55 Zentimeter Leichtbeton

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26 Thema Massive Wände
Bauwelt 44 | 2013
Berlin, Christinenstraße 39:
das „Monohaus“ ein Vierteljahr vor seiner Fertigstellung
Lageplan im Maßstab 1:5000
Foto links: Nils Ballhausen,
Foto rechts: Edgar Zippel und
Simon Menges
55 Zentimeter Leichtbeton
Für einen engagierten Bauherrn haben zanderroth Architekten ein Mehrfamilienhaus in monolithischer Bauweise errichtet,
bei dem die formale und technische Einfachheit im Mittelpunkt steht. Sie setzen damit ein Zeichen für architektonische
Lösungen in der Debatte um den baulichen Wärmeschutz.
Text Nils Ballhausen
„Das war mal eine einfache Baustelle!“ Der Berliner Architekt
Sascha Zander grinst ein wenig, als er das sagt, weiß er doch,
dass der Autor ahnt, dass dies nur zum Teil stimmen kann. Zu
den einfachen Dingen an diesem Bauwerk gehören für den Architekten beispielsweise die Fensteranschlüsse: rings um die
Öffnung ein schmaler Dämmstreifen und ein Kompriband,
dann den Rahmen eingesetzt – fertig (Detail auf Seite 31). Das
ist Bauen wie vor hundertzwanzig Jahren, als die umliegenden
Mietshäuser in der Berliner Christinenstraße entstanden sind.
Wandstärken bis über sechzig Zentimeter wurden damals allerdings massiv mit Ziegeln hochgemauert, Handwerk im reinen
Sinne, verrichtet von preiswerten Arbeitskräften. Ein einschaliger Sichtbetonbau braucht heute viel weniger Personal, dafür
aber mehr Know-how. Das monolithische Wohnhaus von zanderroth Architekten steht mit seinem homogenen „Fleisch“
also nicht verkehrt an dieser Stelle.
Bauen wie um 1900?
In mancher Hinsicht ähneln die Rahmenbedingungen dieses
Projekts, das unter dem Label „Monohaus“ realisiert wird, der
ersten Berlinwerdung Berlins um 1900. Im Wohnungssektor
herrscht wieder Goldgräberstimmung, zumal im Bezirk Mitte,
wo inzwischen viel Geld in eilig hochgezogene Gehäuse gesteckt wird. Der Monohaus-Bauherr ist hingegen weder Bauträger noch Spekulant, sondern Inhaber einer Marketingagentur.
Stefan Karl wollte in erster Linie Wohnraum für sich und seine
Familie schaffen. Bislang – und noch bis zur Fertigstellung seines Hauses im kommenden Frühjahr – wohnt die Bauherrenfamilie zur Miete in jenem prägnanten Gebäude, das Sascha
Zander und Christian Roth (damals noch im Büro Nägeli Architekten) am weiter nördlich gelegenen Helmholtzplatz gebaut hatten (Bauwelt 40.2001). So kam der Kontakt zu den Architekten zustande, die das Vorhaben durch alle Höhen und
Tiefen begleiteten.
Seit 2007 bemühte sich der Bauherr um das Grundstück,
das lange Zeit nur mit einer Baracke bebaut war, erwerben
konnte er es aber erst zwei Jahre später. Anfangs dachte man
noch über eine Baugruppe nach; doch je mehr Bedenkzeit sich
ergab und je ausgereifter das Konzept wurde, umso weniger
Kompromisse wollte man eingehen. Nun sind unter der Mai­
sonette der Eigentümer vier Mietwohnungen entstanden. Der
Wunsch nach Einfachheit einte Architekten und Bauherrschaft.
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Maisonette 5./6.OG
Regelgeschoss
Letztere fühlte sich einer ästhetischen „Reinheit“ im fernöst­
lichen Sinne verbunden, und die Planer verzichteten gerne
einmal auf applizierte Dämmschichten und komplizierte Gewerkeabstimmungen.
Für die Architekten kam die Anregung zum Bauen mit
Leichtbeton aus der Schweiz, vor allem durch Bauten von Atelier 5 und Valerio Olgiati. Dämmbeton, wie der Leichtbeton
wegen seiner im Vergleich zum Normalbeton geringeren Wärmeleitfähigkeit auch genannt wird, ist dort im vergangenen
Jahrzehnt neu entdeckt worden. Für einschalige Außenwände
ist das Material hinreichend erprobt. Neuartig ist in Berlin die
Ausweitung des Konstruktionsprinzips auf ein siebengeschossiges Mehrfamilienhaus im Stadtkontext. Dass ein plastisches
Material wie Beton in eine Baulücke „eingefüllt“ wird, passt ir-
r Str
aße
Linke Seite: Fensteranschluss
(Lärche); über Schiebeflügel
kann der Wohnraum zur Stra­ße
geöffnet werden. Das Gebäude hat eine BGF von 939 m2
und kostete 1049 EUR/m2
netto (KG 300/400)
icke
gendwie in das Bild von Stadtreparatur. Bemerkenswert ist,
dass es wiederum ein Selbstnutzer ist, der das Wagnis eingeht,
denn: Ist Sichtbeton einmal gegossen, lassen sich Fehler kaum
noch kostengünstig kaschieren. Sichtbeton gelingt offenbar
am besten im engen Zusammenspiel von wenigen Eingeweihten: Spezialisten und engagierte Baufirmen. Das Betonierkonzept der Fachplanerin Edeltraut Hallmann liest sich wie die
Prosa-Fassung von Schillers „Glocke“: wie und womit die Schalung gereinigt, wann und wie stark der Frischbeton auf dem
Weg zur Baustelle im Transportbehälter bewegt werden muss,
welche Personen bei der Lieferung auf der Baustelle anwesend
sein müssen, wie zügig zu betonieren, wann eine Probe zu
nehmen und wohin der Innenrüttler zu führen ist. Die Rezeptur des Betons ( Rohdichte: 1,4) ist maßgeschneidert: Flugasche, Leichtsand vulkanischen Ursprungs und Blähton sind
als „Wärmedämmung“ beigemengt, Mischungsverhältnis und
Körnung bleiben Betriebsgeheimnis. Um unregelmäßige Betonierabschnitte zu vermeiden, haben die Architekten im jedem
Geschoss einen horizontalen Vorsprung angelegt, der jeweils
nach oben hin sägezahnartig zurückspringt. Die Referenz an
Olgiatis Nationalparkzentrum in Zernez ist unverkennbar
Zehd
en
Sichtbeton gelingt offenbar am besten im
engen Zusammenspiel von Eingeweihten:
Spezialisten und engagierte Baufirmen
Grundrisse und Schnitt im
Maßstab 1:333; Foto: Doris
Kleilein
Maisonette EG /1.OG
Christinenstraße
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Architekten
zanderroth Architekten, Berlin
Sascha Zander, Christian Roth
Projektleitung
Nils Schülke, Annette Schmidt
Mitarbeiter
Jana Klingelhöfer
Gleitender Anschluss
1. Obergeschoss
Bauleitung
Nico Johannsen
Tragwerksplanung
Andreas Leipold
Baustofflabor
Fläming Baustofflabor GmbH,
Treuenbrietzen
Landschaftsplanung
après-nous, Berlin
Bauherr
Angela Knewitz und Stefan
Karl, Berlin
Hersteller
Fassade Heidelberger Zement
Sanitär Duravit, Villeroy
und Boch
▸ www.bauwelt.de/herstellerindex
Zu den dämmenden Zutaten
des Leichtbetons gehören Flugasche, Leichtsand und Blähton. Links unten: die Konsistenz im Monohaus vor der
Montage des Fensterblechs
Absturzsicherung
Fugendichtband
Kompriband
PMMA-Beschichtung
Fensterabdeckung 3 mm Stahlblech
Fotos: Edgar Zippel (links
oben und rechts unten),
Doris Kleilein (links unten),
Wikipe­dia (rechts oben)
Holzblende in Fensterrahmenoptik
Flachleiste 30 x 8 mm
Was die En EV ignoriert, ist die große
Speicherfähigkeit des Betons, hier erwarten
die Planer weitere positive Effekte
(Seite 31), die sparsame Gliederung ist aber auch ein geschickter Kniff, um die Fassade mit den Stuckgesimsen der Nachbarhäuser zu verzahnen.
Für die Dimensionierung der Außenwände war in erster
Linie die DIN 4108 maßgeblich, die den Mindestwärmeschutz
von Bauteilen festlegt. Aus der Messung eines Probewürfels
ergab sich, dass der Leichtbeton, der im trockenen Zustand einen Lambda-Wert von 0,38 W/mK hat, bei einer Wandstärke
von 55 Zentimetern den Grenzwert der DIN einhält. Der rechnerische U-Wert der Außenwand beträgt 0,647 W/m2 K. Die
massive Außenwand dämmt ungefähr genauso gut wie eine
fünf Zentimeter starke Dämmstoffschicht ( WLG 035).
Diese – verglichen mit einer konventionellen WDVS-Fassade eher mittelprächtigen Kennzahlen – werden durch die
kompakte Bauweise des Hauses kompensiert, das zudem an
zwei Seiten an Bestandsbauten angrenzt. Auch die Brandwände
sind in Leichtbeton ausgeführt. Da die Energieeinsparverordnung (EnEV) Wärmeverluste und -gewinne des Gebäudes als
Ganzes betrachtet, flossen in die Berechnung auch die solaren
Gewinne ein, die über die großformatigen Fenster erzielt werden. Was die EnEV ignoriert, ist die große Speicherfähigkeit
des Betons; hier erwarten die Architekten weitere positive Effekte. Die Heizenergie kommt von einem effizienten „ZuhauseKraftwerk“ (Kraft-Wärme-Kopplung), das ein alternativer Energieversorger im Keller installiert hat.
Dass die Typologie dieses Hauses mit seiner unbeholfenen
Parkgarage im Erdgeschoss eher im Privaten als im Großstädtischen verortet ist, ist wegen des individuellen Engagements
des Bauherrn nachvollziehbar. Mit seinen 660 Qua­dratmetern
Wohnfläche mag es nicht besonders groß sein, es zeigt aber, wie
man heute trotz verschärfter energetischer Regularien, trotz
penetranter Dämmstoffsubventionen und staatlich geförderter Luftdichtheitsnachweise anders bauen kann: seriös, angemessen und dauerhaft. Das Monohaus ist in dieser Hinsicht
ein gutes Signal für Architekten und Bauherren.
▪
Abgesehen von einer Hydrophobierung blieb der Sichtbeton unbehandelt.
Rechts: Die Außenwand besteht aus Leichtbeton;
die Decken aus Normalbeton
sind über eine Klappbewehrung angeschlossen.
Foto: Edgar Zippel
Vertikalschnitt der Fassade
im Maßstab 1:20
Literatur
Architektonisches Potenzial von Dämmbeton |
Von Patrick Filipaj | 120 Seiten mit zahlreichen Abbildungen und Plänen, 38,90 Euro |
vdf Hochschulverlag an der ETH Zürich |
ISBN 978-3-7281-3299-4
Erdgeschoss
Naturparkzentrum Zernez/CH
(Arch.: V. Olgiati):
In der Schweiz kamen in den
letzten Jahren des Öfteren
einschalige Leichtbetonwände
zum Einsatz.
Foto: Wikipedia
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