784 14. Physik der Atome und ihre Anwendungen ren Arm hat!) ein elektrisches Feld angelegt und die dadurch verursachte Phasenverschiebung als Funktion der Feldstärke gemessen. Das Atom unterliegt dabei dem quadratischen Stark-Effekt (Abschn. 14.4.5), deshalb beobachtet man in der Auftragung gegen E 2 eine periodische Variation des Interferometersignals. Der Kontrast des Interferometers nimmt mit zunehmendem elektrischen Feld ab. Das elektrische Feld verursacht eine Verzögerung des Wellenpaketes des He-Atoms in einem Interferometerarm. Wenn die beiden Wellenpakete nicht mehr überlappen, kann keine Interferenz mehr auftreten, die Grenze der longitudinalen Kohärenz ist überschritten. 14.9 Der Einfluss der Atomkerne Der Atomkern ist sehr viel massereicher als die Elektronen, und wäre er unendlich schwer, würden die atomaren Energiezustände nur geringfügig verändert. Die kleinen Energieverschiebungen geben aber Aufschluss über die Wechselwirkung der Elektronen mit dem Kern, insbesondere bei den Zuständen der s-Elektronen, die in Kernnähe eine hohe Aufenthaltswahrscheinlichkeit besitzen. Die Wechselwirkung hängt von den spezifischen Eigenschaften des Atomkerns ab, am auffälligsten sind Isotopieverschiebung (mit Kernmitbewegung und Kernvolumeneffekt) und Hyperfeinstruktur. 14.9.1 Isotopieverschiebungen Unterschiedliche Kernmassen verursachen bei gleicher Ladungszahl Z die Isotopieverschiebung von atomaren Spektrallinien. Bei leichten Elementen nimmt die Kernmitbewegung wesentliche Teile der kinetischen Energie auf; bei schweren Elementen dominiert die Modifikation des CoulombPotentials durch den Kernvolumeneffekt. Kernmitbewegung. Atomkerne werden durch die Dynamik der Elektronen mitbewegt, weil ihre Masse endlich ist. Es ist bekannt, dass diese Kernmitbewegung bei Einelektronen-Atomen zu einer Verschiebung des Tabelle 14.10. Wechselwirkungen zwischen Elektron und Kern Effekt Kraft Coulombkraft elektrostatisch Kinematische und elektromagnetische Störungen Kernmitbewegung Kernvolumeneffekt Hyperfeinstruktur mechanisch elektrostatisch magnetisch Nicht-elektromagnetische Störungen Paritätsverletzung elektroschwach 14.9 Der Einfluss der Atomkerne 785 gesamten Energiespektrums um ungefähr das Massenverhältnis des Elektrons zum Kern führt und sich in der reduzierten Masse und der korrigierten Rydbergkonstanten Rμ ausdrückt, Rμ = R∞ m el 1 . R∞ 1 − +··· 1 + m el /M M Der abgeschlossene ionische Rumpf in Einelektronen-Atomen verursacht keinen Einfluss auf die Kernmitbewegung, die auch einfache Kernmitbewegung (engl. normal mass shift) genannt wird. In Atomen mit teilweise gefüllter Schale sind die Verhältnisse viel komplizierter, weil sich z. B. der Einfluss von Elektronen, die sich in entgegengesetzten Richtungen bewegen, auf die Kernbewegung aufhebt. Dieses Phänomen wird als Kopplungseffekt (engl. specific mass shift) bezeichnet. Der Beitrag der kinetischen Energie T̂ zum Hamiltonoperator Ĥ = T̂ + V̂ wird im Einteilchen-Modell in die Beiträge der einzelnen Elektronen p̂i und des Kerns P̂ = − i p̂i zerlegt. Bei der Ausformulierung findet man −1 wie die schon bedann neben den Beiträgen, die mit μ−1 = m −1 el + M kannte einfache Kernmitbewegung aussehen, einen weiteren Term, der die Kopplung der Elektronen untereinander berücksichtigt, (− i p̂i )2 p̂i2 P̂ 2 p̂i2 T̂ = = + + 2M 2m el 2M 2m el i = i p̂2 p̂i p̂ j i + . 2μ M i i< j Einfache Rechnungen zeigen, dass der Kopplungseffekt im SingulettSystem des He-Atoms zu einer Energieerhöhung führt und die einfache Kernmitbewegung verstärkt, während im Triplett-System eine Absenkung stattfindet. Im Singulett-System neigen die Elektronen danach eher zur Bewegung in gleichsinnigen, im Triplett-System eher in entgegengesetzten Richtungen, in Übereinstimmung mit der Pauli-Abstoßung in diesem Zustand (Abschn. 14.5.4). E Kernvolumeneffekt. Die elektrische Ladung des Kerns ist nicht in einem Punkt konzentriert, sondern durch seine Konstituenten in einem Volumen, dessen Radius im Tröpfchenmodell mit r N = r0 A1/3 , r0 = 1,2 · 10−13 cm phänomenologisch beschrieben werden kann (Abschn. 18.1.3). Zur Analyse nehmen wir eine homogene Ladungsverteilung in einer Kugel mit dem Radius r N an (s. Abb. 14.44), die eine Abweichung des atomaren Potentials von einem idealen Coulomb-Potential verursacht, ⎧ ⎪ r ≥ rN , ⎪ ⎨VCoul V(r) = 3 r2 Ze2 ⎪ ⎪ − − 2 0 ≤ r ≤ rN . ⎩ 4πε0r N 2 2r N rN r CoulombPotential Kernvolumen Abb. 14.44. Das atomare Potential weicht im Bereich des Kernvolumens Die Energieverschiebung berechnet man dann als Störung nach von einem idealen Coulomb-Potential rN 2 4π ab und hebt die Energiezustände 2 2 2 Ze 2 (V(r) − VCoul ) 4πr dr = rN , |ψnlm (0)| ΔE |ψnlm (0)| geringfügig an 10 4πε 0 0 786 14. Physik der Atome und ihre Anwendungen Abb. 14.45. Aus der Isotopieverschiebung gemessene Ladungsradien (relativ zum jeweils häufigsten Isotop eines Elements). Die stabilen Kerne sind schwarz markiert. Sie skalieren wie erwartet im Wesentlichen mit (A = N + Z)1/3 . Der Schalenabschluss (Abschn. 18.1.3) ist am Knick bei N = 126 in den Pb-Daten zu erkennen. Au und Hg zeigen starke Kerndeformationen bei N = 104. Die Daten wurden von Jürgen Kluge, Darmstadt, und Gerhard Huber, Mainz, zur Verfügung gestellt δr2(N, Z) (fm2) 3,0 2,5 2,0 1,5 Pb Ti Hg 1,0 Au Pt 0,5 Ir Os 0,0 100 110 120 Neutronenzahl 130 wobei im Experiment nur Differenzen δ(ΔE) durch Vergleich verschiedener Isotope eines Atoms zu beobachten sind, wie in der Zusammenstellung von Abb. 14.45. 14.9.2 Kernmagnetismus und Hyperfeinstruktur Strahlintensität 13 10 A 5 Abbildung 14.46 zeigt das Signal eines Stern-Gerlach-Experiments mit Natrium-Atomen im 2S1/2 -Zustand. Der elektronische J = 1/2 Gesamtspin würde nur zwei Komponenten erwarten lassen, die Multiplizität (M = (2J + 1)(2I + 1)) der vier beobachteten Komponenten lässt sich mit dem Kernspin I = 3/2 deuten. Die magnetische Wechselwirkung zwischen magnetischen Bahn- und Spinmomenten der Hüllenelektronen verursacht bekanntlich die Feinstruktur. Ihre Deutung mit Hilfe des Vektormodells ist eine gute Vorlage auch für die Beschreibung der Hyperfeinstruktur. Zum magnetischen Moment des Kerns, 0 40 1 mm 50 60 70 80 Detektorposition Abb. 14.46. HyperfeinstrukturMultiplett des Natrium-Atoms im Stern-Gerlach-Experiment. Die mit A bezeichnete Linie gehört nicht zum Signal. Aus diesen Daten haben Isaac Rabi und Victor Cohen 1933 erstmals den Kernspin I = 3/2 von Natrium bestimmt (Phys. Rev. 43, 582 (1933)) μK = μ I = μ I I = g I μ K I = gI μB I , können wir in Analogie zum bohrschen Magneton das Kernmagneton definieren, μK = eh m el = μB , 2m p mp das um den Faktor 1/1 836 kleiner ist, sodass man auch eine entsprechend reduzierte Wechselwirkungsstärke erwartet. Ausgewählte Kern-g-Faktoren sind in Tabelle 14.11 zusammengestellt. 14.9 Der Einfluss der Atomkerne Atom 1H 2D 3 He 4 He 6 Li 7 Li 13 C 23 Na 29 Si 31 P 85 Rb 87 Rb I μ I /μ N gI 1/2 1 1/2 0 1 3/2 1/2 3/2 1/2 1/2 5/2 3/2 2,279 278 0,857 42 − 2,1275 – 0,822 02 3,2564 0,7024 2,2175 − 0,5553 1,1317 1,352 2,750 5,585 52(12) 0,857 42 − 4,2550 – 0,822 02 2,1709 1,4048 1,478 − 1,1106 2,2634 0,5408 1,833 Tabelle 14.11. Kernspin, Kernmoment und g I -Faktoren ausgewählter Kerne. Kerne mit einer geraden Anzahl von sowohl Protonen als auch Neutronen (gg-Kerne) tragen wegen des Paarungseffektes grundsätzlich keinen Spin Mit den hochauflösenden Methoden der Laserspektroskopie ist es heute kein Problem mehr, die Hyperfeinstruktur optisch mit guter Auflösung (Δν 1 MHz) zu beobachten (Abb. 14.47). Höhere Genauigkeit wird aber nach wie vor mit Radiofrequenz- oder Mikrowellenspektroskopie erzielt. Wie bei der Feinstruktur können wir auch hier von einer magnetischen Kopplung zwischen dem elektronischen Gesamtdrehimpuls J (effektives Magnetfeld Beff J) und dem Kerndrehimpuls I ausgehen. Wir lehnen die Analyse an die Spin-Bahn-Kopplung (Abschn. 14.4.1) an und formen den Gesamtdrehimpuls F̂ = Î + Ĵ 2 mit |I − J| ≤ F ≤ |I + J| . D a D5/2 2 D3/2 1028 MHz 2 (a) H0 = 0 2 D b c d a 2 578,7 nm b c F=2 (b) H0 = 170 G σ+ 0 d 1772 MHz 2 F=1 1 GHz Laser Frequenz S1/2 Abb. 14.47. Zwei-Photonen-Spektrum des 3S-4D-Übergangs im Natriumatom. Das Bild zeigt die Hyperfeinstruktur-Aufspaltung im 3S-Grundzustand (1 772 MHz) und die FeinstrukturAufspaltung im 4D-Zustand (1 028 MHz). Bei der Absorption von zwei Photonen aus gegenläufigen Laserstrahlen wird der Dopplereffekt unterdrückt, die scharfen Resonanzen sind dann nur durch die natürliche Linienbreite begrenzt. Absorption von zwei Photonen aus demselben Strahl erzeugt den breiten Untergrund, der ebenfalls sichtbar ist. (Mit freundlicher Erlaubnis von François Biraben) 787 788 14. Physik der Atome und ihre Anwendungen Die Wellenfunktionen und Quantenzustände besitzen die neuen Quantenzahlen (nlsJm J ), (Im I ) → (nlsJIFmF ) und sind Eigenzustände zum Operator Ĥhfs = −μ̂ I · Beff = A(J) I · J = A 2 F̂ − Î 2 − Ĵ 2 . 2 Daraus erhält man ohne Umstände die Energieverschiebungen A ΔE(J, I, F) = [F(F + 1) − I(I + 1) − J(J + 1)] . 2 Insbesondere gilt für J = 1/2 die Intervallregel A ΔE(1/2, I, I + 1/2) = I , 2 A ΔE(1/2, I, I − 1/2) = − (I + 1) und 2 ΔE hfs = A(I + 1/2) . Die Berechnung des A-Faktors, der mit hoher Genauigkeit gemessen werden kann (s. Abschn. 14.9.5), überlassen wir der Spezialliteratur, sie kann ohnehin mit einfacher Aussagekraft nur für das Wasserstoffatom ausgeführt werden. Einige Hyperfeinstruktur-Aufspaltungen besitzen große technische Bedeutung (s. Abschn. 14.9.4, 14.9.7, Tabelle 14.12). Auch den Einfluss eines externen Magnetfeldes B0 ez kann man wie bei der Feinstruktur behandeln. Und wie dort muss man schwache Felder (μB B0 /h ΔE hfs ) und starke Felder unterscheiden, bei denen die Hyperfeinkopplung aufgehoben wird. Bei schwachen Feldern kann man den Zeeman-Effekt der Hyperfeinstruktur zu Ĥhfs,Zee = A Î · Ĵ + g J μ B Jˆz B0 − gI μB Iˆz B0 mit ΔE = g F μB B0 mF Tabelle 14.12. Wichtige Hyperfeinstrukturen. Der geklammerte Wert am Ende der Frequenzangabe gibt die statistische, ein zweiter Wert die systematische Unsicherheit Δν [Hz] Atom J I F 1H 1/2 1/2 0,1 1 420 405 751,770(3) 2D 87 Rb 1/2 1/2 1/2 1/2 1 3/2 5/2 3/2 1/2, 3/2 1, 2 2, 3 1, 2 327 384 352,5222(17) 1 776 626 128,8(10) 3 035 732 440(3) 6 834 682 610,904 29(9) 133 Cs 1/2 7/2 3, 4 9 192 631 770 (exakt) 1/2 1/2 1/2 1/2 0, 1 0, 1 23 Na 85 Rb 171 Yb+ 199 Hg+ 12 642 812 118,4685(7) (6) 40 507 347 996,8416(4) Anwendung Wasserstoff-Maser 21 cm-Linie Frequenznormal Magnetometer Def. der Sekunde Atomuhr Frequenznormal Frequenznormal 14.9 Der Einfluss der Atomkerne 789 angeben. Der Landéfaktor beträgt (mj, mi) = (–1, 1) 2000 F(F + 1) + J(J + 1) − I(I + 1) gF = g J 2F(F + 1) F(F + 1) − J(J + 1) + I(I + 1) − gI . 2F(F + 1) F=1 1000 (1, –1) 0 Δν = 1420 MHz 1 mit x = (g J − gI )μB B/A(I + 1/2). 14.9.3 Magnetische Resonanz Unter dem Namen Magnetische Resonanz (MR), die schon mehr als 50 Jahre alt ist, werden heute eine Reihe von Methoden zusammen gefasst, denen ein gemeinsames experimentelles Konzept zugrunde liegt: Die Drehung mikroskopischer Gyromagneten in einem periodisch veränderlichen magnetischen Feld. In Tabelle 14.13 haben wir wichtige Beispiele aufgezählt. Zur Vorstellung werden wir die Methode verwenden, die in erster Linie gemeint ist, die Kernmagnetische Resonanz oder NMR (von engl. Nuclear Magnetic Resonance), die in Festkörperphysik, Chemie und Medizin ein ungewöhnlich breites Anwendungsfeld gefunden hat. Die Atomkerne sind in allen Systemen hervorragend von der Umgebung abgeschirmt, sodass Ihre Eigenschaften qualitativ immer gleich sind. Geringe, aber dennoch ausgesprochen gut beobachtbare Modifikationen dieser Eigenschaften haben der MR andererseits zu ihrem großen Erfolg in Anwendungen verholfen, weil sie Informationen über die Umgebung der Kernmomente liefern. Insbesondere in organischen Substanzen ist dabei das Proton von besonderer Bedeutung und soll daher hier als Modell dienen, denn weder 12 C noch 16 O, die auch sehr häufig sind, besitzen ein magnetisches Moment. Tabelle 14.13. Methoden der Magnetischen Resonanz Bezeichnung Kürzel Magnetisches Moment Kernmagnetische Resonanz (engl. Nuclear Magnetic Resonance) Elektronen-Spinresonanz Hyperfeinresonanz Ferromagnetische Resonanz NMR Kernspin ESR, EPR Rabi-Resonanz FMR Elektronenspin Pseudospin Magnetisierung x 3 (–1, –1) –1000 Der zweite Beitrag ist wegen gI /g J 1 i. Allg. vernachlässigbar. Für J = 1/2 und beliebigen Kernspin I, also gerade für die wichtigen AlkaliHyperfeinstrukturen, lässt sich sogar ein analytisches Resultat für alle Feldstärken angeben (Abb. 14.48), die berühmte Breit-Rabi-Formel: g (I + 1/2) A ΔE F,mF = − mF x 1− I 4 g J − gI (14.63) 1/2 4mF 2 x+x ± (2I + 1) 1 + 2I + 1 2 F=0 –2000 (–1, 1) 0 0,05 0,10 0,15 B (T) Abb. 14.48. Zeeman-Effekt der Hyperfeinstruktur von Wasserstoff nach der Breit-Rabi-Formel (14.63) 790 14. Physik der Atome und ihre Anwendungen Tabelle 14.14. Wichtige Kerne für die NMR Kern Spin μ/μK 1H 1/2 1 1/2 1/2 3/2 1/2 1/2 2,792 78 0,857 42 0,7024 2,6288 2,2175 − 0,5553 1,1317 2D 13 C 19 F 23 Na 29 Si 31 P ohne Feld E 0 γ/2π (MHZ/T−1 ) 42,573 6,535 10,705 40,059 11,263 8,458 17,237 im Feld B mI 12 ΔE γhB mI 12 Abb. 14.49. Energieniveaus eines Kerns mit Drehimpuls J = 1/2 (z. B. der Spin des Protons) im Magnetfeld Abb. 14.50. Schema einer Magnetresonanz-Apparatur, wie sie von E. Purcell mit R. Pound sowie F. Bloch 1946 bei der Entdeckung der NMR verwendet wurde. Die Resonanzfrequenz der Kerne im Probenröhrchen wird durch niederfrequente Modulation des homogenen Magnetfeldes B0 verändert, während die Hochfrequenz des anregenden transversalen Feldes konstant gehalten wird. Heute wird fast immer ein zeitliches Induktionssignal der Magnetisierung gemessen. Die spektralen Eigenschaften können dann jederzeit durch Fouriertransformation gewonnen werden Kernmagnetische Resonanz (NMR). Die Bewegung eines Drehimpulses, der mit einem magnetischen Moment μ = γ J verknüpft ist, erfährt im magnetischen Feld ein Drehmoment T = μ × B (s. Abschn. 14.3.3) und gehorcht der Kreiselgleichung, d J = μ× B = γ J× B . dt (14.64) Liegt ein longitudinales Magnetfeld in z-Richtung an, B = B0 ez , präzediert der Kreisel mit der Larmorfrequenz (14.19) ωL = γB0 = gL μB B0 /h. In Abb. 14.49 sind die mit der m-Quantenzahl bestimmten zugehörigen Energieniveaus für das wichtige Beispiel des Protons gezeigt. Die Präzessionsfrequenz von Protonen beträgt nach Tabelle 14.14 ωL = 2π · 42,6 MHz bei B0 = 1 T. Ein transversales magnetisches Wechselfeld B⊥ (t) = B⊥ e⊥ cos(ωt) oszilliert bei der Larmorfrequenz (ω = ωL ) genau im Takt mit der Präzessionsfrequenz. Zwar oszilliert das zugehörige Drehmoment, es wirkt aber immer in der gleichen Richtung (senkrecht zum Drehimpuls J und zur Richtung von B⊥ ) und verursacht eine Rotation des Drehimpulses, kann ihn sogar zum vollständigen Umklappen bringen. Durch die Umklapprozesse ändert sich die Einstellenergie −μ · B der magnetischen Momente, und der Probe in Abb. 14.50 muss deshalb mit der Hf-Spule Energie zugeführt oder entzogen werden. Die Rotation der mikroskopischen Drehimpulse findet ganz unabhängig von ihrer anfänglichen Orientierung und mit gleicher Rate statt, Zufuhr und Entnahme von Energie finden also in einer makroskopischen Probe, die aus 1018 oder mehr mikroskopischen Spins besteht, gleichzeitig statt. In der Apparatur muss deshalb zuerst mit Hilfe des Gleichfeldes B0 eine makroskopische Magnetisierung erzeugt werden. Die Einstellenergie beträgt bei einer Larmorfrequenz ΔE = −mhγB0 . Bei einem Magnetfeld von 1 T beträgt der Energieunterschied für die beiden Orientierungen m = ±1/2 von Protonen gerade einmal ΔE 0,2 μeV, Magnetschuhe x y Hf-Spule NiederfrequenzGenerator HF-Generator & Demodulation B Wobbelspulen 14.9 Der Einfluss der Atomkerne Tabelle 14.15. Wichtige Relaxationszeiten der Magnetresonanz Energierelaxation, ,,longitudinal“ T1 Spin-Gitter-Relaxation Phasenrelaxation, ,,transversal“ T2 Spin-Spin-Relaxation T2 Dephasierungszeit T2∗−1 = T2−1 + T2−1 T2∗ Dekohärenz, irreversibel reversibel Zerfallszeit des FID Bloch-Gleichungen. Die Dynamik der makroskopischen Magnetisierung wird mit den nach Felix Bloch (1905–1983, Nobelpreis 1952) benannten Gleichungen beschrieben. Dazu werden die Komponenten der Kreiselgleichung (14.64) verwendet, wobei die makroskopische Magnetisierung M = (Mx , M y , Mz ) ∝ J verwendet und um phänomenologische Relaxationsterme erweitert wird: (i) d Mx , Mx = −ωL M y − dt T2 (ii) My μB⊥ d cos ωt Mz − , M y = ω L Mx − dt h T2 (iii) μB⊥ M z − M0 d cos ωt M y − . Mz = dt h T1 (14.65) Longitudinale (Mz ) und transversale Komponenten (Mx , M y ) und unterliegen im Allgemeinen verschiedenen transversalen und longitudinalen Relaxationszeiten T1 bzw. T2 : Bei der Relaxation der Mz -Komponente findet ein Energieaustausch mit der Umgebung statt, zum Beispiel mit 30 MHz 40 kHz Absorptionssignal weniger als 1/100 000 der mittleren thermischen Energie kT = 25 meV bei Raumtemperatur. Im thermischen Gleichgewicht – das sich je nach Probe nach einigen ms einstellt – erwarten wir daher nur einen sehr kleinen Besetzungszahlunterschied Δn/n 0 = (n + − n − )/n 0 = 1 − exp(hω L /kT ) 10−5 . Die große Zahl von Kernspins (1019 cm−3 ) in einer festen oder flüssigen Probe macht den Nachweis dieser Magnetisierung und ihrer Dynamik dennoch möglich. In Abb. 14.51 ist das Resonanzsignal von Protonen in Eis gezeigt, das mit einer Apparatur ähnlich zu Abb. 14.50 gewonnen wurde und direkt auf einem Oszillographen dargestellt werden kann. Statt die Frequenz zu ändern war es in der Vergangenheit einfacher, dem Magnetfeld B0 mit Wobbelspulen ein schwaches niederfrequentes Magnetfeld zu überlagern, also B = B0 + B1 sin(ωmod t) mit ωmod ωL . Der Detektorkreis ist als Schwingkreis ausgelegt, dessen Resonanzfrequenz und Güte durch die Magnetisierung der Probe verändert wird. Genau auf der Resonanz ist die Verstimmung 0, aber dem Schwingkreis wird mehr Energie entzogen. Sowohl das Absorptionssignal als auch die Frequenzverstimmung können mit einer geeigneten Schaltung demoduliert werden und dann direkt auf dem y-Eingang des Oszillographen dargestellt werden. Magnetfeld B0 Abb. 14.51. Resonanzkurve von Protonen in Eis bei einer Magnetfeldstärke H = 0,7 T entsprechend einer Resonanzfrequenz von etwa 30 MHz. Die beiden Protonen des H2 O-Moleküls können entweder parallel oder antiparallel ausgerichtet sein. Je nach Einstellung wird das äußere Feld etwas verringert oder erhöht, daher werden zwei leicht aufgespaltene Linien beobachtet 791 14. Physik der Atome und ihre Anwendungen dem Gitter eines Festkörpers, daher existiert aus historischen Gründen die Bezeichnung Spin-Gitter-Relaxation. Der Zerfall der auch Polarisation genannten transversalen Komponenten kennzeichnet den in Festkörpern sehr viel schnelleren Verlust der Phasenbeziehung (,,Dephasierung“, T2 T1 ) der mikroskopischen Dipole untereinander, der zum Beispiel durch Wechselwirkungen der magnetischen Momente untereinander verursacht wird (Spin-Spin-Relaxation). In Flüssigkeiten beobachtet man interessanterweise sehr scharfe NMR-Linien und T2 T1 : Die Umgebung eines Spins ist dort ständigen und sehr schnellen Fluktuationen ausgesetzt, deren Phasenstörung im Mittel für alle Spins gleich ist. Die Blochgleichungen sind wegen ihrer großen Bedeutung intensiv studiert worden, und im Gleichgewicht erkennt man sofort, dass für B⊥ = 0 Mx = M y = 0 und Mz = M0 gelten muss: Die effektiv verfügbare Größe der Magnetisierung für N0 Teilchen mit magnetischen Moment μ ist im thermischen Gleichgewicht in z-Richtung orientiert: Mz = M0 N0 μhγB0 /kT . Die dynamische Entwicklung lässt sich in den einfachsten Fällen mit harmonischen gedämpften Schwingungen interpretieren. Freier Induktionszerfall. Nehmen wir an, dass die Magnetisierung aus der z- in die y-Richtung gedreht worden ist, M(t = 0) = (0, M0 , 0). Wenn die Dämpfung keine Rolle spielt, z. B. kurz nach dem Anstoßen dieser Bewegung, wird aus (14.65) Induktionssignal 792 Zeit Abb. 14.52. Freier Induktionszerfall von Protonen in Wasser, Halbwertszeit ca. 10 ms. Der 90◦ -Hf-Impuls von 10 μs Dauer, der das Signal ,,anstößt“, ist nicht gezeigt d Mx = −ωL M y − Mx /T2 dt und d M y = ωL Mx − M y /T2 (14.66) dt und die Magnetisierung schwingt mit Mx = −M0 sin(ωL t)e−t/T2 und M y = M0 cos(ωL t)e−t/T2 . In Abb. 14.52 ist das Beispiel von Protonen in Wasser gezeigt, deren Magnetisierung innerhalb von ca. 10 ms auf die Hälfte abnimmt. Die rotierende Magnetisierung induziert dabei in der Hf-Spule eine Wechselspannung bei der Lamorfrequenz ωL . Der Zerfall dieses Signals wird Freier Induktionszerfall oder FID (von engl. Free Induction Decay) genannt und durch die so genannte T2∗ -Zeit charakterisiert. Inhomogenitäten der Umgebung verursachen die Dephasierung der mikroskopischen magnetischen Momente und daher den Zerfall der messbaren makroskopischen Magnetisierung. Mit der im folgenden Abschnitt behandelte Spin-Echo-Methode ist es aber möglich, eine Rephasierung und ein Wiederaufleben des Induktionssignals zu erreichen. Wie kommt die in z-Richtung orientierte Gleichgewichts-Magnetisierung in die xy-Ebene? Dazu wendet man starke Hf-Pulse B⊥ sin(ωL t) in x-Richtung an. Wir betrachten eine Amplitude M für die mit ωL rotierende transversale Magnetisierung, Mx (t) = M(t) sin(ωL t) und M y (t) = M(t) cos(ωL t), die sich langsam im Vergleich zur Larmorfrequenz, aber schnell im Vergleich zu den Relaxationszeiten ändert, ωL (d M)/dt/M 1/T1,2 . Wir setzen in (14.65) ein und addieren die ersten beiden Gleichungen mit (i) × cos(ωL t) + (ii) × sin(ωL t). Weil die Oszillation mit ωL sehr viel schneller stattfindet als die Amplitudenänderung, können wir näherungsweise cos2 (ωL t) 1/2 setzen und erhalten mit Ω = μB⊥ /2h die beiden Gleichungen 14.9 Der Einfluss der Atomkerne μB⊥ d cos2 (ωL t)Mz ΩMz , M= dt h B0 die wiederum eine Drehung, diesmal in der xz-Ebene, beschreiben (Abb. 14.53). Mit kräftigen kurzen Pulsen (μB⊥ /h T1,2 ) kann man also die Magnetisierung M0 ohne wesentliche Verluste aus der z-Achse herausdrehen und z. B. bei μB⊥ /h · t = π/2 um genau 90◦ in xy-Ebene klappen. Vom apparativen Standpunkt ist die Aufnahme eines zeitlich veränderlichen Signals vorteilhaft gegenüber der Amplitudenmessung wie in Abb. 14.50, die spektralen Eigenschaften können dann nachträglich und ohne Schwierigkeiten durch Fouriertransformation gewonnen werden. Heute verwendet man in NMR-Apparaturen komplexe Pulssequenzen, die optimale Auflösung garantieren. Spin-Echos. In einem perfekt homogenen Magnetfeld sollten alle magnetischen Momente mit derselben Frequenz präzedieren. Wegen der unterschiedlichen Umgebungen, der die Kerne in Molekülen, im Festkörper oder in biologischen Substanzen ausgesetzt sind, weichen aber z. B. die lokalen magnetischen Felder geringfügig (im ppm-Bereich) voneinander ab, sodass die makroskopische Magnetisierung durch ,,Dephasierung“ zerfällt. Weil aber jedes Teilchen weiterhin mit seiner eigenen lokalen Frequenz weiterpräzediert, lässt sich dieser Zerfall mit der Spin-Echo-Technik umkehren: Ein 180◦ -Impuls (Abb. 14.54; er entspricht einem doppelt so langen oder doppelt so intensiven 90◦ -Impuls) invertiert die Phasenlage der einzelnen Spins und verursacht so das Wiederaufleben der makroskopischen Polarisation nach genau derselben Zeit, die zwischen den beiden Anregungsimpulsen vergangen ist (Abb. 14.55). z ωL 90°-Impuls 0 Dephasierung freier Induktionszerfall z ωL z ωL z ωL 180°-Impuls T Rephasierung Spin-Echo 2T T *2 Dekohärenz z (14.67) μB⊥ d cos2 (ωL t)M −ΩM , Mz = − dt h z 793 T2 Zeit x y Abb. 14.53. Ein π/2-Impuls des transversalen und resonanten Hf-Feldes dreht die Magnetisierung in die xyEbene. Die Rotation um die z-Achse entspricht der Larmorpräzession, während die langsamere Drehung in die xy-Ebene vom transversalen Hf-Feld verursacht wird. Die Amplitude der Magnetisierung ändert sich dabei nicht, sie bewegt sich auf der Oberfläche der Blochkugel Abb. 14.54. Vektormodell des freien Induktionszerfalls (FID) und des Spin-Echos. Die Pfeile veranschaulichen mikroskopische magnetische Momente dar, die sich zur makroskopischen Magnetisierung addieren. In einem Koordinatensystem, das mit der Larmorfrequenz ωL um die z-Achse rotiert, sollten die magnetischen Momente bei perfekter Resonanz ihre Position nach dem 90◦ -Impuls beibehalten. Kleine Abweichungen lassen sie jedoch vom Mittelwert weg auseinander laufen. Nach dem 180◦ -Impuls setzen die Momente ihre Präzession an gespiegelter Position mit gleicher Geschwindigkeit fort und treffen daher alle gleichzeitig am gegenüberliegenden Ort ein, sodass erneut eine makroskopische Magnetisierung und damit ein messbares Induktionssignal entsteht 14. Physik der Atome und ihre Anwendungen 794 14.9.4 Magnetische Resonanz in Chemie und Medizin Induktionssignal 0 100 200 300 400 500 Zeit (ms) Abb. 14.55. Stimuliertes Spin-Echo an Wasser. Dabei wird der 180◦ Impuls aus Abb. 14.54 in zwei 90◦ -Impulse aufgeteilt. Dabei wird ein Teil der Magnetisierung entlang dem statischen Magnetfeld gespeichert. Die Rephasierung beginnt erst nach dem dritten Impuls. Mit freundlicher Erlaubnis von Dieter Suter, Dortmund Die magnetischen Momente der Kerne liegen einerseits sehr gut geschützt im Inneren der atomaren Hüllen, andererseits zeigen sie doch eine deutlich messbare Wirkung ihrer unmittelbaren Umgebung auf die genaue Lage der Resonanzfrequenzen und die Zerfallszeiten T1 , T2 , T2∗ . Dieser Umstand hat die NMR zu einer wichtigen Methode bei der Strukturaufklärung in Festkörpern, in der Chemie, vor allem der organischen Chemie und daher auch biologischen Proben bis hin zur Medizin gemacht: Die nunmehr bekannten Eigenschaften machen die Kerne zu einer empfindlichen Sonde für ihre Umgebung, und insbesondere sind z. B. Protonen gerade auch in organischer Materie in großer Dichte vorhanden. Wir führen mit wenigen Beispielen zwei Grundkonzepte von Anwendungen der NMR ein: Die so genannte chemische Verschiebung und die Kernspin-Tomographie. Chemische Verschiebung. Ein äußeres Magnetfeld beeinflusst ein Atom mit einem magnetischen Kern auf zweifache Art und Weise: Einerseits wird das magnetische Moment des Kerns direkt zu Präzessionsbewegungen angestoßen. Andererseits schirmen die Elektronenwolken, die den Atomkern umgeben, das äußere Magnetfeld B0 durch ein geringes Gegenfeld B ab – wie bei der lenzschen Regel aus Abschn. 7.1.3. Während die Eigenschaften des Kerns immer unverändert bleiben, hängt das genaue Feld am Kernort B = B0 − B also von der Elektronenstruktur der Umgebung und damit in erster Linie von der chemischen Bindung ab, die durch die Elektronenkonfiguration zustande kommt (s. Kap. 16). Es ist ein Unterschied, ob eine Einfach- oder Doppelbindung vorliegt, ob z. B. Stickstoff-Atome oder ob Phosphor-Atome an der Bindung beteiligt sind. Die NMR-Frequenzen der Protonen in typischen Baugruppen organischer Moleküle wie z. B. CH2 und CH3 sind daher geringfügig gegeneinander verschoben und können umgekehrt zu deren Identifikation dienen. 1 H NMR Spektrum von Ethylbenzol (CH3-CH2-C6H5) in CDCl3 1 H chemische Verschiebungen: Übersicht 8 7 6 5 4 CH2 Abb. 14.56. Chemische Verschiebung am Beispiel von gelöstem Äthylbenzol. Es besteht aus drei charakteristischen Baugruppen, CH3 −CH2 −C6 H5 , die durch eine entsprechende Verschiebung identifiziert werden können. Der Nullpunkt wird mit der häufig verwendeten Eichsubstanz TMS (Tetramethylsilan) festgelegt. Mit freundlicher Erlaubnis von Dieter Suter, Dortmund 3 2 CH2 schwächere Abschirmung 1 CH3Protonen 0 CH3 TMS stärkere Abschirmung CH2Protonen Aromatische Protonen (C6H5) ppm 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 14.9 Der Einfluss der Atomkerne In NMR-Spektrometern wird die relative Frequenzverschiebung einer Probesubstanz relativ zu einer Eichsubstanz gemessen. Die relative Verschiebung heißt chemische Verschiebung und hängt nicht vom angelegten Magnetfeld ab. Sie lässt sich sehr genau vermessen, νi − νref × 106 , δ= νref und wird in ppm (parts per million) angegeben wie am Beispiel von Abb. 14.56 gezeigt. Kernspin-Tomographie. Ihren Erfolg verdankt die Kernspintomographie mindestens zwei Umständen: Mit diesem Verfahren kann man in lebende Substanzen ,,hineinsehen“, denn Hf-Strahlung dringt in menschliches Gewebe zwischen 3 und 300 MHz sehr gut ein. Im Unterschied zur Röntgendiagnostik werden außerdem kontrastreiche Bilder nicht nur von harten Substanzen, sondern auch von dem dominierenden weichen Gewebe erzeugt, sodass neue diagnostische Erkenntnisse gewonnen werden. Dabei wird das Bild allerdings nicht wie in einem Mikroskop erzeugt, sondern Punkt für Punkt (Voxel für Voxel) werden Grauwerte aus den Rohdaten des Induktionssignals errechnet und zu einem Bild zusammen gesetzt. Es ist offensichtlich, dass diese Methode von der Verfügbarkeit leistungsfähiger Rechner abhängt und profitiert. Technisch gesprochen werden die verschiedenen Grauwerten, die Kontraste aus den Eigenschaften der Volumenelemente der Probe erzeugt, die sich im Induktionssignal in Frequenzverschiebungen, durch Änderungen der Relaxationszeiten, insbesondere von T2 , oder durch die unterschiedliche Protonendichte der Probe äußern. Aus dem zeitabhängigen Messsignal werden diese Werte durch Fouriertransformation ermittelt. Räumlich inhomogene Magnetfelder werden verwendet, um aus den Eigenschaften des Induktionssignals nicht nur die Probeneigenschaften, sondern zusätzlich eine Ortskodierung zu gewinnen. Dazu wird das homogene Magnetfeld (bei medizinischen Anwendungen tpisch 1–1,5 T) zusätzlich mit Gradienten Gx = ∂/∂x Bz etc. überlagert (Abb. 14.57): B(r0 + δr) = B0 ez + (Gx Δx, Gy Δy, Gz Δz) · ez . Die dabei auftretenden Modifikationen der Richtung können vernachlässigt werden. Steuerung Gx Gy Gz X HFImpulse Z HFSignal Y Kühlflüssigkeit Magnetspulen Tabelle 14.16. Protonen-Relaxationszeiten im Gewebe Gewebe T1 (ms) T2 (ms) Graue Substanz Weiße Substanz Nieren Leber Muskeln 920 790 650 490 870 101 92 58 43 47 Abb. 14.57. Schematischer Aufbau einer Magnetresonanzapparatur wie er auch in der medizinischen Diagnose verwendet wird. Die ringförmigen Spulen erzeugen ein homogenes Feld von 1–1,5 T in z-Richtung. Sie bestehen aus Supraleitern (typischerweise NbSn3 ) und werden von ineinander geschachtelten Kühltanks für flüssigen Stickstoff und flüssiges Helium umgeben. Als Gradientenspulen (dunkelblau, nur für den Gradienten G x in x-Richtung dargestellt; die Pfeile zeigen die Stromrichtung an; Gradienten in y- und z-Richtung werden durch weitere Gradientenspulen erzeugt.) sind hier so genannte Golay-Spulen gezeigt, bei denen nur die Kreisbögen zum Feld in der Messzone beitragen, nicht aber die stabförmigen Zuleitungen. In der Sattelspule (dunkelgrau) wird von der rotierenden Magnetisierung der Kernspins das Hf-Messsignal induziert 795 796 14. Physik der Atome und ihre Anwendungen Abb. 14.58. Die Magnetresonanz(MR)Bilder der Lunge wurden nach Einatmung von 0,3 Liter kernspinpolarisierten 3 He-Gases an der Universitätsklinik Mainz aufgenommen. Das Bild zeigt die Verteilung des 3 He-Gases in der Lunge eines Nichtrauchers und eines Rauchers und erlaubt pathologische Befunde. (Mit freundlicher Erlaubnis von W. Heil) Nichtraucher Raucher In einer Messsequenz kann z. B. zunächst durch einen Gradienten in z-Richtung nur eine ausgewählte xy-Schicht angeregt werden, deren Dicke man wegen Δz = Δν/γGz durch die Steilheit des Gradienten oder die Bandbreite des anregenden Hf-Impulses Δν einstellen kann. Beim Auslesen des FID-Impulses kann der z-Gradient abgeschaltet und stattdessen durch Gradienten in x- oder y-Richtung die Phasenentwicklung der präzedierenden Spins ortsabhängig so beeinflusst werden, dass aus der Fouriertransformation die Ortsinformation gewonnen werden kann. Die Entwicklung der bildgebenden Magnetresonanzverfahren ist keineswegs abgeschlossen. Ein Beispiel für eine neuere Entwicklung ist in Abb. 14.58 gezeigt. In den Hohlräumen der Lunge ist die effektive Spindichte eines paramagnetischen Gases (das natürlich unbedenklich sein muss wie z. B. ein Edelgas) mit thermischer magnetischer Polarisierung normalerweise viel zu gering, um ein nachweisbares Kernspinsignal zu induzieren. Dieses Problem kann überwunden werden, indem man ein anderes, unschädliches Gas einatmet, dessen Polarisierung zuvor durch optisches Pumpen (s. Abschn. 14.9.8) auf fast ideale Werte erhöht worden ist. Kernspinpolarisiertes 3 He-Gas kann in geeigneten relaxationsarmen Glasbehältern zwischen 50 und 100 Stunden gespeichert werden. In der funktionalen Magnetresonanz versucht man, lokale Veränderungen der Messgrößen auch dynamisch zu erfassen. Zum Beispiel ändert sich die Magnetisierungsdichte in der Lunge beim Atmen, oder T2 wird durch kleine lokale Magnetfelder im Gehirn verändert und erlaubt es, die Neuronenaktivität darzustellen. 14.9.5 Rabi-Atomstrahlresonanz Die auch nach I. I. Rabi (1898–1988, Nobelpreis 1944) benannte Anordnung zur Atomstrahlresonanz kann man als natürliche Erweiterung des Stern-Gerlach-Experiments ansehen. Darin wird zwischen zwei ablenkenden Stern-Gerlach-Magneten (A und B in Abb. 14.59) mit einem inhomogenen Magnetfeld ein weiteres, homogenes Magnetfeld (C-Magnet in Abb. 14.59) eingerichtet, um dort Radiofrequenz-Übergänge zwischen magnetischen atomaren Zuständen zu induzieren. 14.9 Der Einfluss der Atomkerne A-Magnet C-Magnet B-Magnet N N N Block Strahlquelle Detektor S Ablenkmagnet Spalt S homogenes Magnetfeld S zur Rf-Spule Das C-Magnetfeld kann ganz in Analogie zur zuvor behandelten NMR (Abschn. 14.9.3) dazu dienen, die atomaren Zustände aufzuspalten; es können aber auch Übergänge zwischen Hyperfeinzuständen (Abschn. 14.9.2) mit Drehimpulsquantenzahlen F und F induziert werden. Dabei wird i. Allg. ein geringes externes Magnetfeld verwendet, um die mF -Zustände durch den Zeeman-Effekt aufzuspalten (Abb. 14.60). Wenn der Frequenzabstand zwischen zwei Niveaus ω0 beträgt, sind die beiden Energieniveaus um ±hω0 /2 verschoben. In einem vereinfachten Modell reicht es dann, nur die zwei Zustände ψa und ψb zu berücksichtigen, die durch das Hochfrequenzfeld zu Überlagerungen angeregt werden, Refokussiermagnet Abb. 14.59. Atomstrahlresonanz in der so genannten Rabi-Apparatur. In den A- und B-Magneten herrscht ein inhomogenes Magnetfeld (angedeutet durch die horizontalen Linien), in C ein homogenes Magnetfeld B0 . Der A-Magnet lenkt eine ausgewählte m F Komponente in den C-Magneten, wo mit einer Spule ein zu B0 orthogonales Radiofrequenz-Magnetfeld angelegt wird. Der B-Magnet fokussiert wiederum nur Atome mit ausgewählten m F -Zuständen auf den Detektor Ψ = ca ψa + cb ψb . Die Zeitentwicklung der komplexen Koeffizienten ca,b kann aus der Schrödinger-Gleichung ih∂/∂tψ = ĤΨ = ( Ĥ0 + Ĥ )Ψ gewonnen werden. Hier gilt für den ungestörten Fall, d. h. in Abwesenheit des transversalen Rf-Feldes, Ĥ0 ψa = hω0 /2ψa bzw. Ĥ0 ψb = −hω0 /2ψb . Das Radiofrequenzfeld koppelt die beiden Zustände (a, b) durch das magnetische Moment und es gelte Ĥ ψa = μ̂B⊥ cos ωtψa = μab B⊥ cos ωtψb und entsprechend für Ĥ ψb . Dann findet man mit Ω0 = 2μab B⊥ : i ω0 Ω0 d ca = ca + cos ωt cb , dt 2 2 hω0 ca (t = 0) = 0 , F=1 (14.68) Ω0 ω0 d cb = cos ωt ca − cb , cb (t = 0) = 1 . dt 2 2 Zur Beschreibung derLösungen ist es ist sinnvoll, die verallgemeinerte Rabi-Frequenz Ω = (ω0 − ω)2 + Ω02 einzuführen. Ferner lassen wir die Lösungen fallen, die mit ω + ω0 2ω oszillieren (Diese verursachen die kleine Bloch-Siegert-Verschiebung der Resonanzfrequenz.) und finden i Ω0 ca (t) = −i sin (Ωt/2) e−i(ω−ω0 )t/2 , Ω ω0 − ω sin (Ωt/2) + cos (Ωt/2) ei(ω−ω0 )t/2 . cb (t) = i Ω ψa F=2 (14.69) Wir interessieren uns vornehmlich für die Besetzung des angeregten Zustandes +hω0/2 –hω0/2 ψb m = –2 –1 0 –1 –2 Abb. 14.60. Pseudo-Spin-1/2-System in einem magnetischen Hyperfeindublett mit Drehimplusquantenzahlen F = 2 und F = 1. Die Zustände sind mit einem kleinen Magnetfeld durch den Zeeman-Effekt aufgespalten. Das Hf-Feld induziert wegen der Resonanzbedingung nur Übergänge zwischen den beiden ausgewählten Zustände mit (F = 1, m F = 0) und (F = 2, m F = 0). Das System verhält sich formal genau wie ein Spin-1/2-System mit Zuständen m = ±1/2. Das Beispiel trifft für das 87 Rb-Atom zu 797 798 14. Physik der Atome und ihre Anwendungen 1,0 Pa Pa (t) = |ca (t)|2 = (ω0 − ω)2 + Ω02 sin2 1/2 t/2 . (ω0 − ω)2 + Ω02 Ω02 (1 − cos Ωt) 2Ω 2 Im Atomstrahl wird die Dauer der Hf-Einwirkung durch die Durchflugszeit bestimmt, t = l/v für die Länge der Anregungszone l und die Geschwindigkeit v. In Abb. 14.61 ist das Anregungsspektrum für verschiedene wichtige Situationen aufgetragen: Bei monochromatischem Atomstrahl wird im Resonanzfall bei Ω0 = πv/l gerade perfekte Anregung erreicht, die mit der Verstimmung oszillierend abnimmt. Beim thermischen Atomstrahl mit √ der charakteristischen Geschwindigkeit vth = 2kT/m muss man über alle Geschwindigkeiten summieren. Die Oszillationen werden dabei ausgewaschen und man erreicht optimale Anregung für Ω0l/vth = 1,2 · π. Lässt man die Magnetfeldstärke und damit die Rabi-Frequenz weiter wachsen, nimmt die Breite der Resonanz zu. Die maximale Anregungswahrscheinlichkeit nimmt den Wert 1/2 an, weil angesichts schneller Rabi-Oszillationen die Besetzungswahrscheinlichkeit in Resonanznähe für beide Zustände gleich wird. Von besonderem Interesse ist die Frequenzbreite Δν der magnetischen Resonanz, und für den thermischen Atomstrahl berechnet man durch Integration über die Geschwindigkeitsverteilung (Abschn. 5.2.10): = 0,5 0,0 Ω02 ω0 Frequenz Abb. 14.61. Berechnetes Spektrum der magnetischen Resonanz. Gestrichelt: Für einen monochromatischen Atomstrahl mit wahrscheinlichster Geschwindigkeit vw , bei dem Ω0 l/vth = π eingestellt wurde; ausgezogen: Thermischer Atomstrahl und optimale Bedingungen bei Ω0 l/vth = 1,2 · π; schattiert: desgleichen, aber 10fache Rabifrequenz Δν = Δω/2π = 1,072 vth /l . (14.70) Bis auf einen konstanten Faktor entspricht dieses Resultat der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation Δν · Δt 1. Man kann sich nun leicht vorstellen, dass die Resonanzfrequenz um so genauer bestimmt ist, je schmaler die Resonanz ist, der Q-Faktor dieser Resonanz Q = ν/Δν soll möglichst groß sein. Weil die spontane Emission der Mikrowellenübergänge vernachlässigt werden kann, und weil der Atomstrahl unter stoßfreien Bedinungen im Vakuum propagiert, hängt diese Breite nach (14.70) interessanterweise gar nicht von atomaren Eigenschaften ab, sondern nur von apparativen Gegebenheit, hier der Länge der Anregungszone l und der Geschwindigkeit vth . Daher sind magnetische Resonanzübergänge ideale Kandidaten für Frequenznormale, die man überall auf der Erde aufstellen kann, um möglichst synchrone Zeittakte zu erzeugen. 14.9.6 Ramseys Methode der getrennten oszillierenden Felder Gleichung (14.70) scheint zu versprechen, dass man die Resonanzbreite durch schlichte Verlängerung der Übergangsregion immer weiter verringern könnte. Diese Annahme setzt allerdings sowohl eine extrem hohe Feldhomogenität als auch identische Phasenlagen des Mikrowellenfeldes für alle möglichen Atomstrahltrajektorien voraus, die in der Praxis nicht erreicht wird. Ramsey hat mit der nach ihm benannten Methode der getrennten oszillierenden Felder (engl. separated oscillating fields), für die er 1989 (zusammen mit H. Dehmelt und W. Paul) den Nobelpreis erhielt, einen Weg gefunden, lange Wechselwirkungszeiten T zu realisieren, die von den Feldinhomogenitäten und Phasenlagen weniger stark beeinträchtigt werden. Das Konzept der Atomuhr hängt ganz eng 14.9 Der Einfluss der Atomkerne Detektor (original) Ablenkmagnet HohlraumResonator Zentralscheibe (Original) Cs-Atomstrahlofen (Original, aufgeschnitten) Ablenkmagnet (Sechspolsystem, Original) Abb. 14.62. Caesium-Atomuhr nach der Methode der getrennten oszillierenden Felder nach N. Ramsey (PhysikalischTechnische Bundesanstalt Braunschweig, Andreas Bauch). Der Atomstrahl propagiert von rechts nach links. Die Ablenkmagnete entsprechen den A- und B-Magneten der Rabi-Apparatur (Abb. 14.59). Die Rf-Übergänge werden in den beiden rechtwinklig angeordneten Stücken des Mikrowellen-Resonators induziert. Der Hohlraum-Resonator wird von einer langen Spule umgeben, die das C-Feld erzeugt (nicht eingezeichnet) mit Ramseys Methode zusammen und entspricht im Wesentlichen der Anordnung aus Abb. 14.62. Die magnetische Resonanz wird darin auf zwei vergleichsweise kurze Wegstrecken (Durchflugszeit τ) am Anfang und am Ende der Flugstrecke beschränkt, die durch eine längere Strecke (Flugzeit T ) voneinander getrennt sind. Der Mikrowellenresonator ist symmetrisch aufgebaut, um für alle Atomstrahltrajektorien hinweg eine möglichst identische Phasenlage der beiden Anregungszonen zu erzielen. Die Wirkung der Ramsey-Methode beruht auf der Phasenkohärenz zwischen den beiden Wechselwirkungszonen – zwischen den beiden Zonen sollen Atome und Mikrowellenoszillator im Idealfall perfekt synchron zueinander weiterschwingen. Um die Wirkung auf die atomaren Zustände zu verstehen, können wir uns an (14.68) und (14.69) orientieren, müssen aber nun berücksichtigen, dass sich das Atom beim Eintritt in die jeweils nächste Zone bereits in einer Überlagerung (ca , cb ) befindet. Die allgemeine Lösung besteht aus Drehungen im Zustandsraum ψa,b , ca (t) ca (t0 ) = M(t − t0 ) cb (t) cb (t0 ) mit ⎛ ⎞ Ωt ω0 − ω Ωt Ω0 Ωt cos −i sin −i sin ⎜ ⎟ 2 Ω 2 Ω 2 M(t) = ⎝ ⎠. Ω0 Ωt Ωt ω0 − ω Ωt −i sin cos +i sin Ω 2 2 Ω 2 In den Zonen 1 und 3 gilt Ω0 = 2μB/h, t = τ in Zone 2 Ω0 = 0, t = T . Die kombinierte Wirkung der drei Zonen wird nach ca (0) ca (T + 2τ) (3) (2) (1) = M (τ)M (T )M (τ) cb (T + 2τ) cb (0) 799 800 14. Physik der Atome und ihre Anwendungen Abb. 14.63. Entwicklung des atomaren Zustands beim Durchqueren einer Ramsey-Apparatur. Zu Beginn sind alle Atome im Zustand b Mikrowellenzuführung T τ τ a b Abb. 14.64. Spektrum der atomaren Anregungswahrscheinlichkeit Pa bei der Methode der getrennten oszillierenden Felder (,,RamseyMethode“) an einem thermischen Atomstrahl. Gestrichelt: Anregung durch nur einen Puls wie in Abb. 14.61 0,8 ττ 0,6 t 0,4 τ τ T = 2τ 0,2 τ 0 T = 5τ –10 0 t τ t 10 berechnet. Wenn der reine Zustand in die Apparatur injiziert wird ((ca , cb ) = (0, 1)), dann berechnet man die Anregungswahrscheinlichkeit in a nach (3) (2) (1) (3) (2) (1) 2 M11 M12 + M12 M22 M22 . (14.71) Pa = |ca (2τ + T )|2 = M11 An dieser Schreibweise erkennt man deutlich die auch in Abb. 14.63 unten illustrierte Quanteninterferenz: Die Übergangsamplituden von Zustand b nach a aus der Zone 1 und 2 interferieren analog zu einem Zwei-SpaltExperiment (Abschn. 10.1.2). Wertet man (14.71) aus, erhält man 2 Ω0 Ωτ sin2 Pa (τ, T ) = 4 Ω 2 (ω0 − ω)T ω0 − ω Ωτ (ω0−ω)T 2 Ωτ . cos − sin sin × cos 2 2 Ω 2 2 In Abb. 14.64 ist der Einfluss der Ramsey-Methode auf das Spektrum der Rabi-Resonanz vorgestellt. 14.9.7 Atomuhren, atomare Springbrunnen und GPS Atomuhren. Atomuhren waren geradezu eine natürliche technische Folge der Ramsey-Methode, die hohe spektrale Auflösung für Atome als absolut reproduzierbare Oszillatoren verfügbar machte. Die so genannten primären Uhren dienen der Realisierung der Sekunde, alle größeren Industrieländer unterhalten zu diesem Zweck eigene Laboratorien, Deutschland an der 14.9 Der Einfluss der Atomkerne 1,0 0,5 0,0 –50 Detektorsignal 1,0 1,0 0,8 0,8 0,6 0,6 0,4 0,4 0,2 0,2 0,0 –6 –4 –2 0 2 4 6 fp – f0 (kHz) 0,0 –0,2 0 –0,1 0,0 50 0,1 0,2 Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB). Sie geben durch internationalen Vergleich den Zeittakt vor, mit dem alle anderen Uhren z. B. durch Funkübertragung synchronisiert werden. Frequenznormale dienen dazu, extrem genaue Frequenzen für verschiedenste Anwendungen zu realisieren, zum Beispiel ist jeder Satellit des GPS-Systems (s. u.) mit einem Frequenznormal ausgestattet. Caesium hat sich als besonders vorteilhaftes Atom für Frequenznormale erwiesen, weil seine Resonanzfrequenz ν bei 9,2 GHz schon relativ groß ist, die Geschwindigkeit des schweren Atoms im Strahl relativ klein und wegen (14.70) der Q-Faktor groß, und weil es ferner einfach zu handhaben ist. Das Spektrum einer primären Caesium-Uhr ist in Abb. 14.65 gezeigt. Der Q-Wert der Caesium-Hyperfeinresonanz beträgt für RamseyApparaturen mit einer Baulänge von 0,3 m Q = ν/Δν 3 · 107 , und nach Jahrzehnten systematischer Untersuchungen konnte der Mittenwert dieser Resonanz bei den primären Uhren mit einer absoluten Unsicherheit von weniger als 10−14 realisiert werden. Heute ist die Caesium-Frequenz zur Grundlage der Zeitmessung weltweit geworden und ihr Wert legt die Zeiteinheit der Sekunde definitionsgemäß fest: Die Sekunde (s) ist das 9 192 631 770fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids 133 Cs entsprechenden Strahlung. Atomuhren und Frequenznormale werden sorgfältig hinsichtlich ihrer Unsicherheiten charakterisiert. Neben der statistischen Unsicherheit, die bei jeder Messeinrichtung auftritt (Abschn. 1.1.7), ist die systematische Unsicherheit besonders wichtig, sie beschreibt die Variationen von Uhr zu Uhr, die auch bei identischer Bauart immer kleine Abweichungen zeigen. 100 150 (kHz) Abb. 14.65. Radiofrequenz-Spektrum der primären Caesium-Atomuhr der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Braunschweig nach der RamseyMethode. Die asymmetrische Intensität der (F = 3, m F ) → (F = 4, m F )Übergänge ist eine Folge unterschiedlicher Besetzung der m F -Zustände im Atomstrahl. Die Atomuhr wird auf das zentrale Maximum des 0 → 0Übergangs geregelt. Mit freundlicher Erlaubnis von Andreas Bauch 801 802 14. Physik der Atome und ihre Anwendungen Detektor & Demodulator Caesium Strahlrohr v0 = 9,192631770 Modulator Regeleinrichtung FrequenzSynthesizer QuarzOszillator 10 MHz Referenzfrequenz Abb. 14.66. Wichtige Komponenten einer Atomuhr. Neben elektronischen Regeleinrichtungen gibt es zwei Oszillatoren: Der Quarz-Oszillator dient als ,,Schwungrad“, das bei kurzen Zeiten für hohe Stabilität sorgt. Auf längerer Zeitskala wird die Schwingung des Quarz-Kristalls mit der Schwingung der Caesium-Atome synchronisiert In einer Atomuhr wird die Caesium-Resonanz für die Langzeitstabilität eingesetzt, die Kurzzeitstabilität (< 1 s) liefert ein anderer Oszillator, der als ,,Schwungrad“ dient, typischerweise ein Quarz-Oszillator (Abb. 14.66). Atomare Springbrunnen. Weil die Resonanzbreite (der Q-Wert) die Ganggenauigket der Atomuhr bestimmt, wurde schon um 1950 von Zacharias am Massachussetts Institute of Technology versucht, die Ramsey-Anordnung mit sehr langsamen Atomen (wenige m/s) zu realisieren. Er konstruierte dazu eine Vakuum-Apparatur, die 7 m hoch war, sodass langsame Atome gegen die Schwerkraft aufsteigen, umkehren und wieder herunterfallen sollten. Diese ,,Springbrunnen“-Idee war ihrer Zeit weit voraus, denn langsame Atome wurden damals nicht gefunden: In der Öffnung eines Atomstrahlofens erfahren die sehr langsamen Atome fast immer einen Impulsübertrag durch einen Stoß mit schnellen Atomen, sodass die sowieso wenig intensive Gruppe der langsamen Atome im Strahl gar nicht vorkommt (s. auch Abschn. 5.2). Erst die Entwicklung der Laserkühlung (Abschn. 14.7.3), die die kontrollierte Manipulation von Atomen bei Geschwindigkeiten von cm/s oder sogar mm/s ermöglicht hat, hat die atomaren Springbrunnen Wirklichkeit werden lassen (Abb. 14.67). Die nationalen Labors, die an der Realisierung der Zeit arbeiten, haben mit dieser Methode (Abb. 14.67) die Ganggenauigkeit der Caesium-Atomuhr mittlerweile um eine weitere Größenordnung auf ν/Δν 1015 steigern können. (a) Ion Count Mikrowellenresonator Photodetektor Abb. 14.67. Links: Schema einer atomaren Fontäne. Mit den MOTLaserstrahlen wird zuerst eine Wolke kalter Atome im Zentrum der Strahlen präpariert. Die Atome werden anschließend mit einem Laserstrahl beschleunigt und durchqueren den Mikrowellenresonator zweimal, beim Aufsteigen und beim Herabfallen. Ein Nachweislaser verursacht zustandsselektive Fluoreszenz, die mit einem Photodetektor registriert wird. Rechts: Ramsey-Signal einer Natrium-Fontäne. In diesem Fall wurde zustandsselektive Ionisation zum Nachweis verwendet. Mit freundlicher Erlaubnis von Steve Chu Nachweislaser 70 100 130 160 190 v (–1 771 626 000 Hz) (b) MOTLaserstrahlen 1 Hz Beschleunigungsstrahl 14.9 Der Einfluss der Atomkerne Abb. 14.68. Das Global Positioning System verwendet 24 Satelliten, von denen an jedem Punkt der Erde stets mindestens vier Exemplare sichtbar sind Global Positioning System (GPS). Zeitmessung hat schon seit langem eine wichtige Rolle bei der Kontrolle von Verkehrsströmen gespielt – erst wegen der Einführung von Fahrplänen für den Eisenbahnverkehr war es im 19. Jahrhundert notwendig geworden, die Uhren in den verbundenen Orten zu synchronisieren. Das GPS, die modernste Form der Navigation ist seit 1993 mit 24 geostationären Satelliten vollständig. Die Satelliten des NAVStar-Systems umkreisen die Erde in 12 Stunden in einer Höhe von 20 200 km. An Bord befinden sich Atomuhren, deren Stand relativ zu einer gemeinsamen Systemzeit von fünf weltweit verteilten Bodenstationen kontrolliert wird. Die Satelliten senden kontinuierlich Signale mit mit ihrer genauen Position und Zeit, deren Differenz mit einer Genauigkeit von 3 · 10−9 s bekannt sind. Der Empfänger vergleicht die Empfangszeit mit der gesendeten Zeit und kann aus den Verzögerungen Δti /c = si die Entfernungen berechnen, wobei atmosphärische und andere Verzerrungen korrigiert werden können. Drei derartige Entfernungsmessungen reichen im Prinzip aus, um geographische Länge, Breite und Höhe zu ermitteln. Allerdings setzt dieses Verfahren voraus, dass auch der Empfänger (Abb. 14.68) über eine (Atom-)Uhr mit gleicher Ganggenauigkeit verfügt. Dieser Aufwand wird vermieden, indem mit Hilfe eines vierten Satelliten auch die weniger präzise Uhr des Empfängers korrigiert wird. 14.9.8 Optisches Pumpen und Magnetometer Die i. Allg. zahlreichen Unterzustände Hyperfeinstruktur (Drehimpulsquantenzahlen F und magnetische Quantenzahlen mF ) eines atomaren Gases sind im thermischen Gleichgewicht gleichförmig besetzt. Mit polarisiertem Licht und dem so genannten optischen Pumpen lässt sich diese Gleichverteilung aber durch zyklische Anregung stören und sogar in einen einzigen Quantenzustand überführen. In Abb. 14.69 sind einige Beispiele für dieses Verfahren abgegeben. Es beruht auf dem Umstand, dass bei polarisiertem Licht in Absorption nur ausgewählte Übergänge (s. Auswahlregeln Tabelle 14.8) getrieben werden, während bei der spontanen Emission alle erlaubten Übergänge stattfinden. 803 804 14. Physik der Atome und ihre Anwendungen Abb. 14.69. Optisches Pumpen. Die blauen Kreise geben die relativen Besetzungszahlen der m-Zustände vor (links) und nach (rechts) dem optischen Pumpen mit zirkular polarisiertem Licht an. Oben: Beim J → J + 1Übergang wird die gesamte Population in die äußersten m-Zustände befördert. Unten: Beim J → J-Übergang wird die Population ebenfalls in die äußeren Zustände befördert, die aber nun nicht mehr fluoreszieren können Abb. 14.70. Aufbau eines RubidiumMagnetometers. In diesem Konzept wird die Rf-Spule durch Rückkopplung zu selbsterregten Schwingungen veranlasst Weil die Aufspaltung der Zeeman-Zustände von Atomen empfindlich vom äußeren Magnetfeld abhängt, liegt es nahe, sie umgekehrt zum Bau von Magnetfeldsensoren einzusetzen. Das NMR-Signal von Protonen wird zu diesem Zweck eingesetzt, ist aber vor allem für hohe Feldstärken geeignet. Elektronische Momente erlauben die präzise Messung schwacher Magnetfelder wie zum Beispiel dem Erdmagnetfeld. Das Rb-Magnetometer besteht – wie analog andere Alkalidampf-Magnetometer – aus einer Dampfzelle, einer resonanten Rb-Lichtquelle, die einen zirkular polarisierten Lichtstrahl durch die Zelle schickt, einer Radiofrequenz-(Rf-)Spule und einem Photodetektor. Wenn durch optisches Pumpen die absorbierenden Zustände entleert werden, wie im unteren Beispiel von Abb. 14.69, sinkt die Lichtabsorption. Wenn aber ein Rf-Feld Übergänge zwischen den Zeeman-Zuständen verursacht, wird die Absorption wieder ansteigen. In Abb. 14.70 ist ein Konzept für ein RbMagnetometer gezeigt, bei dem durch Rückkopplung eine Schwingung angefacht wird, deren Frequenz zum Betrag des Magnetfeldes proportional ist. Derartige Magnetometer erreichen eine Empfindlichkeit von weniger als 10 nT und finden breite Anwendung bei geophysikalischen Anwendungen, in denen Anomalien des Erdmagnetfeldes studiert werden. Es handelt sich um skalare Magnetometer, denn die Larmorfrequenz hängt nur vom Betrag, nicht der Richtung des Magnetfeldes ab. Allerdings hängt die Signalamplitude von der Orientierung des äußeren Magnetfeldes ab. RbLichtquelle RbDampfzelle Richtung des magnetischen Feldes RfSpule ZirkularPolarisator Phasenschieber Photo- Verstärker diode Ausgangssignal 14.10 Kräfte zwischen Atomen Atome und Ionen gehören zu den bestverstandenen mikroskopischen Objekten der Physik überhaupt, sie sind gewissermassen ein ,,Baukasten der Quantenphysik“. Allerdings haben wir die Atome bisher immer isoliert betrachtet, frei von Wechselwirkungen untereinander wie sie andererseits in jedem Gas mit hoher Rate stattfinden. In diesem Abschnitt sollen Grundzüge atomarer Wechselwirkungen vorgestellt werden. Besonders starke Kräfte führen zur Molekülbildung, der ein eigenes Kapitel gewidmet ist. 14.10.1 Van der Waals-Kräfte In der klassischen Physik beschreibt die van der Waals-Gleichung die Abweichungen realer Gase von idealen Gasen. Diese Abweichungen