Joskow, Paul (2002): Transaction Cost Economics, Antitrust Rules, and Remedies, Journal of Law, Economics, and Organization 18, 95-116. Sitzung vom 28.6.2012 Wiederholung: These der Transaktionskostenökonomik ist, dass die Unterschiedlichkeit von Verträgen sich dadurch erklären lässt, dass die Vertragspartner die Gesamtkosten von Produktion und Handel/Transaktion gering halten wollen inkl. der vertraglichen Risiken („economizing“). „Contractual variety is expected to reflect an economizing purpose“ 108 Wettbewerbspolitik und Regulierung Jedes Regulierungssystem ist mit zwei Arten von Fehlern befrachtet: • Typ 1: Es wird etwas nicht reguliert/untersagt, obwohl eine Regulierung/Untersagung effizient wäre, • Typ 2: Es wird etwas reguliert/untersagt, obwohl es nicht reguliert/untersagt werden sollte (unter Effizienzaspekten). • Hier gilt es die optimale Balance zu finden. Weiterhin gilt: Selbst wenn eine regulierungsbedürftige Situation korrekt identifiziert wird, gilt es Abhilfemaßen (Remedies) zu identifizieren, die eine Verbesserung bewirken. Nota bene: Jedes System ist zwangsläufig mit Fehlern behaftet 109 Ein optimaler ordnungspolitischer Rahmen sollte eine Balance zwischen folgenden fünf Zielen anstreben: • Verhindern von Monopolrenten (allokative Effizienz) • Kostengünstige Produktion (produktive Effizienz) • Optimale Investitionen (dynamische Effizienz) • Minimierung von „Transaktionskosten“ (Transaktionskosteneffizienz) • Minimierung von Anreizen zu Lobbyismus und unproduktiver Einflussnahme (politische Effizienz) Aber: Zielkonflikte sind (leider) unvermeidbar. Wichtig: Eine Regel muss nicht im jeden Einzelfall zur besten Lösung führen, sondern im Regelfall (“Economic policy must be contrived with a view to the typical rather than the exceptional” -Stigler, 1952) 110 Exkurs: Verdrängungspreise („predatory pricing“) Was sind Verdrängungspreise? Verdrängungspreise1 sind dadurch definiert, dass es (a) ihr Ziel ist, einen oder mehrere Konkurrenten entweder ganz vom Markt zu verdrängen oder zumindest in ihrem Wettbewerbsverhalten zu disziplinieren oder vom Markteintritt abzuschrecken, und (b) dass diese Preise nicht gewinnmaximierend wären, wenn sie nicht zum Erhalt oder Aufbau von Marktmacht führen würden; Entscheidend für Verdrängungspreise ist also nicht ihre Höhe oder das Verhältnis von Preisen zu Kosten, sondern die Intention des agierenden Unternehmens, Konkurrenten vom Markt zu verdrängen, um Marktmacht zu erhalten oder aufzubauen; Tarife, die nicht strategisch gesetzt werden, sondern aus einer „naiven“ Gewinnmaximierung resultieren, sind keine Verdrängungspreise! 1 Während es im Englischen für Verdrängungspreise mit „Predatory Pricing“ einen einheitlich verwendeten Begriff gibt, wird derselbe Sachverhalt im Deutschen mit einer ganzen Reihe von unterschiedlichen Begriffen belegt: Knieps (2001, S.171 ff.) und Neumann (2000, S.177 ff.) sprechen von Kampfpreisen und Kampfpreisstrategien, Olten (1998, S.152) und die Monopolkommission (2002) von Preisdumping, Bester (2000, S.146) von „Verdrängungswettbewerb durch Preisunterbietungen“ und Herdzina (1999, S.201) von Kampfpreisunterbietung . 111 Das unternehmerische Kalkül von Verdrängungspreisen Gewinn Z p2 GM VG p0 GN Zeit VK p1 GV S tS tA tE tZ 112 Fortsetzung: Das unternehmerische Kalkül von Verdrängungspreisen Verdrängungskosten hängen ab von: Höhe der Gewinneinbußen; o Möglichkeit selektiver Preissenkungen? o „Loyalität“/Wechselkosten bei eigenen Kunden? Dauer der Verdrängungsphase; o Marktaustrittsbarrieren bei der Konkurrenz? Zusätzliche Kosten (z.B. für Werbemaßnahmen etc.); o Markttransparenz? Verdrängungsgewinne hängen ab von: Elastizität der Marktnachfrage; Markteintrittsbarrieren? 113 Die Sicht der Chicago-Schule (McGee, Posner, Bork, Easterbrook) These: Verdrängungsstrategien werden nur sehr selten angewendet und sind daher in der Realität kaum zu beobachten. 3 Überlegungen bei Verdrängungspreisen: Bei geringen Markteintrittsbarrieren macht eine Verdrängungsstrategie keinen Sinn, weil das verdrängende Unternehmen bei anschließenden Preiserhöhungen schnell mit dem Eintritt neuer Konkurrenten (oder dem Wiedereintritt der alten Konkurrenten) rechnen muss; Bei hohen Marktaustrittsbarrieren wird es sehr schwer (bzw. teuer) sein, die Konkurrenz überhaupt zum Marktaustritt zu bewegen (plus: Interesse der Nachfrager am Erhalt des Konkurrenzunternehmens); Selbst eine erfolgreiche Verdrängung ist in der Regel nicht rational, weil es meist billiger wäre, das angegriffene Unternehmen einfach zu aufzukaufen. Kritik an der Chicago-Sicht: Strategische dynamische Aspekte werden nicht berücksichtigt; und Es werden sehr starke Annahmen über die Informationslage der Marktteilnehmer getroffen. 114 Spieltheoretische Modelle Das „Chain-Store-Paradox“ (Selten, 1978) Signalstrategien Annahme: Der potenzielle Neuling ist schlechter über die Kosten des alteingesessenen Unternehmen oder über die Marktnachfrage informiert als das etablierte Unternehmen; Wenn der Neuling unsicher darüber ist, ob das etablierte Unternehmen hohe oder niedrige Kosten hat, kann der Neuling eine Preissenkung des etablierten Anbieters eventuell als Signal dafür werten, dass der etablierte Anbieter mit sehr niedrigen Kosten operiert, sodass ein Preiswettbewerb für den Neuling nicht rentabel wäre. Diese Schlussfolgerung wiederum könnte den Neuling zum Marktaustritt veranlassen. Ist der Neuling nicht gut genug über die tatsächliche Nachfrage informiert und senkt der etablierte Anbieter seinen Preis während der Testphase des Neulings, so könnte dies dazu führen, dass der Neuling die Nachfrage nach seinem Produkt falsch einschätzt. Eine solche Signalverzerrung („signal jamming“) könnte ebenfalls zu einer erfolgreichen Verdrängung führen. 115 Spieltheoretische Modelle – Reputationsmodelle Reputationsmodelle gehen davon aus, dass etablierte Unternehmen Verdrängungsstrategien verwenden, um sich eine Reputation dafür aufzubauen, auf Markteintritt mit einer aggressiven Preispolitik zu reagieren. Diese Reputation wirkt dann für potentielle Konkurrenten als Markteintrittsbarriere, die sie davon abhält, andere Märkte zu betreten, auf denen das etablierte Unternehmen aktiv ist, weil sie überzeugt sind, dass das alteingesessene Unternehmen dann auch dort einen Preiskampf beginnen würde; Eine solche Strategie kann rational und auch erfolgreich sein, wenn es (a) entweder unendlich viele Teilspiele gibt oder (b) zumindest eine kleine Wahrscheinlichkeit existiert, dass der etablierte Anbieter tatsächlich irrational handelt. 116 Identifikation von Verdrängungspreisen Die Identifikation (und Nachweis) von Verdrängungspreisen in der Praxis außerordentlich schwierig. Warum? Bekannteste Daumenregel: Areeda-Turner-Regel (1975): Ein Preis wird als Verdrängungspreis angesehen, wenn er sich unter den (kurzfristigen) Grenzkosten befindet (bzw. unter den durchschnittlichen variablen Kosten, um Informationsprobleme zu umgehen) Probleme: Produktneueinführungen und Lernkurveneffekte; Komplementäre Produkte; Nachfragerückgang bei hohen Fixkosten (Überkapazitäten). 117 Fortsetzung: Identifikation von Verdrängungspreisen Williamson (1977): Eine Preissenkung ist dann als Verdrängungsstrategie zu werten, wenn in den 12 bis 18 Monaten nach dem Markteintritt der Konkurrenz zugleich eine signifikante Mengenerhöhung durch den etablierten Anbieter zu beobachten ist; Baumol (1979): Eine Preissenkung ist dann als Teil einer Verdrängungsstrategie zu betrachten, wenn der Neuling dadurch zum Marktaustritt veranlasst wird und das etablierte Unternehmen daraufhin die Preissenkung zurücknimmt; o Idee: Bei Marktaustritt der Konkurrenz tritt automatisch für das etablierte Unternehmen eine zweijährige Preiserhöhungssperre in Kraft; Joskow und Klevorick (1979): Mehrstufiges Testverfahren. Zunächst ist nachzuweisen, dass das beschuldigte Unternehmen auf dem relevanten Markt eine marktbeherrschende Stellung innehat. Sodann soll überprüft werden, ob die Preissenkungen dazu führen, dass das Unternehmen nicht kostendeckend, also unterhalb der Durchschnittskosten, anbietet, und zudem soll eine Rücknahme der Preissenkung für zwei Jahre untersagt werden; 118 Fortsetzung: Identifikation von Verdrängungspreisen Bolton, Brodley & Riordan (2000): Fünf Fragen zur Identifikation von Verdrängungsstrategien: (1) Ist eine Verdrängung bei der vorhandenen Marktstruktur unter Berücksichtigung der Marktein- und Wiedereintrittsbarrieren überhaupt möglich? (2) Ist eine Preissenkung oder eine andere auf Verdrängung gerichtete Maßnahme tatsächlich beobachtet worden? (3) Ist eine Rückgewinnung der Verdrängungskosten wahrscheinlich? (4) Befindet sich der Preis unterhalb der langfristigen Inkrementalkosten für die zusätzlich angebotene Menge? (5) Gibt es, wenn letzteres der Fall ist, eine unternehmerische Rechtfertigung oder Effizienzbegründung für das beobachtete Verhalten? Die Beweispflicht für die ersten vier Fragen soll bei der klagenden Partei liegen, während es Sache der beklagten Partei ist, etwaige unternehmerische Rechtfertigungen oder Effizienzbegründungen für das beobachtete Verhalten zu liefern (Frage 5). 119 Vertikale Preisbindungen (RPM) – Preisbindung der zweiten Hand Was spricht für, was gegen ein Verbot der vertikalen Preisbindung? A: Macht versus Effizienz • Macht: Ausdehnung bzw. Erhalt von Marktmacht, Bildung horizontaler Kartelle. • Effizienz: Transaktionskostenersparnisse, Überwindung von Koordinationsproblemen (Marktversagen). Machtargumente: o Mindestpreisbindungen lösen ein Selbstbindungsproblem des Herstellers und reduzieren so den Intra-Brand Wettbewerb o Anmerkung: Dies geht jedoch auch durch Exklusivverträge. o Mindestpreise können eine Kartellierung auf Handels- oder Herstellerebene im Inter-BrandWettbewerb bewirken. o Anmerkung: Dafür müssen aber relativ spezielle Bedingungen erfüllt sein – die vertikale Bindung ist immer nur ein Hilfsmittel für eine horizontale Kartellierung, diese entsteht nicht automatisch (wichtiger Unterschied zu horizontalen Bindungen). 120 Effizienzargumente für Vertikale Preisbindungen (RPM): Höchstpreise verhindern doppelte Preisaufschläge (Spengler, 1950) –nicht von der Hand zu weisen. Die Europäische Kommission hat das Abstellen doppelter Preisaufschläge in einigen Fusionsverfahren sogar als Effizienzeinwand akzeptiert (wenn auch nicht fallentscheidend). o Anmerkung: Dasselbe ließe sich auch durch Rabatte oder mehrteilige Tarife bewerkstelligen. Festpreise reduzieren die Suchkosten der Verbraucher/Nachfrager – der „Gesamtpreis“ (incl. Suchkosten) sinkt unter Umständen (Stigler, 1961). o Anmerkung: Das gilt auch für horizontale Preisabsprachen – es dürfte sich um einen Effekte zweiter oder eher noch dritter Ordnung handeln. Mindestpreise lenken Konkurrenz in andere Bahnen, z.B. Service Vielfalt, Öffnungszeiten, Zahlungsmodalitäten. Dies kann durchaus wünschenswert sein (Telser, 1960). o Anmerkung 1: Das lässt sich ggf. auch durch Exklusivverträge regeln. o Anmerkung 2: Das Argument gilt primär für beratungsintensive Produkte mit produktspezifischer Beratung/Service - für den LEH nicht erfüllt. 121 Ganz allgemein: Werbemaßnahmen (Markenplege) und Preispolitik unabhängig zu bestimmen, dürfte selten optimal sein (Stichwort: Aktionspreise). Aber: „Imagetheorie“ aus wettbewerbsökonomischer Perspektive nicht richtig überzeugend – warum nicht einfach den Herstellerabgabepreis erhöhen, um eine „Verramschung“ zu vermeiden? Schlussfolgerung dennoch: „Per-se-Verbot“ der Preisbindung der zweiten Hand nicht gerechtfertigt. Frage: Wie sollte die Beweislast verteilt werden? 122