I. Strafbarkeit gem. §§ 212 I, 13 I StGB, §§ 223 I, 227 I, 13 I StGB P hat sich nicht wegen eines Totschlags durch Unterlassen gem. §§ 212 I, 13 I StGB oder einer Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen gem. §§227 1, 13 I StGB strafbar gemacht. Es fehlt bezüglich §§ 212 I, 13 I StGB jedenfalls im Rahmen des subjektiven Tatbestandes am Vorsatz - bezüglich § 227 I StGB hinsichtlich der Verwirklichung des Grunddelikts (scheitert ebenfalls am Vorsatz). Ohne dass ein Eingehen auf die Abgrenzung zwischen dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit im Einzelnen erforderlich wäre, sind weder das voluntative noch das kognitive Vorsatzelement hinreichend deutlich ausgeprägt, um diesen Vorwurf begründen zu können. Sofern dem P überhaupt die Kenntnis der Möglichkeit des Erfolgseintritts zugemessen wird, sind hinsichtlich des Willenselements – unabhängig von seiner Bestimmung - keine Anhaltspunkte ersichtlich. II. Strafbarkeit gem. §§ 222, 13 I StGB In Betracht kommt des Weiteren eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen gern. §§ 222, 13 I StGB, indem P vor der für J tödlichen Entzündung der Matratze dessen lückenlose optische Überwachung nicht sicherstellte. a) tatbestandlicher Erfolg P ist tot, der tatbestandliche Erfolg ist damit eingetreten. b) Quasi- Kausalität Der deliktische Erfolg müsste zudem kausal und zurechenbar auf der Unterlassung des P beruhen. Die grundsätzliche Bestimmung dieser per se anerkannten Voraussetzung der Unterlassungsstrafbarkeit ist Gegenstand eines Meinungsstreits: Die überwiegend vertretene Bedingungstheorie überträgt das Kriterium der „conditio sine qua non“-Formel konsequent auf das Unterlassungsdelikt und gelangt damit faktisch zu einer Restriktion des Strafbarkeitsbereichs. 1 Nach der modifizierten Bedingungstheorie ist ein Unterlassen dann für einen Erfolg kausal, wenn dieser mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre, wenn die gebotene Handlung vorgenommen worden wäre. Hätte P den J permanent überwachen lassen, wären Js Brandlegungsversuche frühzeitig aufgefallen und hätten von dem überwachenden Polizeibeamten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits im Ansatz unterbunden werden können. Die fehlende, lückenlose optische Überwachung war daher kausal für den Tod des J. Nach der Risikoverminderungslehre ist ein Unterlassen bereits dann kausal für einen Erfolg, wenn die Vornahme der gebotenen Handlung das Risiko des Erfolgseintritts vermindert hätte, wenn sich im Erfolg also eine Gefahr realisiert hat, die auf dem Nichteingreifen des Täters beruht. Mit der optischen Überwachung, hätten die Polizeibeamten die Brandlegungsversuche des J wahrnehmen können und hätten damit das Risiko der Verbrennung reduzieren können. Damit war die unterlassene Handlung auch nach dieser Ansicht kausal. Hätte P eine permanente optische Überwachung des sich in Gewahrsam befindenden, stark alkoholisierten J angeordnet, wäre dessen Tod abwendbar gewesen. Ein Streitentscheid erübrigt sich somit. Folglich war das Unterlassen des P quasi-kausal für den Tod des J. c) Objektive Sorgfaltspflichtverletzung bei objektiver Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts Zudem müsste P in objektiver Hinsicht eine Sorgfaltspflicht bei Vorhersehbarkeit des Erfolgs verletzt haben. Eine Sorgfaltspflichtverletzung begeht, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt ergeben sich dabei aus den Anforderungen, die bei einer Betrachtung der Gefahrenlage ex-ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind. J wurde zu seinem eigenen Schutz vor selbstgefährdendem Verhalten in Gewahrsam genommen. Zudem war er stark alkoholisiert und wurde aufgrund seines aggressiven Verhaltens an allen Gliedmaßen fixiert. Auch nach der Verbringung in die Haftzelle hätte aufgrund dieser objektiv erkennbaren 2 Umstände ein verständig handelnder Beamter in der Position des P eine permanente optische Überwachung anordnen müssen. d) objektive Vorhersehbarkeit Zudem müsste der Eintritt des Erfolgs objektiv vorhersehbar gewesen sein. Angesichts der bereits geschilderten Umstände war objektiv nach dem Maßstab eines durchschnittlichen Polizeibeamten vorhersehbar, dass J sein bisheriges Verhalten fortsetzen und weitere selbstgefährdende Handlungen durchführen könnte, wie sich dies auch aus der Rücksprache mit dem Arzt A ergab. e) objektive Möglichkeit zur Vornahme der Handlung Die Vornahme der gebotenen Handlung war ihm auch möglich, da er zumindest einen sich zuvor im Streifeneinsatz befindlichen Polizeibeamten zur Vornahme der Überwachung hätte abstellen oder eine Überwachung in der Justizvollzugsanstalt hätte anordnen können. Zwischenergebnis: Folglich hat P eine objektive Sorgfaltspflicht bei objektiver Vorhersehbarkeit des Erfolgs verletzt. f) Pflichtwidrigkeitszusammenhang Weiterhin müsste ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang Sorgfaltspflichtverletzung und dem Erfolgseintritt bestehen. zwischen der Der Tod des J müsste dem sorgfaltspflichtwidrigen Verhalten des P zuzurechnen sein. Dies ist dann der Fall, wenn sich die hierdurch geschaffene Gefahr im tatbestandlichen Erfolg realisiert und der Erfolg nicht ebenso bei sorgfaltsgemäßem Verhalten eingetreten wäre. Dieser Zusammenhang besteht vorliegend dem Grunde nach: Schutzzweck der Pflicht zur permanenten optischen Überwachung ist es gerade, Gesundheitsschäden des Inhaftierten - auch durch selbstschädigendes Verhalten zu verhindern. Dieser Zurechnungszusammenhang könnte aber unterbrochen sein, wenn der Erfolg lediglich auf einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung des J beruht. 3 Eine Selbstgefährdung durch J ist dabei schwerlich zu verneinen, auch wenn diese von J lediglich mit dem Motiv unternommen wurde, seine Freilassung zu erreichen. Jedoch handelte J nicht eigenverantwortlich. Die Anforderungen an die Eigenverantwortlichkeit sind umstritten, wobei Einwilligungslösung und Exkulpationslösung konkurrieren. Ein Teil der Lehre stellt zur Bestimmung der Eigenverantwortlichkeit auf die Maßstäbe der Einwilligung ab. Dazu wird das selbstgefährdende Verhalten des Opfers mit einer (hypothetischen) gleich gearteten Fremdgefährdung durch einen anderen verglichen und anschließend danach gefragt, ob das Opfer in eine solche Gefährdung „ernstlich“ i.S.d. „ernstlichen Verlangens“ in § 216 StGB eingewilligt hätte. Ernstlich“ ist als eine innere Haltung des Opfers zu verstehen, die durch Willensfestigkeit und Zielstrebigkeit gekennzeichnet ist – das Opfer muss sich der Tragweite seines Entschlusses bewusst sein. Mangelhaft und damit nicht „ernstlich“ ist die Einwilligung etwa, wenn sie auf nötigendem Zwang, arglistiger Täuschung, Depression, Trunkenheit oder Drogeneinfluss beruht, geistige oder seelische Erkrankung, Jugendlichkeit oder Senilität die Einsichtsfähigkeit beeinflussen oder der Entschluss aus einer Augenblicksstimmung heraus getroffen wird. Eine andere Richtung in der Lehre zieht demgegenüber in analoger Anwendung die Exkulpationsregeln heran. Danach handeln nicht eigenverantwortlich: Kinder (§ 19 StGB analog); Geisteskranke, Volltrunkene, unter Drogen Stehende und psychisch Kranke, wenn sie jeweils unter § 20 StGB analog fallen; Menschen, die in einer Notlage entsprechend § 35 Abs. 1 StGB stehen und Jugendliche, die nicht die Einsichtsfähigkeit entsprechend § 3 JGG besitzen. Diese Streitfrage bedarf hier keiner vertieften Auseinandersetzung, da jedenfalls die engeren Maßstäbe der Schuldlösung, die Wertungen der §§ 19, 20, 35 StGB sowie § 3 JGG erfüllt sind. J war stark alkoholisiert, sodass zumindest von einem Zustand der erheblich verminderten Schuldfähigkeit auszugehen ist. Der Erfolg bleibt dem P deshalb objektiv zurechenbar. g) Garantenstellung P war grundsätzlich Beschützergarant im Sinne des § 13 I StGB. Als Dienststellenleiter war er für den ordnungsgemäßen Vollzug des Gewahrsams des J verantwortlich. Die P in diesem Rahmen obliegende Garantenpflicht erstreckt sich auch auf die laufende optische Überwachung des J. Neben der entsprechenden 4 Verpflichtung des P aufgrund der Polizeigewahrsamsordnung, die (laut Bearbeitervermerk) ebendies anordnet, sprechen hierfür wiederum der Zustand und die hierdurch beschränkten Selbsthilfemöglichkeiten des J. Aufgrund der Fixierung an allen Gliedmaßen war dieser nur sehr eingeschränkt in der Lage, den aufgrund seiner Alkoholisierung bestehenden Gesundheitsgefahren zu begegnen. Deshalb lag es im Pflichtenkreis des P, für eine angemessene Überwachung des J zu sorgen. Er allein konnte diese Anordnung in der gegebenen Situation treffen und hätte dies kraft seiner dienstlichen Stellung mithin tun müssen. e) Entsprechungsklausel, § 13 I StGB Grundsätzlich muss nach der Lehre von der Modalitätenäquivalenz der Sinngehalt des Unterlassens dem des positiven Tuns entsprechen. Die Entsprechungsklausel spielt dabei bei reinen Erfolgsdelikten keine Rolle. Bei Erfolgsdelikten entspricht das Unterlassen stets dem Tun, wenn eine aus einer Garantenstellung resultierende Handlungspflicht besteht. Zwischenergebnis: Der Tatbestand des §222 StGB ist erfüllt. 2. Rechtswidrigkeit Es kommen keine Rechtfertigungsgründe in Betracht. P handelte rechtswidrig. 3. Schuld Schließlich müsste P der Erfolgseintritt auch subjektiv vorwerfbar sein. Das ist dann der Fall, wenn er auch subjektiv eine Sorgfaltspflicht bei subjektiver Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts verletzt hat. Maßstab sind dabei die persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten des Täters. Er muss dabei in der Lage sein, die Folgen seines Handelns bzw. Unterlassens abzusehen. P als erfahrener Polizeibeamter unter Berücksichtigung der Umstände der Ingewahrsamnahme und insbesondere der Fixierung des J handelte subjektiv sorgfaltspflichtwidrig. An der subjektiven Vorhersehbarkeit der Folgen seines Handelns bestehen keine Zweifel. P handelte damit schuldhaft. P ist strafbar wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 I, 13 I StGB. 5