LEBEN | MM44, 26.10.2015 | 107 Mit scharfem Blick nimmt die Tierärztin die winzige Schildkröte unter die Lupe. Zootierärztin Angst ums «Ägypterli» Die 23 Gramm leichte Ägyptische Landschildkröte frisst kaum mehr. Das Jungtier muss dringend behandelt werden. Schon eine einfache Erkältung kann lebensgefährlich sein. Text: Karin Federer Bilder: Walter Zoo I Karin Federer (29) ist Tierärztin und berichtet regelmässig aus dem Walter Zoo in Gossau SG. ch spüre die kleine, leichtgewichtige Ägyp­ tische Landschildkröte kaum, als ich sie sorg­ sam auf meiner Hand halte. Das Jungtier ist apathisch und frisst nicht. Seine Ge­ schwister sind bereits we­ sentlich stärker und fressen ihm das Futter weg. Auf den ersten Blick erkenne ich eine Augenentzündung und geringgradigen Nasenausfluss. Üblicherweise würde ich in so einem Fall eine Blutentnahme und Laboruntersuchungen durchführen, um einen Gesamteindruck vom Allge­ meinzustand der Schildkrö­ te zu erhalten. Bei gerade mal 23 Gramm Körperge­ wicht und einem Blutvolu­ men von etwa 1,4 Millilitern – dies entspricht etwa 28 Tropfen Wasser – ist das ziemlich schwierig, wenn nicht sogar unmöglich zu bewerkstelligen. Kräuter für den Appetit Ich nehme eine Nasenspül­ probe und sende sie ins La­ bor. Mit einem Röntgenbild kontrolliere ich den Zu­ stand der Lunge, um eine Lungenentzündung auszu­ schliessen. Zum Glück sehe ich schnell, dass nur die oberen Atemwege betroffen sind und eine Entzündung der Lunge ausgeschlossen werden kann. Sie wäre im Röntgenbild durch Ver­ schattung erkennbar. Der Bericht des Labors bestätigt aber einige Tage später einen bakteriellen Infekt. Ich verabreiche der Schild­ kröte ein Antibiotikum und behandle die Augenentzün­ dung mit Tropfen. Nun ist es auch wichtig, dass der kleine Patient ge­ nügend frisst und wieder an Gewicht zunimmt. Nur was, wenn kein Hunger da ist? Zum Glück sind unsere Tierpfleger immer sehr ein­ fallsreich. Dank einem täg­ lichen Bad in lauwarmem Wasser und einem grossen Angebot an Kräutern in unterschiedlichen Grössen und Darreichungsformen beginnt die Schildkröte in kürzester Zeit wieder zu fressen. Wir überwachen den Nährzustand in regel­ mässigen Abständen durch Wägen, um über das Körpergewicht den Krank­ heitsverlauf verfolgen zu können. Nach einer Woche zeigt die Gewichtskurve aufwärts. Ich bin erleich­ tert: Unser kleines «Ägyp­ terli» ist auf dem Weg der Besserung und wird seine Geschwister hoffentlich bald einholen können. MM Tipps Ab auf die Waage Geringe Gewichtsschwankungen sind bei Schildkröten wegen des schützenden Pan­ zers oft nicht von Auge sichtbar. Man muss sie regelmässig wägen, um Erkrankungen früh erkennen zu können. Entzündungen der oberen Atemwege können mit Bläschen­ bildung an den Nasen­ löchern oder bei chro­ nischem Verlauf mit Verfärbung oder De­ formation der Nasen­ löcher einhergehen. Zu kühle Haltung, zu geringe Luftfeuchtigkeit, staubige Einstreu oder Stress mit Artgenossen können eine Infektion begünstigen. Bei anhaltender Gewichtsabnahme und verminderter Fresslust sollte ein Tierarzt auf­ gesucht werden.