Iris Berger, betreut von Dr. Wolfgang Loibl, AIT reclip:century – Entwicklung eines Basisdatensatzes regionalisierter Klimaszenarien Es liegt auf der Hand, dass die Szenarien der künftigen Klimaentwicklung von großer Bedeutung sind, denn die Auswirkungen des Klimawandels betreffen Natur, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Doch bis vor einigen Jahren gab es noch keine Klimasimulationen mit Fokus auf Österreich und den Alpenraum. Darum hat sich nun ein Wissenschaftlerteam dieser Aufgabe angenommen. Das Projekt wurde unter der Leitung des AIT (Austrian Institute of Technology) gemeinsam mit Partnerinstitutionen – Institut für Meteorologie der Universität für Bodenkultur, Wegener Zentrum für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz und Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik – durchgeführt. Die Abschätzung, wie sich das weltweite oder auch regionale Klima entwickelt, erfolgt anhand von Simulationen mit Klimamodellen. Es werden zwei Arten von Klimamodellen verwendet, nämlich globale Modelle (General Circulation Models – GCMs) und regionale Klimamodelle (RCMs). Letztere setzen auf Daten der globalen Zirkulationsmodelle als Antrieb auf, weshalb ihre Ergebnisse von den Ergebnissen der GCMs in gewissem Umfang abhängig sind. Klimamodelle simulieren das Klimasystem der Erde in Minutenschritten mithilfe von mathematischen Gleichungssystemen, wobei die komplexen Wechselbeziehungen des Klimasystems nur vereinfacht berücksichtigt werden und die Ergebnisse bloß Annäherungen an die Wirklichkeit sein können. 1 Abbildung 1: Prinzipien der Klimamodellierung: Diskretisierung der Prozesse und Wechselwirkungen innerhalb des Klimasystems mithilfe eines 3D-Gitternetzes Dabei wird ein dreidimensionales sphärisches Gitternetz über die Erde gebreitet, und für jede „Gitterzelle“ werden die atmosphärischen und luftchemischen Prozesse sowie die Dynamik zwischen den Zellen berechnet. Atmosphäre und Ozeane sind dabei die wichtigsten Komponenten des Klimasystems, wobei es in den GCMs für beide eigene Teilmodelle gibt (z. B. simuliert das Ozeanmodell u. a. den Salzgehalt, die Meeresströmungen, die Temperatur ...). Da die GCMs im besten Fall Ergebnisse für ein Gitternetz von einer Maschenweite von 1° (oder gröber) liefern (was bei unseren geografischen Breiten ca. 120 Kilometern entspricht), muss man auf RCMs zurückgreifen, welche die atmosphärischen Prozesse für einen bestimmten Ausschnitt der Erdoberfläche genauer simulieren. RCMs übernehmen dabei die atmosphärischen Zustände des GCMs an den RCM-Gitterrändern und rechnen innerhalb des RCMs selbstständig weiter („Nesting“). Um wie bei reclip:century eine 10-km-Auflösung erreichen zu können, sind zwei solcher Nestingstufen notwendig (30 und 10 km). Abbildung 2: Die der Klimasimulation zugrunde liegenden Topografiemodelle. Links: 100×100-km-Topografiemodell, rechts: 10×10-km-Topografiemodell Im Falle von reclip:century kamen die regionalen Klimamodelle MM5 und COSMO­ CLM zum Einsatz, die Antriebsdaten der GCMs ECHAM5 und HadCM3 verwendeten. Dabei war es essenziell, eine bereits beobachtete Zeitspanne zu modellieren, um eine Überprüfung der Qualität durch Vergleich der Simulationen der Vergangenheit mit den Beobachtungen zu ermöglichen. Bei reclip:century wurde dafür der Zeitraum 1981–1990 gewählt. Erst nach der Simulation der vergangenen Entwicklung erfolgte die Simulation der Klimadynamik eines künftigen Zeitraums (2001–2050). Durch die vielen, unterschiedlich wirkenden Einflüsse ist es naheliegend, dass das Modellergebnis Unsicherheiten zeigt, welche hier kurz dargestellt werden: 2 Ein wesentlicher raumbezogener Unsicherheitsfaktor bei GCMs ist die grobe räumliche Auflösung: Einzelne kleinere Täler und Gebirgsketten werden nicht als solche im Topografiemodell abgebildet, deren lokale Wirkung wird damit nicht einberechnet, da subskalige Prozesse innerhalb einer Rasterzelle nicht berücksichtigt werden. Hierzu zählen Prozesse wie Energieumsätze an der Erdoberfläche und Konvektionsvorgänge. Effekte von Wolken und Aerosolen werden derzeit auch nicht im Detail, sondern mithilfe von Parametern berücksichtigt. Eine weitere Unsicherheit liegt in der Entwicklung der künftigen Treibhausgaskonzen­ trationen. Hierzu hat das IPCC vier Treibhausgasszenarien (A1, A2, B1, B2), die jeweils mehrere Subszenarien beinhalten, entwickelt. Für reclip:century wurden die Szenarien A1B und B1 herangezogen. In Szenario A1B geht man davon aus, dass die Weltwirtschaft stark wachsen wird und rasch neue produktive Technologien mit entsprechendem Energieverbrauch (mit breiter Streuung der Energiequellen) und Treibhausgasausstoß eingeführt werden. Ab Mitte des 21. Jahrhunderts wird mit einer rückläufigen Weltbevölkerungszahl gerechnet. Szenario B1 beschreibt eine stark vernetzte Welt, die verstärkte Einführung von ressourcenschonenden Technologien mit einem geringeren Ausstoß von Treibhausgasen und ebenfalls einen Rückgang der Weltbevölkerung ab der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts. Deshalb spielt der zeitliche Aspekt eine wesentliche Rolle: Bei den weiter in der Zukunft liegenden Zeitpunkten liegen die Ergebnisse der verschiedenen Klimamodelle weiter auseinander als zu Beginn des zu berechnenden Zeitraumes – die Unsicherheit der Ergebnisse nimmt zu, je weiter die Simulationsergebnisse in der Zukunft liegen (siehe Abbildung 3). 3 Abbildung 3: Entwicklung der bodennahen Temperatur in Europa anhand einer Vielzahl von Klimasimulationen mit dem Treibhausgasszenario A1B: 2001–2050 (Referenz: 1971–2000). Die Temperaturverläufe der für reclip:century gewählten GCM-Antriebsdaten sind orange (ECHAM5) und rot (HadCM3) markiert. RCMs helfen einen Teil der – räumlichen – Unsicherheiten der GCMs abzuschwächen, indem sie lokale Effekte durch ein feineres „Rechengitter“ besser abbilden. Wichtig ist dabei jedoch, den passenden Ausschnitt der Erdoberfläche zu wählen. Umfasst das Modell einen zu kleinen Ausschnitt der Erdoberfläche, können bestimmte globale Effekte (z. B. das Einströmen feuchter atlantischer Luftmassen oder die Wirkung von Mittelmeertiefs), die Einfluss auf das Wetter der gefragten Region haben, nicht ausreichend erfasst werden. Im Falle von reclip:century, wo das künftige Klima im Alpenraum gefragt ist, reicht der eingeschlossene Modellbereich darum vom Golf von Lyon bis Budapest und vom Nordatlantik bis zum südlichen Mittelmeer. Nun zu den Ergebnissen, die das Projekt nach 36 Monaten hervorbrachte: 4 Zuallererst ist zu sagen, dass die Simulationsergebnisse aufgrund der unterschiedlichen verwendeten Modelle und Eingangsdaten voneinander abweichen. Allerdings zeigen alle Simulationsergebnisse, dass mit einer überdurchschnittlich starken Erwärmung in Österreich wie im gesamten Alpenraum (besonders im Sommer und Herbst) zu rechnen ist. Im Sommer wird ein Temperaturanstieg von 1 bis 2,5 °C erwartet, wobei sich die Szenarien voneinander einigermaßen unterscheiden. Im Herbst kann der Anstieg zwischen 1,7 °C und 2,3 °C betragen. Im Frühling ist damit zu rechnen, dass die Temperatur im Mittel um 1 bis 1,2 °C steigt, während sie in den Wintermonaten um 1,6 bis 2,2 °C anwächst, wobei die Szenarien in diesen Monaten die größte Übereinstimmung zeigen. Im Hinblick auf den Niederschlag ist zu erwarten, dass die Niederschlagssumme entweder leichte Abnahmen verzeichnet oder fast unverändert bleibt. Lediglich im Winter sollte man mit einer Zunahme von 8 bis 13 % rechnen (siehe Abbildung 4). Abbildung 4: Erwartete Veränderungen der Jahresmitteltemperatur (Mittelwerte der Klimaperiode 2021–2050 gegenüber 1971–2000) in Abhängigkeit von der Wahl des GCMs bzw. RCMs sowie des Treibhausgasszenarios Die Ergebnisse aus reclip:century können dazu beitragen, dass sich die (österreichische) Gesellschaft auf das sich ändernde Klima besser einstellen und entsprechende Anpassungsmaßnahmen in den betroffenen Regionen treffen kann. Umstellungen in der Landwirtschaft bis hin zu Schutzbauten, die der steigenden Zahl 5 von Extremereignissen Rechnung tragen (z. B. Dämme gegen Hochwasser) wären u. a. mögliche Maßnahmen. Zurzeit ist der zweite Teil des Projekts, in dem das Klima zwischen 2051 und 2100 simuliert wird, in Bearbeitung. Insgesamt war dies ein interessanter Einblick in den wissenschaftlichen Alltag, und mir ist bewusst geworden, wie – im Vergleich zur Erdgeschichte – unglaublich schnell und stark das Klima auf (von Menschen verursachte) Veränderungen der Atmosphäre reagiert. Wichtig ist es zu erkennen, dass alles auf globaler Ebene wirkt und dass Staaten nicht zu ihrem eigenen Vorteil handeln dürfen, denn die sich daraus ergebenden Folgen reichen über die Grenzen der Verursacher-Staaten hinaus. Es war faszinierend zu sehen, was alles im Bereich Wissenschaft und Technik, von der man im normalen Alltagsleben nichts mitbekommt, möglich ist. Die bereits heute erstaunlichen Möglichkeiten bei der Klimamodellierung werden in Zukunft noch verbessert werden, sodass damit zu rechnen ist, dass die Unsicherheitsbereiche weiter reduziert und im Zuge dessen genauere Szenarien erzeugt werden können. Weiteres war es reizvoll zu sehen, mit welchem Eifer sich manche Menschen einsetzen, um eine möglichst (sozial) gerechte und umweltfreundliche Welt zu gestalten. Wien, 28. August 2012 Iris Berger Dr. Wolfgang Loibl 6