Individualisiertes OP-Verfahren – verbesserte Kontinenz bei Prostataentfernung Inkontinenz ist die gefürchtetste Nebenwirkung, die nach der operativen Entfernung eines Prostatakarzinoms auftreten kann. Chirurgen der Martini-Klinik in Hamburg haben nun eine Operationstechnik entwickelt, mit der die Funktionstüchtigkeit des Harnröhrenschließmuskels komplett erhalten bleiben kann. An der Martini-Klinik am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf wurde eine Operationsmethode entwickelt, mit deren Hilfe es gelingt, die komplette funktionelle Länge des Harnröhrenschließmuskels sowie die komplette anatomische Einbettung des Schließmuskels in die Beckenbodenanatomie zu erhalten. Mit Einführung der neuen Operationstechnik konnte eine signifikante Verbesserung der sog. Frühkontinenz beobachtet werden. Die operativen Modifikationen sind das Resultat von anatomischen Studien, die gezeigt haben, dass ein signifikanter Anteil des Harnröhrenschließmuskels in der Prostata lokalisiert ist. Dieser Anteil kann individuell zwischen 10 und 40 % der funktionellen Muskellänge variieren. Operiert man nun die Harnröhre immer nach gleichem Schema, verliert man bei einer signifikanten Anzahl von Patienten relevante Anteile des muskulären funktionellen Harnröhrenmuskels. Weiterhin kann der Harnröhrenschließmuskel seine komplette Funktion nur dann entfalten, wenn seine anatomische Fixierung im Beckenboden erhalten bleibt. Bei der neuen Operationsmethode wird die Harnröhre so präpariert, dass der Muskel vollständig erhalten bleibt und seine anatomisch einwandfreie Lage wieder bei der Operation rekonstruiert wird. Ein Großteil der Patienten erlangt schon kurz nach der Operation die Kontrolle über ihre Blase vollständig zurück. Die operative Entfernung der Prostata (radikale Prostatektomie) ist die häufigste Therapieform bei einem neu entdeckten Prostatakarzinom. Eine vollständige Heilung des Tumors ist dadurch bei früh entdeckten Tumoren fast immer möglich – fünf Jahre nach der chirurgischen Behandlung sind 80 - 95 % der operierten Patienten rezidivfrei, d.h. ohne weiteren Tumornachweis. Eine Besonderheit der Prostatakarzinomchirurgie ist jedoch, 70 DZKF 5/6-2012 dass die ca. kastaniengroße Prostata unmittelbar von wichtigem funktionellem Gewebe umgeben wird. So ist die Prostata z.B. direkt mit der Blase und dem Harnröhrenschließmuskel verbunden und wird weiterhin von einem feinen Nervengeflecht eingehüllt, welches die Erektion steuert. Diese Strukturen müssen bei einer operativen Entfernung der Prostata unbedingt geschont werden, um gravierende Nebenwirkungen zu verhindern. In einer aktuell publizierten Studie operierten drei Chirurgen aus der Hamburger Klinik über einen Zeitraum von einem Jahr insgesamt 691 Männer im Alter von 42 bis 77 Jahren, die an einem Prostatakarzinom erkrankt waren (Schlomm et al. European Urology 2011, Aug;60(2):3209). Davon wurden 285 Patienten mit der konventionellen Operationstechnik und 406 mit der modifizierten Operationstechnik operiert. Die Kontinenzraten wurden eine Woche und zwölf Monate nach Entfernung der Prostata mittels validierter Fragebögen erhoben. Die Kontinenzraten eine Woche nach Katheterentfernung betrugen 50,1 % für die Gruppe der Patienten, die mittels der modifizierten Operationstechnik operiert wurden sowie 30,9 % für die Patienten, die mit der konventionellen Operationstechnik behandelt wurden. Die Jahreskontinenzraten stiegen auf 96,9 % für die individualisierte Technik sowie 94,7 % für die konventionelle Operationstechnik an. Motiviert durch diese guten Ergebnisse hat sich die individualisierte Präparation des Harnröhrenschließmuskels bei der Prostatakrebsoperation mittlerweile als Standard in der Martini-Klinik durchgesetzt. Insgesamt wurden bisher über 4.000 Patienten mit Hilfe der neuen Technik operiert. Mittlerweile berichten über 80 % der Hamburger Patienten bereits eine Woche nach Katheterentfernung über keine nennenswerte Beeinträchtigung der Harnkontinenz. Die Ergebnisse der Studie demonstrieren, dass die Technik der radikalen Prostatektomie auch heutzutage noch signifikant durch Modifikation verbessert werden kann. Ein wichtiger Punkt zur Verbesserung der funktionellen Ergebnisse nach radikaler Prostatektomie stellt hier die ständige Qualitätskontrolle dar. Bei allen in der Martini-Klinik operierten Patienten wird vor der Operation mit Hilfe von validierten Fragebögen der Lebensqualitätsstatus erhoben. Eine Woche nach Entlassung, drei Monate nach OP und dann jährlich werden diese Daten erneut evaluiert. Nur so kann unmittelbar der Einfluss der Operation auf wichtige Parameter der Lebensqualität, wie etwa die Kontinenz, untersucht werden. Mittlerweile enthält die Prostatakarzinomdatenbank der Martini-Klinik vollständige Langzeit-Datensätze von über 15.000 in dem Zentrum operierten Patienten. Diese Daten ermöglichen es, eine Vielzahl von wissenschaftlichen Fragestellungen zu untersuchen, wie etwa die Korrelation von genetischen Faktoren des Prostatakarzinoms zur Langzeitprognose. Filmmaterial zur Publikation im Journal European Urology können Sie unter http://www.martiniklinik.de/prostatakarzinom-behandlung/prostatakarzinom-operation/patientenfilm.html und http://www.martini- klinik.de/prostatakarzinombehandlung/prostata- karzinom-operation/opfilm.html sehen. Kontakt: Prof. Dr. med. Thorsten Schlomm Leitender Arzt Martini-Klinik, Prostatakarzinomzentrum Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistrasse 52, D-20246 Hamburg Tel.: +49 40 7410 51300 Fax: +49 40 7410 51323 E-Mail: [email protected] www.martini-klinik.de Diesen Artikel finden Sie auch unter dem DZ0007. DZKF 5/6-2012 71