werden jedoch
längerfristige Aspekte – wie Risikoausgleich, Kontinuität, Kapitalsicherheit und
Begleitung über die Zeit – ins Spiel gebracht, so werden eher die Versicherungen
bevorzugt. Mehr als dies vielleicht den Planern überlappender Produktfelder lieb ist,
scheinen Kundinnen und Kunden tiefer reichende Kriterien anzuwenden, welche sich auf
„Lebenshilfe“ beziehen: die Bank eher für Lebenslagen, in den es um Auf- und Ausbau,
um künftige Mehrung von Gütern (mit Gewinn) geht, die Versicherung dagegen als
Garant, der für das Über-Leben nach Unglücksfällen und Störungen, auf Ent-Schädigung
und die Sicherung eines bestehenden Wohlstands-Niveaus zuständig ist.16 Es wird
spannend sein, den weiteren Erfolg von „Bancassurance“ und „Assurfinance“ nach solchen
Masstäben zu verfolgen; sicher ist, dass es angesichts der differenzierten Motivlagen wenig
Sinn macht, die herkömmlichen „Spezialitäten“ einfach einzuebnen.
Was die Versicherer betrifft, so werden sie mit Vorteil darauf bedacht sein, im Rahmen
von „Allfinanz“-Lösungen ihre angestammten (und zugeordneten) Stärken, nämlich
Gefahren- und Schadenüberwindung (im Sinne des herkömmlichen „Risk Management“)
vorerst als Grundkompetenzen beizubehalten. Ergänzt durch Care, dem Gedanken der
kontinuierlichen Unterstützung, besteht die Ausgangsbasis, um im Rahmen der
„Assurfinance“ die Aktivitäten auch auf „positive Risiken“ (mit Gewinnchancen) und
auf die Finanzoptimierung schlechthin auszuweiten. Auf diese Weise lässt sich auch das
vielerorts angestrebte Asset Management mit der Grundfunktion verbinden.
Das Fazit solcher Überlegungen ist – je nach Standort – ernüchternd oder beruhigend:
Finanzdienstleister, welche über die Funktionenorientierung zu einem erweiterten
Produktkonzept (3 Ebenen) vorstossen, werden neben der generellen Verstärkung der
Serviceorientierung vor allem die psychologisch-soziale Dimension in ihrer Leistung
berücksichtigen und vermehrt darauf achten, dass im Komponentenmix der
Gesamtleistung eine gegenseitige Verstärkung erfolgt. Die Perspektive „von aussen
nach innen“, gleichberechtigt neben der traditionellen („von innen nach aussen“) führt vor
allem zu einer veränderten Einschätzung des „Vertriebs“ und der „Vertriebs“-Organe, weil
deren Aktivitäten einen bedeutenden Anteil der Wertschöpfung verkörpern. Die
Finanzdienstleistungs-Netzwerke (Abschn. 5), welche zur Zeit in Enstehung begriffen sind,
dürften die Wettbewerbsrelevanz einzelner Komponenten noch entscheidend verstärken.
16
vgl. Pesendorfer B., Kundenmotive rund ums Geld. In Allfinanzvertrieb – zwischen Vision und Wirklichkeit,
Tagungsband zur 24. Schwerpunkttagung der I.VW Management Information vom 3. November 1993,
St. Gallen 1994, S. 57 ff; Schwarz G. Produktwidersprüche und Organisationskonflikte, (Aporien von
Versicherungen und Banken), in: Konfliktmanagement, Gabler-V., Wiesbaden 1995
23
5. Verwirklichung der „Financial-Services“ im Netzwerk?
Über Mergers & Acquisitions, Joint Ventures und Produktinitiativen sind in jüngster Zeit
viele Veränderungen initialisiert worden, doch muss ebenso berücksichtigt werden, dass
die meisten von ihnen die Kunden (noch) nicht in konkreter Form (und zumindest nicht
flächendeckend) erreicht haben. Ob dies wirklich der Fall ist, hängt in erster Linie davon
ab,
− ob die wirklichen Kundenbedürfnisse getroffen werden;
− ob die erwünschten Funktionen bei den Kunden tatsächlich erfüllt werden;
− ob integrierte Produktkonzeptionen (3-Ebenen) verwirklicht werden, die die
einzelnen Kundensegmente bedienen.
Die Voraussetzungen dazu sind allerdings günstig, denn die einschlägigen Branchen befinden sich in der Übergangsphase zu neuen Strukturen und Marktleistungen. Dabei
kommt es zu selbständigen „Marktschöpfungen“, bei denen Finanzdienstleistungen eine
der zentralen Rollen einnehmen. Gleichzeitig ergab sich im Verlauf der letzten zehn Jahre
eine interessante Schwerpunktverschiebung: Stand bis vor kurzem die Kundenorientierung
als Prinzip im Zentrum, hat sich mit der Deregulierung der Freiheitsgrad für die echte Problemorientierung schlagartig erhöht. Damit ist insbesondere eine innovative Produktgestaltung möglich, was seinerseits eine völlige Neugestaltung der Wertschöpfungsprozesse nach sich zieht. Konkret ist zu erwarten, dass die drei Komponenten der Kundenorientierung, der Problemorientierung und der Wertkette in den kommenden Jahren zu einer
integrierten Dienstleistung verschmelzen. (Abb.12)
Abb. 12: Interaktion der Wertschöpfung als aktuelle Tendenz
Die Tendenz zur Neubeurteilung der Wertschöpfungsketten wird nicht nur durch die Deregulierung und die Branchenverschmelzung, sondern ebenso durch die Übertragung des
Konzepts der Kernkompetenzen (Prahalad/Hamel) 17 auf den Dienstleistungsbereich
beeinflusst. Grundhypothese des Konzepts ist bekanntlich die These, wonach die Konzentration auf wenige, zentrale Fähigkeiten es den Unternehmen erlaubt, rasch neue Märkte zu
erfinden und entstehende Märkte schnell zu betreten, weil darauf verzichtet wird, die ganze
Wertschöpfungskette zu beherrschen. Ob Prahalads Regel, wonach Unternehmungen nur
fünf oder sechs grundlegende Kompetenzen wirklich beherrschen können, auf Finanz17
vgl. Prahalad C.K., Hamel G., Nur Kernkompetenzen sichern das Überleben, in: Harvard Manager, 2/1991, S. 66-78
24
dienstleistungen übertragen werden kann, ist zur Zeit Gegenstand einer Grundsatzdebatte;
sicher ist, dass das Denken in Kernkompetenzen auf ein Spannungsfeld hinweist, in dem
sich jede einzelne FS-Unternehmung künftig zu positionieren hat:
• auf der einen Seite die Beschränkung auf relativ wenige Kompetenzen, dem ein
liberaler Umgang mit dem Zukauf von Leistungen (outsourcing) und eine positive
Einstellung zur zwischenbetrieblichen Zusammenarbeit entspricht;
• auf der anderen Seite die Gefahr, allzu locker auf externe Kooperationen einzugehen
und damit (vor allem im eigenen, angestammten Markt) einen Autonomieverlust zu
erleiden.
Das Spannungsfeld lässt es ratsam erscheinen, die Entwicklung von Kernkompetenzen zum
vornherein als längerfristige Führungsaufgabe zu verstehen. Gerade, weil dem so ist, wird
jede einzelne FS-Unternehmung vor die Aufgabe gestellt, die Vorstellung von hierarchisch
gegliederten, voll integrierten Leistungsprozessen zu relativieren und die Möglichkeiten zu
prüfen, sich in den künftigen Leistungsnetzwerken zu positionieren. Nur für wenige
Unternehmen wird es noch möglich, bzw. rentabel sein, die Vielfalt der möglichen (und
nötigen) Ausprägungen in der eigenen Organisation zu verwirklichen und damit einen
gesamten Marktbereich zu belegen. Für alle übrigen tritt an die Stelle der einheitlich
beherrschten Wertkette eher die Bereitschaft zur Vernetzung: Alles wird mit allem
verknüpft, und die zentrale Herausforderung wird für jede Unternehmung darin bestehen, jene
Leistungskomponenten auszuwählen, die auf Kernkompetenzen gründen und die individuelle
Identität im Netzwerk ermöglichen.
Im Rahmen des Gesamtnetzwerks lösen sich die bis anhin integrierten Bank- oder
Versicherungsunternehmen in einem gewissen Sinne auf: Ihre Komponenten erhalten
mehr Selbständigkeit, während sich zugleich neuartige Dienste-Leister heranbilden, welche
teils autonom, teils abhängig operieren.
Es ist schwierig, den daraus entstehenden Markt als Netzwerk schon heute im Detail zu
beschreiben. Man kann allerdings davon ausgehen, dass in diesem Netzwerk
•
jeder Anbieter vor allem jene Leistungskomponenten bereitstellt, bei denen er über besondere Fähigkeiten (Kernkompetenzen) verfügt,
•
sich aufgrund verschiedenartiger Kernkompetenzen der Markt neu konstituiert und auf
jeder Ebene - mit je eigenen Kunden und Problemlösungen - individuelle Funktionen erfüllt werden, und neuartige Anbieter mit je spezifischen Dienstleistungen auftreten.
Weil solche Thesen „theoretisch“ anmuten, sei im folgenden ein Szenario aus der Perspektive
der Assekuranz vorgestellt, das unter dem Titel „Versicherung im Netzwerk 2.007“ zur Zeit
(in Zusammenarbeit mit der Praxis) verfeinert wird. Seine Basisthese ist es, dass sich der
vormals geschlossene und identifizierbare Versicherungsmarkt im Verlauf des kommenden
Jahrzehnts in horizontal und vertikal gegliederte Bereiche aufsplittert, in denen (schon 1983
prognostizierte) „Teilmärkte mit Versicherungen“ Realität werden. (Abb. 13)
25
1)
2)
3)
4)
5)
Abb.13: Differenzierung der Wertschöpfung im Netzwerk der Finanzdienstleistungen (Perspektive Assekuranz)
Auf Stufe (1) Endkunden werden Kundengruppen mit spezifischen Bedürfnissen (Sicherung,
Anlage, Care etc.) von unterschiedlichen Dienstleistungseinheiten (Aussendienste, Makler,
Telefonvertrieb etc.) mit Leistungen auf den genannten drei Ebenen (2) bedient und ergänzend durch Service-Centers (3) unterstützt. Der Versicherungsschutz (4) wird künftig weitgehend modular produziert und auf differenzierten Risikomärkten (Rückversicherung, Börsen, Derivate etc.) (5) seinerseits abgesichert. Insbesondere die Stufen des Bankenvertriebs
(3) und der Kooperation auf den Finanzmärkten im Zeichen des Alternativen Risikotransfers
(ART) weisen auf die zunehmende Bedeutung hin, die dem Allfinanzgedanken unabhängig
von rechtlich basierten Verflechtungen zukommt.
In der ersten Phase der Netzwerkbildung mag die Wertschöpfung eher noch traditionell
anmuten, denn das Versicherungsprodukt (3 Ebenen) bildet nach wie vor den Bezugspunkt für
die gesamte Wertkette, vom (End-)Kundenkontakt bis zur Rückversicherung. Dennoch setzt
schon im „Hier und Jetzt“ die Ausdifferenzierung an, indem
· verschiedene Dienstleistungseinheiten autonom agieren und zum Teil auch Produkte
ohne Versicherungsschutz konzipieren;
· die Service-Centers den Kundenkontakt umfassend wahrnehmen;
· der Versicherungsschutz (in seinem versicherungstechnischen Kern) zum Teil bereits in
den SBU's „produziert“ wird;
· die Zusammenarbeit mit Banken sich vertieft;
· die Rückversicherer und Industrieversicherer bereits den 'Alternative Risk Transfer'
(ART) pflegen, und zwar
- ART I mit traditionellen Finanzprodukten im Zwischenbereich von Versicherung
und Kredit (Captives, deductibles etc.)
- ART II mit Finanzmarkt-Produkten, insb. in Kooperationen mit Banken;
· als „Querdimensionen“ die informationstechnische Vernetzung - insb. Intra- und Internet aufscheint.
Auf dieser Basis versetzen wir uns in den künftigen Marktzustand: In den vormals integrierten Versicherungsunternehmen verselbständigen sich die einzelnen Wertschöpfungsstufen, wobei konsequent nach den vorhandenen oder entwicklungsfähigen Kernkompetenzen
gefragt wird.
26
Daraus ergibt sich einerseits ein gezieltes Outsourcing, andererseits die Konzentration auf
Kernfelder, in denen man auch den bisherigen Konkurrenten erfolgreich Produktions- und
Leistungskomponenten anbietet: Es konstituiert sich nach und nach ein erweiterter Risikomarkt, auf dem
•
einerseits vielfältige Risikoproblemlösungen, unter ihnen Versicherungen und Anlageprodukte, angeboten werden,
•
andererseits alle Dienstleistungen erbracht werden, welche mit Blick auf die Erstellung
der Leistungen und die Vernetzung der Komponenten benötigt werden.
Wem diese Entwicklung realistisch scheint, wird sich schon heute darauf einstellen, dass im
„Netzwerk 2.007“
· nur noch eine begrenzte Zahl von Gesellschaften die „Versicherung“ als Kernprodukt
herstellen;
•
diese Tätigkeit zum Teil von „risk factories“ wahrgenommen wird;
•
auf allen Stufen neue Produkte (mit jeweils 3 Ebenen) entstehen, welche vertikal und
horizontal gehandelt werden;
•
die Einheiten mit Kundenkontakt sich noch weiter verselbständigen, egal, ob sie
rechtlich autonom oder Teil eines „Risikomarkt-Konzerns“ (bzw. Finanzkonglomerats)
sind;
•
einzelne Services (Schaden-Management etc.) ausgelagert werden
•
die Produkte im Zwischenbereich von Versicherung und Finanzmarkt beliebig
kombiniert werden18
•
Service-Centers als selbständige Anbieter von Dienstleistungen auftreten;
•
Unterstützungfunktionen vom Typus „Utility-Management“ sich verselbständigen;
•
sich am Rande des Marktgeschehens auch Gesellschaften etablieren, die - unter Nutzung
der IT-Netze - die „Virtual Insurance“ (bzw. das „Virtual Financial Center“)
realisieren, wobei sich
•
neben individuellen Internetapplikationen auch eigentliche „Internet-Cities“19 etablieren.
18
19
vgl. Swiss Re, Corporate Risk Financing – the emergence of a new market, Zürich 1998
vgl. z.B. I.VW-Insurance@Internet, Institut für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen,
St. Gallen 1996
27
ak
ler
erbe
Gew
z.B. p Z
Ty
D
Schaden-Management
Service-Center
Bereich 1
Service-Center
Bereich 2
CTI
z.B. Kooperation
traditionelle
Rückversicherungen
RV
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st rie
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Gr
Bank
C
M
B
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Gr
risk factory
Versicherungsschutz als
(w ichtige) Komponente
w ird w eitgehend
modular produziert
und auf differenzierten
Risikomärkten fein
verteilt
A
st ri e
In du
z.B. p X
Gr
Direk
t-V
fin. RM
(Industrie)
Kundengruppen mit
spezifischen Bedürfnissen
-Sicherungsbedürfnis
-Kommunikationsbedürfnis
- Care
w erden von unterschiedlichen
(ART I)
Dienstleistungseinheiten
-Aussendienst/Makler
- Berater
- Telefondienste
betreut
und durch
Service-Centers
- direkt/indirekt
- lokal/regional
- mit div. Kommunikationsmitteln
unterstützt
Co
ns
ult
an
t
Weil die Funktionen sich ausdifferenzieren und ihrerseits im Finanz- und Risikomarkt institutionelle Selbständigkeit erlangen, dürfte – mit Blickpunkt 2.007 – ein Zustand resultieren, der
aus der Perspektive des (vormals) geordneten Versicherungsmarktes als „Chaos“ erscheint. (Abb. 14)
Bank
Bereich 3
SchadenMgmnt .
Beratung/Bet reuung
z.B. Konkurrenz
Risikobörsen
(CBOT)
Derivat e/Finanzierungsinstrumente
Investoren
ART I
Retro
ART II
Banken
(ART II)
Abb.14: Ausdifferenzierung und Institutionalisierung im Netzwerk 2.007
Unter der Voraussetzung, dass sich die Netzwerk-These erfüllt, werden verschiedene Aspekte
der Financial Services in neuem Lichte erscheinen. Im Kernbereich von „Allfinanz“, der
Kooperation zwischen Bank und Versicherung, kommt es nicht nur zur Kombination und
Verschmelzung der (ehemaligen) Kernprodukte; auch die generelle Zusammenarbeit, ob
innerhalb eines Konzerns oder im Verbund, wird sich vermehrt einem liberalen Prinzip
unterziehen und die Teilfunktionen ausserhalb der definierten Kernfunktionen dem
Outsourcing oder der Kooperation zugänglich machen. Diese Kooperation beziehen vor allem
auf
die Dienste im Bereich des Kundenkontakts (Vertriebswege Bank /Versicherung)
die Entwicklung kombinierter Kernprodukte (Kombination Schutz/Kredit)
gemeinsame Service-Centers (persönlich + CTI Computer Technology Integration)
den Anlagebereich (Asset Managment)
das finanzielle Risikomanagement
die Dienstleistungen im Bereich der Securitization (bezüglich Finanzierungs- und
Sicherungsfunktionen)
Natürlich setzen solche Überlegungen voraus, dass auch in Zukunft Universalbanken und integrierte Versicherungsgesellschaften bestehen. Dies dürfte zwar der Fall sein, doch steht
noch keineswegs fest, in welcher Form sie strukturiert sein werden und welchen Anteil an der
gesamten Wertschöpfung im Bereich der Financial Services sie einnehmen. Was die interne
Strukturierung von FS-Konzernen betrifft, so ist anzunehmen, dass sie noch vermehrt in
Richtung von autonomen Geschäftsbereichen bzw. Kundensegmenten zielt und damit die
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grösseren Konzerne zu „Multispezialisten“ (Breuer) evolvieren, welche im Prinzip die selbe
Struktur wie das Netzwerk von autonomen Leistungsträgern aufweist. Ob im Zeichen einer
derartigen „Layered Competition“ (BCG) die Vorteile der (zusätzlichen) economies of scale
oder aber die Nachteile der (schwierigeren) Führungsstrukturen überwiegen, ist eine Frage der
Führungsfähigkeit und damit nur individuell zu beurteilen. Sicher ist, dass diejenigen
Marktteilnehmer sich durchsetzen, welche auf jeder Wertschöpfungsstufe die entsprechende
Kundenorientierung (auf drei Produkteebenen) verwirklichen und zugleich die Vorteile der
Spezialisierung zu nutzen verstehen. Wenn die 3. Ebene aufgrund des Dienstleistungscharakters der FS-Produkte tatsächlich die postulierte Bedeutung gewinnt, dann werden die erfolgreichsten Wettbewerber auf allen Wertschöpfungsstufen die Marktorientierung und die
Ressourcenorientierung kombinieren, jetzt allerdings auf differenzierten Marktebenen.
Ganz abgesehen davon, dass sich im Zeichen des Übergangs die Führungsrollen nachhaltig
verändern, dürften alle Grundsatzentscheidungen im FS-Bereich von vier Spannungsfeldern
geprägt sein, die in jedem Fall eine Abstimmung erfordern. Zwischen
· Angebots- und Kundenorientierung
· industriellem und dienstleistungsbezogenem Produktkonzept
· finanzieller und güterlicher (Care-)Funktion der Gesamtleistung und
· integrierter Wertschöpfung und der Konzentration auf einzelne Wertschöpfungskomponenten
wird sich in den kommenden Jahren eine ausgeprägte Individualisierung einstellen, die den
Überblick über den gesamten Finanz- und Risikomarkt zwar erschwert, jedoch für
kundenorientierte und zugleich rentable Initiativen viel Raum lässt. Financial Services –
diesmal ein Erfolg? – Die Entwicklung in den nächsten Jahren wird zeigen, welchen der hier
erörterten Kriterien die entscheidende Bedeutung zukommt.
Matthias Haller, September 1998
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