Einleitung und Dank - Arctic

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„Fliegen Sie zum Nordpol,
beschreiben Sie den Konflikt“
Mein Vortrag bei der Veranstaltung „Handelsblatt Auslandsreporter
berichten“ am 14. Dezember 2011 in der Kunstsammlung K21 in
Düsseldorf – überarbeitetes Redemanuskript
Als ich vor 14 Jahren nach Kanada zog, hatte ich die Arktis nur als
Randthema auf meiner Agenda. Die Berichte und Reportagen, die ich von
Besuchen im Hohen Norden zurückbrachte, waren überwiegend für die
Seiten Vermischtes oder Wissenschaft bestimmt. Es war ein exotisches
Thema. Das änderte sich im Sommer 2007. Da kamen die Russen auf die
Idee, ihre Flagge direkt am Nordpol zu versenken und damit zu sagen: Der
Nordpol gehört uns. Es war eine reine PR-Aktion, aber nun war die Arktis
auf einmal ein politisches Thema. Als dann auch noch die Kanadier den
Russen Kontra gaben, kam der Anruf aus Deutschland: Herr Braune, fliegen
Sie an den Nordpol und beschreiben Sie den Konflikt.
Was leichter gesagt ist als getan. Der Nordpol ist Eis auf Wasser, anders als
der Südpol, der ein eisbedeckter Kontinent ist. Im Sommer ist das Arktiseis
mittlerweile so weich, dass Landungen riskant sein können. Und im Winter,
wenn das Eis fest ist, ist es stockdunkel.
Ich flog stattdessen in eine Gemeinde in Kanadas Arktis und beschrieb die
Entwicklung. Ich fuhr mit einem Ranger mit einem ATV durch die
Steinwüste der Cornwallis Insel und begegnete dabei einem Eisbär. Der war
aber offenbar so erschrocken, als er mich sah, dass er ins Wasser sprang und
fortschwamm. Ich war mehrmals dort, in Resolute, Pond Inlet, Iqaluit und an
der Nordwestpassage. Ich war in Churchill an der Hudson Bay, Heimat einer
größeren Kolonie Eisbären. Immerhin leben in Kanada rund zwei Drittel der
25.000 Eisbären der Welt. Ich liebe die Arktis, die Inuit und die Kälte.
Ich möchte heute einige Entwicklungen in der Arktis darstellen und
eventuell auch falsche Vorstellungen korrigieren.
1. „Eisfreie“ Arktis
Modellrechnungen besagen, dass die Arktis in 2050, 2030 oder gar schon
2020 eisfrei sein könnte. Dies aber mit einem wichtigen Zusatz, der oft
übersehen wird: eisfrei im Sommer. Die Horrormeldungen über die
Eisfläche in der Arktis beziehen sich auf das Sommereis.
Selbst bei Zeitungen in Kanada habe ich aber manchmal den Eindruck, als
würden in naher Zukunft die Eisbären zwischen Palmen herumlaufen und
karibische Ferienanlagen nördlich des Polarkreises errichtet. Aber wir haben
weiter einen Zyklus von Eisschmelze und Eisbildung. Zwar brachte dieser
Sommer die geringste oder zweitgeringste Sommereisfläche seit vielen
hundert Jahren - etwa 4,1 Millionen Quadratkilometer. Aber im Winter
haben wir weiter bis zu 14 Millionen Quadratkilometer.
Das heißt: von November bis Juli wird es in der Arktis auf absehbare Zeit
Eis geben. Wir sprechen von einem Fenster von zwei oder Monaten, in
denen der arktische Ozean eisfrei sein könnte. Wobei eisfrei auch nicht
heißt, dass es kein Eis geben wird, aber keine dicken, unpassierbaren großen
Eisflächen.
Niemand sagt einen eisfreien arktischen Ozean für das ganze Jahr voraus.
Wenn es einmal so weit sein sollte, hat die Welt andere Probleme, als sich
um Rohstoffförderung in der Arktis Gedanken zu machen.
2. Souveränität und das Kontinentalschelf
Seit der russischen Flaggenaktion hören wir von Wettlauf und Rennen um
die Arktis. Von „Wildwest“ und last frontier, als ob es sich um einen
gesetzlosen Raum handeln würde.
Aber die Arktis ist hochgradig reguliert. Die wichtigste Grundlage ist
UNCLOS, die UN-Seerechtskonvention, die 1994 in Kraft trat.
Sie bestimmt unter anderem, wie weit der Festlandssockel, das
Kontinentalschelf reichen kann. Damit wird auch bestimmt, wie weit
eventuell Ansprüche eines Küstenstaates auf die Nutzung des Meeresbodens
über die 200 Seemeilen-Zone hinausgehen können. Die 200 Seemeilen-Zone
wird auch die Ausschließliche Wirtschaftszone genannt, in der ein
Küstenstaat sowohl den Meeresboden also auch das Wasser nutzen kann.
Komplizierte Formeln bestimmen das Kontinentalschelf. Dabei werden
Informationen über Meerestiefe, geologische Strukturen und Entfernung von
der Küste einbezogen.
Der so genannte Wettlauf um die Arktis ist vor allem ein wissenschaftlicher
Wettlauf. Wem der geografische Nordpol gehört, bestimmt sich nicht
danach, wer dort eine Flagge im Meer versenken kann, sondern wer
überzeugende wissenschaftliche Daten vorlegen kann. Und dabei arbeiten
Kanadier, Dänen, US-Amerikaner, Norweger und Russen zusammen. Einen
Anspruch auf den Nordpol selbst können übrigens nur Kanada, Dänemark
und Russland erheben, weil sich seitlich des Nordpols zwischen dem
Eurasischen und Amerikanischen Kontinent die Lomonossow-, Mendelejewund Alpha-Rücken erstrecken.
Durch seismologische und bathymetrische Untersuchungen müssen die
Anrainer nun zeigen, dass der Meeresboden die „natürliche Verlängerung“
des Kontinentalschelf ist. Nur dann kann der Staat den Meeresboden über
die 200 Meilen-Zone hinaus für die wirtschaftliche Nutzung beanspruchen.
Und nur darum geht es. Es geht nicht um Hoheitsrechte über das Meer, etwa
Schifffahrt oder Fischfang oder die Grenzziehung im Meer. Über die 200
Seemeilen hinaus ist und bleibt das Meer internationales Gewässer und
Hohe See.
3. Rohstoffe, der treibende Faktor
Das Interesse an der Arktis beruht nicht in erster Linie auf dem
Klimawandel, der diesen Raum öffnet. Treibender Faktor sind
Rohstoffnachfrage und Rohstoffpreise.
Aber wir müssen uns stets vor Augen halten: Wir wissen nicht, was im
Arktischen Ozean liegt. Wir wissen es von einigen küstennahen Gebieten –
etwa direkt vor der Küste Alaskas und Kanadas in der Beaufort-See oder in
der Barentssee in Norwegen und Russland. Darüber hinaus sind wir auf
Mutmaßungen, wenn auch wissenschaftlich begründete, angewiesen.
Die US Geological Survey spricht in ihrer vielzitierten Sudie von 2008 über
Öl- und Gasvorkommen von „unentdeckten Ressourcen“. Aufgrund der
geologischen Kenntnisse oder Schlussfolgerungen geht die USGS davon
aus, und ich zitiere: „Der erweiterte Arktische Festlandssockel könnte das
geografisch größte unerforschte künftige Gebiet für Petroleum sein, das auf
der Erde verblieben ist.“
Die Zahlen sind tatsächlich imposant: 90 Milliarden Barrel Öl werden dort
vermutet – 13 Prozent der geschätzten unentdeckten globalen Ölreserven.
Und 48 Billonen Kubikmeter Erdgas – 30 Prozent der unentdeckten
Gasreserven. Umgerechnet bedeutet dies 412 Milliarden Barrel Öläquivalent
oder 22 Prozent der unentdeckten, technisch abbaubaren Reserven.
Davon liegen etwa 84 Prozent im Meer, der größte Teil davon im
Kontinentalschelf. Der Aktische Ozean ist anders als die anderen Ozeane
zum großen Teil flach. Mehr als 7 Millionen Quadratkilometer, rund die
Hälfte des Ozeans, liegen über dem Kontinentalschelf. Technisch gesehen ist
die Ölsuche im Eismeer keine Tiefseesuche wie etwa im Golf von Mexiko.
Was tut sich hier im Sektor Öl und Gas: In der Tschuktschen-See zwischen
Alaska und Sibirien stehen im nächsten Jahr Probebohrungen an. In der
Tschuktschensee allein werden 15 Milliarden Barrel Öl und 2 Billionen
Kubikmeter Erdgas vermutet. Shell hat für 2 Milliarden Dollar Bohrlizenzen
erworben. Eigentlich wollten Shell und BP schon in diesem und im
vergangenen Jahr dort nach Öl suchen, wegen des Desasters im Golf von
Mxiko wurde dies aber von der US-Regierung und den Unternehmen
gestoppt. Dagegen wird an der Westküste Grönlands, in der Baffin Bay,
nach Öl gesucht. Das britische Unternehmen Cairn ist dort aktiv. Auch
Exxon, Chevron und Husky haben vor Grönland Lizenzen erworben, aber
noch keine Termine festgelegt.
Norwegen fördert Öl und Gas in der norwegischen See und in der
Barentssee, die aber im Gegensatz zu anderen Randmeeren des Arktischen
Ozeans selbst im Winter weitgehend eisfrei ist. Die Russen setzen entlang
der sibirischen Küste stark auf landgestützte Ölförderung. In der Barentssee
aber haben sie mit dem Shtokman-Erdgasfeld eines der größten offshore
Gasfelder in ihrem Hoheitsbereich.
Arktis ist alles, was oberhalb des Polarkreises, nördlich von 66.56 Grad
liegt. Dazu gehören auch 8 Millionen Quadratkilometer Land. Der
Sedimentgürtel Westkanadas mit konventionellem Öl und Ölsand erstreckt
sich weit in die Arktis, in das MacKenzie-Delta und das kanadische
Archipel. Zudem wurde hier schon in den 70-er Jahren Nickel und Zink
gefördert, und mehrere potenzielle Standorte für neue Minen sind bereits
bekannt.
Einen Boom erlebte Kanada vor wenigen Jahren bei der Uransuche. Das
Territorium Nunavut wollte neben Saskatchewan zum zweitwichtigsten
Uranfördergebiet Kanadas nach Saskatchewan aufsteigen.
Der Diamantenkorridor Kanadas geht weit in den Norden. An Grönlands
Küste konzentriert sich die Mineraliensuche auf Basismetalle, Diamanten,
Gold, Nickel und Elemente der Platingruppe. Alaska ist seit Jack Londons
Lockruf des Goldes für dieses Edelmetall bekannt, aber an der Beringstraße
liegt die Red Dog-Mine, die weltgrößte Zinkmine. Gewaltig sind die
Eisenerzvorräte, etwa auf der Baffin-Insel in Kanada und in Sibirien.
„Wir wissen nicht, was im Meer liegt, aber immer wenn wir suchen, finden
wir etwas“, sagte mir Rob Huebert, ein Professor der Universität in Calgary.
So sind sich die Wissenschaftler auch ziemlich sicher, dass es im arktischen
Ozean die sogenannten Mangan-Knollen gibt, die die wichtigen Seltenen
Erden enthalten.
Das Problem bei all dem: Die Arktis und der Ozean sind etwa neun Monate
im Jahr eisbedeckt, es ist mehrere Wochen oder gar Monate stockdunkel, das
Meer wird durch weniger Eis eher unwägbarer, weil stürmischer, und Wind
und die Bewegung von Eis sind schwerer vorhersehbar. Für Unternehmen,
die im Meer nach Bodenschätzen suchen, stellen sich eine Fülle teils noch
nicht beherrschbarer Risiken. Wenn etwas passiert, ist Hilfe weit entfernt.
Dies ist ein sensibles Ökosystem. Der Lebensraum von Eisbären, Walrossen,
Walen und unzähligen Vogelarten. Eine Ölpest wäre ein Desaster, größer als
das der Deepwater Horizon. Dies ist eine nicht zu überschätzende Bremse
für Exploration und Ausbeutung der Meere. Der Ruf nach einem
Moratorium für Öl- und Gassuche im Arktischen Ozean wird angesichts der
Risiken lauter.
Unternehmen, die sich in Kanadas Arktis engagieren, müssen die
Ureinwohner in ihre Pläne einbeziehen. Die Arktis hat sich verändert. Sie ist
nicht mehr der Raum, in den „Weiße“ einfach vorstoßen und machen
können, was sie wollen. In Kanada müssen Unternehmen erst ein „Impact
and Benefit“-Abkommen mit den Inuit abschließen, bevor an eine
Rohstoffförderung zu denken ist.
4. Schifffahrt
Mit dem starken Abschmelzen der Eisfläche im Arktischen Ozean im
Sommer öffnet sich das Eismeer für die Schifffahrt. Die NordwestPassage
durch die Inselwelt Nord-Kanadas und die Nordost-Passage entlang der
Küste Sibiriens konnten in den vergangenen Jahren teils oder ganz befahren
werden. Hinzu kommt als Zukunftsvision die transpolare Route quer durch
das Eismeer.
Während der Weg von Europa nach Asien durch den Suez- oder PanamaKanal 20.000 oder 25.000 Kilometer lang ist, wären es durch die
Arktisrouten nur 14.300 bis 16.600 Kilometer. Die Arktisrouten werden von
manchen schon als „Superautobahn der Schifffahrt“ gesehen, als „neuer
Panama- oder Suezkanal“. Aber auch hier gilt : In der Arktis wird es auf
absehbare Zeit Eis geben und es wird dunkel sein. Der Ozean im Norden
bleibt ein gefährliches Wasser. Die Zukunft liegt nicht im Transitverkehr,
der das Eismeer durchquert, um den Weg von Europa nach Asien zu
verkürzen, sondern im Zielverkehr zu Gemeinden und Rohstoffquellen und
in der Kreuzschifffahrt.
Im Zusammenhang mit den Schifffahrtsrouten stellt sich auch die Frage der
Souveränität: Kanada beansprucht die NW-Passage als internes Gewässer
für sich, ebenso wie Russland Teil der Nordost-Passage beansprucht. Die
USA und mit etwas vageren Aussagen die EU weisen die Hoheitsansprüche
der Kanadier zurück. Dies ist neben der Festsetzung der Grenzen des
Kontinentalschelfs der zweite potenzielle Konflikt in der Arktis.
5. Kooperation oder Konfrontation
Wir hören von Russland, dass es bereit sei, seine Interessen in der Arktis
auch militärisch zu verteidigen. Wir sehen Kanadas Premierminister auf
einer Eisscholle stehen, über ihn donnern kanadische Kampfflugzeuge und
im Hintergrund dümpelt ein roter kanadischer Eisbrecher. Kanada, die
arktische Großmacht. Die Feldherren der Arktis stehen bereit.
Aber ich bin überzeugt, dass dies innenpolitisch motiviertes Säbelrasseln ist.
Für Kanada kann ich das ohne Zweifel behaupten, bei Russland nehme ich
es stark an.
Die fünf Anrainerstaaten des Ozeans – USA, Kanada, Dänemark, Norwegen
und Russland – haben sich im Mai 2008 in der sogenannten IlulissatErklärung verpflichtet, alle Kontroversen wegen möglicherweise
überlappender Hoheitsansprüche im Rahmen der UN-Seerechtskonvention
zu lösen. Der Arktische Rat der acht Aktisstaaten und Vertreter der
Ureinwohner gewinnt an Gewicht. Russland und Norwegen haben
modellartig ihren Konflikt über die Grenzziehung in der Barentssee
beigelegt und Kooperation vereinbart, wenn grenzüberschreitende
Rohstoffvorkommen gefunden werden sollten.
Es gibt mehr Indizien für eine engere Zusammenarbeit als für Konflikt. Ich
sehe mich jedenfalls noch nicht als Kriegsberichterstatter auf einer
dahinschmelzenden Eisscholle im Arktischen Ozean.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Gerd Braune
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