Der Urologe Organ der Deutschen Gesellschaft für Urologie Organ des Berufsverbandes der Deutschen Urologen Elektronischer Sonderdruck für S. Beermann Ein Service von Springer Medizin Urologe 2012 · 51:1085–1088 · DOI 10.1007/s00120-012-2939-x © Springer-Verlag 2012 zur nichtkommerziellen Nutzung auf der privaten Homepage und Institutssite des Autors S. Beermann · L. Weißbach Interdisziplinäre Behandlung urologischer Tumoren Eine Mixed-method-Studie www.DerUrologe.de Leitthema Urologe 2012 · 51:1085–1088 DOI 10.1007/s00120-012-2939-x Online publiziert: 22. Juli 2012 © Springer-Verlag 2012 S. Beermann · L. Weißbach Stiftung Männergesundheit, Berlin Interdisziplinäre Behandlung urologischer Tumoren Eine Mixed-method-Studie Interdisziplinarität wird immer dann vorausgesetzt, wenn besonders schwierige medizinische Entscheidungen anstehen. Das Zusammenwirken verschiedener Fachdisziplinen sollte dabei geprägt sein vom ­Respekt gegenüber dem Patienten (Empathie), und von der gegenseitigen Anerkennung der an der Lösung beteiligten Ärzte. Noch immer sind die gelebte und die geforderte Interdisziplinarität ein großes Stück weit voneinander entfernt. In der Urologie ist die Interdisziplinarität zumindest dort ausreichend etabliert, wo unser Organfach auf andere Fachgebiete trifft, die dabei helfen, lokale Organprobleme einzuschätzen und zu beheben (z. B. Gynäkologie, Radioonkologie, Chirurgie). Viel schwieriger ist die Kooperation zwischen Urologen und internistischen Onkologen. Der testikuläre Keimzelltumor gilt dabei als das Paradebeispiel einer durch interdisziplinäre Anstrengungen heilbaren soliden Krebserkrankung. Außerhalb dieses Tumors stellt sich die Frage, ob bei Urologen die Bereitschaft zur interdisziplinären Zusammenarbeit vorhanden ist. So verbleibt in Deutschland die Behandlung v. a. des Prostatakarzinoms häufig alleine beim Urologen. Sternberg et al. [1] veröffentlichten 2006 eine Übersicht der damaligen Behandlungsstrategien beim Prostata­karzinom. Es wird in den meisten Fällen vom Urologen diagnostiziert und zunächst behandelt. Überwiesen wird erst in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium zur Chemotherapie bzw. Palliation. Der Koautor der BJU-Veröffentlichung Dr. Krainer (Onkologe) zu dieser Situation: „Vereinfacht gesagt, werden derzeit Patienten eher selten von Urologen an die für die Chemotherapie zuständigen Onkologen überwiesen. Die Ursachen dafür sind z. T. historisch gewachsen und sollten nun kritisch hinterfragt werden. Denn die Ergebnisse der neuen Studien fordern geradezu, dass Urologen und Onkologen die möglichen Ergänzungen ihrer jeweili- gen Therapieansätze gleich nach der Diagnose besprechen.“ Solche Einlassungen gelten weder damals noch heute, zumal die meisten Tumoren im kurativen Stadium diagnostiziert werden, viele Urologen zur systemischen Tumortherapie qualifiziert und Substanzen wie adrenale Androgenblocker verfügbar sind, die weniger toxisch als Chemotherapeutika sind. Trotzdem müssen wir für alte Betroffene in der palliativen Situation sorgfältig Indikation und Durchführung der Chemotherapie abwägen – am besten interdisziplinär. Tab. 1 Zusammensetzung der Studienleitung und des wissenschaftlichen Beirats von IBuTu Studienleitung Prof. Dr. med. Lothar Weißbach Dr. med. Friedemann Honecker Wissenschaftlicher Beirat Prof. Dr. Bernhard Wörmann Prof. Dr. Dr. Gerald Kolb PD Dr. Stephan Schmitz Dr. Axel Schroeder Prof. Dr. med. Maike de Wit Jens-Peter Zacharias Facharzt für Urologie, wissenschaftlicher Vorstand der Stiftung Männergesundheit, Berlin Facharzt für Innere Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg Facharzt für Innere Medizin, Sekretär der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO), Berlin Chefarzt der Geriatrie und Ärztlicher Direktor des St. Bonifatius Hospitals, Lingen Facharzt für Hämatologie und Internistische Onkologie, Facharzt für Innere Medizin, Vorsitzende des Berufsverbandes der niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (BNHO), Köln Facharzt für Urologie; Präsident des Berufsverbandes Deutscher Urologen (BDU), Neumünster Fachärztin für Innere Medizin, Chefärztin des Vivantes Tumorzentrums – Onkologisches Zentrum Süd Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Prostatakrebs Selbsthilfe e. V. (BPS), Gehrden Der Urologe 8 · 2012 | 1085 Zusammenfassung · Abstract Urologe 2012 · 51:1085–1088 DOI 10.1007/s00120-012-2939-x © Springer-Verlag 2012 S. Beermann · L. Weißbach Interdisziplinäre Behandlung urologischer Tumoren. Eine Mixed-method-Studie Zusammenfassung Von ärztlicher Seite (Onkologievereinbarung) wie auch von Patienten (Selbsthilfegruppen) soll die urologische Kompetenz gestärkt und die Zusammenarbeit zwischen den Fachdisziplinen verbessert werden. Wie sieht die kollegiale Kooperation tatsächlich aus? Die wenigen Studien, die bisher vorliegen, beziehen sich auf die Zusammenarbeit von Hausärzten mit Fachärzten, während die von Fachärzten, wie z. B. Urologen und Hämatoonkologen bislang nicht untersucht wurde. Diese Lücke soll die Studie zur interdisziplinären Behandlung urologischer Tumore (IBuTu-Studie) schließen. Schlüsselwörter Urologische Tumoren · Interdisziplinäre Behandlung · Kooperation · Onkologie Abb. 1 9 Verteilung der Interview-Tandems in Deutschland Studieninhalte IBuTu Die Onkologievereinbarungen fordern ebenso wie Patientenselbsthilfegruppen eine Stärkung der urologischen Kompetenz und eine verbesserte Zusammenarbeit [2, 3]. Doch wie sieht die Zusammenarbeit wirklich aus? Die wenigen Studien, die bisher vorliegen, beziehen sich auf die Zusammenarbeit von Hausärzten mit Fachärzten [4, 5, 6]. Die Zusammenarbeit von Fachärzten, wie z. B. Urologen und Hämatoonkologen untereinander ist bislang nicht untersucht. An diesem Punkt setzt die neue Studie an. Sie wurde von der Stiftung Männergesundheit, dem Bund Deutscher Urologen (BDU), dem Bundesverband niedergelassener Hämatologen und Onkologen (BNHO) sowie dem Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe e. V. (BPS) initiiert. Der wissenschaftliche Beirat der Studie ist interdisziplinär besetzt und besteht aus Vertretern der Fachbereiche Urologie, Onkologie und Geriatrie (. Tab. 1). In diesem Projekt soll die Zusammenarbeit von Urologen und Onkologen bei der inter- 1086 | Der Urologe 8 · 2012 disziplinären Behandlung urologischer Tumoren (IBuTu) untersucht werden. Es handelt sich um eine multizentrische Erhebung. Durch ihr Design als „Mixed-­ method-Studie“ soll die gegenwärtige Kooperationsbereitschaft auf Bundesebene erfasst und Faktoren, Strukturen sowie Bedingungen herausgearbeitet werden, die eine optimalere Zusammenarbeit zwischen den an der Versorgung beteiligten ärztlichen Berufsgruppen ermöglicht bzw. dieser im Wege stehen. Die zwei Studiensegmente IBuTu I und II Während der zweijährigen Vorbereitung konnte neben den Fachgesellschaften Frau Dr. Holmberg von der „Berlin School of Public Health“ an der Charité als Kooperationspartnerin sowie Interessenten aus der Industrie gewonnen werden. Die Ethikkommission der Charité Berlin Mitte und der Datenschutzbeauftragte des Bundeslandes Berlin haben sich positiv zu IBuTu geäußert. Interdisciplinary treatment of urological tumors. A mixed-method study Abstract From the medical viewpoint (oncology agreement) and also from that of patients (self-help groups) urological competence should be increased and the cooperation between medical disciplines should be improved. What does the medical cooperation really look like? The few studies which have been carried out concern the cooperation between general physicians and specialists although specialists, such as urologists and ­hemato-oncologists have not yet been investigated. These gaps should be closed by the study of interdisciplinary treatment of urological tumors (IBuTu study). Keywords Urological tumors · Interdisciplinary treatment · Cooperation · Oncology IBuTu I Es handelt sich bei IBuTu I um eine Querschnittsstudie (Survey) und hat zum Ziel, die Art der Zusammenarbeit von niedergelassenen Urologen mit Onkologen bzw. onkologisch qualifizierten Urologen zu quantifizieren. Zusätzlich sollen die Faktoren ermittelt werden, die eine Kooperation zwischen Fachärzten untereinander beeinflussen. Dabei wird von folgenden Hypothesen ausgegangen: Die Kooperation von Urologen mit Onkologen wird durch soziodemografische Eigenschaften der befragten Ärzte (wie z. B. Alter und Berufsjahre) und Praxischarakteristika (wie z. B. Praxisform und Praxisumfeld) sowie durch persönliche Beziehungen beeinflusst. Ein mit dem Präsidenten des Berufsverbandes Deutscher Urologen (BDU) erarbeiteter zweiseitiger Fragebogen wurde Mitte März an 1830 niedergelassenen Urologen in Deutschland verschickt. Nach Beendigung der Aktion Mitte Juni haben insgesamt 731 Urologen an der Umfrage teilgenommen. Die hohe Rücklaufquote von 40% spricht dafür, dass bei den niedergelassenen Urologen ein Interesse an dem Thema Interdisziplinarität und Ko- operation besteht. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer betrug 51,84 (±6,78) Jahre. Die meisten Befragten sind in einer Einzelpraxis (48%) oder in einer Gemeinschaftspraxis (44%) tätig, und verfügen über eine durchschnittliche Niederlassungsdauer von 14,35 (±7,10) Jahren. Auf die Frage „An wen überweisen Sie onkologische Patienten zur medizinischen Behandlung im ambulanten Bereich?“ antworteten 66% der Befragten, dass keine Überweisung stattfindet, da in der Regel die Patienten selber behandelt werden. 9% gaben an, dass Sie in der Regel an eine/n Onkologen/in überweisen, 15% bevorzugen einen onkologisch qualifizierte/n Urologen/in. Weitere 10% überweisen ihre Patienten ausschließlich an eine Klinik. 78,5% der Urologen sehen jedoch eine Notwendigkeit für interdisziplinäre Kooperationen. Weitere Ergebnisse werden im dritten Quartal 2012 erwartet und auf dem 11. Kongress der Versorgungsforschung in Dresden (27.–29.09.2012) präsentiert. IBuTu II In diesem Studiensegment wird die Qualität und Intensität bestehender Kooperationen untersucht. Es gilt die Faktoren zu ermitteln, die die Kooperation zwischen Fachärzten untereinander beeinflussen, d. h. beeinträchtigen oder fördern. Aus diesen Ergebnissen wollen die beteiligten Institutionen unter Einbeziehung der vorangegangenen Befragung von niedergelassenen Urologen (IBuTu I) zukunftsträchtige Kooperationsmodelle entwickeln. Hierzu wurden qualitative Interviews mit 20 bestehenden Partnerschaften (sog. Tandems) aus Urologen/Onkologen bzw. Urologen/onkologisch qualifizierten Urologen geführt, um die Zusammenarbeit zu untersuchen. Die Tandems wurden im ersten Schritt mit Hilfe des Geschäftsführers des Wissenschaftlichen Instituts der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (WINHO) ausgewählt. Über 60 Urologen und Onkologen/onkologisch Fachnachrichten qualifizierte Urologen erklärten sich zu einer Teilnahme bereit. Da jedoch die Zustimmung von beiden Seiten erforderlich war, reduzierte sich das Teilnehmerfeld auf insgesamt 20 Tandems. Diese Vorgabe hatte auch zur Folge, dass nicht in allen Bundesländern Kooperationen untersucht werden konnten (. Abb. 1). Die teilnehmenden Ärzte werden seit März 2012 in ihren Praxen aufgesucht und mittels eines eigens entwickelten InterviewLeitfadens befragt. Die Auswertung der Interview-Daten wird im Sommer 2012 durch die „Berlin School of Public Health“ beginnen. In einem letzten Schritt (IBuTu III) soll die Frage untersucht werden, ob eine Korrelation zwischen dem geriatrischem Status und der objektiven bzw. subjektiven Behandlungsindikation bei therapiebedürftigem, symptomatischen urologischen Tumoren besteht. Fazit für die Praxis F Der Wissenschaftliche Beirat von ­IBuTu geht davon aus, dass allein die Durchführung der Studie zum kon­ struk­tiven Nachdenken über die Bedingungen einer immer wieder geforderten Interdisziplinarität führen wird. F Im besten Falle wirken sich die Ergebnisse auf andere Fachgebiete der Medizin aus, so dass auch dort die Behandlung der Patienten optimiert werden kann. Damit nähme das Fachgebiet der Urologie eine Vorreiterrolle ein. Korrespondenzadresse Dr. phil. nat. S. Beermann Stiftung Männergesundheit, Claire-Waldoff Straße 3, 10117 Berlin [email protected] Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor weist für sich und seinen Koautor auf folgende Beziehung/en hin: IBuTu I und II wird von der Stiftung Männergesundheit, Janssen-Cilag GmbH und Novartis Pharma GmbH finanziert. 1088 | Der Urologe 8 · 2012 Literatur 1. Sternberg CN, Krainer M, Oh WK et al (2006) The medical management of prostate cancer: a multidisciplinary team approach. BJU Int 99:22–27 2. Hölzel D, Schubert-Fritschle G, Engel J (2009) Ergebnisse der interdisziplinären onkologischen Versorgung. Onkologe 15:1120–1133 3. Schroeder A, Steffens J (2011) Urologie im Wandel. Apell der Präsidenten von DGU und BDU: faire Kooperation statt nur mehr Wettbewerb. Urologe 50:911–913 4. Heintze C, Sonntag U, Brincket A et al (2004) Hausärztlich Sicht zur Kooperation mit Spezialisten und Visionen zukünftiger Versorgungsstrukturen. Med Klin 99(8):430–434 5. Hülsemann JL, Bernateck M, Putschky N et al (2007) Kooperation zwischen Hausärzten und Rheumatologen in Niedersachsen. Ergebnisse einer Hausarztbefragung. Z Rheumatol 66:142– 151 6. Spießl H, Cording C (2000) Zusammenarbeit niedergelassener Allgemeinärzte und Nervenärzte mit psychiatrischen Kliniken. Eine Literaturübersicht. Fortschr Neurol Psychiatr 68:206–215 Übergewicht bei Kindern – eine Gefahr für die Nieren Übergewicht und Adipositas hat in den vergangenen Jahren nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Kindern und Jugendlichen drastisch zugenommen. Es ist allgemein bekannt, dass übergewichtige Patienten jeden Alters ein größeres Risiko für Bluthochdruck, Herz- Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes mellitus Typ 2 aufweisen. All das sind auch Risikofaktoren für eine Erkrankung der Nieren. Laut KIGGS-Studie des Robert-Koch-Instituts sind derzeit in Deutschland etwa 1,9 Mio. Kinder zwischen drei und 17 Jahren übergewichtig, 800.000 adipös. Immer mehr leiden an Nierenversagen und werden dialysepflichtig. In einer japanischen Studie wurde untersucht, ob übergewichtige Kinder genauso wie Erwachsene ein höheres Risiko für Nierenschäden aufweisen. Der BMI und der systolische Blutdruck waren bei den Kindern mit auffälligem Urinbefund signifikant höher als bei denen mit unauffälligem Befund. Als ein Ergebnis der Studie ist also festzuhalten, dass Fettleibigkeit auch in der Kindheit mit der Entwicklung von Nierenschädigungen in Verbindung gebracht werden kann. Deshalb sind Nephrologen in der Pflicht, ihre Aufmerksamkeit sowohl in der Forschung als auch in der Diagnose, Therapie und vor allem der Prävention verstärkt auch auf die Kinder und Jugendlichen zu richten. Literatur: Kaneko K et al (2011) Impact of obesity on childhood kidney. Pediatr Rep 3: e27. Quelle: Deutsche Gesellschaft für Nephrologie, http://www.dgfn.eu