Vorwort - Club of Vienna

Werbung
Vorwort
Wir haben Krieg und zwar an allen Fronten.
Zum Beispiel Wirtschaftskrieg: Konzerne gegen Plebs.
Weil wir uns viel zu lang im Wirtschaftswachstum sonnten,
Die Sonne sank – geblieben ist uns nur der Krebs.
(aus: H. P. Heinzl „Lieder“, Text: P. Orthofer: Wir haben Krieg)
Das vorliegende Buch „Krebsgeschwür Konzern“ basiert im Wesentlichen auf
meiner Dissertation „Analytisch-empirische Vergleichsuntersuchung der Wachstumsparameter von transnationalen Konzernstrukturen und Tumoren in lebenden
Organismen unter besonderer Berücksichtigung des Verkehrssystems“. Ergänzt
wurde es durch Beiträge von fünf namhaften Vertretern des Club of Vienna 1, die
zur wissenschaftlichen Arbeit Stellung nehmen und die Wechselwirkungen zu ihren Fachdisziplinen aufzeigen.
Der Vergleich von Wachstum und Verhalten von Konzernen mit jenem bösartiger Tumore, die wir als „Krebs“ bezeichnen, war dabei nicht von Beginn an
eindeutig festgelegt. So könnte man beispielsweise ebenso von parasitärem Verhalten der Konzerne sprechen, wenn man die Prozesse der Ausbeutung von
Mensch und Natur durch Konzerne analytisch betrachtet.
Markus Knoflacher geht in seinem Beitrag „Unvergleichbares vergleichen“ besonders auf diese Unterschiede zu anderen Analogiepaaren aus der Biologie ein,
um zu untermauern, warum die Tumor-Wirt-Metapher zutrifft.
Ziel der Arbeit war auch, die Wachstumsprozesse und die ihnen zu Grunde
liegenden Parameter empirisch fassbar zu machen und in einem Modell darzustellen. Das Wachstum der Konzerne weist (in jedem Fall streckenweise und in
Unterscheidung der wesentlichen Indikatoren) exponentielles Wachstum auf.
1
Der Club of Vienna ist eine internationale Vereinigung anerkannter Persönlichkeiten, die sich mit
brisanten öffentlichen Fragen befassen und aufgrund ihrer beruflichen Laufbahn und ihres Wirkens über besondere Kompetenzen hinsichtlich Wissenschaft, Kultur, Ökonomie, Ökologie und
Politik verfügen. Aus der Arbeit des Club of Vienna sollen verlässliche, weitblickende Expertisen
und schließlich Vorschläge für die Lösung gesellschaftlicher Probleme hervorgehen. Mit seinen
bislang 22 Mitgliedern ist der Club of Vienna parteipolitisch ungebunden und ausschließlich den
Beschlüssen seiner Organe verantwortlich.
5
Dieser Wachstumsverlauf, ein inhärenter Wachstumsdrang bzw. –zwang, ist auch
bei bösartigen Tumoren zu finden. Ihr Wachstum wird lediglich durch den Organismus begrenzt und führt nach vollständiger Aufzehrung der Energie durch den
Krebs zum Tod.
Das Wachstum der Konzerne wird ebenfalls teuer bezahlt. Nicht unbedingt
und unmittelbar (kurzfristig) von jenen Menschen, die diese Produkte konsumieren. Die Menschen in Westeuropa und den USA erfahren wenig über die unmenschlichen Arbeitsbedingungen jener Menschen, die ihre „günstigen“ Waren
herstellen, über die Vertreibung der Bauern von ihrem eigenen Land und die Enteignungen, damit Konzerne dort ihre Fabriken bauen können, oder über die Verbrechen an der Natur und ihre sukzessive Zerstörung. Die drastisch gestiegene
Selbstmordrate indischer Bauern, die in Abhängigkeit von Agro-Konzernen nicht
mehr überleben konnten, zeigt einen der vielen traurigen Höhepunkte dieser neuen
Form von Sklaverei und Kolonialismus; eine Entwicklung, die der Krebs – durch
Metastasierung in andere Organe und Bereiche des Körpers ohne Rücksicht auf
Verluste – in gleicher Art und Weise betreibt.
Die Vereinten Nationen beziffern die Umweltschäden, die allein die 3.000
größten Unternehmen der Welt durch den Missbrauch natürlicher Ressourcen,
durch Verschmutzung von Luft oder Gewässern sowie das Aussterben von Arten
verantworten, auf 1,7 Billionen Euro. 1 Diese Summe stellt vermutlich eine untere Grenze dar (nicht zuletzt, weil man den Wert einer ausgestorbenen Art niemals
monetär bewerten kann). Im vorliegenden Buch werden den 100 gewinnstärksten
US-Konzernen des Jahres 2008 externalisierte Kosten (jene Kosten, die der Gesellschaft angelastet werden) von rund 23 Billionen US-Dollar zugewiesen.
Der Wachstumszwang bestimmt mittlerweile unser gesamtes Leben: Jede
Maßnahme scheint gerechtfertigt, um ein permanentes Wirtschaftswachstum aufrecht zu erhalten; selbst die Pensions-, Bildungs- und Gesundheitssysteme haben
sich die Konzerne einverleibt. (diverse Pensionsfonds haben ihr Kapital in vielversprechenden Aktien von Erdölkonzernen, wie z. B. BP angelegt). Von diesen
Ausbeutungsprozessen profitiert nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung.. Die
Tendenz weist in eine Zukunft zwischen zwei Extremen: „Obdachlosigkeit oder
Überfluss“. Dabei spielen Zinssystem, privatisierte Banken (Konzerne) und technologische Entwicklungen – vor allem im Verkehrs-, das heißt Informationssystem – eine wesentliche Rolle; sie bilden eine Voraussetzung für die Entfaltung
des kanzerogenen Potenzials dieser Strukturen.
Hermann Knoflacher beschreibt in seinem Beitrag „Jeder Krebs hat Anlagen
und Auslöser“ die Mechanismen, die geschaffen wurden, um den Konzernen die1
6
Süddeutsche Zeitung, 12.7.2010
ses tumorartige Wachstum zu ermöglichen und auch welche Barrieren dafür aus
dem Weg geräumt werden mussten. Da Konzerne schon längst in die politischen
Institutionen metastasiert sind, hat sich das Bild vom Staat mit demokratischen
Regelmechanismen längst gewandelt. Eine Politik von Konzernen für Konzerne
prägt die politischen Entscheidungen und Machtstrukturen von heute.
Christine Bauer-Jelinek macht in ihrem Beitrag „Kapitalgesellschaften sind
keine Lebewesen“ deutlich, dass Konzerne vom Menschen erschaffen und von
ihnen mit Rechten und Machtbefugnissen ausgestattet worden sind. Ihrer Meinung nach beruht diese Entwicklung nicht auf Naturgesetzen oder kann als
Krankheit und damit als ein ständig vorhandenes Phänomen des Lebens selbst
bezeichnet werden. Somit stellt sich in weiterer Folge die Frage, welche Mechanismen in Gang gesetzt werden müssen, um wieder Wirtschaftsstrukturen mit
verantwortungsbewussten Unternehmern statt mit Managern, die Millionengagen
einstreichen, zu schaffen.
Grundlage jeder Therapie muss das Prinzip einer gerechten Ressourcenverteilung sein, wie es Hans-Peter Aubauer in seinem Beitrag „Rahmenbedingungen,
um die Naturressourcen gerecht zu verteilen“ erklärt. Sein Prinzip der kostengerechten Preise würde, konsequent angewendet, die Größe der Konzernstrukturen
wieder auf ein erträgliches Maß schrumpfen lassen.
Elfriede Bonet erweitert in ihrem Beitrag „Krebs und Konzernwachstum: Von
Metaphern, Analogien und Erklärungen“ den Kanon an Begriffen, die in der Arbeit zu kurz gekommen sind oder fehlen und die für sie wesentlich für die Erklärung der beschriebenen Phänomene sind. Im Mittelpunkt stehen dabei die Begriffe „Regulativ“ und „Steuerung“, die die Systemeigenschaften besser beschreiben
würden.
Lösungsansätze, um das weltweit metastasierende Krebsgeschwür Konzern
in seinem Wachstum zu begrenzen, ergeben sich aus der Analyse der das Wachstum stimulierenden Kräfte. Erst das passende Versorgungssystem ermöglicht
dem Tumor im Organismus ein exponentielles Wachstum und ein Aufrechterhalten seiner entfernten Metastasen, die er permanent mit Energie und Nährstoffen
versorgen muss. Auch die Konzerne benötigen ein passendes Verkehrssystem,
ohne das eine weltweite Ausbeutung von Rohstoffen und Verteilung der Güter
nicht möglich wäre. Widerstände wurden durch schnelle Transportsysteme und
neue Technologien (Informationssysteme) massiv reduziert und die wesentlichen
Kosten externalisiert. An diesem Punkt müssen auch die Lösungen ansetzen.
Es scheint paradox, erstaunlich und zugleich ermutigend: nicht irgendeine
westliche, so genannte „zivilisierte“ Gesellschaft kann als die glücklichste be-
7
zeichnet werden (nach dem Brain und Cognitive Science Departement am Massachusetts Institute of Technology), sondern die Pirahã-Indianer im brasilianischen Amazonasgebiet. Ein Volk von sesshaften Jägern und Sammlern, die jede
komplizierte Technik ignorieren aber ein Vielfaches an Lebenszeit mit Lächeln
und Lachen verbringen als beispielsweise die Nordamerikaner.
Wenn uns die Produkte der Konzerne und materieller Reichtum nicht glücklicher machen und unsere scheinbare Sicherheit und Unabhängigkeit von der Natur eine trügerische ist, weil sie kurzfristig ist und auf der Ausbeutung begrenzter
natürlicher Ressourcen basiert, muss die Frage nach dem „Warum“, die causa finalis, von jedem Einzelnen von uns neu gestellt und bewertet werden.
Hermann Knoflacher beschreibt in seinem Beitrag zum Projekt des Club of
Vienna „Weltreligionen und Kapitalismus“ (Knoflacher, 2006), wie Konzerne
und deren Strukturen über die Rückkopplung zur causa efficiens, dem Geld, ein
völlig neues Wertesystem geschaffen haben. In Folge zählt nur mehr das, was
durch Geld ausgedrückt werden kann oder umgekehrt: alles soll in Geldeinheiten
messbar gemacht werden. Zeit, Schönheit, Bildung, Glück, etc. müssen danach
in die betriebswirtschaftlichen Strukturen passen. Dies sind optimale Bedingungen für das Krebsgeschwür Konzern, das sein permanentes Wachstum durch die
Aufzehrung von Energie anderer – Geld, Zeit und soziale Bindungen – aufrechterhält. Eine Abkehr von den Konzernen und ihren Produkten bedeutet in jedem
Fall eine Zuwendung zum Menschsein, zum Leben.
Mein herzlicher Dank gilt dem Club of Vienna und den Mitgliedern, die mit
ihren Beiträgen diese Arbeit essenziell bereichern und auch weiterhin Anregungen für eine vertiefende und auch kritische Auseinandersetzung mit dem Thema
liefern, sowie dem Kulturamt der Stadt Wien – namentlich Univ. Prof. Dr. H. C.
Ehalt – für die finanzielle Unterstützung dieses Projektes.
Vor allem möchte ich mich bei Em.O.Univ.Prof. DI Dr.techn. Hermann Knoflacher bedanken, dessen Ideen und Unterstützung mir eine große Motivation
waren und sind.
Harald Frey
8
Wien, im August 2010
Kurzfassung
In der Literatur finden sich mehrere Hinweise zu sprachlichen Metaphern, die
das Wirtschaftssystem, die Finanzinstitutionen und die Konzerne hinsichtlich ihres Wachstumszwanges mit der Ausbreitung eines bösartigen Tumors vergleichen. Krebsmetaphern wurden bereits seit jeher für die Beschreibung des Nichteinhaltens von Grenzen und deren Überschreiten verwendet. Die metaphorische
Logik kann dazu genutzt werden, Relationen zu beschreiben und damit helfen,
Schwächen der traditionellen Wissenschaftssprachen zu überwinden.
Die zu überprüfende zentrale These der Arbeit soll zwischen dem Wachstum
von Konzernen und Krebs, wie er in lebenden Organismen metastasiert, nicht
nur eine analytische Isomorphie aufzeigen, sondern diese empirisch belegen.
Grundlage dafür bildet die Erfahrung der evolutionären Erkenntnistheorie, dass
grundlegende Gesetzmäßigkeiten bereits in tiefer liegenden Schichten der Evolution vorhanden sind.
Die einzige Verpflichtung der Konzerne besteht gegenüber ihren shareholdern im Streben nach maximalem Gewinn. Diesem permanenten Wachstumsdrang werden alle anderen Werte untergeordnet. Der Konzern bedient sich in diesem Ausbeutungsprozess nicht nur politischer und rechtlicher, sondern vor allem
technischer Strukturen. Die transnationalen Konzerne sind bei ihrem Wachstum
von den globalen Infrastrukturnetzwerken abhängig. Schnelle Verkehrsinfrastrukturen forcieren Konzentrationsprozesse und erhöhen den Radius der Erreichbarkeit sowohl für die Beschaffung von Rohstoffen als auch der Warenverteilung. Die Erhöhung der Transport- und Reisegeschwindigkeiten in den
vergangenen Jahrzehnten hat zur Dominanz großer Konzernstrukturen über lokale Wirtschafts- und Ressourcenkreisläufe beigetragen. Kapital kann durch die
weltweit elektronische Vernetzung ohne Reibungsverluste bewegt werden.
Zwingendes Wachstum als Charaktereigenschaft der Konzerne findet sich
analog bei bösartigen Tumoren im menschlichen Organismus. Krebszellen lösen
sich dabei aus dem Zellverband mit ihren Nachbarzellen heraus und verfolgen
nur mehr unbegrenztes Wachstum als Ziel. Dafür benötigen sie sowohl Raum als
auch Energie für ihre Versorgung. Krebszellen metastasieren deshalb und bauen
ein eigenes Versorgungssystem auf (Tumorangiogenese).
9
Unter Anwendung der Dynamic Energy Budget Theory (DEB) von Kooijman
(2000) haben van Leeuwen et.al. (2003) ein Tumormodell entwickelt, welches
speziell die Interaktion von Tumor und Wirt betrachtet. Dabei zeigt sich, dass der
Tumor, ähnlich wie die Konzerne, sein Wachstum durch (im Vergleich zum Wirt)
verringerte Wachstums- und Erhaltungskosten forciert. Diese Externalisierungsprozesse verhelfen auch den Konzernstrukturen zu ihrem Wachstum.
Exemplarisch werden für Konzerne externalisierte Kosten dargestellt. Dabei
kann davon ausgegangen werden, dass nur ein Teilbereich dieser Kosten bekannt
ist. Für die anderen Indikatoren der externalisierten Konzernkosten wurden Abschätzungen getroffen.
Analog zum Tumormodell wurden diese Kosten den Kategorien von Wachstums- und Erhaltungskosten zugeordnet. Anschließend wurde das Tumormodell,
das im Wesentlichen auf den Wachstumsgleichungen von Bertalanffy basiert, so
modelliert, dass die Wachstumsverläufe des Gewinns, des Umsatzes und des Anlagevermögens der Konzerne abgebildet werden. Über die Abschätzungen zur
Größenordnung der externalisierten Kosten werden die Parameter für Wachstums- und Erhaltungskosten entsprechend verändert und dargestellt, wie hoch der
monetäre Anteil externalisierter Kosten am Gewinn bzw. Anlagevermögen ist.
Es zeigt sich, dass die jährlich erwirtschaften Gewinne der untersuchten Konzerne zwischen 68% bis über 110 % auf externalisierten Kosten beruhen. Eine
Internalisierung dieser Kosten bedeutet durchschnittlich eine Stagnation des Anlagevermögens auf dem Niveau der 1970-1980er Jahre. Die 100 profitabelsten
US-Konzerne haben 83% ihrer Wachstumskosten und 73% ihrer Erhaltungskosten nach der vorliegenden Abschätzung externalisiert. Unter Berücksichtigung
der Wirksamkeit der Parameter ergibt sich, dass rund 130% ihrer jährlichen Gewinne externalisierte Kosten sind. Mit anderen Worten müssten diese Konzerne
ihre jährlichen Gewinne und zusätzlich 30% an die Gemeinschaft abliefern. Eine
Kosteninternalisierung bewirkt eine Begrenzung der Vermögenswerte auf dem
Wert des Jahres 1969.
Lösungen orientieren sich an der naheliegenden Internalisierung von Kosten
durch Abgaben, Steuern usw., dem Rückbau konzernrelevanter Verkehrsinfrastruktur, der Einführung der so genannten „Tobin-Steuer“, der flächendeckenden
Einführung lokaler Währungen und der Einführung neuer Indikatoren anstelle
des BIP (z.B. Index of Sustainable Economic Welfare). Verstößt eine Kapitalgesellschaft gegen Regeln und Gesetze muss sie rechtlich ausgelöscht werden. Der
Staat muss in der Lage sein, basierend auf nationalstaatlichen, demokratischen
Prinzipien, Einfuhrverbote von Produkten, die Sozial- oder Umweltstandards widersprechen, zu verhängen.
10
Es wurde dargelegt, dass zwischen dem Wachstum der Konzerne und jenem
bösartiger Tumore eine nicht nur qualitativ-analytische sonder auch empirisch
belegbare Analogie existiert.
Die vorliegende Arbeit liefert einen Beitrag für die verstärkte Berücksichtigung externalisierter Kosten von Konzernen. Die Verknüpfung von Erkenntnissen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen (Technik, Wirtschaft, Biologie,
Medizin) liefert dafür notwendige Werkzeuge. Das Verantwortungsbewusstsein
der Techniker in diesem Prozess, ist von relevanter Bedeutung für zukünftige
Entwicklungen. Wissen über die Wirkungsmechanismen dynamisch rückgekoppelter Systeme und die Verknüpfung wissenschaftlicher Disziplinen im Sinne eines Erkenntnisgewinns sind von Bedeutung.
11
Herunterladen