1.204.204 Fibonacci-Zahlen 1. Der goldene Schnitt Ein Punkt T teilt die Strecke AB nach dem goldenen Schnitt g, wenn sich der kürzere Abschnitt zum längeren genauso verhält, wie die gesamte Strecke zum längeren, also AT : TB = AB : AT = g . Man sagt auch, daß T die Strecke AB stetig teilt. Die Abbildung 1 zeigt, wie eine gegebene Strecke AB nach dem goldenen Schnitt geteilt werden kann: Als Konstruktionshilfe dient ein Kreis mit Radius AB / 2 , der die gegebene Strecke in B berührt. S teilt dann die Strecke AQ stetig. Nach dem Sehnentangentensatz gilt nämlich 2 2 QS = AB = AS ⋅ AQ oder QS : AS = AQ : QS . Dieses Teilverhältnis wird durch den Kreis um A durch S auf die Strecke AB übertragen: Abbildung 1 TB AB − AT AB QS AQ AT + AB AT = = −1 = −1 = −1 = −1 = AT AT AT AS QS AB AB 2. Fibonacci-Folgen Eine interessante Eigenschaft einer stetig geteilten Strecke ist folgende: Wenn man den größeren Teil zum Ganzen addiert (also AT an AB anfügt), erhält man wieder eine stetig geteilte Strecke. Der ursprünglich größere Teil wird dabei zum kleineren und das ursprünglich Ganze zum größeren Teil der neuen Strecke. Der neue Punkt T' teilt die StreAbbildung 2 cke AB von außen im selben Verhältnis wie T von innen. Das kann beliebig oft wiederholt werden (Selbstähnlichkeit). Das gleiche gilt aber auch für die Subtraktion der kürzeren Teilstrecke von der Ausgangsstrecke. In Abbildung 1 wurde das bereits zum Übertragen des Teilverhältnisses von AQ auf AB benutzt. Beim Aneinanderfügen entstehen der Reihe nach (0), 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 43, 55, usw. Teilstrecken. Man erkennt in dieser Folge die geometrische Konstruktionsvorschrift wieder: Ein Folgenglied ist die Summe seiner beiden Vorgänger. Als Rekursionsvorschrift formuliert, heißt das (1) f n+1 = f n + f n −1 ; n ∈ û, wobei f 0 = 1 und f1 = 1 gesetzt werden. Folgen, die der Rekursionsvorschrift (1) genügen, heißen Fibonacci-Folgen (nach [1]: Spitzname von Leonardo von Pisa, geb. 1180 als Sohn des Schreibers Bonaccio, 'filius Bonacii'). E:\Dokumente\Win6\Ma\TX\ZH\GLDSCHN.DOC Fibonacci-Zahlen 3. Seite 2 näherungsweise Berechnung von g Um die Zahl g zu berechnen, wird ausgegangen vom Ansatz: g 1 (2) = 1 1+ g Dieser ist äuqivalent zur quadratischen Gleichung g 2 + g − 1 = 0 . Die 5 −1 = 0,61803398874... 2 In den Ansatz (2) für g kann man auf der rechten Seite für g wieder (2) einsetzen. Es entsteht ein Kettenbruch: 1 1 1 1 g= = = = =: [0; 1; 1; 1; ...] 1 1 1 1+ g 0 + 0+ 0+ 1 1 1+ g 1+ 1+ 1 1+ g 1+ 1 + ... Weil dieser Kettenbruch nicht abbricht, kann g auch nicht als Bruch dargestellt werden, ist also irrational. positive Lösung ist g = In der Kurzschreibweise für Kettenbrüche werden nur die ganzzahligen Summanden in den Nennern angegeben. Wenn man einen Kettenbruch an der n-ten Stelle abbricht, erhält man die n-te Kettenbruchapproximation, eine rationale Zahl. Die Kettenbruchentwicklung von 1 2 3 5 g liefert als Näherungsbrüche 0, 1, , , , usw., in deren Zähler und Nenner stets aufeinan2 3 5 8 derfolgende Fibonacci-Zahlen auftreten. Diese rationalen Näherungen sind abwechselnd größer und kleiner als g. Ein Satz von LIOUVILLE über Kettenbruchentwicklungen besagt [3]: p Sei xn = [a0 ; a1 ; a2 ; a3 ; ...; an ] = n der n-te Kettenbruch für x, dann ist qn 1 (3) x − xn < , a n+1 ⋅ q n2 und es gibt keinen Bruch p/q mit q ≤ qn, der näher bei x liegt, als xn. In diesem Sinn sind die obigen Näherungsbrüche zugleich beste rationale Nährungen für g. Die Konvergenz einer Kettenbruchentwicklung xn wird nach (3) um so langsamer, je kleiner die an sind. Der kleinstmögliche Wert ist aber 1. Die schlechteste Konvergenz ist daher für x = [1; 1; 1; ...] zu erwarten. Bis auf 1 ist das der Goldene Schnitt g. Man kann g sogar als die irrationalste aller Zahlen bezeichnen, weil sie von ihren rationalen Näherungen größere Abstände hat als jede andere Zahl [3]. Die Konvergenz der Kettenbruchentwicklung xn gegen g bedeutet: (4) xn < fn f n+1 →g Fibonacci-Zahlen Seite 3 In der Abbildung 3 ist die Gerade mit der Gleichung y = g ⋅ x im Koordinatenkreuz dargestellt. Da g irrational ist, trifft sie außer dem Ursprung keinen anderen Gitterpunkt! Sonst könnte man ihre Steigung g als (rationales) Verhältnis von dessen y- zur x-Koordinate ausdrücken. Dass die Kettenbrüche die besten rationalen Näherungen liefern, bedeutet hier, dass die Punkte P(1 1) , Q(2 1) ; R (3 2) , S(5 3) , T(8 5) , usw., deren Koordinaten auf- einanderfolgende Fibonacci-Zahlen sind, besonders dicht an der Geraden liegen, und zwar wiederum abwechselnd oberhalb und unterhalb. Abbildung 3 Man kann auch mit Kenntnis der Kettenbruchentwicklung von g eine gegebene Strecke näherungsweise stetig teilen (Abb. 4). Sie wird zunächst in 2 Hälften geteilt, d.h. das Verhältnis 1:1 als Näherung für g genommen. Im nächsten Schritt teilt man in drei gleiche Teile und nimmt das Verhältnis 1:2 als Näherung. Im wiederum nächsten Schritt teilt man dann in fünf Teile und nimmt das Verhältnis 2:3 als Näherung, usw.. Die Formel von BINET gibt eine explizite Darstellung für die Fibonacci-Folge an: (1 + g ) n − (− g ) n fn = 5 Dies zeigt, dass fn als Differenz zweier geometrischer Folgen (q1)n und (q2)n geschrieben werden kann. Jede Folge xn=a1·(q1)n + a2·(q2)n erfüllt ebenfalls die Rekursionsvorschrift (1). Die Vorgaben für die ersten beiden Folgenglieder x0 und x1 legen die Koeffizienten a1 und a2 fest [4]. Man spricht dann von verallgemeinerten Fibonacci-Folgen. Abbildung 4 Gleichung (2) und damit das Vorgehen bei der Kettenbruchentwicklung kann auch als Iteration gedeutet werden gemäß (6) xn = 1 ; n ∈û. 1 + xn−1 Dies ist in Abbildung 5 mit dem Startwert 0 dargestellt, für den (6) wieder die Werte der Kettenbruchentwicklung liefert. Die Iterationsfunktion f mit f(x) = 1/(1 + x) mit x ≥0 hat den einzigen Fixpunkt g. Dieser ist wegen 1 Abbildung 5 f ′( g ) = − < 1 anziehend. (1 + g ) 2 Hier erkennt man auch den Grund für die alternierend monotone Konvergenz der Näherungsfolge. Die Funktion f ist nämlich streng monoton fallend. Fibonacci-Zahlen 4. Seite 4 Der goldene Winkel und Fibonacci-Spiralen Teilt man den Kreis im Verhältnis des goldenen Schnitts, nennt man den kleineren der beiden entstehenden Winkel den goldenen Winkel: γ = (1 − g ) ⋅ 360° = 137,5077641..° . Auch diesen kann man mit Hilfe der Fibonacci-Folge approximieren. Man muss sich nur die Strecken aus der Abbildung 4 zu einem Kreis geschlossen denken. Abbildung 6 zeigt die Näherung 360°⋅2/5 = 144° für γ. Abbildung 6 Bei der spiraligen Blattanordnung von Pflanzen ist der Winkel zwischen zwei Blättern, die in der Entwicklung aufeinanderfolgen (Divergenzwinkel, Blattstellungswinkel), fast immer mit guter Näherung der goldene Winkel (z. B. bei Weidewegerich, Rose, Artischocke, Kohl). Daneben treten nur noch die Divergenzwinkel 90° und 180° auf. Wegen der Irrationalität von g können im ersteren Fall niemals zwei Blätter genau übereinander stehen. Erklären kann man die Blattstellung mit einer hemmenden Wirkung der vorhandenen Blätter auf die Sproßspitze des neu wachsenden, die mit zunehmendem Abstand nachlässt [3]. Pflanzen mit dem goldenen Winkel γ als Divergenzwinkel sind an den sogenannten Fibonacci-Spiralen zu erkennen. So sind in der Abbildung 7 beim Kiefernzapfen 13 Spiralen zu erkennen, die von außen linksherum nach innen verlaufen und 8, die rechtsherum verlaufen. Die außen liegenden Schuppen der rechtsläufigen, schwerer erkennbaren Spiralen sind in der Abbildung markiert. Solche Spiralen treten auch bei Tannenzapfen, Ananasfrüchten, Gänseblümchen, Disteln und Sonnenblumen auf. Ihre Anzahlen sind jeweils aufeinanderfolgende Fibonacci-Zahlen. Dies ist kein Zufall. Die jeweils äußersten Schuppen des Kiefernzapfens teilen nämlich seinen Umfang. Sie sind zeitlich nacheinander gewachsen, und zwar im Abstand des goldenen Winkels. Dieser Winkel wird am genauesten erreicht, wenn die Schuppen den Umfang in eine FiAbbildung 7 bonacci-Zahl fn an Teilen zerlegen. Dabei wachsen aber niemals zwei Schuppen exakt übereinander, weil der Bogen des goldenen Winkels inkommensurabel zum Kreisumfang ist. Ganz im Gegenteil werden die Schuppen sogar eine Versetzung gegeneinander haben, die größer ist als bei jedem anderen Divergenzwinkel, weil g die irrationalste aller Zahlen ist. Nun ragen aber in die Lücken zwischen den äußersten Schuppen noch von innen weitere hinein. Da sie gemeinsam mit den Schuppen des äußersten Ringes eine weitere Teilung des Kreises bilden, muss die Summe der Schuppen aus beiden Ringen wieder eine Fibonacci-Zahl sein. Aus der Rekursionsvorschrift (1) folgt dann, dass die Zahl der Schuppen auf diesem zweiten Ring die vorhergehende Fibonacci-Zahl fn-1 sein muss. An jeder Schuppe der beiden äußersten Ringe beginnt eine Spirale. Die Spiralstrukturen entstehen dadurch, daß unser Sehapparat jeweils benachbarte Objekte miteinander verbindet. Alle Schuppen des äußeren Ringes sind Ausgangspunkte einer links- und einer rechtslaufenden Spirale. Die Schuppen des zweiten Ringes, die keinen rechten Nachbarn haben (in Abb. 8c schraffiert), sind Ausgangspunkte zusätzlicher linkslaufender Spiralen. Dies erklärt die unterschiedliche Zahl rechts- und links- Fibonacci-Zahlen Seite 5 laufender Spiralen. Wäre die Schuppenanordnung rotationssymmetrisch, hätte jede Schuppe zwei Nachbarn, und die Zahl der linkslaufenden Spiralen müßte gleich der der rechtslaufenden sein. Es treten bei derselben Pflanze, so auch beim Kiefernzapfen unterschiedliche Zahlen von Spiralen auf. Je mehr Schuppen auf dem Umfang Platz finden, um so größer kann die realisierte FibonacciZahl sein. Abbildung 8: Computersimulation für verschiedene Blattstellungswinkel a) 135°; 8-zählige Rotationssymmetrie b) 136°; 8 rechtslaufende Spiralen c) goldener Winkel; 8 rechts- und 13 linkslaufende Spiralen d) 138°; 13 linkslaufende Spiralen e) 138°⋅6/13; 13-zählige Rotationssymmetrie Die Computer-Simulation in der Abbildung 8 zeigt den Übergang von 8- zu 13-zähliger Rotationssymmetrie und verdeutlicht, wie empfindlich das Aussehen vom Divergenzwinkel abhängt. Von c) nach d) nimmt er nur um rund 0,5° zu! Es ist schon erstaunlich, wie exakt der goldene Winkel in der Natur eingehalten wird. Literatur: [1] Binek, Peter. "Fibonacci-Zahlen - keine gewöhnliche Zahlenfolge". PhuD 17.3 (1989): 181-190 [2] Flachsmeyer, Jürgen. "Kniffliges am Ostwaldschen und goldenen Rechteck - Aus der Geometrie des Papierfaltens". DdM 18.2 (1990): 90-105 [3] Richter, H.P. und Hans-Joachim Scholz. "Der Goldene Schnitt in der Natur - Harmonische Proportionen und die Evolution". Ordnung aus dem Chaos. Hg. Bernd-Olaf Küppers. München: Serie Piper 743, 1987: 175-214 [4] Tysiak, Wolfgang. "Folgen: explizit und rekursiv". MNU 45.1 (1992): 15-17