Pathobiologie/Pathobiochemie Teil 1

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Pathobiologie/Pathobiochemie
Teil 1
Lektion 1
20.09.10
Einführung und Grundlagen
Lektion 2
27.09.10
Gedächtnisstörungen
Pathobiologie der Sucht
Lektion 3
4.10.10
Lektion 4
11.10.10
Pathobiologie der Sinnesorgane
Augenkrankheiten
[ Lektion 5
18.10.10
Herz-Kreislaufkrankheiten ]
Lektion 6
25.10.10
Pathobiologie des Schmerzes
Lektion 7
1.11.10
Neurodegenerative Erkrankungen und andere
Krankheiten des Nervensystems
(Selbststudium)
Hautkrankheiten
1
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
1
Stoff aus dem Lehrbuch zu Lektion 3
G. Thews, E. Mutschler, P. Vaupel
Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie
des Menschen (6. Auflage)
Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH
Stuttgart, 2007.
Grundlagen aus der Anatomie/Physiologie:
Kapitel 19: Seiten 677-697, 702-720, 771-788, 796-813, 814-818, 823-831
(gilt auch für Lektion 12)
Neurologische Störungen:
Kapitel 19: Seiten 832-850
Psychiatrische Störungen:
Kapitel 19: Seiten 851-858
Schlafstörungen:
Kapitel 19: Seiten 818-822
2
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
2
Erkrankungen des Nervensystems
Inhalt von Lektion 3:
Beispiele:
• Neurodegenerative Erkrankungen
Alzheimer-, Parkinson-, Prion-Krankheit*
• Infektionen
Akute/chronische Meningitis, (Meningo-) Enzephalitis,
Toxoplasmose, Prion-Krankheit*
• Ödem, Druck, Malformationen, Traumen
Cerebrales Ödem, intrakranialer Druckanstieg, Hernien,
Hydrocephalus, Anomalien, Verletzungen
• Cerebrovaskuläre Erkrankungen
Hypoxie, Ischämie, Infarkt, Hämorrhagie
• Vegetatives Nervensystem (nur Übersicht)
Vegetative Fehlregulationen, Ausfall von vegetativen
Neuronen, vegetative Querschnittssyndrome, sympathisches Nervensystem und Schmerz (s. Lektion 13)
• Zentrale und periphere motorische
Störungen (s. auch Lektion 10)
Periphere Nervenläsionen, spinaler Schock, Spastik,
• Demyelinisierende Erkrankungen
Mulitple Sklerose
• Hirntumoren
Gliome, Medulloblastom, Meningiom, Schwannom
• Anfallserkrankungen
Epileptische Anfälle, Epilepsien, epileptische Syndrome
• Vertigo (Schwindel)
• Schlafstörungen
(s. Lektion 4)
Basalganglienerkrankungen, Kleinhirnerkrankungen
Akuter Labyrinthausfall, langsame Schädigung des
Labyrinths, zentralvestibuläre Störungen
Störungen des zirkadianen Rhythmus, Insomnie,
Narkolepsie, Schlaf-Apnoe-Syndrom
3
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
3
*
Neurodegenerative Erkrankungen − Einführung
Neurodegenerative Erkrankungen sind sporadische, seltener erblich auftretende
Prozesse, vorwiegend des Zentralnervensystems (ZNS), die ein oder mehrere
Neuronensysteme oder das gesamte ZNS betreffen. Sie gehen mit langsam
fortschreitendem Funktionsverlust und Ausfall spezifischer Neuronenpopulationen
und ihrer Verbindungen einher.
Damit häufig verbunden sind − durch Störungen des intrazellulären Ubiquitin-Proteasomensystems bedingte − Veränderungen der Zytoskelettproteine mit Ablagerung
unlöslicher Eiweissbruchstücke oder Einschlusskörper in Zellzytoplasma oder
Zellkern wie Amyloidablagerungen, Neurofibrillendegeneration, Lewy-Körper u.a.
Die Erkrankungen zeigen einen progressiven Verlauf mit charakteristischen
klinischen, morphologischen und biochemischen Veränderungen. Typisch ist ein
schleichender Beginn (50. bis 75. Lebensjahr) und langsame Krankheitsprogredienz
bis zu schwerster Behinderung und Pflegebedürftigkeit. Der Tod erfolgt meist durch
Sekundärkomplikationen (Pneumonie, Harnwegs- und andere Infekte, Lungenembolie), kardiovaskuläre Prozesse oder Ausfall lebenswichtiger zerebraler
Funktionen.
4
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Jellinger, J Neurol Neurochir Psychiatr 6(1):9-18, 2005
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
4
*
Klassifikation (1)
Neurodegenerative Erkrankungen wurden traditionell nach klinisch-pathologischen
Kriterien gegliedert, d.h. nach den schwerpunktmässig betroffenen Neuronensystemen
und ihren klinischen Phänotypen, wobei häufig Kombinationen und Überlappungen
auftreten.
1. Physiologische und pathologische Alternsprozesse des Gehirns − senile und
präsenile Demenzen, je nach Erkrankungsalter, Schweregrad und Verlauf der Hirnschäden.
2. Neurodegenerative Prozesse (Systematrophien) mit Vorzugsbefall der Stammganglien: Parkinson-Syndrom, Chorea Huntington; der Motoneuronen: Amytrophe
Lateralsklerose; der Kleinhirn-, Hirnstamm- und Rückenmarkssysteme: spinozerebrale
Ataxien.
3. Prion-Erkrankungen
Jakob-Krankheit.
5
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(übertragbare
spongiforme
Enzephalopathien): Creutzfeld-
Jellinger, J Neurol Neurochir Psychiatr 6(1):9-18, 2005
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
5
(*)
Klassifikation (2)
Nach molekularbiologischen Merkmalen
(Fehlfaltung von Zellproteinen = molekularer Grundmechanismus → “Proteinopathien”)
6
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Jellinger, J Neurol Neurochir Psychiatr 6(1):9-18, 2005
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
6
(*)
Klassifikation (3)
Nach molekularbiologischen Merkmalen
(Fehlfaltung von Zellproteinen = molekularer Grundmechanismus → “Proteinopathien”)
7
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Jellinger, J Neurol Neurochir Psychiatr 6(1):9-18, 2005
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7
*
Klassifikation (Zusammenfassung)
Tauopathien mit und ohne Amyloidablagerung
- Alzheimer Krankheit (“sekundäre Tauopathie”)
- Frontotemporale Demenz + Parkinsonismus
- Pick-Krankheit
- Progressive supranukleare Parese
- Kortikobasele Degeneration
Synucleinopathien
- Morbus Parkinson
- Demenz mit Lewy-Körpern
- Multisystematrophie
Polyglutamin-Erkrankungen
- Chorea Huntington
- Spinozerebelläre Ataxien
- Friedreich-Ataxie
Motorische Systemdegeneration
- Amyotrophe Lateralsklerose
Prionen-Erkrankungen
- Creutzfeldt-Jakob-Krankheit
Jellinger, J Neurol Neurochir Psychiatr 6(1):9-18, 2005
8
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
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*
Alzheimer-Krankheit (Alzheimer-Demenz)
Als Demenz (Verstandesverlust) bezeichnet man erworbene Störungen mehrerer kognitiver Funktionen mit
Abnahme von Gedächtnis, Denkvermögen oder anderen höheren Hirnleistungen (Sprache, Urteilskraft,
Orientierung, Affektkontrolle, Persönlichkeit) bei bewusstseinsklaren Personen, die zur Beeinträchtigung sozialer,
beruflicher und anderer Alltagsaktivitäten führen.
Die Alzheimer-Krankheit (AK) ist die häufigste Ursache einer Demenz (50-70%).
Das Demenzrisiko steigt mit zunehmendem Lebensalter
drastisch an.
Das lebensalterliches Risiko für Demenzen im Alter zwischen
65 und 100 Jahren beträgt 33% für ♂ und 45% für ♀.
Riskikofaktoren
- Alter
- familiäre Belastung
- Apolipoprotein Eε4
- Hypertonie
- Diabetes
- Nikotinabusus
- Atherosklerose
- Hypercholesterinämie
- weibliches Geschlecht (Hormonmangel)
- Schädelhirntrauma.
9
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
9
*
Klinischer Verlauf und Diagnose der AK
Klinischer Verlauf
Anfangs bestehen leichte, vom Patienten und seiner Umgebung wenig bemerkte Störungen von Gedächtnis,
Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit und Informationsverarbeitung. Diese geringen Veränderungen (mild cognitive
impairment - MCI) ohne Hinweis auf Demenz bedingen noch keine Beeinträchtigung im Alltagsleben, jedoch
zeigen spezifische neuropsychologische Tests bereits einen Leistungsabfall vom früheren Niveau.
In bis zu 80% geht MCI in Demenz über. Frühstadien der AK (Dauer 1−2 Jahre) mit Störungen von
Kurzzeitgedächtnis und Konzentration bleiben bei guter “Fassade” oft verborgen.
Später schreiten Störungen von Gedächtnis, Denken und Orientierung, Sprache und Handlungsabläufen, oft
verbunden mit Aggressivität, motorischer Unruhe, Apathie, Aphasie und Agnosie bis zu Desorientiertheit,
Psychosen, Sprachzerfall, Gangstörungen, Harn- und Stuhlinkontinenz, Wahnbildung bis zur völligen
Pflegebedürftigkeit fort.
Diagnose
- Sorgfältige Anamneseerhebung
- Klinische und psychologische Untersuchungen
- Laboruntersuchungen
(Blutchemie, Harn, Apolipoprotein E (ApoE)-Bestimmung im Serum, HIV, Amyloid- und Tau-Protein im Liquor)
- Bildgebende Verfahren (CT, MRT, PET)
Die Verdachtsdiagnose sollte bereits im Stadium der MCI erfolgen. Eine eindeutige Diagnose ist nur durch die
histologische Hirnuntersuchung möglich (meist Autopsie, selten Biopsie).
10
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Jellinger, J Neurol Neurochir Psychiatr 6(1):9-18, 2005
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(*)
Stadien der Alzheimer-Krankheit
leichte Form
milde Form
schwere Form
Diagnostik des Alzheimer-Gehirns mit Magnetresonanz (MR; links) und Positronen-Emissionstomographie (PET; rechts).
Das MR-Bild zeigt Atrophie und ventrikuläre Vergrösserung. Das PET-Bild weist einen reduzierten
Glukose-Metabolismus nach, und zwar bilateral in
den Parietallappen (blaugrün) verglichen mit dem
normalen Metabolismus in anderen kortikalen
Bereichen (gelb, rot).
11
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Reference: Cummings JL, NEJM 351:56-67, 2004
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(*)
Neuropathologie der Alzheimer-Krankheit
Morphologische Diagnosekriterien
 Ablagerung von Amyloid im Gewebe als Plaques und in Hirngefässen (zerebrale Amyloidangiopathie)
durch Abbaustörungen des im ZNS ubiquitär vorhandenen Amyloid-Vorläufer-Proteins (APP)
 Ablagerung von hyperphosphoryliertem Tau-Protein in Nervenzellen (Neurofibrillendegeneration),
ihren Fortsätzen (Neuropilfäden) und um Amyloiddeposits (neuritische Plaques)
Neuropathologie
Während das Beta-Amyloidpetid neurotoxisch wirkt, bindet sich das fibrilläre TauProtein an die Mikrotubuli in den Nervenzellen und führt durch synchrone Wechselwirkung zu Gewebsschädigung (Verlust
von Synapsen und Nervenzellen). Durch
Unterbrechung wichtiger Nervenverbindungen kommt es zur Demenz.
Jellinger, J Neurol Neurochir Psychiatr 6(1):9-18, 2005
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
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*
Mechanismus der Amyloidbildung
A: Das Amyloid-Präkursorprotein (APP) ist ein Transmembranprotein mit Spaltstellen für drei bestimmte Enzyme (α-, β- und γSekretase). Die Aβ-Domäne (42 AS) reicht vom Extrazellulärteil bis in den Transmembranteil.
B: Wenn APP durch die α-Sekretase gespalten wird, kann durch weitere Spaltung mit γ-Sekretase kein Aβ42 gebildet werden.
Wenn APP hingegen konsekutiv durch die β- und γ-Sekretase gespalten wird, bildet sich das neurotoxische Aβ42, das dann zu
Fibrillen aggregiert. Die Spaltung durch γ-Sekretase folgt immer nach jener durch α- bzw. β-Sekretase. Die Aktivierung der
(membrangebundenen) γ-Sekretase erfolgt durch quarternäre Komplexbildung mit Presinilin und drei weiteren Komponenten.
C: Aggregatbildung von β-Amyloid mit Tau, ApoE u.a.
13
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
Martin JB, NEJM 340:1970-1980, 1999
13
(*)
Auswirkungen der β-Amyloidbildung
Die Hypothese der Amyloid-Kaskade
basiert auf der Bildung des β-Amyloids (Aβ)
aus dem APP-Präkursor und schliesst
verschiedene sekundäre Stufen (Oxidation,
Excitotoxizität, Aggregation, Entzündung,
Tau-Hyperphosphorylierung) ein, bis hin
zur Plaque-Bildung, was schliesslich zum
Untergang zahlreicher Neuronen führt. Das
Verständnis der einzelnen Schritte dieser
Kaskade eröffnet Ansatzpunkte für die
Behandlung der Alzheimer-Krankheit.
Reference: Cummings JL, NEJM 351:56-67, 2004
14
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
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(*)
Gehirn von Alzheimer-Patienten
Das Gehirn von Alzheimer-Patienten zeigt Atrophien in variablem
Ausmass und stark erweitere Furchen (Sulci), die besonders in den
Frontal-, Temporal- und Parietallappen sichtbar sind.
A Ausschnitt aus dem zerebralen Cortex
eines Alzheimer-Patienten mit neuritischer Plaque.
B Extrazelluläre Amyloid-Plaque mit AβPeptid (Pfeil) und Amyolid-Ablagerung in
einem Blutgefäss (darunter).
Die Alzheimer-Krankheit tritt kaum je bei Personen unter 50 Jahren auf.
Bei der Gruppe der 60-64-Jährigen ist etwa 1% davon betroffen, bei den 8589-Jährigen sind es bereits 40%. Die Krankheit scheint nur bei 5-10% der
Fälle einen genetischen (d.h. familiären) Hintergrund zu haben. Bei Patienten mit Trisomie 21 sind ab dem Alter von 45 Jahren fast alle von den bei
Alzheimer beobachteten pathologischen Veränderungen betroffen.
15
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
15
Wichtige Gene für Erkrankungen des ZNS
Reference:
Kennedy et al, Science 2003; 302: 822-826
Beispiele von Genen, die involviert sind
in der Pathogenese von neurodegenerativen und psychischen Krankheiten.
16
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
16
Epigenetische Veränderungen bei neurodeg. Krankh.
Reference:
Urdinguio et al,
Lancet Neurol
2009; 8: 1056-72
Neurodegenerative Krankheiten werden neben genetischen auch durch epigenetische
Veränderungen bestimmt; Beispiele finden sich in dieser Tabelle.
17
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*
Syncleinopathien − Parkinson-Krankheit
Eine komplexe Gruppe neurodegenerativer Proteinopathien ist gekennzeichnet durch pathologische Ablagerungen
des veränderten und fehlgefalteten Hirnproteins α-Synuclein (AS) als Lewy-Körper in Nervenzellen und Neuriten
bzw. als Zytoplasmaeinschlüsse in Oligodendoglia und Neuronen (Synucleinopathien).
Die Parkinson-Krankheit ist die häufigste Form extrapyramidaler Erkrankungen im höheren Lebensalter.
Sie ist bedingt durch fortschreitende Degeneration der striato-nigralen und extranigralen Neuronensysteme
(Substantia nigra) sowie durch das Auftreten vorwiegend subkortikaler Lewy-Körper.
Prävalenz nimmt exponentiell mit dem Alter zu (<10/100’000 der 50jährigen, 150-200/100’000 der über 80jährigen),
wobei sie bei Männern doppelt so hoch wie bei gleichaltrigen Frauen ist.
Der Erkrankungsbeginn liegt zwischen 55 und 65 Jahren.
A Normale Substantia nigra
B Depigmentierte Substantia
nigra (= Verlust von dopaminergen Neuronen) bei idiopathischem Parkinson-Syndrom.
C Lewy-Körperchen, typisch
für depigmentierte Substantia
nigra.
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
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*
Parkinson-Krankheit
Klinik
Initialsymptome sind einseitiger Ruhetremor und Rigor (Steifigkeit), gefolgt von
Gang- und Haltungsstörungen, Bradykinese (Verlangsamung der Bewegungen),
Maskengesicht und Mikrographie (verlangsamtes Schreiben), vegetative Dysfunktionen bis zur Akinese (Bewegungslosigkleit) und Pflegebedürftigkeit.
Kognitive Störungen treten in 30−70% mit
6fachem Risiko gegenüber der Normalpopulation auf und führen zu starker
Verkürzung der Überlebenszeit von etwa
10 bis über 25 Jahren.
Psychiatrische Komplikationen und Depression bei rund 50% der Patienten
beeinträchtigen neben motorischer Behinderung wesentlich die Lebensqualität.
Eine eindeutige Diagnose ist nur durch
neuropathologische Untersuchung möglich.
Sir W.R. Gowers, 1886
A Manual of Diseases of the Nervous
System
Typische Haltung eines Patienten,
der unter einem Rigor (Muskelstarre)
leidet.
19
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
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*
Neuropathologie der Parkinson-Krankheit
Die Parkinson-Krankheit ist eine degenerative Erkrankung des
Extrapyramidalmotorischen Systems bzw. der Basalganglien.
Dabei kommt es zu einem Absterben von Nervenzellen in der
Substantia nigra, die Dopamin herstellen (Dopaminmangel).
Der Dopaminmangel führt zu einem Ungleichgewicht in der
Funktion der Basalganglien.
A Lewy-Körperchen gefärbt mit Antikörper gegen
Ubiquitin; B Lewy-Körperchen gefärbt mit Antikörper
gegen α-Synuclein; C Übereinanderlagerung von A
und B; D-E Substantia nigra, α-Synuclein schwarz
gefärbt
Dopaminerge Bahnen beim gesunden Menschen (links) und beim
Morbus Parkinson (rechts). Rote Pfeile stehen für Hemmung und
blaue für Stimulation der Zielstruktur.
Nussbaum & Ellis, NEJM 348:1356-1364, 2003
20
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
20
Genmutationen bei der Parkinson-Krankheit
Nussbaum & Ellis, NEJM 348:1356-1364, 2003
21
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
21
Molekulare Grundlagen der Parkinson-Krankheit
22
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Missense mutations and genomic multiplications of
SNCA (the gene that encodes α-synuclein) lead to an
increase in the cytoplasmic accumulation of the αsynuclein monomer. This promotes oligomerization of
α-synuclein, which is toxic to the cell. The neuron can
respond either by rapidly degrading monomeric αsynuclein through the ubiquitin–proteasome system
(UPS) and/or endosomal–lysosomal pathways, or by
driving the formation and aggregation of higher
molecular weight fibrils. Altered α-synuclein function
that is due to mutation results in its impaired vesicular
binding, which abrogates the inhibition of phospholipase D2. Soluble α-synuclein is also a competitive
inhibitor of tyrosine hydroxylase, the key enzyme of
DOPA biosynthesis. The equilibrium between lipidassociated and cytoplasmic α-synuclein seems to
provide a mechanistic link between dopamine
production, packaging and vesicle dynamics. Impaired
neurotransmitter release and its accumulation in the
cytosol might lead to the formation of reactive oxygen
species, which triggers neuronal death. Parkin and
DJ1 interact and are involved in normal UPS function.
In late-onset Parkinson disease α-synuclein aggregates accumulate within neurites and axons are
ultimately sequestered within a central Lewy body in
surviving
neurons.
Ubiquitin
carboxyl-terminal
esterase L1 (UCHL1) has ubiquitin hydrolase and
ligase activities and provides a link between the UPS,
endosomal–lysosomal pathways and Lewy bodies in
late-onset Parkinson disease. It maintains a pool of
monoubiquitin for E3 ligase and UPS function while
preventing degradation of free ubiquitin in the
endosomal–lysosomal pathway. UPS function and
aggregate clearance requires ATP synthesis by
mitochondria, and normal mitochondrial function is
notably compromised by loss of PTEN-induced kinase
1 (PINK1), DJ1 and parkin activities, resulting in earlyonset parkinsonism.
Reference: Farrer
MJ, Nat Rev Genet
2006; 7: 306-318
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
22
*
Polyglutamin-Erkrankungen − Chorea Huntington
Einige neurodegenerative Erkrankungen werden durch Verlängerung der Trinukleotidexpansion für Polyglutamine verursacht. Gemeinsames Merkmal ist die Anhäufung von
Polyglutamin enthaltenden Proteinen als intranukleäre Neuroneneinschlüsse.
 Chorea Huntington
 Spinozerebelläre Ataxien
Chorea Huntington (CH)
- autosomal-dominant vererbt
- Prävalenz: 5−10/100’000
- Beginn zwischen dem 5. und 80. Lebensjahr, meist in der 4. oder 5. Dekade
- verlängerte Anzahl von Wiederholungen der Trinukleotidsequenz CAG im Huntingtin-Gen
(Anzahl von CAG-Wiederholungen bei Gesunden 11−35, bei CH-Patienten über 40)
- Je höher die Kopienzahl, desto früher beginnt die Erkrankung.
- Die mutierte Form des Proteins Huntingtin ist neurotoxisch und bildet gemeinsam mit
Ubiquitin neuronale Kerneinschlüsse, deren Rolle bislang unklar ist.
23
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
23
Trinukleotide-Repeat-Krankheiten
Robbins
Zu den Trinukleotide-Repeat-Krankheiten zählen heute
mindestens 20 verschiedene Krankheiten, und es
kommen immer weitere hinzu. Dabei können entweder
nicht-kodierende Regionen der DNA betroffen sein (z.B.
FMRP) oder kodierende Regionen (z.B. Huntingtin bei der
Huntington-Krankheit oder der Androgenrezeptor, das
Atrophin-1, die Ataxine 1, 2, 3 und 7, sowie die α1AUntereinheit des VDCC (voltage-dependent calcium
channels).
Lokalisation von Trinukleotid-Repeats und betroffene Sequenzen bei
ausgewählten Trinukleotid-Repeat-Krankheiten.
Modell der molekularen
Wirkungsweise
des FMRP (familiäres
mentales Retardationsprotein) in Neuronen.
24
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
24
*
Klinik der Chorea Huntington
Klinische Symptome
- anfängliche Verhaltensstörungen
- choreiforme Hyperkinesen
(unwillkürliche Bewegungen grösserer Muskelgruppen)
- Gangstörungen
- gehäufte Stürze
- früh einsetzende fortschreitende Demenz
- Depression
- Rigor (Muskelstarre)
- Akinese (Bewegungsarmut)
- Dystonien
- Athetose (unwillkürliche Bewegungen von Händen und Füssen)
- Ataxie (Störungen der Bewegungskoordination)
- Sprach- und Schluckstörungen
Manifestation häufig im 4.−5. Lebensjahrzehnt. Die Krankheit
führt nach 15−25 Jahren zum Tode.
Links: Hemisphäre eines normalen Gehirns
Pathogenese
Teile des Gehirns − v.a. der Nucleus caudatus,
ferner oft auch der Frontallappen und selten
der ganze Cortex − sind stark atrophiert und
der laterale und dritte Ventrikel sind dilatiert.
Trinukleotid-Repeat-Krankheit
- Erhöhte Zahl von CAG-Repeats im Hintingtin-Gen (Chrom. 4)
- Exzitotoxizität und Mitochondrienschäden durch Interaktionen
des mutierten Huntingtin mit anderen Proteinen
- Schädigung des Proteasomen-Ubiquitinsystems zur Entgiftung
schädlicher Eiweissstoffe
Rechts: Hemisphäre eines Patienten mit
Chorea Huntington
Auf zellulärer Ebene beobachtet man einen
starken Verlust von striatalen Neuronen.
25
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
25
Molekulare Pathogenese der Chorea Huntington
Dysregulation of cAMP-response-element (CRE)
and NRSE-mediated transcription
Two mechanisms that contribute to the early
molecular pathogenesis
1. Transcriptional dysregulation and protein misfolding
and degradation.
Reference: Landles & Bates, EMBO Rep 5:958-963, 2004
2. Impairment in intracellular transport, mitochondrial
function and synaptic transmission.
26
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
26
Spinozerebelläre Ataxien
Die Spinozerebellären Ataxien bilden eine Gruppe meist autosomal-dominant vererbter, genetisch klassifizierter
Krankheiten (bereits 26 Typen bekannt: SCA1-SCA26) mit progressiver Ataxie bei variablen Degenerationen von
Kleinhirnrinde, Brücke, unteren Oliven und spinalen Bahnen (Prävalenz 1-2/100’000).
Erste Symptome zeigen sich in der regel im mittleren Lebensalter durch Bewegungsstörungen, ungewöhnliche
Augenbewegungen, abnehmenden Orientierungssinn und abnehmende Wahrnehmungsfähigkeit. Im weiteren Verlauf
verstärken sich die Symptome und führen schlisslich zum Tod.
Pathogenese
Verlust der Purkinje-Zellen, der
grössten Neuronen des Kleinhirns.
27
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
27
Molekulare Pathogenese der Spinozerebellären Ataxie
Neurodegeneration
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
Aggregation
Apoptose
Autophagie
Veränderungen in der Ca2+-Homöostase
Unterbrechung des axonalen Transports der Vesikel
Exzitotoxizität
Interferenz mit Gen-Expression
Schädigung der Mitochondrien
Oxidativer Stress
Veränderung der Proteasomen-Degradation
Synaptische Dysfunktion
unfolded protein response (UPR)
Dysfunktion der Kalium-Kanäle
Reference: Duenas, Brain 129:1357-1370, 2006
28
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
28
*
Prionenkrankheiten
Prionenkrankheiten sind seit langem bekannte tödliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Sie werden
auch transmissible spongiforme Enzephalopathien (TSE) genannt und kommen sowohl im Tierreich als auch beim
Menschen vor.
Die Prionenkrankheiten des Menschen kommen als sporadisch auftretende (Creutzfeldt-Jakob-Krankheit - CJD), als
vererbte (erbliche Form der CJD, Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom, letale familiäre Insomnie) und als
erworbene, übertragene (neue Variante der CJD - vCJD, iatrogene CJD, Kuru) Erkrankungen vor.
Mitte: A Möglicher Mechanismus der Transformation von PrPc (neuronales 30 kDa Protein) von seiner normalen α-Helixform zum PrPsc
mit einer β-Faltblattstruktur. Das PrPsc ist Protease-resistent, korrumpiert die normale Zellfunktion und führt zu Aggregaten. B Mutationen
in der PrP-Sequenz können den Prozess beschleunigen. C Schwammartige Veränderung des Cerebellums, D Plaque-Bildung.
29 Links: Modell der PrPc- und PrPsc-Struktur; rechts: PrPc-Präkursor (a), PrPc-Verankerung in der Membran (b) und Spezies-Variationen (c).
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
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Konformationsänderung vom PrPc- zum PrPsc-Protein
B.J. Bennion, V. Daggett, Clin. Chem. 2002; 48:2105-2114
Schnappschüsse aus
einer Molecular dynamics
simulation
des
Hamster-, Rind- und
Human-Prions in zwei
Modelldarstellungen,
vor dem Start der
dynamischen Simulationen (PrPc) und nach
10 ns bei tiefem pH,
was zur PrPsc-Konformation führt.
30
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
30
Konversion des PrPc- zum PrPsc-Protein
S.J. Collins et al, Lancet 2004;363:51-61
Normale Synthese von
PrPc-Protein und Zellmetabolismus mit möglicher Konversion von
PrPc zum PrPres (PrPsc).
31
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
31
(*)
Nomenklatur der Prionkrankheiten
Vorkommen bei
Krankheitsformen
Mensch
Creutzfeldt-JakobKrankheit
(4 Varianten)
Tier
Internationale Bezeichnung
Creutzfeldt-Jakob Diasease
Abkürzung
Erstbeschreibung
CJD
(sCJD)
(iCJD)
(fCJD)
(nvCJD)
1920
1921
1996
Gerstmann-SträusslerScheinker-Syndrom
Gerstmann-SträusslerScheinker-Syndrom
GSS
1913
Kuru
Kuru
Kuru
1957
Letale familiäre
Schlaflosigkeit
Fatal Familiar Insomnia
FFI
1986
Traberkrankheit bei
Schafen und Ziegen
Scrapie
Scrapie
1732
Übertragbare HirnDegeneration der Nerze
(in Pelzfarmen)
Transmissible Mink
Encepahlopathy
TME
1965
Chronisch zehrende
Krankheit der Hirsche
Chronic Wasting Disease
CWD
1980
Schwammartige HirndeGeneration der RinderUnd rinderartigen
Wiederkäuer (im Zoo)
Bovine Spongiform
Encephalopathy
BSE
1987
Schwammartige HirndeGeneration der Katzen
Feline Spongiform
Encephalopathy
FSE
1990
32
04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
32
*
Formen der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (1)
Sporadische Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (sCJD)
Die sporadische CJD ist eine Erkrankung des Menschen in höherem Lebensalter
(>60 Jahre). Die durch das Prion (PrPsc) ausgelösten Veränderungen im Gehirn
führen zunächst zu psychischen Auffälligkeiten. Wesensänderung mit Gereiztheit,
Gleichgültigkeit, bald fortschreitender Demenz, mit Gedächtnis- und Merkfähigkeitsausfällen, Kritiklosigkeit und Orientierungsstörungen sind feststellbar.
Hinzu kommen neurologische Zeichen wie Gangunsicherheiten, Muskelzuckungen,
erhöhte Muskelspannung, Lähmungen und Sehstörung. Die Krankheit schreitet
schnell fort und endet unaufhaltsam tötdlich.
Familiäre CJD (fCJD)
Seltene autosomal-dominante Formen durch verschiedene Punktmutationen am
Prionprotein- (PRHP-) Gen am Chr. 20 sind klinisch gekennzeichnet durch
Lähmung, Kleinhirnsyndrome, Demenz und selten Muskelzuckungen.
33
04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
33
*
Formen der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (2)
Iatrogen übertragene CJD (iCJD)
Die CJD wird akzidentell übertragen durch kontaminierte menschliche Hornhaut,
Duratransplantate, intrazerebrale Elektroden oder Stereotaxienadeln, Injektionen von
aus Hypophysen gewonnenen Wachstumshormonen, fraglich auch Bluttransfusionen
von CJD-Patienten. Sie hat Inkubationszeiten von 1.3 - 20 Jahren und geht mit
progredienten Kleinhirnsymptomen und einer Krankheitsdauer bis zu 30 Jahren
einher.
Neue Variante der CJD (vCJD)
Im Jahr 1996 wurden in England die ersten Fälle einer neuen Variante der CJD
(vCJD) beschrieben. Sie tritt bei relativ jungen Menschen (Ø 29 Jahre) und zeigt
einen ungewöhnlichen Krankheitsverlauf. Die Patienten werden zu Beginn der
Erkrankung psychiatrisch auffällig, sind depressiv und ziehen sich zurück. Sie haben
häufig Sensibilitätsstörungen. Die für die sCJD typischen Symptome Muskelzuckungen und Demenz entwickeln sich später, der klinische Verlauf ist insgesamt
verlängert. Bei den vCJD-Patienten kann man das PrPsc in den lymphatischen
Organen nachweisen.
34
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
34
(*)
Zusammenhang zwischen BSE und vCJD
Die räumliche und zeitliche Korrelation von BSE und vCJD in Grossbritannien liessen den Verdacht aufkommen, dass
die vCJD durch Übertragung von BSE-Prionen hervorgerufen sein könnte. Inzwischen bestehen keine vernünftigen
Zweifel mehr an der Übertragbarkeit von BSE auf den Menschen.
Collins SJ et al., Lancet, 363:51-61, 2004
Zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Auftreten von BSE und der vCJD,
insbesondere mit Blick auf das Erscheinen von BSE-Tieren in der menschlichen Nahrungskette
35
04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
35
*
Klinik der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit
Der Weg der Prionen nach oraler Aufnahme vom MagenDarm-Trakt zum ZNS ist noch nicht restlos geklärt.
Möglicherweise gibt es unterschiedliche Wege.
Im Tierversuch vermehren sich die Prionen nach der
Aufnahme aus dem Darm zunächst im lymphoretikulären
System (Lymphknoten und Milz). Der weitere Weg in das
Gehirn läuft vermutlich über die peripheren Nerven des
Verdauungstraktes, ein weiterer Weg über das Blut ist
jedoch nicht ausgeschlossen.
Im Gehirn setzen die Prionen einen Prozess in Gang, der
zu einer massiven Vermehrung von PrPsc und dessen
Ablagerung im Gewebe führt. In der Folge gehen Nervenzellen zugrunde.
Die CJD hat eine lange Inkubationszeit, d.h. es vergehen
Jahre bis Jahrzehnte von der Infektion bis zum Auftreten
der ersten Krankheitserscheinungen.
Bei der Empfänglichkeit für die vCJD scheint auch eine
genetische Veranlagung eine Rolle zu spielen. Menschen, die an einer bestimmten Stelle des Prionproteins
bestimmte Aminosäuren tragen, scheinen für die Infektion
empfänglicher zu sein oder früher zu erkranken.
Replikation und Transport von Prionen
36
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
36
Diagnostische Kriterien für die CJD
Jellinger, J Neurol Neurochir Psychiatr 6(1):9-18, 2005
37
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
37
Rekapitulation
Echinokokkose
s. Lektion 1
Beispiel eines Echinokokkose-Falles
Ein 65-jähriger Bauer aus Ostanatolien, dem zwei Jahre zuvor
eine Hydatidenzyste aus der Leber operativ entfernt worden war,
wurde erneut ins Spital eingewiesen, da er an epileptischen
Anfällen und einem rechtsseitigen Schwächegefühl litt. Die MRIUntersuchung ergab 3 zystische Läsionen mit 0.5-2 cm
Durchmesser. Die Serodiagnose war positiv für Echinokokkose
(Titer 1/320). Der Patient hat einen chirurgischen Eingriff
abgelehnt, weshalb er mit Albendazol behandelt worden ist, mit
positivem Ergebnis (siehe Bild).
Aydin MD et al. Turk J Med Sci 2003; 33: 293-295
Ein anderer Fall mit fatalem Verlauf:
Hakan T, Aker FV. Ann Neurosurg 2001; 1: 14-19
Links: Axiales MRI des Gehirns zeigt drei zystische Läsionen.
Rechts: 18 Monate nach Behandlungsbeginn mit Albendazol
(6 Zyklen à 4 Wochen mit 2x 400 mg/Tag) sind die Läsionen
komplett verschwunden.
Albendazol
(Methyl-5-propylthio-2-benzimidazolcarbamat)
Albenza®, Zentel® (GlaxoSmithKline)
38
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
38
*
Hirn-Infektionen
Eintrittspforten und Verbreitung von Mikroorganismen in verschiedene Organe
Robbins
Eintrittspforten ins ZNS:
- Hämatogene Infektion (meist
über Arterien, jedoch seltener
auch über einen retrograden
Weg, z.B. bei anastomotischen
Verbindungen zwischen Venen
des Gesichts und der zerebralen Zirkulation.
- Direktes Eindringen von Mikroorganismen bei Traumen
(z.B. Schädel-/Hirnverletzungen;
jedoch selten).
- Iatrogene Infektionen (z.B. bei
Lumbalpunktion).
- Lokale Ausbreitung von nahe
gelegenen
Infektionsherden
(z.B. infizierter Zahn, infizierter
Nasensinus, nach einem chirurgischen Eingriff u.a.).
- Verbreitung über das periphere Nervensystem ins ZNS
(bei bestimmten Viren wie z.B.
Tollwut, Herpes zoster).
39
04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
39
*
Meningitis
Robbins
Entzündung der Hirn- bzw. Rückenmarkhäute (Meninges)
Bakterielle Meningitis
Virale Meningitis
wird durch verschiedene Bakterien
ausgelöst, und zwar überwiegen je
nach Alter:
Meist weniger fulminanter Verlauf
der Infektion als bei bakterieller
Meningitis. In 70% der Fälle kann
ein Pathogen identifiziert werden,
z.B. häufig Echoviren, Coxsackieviren,
nicht-lähmungsauslösende
Poliomyelitis-Viren.
- bei Neugeborenen diverse E. coliStämme und B-Streptokokken
- bei Kleinkindern Streptococcus
pneumoniae
- bei jungen Erwachsenen
Neisseria meningitidis
- im hohen Alter Streptococcus
pneumoniae und Lysteria monocytogenes
Dank Impfung ist die Infektionsrate
durch Haemophilus influenzae stark
zurückgegangen.
Klinik: Kopfschmerzen, Photophobie, Reizbarkeit, Bewusstseinsstörungen, Nackensteifigkeit
Bakterielle Meningitis: ein eitriges Exudat bedeckt
den Hirnstamm und das Cerebellum; die weichen
Hirnhäute sind verdickt.
Antibakterielle Therapie
40
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
40
*
(Meningo-)Enzephalitis
Robbins
Meningoenzephalitis: auf das Gehirn übergreifende Meningitis (Hirn-/Hirnhaut-Entzündung)
Enzephalitis: Entzündung des Gehirns
Chronische bakterielle Meningoenzephalitis
Virale (Meningo-)Enzephalitis
- Tuberkulose
Die virale Enzephalitis ist eine Entzündung des
Gehirnparenchyms und geht meist einher mit
einer Entzündung der Hirnhäute. Einwanderung von Lymphozyten und Makrophagen,
Bildung von Mikrogliaknoten. Folgende Viren
können die Ursache sein:
- Neurosyphilis
- Neuroborreliose (Lyme-Krankheit)
(Details siehe vorhergehende Kapitel)
- Arboviren (z.B. Nil-Virus, Japan-B-Virus u.a.)
werden durch Insekten übertragen
- Herpes simplex Virus Typ-1, -2 (HSV-1 / HSV2) und Herpes zoster
- Cytomegalovirus, Poliomyelitis-Virus, TollwutVirus
- HIV
A Herpes-simplex-Enzephalitis (HSV-1) mit
ausgedehnter Zerstörung der unteren Frontallappen und der vorderen Temporallappen.
B Nekrotisierende Entzündungsherde charakterisieren die Herpes-simplex-Enzephalitis.
41
04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
41
(*)
Pilz-Meningoenzephalitis
Robbins
Meningoenzephalitis, welche durch Pilzinfektionen ausgelöst wird, tritt meist als Spätfolge einer
systemischen Pilzkrankheit bei immundefizienten Patienten auf (z.B. in Zusammenhang mit AIDS)
Pilze, die eine Meningoenzephalitis auslösen können
- Candida albicans
(führt zu Invasion des Gehirnparenchyms)
- Cryptococcus neoformans ( “ “ “; siehe Abbildung)
- Aspergillus fumigatus
(führt zu Vaskulitis)
Das klinische Bild einer Invasion
des Gehirnparenchyms durch Pilze
zeigt besonders bei Candida
multiple Mikroabszesse mit oder
ohne Bildung von Granulom.
A Kryptokokken-Infektion löst bei
deren Ausbreitung im perivaskulären
Gebiet
zahlreiche
Gewebeschädigungen aus.
B
In den Läsionen können bei
entsprechender
Vergrösserung
die Kryptokokken nachgewiesen
werden.
42
04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
42
*
Zerebrale Toxoplasmose
Robbins
Die zerebrale Toxoplasmose hat ebenfalls in Zusammenhang mit AIDS an Bedeutung zugenommen.
Toxoplasma ist eine Protozoen-Gattung (Coccidia, Toxoplasmidia) mit der einzelligen Art Toxoplasma gondii. Zyklische
Entwicklung in der Hauskatze (Schizo-, Gamo- und Sporogonie) und
fakultativem Wirtewechsel (Trophozoit, Pseudo- und Terminalzysten
mit bis zu 14’000 kleinen Toxoplasmen).
Viszerale Toxoplasmose: ungünstige Prognose
Zerebrale Toxoplasmose: lang dauernde Meningoenzephalitis mit
Dauerschäden
43
04/10/10
B
Freie T. gondii Trophozoiten im Thalamus (Immunfärbung)
C
T. gondii Pseudozyste
Toxoplasma gondii ist ein obligat intrazellulärer Parasit, dessen
Lebenszyklus aus sexueller Vermehrung (in Enterozyten von Katzen)
und asexueller Vermehrung in Zwischenwirten besteht. Infektion des
Zwischenwirts (z.B. Nager oder auch Menschen) durch Katzenkot
(Oozysten) oder rohes Fleisch (Zysten). Weltweit verbreitet; oft
asymptomatischer Verlauf der Infektion. Bei immungeschwächten
Individuen kann sich eine viszerale oder zerebrale Toxoplasmose
einstellen. Föten sind ebenfalls betroffen (bei massivem Befall Frühoder Totgeburt).
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
43
Rekapitulation
Anatomie des Gehirns
Mutschler
Liquor cerebrospinalis
Der Liquor (Gesamtvolumen ca. 140 ml), der die
Ventrikel und Zisternen sowie die Subarachnoidalund Spinalräume füllt, dient dem Schutz von Gehirn
und Rückenmark vor mechanischen Einwirkungen
und ermöglicht einen Druckausgleich im ZNS. Er
zirkuliert im ventrikulären System und wird im
Hirnstamm in den sog. Arachnoidalzotten resorbiert.
Frontalschnitt des Gehirns
Innere Liquorräume (dunkelblau)
und äussere Liquorräume (hellblau)
im Längsschnitt
44
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
44
(*)
Cerebrales Ödem, Hernien, Hydrocephalus
Cerebrales Ödem
Hydrocephalus
Vasogenes Ödem: bei defekter
Blut-Hirnschranke entweicht vaskuläre Flüssigkeit in den Interzellulärraum des Gehirns.
Bei Hydrocephalus wird Liquor im ventrikulären System exzessiv akkumuliert, und zwar
meist wegen zu geringer Resorption,
seltener wegen Überproduktion von Liquor.
Tritt der Hydrocephalus vor dem Verschluss
der Fontanella auf, resultiert eine Schädelvergrösserung, nach dem Verschluss der
Fontanella hingegen ein erhöhter Hirndruck.
Zytotoxisches Ödem: bei gen.
Hypoxie/Ischämie nimmt das
intrazelluläre Zell-Volumen zu.
Robbins
Erhöhter Hirndruck, Hernien
Erhöhter Hirndruck ist charakterisiert durch einen Druckanstieg
auf >200 mm. Ausgelöst wird
dieser Zustand durch Zunahme
des
intracranialen
Volumens
(Tumore, Ödeme, Abszesse,
Blutungen),
was
zu
einer
Kompression der Venen und
einer druckbedingten Verlagerung
von CSF-Flüssigkeit führt. Die
Folge ist die Bildung von
Hernien.
45
04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
45
(*)
Traumen
Robbins
Die anatomische Lokalisation und die geringe Regenerationsfähigkeit des
Gehirns sind Grund für die massiven Auswirkungen eines Hirntraumas.
Nekrose von mehreren cm3 Hirnparenchym kann ohne klinisch sichtbare
Folgen bleiben, zu sehr starken Einschränkungen führen (Rückenmark)
oder letal sein (Hirnstamm).
Es gibt drei Arten von Schädigungen nach einer traumatischen Einwirkung im
Kopfbereich:
- Schädelfrakturen
- Schädigungen des Gehirns
- vaskuläre Schädigungen (z.B. Hirnblutungen)
B Akute Kontusionen an beiden
Temporallappen (mit Blutungen)
nach Schädelhirntrauma.
C Entferntere Prellungen im unteren
Teil des Gehirns. Die gelbe Farbe wird
auch als Plaque jeaune bezeichnet.
A Multiple Kontusionen (Prellungen)
im Hirnparenchym des Frontallappens,
Cerebellums und innerer Oberflächen
nach einem Schädelhirntrauma.
46
04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
46
(*)
Intrakranielle Blutungen
Robbins
Epidurales Hämatom (links) wird ausgelöst durch die Ruptur einer HirnhautArterie, meist im Zusammenhang mit einer Schädelfraktur: Ansammlung von
arteriellem Blut zwischen der Dura mater und dem Schädel.
Subdurales Hämatom (rechts) wird verursacht durch eine Schädigung von
verbindenden Venen (bridging veins), welche über den Subarachnoidalraum
mit dem oberen sagittalen Sinus verbunden sind: bei starken Traumen
(besonders bei älteren Personen) kann es bei den relativ starr verankerten
Venen zu einer Ruptur kommen, was zu einer Ansammlung von venösem Blut
zwischen der Hirnhaut und der Dura mater führt.
A Grosses subdurales Hämatom
B Im Schnitt zeigt sich die starke
Kompression der betroffenen Hirnregion
47
04/10/10
Epidurales Hämatom (zwischen Dura
mater und Schädelknochen)
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
47
(*)
Cerebrovaskuläre Krankheiten
Robbins
Cerebrovaskuläre Krankheiten gliedern sich in:
- Hypoxien, Ischämien und Infarkte (gestörte Blutzufuhr bzw. Oxygenierung des ZNS)
- Hämorrhagien (Blutungen nach Ruptur von Blutgefässen im Gehirn)
Hypoxie und Ischämie
Die Ischämie kann das ganze Gehirn betreffen (z.B. aufgrund einer Hypotonie nach
Herzstillstand oder Schock) und heisst dann globale cerebrale Ischämie.
Ist nur ein bestimmter Teil des Gehirns betroffen (wegen regional unterbrochener
Blutzufuhr z.B. durch Embolie oder thrombotischem Arterienverschluss oder aufgrund
einer Vaskulitis), spricht man von einer fokalen cerebralen Ischämie.
Infarkt
Es wird unterschieden zwischen
- hämorrhagischen (“roten”) Infarkten (typisch für Embolien) (Bild A: die Blutungen in
den Infarktregionen sind deutlich zu sehen) und
- nicht-hämorrhagischen (“bleichen”) Infarkten (typisch für Thrombosen) (Bild C: es
sind keine Blutungen um die punktierten Infarktzonen zu sehen).
48
04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
48
(*)
Cerebrovaskuläre Krankheiten
Robbins
Hämorrhagien (Blutungen)
- Intracerebrale Hämorrhagien treten gehäuft in der späteren Lebensphase auf
(Peak: um 60 Jahre). Verursacht werden sie meist durch Ruptur eines kleinen
Gefässes im Hirnparenchym, oft aufgrund einer Hypertonie (welche die Ausbildung
von Mikroaneurysmen fördert). Das Bild zeigt eine massive Blutung wegen
Hypertonie, die sich in den lateralen Ventrikel ergossen hat.
- Subarachnoidale Hämorragien und ruptierte Aneurysmen (Gefässausweitung)
Subarachnoidale Blutungen werden oft durch eine Aneurysmen-Ruptur verursacht.
Im Circulus arteriosus cerebri (circle of Willis), einer kreisförmigen Gefässverbindung an der Hirnbasis, können sich gehäuft Aneurysmen bilden, die aufbrechen
können.
49
04/10/10
Aneurysma der vorderen cerebralen Arterie
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
49
Rekapitulation
Vegetatives Nervensystem
1. Parasympathikus
2. Sympathikus
Mutschler
Ursprünge der präganglionären Neuronen
Lage der vegetativen Ganglien
Neurotransmitter
Steuerung der Zielorgane
3. Darmnervensystem
50
04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
50
Vegetative Fehlregulationen
I. Krankheiten oder Läsionen des zentralen Nervensystems
A. Primäres Versagen vegetativer Regulationen
Fölsch
III. Änderungen der Aktivität in vegetativen Neuronen durch
Pharmaka
A. Abnahme der Aktivität in sympathischen Neuronen
B. Sekundäres Versagen vegetative Regulationen
1. Zentrale Wirkungen
1. Zentrale Hirnläsionen
(Clonidin, Methyl-Dopa, Reserpin, Barbiturate, Anästhetika)
2. Rückenmarkläsionen
2. Periphere Wirkungen
3. Infektionen des zentralen Nervensystems
(α-, β-Adrenozeptor-Blocker)
B. Zunahme der Aktivität in sympathischen Neuronen
II. Erkrankungen des peripheren vegetativen
Nervensystems
(Amphetamine, Aufnahmeblocker für Noradrenalin (z.B.
Imipramin), MAO-Hemmer)
A. Erkrankungen ohne sensorische Neuropathie
C. Åbnahme der Aktivität in parasympathischen Neuronen
1. Akute und subakute autonome Neuropathie
(Antidepressiva, Tranquillizer (Phenothiazine), Antiarrhythmica, Anticholinergica)
2. Botulismus
B. Erkrankungen kombiniert mit sensorischen Neuropathien
1. Metabolische Neuropathien
D. Zunahme der Aktivität in parasympathischen Neuronen
(Cholinomimetica, Anticholinesterasen)
2. Ernährungsbedingte Neuropathien
3. Toxische Neuropathien
IV. Altersabhängige Veränderungen vegetativer Regulationen
4. Neuropathien bei Autoimmunerkr. und Entzündungen
5. Paraneoplastische Neuropathien
6. Hereditäre sensorische und autonome Neuropathien
51
04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
51
(*)
Motorische Störungen
Fölsch
Akute Läsionen deszendierender Bahnen führen
zu Paresen, die initial mit schlaffem, im weiteren
Verlauf mit spastisch erhöhtem Muskeltonus einhergehen.
Während nach Unterbrechung peripherer Nerven
eine axonale Regeneration mit funktioneller
Restitution die Regel ist, findet im ZNS keine
funktionell relevante Regeneration durchtrennter
Axone statt.
Oberes Bild: Zelluläre Reaktionen nach Axotomie
peripherer Nerven
Unteres Bild: Zelluläre Reaktionen nach Axotomie im
ZNS. Es kommt zum Zelltod zahlreicher Neuronen.
Die überlebenden chromatolytischen Nervenzellen
können eine axonale Regeneration induzieren. Diese
bleibt jedoch abortiv, da sich das von Mikrogliazellen,
Astrozyten und Oligodendrozyten erzeugte Milieu
distal der Läsion wachstumshemmend auswirkt. Die
Wachstumsfortsätze der Neuronen können deshalb
nur wenige mm aussprossen, sodass die Zielregion
nicht erreicht wird und eine Restitution ausbleibt.
52
04/10/10
Für weitere Aspekte von motorischen Störungen
siehe auch Lektion 5.
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
52
(*)
Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
Amyotrophe Lateralsklerose (Motor Neuron Disease; Lou-Gehrig-Syndrom, früher auch Charcot-Krankheit, kurz: ALS)
Die Amyotrophe Lateralsklerose ist eine degenerative Krankheit des motorischen Nervensystems, bei der es im Verlauf zu einer
zunehmenden Degeneration des ersten und zweiten Motoneurons (welche die Willkürmotorik steuern) in variablen Ausmass kommt.
Der Begriff “Amyotrophe Lateralsklerose” wurde 1969 von Charcot und Joffroy geprägt. Die Amyotrophe Lateralsklerose hat eine
Inzidenz von 1−3 Fällen/100’000, tritt mehrheitlich als sporadische Form (90−95%) und seltener als vererbte Form (5−10%) auf und ist
charakterisiert durch eine fortschreitende muskuläre Schwäche der Skelettmuskulatur, die sich meist ohne sensible Symptome
und ohne Beteiligung der Sinnesorgane (Auge, Gehör, Geschmack, Geruch) bemerkbar macht. Das heisst, dass in der Regel eine
Beteiligung glatter Muskeln, wie Eingeweidemuskulatur, Schliessmuskeln oder eine Beeinträchtigung der Blasenfunktion nicht zum
Krankheitsbild gehören. Es kommt mit der Zeit zu einer irreversiblen Muskellähmung am ganzen Körper und schliesslich auch der
Atemmuskulatur. Ausserdem sind Lungenentzündungen häufig, da die Lungen aufgrund der Lähmung der Atemmuskulatur nicht
mehr gut belüftet werden, die Erkrankten nicht mehr richtig schlucken können und so Speisen in die Atemwege gelangen können. Die
Überlebenszeiten sind je nach Unterform verschieden, meist sterben die Patienten jedoch innerhalb weniger Monate bis Jahre.
Subtypen der ALS
Progressive Bulbärparalye: Die selektive Beteiligung von Sprech-,
Schluck- und Kaumuskulatur ist initiales Symptom bei ca. 20% der
ALS-Patienten. Typischerweise schreitet die Erkrankung im weiteren
Verlauf über die obere zur unteren Extremität fort. Selten bleibt die
Extremitätenmuskulatur ausgespart.
Primäre Lateralsklerose: 2−4% der ALS-Patienten zeigen initial und
im Verlauf nur Zeichen des ersten Motoneurons. Das Manifestationsalter liegt zwischen 50 und 55 Jahren, der Verlauf kann langsam sein.
Einige ALS-Patienten entwickeln im Verlauf jedoch auch Zeichen des
zweiten Motoneurons.
Flail-arm Syndrom: Das Flügelarm-Syndrom zeigt sich als relative
symmetrische Beteiligung des Schultergürtels und von Oberarm- und
Handmuskulatur mit positiven Pyramidenbahnzeichen. Männer sind
deutlich häufiger betroffen (9:1).
53
04/10/10
Hemiplegische Mills-Variante: Die initialen Symptome zeigen sich
auf nur einer bzw. betont auf einer Körperhälfte.
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
53
(*)
Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
Pathobiologie und Pathogenese der ALS
Die Ursche des fortschreitenden Verlustes von Motoneuron-Zellen in Grosshirn, Hirnstamm und Rückenmark mit einer Degeneration
der sog. Pyramidenbahn bei der Amyotrophen Lateralsklerose ist noch kaum verstanden; eine Beziehung zu verschiedenen Proteinen
(z.B. Neurofilamente, Peripherine) und zur Superoxid-Dismutase (SOD1) wird derzeit intensiv untersucht. Die Kenntnisse zur
Pathophysiologie die Erkrankung basieren vor allem auf Untersuchungen eines Maus-Tiermodells, das Mutationen im SOD1-Gen trägt.
Diese Mäuse entwickeln eine Muskelschwäche und sterben an einer fortschreitenden Lungenfunktionsstörung. In der Pathogenese der
Erkrankung könnten immunologische und entzündliche Faktoren, oxidativer Stress über freie Radikale, Glutamat-vermittelte
Exzitotoxizität und andere Gründe eine Rolle bei der Entwicklung der ALS spielen.
Veränderungen der Motoneuronen bei ALS und involvierte Proteine
Die ALS ist charakterisiert durch zahlreiche Einschlüsse (inclusions) in den
Motoneuronen, die durch verschiedene Färbungen nachgewiesen werden (A-C).
Die Hämatoxylin-Färbung zeigt Bunina-Körperchen (D), Peripherin-Färbung axonale
Spheroide (E) und diffuse Perikarya (F).
Mit der kombinierten Hämatoxylin-Luxol-Eosin-Färbung werden Hyalin-Konglomerate nachgewiesen (G), und die Neurofilament-Färbung zeigt zeigt ebenfalls HyalinKonglomerate (H). In neuronalen Perkarya finden sich hyperphosphorylierte Neurofilamente (I).
S. Xiao et al, Biochim. Biophys. Acta 2006, 1762: 1001-1012
Veränderungen im Rückenmark
Die Wurzelfortsätze aus dem Rückenmark sind bezüglich motorischen Fasern
reduziert (oben), verglichen mit den
sensorischen Fortsätzen, welche normal
ausgeprägt sind (unten).
Involvierte Proteine:
- Neurofilamente (intermediäre Filamente)
- Peripherine (intermediäre Filamente)
- Superoxid-Dismutase (SOD1)
54
04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
54
(*)
Superoxid-Dismutase und ALS
Die Ätiologie / Pathobiochemie der meisten Formen und Fälle der ALS
ist unbekannt. In ca. 2% der Fälle wird die ALS in Zusammenhang mit
Mutationen der Zn/Cu Superoxid-Dismutase 1 (SOD1) gebracht. Ein
Maus-Tiermodell mit mutierter SOD1 liefert Einblicke in mögliche
pathobiochemische Mechanismen der ALS. Dabei ist die durch die
Mutation ausgelöste Toxizität der SOD1 jedoch noch nicht in allen
Details geklärt, weshalb es verschiedene Pathogenese-Modelle gibt:
55
04/10/10
SOD1-Proteinaggregate, die wegen Mutationen und dadurch
veränderter Faltung entstehen, führen zur Ko-Aggregation
weiterer zytoplasmatischer Proteine, wodurch die Proteasomen
teilweise inhibiert und in der Folge auch Chaperone negativ
beeinflusst werden. Schliesslich kommt es zu einer Dysfunktion
von Mitochondrien und anderen Organellen.
S. Boillée et al, Neuron 2006, 52: 39-59
SOD1-Proteinaggregate werden präferentiell in Mitochondrien
von betroffenen Zellen importiert. Dabei wird der Elektronentransport in Mitochondrien gestört und die ATP-Bildung unterbrochen. Ferner wird der Mitochondrien-kontrollierte CalciumHaushalt beeinflusst sowie die Apoptose-Prozesse z.T. blockiert.
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
55
Superoxid-Dismutase und ALS
Stadien der Motoneuron-Degeneration and Glia-Aktivierung in der durch
SOD1-Mutanten verursachten ALS
S. Boillée et al, Neuron 2006, 52: 39-59
Vier Stadien werden unterschieden (Normalzustand, frühe Phase, symptomatische Phase und Endzustand). Die Toxizität wird durch
eine Kombination von Schadenereignissen ausgelöst, welche direkt am Motoneuron stattfinden. Ein sich auf nicht-neuronale Nachbarzellen (z.B. Astrozyten, Microglia) ausbreitender Schaden amplifiziert den initialen Schaden am Motoneuron, indem sich die Krankheit
auf andere Motoneuronen ausbreitet. Die spezielle Empfindlichkeit von Motoneuronen auf mutierte SOD1 basiert auf den speziellen
funktionellen Eigenschaften dieser Zellen (grosse Zellen mit grosser Biosynthese-Fracht, hoher Feuerrate und Reaktion auf GlutamatInputsignale) und auf Schäden an den sie umgebenden Unterstützungszellen.
56
04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
56
Mögliche Therapien für ALS
S. Boillée et al, Neuron 2006, 52: 39-59
1. Therapien mit Wachstumsfaktoren
Allgemeine Therapie mit verschiedenen Wachstumsfaktoren (z.B. IGF-1, BDNF) hat keine Erfolge gezeitigt.
In Tiermodellen waren viral-mediierte Applikation von
Wachstumsfaktor-Genen in Motoneuronen bzw. Infusion
von Wachstumsfaktoren direkt ins Gehirn oder Rückenmark erfolgreicher. Besonders intensiv wird vaskulärer
endothelialer Wachstumsfaktor (VEGF) untersucht, weil
Mutanten des VEGF-Gens mit ALS assoziiert sein
können.
2. Gentherapie mit siRNA
Das RNA Silencing mittels siRNA wird intensiv erforscht,
um SOD1-Genmutanten damit auszuschalten. Wiederum
im Tiermodell haben sich drei Vorgehensweisen als erfolgreich erwiesen:
• Lentivirus mit siRNA (gegen das mutierte SOD1-Gen)
wurden in verschiedene Muskeln eines Versuchstiers
appliziert. Durch retrograden Transport des Lentivirus in
die Motoneuronen kam es zu einer Reduktion der
Synthese von mutiertem SOD1 und gleichzeitig zu einer
erheblichen Verzögerung des Krankheitsausbruchs.
• Analoges Konstrukt wird ins Rückenmark appliziert.
• Direkte Icv-Applikation von synthetischen AntisenseOligonukleotiden. Damit kann der SOD1-Gehalt um
50% gesenkt und die Progression der Krankheit wesentlich verlangsamt werden.
57
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
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*
Demyelinisierende Krankheiten
Robbins
Demyelinisierende Krankheiten des ZNS sind erworbene Schädigungen des Myelins, wobei die Axone erhalten bleiben.
Klinisch manifestiert sich der Myelinverlust mit einer beeinträchtigten Leitung der elektrischen Impulse entlang der Axone.
Da das ZNS das Myelin in nur geringem Umfang regenerieren kann, treten Sekundärschäden an Axonen ein und der Krankheitsverlauf ist progredient.
Multiple Sklerose (MS)
Ätiologie und Pathogenese von MS sind noch unklar, obwohl eine Reihe von genetischen, immunologischen und Umweltfaktoren identifiziert werden konnten. Betroffen von MS ist etwa 1:1000 Personen,
meist in der Altersgruppe 20-50 Jahre. Klinisch zeigen sich zeitlich getrennte Episoden von neurologischen Defiziten,
die mit räumlich getrennten Läsionen in den Nervenscheiden in Zusammenhang gebracht werden können. Der Verlauf
der Krankheit ist abwechselnd progredient und stillstehend oder mit partieller Remission.
Andere Krankheiten mit Demyelinisierung: z.B. akute nekrotisierende hämorrhagische Enzephalomyelitis u.a.
Multiple Sklerose
Braune Plaques im
occipitalen Horn des
lateralen Ventrikels
Luxol fast blue-Färbung für
Myelin zeigt Làsionen (A, B).
Die Axone (C) hingegen sind
relativ gut erhalten.
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58
Genetisch bedingte ZNS-Defekte
Robbins
Beispiele: - Prader-Willi-Syndrom
- Angelmann-Syndrom
Imprinting: Funktionelle Stilllegung des
einen von den beiden Allelen. In diesem
Fall: Auf dem mütterlichen Chromosom
werden jene Gene, deren Defekt das
Prader-Will-Syndrom auslösen würden,
stillgelegt. Auf dem väterlichen Chromosom sind es jene, die das AngelmannSyndrom auslösen würden. Bei defektem
väterlichen Chromosom führt dies zum
Prader-Willi-Syndrom,
bei
defektem
mütterlichen Chromosom zum Angelmann-Syndrom.
Chromosom 15
Prader-Willi-Syndrom: Mentale Retardation, kurze Statur, Hypotonie, Adipositas, kleine Hände und Füsse, Hypogonadismus.
Angelmann-Syndrom: ähnlich wie Prader-Willi-Syndrom, jedoch zusätzlich Gangunsicherheit, Krämpfe, unwillkürliches Gelächter.
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59
(*)
Hirntumoren
Robbins
Hirntumoren treten bei 10-17 Personen pro 100’000 auf (intracranial) und bei 1-2 pro 100’000 (intraspinal).
ZNS-Tumoren betreffen 20% der Tumorerkrankungen im Kindesalter.
Allgemeines
Astrozytome und Glioblastome
Der Unterschied zwischen
benignen und malignen
Tumoren im Gehirn ist
klinisch weniger klar als in
anderen Organen, da auch
benigne Tumoren das Gehirn
infiltrieren
und
Schäden
verursachen können.
Diese betreffen etwa 80% der Hirntumoren im Erwachsenenalter. Klinische Symptome sind
Krämpfe, Kopfweh und verschiedene neurologische Defizite. Bei kombinierter Chemo- und
Radiotherapie ergibt sich eine Überlebenszeit von 8-10 Monaten.
Hirntumoren können chirurgisch oft nicht entfernt
werden, ohne andere wichtige Strukturen zu zerstören.
Die
durch
Hirntumoren
verursachten (lethalen) Schäden stehen oft auch nicht in
Zusammenhang
mit
der
histologischen Klassifikation
des Tumors. Auf der anderen
Seite
metastasieren
Hirntumoren äusserst selten
ausserhalb des Gehirns.
Ausdifferenziertes Astrozytom (Gliom)
A. Der rechte frontale Tumor weist ausgedehnte
Gyri (Windungen) auf, die zu einer Verflachung
geführt haben (Pfeile).
B. Ausgedehnte weisse Substanz (linke Hemisphäre) und verdicktes Corpus callosum.
60
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
60
(*)
Hirntumoren
Robbins
Typen von Hirntumoren
1. Neuroepitheliale Tumoren:
- Gliome (80%)
- Neuronale Tumoren
(Gangliozytom, Gangliogliom)
- Astrozytome
- Oligodendrogliom
- Ependymom
- Medulloblastom (Kinder)
- anaplastisches Astrozytom
- fibrilläres (differenziertes) Astrozytom
- Mischformen; andere
- Glioblastom
2. Tumoren der kranialen und spinalen Nerven:
- Neurinom
- Neurofibrom
(Schwannom)
3. Tumoren der Meningen:
- Meningeome
- Hämangioblastom
- Meningeale Sarkome
4. Andere Tumoren (Hämatopoetische Tumoren, Keimzelltumoren, Zysten, Hypophysentumoren, Kraniopharyngeome)
5. Metastasen
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Neurinome (Schwannome). A: Bilaterales Schwannom des XIII. Nervs
(N. vestibulocochlearis). B: Histopathologisches Bild.
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61
Hirntumoren: Gliome
Robbins
Beispiele verschiedener Gliome
Glioblastom (Glioblastoma multiformis). Aggressiver Tumor mit
vielen hoch malignen Tumorzellen
(Pseudopalisadenbildung)
Pilozytisches Astrozytom im Cerebellum, langsam wachsend, wenig aggressiv (tritt im Kindes- und Jugendalter auf).
A: Grosse Tumorläsion, sichtbar gemacht mit CT
62
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B: Glioblastom (nekrotische, hämorrhagische, infiltrierende Masse)
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
Ependymom. A: Tumor wächst im vierten
Ventrikel und infiltriert und drückt auf umgebendes Gewebe. B: Histopathologisches
Bild. Die klinische Prognose ist normalerweise schlecht.
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Hirntumoren: Medulloblastome
Robbins
Medulloblastom
Dieser Tumor tritt vor allem bei Kindern
auf, und zwar ausschliesslich im
Cerebellum. Der Tumor ist häufig
undifferenziert
und
sehr
malign.
Unbehandelt sterben die Patienten
rasch. Der Tumor ist jedoch sehr
empfindlich
auf
Radiotherapie,
besonders als Folgetherapie nach einer
möglichst
totalen
Tumorexzision.
Genetisch lässt sich dieser Tumor mit
einer Deletion auf dem kurzen Arm des
Chromosoms 17 korrelieren.
Medulloblastom
A: CT mit Kontrastmittel: Tumorläsion in der hinteren Fossa.
B: Sagittaler Schnitt mit Medulloblastom, welches die obere
Hälfte des Cerebellums zerstört.
C: Mikroskopisches Bild eines Medulloblastoms.
63
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
63
Hirntumoren: Meningeome
Robbins
Meningeom
Meningeom
Meningeome sind vorwiegend benigne
Tumoren des Erwachsenen, die im allgemeinen an die Dura angeheftet sind
und aus Meningothelialzellen der
Arachnoidea (Spinnengewebshaut des
Gehirns und Rückenmarks) entstehen.
A. Parasagittales multilobuläres Meningeom,
das an die Dura mater
angeheftet ist und eine
Kompression der darunter liegenden Hirnstrukturen zur Folge hat.
Meningeome wachsen im Allgemeinen
langsam. Klinisch sind die Symptome oft
diffus
oder
resultieren
aus
der
Kompression der darunter liegenden
Hirnstruktur.
B. Meningeom mit gequirltem Muster von
Zellwachstum
und
Psammomakörpern
(hyalinisierte, zwiebelschalenartige
Zellanordnung mit sekundären Kalkinkrustationen).
Metastasen anderer Tumoren
Metastasen im Gehirn, die von anderen
primären Tumoren stammen, betreffen
etwa 50% von hospitalisierten HirntumorPatienten. Etwa 80% der Metastasen
entstammen Primärtumoren der Lungen,
Brust, Haut (Melanom), Nieren und des
Gastrointestinaltraktes. Gewisse seltene
Tumoren, wie z.B. das Choriocarcinom,
metastasieren
im
Gehirn,
während
häufigere Tumoren, wie z.B. das Prostatakarzinom, keine Hirnmetastasen bildet.
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
64
Epilepsie
Neben dieser links dargestellten
generalisierten Epilepsie gibt es
auch patielle (= fokale) Epilepsien,
die durch eine Funktionsstörung
an einem bestimmten Punkt im
Gehirn entstehen (= epileptischer
Fokus). In vielen Fällen können
solche Patienten mit Antiepileptikas erfolgreich behandelt werden,
indem dank diesen die Entstehung
eines Anfalles verhindert wird. Bei
einer
gesteigerten
P-Glykoprotein-Medikamenten-EffluxPumpe (in einem Teil der Patienten) sprechen die Medikamente
jedoch nur ungenügend oder nicht
an.
Was ist eine Epilepsie?
Die Epilepsie gehört zu den am häufigsten auftretenden neurologischen Erkrankungen. Bei den Symptomen einer Epilepsie
handelt es sich um eine vorübergehende Hirnfunktionsstörung, d.h. eine Störung des Gleichgewichts zwischen Erregungs- und
Bremsvorgängen größerer Nervenzellenverbände des Gehirns. Derzeit sind in Deutschland zwischen 600’000 und 800’000
Menschen an Epilepsie erkrankt, jährlich kommen ca. 30’000 neue Fälle dazu. Epilepsie kann jeden in jedem Lebensalter treffen.
Der epileptische Anfall:
Nicht immer kommt es zu plötzlichem Bewusstseinsverlust, unkontrollierten Stürzen, rhythmische Körperzuckungen,
sondern oft zu differenzierter auftretenden Reaktionen.
65
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
65
Epilepsie
Neben dieser links dargestellten
generalisierten Epilepsie gibt es
auch patielle (= fokale) Epilepsien,
die durch eine Funktionsstörung
an einem bestimmten Punkt im
Gehirn entstehen (= epileptischer
Fokus). In vielen Fällen können
solche Patienten mit Antiepileptikas erfolgreich behandelt werden,
indem dank diesen die Entstehung
eines Anfalles verhindert wird. Bei
einer
gesteigerten
P-Glykoprotein-Medikamenten-EffluxPumpe (in einem Teil der Patienten) sprechen die Medikamente
jedoch nur ungenügend oder nicht
an.
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04/10/10
Zusätzliche Details: Die Symptome der Epilepsie - die epileptischen Anfälle - sind sehr vielfältig. Sie können von Bruchteilen von
Sekunden bis zu einigen Minuten dauern. Das Bewusstsein kann während eines Anfalls erhalten bleiben oder gestört sein. Manche
Anfälle werden von Laien gar nicht als solche erkannt. Bei anderen kommt es zu heftigen Zuckungen, unter Umständen auch zum
Sturz. Manche Anfälle treten nur aus dem Schlaf, andere nur nach dem Aufwachen auf. Es werden mehr als 30 Arten epileptischer
Anfälle und ebenso viele Arten epileptischer Syndrome (Kombination bestimmter Formen epileptischer Anfälle in Verbindung mit
anderen Merkmalen, z.B. einem Auftreten der Anfälle in der frühen Kindheit, charakteristischen EEG-Veränderungen etc.)
unterschieden. Die Ursachen der Epilepsie sind vielfältig. Häufig spielen Schädigungen des Hirngewebes eine Rolle, bedingt durch
z.B. Sauerstoffmangel während der Geburt oder Durchblutungsstörungen. Auch Tumore oder Unfälle, bei denen das Gehirn verletzt
wird, können eine Epilepsie verursachen. Epilepsie ist keine Erbkrankheit - man weiß jedoch, dass eine erhöhte Neigung des
Gehirns, mit Anfällen zu reagieren, vererbt werden kann. Nicht jeder, der diese Neigung hat, bekommt aber tatsächlich Anfälle. In der
Regel kommen zusätzliche Faktoren, wie z.B. eine strukturelle Schädigung des Hirngewebes hinzu, die aber so minimal sein kann,
dass sie mit den gängigen Untersuchungsmethoden nicht nachweisbar ist. Dies ist ein Grund, warum bei fast 50% der Betroffenen
die genaue Ursache der Epilepsie im Dunkeln bleibt. Aber auch in Fällen, wo die Ursache einer Epilepsie im Prinzip bekannt ist, ist
letztlich nicht geklärt, wie und wann es zu der für einen epileptischen Anfall charakteristischen abnormen Entladung von
Hirnzellenpopulationen kommt.
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
66
Einzelne epileptische Anfälle & Epilepsien
Fölsch
Gelegenheitsanfälle
Einzelne epileptische Anfälle oder Gelegenheitskrämpfe sind von den
Epilepsien und vom epileptischen Syndrom abzugrenzen. Der
epileptische Anfall stellt eine zunächst unspezifische Reaktion auf
eine Reizung des zentralen Nervensystems dar. Diese kann so mild
aussehen wie ein akkumulierter Schlafentzug oder eine
Narkoseausleitung. Anfälle können aber auch eine beginnende
Hirnhautentzündung (Enzephalitis) begleiten. Derartige Gelegenheitsanfälle sistieren beim Verschwinden der Ursache. Sie treten bei
einer Lebensspanne von 80 Jahren mit 10% Wahrscheinlichkeit
einmal auf.
Epilepsien
Epileptische Anfälle treten wiederholt auf, ohne dass eine akute
Ursache vorliegt. Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen
Erkrankungen (0.6-0.8% der Bevölkerung ist davon betroffen).
Generalisierte Anfälle erfassen den grössten Teil der Hirnrinde,
während fokale Anfälle eine begrenzte Ausdehnung haben. Bei
diesen hängen die Auffälligkeiten entscheidend vom Entstehungsort
der Anfälle ab. Bewusstseinsstörungen können mit den Anfällen
einher gehen. Absence-Epilepsien (Petit Mal) gehören zu den
generalisierten Formen, ebenso tonisch-klonische Anfälle (tonische
Muskelverkrampfungen mit klonischen Zuckungen; Grand Mal).
Epileptische Syndrome
Sind bestimmte Epilepsieformen, die entweder charakteristische
EEG-Befunde aufweisen und/oder eine bstimmte Altersabhängigkeit
der Krankheitsmanifestation oder aber auch eine bestimmte
Prognose zeigen. Die Absence-Epilepsie des Schulalters zählt dazu.
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
67
Epileptischer Anfall
Charakteristiken einer Abszenz beim epileptischen
Syndrom: das EEG zeigt einen klassischen 3/s Spikewave-Verlauf. Verharr-Reaktion mit Bulbusdeviation
nach oben.
Fölsch
Charakteristiken eines komplex-partiellen Anfalls: starke
Hippocampus-Aktivität. Der Patient zeigt orale Automatismen mit
Schmatzen und Lecken, einem starren Blick und häufig VerharrReaktionen. Die MRI-Aufnahme weist auf eine AmmonshornSklerose (AHS) links hin.
68
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
68
Ammonshornsklerose
Fölsch
Verschaltungsschema des Hippocampus (oben).
Die Histologie (unten) zeigt einen segmentalen
Nervenzellverlust im CA1-Sektor (Pfeil) bei
Ammonshornsklerose (AHS). SC Schaffer-Kollateralen. CA1 und CA3 Felder des Ammonshorns, Hi
Hilus der Area dentata, DG Gyrus dentatus, Sub
Subikulum, mf Moosfasern, pp Tractus perforans.
Epilepsien mit temporo-mesialem Fokus zeigen
häufig eine Ammonshornsklerose mit segmentalem Zellverlust, Gliose und axonaler
Reorganisation.
Epilepsien mit neokortikalem Fokus haben
häufig eine strukturelle Störung als Grundlage,
z.B. Tumor, Entwicklungsschädigung oder
Trauma.
69
04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
69
Neurotransmittersysteme und Epilepsie
Fölsch
Veränderungen des neuronalen Netzwerks
entstehen durch neuronalen Zelltod, Neubildung von Nervenzellen und axonale Reorganisation.
Funktionell führt sowohl die axonale Reorganisation als auch der Verlust bzw. die
Neubildung bestimmter Nervenzelltypen zu
einer tiefgreifenden Umorganisation der
Verknüpfung überlebende Nervenzellen.
Das Bild zeigt schematisch verschiedene Veränderungen im Hippocampus bei AHS. Links:
Normalzustand. Rechts: chronische Temporallappenepilepsie. Neue (pathologische) Axonkollateralen sind rot dargestellt. Hemmende
GABAerge Synapsen sind mit einem (-), erregende glutaminerge mit einem (+) gekennzeichnet. Oberer Teil: Körnerzellen bilden bei
AHS rekurrente, erregende Verbindungen von
Axonkollateralen zu apikalen Körnerzelldendriten aus (Moosfaserrouting). Mittlerer Teil:
Sprouting betrifft auch die Axone von hemmenden GABAergen Interneuronen. Unterer
Teil: Möglicherweise erhalten Interneurone bei
chronischer Epilepsie weniger erregende
Eingänge durch Zellverlust von afferenten
Neuronen.
70
04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
70
(*)
Anti-Epileptika
▪ Generalisierte tonisch-klonische Anfälle (Grand-mal-Anfälle, GM) und einfach und komplexe
fokale Epilepsien werden mit derselben Medikamentengruppe behandelt. Aus mehreren mit
grossem Patientengut durchgeführten Untersuchungen geht hervor, dass folgende etwa gleich
wirksam sind (führen in ca. 80% zur Anfallsfreiheit):
▪ Carbamazepin (alterantiv: Oxcarbacepin)
▪ Valproat
▪ Phenytoin (neu: Fosphenytoin)
▪ neu: Topiramat
▪ bei fokalen Anfällen etwas weniger wirksam:
▪ Primidon und
▪ Phenobarbital
▪ bei primär generalisierten Epilepsien:
▪ Valproat
▪ Ethosuximid
▪ Lamotrigin
▪ bei BNS-Krämpfen (Blitz-Nick-Salaam-Anfälle; Entwicklungsstörung des Gehirns, Säuglingsalter):
▪ ACTH
▪ Clobazam
▪ neuere Antiepileptika
▪ Topiramat (breites Einsatzgebiet, auch Monotherapie)
▪ Gabapentin (breites Einsatzgebiet, Mono- oder Zusatztherapie)
▪ Spezialgebiet: Schmerztherapie
▪ Fosphenytoin (besseres Profil als Phenytoin)
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04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
71
Anti-Epileptika
Hauptsächliche Wirkungsorte/Angriffspunkte für
Antiepileptika
Reference: Duncan JS et al, Lancet 2006; 367: 1087-1100
72
04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
72
*
Schlafregulation
Fölsch / Mutschler
Schlafstadien
Nach EEG gibt es 4-5 verschiedene Schlafstadien:
die Frequenz der EEGWellen nehmen bei zunehmender Schlaftiefe ab
(Tiefschlaf: langsame δWellen). Die 4-5 Schlafstadien werden während
einer
Nacht
mehrfach
durchlaufen (3-5x).
REM (rapid eye movement) Schlaf sind Perioden von desynchronisiertem Schlaf und durch
starke
hirnelektrische
Aktivität charakterisiert (s.
auch Traumphasen). In
den REM-Phasen scheinen
cholinerge
Neurone
spinale Motoneurone zu
hemmen und dabei die
REM-typische
Muskelerschlaffung
herbeizuführen.
Noradrenerge
Neuronen aus dem Locus
coeruleus beendigen die
REM-Phasen.
Kontrolle der Schlaf-Wach-Periodik
Es sind mehrere Zentren involviert, insbesondere
der Nucleus suprachiasmaticus (SCN) im
Hypothalamus, der den Belichtungszustand der
Retina wahrnimmt und mit der Epiphyse (Zirbeldrüse) verbunden ist. Diese setzt das Melatonin frei,
das auf den SCN zurückwirkt. Bei genügender
Lichtintensität (>2500 Lux) wird die Melatoninausschüttung supprimiert. Der Rhythmusgeber im
SCN steuert die Area praeoptica im Hypothalamus
und Zentren im Hirnstamm und in der Hirnrinde.
Involvierte Transmitter sind u.a. die serotonergen
und GABAergen Systeme (siehe Tranquilizer).
73
04/10/10
Die Einleitung des NREM (Non-REM)-Schlafs scheint von
Neuronen des Nucleus tractus solitarius (NTS)
herbeigeführt zu werden. Diverse Faktoren beeinflussen
den Einschlafvorgang (endogene Schlafregulatoren).
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
73
*
Schlafstörungen
Mutschler
Dyssomnien
Beeinträchtigungen des Schlafs hinsichtlich Dauer, Qualität
und zirkadianer Periodik. Insomnien sind durch einen Mangel
an Schlafqualität gekennzeichnet (Einschlaf-, Durchschlafstörungen). Bei Hypersomnien besteht eine exzessive
Einschlafneigung während des Tages (z.B. Schlafattacken).
Parasomnien
Störende und krankhafte Begleitsymptome des Schlafs, z.B.
Schlafwandeln, Alpträume oder nächtliches Zähneknirschen
(Bruxismus).
Organisch und psychiatrisch bedingte Schlafstörungen
Neurologische Erkrankungen (z.B. degenerative Hirnerkrankungen, Demenz-Syndromen, Polyneuropathien, Epilepsien),
psychiatrische Erkrankungen (z.B. Psychosen, depressive
Syndrome, Angstkrankheiten) sowie internistische Erkrankungen (z.B. Schmerzzustände, Krankheiten des Bewegungsapparats, Atmungsstörungen) können zu Schlafstörungen führen.
Schlafstörungen unterschiedlicher Genese
z.B. während und nach der Schwangerschaft
74
04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
74
(*)
Insomnie
Fölsch
Auf der Basis eines primär leicht störbaren Schlaf-Wach-Systems entwickelt sich durch einen
äusseren Auslöser eine Insomnie, die durch verhaltensbedingte und psychoreaktive Faktoren
aufrechterhalten und chronifiziert wird.
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04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
75
Narkolepsie
Fölsch
Die Narkolepsie stellt eine Störung der Schlaf-Wach-Regulation dar, die durch Tagesmüdigkeit,
Schlafattacken und Symptome des disinhibierenden REM-Schlafes (Kataplexien und Schlaflähmungen) gekennzeichnet ist.
Das Schlafprofil einer 27jährigen Narkolepsiepatientin zeigt, dass die erste REM-Phase unmittelbar
nach dem Einschlafen einsetzt (Sleep-Onset-REM, SOREM). Non-REM-Symptomatik: Tagesschläfrigkeit mit unkontrollierten Einschlafattacken. REM-Symptomatik: Kataplexie (affektiver
Muskeltonusverlust), ausgeglöst durch emotionale Reize wie Freude, Ärger oder Überraschung;
Schlaflähmungen sind ein Erwachen mit völliger Bewegungsunfähigkeit.
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04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
76
(*)
Obstruktive Schlaf-Apnoe
Fölsch
Schlaf-Apnoe-Syndrom
Die häufigste Ursache von Tagesschläfrigkeit stellt das Schlaf-ApnoeSyndrom dar: meistens sind übergewichtige Männer >50 J. betroffen.
Das linke Bild zeigt verschiedene Atemmuster im Schlaf, polygraphisch gemessen (Atemfluss an Nase- und Mundeingang). Brust- und Bauchdehnung
werden mit Dehnungssensoren an
Thorax und Abdomen gemessen.
Obstruktive Schlaf-Apnoe
Grundlage der obstruktiven SchlafApnoe ist ein rezidivierender Verschluss
(Obstruktion) des Oropharynx durch
einen
Kollaps
der
umgebenden
Weichteilstrukturen
aufgrund
von
Muskelerschlaffung im Schlaf: Abfall des
pO2, Anstieg des pCO2, Weckreaktion,
Öffnung der Luftwege mit einem lauten
Schnarchgeräusch. Vorstufe: obstruktives Schnarchen.
Anwendung eines nCPAP
(nasal continuous positive
airway pressure) - Geräts
reduziert bzw. eliminiert die
obstruktiven Apnoen und
führt zu einer verbesserten
Sauerstoffsättigung.
77
04/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 3
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