Würdigung - Gesellschaft für ethische Fragen

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Gedanken von Hanspeter Uster an der Mitgliederversammlung der Gesellschaft für
ethische Fragen (GEF) vom 26. Mai 2015
Leider weilt unser früherer Präsident, Gonsalv K. Mainberger nicht
mehr unter uns, er ist am letzten Donnerstag verstorben.
Ich möchte die heutige Versammlung mit den Worten unseres herzlichen
Beileids an seine Ehefrau Elisabeth Mainberger-Ruh und an seine
Angehörigen einleiten. So sehr seine Kräfte geschwunden sind, so weh
tut der endgültige Abschied.
Ich habe Gonsalv K. Mainberger als Lehrer an der Kantonsschule Zug
kennengelernt und habe bei ihm 1975/1976 das Freifach Philosophie
und im Maturaschuljahr 1976/1977 das Kernfach Philosophie besucht.
Diese fünf Wochenstunden waren meine eigentliche Schulzeit, denn dort
habe ich – mit 18 Jahren – Lesen und Schreiben gelernt. Alles vorher
war Elementarschule, das Essentielle über Texte, aber auch die
praktische Anwendung, die ars oder techné, wie zu lesen, wie zu
schreiben sei, das habe ich bei Gonsalv gelernt. Und er, für den
Rhetorica nicht nur Buchtitel, sondern Teil seiner philosophischen Praxis
und Theorie war, lehrte uns auch, genau zu sprechen, nicht zu
schwadronieren, genau zu sein und präzis und doch auch die
Ambivalenz eines Gedankens in der Rede spüren zu lassen. Politiker bin
dann später trotzdem geworden…
Jeweils am Mittwoch hatten wir – neben den zwei Doppelstunden - eine
Stunde, die dem Kant-Brevier gewidmet war. Ein kurzer Text wurde
interpretiert, hin- und hergewendet, diskutiert, und unser Lehrer holte
aus, engte ein, verwies auf Zusammen-hänge, die wir nicht einmal
ahnten.
Unvergesslich ist mir der Abschnitt aus mit dem Anfang von Kants
Beschluss der Kritik der praktischen Vernunft:
„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender
Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das
Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das
moralische Gesetz in mir. Beide darf ich nicht als in Dunkelheiten verhält,
oder im Überschwänglichen, ausser meinem Gesichtskreis suchen und
bloss vermuten; ich sehe sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit
dem Bewusstsein meiner Existenz.“
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Diese anhaltende Beschäftigung des Nachdenkens über die Fragen, die
der bestirnte Himmel über einem und das moralische Gesetz in einem
stellen, durchzieht Gonsalvs Schriften, über Gott und die Welt, über Ethik
und Moral, durchzieht auch seine Tätigkeit in der GEF und in den
Beiträgen, die er in den Arbeitsblättern publiziert hat, zum Beispiel in
„Philosophie und Atheismus, ein persönliches Aperçu“, erschienen im
Arbeitsblatt des Jahres 2008, wo er den Begriff des partikulären
Atheismus geprägt hat.
Müsste man sich für eine literarische Form entscheiden, in der man
Gonsalvs Leben und Wirken in der dafür notwendigen Vielfalt abbilden
könnte, so bietet sich idealerweise der Briefroman an, der in am Mitte
des 18. Jahrhunderts in England und Frankreich wunderbare Werke
hervorbrachte, mit schönen Titeln: Les liaisons dangereuses, Les lettres
persanes, Julie ou la nouvelle Héloise.
Wie wichtig der Brief für ihn war, zeigt sein letzter Brief, den er als GEF
Präsident an die Mitglieder richtete und, Gottfried Keller abwandelnd,
festhielt: „Briefe machen Leute“, und hinzusetzte: „Briefe sind nicht nur
Mitteilungen.“ In seinen Briefen, die auch epistulae morales genannt
werden könnten, war auch sein sorgfältiger Umgang mit ethischen
Fragen spürbar. Wir sind denn auch – nach der Auflösung des
Arbeitskreises – von der Gesellschaft zur Förderung der ethischen
Forschung zur Gesellschaft für ethische Fragen geworden und haben
unsere GEF-Abkürzung auf diese Weise bewahren können – und vor
allem auch das Erbe von Gonsalv. Er war die treibende Kraft bei der
Gründung der GEF am 27. April 1989 und präsidierte sie bis am 25.
Oktober 2000.
Auf den Schultern eines Riesen – so sah ich meine Präsidentschaft.
Denn Gonsalv hat mit seinen Mitgliederbriefen, den
Mitgliederversammlungen, den Arbeitsblättern und mit dem legendären
Tagungen, unter anderem in Einsiedeln, zusammen mit seinem Vorstand
und mit Helmuth Holzhey im Rahmen des Arbeitskreises und mit den
Arbeitsblätter etwas geschaffen, was es so in der Schweiz noch nicht
gab:
Einen Ort, wo Menschen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen
zusammenkamen, um sich ethischen Fragen anzunehmen, ohne
definitive Antworten zu erwarten. Ganz unterschiedliche Menschen aus
Universität, Politik, Wirtschaft, Medien, Kultur, Kirche, Medizin und
Verwaltung kamen in der GEF und an ihren Veranstaltungen zusammen,
froh, in der GEF ein Forum der Reflexion zu haben.
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Das alles wäre nicht möglich gewesen ohne Gonsalv K. Mainberger, der
auch um die Vorstandsmitglieder mit unglaublich gut geschriebenen
Briefen warb. Er suchte sie gezielt nach ihren unterschiedlichen
fachlichen und menschlichen Vorzügen aus und hat damit ein Netzwerk
geflochten, das so vielschichtig war wie seine Texte.
Schon beim Präsidiumswechsel habe ich an der GEFMitgliederversammlung 2000 auf die Leistung seiner Ehefrau, Elisabeth
Mainberger-Ruh hingewiesen: Sie arbeitete auch für die GEF präzis,
genau, speditiv, ihn an dies und das erinnern, das Ganze auf ihre subtile
Art vernetzend und zusammenhaltend. Ohne sie wäre Gonsalvs Wirken
– nicht nur in der GEF – nicht möglich gewesen.
Seneca hat in seiner 56. Epistula moralis ad Lucilium geschrieben:
Omnia noctis erant placida composta quiete.
Alles war von der lieblichen Ruhe der Nacht geordnet.
Das ist falsch: keine Ruhe ist lieblich ausser der, die die Vernunft
geordnet hat.
Die Nacht hält Beschwernis nur an, beseitigt sie nicht und verändert die
Sorgen. Denn auch vom Schlafenden sind die Traumbilder so wirr wie
die Tage; wahr ist die Ruhe, zu der gute Seelenhaltung sich entwickelt.
Illa tranquillitas vera est in quam bona mens explicatur.
Diese bona mens hatte Gonsalv, und wir wünschen sie ihm weiterhin.
Nehmen wir uns nun Zeit für einige stille Gedanken an ihn.
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