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Feine Welt Köln (Heft 2 / 2007)
Supplement der
Markus Stenz, Generalmusikdirektor mit pausenlosem
Einsatz
Begegnung mit einem Taktstockschwinger, der seinen Kampf um Qualität
an vielen Fronten gleichzeitig führt. Und zwar unermüdlich
Das Gürzenich-Orchester spielt Beethovens Violinkonzert, es ist die erste Probe mit
dem Solisten. Da gehen plötzlich Saaltüren auf, von draußen strömen Menschen herein,
tuscheln miteinander und rascheln mit ihren Einkaufstüten. Minutenlang geht das so, bis
alle einigermaßen auf ihrem Platz sitzen. Markus Stenz dirigiert unbekümmert weiter.
Erst viel später dreht er sich um und sagt: „Meine Damen und Herren, wir begrüßen Sie.
Wir wollen Sie zwar nicht ignorieren, aber wir sind mitten bei der Arbeit.“ Lacher im
Publikum, die Probe geht weiter.
Philharmonie-Lunch heißt diese halbe Stunde donnerstags um zwölf Uhr Mittag. Jeder
kann dann in die Philharmonie kommen und bei der Probe zuhören. Und auch wenn das
keine Erfindung des Generalmusikdirektors Markus Stenz ist, so passt dieser KlassikLunch doch bestens in sein Konzept, zu seiner Idee, seiner Botschaft: den Menschen
ohne viel Umschweife die Musik nahebringen. Gemäß seinem Leitsatz:
Wer einmal im Konzertsaal war, kommt wieder.
Seit 2003 ist Stenz Kapellmeister des Gürzenich-Orchesters und damit zuständig für
das symphonische Programm des Orchesters, das in der Philharmonie aufgeführt wird.
Seit 2004 ist er zusätzlich auch Generalmusikdirektor der Stadt Köln. In dieser Funktion
ist er für die Bespielung der Oper verantwortlich. Seine Berufung hat sich bald schon als
Glücksfall für die Stadt und das Musikleben herausgestellt. Das Publikum liebt ihn. Und
die Fachwelt schätzt ihn. Er versteht sich darauf, populär zu sein und zugleich
anspruchsvoll. Im März steht etwa Olivier Messiaens Turangalîla-Sinfonie auf dem
Programm, die wegen ihrer monströsen Ausmaße höchst selten gespielt wird. Wie er
überhaupt der Moderne einen hohen Stellenwert einräumt. Und dabei die Bedürfnisse des
Abonnementspublikums nicht vergisst. Oft greift er in den Konzerten zum Mikrofon und
gibt mit wenigen Worten kleine, aber wirkungsvolle Hörhilfen für Ungeübte.
Stenz ist 42 Jahre alt. Er war schon Chefdirigent der London Sinfonietta und danach
beim Melbourne Symphony Orchestra, er ist als Gastdirigent gefragt, bei den letzten
Salzburger Festspielen hat er die Wiener Philharmoniker dirigiert. Doch seit vier Jahren
lebt er mit seiner Familie wieder in der Stadt, in der seine Karriere begonnen hat, in Köln.
Er war in den 80er-Jahren Student in der Kapellmeisterklasse der Musikhochschule. Dort
leitete er eine Aufführung von Hans Werner Henzes Zweiter Sinfonie. Henze hörte zu und war so begeistert, dass er den unbekannten 25-Jährigen nach Berlin empfahl, wo er
die Uraufführung einer Henze-Oper dirigierte.
Noch vor ein paar Jahren hatte es in Interviews den Anschein, als spreche Stenz nicht
besonders gern über seine frühere Kölner Zeit. Und auch nicht über die Tatsache, dass er
ja sogar ganz in der Nähe, in Ahrweiler, geboren und aufgewachsen ist. Es schien, als
wolle er dieses kumpelhafte „Einer-von-uns“-Gerede vermeiden; als befürchte der
weltgereiste Dirigent, dass sein internationaler Wert unter dem Label Kölner
Eigengewächs wieder geschmälert würde. „Mag sein, dass ich da in der Anfangszeit
etwas empfindlich war“, sagt er.
Vielleicht ist er aber auch einfach kein Typ des Zurückblickens.
Aufbruchsgeist hat ihn von Anfang an getrieben,
der Wille zur Lebensveränderung. Von Ahrweiler nach Köln, von Köln nach Berlin, von
Berlin nach London, von London nach Australien. „Immer wieder weg, weg, weg“, sagt er
und wedelt dazu mit der Hand. Immerzu neue Erfahrungen sammeln. „Das ist doch
wichtig für die Entwicklung.“ Erst heute kann er wieder sagen: „Es ist auch schön in
Ahrweiler.“ Dass auch Köln schön ist - diesen Satz wird man von ihm aber nicht hören
können. „Köln ist so was von hässlich“, sagt er ohne Umschweife, schiebt aber sogleich
eine Liebeserklärung an die Kölner hinterher.
Der jetzige Kölner Stenz sieht die Stadt freilich mit anderen Augen als der frühere
Kölner Musikstudent. Dem fielen die städtebaulichen Unzulänglichkeiten überhaupt nicht
auf. Es ist fast, als lebe er heute in einer anderen Stadt als damals, sagt Stenz, so
unterschiedlich nehme er die Stadt wahr: Im Stadtwald war er als Student vielleicht ein
oder zwei Mal. „Jetzt sind wir dauernd da“, sagt er. Den Tanzbrunnen kannte er früher
noch nicht einmal dem Namen nach, jetzt tritt er dort zum Abschluss der Spielzeit mit
dem Gürzenich-Orchester auf.
Manches, was er eigentlich wiedererkennen müsste, hat sich völlig verändert. Neulich
war er mit seinen Kindern im Agrippabad und merkte erst, als er schon eine Weile drin
war, dass er da früher schon geschwommen ist. Nur die Musikhochschule ist für ihn die
alte geblieben, „es ist immer noch dieselbe Stimmung wie damals.“
Und wie wichtig ist es, die Tradition und die Mentalität einer Stadt zu kennen, wenn
man in ihr wirken und etwas verändern will? Stenz denkt lange nach. Möglicherweise
habe ihm bei der ein oder anderen Verhandlung geholfen, Köln und seine Eigenheiten zu
kennen, sagt er. „Aber noch viel wichtiger ist doch, dass man das Ziel kennt, das man
anstrebt.“
Es gibt eine Geschichte aus Stenz' Studentenzeit Mitte der 80er-Jahre, die seine
Einstellung verdeutlicht. Er wohnte damals auf dem Kaiser-Wilhelm-Ring, Nummer 36, er
weiß es noch genau. Wenn er aus dem Fenster blickte, sah er Tag und Nacht Menschen
in den Bäumen sitzen, die gegen die Umgestaltung der Ringe protestierten. Er hat sie
nicht verstanden. „Ich war eher empfänglich für die Bilder auf den Schildern, die zeigten,
wie es später einmal aussehen soll“, sagt Stenz. „Nichts muss so bleiben, wie es ist.“ Das
ist einer seiner Grundsätze.
Er hat ein Faible für Visionen - und
ein geschicktes Händchen für deren
praktische Umsetzung.
So hat er mit der größten Selbstverständlichkeit einige Neuerungen ins Kölner
Konzertleben eingeführt. Den sogenannten Dritten Akt etwa, eine Art musikalisches
Überraschungsbonbon, das dem Publikum nach dem Ende des offiziellen Programms
dargeboten wird. Dafür wurde das Orchester gleich 2004 mit dem Musikverlegerpreis für
das beste Programm ausgezeichnet. Oder das sogenannte GO-Live-Projekt: LiveMitschnitte der Gürzenich-Konzerte werden direkt auf CD gebrannt und können
unmittelbar nach dem Konzert gekauft werden. Zwar saßen wegen dieser Novitäten keine
protestierenden Menschen in den Bäumen wie damals zu seiner Studentenzeit. —Aber
skeptische Kommentare von Musikkritikern gab es zuhauf. Das Publikum allerdings hat
den Nachhör-Service rasch angenommen.
Wäre doch alles so einfach wie in der Philharmonie. Denn am Kölner Opernhaus, dem
anderen Arbeitsplatz von Stenz, herrscht seit Jahren Unruhe und Verunsicherung. Da
sind die Unklarheiten um den künftigen lntendanten. Und dann die Querelen um das
sanierungsbedürftige Haus. „Wenn ich die freie Wahl hätte, würde ich mir einen Neubau
wünschen“, sagt Stenz. Ohnehin versteht er nicht, was an dem klotzigen Bau
denkmalschutzwürdig sein soll. Das sagt er draußen auf dem Offenbachplatz. als er auf
die Fassade blickt. Aber Stenz ist Realist. Also sagt er auch, dass er voll und ganz einverstanden wäre mit einer Sanierung „von Grund auf“. Aber was er nun mal überhaupt nicht
leiden kann, ist, „wenn so gar nichts passiert“. So wie jetzt, „eine verfahrene Situation“,
sagt er. Eine Sanierung war beschlossen, dann stellte sich heraus, dass Fehler bei der
Kalkulation gemacht wurden, jetzt geht alles wieder von vorn los. Stillstand ist für einen
Macher wie ihn kaum auszuhalten.
Stenz' Vertrag als Generalmusikdirektor läuft bis August 2009. Derzeit verhandelt er
mit der Stadt über eine Verlängerung. Die Stadt würde ihn gern behalten. Man braucht
nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass die ungeklärten Fragen um das Opernhaus
ein Bestandteil dieser Verhandlungen sind. Drinnen in der Oper stiefelt Stenz unwirsch
durch die Flure und zählt die Schäden auf wie ein Hausmeister, der dem Hausbesitzer das
Geld für Reparaturen aus den Rippen leiern muss: „0,8 Wasserrohrbrüche am Tag, du
meine Güte und einige davon im Dirigentenzimmer“, ruft er mit bitterer Häme. Der' sonst
so heiter Gestimmte hat schlechte Laune bekommen.
Sein Weg führt nun durch dunkle Flure und über viele Treppen, er reißt schwere
Stahltüren auf und lässt sie hinter sich ins Schloss krachen. Es ist der verwinkelte Weg,
den er geht, wenn er eine Opernvorstellung dirigiert. Eine letzte Tür noch, und dann
steht er im Operngraben. Er stellt sich mit dem Rücken zur Bühne auf das
Dirigentenpodest - und blickt eine Weile in die leeren Stuhlreihen und zu den Logen
hinauf.
Gerade war er noch so aufgebracht, jetzt wirkt er wieder friedlich. Er sagt: „Den
Innenraum mag ich wirklich gern, auch die Akustik ist gut.“ Da merkt man wieder, wie
sehr ihm diese Oper doch am Herzen liegt. „Es ist mein größter Wunsch, dass diese Oper
in der Stadt strahlt wie ein Juwel.“
von Andreas Fasel
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