Einfluss der Atomkerne (Gerthsen, Kapitel 14.9)

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784
14. Physik der Atome und ihre Anwendungen
ren Arm hat!) ein elektrisches Feld angelegt und die dadurch verursachte
Phasenverschiebung als Funktion der Feldstärke gemessen. Das Atom unterliegt dabei dem quadratischen Stark-Effekt (Abschn. 14.4.5), deshalb
beobachtet man in der Auftragung gegen E 2 eine periodische Variation
des Interferometersignals. Der Kontrast des Interferometers nimmt mit zunehmendem elektrischen Feld ab. Das elektrische Feld verursacht eine
Verzögerung des Wellenpaketes des He-Atoms in einem Interferometerarm. Wenn die beiden Wellenpakete nicht mehr überlappen, kann keine
Interferenz mehr auftreten, die Grenze der longitudinalen Kohärenz ist
überschritten.
14.9 Der Einfluss der Atomkerne
Der Atomkern ist sehr viel massereicher als die Elektronen, und wäre er
unendlich schwer, würden die atomaren Energiezustände nur geringfügig verändert. Die kleinen Energieverschiebungen geben aber Aufschluss
über die Wechselwirkung der Elektronen mit dem Kern, insbesondere
bei den Zuständen der s-Elektronen, die in Kernnähe eine hohe Aufenthaltswahrscheinlichkeit besitzen. Die Wechselwirkung hängt von den
spezifischen Eigenschaften des Atomkerns ab, am auffälligsten sind Isotopieverschiebung (mit Kernmitbewegung und Kernvolumeneffekt) und
Hyperfeinstruktur.
14.9.1 Isotopieverschiebungen
Unterschiedliche Kernmassen verursachen bei gleicher Ladungszahl Z die
Isotopieverschiebung von atomaren Spektrallinien. Bei leichten Elementen
nimmt die Kernmitbewegung wesentliche Teile der kinetischen Energie
auf; bei schweren Elementen dominiert die Modifikation des CoulombPotentials durch den Kernvolumeneffekt.
Kernmitbewegung. Atomkerne werden durch die Dynamik der Elektronen mitbewegt, weil ihre Masse endlich ist. Es ist bekannt, dass diese
Kernmitbewegung bei Einelektronen-Atomen zu einer Verschiebung des
Tabelle 14.10. Wechselwirkungen zwischen Elektron und Kern
Effekt
Kraft
Coulombkraft
elektrostatisch
Kinematische und elektromagnetische Störungen
Kernmitbewegung
Kernvolumeneffekt
Hyperfeinstruktur
mechanisch
elektrostatisch
magnetisch
Nicht-elektromagnetische Störungen
Paritätsverletzung
elektroschwach
14.9 Der Einfluss der Atomkerne
785
gesamten Energiespektrums um ungefähr das Massenverhältnis des Elektrons zum Kern führt und sich in der reduzierten Masse und der korrigierten
Rydbergkonstanten Rμ ausdrückt,
Rμ = R∞
m el
1
.
R∞ 1 −
+···
1 + m el /M
M
Der abgeschlossene ionische Rumpf in Einelektronen-Atomen verursacht
keinen Einfluss auf die Kernmitbewegung, die auch einfache Kernmitbewegung (engl. normal mass shift) genannt wird. In Atomen mit teilweise
gefüllter Schale sind die Verhältnisse viel komplizierter, weil sich z. B.
der Einfluss von Elektronen, die sich in entgegengesetzten Richtungen bewegen, auf die Kernbewegung aufhebt. Dieses Phänomen wird
als Kopplungseffekt (engl. specific mass shift) bezeichnet. Der Beitrag der kinetischen Energie T̂ zum Hamiltonoperator Ĥ = T̂ + V̂ wird
im Einteilchen-Modell
in die Beiträge der einzelnen Elektronen p̂i und
des Kerns P̂ = − i p̂i zerlegt. Bei der Ausformulierung findet man
−1 wie die schon bedann neben den Beiträgen, die mit μ−1 = m −1
el + M
kannte einfache Kernmitbewegung aussehen, einen weiteren Term, der die
Kopplung der Elektronen untereinander berücksichtigt,
(− i p̂i )2 p̂i2
P̂ 2 p̂i2
T̂ =
=
+
+
2M
2m el
2M
2m el
i
=
i
p̂2 p̂i p̂ j
i
+
.
2μ
M
i
i< j
Einfache Rechnungen zeigen, dass der Kopplungseffekt im SingulettSystem des He-Atoms zu einer Energieerhöhung führt und die einfache
Kernmitbewegung verstärkt, während im Triplett-System eine Absenkung
stattfindet. Im Singulett-System neigen die Elektronen danach eher zur
Bewegung in gleichsinnigen, im Triplett-System eher in entgegengesetzten Richtungen, in Übereinstimmung mit der Pauli-Abstoßung in diesem
Zustand (Abschn. 14.5.4).
E
Kernvolumeneffekt. Die elektrische Ladung des Kerns ist nicht in einem
Punkt konzentriert, sondern durch seine Konstituenten in einem Volumen,
dessen Radius im Tröpfchenmodell mit r N = r0 A1/3 , r0 = 1,2 · 10−13 cm
phänomenologisch beschrieben werden kann (Abschn. 18.1.3). Zur Analyse nehmen wir eine homogene Ladungsverteilung in einer Kugel mit
dem Radius r N an (s. Abb. 14.44), die eine Abweichung des atomaren
Potentials von einem idealen Coulomb-Potential verursacht,
⎧
⎪
r ≥ rN ,
⎪
⎨VCoul
V(r) =
3
r2
Ze2
⎪
⎪
− − 2
0 ≤ r ≤ rN .
⎩
4πε0r N
2 2r N
rN
r
CoulombPotential
Kernvolumen
Abb. 14.44. Das atomare Potential
weicht im Bereich des Kernvolumens
Die Energieverschiebung berechnet man dann als Störung nach
von einem idealen Coulomb-Potential
rN
2
4π
ab
und hebt die Energiezustände
2
2
2 Ze
2
(V(r) − VCoul ) 4πr dr =
rN ,
|ψnlm (0)|
ΔE |ψnlm (0)|
geringfügig
an
10
4πε
0
0
786
14. Physik der Atome und ihre Anwendungen
Abb. 14.45. Aus der Isotopieverschiebung gemessene Ladungsradien
(relativ zum jeweils häufigsten Isotop
eines Elements). Die stabilen Kerne
sind schwarz markiert. Sie skalieren wie erwartet im Wesentlichen mit
(A = N + Z)1/3 . Der Schalenabschluss
(Abschn. 18.1.3) ist am Knick bei
N = 126 in den Pb-Daten zu erkennen.
Au und Hg zeigen starke Kerndeformationen bei N = 104. Die Daten wurden
von Jürgen Kluge, Darmstadt, und
Gerhard Huber, Mainz, zur Verfügung
gestellt
δr2(N, Z) (fm2)
3,0
2,5
2,0
1,5
Pb
Ti
Hg
1,0
Au
Pt
0,5
Ir
Os
0,0
100
110
120 Neutronenzahl 130
wobei im Experiment nur Differenzen δ(ΔE) durch Vergleich verschiedener Isotope eines Atoms zu beobachten sind, wie in der Zusammenstellung
von Abb. 14.45.
14.9.2 Kernmagnetismus und Hyperfeinstruktur
Strahlintensität
13
10
A
5
Abbildung 14.46 zeigt das Signal eines Stern-Gerlach-Experiments mit
Natrium-Atomen im 2S1/2 -Zustand. Der elektronische J = 1/2 Gesamtspin würde nur zwei Komponenten erwarten lassen, die Multiplizität
(M = (2J + 1)(2I + 1)) der vier beobachteten Komponenten lässt sich
mit dem Kernspin I = 3/2 deuten.
Die magnetische Wechselwirkung zwischen magnetischen Bahn- und
Spinmomenten der Hüllenelektronen verursacht bekanntlich die Feinstruktur. Ihre Deutung mit Hilfe des Vektormodells ist eine gute Vorlage auch
für die Beschreibung der Hyperfeinstruktur.
Zum magnetischen Moment des Kerns,
0
40
1 mm
50
60
70
80
Detektorposition
Abb. 14.46. HyperfeinstrukturMultiplett des Natrium-Atoms im
Stern-Gerlach-Experiment. Die mit A
bezeichnete Linie gehört nicht zum Signal. Aus diesen Daten haben Isaac
Rabi und Victor Cohen 1933 erstmals
den Kernspin I = 3/2 von Natrium
bestimmt (Phys. Rev. 43, 582 (1933))
μK = μ I = μ I I = g I μ K I = gI μB I ,
können wir in Analogie zum bohrschen Magneton das Kernmagneton
definieren,
μK =
eh
m el
=
μB ,
2m p
mp
das um den Faktor 1/1 836 kleiner ist, sodass man auch eine
entsprechend reduzierte Wechselwirkungsstärke erwartet. Ausgewählte
Kern-g-Faktoren sind in Tabelle 14.11 zusammengestellt.
14.9 Der Einfluss der Atomkerne
Atom
1H
2D
3 He
4 He
6 Li
7 Li
13 C
23 Na
29 Si
31 P
85 Rb
87 Rb
I
μ I /μ N
gI
1/2
1
1/2
0
1
3/2
1/2
3/2
1/2
1/2
5/2
3/2
2,279 278
0,857 42
− 2,1275
–
0,822 02
3,2564
0,7024
2,2175
− 0,5553
1,1317
1,352
2,750
5,585 52(12)
0,857 42
− 4,2550
–
0,822 02
2,1709
1,4048
1,478
− 1,1106
2,2634
0,5408
1,833
Tabelle 14.11. Kernspin, Kernmoment
und g I -Faktoren ausgewählter Kerne.
Kerne mit einer geraden Anzahl
von sowohl Protonen als auch
Neutronen (gg-Kerne) tragen wegen
des Paarungseffektes grundsätzlich
keinen Spin
Mit den hochauflösenden Methoden der Laserspektroskopie ist
es heute kein Problem mehr, die Hyperfeinstruktur optisch mit guter
Auflösung (Δν 1 MHz) zu beobachten (Abb. 14.47). Höhere Genauigkeit wird aber nach wie vor mit Radiofrequenz- oder Mikrowellenspektroskopie erzielt.
Wie bei der Feinstruktur können wir auch hier von einer magnetischen
Kopplung zwischen dem elektronischen Gesamtdrehimpuls J (effektives
Magnetfeld Beff J) und dem Kerndrehimpuls I ausgehen. Wir lehnen
die Analyse an die Spin-Bahn-Kopplung (Abschn. 14.4.1) an und formen
den Gesamtdrehimpuls
F̂ = Î + Ĵ
2
mit |I − J| ≤ F ≤ |I + J| .
D
a
D5/2
2
D3/2
1028 MHz
2
(a)
H0 = 0
2
D
b
c
d
a
2 578,7 nm
b
c
F=2
(b)
H0 = 170 G
σ+
0
d
1772 MHz
2
F=1
1 GHz
Laser
Frequenz
S1/2
Abb. 14.47. Zwei-Photonen-Spektrum
des 3S-4D-Übergangs im Natriumatom.
Das Bild zeigt die Hyperfeinstruktur-Aufspaltung im 3S-Grundzustand
(1 772 MHz) und die FeinstrukturAufspaltung im 4D-Zustand
(1 028 MHz). Bei der Absorption
von zwei Photonen aus gegenläufigen
Laserstrahlen wird der Dopplereffekt
unterdrückt, die scharfen Resonanzen
sind dann nur durch die natürliche Linienbreite begrenzt. Absorption von
zwei Photonen aus demselben Strahl
erzeugt den breiten Untergrund, der
ebenfalls sichtbar ist. (Mit freundlicher
Erlaubnis von François Biraben)
787
788
14. Physik der Atome und ihre Anwendungen
Die Wellenfunktionen und Quantenzustände besitzen die neuen
Quantenzahlen
(nlsJm J ), (Im I ) → (nlsJIFmF )
und sind Eigenzustände zum Operator
Ĥhfs = −μ̂ I · Beff = A(J) I · J =
A 2
F̂ − Î 2 − Ĵ 2 .
2
Daraus erhält man ohne Umstände die Energieverschiebungen
A
ΔE(J, I, F) = [F(F + 1) − I(I + 1) − J(J + 1)] .
2
Insbesondere gilt für J = 1/2 die Intervallregel
A
ΔE(1/2, I, I + 1/2) = I ,
2
A
ΔE(1/2, I, I − 1/2) = − (I + 1) und
2
ΔE hfs = A(I + 1/2) .
Die Berechnung des A-Faktors, der mit hoher Genauigkeit gemessen
werden kann (s. Abschn. 14.9.5), überlassen wir der Spezialliteratur, sie
kann ohnehin mit einfacher Aussagekraft nur für das Wasserstoffatom ausgeführt werden. Einige Hyperfeinstruktur-Aufspaltungen besitzen große
technische Bedeutung (s. Abschn. 14.9.4, 14.9.7, Tabelle 14.12).
Auch den Einfluss eines externen Magnetfeldes B0 ez kann man wie
bei der Feinstruktur behandeln. Und wie dort muss man schwache Felder
(μB B0 /h ΔE hfs ) und starke Felder unterscheiden, bei denen die Hyperfeinkopplung aufgehoben wird. Bei schwachen Feldern kann man den
Zeeman-Effekt der Hyperfeinstruktur zu Ĥhfs,Zee = A Î · Ĵ + g J μ B Jˆz B0 −
gI μB Iˆz B0 mit
ΔE = g F μB B0 mF
Tabelle 14.12. Wichtige Hyperfeinstrukturen. Der geklammerte Wert am Ende der Frequenzangabe gibt die statistische, ein
zweiter Wert die systematische Unsicherheit
Δν [Hz]
Atom
J
I
F
1H
1/2
1/2
0,1
1 420 405 751,770(3)
2D
87 Rb
1/2
1/2
1/2
1/2
1
3/2
5/2
3/2
1/2, 3/2
1, 2
2, 3
1, 2
327 384 352,5222(17)
1 776 626 128,8(10)
3 035 732 440(3)
6 834 682 610,904 29(9)
133 Cs
1/2
7/2
3, 4
9 192 631 770 (exakt)
1/2
1/2
1/2
1/2
0, 1
0, 1
23 Na
85 Rb
171 Yb+
199 Hg+
12 642 812 118,4685(7) (6)
40 507 347 996,8416(4)
Anwendung
Wasserstoff-Maser
21 cm-Linie
Frequenznormal
Magnetometer
Def. der Sekunde
Atomuhr
Frequenznormal
Frequenznormal
14.9 Der Einfluss der Atomkerne
789
angeben. Der Landéfaktor beträgt
(mj, mi) = (–1, 1)
2000
F(F + 1) + J(J + 1) − I(I + 1)
gF = g J
2F(F + 1)
F(F
+
1)
− J(J + 1) + I(I + 1)
− gI
.
2F(F + 1)
F=1
1000
(1, –1)
0
Δν = 1420 MHz
1
mit x = (g J − gI )μB B/A(I + 1/2).
14.9.3 Magnetische Resonanz
Unter dem Namen Magnetische Resonanz (MR), die schon mehr als
50 Jahre alt ist, werden heute eine Reihe von Methoden zusammen gefasst, denen ein gemeinsames experimentelles Konzept zugrunde liegt: Die
Drehung mikroskopischer Gyromagneten in einem periodisch veränderlichen magnetischen Feld. In Tabelle 14.13 haben wir wichtige Beispiele
aufgezählt. Zur Vorstellung werden wir die Methode verwenden, die in
erster Linie gemeint ist, die Kernmagnetische Resonanz oder NMR
(von engl. Nuclear Magnetic Resonance), die in Festkörperphysik, Chemie und Medizin ein ungewöhnlich breites Anwendungsfeld gefunden
hat. Die Atomkerne sind in allen Systemen hervorragend von der Umgebung abgeschirmt, sodass Ihre Eigenschaften qualitativ immer gleich sind.
Geringe, aber dennoch ausgesprochen gut beobachtbare Modifikationen
dieser Eigenschaften haben der MR andererseits zu ihrem großen Erfolg
in Anwendungen verholfen, weil sie Informationen über die Umgebung
der Kernmomente liefern. Insbesondere in organischen Substanzen ist dabei das Proton von besonderer Bedeutung und soll daher hier als Modell
dienen, denn weder 12 C noch 16 O, die auch sehr häufig sind, besitzen ein
magnetisches Moment.
Tabelle 14.13. Methoden der Magnetischen Resonanz
Bezeichnung
Kürzel
Magnetisches Moment
Kernmagnetische Resonanz
(engl. Nuclear Magnetic Resonance)
Elektronen-Spinresonanz
Hyperfeinresonanz
Ferromagnetische Resonanz
NMR
Kernspin
ESR, EPR
Rabi-Resonanz
FMR
Elektronenspin
Pseudospin
Magnetisierung
x
3
(–1, –1)
–1000
Der zweite Beitrag ist wegen gI /g J 1 i. Allg. vernachlässigbar. Für
J = 1/2 und beliebigen Kernspin I, also gerade für die wichtigen AlkaliHyperfeinstrukturen, lässt sich sogar ein analytisches Resultat für alle
Feldstärken angeben (Abb. 14.48), die berühmte Breit-Rabi-Formel:
g (I + 1/2)
A
ΔE F,mF = −
mF x
1− I
4
g J − gI
(14.63)
1/2 4mF
2
x+x
± (2I + 1) 1 +
2I + 1
2
F=0
–2000
(–1, 1)
0
0,05
0,10
0,15
B (T)
Abb. 14.48. Zeeman-Effekt der Hyperfeinstruktur von Wasserstoff nach der
Breit-Rabi-Formel (14.63)
790
14. Physik der Atome und ihre Anwendungen
Tabelle 14.14. Wichtige Kerne für die
NMR
Kern
Spin
μ/μK
1H
1/2
1
1/2
1/2
3/2
1/2
1/2
2,792 78
0,857 42
0,7024
2,6288
2,2175
− 0,5553
1,1317
2D
13 C
19 F
23 Na
29 Si
31 P
ohne Feld
E
0
γ/2π
(MHZ/T−1 )
42,573
6,535
10,705
40,059
11,263
8,458
17,237
im Feld B
mI 12
ΔE γhB
mI 12
Abb. 14.49. Energieniveaus eines Kerns
mit Drehimpuls J = 1/2 (z. B. der Spin
des Protons) im Magnetfeld
Abb. 14.50. Schema einer Magnetresonanz-Apparatur, wie sie von E. Purcell
mit R. Pound sowie F. Bloch 1946 bei
der Entdeckung der NMR verwendet
wurde. Die Resonanzfrequenz der
Kerne im Probenröhrchen wird
durch niederfrequente Modulation
des homogenen Magnetfeldes B0
verändert, während die Hochfrequenz
des anregenden transversalen Feldes
konstant gehalten wird. Heute wird fast
immer ein zeitliches Induktionssignal
der Magnetisierung gemessen. Die
spektralen Eigenschaften können dann
jederzeit durch Fouriertransformation
gewonnen werden
Kernmagnetische Resonanz (NMR).
Die Bewegung eines Drehimpulses, der mit einem magnetischen
Moment μ = γ J verknüpft ist, erfährt im magnetischen Feld
ein Drehmoment T = μ × B (s. Abschn. 14.3.3) und gehorcht der
Kreiselgleichung,
d
J = μ× B = γ J× B .
dt
(14.64)
Liegt ein longitudinales Magnetfeld in z-Richtung an, B = B0 ez , präzediert der Kreisel mit der Larmorfrequenz (14.19) ωL = γB0 = gL μB B0 /h.
In Abb. 14.49 sind die mit der m-Quantenzahl bestimmten zugehörigen
Energieniveaus für das wichtige Beispiel des Protons gezeigt. Die Präzessionsfrequenz von Protonen beträgt nach Tabelle 14.14 ωL = 2π · 42,6 MHz
bei B0 = 1 T.
Ein transversales magnetisches Wechselfeld B⊥ (t) = B⊥ e⊥ cos(ωt)
oszilliert bei der Larmorfrequenz (ω = ωL ) genau im Takt mit der Präzessionsfrequenz. Zwar oszilliert das zugehörige Drehmoment, es wirkt aber
immer in der gleichen Richtung (senkrecht zum Drehimpuls J und zur
Richtung von B⊥ ) und verursacht eine Rotation des Drehimpulses, kann
ihn sogar zum vollständigen Umklappen bringen. Durch die Umklapprozesse ändert sich die Einstellenergie −μ · B der magnetischen Momente,
und der Probe in Abb. 14.50 muss deshalb mit der Hf-Spule Energie
zugeführt oder entzogen werden. Die Rotation der mikroskopischen Drehimpulse findet ganz unabhängig von ihrer anfänglichen Orientierung und
mit gleicher Rate statt, Zufuhr und Entnahme von Energie finden also in
einer makroskopischen Probe, die aus 1018 oder mehr mikroskopischen
Spins besteht, gleichzeitig statt.
In der Apparatur muss deshalb zuerst mit Hilfe des Gleichfeldes B0
eine makroskopische Magnetisierung erzeugt werden. Die Einstellenergie beträgt bei einer Larmorfrequenz ΔE = −mhγB0 . Bei einem
Magnetfeld von 1 T beträgt der Energieunterschied für die beiden Orientierungen m = ±1/2 von Protonen gerade einmal ΔE 0,2 μeV,
Magnetschuhe
x
y
Hf-Spule
NiederfrequenzGenerator
HF-Generator
& Demodulation
B
Wobbelspulen
14.9 Der Einfluss der Atomkerne
Tabelle 14.15. Wichtige Relaxationszeiten der Magnetresonanz
Energierelaxation, ,,longitudinal“
T1
Spin-Gitter-Relaxation
Phasenrelaxation, ,,transversal“
T2
Spin-Spin-Relaxation
T2
Dephasierungszeit
T2∗−1 = T2−1 + T2−1
T2∗
Dekohärenz, irreversibel
reversibel
Zerfallszeit des FID
Bloch-Gleichungen. Die Dynamik der makroskopischen Magnetisierung wird mit den nach Felix Bloch (1905–1983, Nobelpreis 1952)
benannten Gleichungen beschrieben. Dazu werden die Komponenten der
Kreiselgleichung (14.64) verwendet, wobei die makroskopische Magnetisierung M = (Mx , M y , Mz ) ∝ J verwendet und um phänomenologische
Relaxationsterme erweitert wird:
(i)
d
Mx
,
Mx = −ωL M y −
dt
T2
(ii)
My
μB⊥
d
cos ωt Mz −
,
M y = ω L Mx −
dt
h
T2
(iii)
μB⊥
M z − M0
d
cos ωt M y −
.
Mz =
dt
h
T1
(14.65)
Longitudinale (Mz ) und transversale Komponenten (Mx , M y ) und unterliegen im Allgemeinen verschiedenen transversalen und longitudinalen
Relaxationszeiten T1 bzw. T2 : Bei der Relaxation der Mz -Komponente
findet ein Energieaustausch mit der Umgebung statt, zum Beispiel mit
30 MHz
40 kHz
Absorptionssignal
weniger als 1/100 000 der mittleren thermischen Energie kT = 25 meV
bei Raumtemperatur. Im thermischen Gleichgewicht – das sich je
nach Probe nach einigen ms einstellt – erwarten wir daher nur einen
sehr kleinen Besetzungszahlunterschied Δn/n 0 = (n + − n − )/n 0 = 1 −
exp(hω L /kT ) 10−5 . Die große Zahl von Kernspins (1019 cm−3 ) in einer festen oder flüssigen Probe macht den Nachweis dieser Magnetisierung
und ihrer Dynamik dennoch möglich. In Abb. 14.51 ist das Resonanzsignal
von Protonen in Eis gezeigt, das mit einer Apparatur ähnlich zu Abb. 14.50
gewonnen wurde und direkt auf einem Oszillographen dargestellt werden
kann.
Statt die Frequenz zu ändern war es in der Vergangenheit einfacher, dem
Magnetfeld B0 mit Wobbelspulen ein schwaches niederfrequentes Magnetfeld zu überlagern, also B = B0 + B1 sin(ωmod t) mit ωmod ωL . Der
Detektorkreis ist als Schwingkreis ausgelegt, dessen Resonanzfrequenz
und Güte durch die Magnetisierung der Probe verändert wird. Genau auf
der Resonanz ist die Verstimmung 0, aber dem Schwingkreis wird mehr
Energie entzogen. Sowohl das Absorptionssignal als auch die Frequenzverstimmung können mit einer geeigneten Schaltung demoduliert werden
und dann direkt auf dem y-Eingang des Oszillographen dargestellt werden.
Magnetfeld B0
Abb. 14.51. Resonanzkurve von Protonen in Eis bei einer Magnetfeldstärke
H = 0,7 T entsprechend einer Resonanzfrequenz von etwa 30 MHz. Die
beiden Protonen des H2 O-Moleküls
können entweder parallel oder antiparallel ausgerichtet sein. Je nach
Einstellung wird das äußere Feld etwas
verringert oder erhöht, daher werden zwei leicht aufgespaltene Linien
beobachtet
791
14. Physik der Atome und ihre Anwendungen
dem Gitter eines Festkörpers, daher existiert aus historischen Gründen die
Bezeichnung Spin-Gitter-Relaxation. Der Zerfall der auch Polarisation
genannten transversalen Komponenten kennzeichnet den in Festkörpern
sehr viel schnelleren Verlust der Phasenbeziehung (,,Dephasierung“,
T2 T1 ) der mikroskopischen Dipole untereinander, der zum Beispiel
durch Wechselwirkungen der magnetischen Momente untereinander verursacht wird (Spin-Spin-Relaxation). In Flüssigkeiten beobachtet man
interessanterweise sehr scharfe NMR-Linien und T2 T1 : Die Umgebung
eines Spins ist dort ständigen und sehr schnellen Fluktuationen ausgesetzt,
deren Phasenstörung im Mittel für alle Spins gleich ist.
Die Blochgleichungen sind wegen ihrer großen Bedeutung intensiv studiert worden, und im Gleichgewicht erkennt man sofort, dass
für B⊥ = 0 Mx = M y = 0 und Mz = M0 gelten muss: Die effektiv verfügbare Größe der Magnetisierung für N0 Teilchen mit magnetischen
Moment μ ist im thermischen Gleichgewicht in z-Richtung orientiert:
Mz = M0 N0 μhγB0 /kT . Die dynamische Entwicklung lässt sich in
den einfachsten Fällen mit harmonischen gedämpften Schwingungen
interpretieren.
Freier Induktionszerfall. Nehmen wir an, dass die Magnetisierung aus
der z- in die y-Richtung gedreht worden ist, M(t = 0) = (0, M0 , 0). Wenn
die Dämpfung keine Rolle spielt, z. B. kurz nach dem Anstoßen dieser
Bewegung, wird aus (14.65)
Induktionssignal
792
Zeit
Abb. 14.52. Freier Induktionszerfall
von Protonen in Wasser, Halbwertszeit
ca. 10 ms. Der 90◦ -Hf-Impuls von
10 μs Dauer, der das Signal ,,anstößt“,
ist nicht gezeigt
d
Mx = −ωL M y − Mx /T2
dt
und
d
M y = ωL Mx − M y /T2 (14.66)
dt
und die Magnetisierung schwingt mit Mx = −M0 sin(ωL t)e−t/T2 und
M y = M0 cos(ωL t)e−t/T2 . In Abb. 14.52 ist das Beispiel von Protonen in
Wasser gezeigt, deren Magnetisierung innerhalb von ca. 10 ms auf die
Hälfte abnimmt. Die rotierende Magnetisierung induziert dabei in der
Hf-Spule eine Wechselspannung bei der Lamorfrequenz ωL . Der Zerfall
dieses Signals wird Freier Induktionszerfall oder FID (von engl. Free Induction Decay) genannt und durch die so genannte T2∗ -Zeit charakterisiert.
Inhomogenitäten der Umgebung verursachen die Dephasierung der mikroskopischen magnetischen Momente und daher den Zerfall der messbaren
makroskopischen Magnetisierung. Mit der im folgenden Abschnitt behandelte Spin-Echo-Methode ist es aber möglich, eine Rephasierung und ein
Wiederaufleben des Induktionssignals zu erreichen.
Wie kommt die in z-Richtung orientierte Gleichgewichts-Magnetisierung in die xy-Ebene? Dazu wendet man starke Hf-Pulse B⊥ sin(ωL t)
in x-Richtung an. Wir betrachten eine Amplitude M für die mit
ωL rotierende transversale Magnetisierung, Mx (t) = M(t) sin(ωL t) und
M y (t) = M(t) cos(ωL t), die sich langsam im Vergleich zur Larmorfrequenz, aber schnell im Vergleich zu den Relaxationszeiten ändert,
ωL (d M)/dt/M 1/T1,2 . Wir setzen in (14.65) ein und addieren die
ersten beiden Gleichungen mit (i) × cos(ωL t) + (ii) × sin(ωL t). Weil die
Oszillation mit ωL sehr viel schneller stattfindet als die Amplitudenänderung, können wir näherungsweise cos2 (ωL t) 1/2 setzen und erhalten
mit Ω = μB⊥ /2h die beiden Gleichungen
14.9 Der Einfluss der Atomkerne
μB⊥
d
cos2 (ωL t)Mz ΩMz ,
M=
dt
h
B0
die wiederum eine Drehung, diesmal in der xz-Ebene, beschreiben
(Abb. 14.53). Mit kräftigen kurzen Pulsen (μB⊥ /h T1,2 ) kann man
also die Magnetisierung M0 ohne wesentliche Verluste aus der z-Achse
herausdrehen und z. B. bei μB⊥ /h · t = π/2 um genau 90◦ in xy-Ebene
klappen.
Vom apparativen Standpunkt ist die Aufnahme eines zeitlich veränderlichen Signals vorteilhaft gegenüber der Amplitudenmessung wie in
Abb. 14.50, die spektralen Eigenschaften können dann nachträglich und
ohne Schwierigkeiten durch Fouriertransformation gewonnen werden.
Heute verwendet man in NMR-Apparaturen komplexe Pulssequenzen, die
optimale Auflösung garantieren.
Spin-Echos. In einem perfekt homogenen Magnetfeld sollten alle magnetischen Momente mit derselben Frequenz präzedieren. Wegen der
unterschiedlichen Umgebungen, der die Kerne in Molekülen, im Festkörper oder in biologischen Substanzen ausgesetzt sind, weichen aber z. B.
die lokalen magnetischen Felder geringfügig (im ppm-Bereich) voneinander ab, sodass die makroskopische Magnetisierung durch ,,Dephasierung“
zerfällt. Weil aber jedes Teilchen weiterhin mit seiner eigenen lokalen Frequenz weiterpräzediert, lässt sich dieser Zerfall mit der Spin-Echo-Technik
umkehren: Ein 180◦ -Impuls (Abb. 14.54; er entspricht einem doppelt so
langen oder doppelt so intensiven 90◦ -Impuls) invertiert die Phasenlage
der einzelnen Spins und verursacht so das Wiederaufleben der makroskopischen Polarisation nach genau derselben Zeit, die zwischen den beiden
Anregungsimpulsen vergangen ist (Abb. 14.55).
z
ωL
90°-Impuls
0
Dephasierung
freier Induktionszerfall
z
ωL
z
ωL
z
ωL
180°-Impuls
T
Rephasierung
Spin-Echo
2T
T *2
Dekohärenz
z
(14.67)
μB⊥
d
cos2 (ωL t)M −ΩM ,
Mz = −
dt
h
z
793
T2
Zeit
x
y
Abb. 14.53. Ein π/2-Impuls des transversalen und resonanten Hf-Feldes
dreht die Magnetisierung in die xyEbene. Die Rotation um die z-Achse
entspricht der Larmorpräzession,
während die langsamere Drehung in die
xy-Ebene vom transversalen Hf-Feld
verursacht wird. Die Amplitude der
Magnetisierung ändert sich dabei nicht,
sie bewegt sich auf der Oberfläche der
Blochkugel
Abb. 14.54. Vektormodell des freien
Induktionszerfalls (FID) und des
Spin-Echos. Die Pfeile veranschaulichen mikroskopische magnetische
Momente dar, die sich zur makroskopischen Magnetisierung addieren. In
einem Koordinatensystem, das mit der
Larmorfrequenz ωL um die z-Achse
rotiert, sollten die magnetischen Momente bei perfekter Resonanz ihre
Position nach dem 90◦ -Impuls beibehalten. Kleine Abweichungen lassen
sie jedoch vom Mittelwert weg auseinander laufen. Nach dem 180◦ -Impuls
setzen die Momente ihre Präzession an
gespiegelter Position mit gleicher Geschwindigkeit fort und treffen daher alle
gleichzeitig am gegenüberliegenden
Ort ein, sodass erneut eine makroskopische Magnetisierung und damit ein
messbares Induktionssignal entsteht
14. Physik der Atome und ihre Anwendungen
794
14.9.4 Magnetische Resonanz in Chemie und Medizin
Induktionssignal
0
100
200
300
400
500
Zeit (ms)
Abb. 14.55. Stimuliertes Spin-Echo
an Wasser. Dabei wird der 180◦ Impuls aus Abb. 14.54 in zwei
90◦ -Impulse aufgeteilt. Dabei wird
ein Teil der Magnetisierung entlang
dem statischen Magnetfeld gespeichert.
Die Rephasierung beginnt erst nach
dem dritten Impuls. Mit freundlicher
Erlaubnis von Dieter Suter, Dortmund
Die magnetischen Momente der Kerne liegen einerseits sehr gut geschützt
im Inneren der atomaren Hüllen, andererseits zeigen sie doch eine deutlich
messbare Wirkung ihrer unmittelbaren Umgebung auf die genaue Lage der
Resonanzfrequenzen und die Zerfallszeiten T1 , T2 , T2∗ . Dieser Umstand
hat die NMR zu einer wichtigen Methode bei der Strukturaufklärung in
Festkörpern, in der Chemie, vor allem der organischen Chemie und daher
auch biologischen Proben bis hin zur Medizin gemacht: Die nunmehr
bekannten Eigenschaften machen die Kerne zu einer empfindlichen Sonde
für ihre Umgebung, und insbesondere sind z. B. Protonen gerade auch in
organischer Materie in großer Dichte vorhanden. Wir führen mit wenigen
Beispielen zwei Grundkonzepte von Anwendungen der NMR ein: Die so
genannte chemische Verschiebung und die Kernspin-Tomographie.
Chemische Verschiebung. Ein äußeres Magnetfeld beeinflusst ein Atom
mit einem magnetischen Kern auf zweifache Art und Weise: Einerseits
wird das magnetische Moment des Kerns direkt zu Präzessionsbewegungen angestoßen. Andererseits schirmen die Elektronenwolken, die den
Atomkern umgeben, das äußere Magnetfeld B0 durch ein geringes Gegenfeld B ab – wie bei der lenzschen Regel aus Abschn. 7.1.3. Während
die Eigenschaften des Kerns immer unverändert bleiben, hängt das genaue Feld am Kernort B = B0 − B also von der Elektronenstruktur der
Umgebung und damit in erster Linie von der chemischen Bindung ab,
die durch die Elektronenkonfiguration zustande kommt (s. Kap. 16). Es ist
ein Unterschied, ob eine Einfach- oder Doppelbindung vorliegt, ob z. B.
Stickstoff-Atome oder ob Phosphor-Atome an der Bindung beteiligt sind.
Die NMR-Frequenzen der Protonen in typischen Baugruppen organischer
Moleküle wie z. B. CH2 und CH3 sind daher geringfügig gegeneinander
verschoben und können umgekehrt zu deren Identifikation dienen.
1
H NMR Spektrum von Ethylbenzol (CH3-CH2-C6H5) in CDCl3
1
H chemische Verschiebungen: Übersicht
8
7
6
5
4
CH2
Abb. 14.56. Chemische Verschiebung
am Beispiel von gelöstem Äthylbenzol.
Es besteht aus drei charakteristischen
Baugruppen, CH3 −CH2 −C6 H5 , die
durch eine entsprechende Verschiebung
identifiziert werden können. Der Nullpunkt wird mit der häufig verwendeten
Eichsubstanz TMS (Tetramethylsilan) festgelegt. Mit freundlicher Erlaubnis von Dieter Suter, Dortmund
3
2
CH2
schwächere
Abschirmung
1
CH3Protonen
0
CH3 TMS
stärkere
Abschirmung
CH2Protonen
Aromatische
Protonen (C6H5)
ppm
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
14.9 Der Einfluss der Atomkerne
In NMR-Spektrometern wird die relative Frequenzverschiebung einer
Probesubstanz relativ zu einer Eichsubstanz gemessen. Die relative Verschiebung heißt chemische Verschiebung und hängt nicht vom angelegten
Magnetfeld ab. Sie lässt sich sehr genau vermessen,
νi − νref
× 106 ,
δ=
νref
und wird in ppm (parts per million) angegeben wie am Beispiel von Abb.
14.56 gezeigt.
Kernspin-Tomographie. Ihren Erfolg verdankt die Kernspintomographie mindestens zwei Umständen: Mit diesem Verfahren kann man in
lebende Substanzen ,,hineinsehen“, denn Hf-Strahlung dringt in menschliches Gewebe zwischen 3 und 300 MHz sehr gut ein. Im Unterschied zur
Röntgendiagnostik werden außerdem kontrastreiche Bilder nicht nur von
harten Substanzen, sondern auch von dem dominierenden weichen Gewebe erzeugt, sodass neue diagnostische Erkenntnisse gewonnen werden.
Dabei wird das Bild allerdings nicht wie in einem Mikroskop erzeugt,
sondern Punkt für Punkt (Voxel für Voxel) werden Grauwerte aus den
Rohdaten des Induktionssignals errechnet und zu einem Bild zusammen
gesetzt. Es ist offensichtlich, dass diese Methode von der Verfügbarkeit
leistungsfähiger Rechner abhängt und profitiert. Technisch gesprochen
werden die verschiedenen Grauwerten, die Kontraste aus den Eigenschaften der Volumenelemente der Probe erzeugt, die sich im Induktionssignal in
Frequenzverschiebungen, durch Änderungen der Relaxationszeiten, insbesondere von T2 , oder durch die unterschiedliche Protonendichte der Probe
äußern. Aus dem zeitabhängigen Messsignal werden diese Werte durch
Fouriertransformation ermittelt.
Räumlich inhomogene Magnetfelder werden verwendet, um aus den
Eigenschaften des Induktionssignals nicht nur die Probeneigenschaften,
sondern zusätzlich eine Ortskodierung zu gewinnen. Dazu wird das homogene Magnetfeld (bei medizinischen Anwendungen tpisch 1–1,5 T)
zusätzlich mit Gradienten Gx = ∂/∂x Bz etc. überlagert (Abb. 14.57):
B(r0 + δr) = B0 ez + (Gx Δx, Gy Δy, Gz Δz) · ez . Die dabei auftretenden
Modifikationen der Richtung können vernachlässigt werden.
Steuerung
Gx Gy Gz
X
HFImpulse
Z
HFSignal
Y
Kühlflüssigkeit
Magnetspulen
Tabelle 14.16. Protonen-Relaxationszeiten im Gewebe
Gewebe
T1 (ms)
T2 (ms)
Graue Substanz
Weiße Substanz
Nieren
Leber
Muskeln
920
790
650
490
870
101
92
58
43
47
Abb. 14.57. Schematischer Aufbau einer Magnetresonanzapparatur wie er
auch in der medizinischen Diagnose
verwendet wird. Die ringförmigen
Spulen erzeugen ein homogenes Feld
von 1–1,5 T in z-Richtung. Sie bestehen aus Supraleitern (typischerweise
NbSn3 ) und werden von ineinander
geschachtelten Kühltanks für flüssigen Stickstoff und flüssiges Helium
umgeben. Als Gradientenspulen (dunkelblau, nur für den Gradienten G x in
x-Richtung dargestellt; die Pfeile zeigen die Stromrichtung an; Gradienten
in y- und z-Richtung werden durch
weitere Gradientenspulen erzeugt.)
sind hier so genannte Golay-Spulen gezeigt, bei denen nur die Kreisbögen
zum Feld in der Messzone beitragen,
nicht aber die stabförmigen Zuleitungen. In der Sattelspule (dunkelgrau)
wird von der rotierenden Magnetisierung der Kernspins das Hf-Messsignal
induziert
795
796
14. Physik der Atome und ihre Anwendungen
Abb. 14.58. Die Magnetresonanz(MR)Bilder der Lunge wurden nach
Einatmung von 0,3 Liter kernspinpolarisierten 3 He-Gases an der
Universitätsklinik Mainz aufgenommen. Das Bild zeigt die Verteilung
des 3 He-Gases in der Lunge eines
Nichtrauchers und eines Rauchers und
erlaubt pathologische Befunde. (Mit
freundlicher Erlaubnis von W. Heil)
Nichtraucher
Raucher
In einer Messsequenz kann z. B. zunächst durch einen Gradienten in
z-Richtung nur eine ausgewählte xy-Schicht angeregt werden, deren Dicke man wegen Δz = Δν/γGz durch die Steilheit des Gradienten oder
die Bandbreite des anregenden Hf-Impulses Δν einstellen kann. Beim
Auslesen des FID-Impulses kann der z-Gradient abgeschaltet und stattdessen durch Gradienten in x- oder y-Richtung die Phasenentwicklung
der präzedierenden Spins ortsabhängig so beeinflusst werden, dass aus der
Fouriertransformation die Ortsinformation gewonnen werden kann.
Die Entwicklung der bildgebenden Magnetresonanzverfahren ist keineswegs abgeschlossen. Ein Beispiel für eine neuere Entwicklung ist in
Abb. 14.58 gezeigt. In den Hohlräumen der Lunge ist die effektive Spindichte eines paramagnetischen Gases (das natürlich unbedenklich sein
muss wie z. B. ein Edelgas) mit thermischer magnetischer Polarisierung
normalerweise viel zu gering, um ein nachweisbares Kernspinsignal zu
induzieren. Dieses Problem kann überwunden werden, indem man ein
anderes, unschädliches Gas einatmet, dessen Polarisierung zuvor durch
optisches Pumpen (s. Abschn. 14.9.8) auf fast ideale Werte erhöht worden
ist. Kernspinpolarisiertes 3 He-Gas kann in geeigneten relaxationsarmen
Glasbehältern zwischen 50 und 100 Stunden gespeichert werden.
In der funktionalen Magnetresonanz versucht man, lokale Veränderungen der Messgrößen auch dynamisch zu erfassen. Zum Beispiel ändert
sich die Magnetisierungsdichte in der Lunge beim Atmen, oder T2 wird
durch kleine lokale Magnetfelder im Gehirn verändert und erlaubt es, die
Neuronenaktivität darzustellen.
14.9.5 Rabi-Atomstrahlresonanz
Die auch nach I. I. Rabi (1898–1988, Nobelpreis 1944) benannte Anordnung zur Atomstrahlresonanz kann man als natürliche Erweiterung
des Stern-Gerlach-Experiments ansehen. Darin wird zwischen zwei ablenkenden Stern-Gerlach-Magneten (A und B in Abb. 14.59) mit einem
inhomogenen Magnetfeld ein weiteres, homogenes Magnetfeld (C-Magnet
in Abb. 14.59) eingerichtet, um dort Radiofrequenz-Übergänge zwischen
magnetischen atomaren Zuständen zu induzieren.
14.9 Der Einfluss der Atomkerne
A-Magnet
C-Magnet
B-Magnet
N
N
N
Block
Strahlquelle
Detektor
S
Ablenkmagnet
Spalt
S
homogenes
Magnetfeld
S
zur
Rf-Spule
Das C-Magnetfeld kann ganz in Analogie zur zuvor behandelten NMR
(Abschn. 14.9.3) dazu dienen, die atomaren Zustände aufzuspalten; es können aber auch Übergänge zwischen Hyperfeinzuständen (Abschn. 14.9.2)
mit Drehimpulsquantenzahlen F und F induziert werden. Dabei wird
i. Allg. ein geringes externes Magnetfeld verwendet, um die mF -Zustände
durch den Zeeman-Effekt aufzuspalten (Abb. 14.60). Wenn der Frequenzabstand zwischen zwei Niveaus ω0 beträgt, sind die beiden Energieniveaus
um ±hω0 /2 verschoben.
In einem vereinfachten Modell reicht es dann, nur die zwei Zustände ψa und ψb zu berücksichtigen, die durch das Hochfrequenzfeld
zu Überlagerungen angeregt werden,
Refokussiermagnet
Abb. 14.59. Atomstrahlresonanz in
der so genannten Rabi-Apparatur. In
den A- und B-Magneten herrscht ein
inhomogenes Magnetfeld (angedeutet
durch die horizontalen Linien), in C
ein homogenes Magnetfeld B0 . Der
A-Magnet lenkt eine ausgewählte m F Komponente in den C-Magneten, wo
mit einer Spule ein zu B0 orthogonales
Radiofrequenz-Magnetfeld angelegt
wird. Der B-Magnet fokussiert
wiederum nur Atome mit ausgewählten
m F -Zuständen auf den Detektor
Ψ = ca ψa + cb ψb .
Die Zeitentwicklung der komplexen Koeffizienten ca,b kann aus der
Schrödinger-Gleichung ih∂/∂tψ = ĤΨ = ( Ĥ0 + Ĥ )Ψ gewonnen werden.
Hier gilt für den ungestörten Fall, d. h. in Abwesenheit des transversalen
Rf-Feldes, Ĥ0 ψa = hω0 /2ψa bzw. Ĥ0 ψb = −hω0 /2ψb . Das Radiofrequenzfeld koppelt die beiden Zustände (a, b) durch das magnetische
Moment und es gelte Ĥ ψa = μ̂B⊥ cos ωtψa = μab B⊥ cos ωtψb und
entsprechend für Ĥ ψb . Dann findet man mit Ω0 = 2μab B⊥ :
i
ω0
Ω0
d
ca =
ca +
cos ωt cb ,
dt
2
2
hω0
ca (t = 0) = 0 ,
F=1
(14.68)
Ω0
ω0
d
cb =
cos ωt ca −
cb , cb (t = 0) = 1 .
dt
2
2
Zur Beschreibung derLösungen ist es ist sinnvoll, die verallgemeinerte
Rabi-Frequenz Ω = (ω0 − ω)2 + Ω02 einzuführen. Ferner lassen wir die
Lösungen fallen, die mit ω + ω0 2ω oszillieren (Diese verursachen die
kleine Bloch-Siegert-Verschiebung der Resonanzfrequenz.) und finden
i
Ω0
ca (t) = −i
sin (Ωt/2) e−i(ω−ω0 )t/2 ,
Ω
ω0 − ω
sin (Ωt/2) + cos (Ωt/2) ei(ω−ω0 )t/2 .
cb (t) = i
Ω
ψa
F=2
(14.69)
Wir interessieren uns vornehmlich für die Besetzung des angeregten
Zustandes
+hω0/2
–hω0/2
ψb
m = –2 –1 0 –1 –2
Abb. 14.60. Pseudo-Spin-1/2-System
in einem magnetischen Hyperfeindublett mit Drehimplusquantenzahlen
F = 2 und F = 1. Die Zustände sind
mit einem kleinen Magnetfeld durch
den Zeeman-Effekt aufgespalten. Das
Hf-Feld induziert wegen der Resonanzbedingung nur Übergänge zwischen
den beiden ausgewählten Zustände mit
(F = 1, m F = 0) und (F = 2, m F = 0).
Das System verhält sich formal genau
wie ein Spin-1/2-System mit Zuständen
m = ±1/2. Das Beispiel trifft für das
87 Rb-Atom zu
797
798
14. Physik der Atome und ihre Anwendungen
1,0
Pa
Pa (t) = |ca (t)|2 =
(ω0 − ω)2 + Ω02
sin2
1/2 t/2 .
(ω0 − ω)2 + Ω02
Ω02
(1 − cos Ωt)
2Ω 2
Im Atomstrahl wird die Dauer der Hf-Einwirkung durch die Durchflugszeit
bestimmt, t = l/v für die Länge der Anregungszone l und die Geschwindigkeit v. In Abb. 14.61 ist das Anregungsspektrum für verschiedene wichtige
Situationen aufgetragen: Bei monochromatischem Atomstrahl wird im Resonanzfall bei Ω0 = πv/l gerade perfekte Anregung erreicht, die mit der
Verstimmung oszillierend abnimmt. Beim thermischen
Atomstrahl mit
√
der charakteristischen Geschwindigkeit vth = 2kT/m muss man über
alle Geschwindigkeiten summieren. Die Oszillationen werden dabei ausgewaschen und man erreicht optimale Anregung für Ω0l/vth = 1,2 · π.
Lässt man die Magnetfeldstärke und damit die Rabi-Frequenz weiter
wachsen, nimmt die Breite der Resonanz zu. Die maximale Anregungswahrscheinlichkeit nimmt den Wert 1/2 an, weil angesichts schneller
Rabi-Oszillationen die Besetzungswahrscheinlichkeit in Resonanznähe für
beide Zustände gleich wird.
Von besonderem Interesse ist die Frequenzbreite Δν der magnetischen Resonanz, und für den thermischen Atomstrahl berechnet man durch
Integration über die Geschwindigkeitsverteilung (Abschn. 5.2.10):
=
0,5
0,0
Ω02
ω0
Frequenz
Abb. 14.61. Berechnetes Spektrum der
magnetischen Resonanz. Gestrichelt:
Für einen monochromatischen
Atomstrahl mit wahrscheinlichster Geschwindigkeit vw , bei dem
Ω0 l/vth = π eingestellt wurde; ausgezogen: Thermischer Atomstrahl
und optimale Bedingungen bei
Ω0 l/vth = 1,2 · π; schattiert: desgleichen, aber 10fache Rabifrequenz
Δν = Δω/2π = 1,072 vth /l .
(14.70)
Bis auf einen konstanten Faktor entspricht dieses Resultat der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation Δν · Δt 1. Man kann sich nun leicht
vorstellen, dass die Resonanzfrequenz um so genauer bestimmt ist, je
schmaler die Resonanz ist, der Q-Faktor dieser Resonanz Q = ν/Δν
soll möglichst groß sein. Weil die spontane Emission der Mikrowellenübergänge vernachlässigt werden kann, und weil der Atomstrahl unter
stoßfreien Bedinungen im Vakuum propagiert, hängt diese Breite nach
(14.70) interessanterweise gar nicht von atomaren Eigenschaften ab, sondern nur von apparativen Gegebenheit, hier der Länge der Anregungszone l
und der Geschwindigkeit vth . Daher sind magnetische Resonanzübergänge
ideale Kandidaten für Frequenznormale, die man überall auf der Erde
aufstellen kann, um möglichst synchrone Zeittakte zu erzeugen.
14.9.6 Ramseys Methode der getrennten oszillierenden Felder
Gleichung (14.70) scheint zu versprechen, dass man die Resonanzbreite
durch schlichte Verlängerung der Übergangsregion immer weiter verringern könnte. Diese Annahme setzt allerdings sowohl eine extrem hohe
Feldhomogenität als auch identische Phasenlagen des Mikrowellenfeldes für alle möglichen Atomstrahltrajektorien voraus, die in der Praxis
nicht erreicht wird. Ramsey hat mit der nach ihm benannten Methode
der getrennten oszillierenden Felder (engl. separated oscillating fields),
für die er 1989 (zusammen mit H. Dehmelt und W. Paul) den Nobelpreis erhielt, einen Weg gefunden, lange Wechselwirkungszeiten T zu
realisieren, die von den Feldinhomogenitäten und Phasenlagen weniger
stark beeinträchtigt werden. Das Konzept der Atomuhr hängt ganz eng
14.9 Der Einfluss der Atomkerne
Detektor
(original)
Ablenkmagnet
HohlraumResonator
Zentralscheibe
(Original)
Cs-Atomstrahlofen
(Original,
aufgeschnitten)
Ablenkmagnet
(Sechspolsystem, Original)
Abb. 14.62. Caesium-Atomuhr nach der Methode der getrennten oszillierenden Felder nach N. Ramsey (PhysikalischTechnische Bundesanstalt Braunschweig, Andreas Bauch). Der Atomstrahl propagiert von rechts nach links. Die
Ablenkmagnete entsprechen den A- und B-Magneten der Rabi-Apparatur (Abb. 14.59). Die Rf-Übergänge werden in den
beiden rechtwinklig angeordneten Stücken des Mikrowellen-Resonators induziert. Der Hohlraum-Resonator wird von einer
langen Spule umgeben, die das C-Feld erzeugt (nicht eingezeichnet)
mit Ramseys Methode zusammen und entspricht im Wesentlichen der
Anordnung aus Abb. 14.62. Die magnetische Resonanz wird darin auf
zwei vergleichsweise kurze Wegstrecken (Durchflugszeit τ) am Anfang
und am Ende der Flugstrecke beschränkt, die durch eine längere Strecke (Flugzeit T ) voneinander getrennt sind. Der Mikrowellenresonator ist
symmetrisch aufgebaut, um für alle Atomstrahltrajektorien hinweg eine
möglichst identische Phasenlage der beiden Anregungszonen zu erzielen. Die Wirkung der Ramsey-Methode beruht auf der Phasenkohärenz
zwischen den beiden Wechselwirkungszonen – zwischen den beiden Zonen sollen Atome und Mikrowellenoszillator im Idealfall perfekt synchron
zueinander weiterschwingen.
Um die Wirkung auf die atomaren Zustände zu verstehen, können wir
uns an (14.68) und (14.69) orientieren, müssen aber nun berücksichtigen,
dass sich das Atom beim Eintritt in die jeweils nächste Zone bereits in
einer Überlagerung (ca , cb ) befindet. Die allgemeine Lösung besteht aus
Drehungen im Zustandsraum ψa,b ,
ca (t)
ca (t0 )
= M(t − t0 )
cb (t)
cb (t0 )
mit
⎛
⎞
Ωt
ω0 − ω
Ωt
Ω0
Ωt
cos
−i
sin
−i
sin
⎜
⎟
2
Ω
2
Ω
2
M(t) = ⎝
⎠.
Ω0
Ωt
Ωt
ω0 − ω
Ωt
−i
sin
cos
+i
sin
Ω
2
2
Ω
2
In den Zonen 1 und 3 gilt Ω0 = 2μB/h, t = τ in Zone 2 Ω0 = 0, t = T .
Die kombinierte Wirkung der drei Zonen wird nach
ca (0)
ca (T + 2τ)
(3)
(2)
(1)
= M (τ)M (T )M (τ)
cb (T + 2τ)
cb (0)
799
800
14. Physik der Atome und ihre Anwendungen
Abb. 14.63. Entwicklung des atomaren
Zustands beim Durchqueren einer
Ramsey-Apparatur. Zu Beginn sind
alle Atome im Zustand b
Mikrowellenzuführung
T
τ
τ
a
b
Abb. 14.64. Spektrum der atomaren
Anregungswahrscheinlichkeit Pa
bei der Methode der getrennten
oszillierenden Felder (,,RamseyMethode“) an einem thermischen
Atomstrahl. Gestrichelt: Anregung
durch nur einen Puls wie in Abb. 14.61
0,8
ττ
0,6
t
0,4
τ
τ
T = 2τ
0,2
τ
0
T = 5τ
–10
0
t
τ
t
10
berechnet. Wenn der reine Zustand in die Apparatur injiziert wird
((ca , cb ) = (0, 1)), dann berechnet man die Anregungswahrscheinlichkeit
in a nach
(3) (2) (1)
(3) (2) (1) 2
M11 M12 + M12
M22 M22 .
(14.71)
Pa = |ca (2τ + T )|2 = M11
An dieser Schreibweise erkennt man deutlich die auch in Abb. 14.63 unten
illustrierte Quanteninterferenz: Die Übergangsamplituden von Zustand b
nach a aus der Zone 1 und 2 interferieren analog zu einem Zwei-SpaltExperiment (Abschn. 10.1.2). Wertet man (14.71) aus, erhält man
2
Ω0
Ωτ
sin2
Pa (τ, T ) = 4
Ω
2
(ω0 − ω)T ω0 − ω
Ωτ
(ω0−ω)T 2
Ωτ
.
cos
−
sin
sin
× cos
2
2
Ω
2
2
In Abb. 14.64 ist der Einfluss der Ramsey-Methode auf das Spektrum der
Rabi-Resonanz vorgestellt.
14.9.7 Atomuhren, atomare Springbrunnen und GPS
Atomuhren. Atomuhren waren geradezu eine natürliche technische Folge
der Ramsey-Methode, die hohe spektrale Auflösung für Atome als absolut
reproduzierbare Oszillatoren verfügbar machte. Die so genannten primären
Uhren dienen der Realisierung der Sekunde, alle größeren Industrieländer
unterhalten zu diesem Zweck eigene Laboratorien, Deutschland an der
14.9 Der Einfluss der Atomkerne
1,0
0,5
0,0
–50
Detektorsignal
1,0
1,0
0,8
0,8
0,6
0,6
0,4
0,4
0,2
0,2
0,0
–6
–4
–2
0
2
4
6
fp – f0 (kHz)
0,0
–0,2
0
–0,1
0,0
50
0,1
0,2
Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB). Sie geben durch internationalen Vergleich den Zeittakt vor, mit dem alle anderen Uhren z. B.
durch Funkübertragung synchronisiert werden. Frequenznormale dienen
dazu, extrem genaue Frequenzen für verschiedenste Anwendungen zu realisieren, zum Beispiel ist jeder Satellit des GPS-Systems (s. u.) mit einem
Frequenznormal ausgestattet.
Caesium hat sich als besonders vorteilhaftes Atom für Frequenznormale erwiesen, weil seine Resonanzfrequenz ν bei 9,2 GHz schon relativ
groß ist, die Geschwindigkeit des schweren Atoms im Strahl relativ klein
und wegen (14.70) der Q-Faktor groß, und weil es ferner einfach zu handhaben ist. Das Spektrum einer primären Caesium-Uhr ist in Abb. 14.65
gezeigt. Der Q-Wert der Caesium-Hyperfeinresonanz beträgt für RamseyApparaturen mit einer Baulänge von 0,3 m Q = ν/Δν 3 · 107 , und nach
Jahrzehnten systematischer Untersuchungen konnte der Mittenwert dieser
Resonanz bei den primären Uhren mit einer absoluten Unsicherheit von
weniger als 10−14 realisiert werden.
Heute ist die Caesium-Frequenz zur Grundlage der Zeitmessung weltweit geworden und ihr Wert legt die Zeiteinheit der Sekunde definitionsgemäß fest:
Die Sekunde (s) ist das 9 192 631 770fache der Periodendauer der
dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des
Grundzustandes von Atomen des Nuklids 133 Cs entsprechenden
Strahlung.
Atomuhren und Frequenznormale werden sorgfältig hinsichtlich ihrer
Unsicherheiten charakterisiert. Neben der statistischen Unsicherheit, die
bei jeder Messeinrichtung auftritt (Abschn. 1.1.7), ist die systematische
Unsicherheit besonders wichtig, sie beschreibt die Variationen von Uhr zu
Uhr, die auch bei identischer Bauart immer kleine Abweichungen zeigen.
100
150
(kHz)
Abb. 14.65. Radiofrequenz-Spektrum
der primären Caesium-Atomuhr der
Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Braunschweig nach der RamseyMethode. Die asymmetrische Intensität
der (F = 3, m F ) → (F = 4, m F )Übergänge ist eine Folge unterschiedlicher Besetzung der m F -Zustände im
Atomstrahl. Die Atomuhr wird auf
das zentrale Maximum des 0 → 0Übergangs geregelt. Mit freundlicher
Erlaubnis von Andreas Bauch
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14. Physik der Atome und ihre Anwendungen
Detektor &
Demodulator
Caesium
Strahlrohr
v0 = 9,192631770
Modulator
Regeleinrichtung
FrequenzSynthesizer
QuarzOszillator
10 MHz
Referenzfrequenz
Abb. 14.66. Wichtige Komponenten
einer Atomuhr. Neben elektronischen
Regeleinrichtungen gibt es zwei
Oszillatoren: Der Quarz-Oszillator
dient als ,,Schwungrad“, das bei kurzen
Zeiten für hohe Stabilität sorgt. Auf
längerer Zeitskala wird die Schwingung
des Quarz-Kristalls mit der Schwingung
der Caesium-Atome synchronisiert
In einer Atomuhr wird die Caesium-Resonanz für die Langzeitstabilität
eingesetzt, die Kurzzeitstabilität (< 1 s) liefert ein anderer Oszillator, der als ,,Schwungrad“ dient, typischerweise ein Quarz-Oszillator
(Abb. 14.66).
Atomare Springbrunnen. Weil die Resonanzbreite (der Q-Wert) die
Ganggenauigket der Atomuhr bestimmt, wurde schon um 1950 von
Zacharias am Massachussetts Institute of Technology versucht, die
Ramsey-Anordnung mit sehr langsamen Atomen (wenige m/s) zu realisieren. Er konstruierte dazu eine Vakuum-Apparatur, die 7 m hoch war,
sodass langsame Atome gegen die Schwerkraft aufsteigen, umkehren und
wieder herunterfallen sollten. Diese ,,Springbrunnen“-Idee war ihrer Zeit
weit voraus, denn langsame Atome wurden damals nicht gefunden: In der
Öffnung eines Atomstrahlofens erfahren die sehr langsamen Atome fast
immer einen Impulsübertrag durch einen Stoß mit schnellen Atomen, sodass die sowieso wenig intensive Gruppe der langsamen Atome im Strahl
gar nicht vorkommt (s. auch Abschn. 5.2). Erst die Entwicklung der Laserkühlung (Abschn. 14.7.3), die die kontrollierte Manipulation von Atomen
bei Geschwindigkeiten von cm/s oder sogar mm/s ermöglicht hat, hat
die atomaren Springbrunnen Wirklichkeit werden lassen (Abb. 14.67). Die
nationalen Labors, die an der Realisierung der Zeit arbeiten, haben mit
dieser Methode (Abb. 14.67) die Ganggenauigkeit der Caesium-Atomuhr
mittlerweile um eine weitere Größenordnung auf ν/Δν 1015 steigern
können.
(a)
Ion Count
Mikrowellenresonator
Photodetektor
Abb. 14.67. Links: Schema einer
atomaren Fontäne. Mit den MOTLaserstrahlen wird zuerst eine
Wolke kalter Atome im Zentrum der
Strahlen präpariert. Die Atome werden
anschließend mit einem Laserstrahl
beschleunigt und durchqueren den
Mikrowellenresonator zweimal, beim
Aufsteigen und beim Herabfallen. Ein
Nachweislaser verursacht zustandsselektive Fluoreszenz, die mit einem
Photodetektor registriert wird. Rechts:
Ramsey-Signal einer Natrium-Fontäne.
In diesem Fall wurde zustandsselektive
Ionisation zum Nachweis verwendet.
Mit freundlicher Erlaubnis von Steve
Chu
Nachweislaser
70
100
130
160
190
v (–1 771 626 000 Hz)
(b)
MOTLaserstrahlen
1 Hz
Beschleunigungsstrahl
14.9 Der Einfluss der Atomkerne
Abb. 14.68. Das Global Positioning
System verwendet 24 Satelliten, von
denen an jedem Punkt der Erde stets
mindestens vier Exemplare sichtbar
sind
Global Positioning System (GPS). Zeitmessung hat schon seit langem
eine wichtige Rolle bei der Kontrolle von Verkehrsströmen gespielt – erst
wegen der Einführung von Fahrplänen für den Eisenbahnverkehr war es
im 19. Jahrhundert notwendig geworden, die Uhren in den verbundenen
Orten zu synchronisieren. Das GPS, die modernste Form der Navigation
ist seit 1993 mit 24 geostationären Satelliten vollständig. Die Satelliten
des NAVStar-Systems umkreisen die Erde in 12 Stunden in einer Höhe
von 20 200 km. An Bord befinden sich Atomuhren, deren Stand relativ zu
einer gemeinsamen Systemzeit von fünf weltweit verteilten Bodenstationen kontrolliert wird. Die Satelliten senden kontinuierlich Signale mit mit
ihrer genauen Position und Zeit, deren Differenz mit einer Genauigkeit
von 3 · 10−9 s bekannt sind. Der Empfänger vergleicht die Empfangszeit
mit der gesendeten Zeit und kann aus den Verzögerungen Δti /c = si die
Entfernungen berechnen, wobei atmosphärische und andere Verzerrungen
korrigiert werden können.
Drei derartige Entfernungsmessungen reichen im Prinzip aus, um
geographische Länge, Breite und Höhe zu ermitteln. Allerdings setzt dieses Verfahren voraus, dass auch der Empfänger (Abb. 14.68) über eine
(Atom-)Uhr mit gleicher Ganggenauigkeit verfügt. Dieser Aufwand wird
vermieden, indem mit Hilfe eines vierten Satelliten auch die weniger
präzise Uhr des Empfängers korrigiert wird.
14.9.8 Optisches Pumpen und Magnetometer
Die i. Allg. zahlreichen Unterzustände Hyperfeinstruktur (Drehimpulsquantenzahlen F und magnetische Quantenzahlen mF ) eines atomaren
Gases sind im thermischen Gleichgewicht gleichförmig besetzt. Mit polarisiertem Licht und dem so genannten optischen Pumpen lässt sich diese
Gleichverteilung aber durch zyklische Anregung stören und sogar in einen
einzigen Quantenzustand überführen. In Abb. 14.69 sind einige Beispiele
für dieses Verfahren abgegeben. Es beruht auf dem Umstand, dass bei
polarisiertem Licht in Absorption nur ausgewählte Übergänge (s. Auswahlregeln Tabelle 14.8) getrieben werden, während bei der spontanen
Emission alle erlaubten Übergänge stattfinden.
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14. Physik der Atome und ihre Anwendungen
Abb. 14.69. Optisches Pumpen. Die
blauen Kreise geben die relativen
Besetzungszahlen der m-Zustände vor
(links) und nach (rechts) dem optischen
Pumpen mit zirkular polarisiertem
Licht an. Oben: Beim J → J + 1Übergang wird die gesamte Population
in die äußersten m-Zustände befördert.
Unten: Beim J → J-Übergang wird
die Population ebenfalls in die äußeren
Zustände befördert, die aber nun nicht
mehr fluoreszieren können
Abb. 14.70. Aufbau eines RubidiumMagnetometers. In diesem Konzept
wird die Rf-Spule durch Rückkopplung
zu selbsterregten Schwingungen
veranlasst
Weil die Aufspaltung der Zeeman-Zustände von Atomen empfindlich
vom äußeren Magnetfeld abhängt, liegt es nahe, sie umgekehrt zum Bau
von Magnetfeldsensoren einzusetzen. Das NMR-Signal von Protonen wird
zu diesem Zweck eingesetzt, ist aber vor allem für hohe Feldstärken geeignet. Elektronische Momente erlauben die präzise Messung schwacher
Magnetfelder wie zum Beispiel dem Erdmagnetfeld.
Das Rb-Magnetometer besteht – wie analog andere Alkalidampf-Magnetometer – aus einer Dampfzelle, einer resonanten Rb-Lichtquelle, die
einen zirkular polarisierten Lichtstrahl durch die Zelle schickt, einer
Radiofrequenz-(Rf-)Spule und einem Photodetektor. Wenn durch optisches Pumpen die absorbierenden Zustände entleert werden, wie im
unteren Beispiel von Abb. 14.69, sinkt die Lichtabsorption. Wenn aber
ein Rf-Feld Übergänge zwischen den Zeeman-Zuständen verursacht, wird
die Absorption wieder ansteigen. In Abb. 14.70 ist ein Konzept für ein RbMagnetometer gezeigt, bei dem durch Rückkopplung eine Schwingung
angefacht wird, deren Frequenz zum Betrag des Magnetfeldes proportional
ist. Derartige Magnetometer erreichen eine Empfindlichkeit von weniger
als 10 nT und finden breite Anwendung bei geophysikalischen Anwendungen, in denen Anomalien des Erdmagnetfeldes studiert werden. Es
handelt sich um skalare Magnetometer, denn die Larmorfrequenz hängt
nur vom Betrag, nicht der Richtung des Magnetfeldes ab. Allerdings hängt
die Signalamplitude von der Orientierung des äußeren Magnetfeldes ab.
RbLichtquelle
RbDampfzelle
Richtung des
magnetischen Feldes
RfSpule
ZirkularPolarisator
Phasenschieber
Photo- Verstärker
diode
Ausgangssignal
14.10 Kräfte zwischen Atomen
Atome und Ionen gehören zu den bestverstandenen mikroskopischen Objekten der Physik überhaupt, sie sind gewissermassen ein ,,Baukasten der
Quantenphysik“. Allerdings haben wir die Atome bisher immer isoliert betrachtet, frei von Wechselwirkungen untereinander wie sie andererseits in
jedem Gas mit hoher Rate stattfinden. In diesem Abschnitt sollen Grundzüge atomarer Wechselwirkungen vorgestellt werden. Besonders starke
Kräfte führen zur Molekülbildung, der ein eigenes Kapitel gewidmet ist.
14.10.1 Van der Waals-Kräfte
In der klassischen Physik beschreibt die van der Waals-Gleichung die
Abweichungen realer Gase von idealen Gasen. Diese Abweichungen
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