Chirotherapie von Dr. med. Edgar Berbuer »Chirotherapie« oder »Manuelle Therapie« ist eine Jahrtausende alte Behandlungsmethode. Der Begriff »Chirotherapie« bedeutet nichts anderes als:»Behandlung mit den Händen« Schon bei Hippokrates war sie eine der wesentlichen Säulen der Therapie. Bereits im Altertum, vor über 4000 Jahren im alten Ägypten regelmäßig von Ärzten angewandt, geriet sie in den Wirren des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit zunehmend in Vergessenheit und wurde schließlich nur noch von Laien, Badern und Feldscheren ausgeführt. In der modernen Medizin mit den Erfolgen der medikamentösen Behandlung sowie der chirurgischen Eingriffe erschien sie überflüssig, bis sie in den 40er fahren unseres Jahrhunderts erneut von Ärzten entdeckt wurde. Seither bemühen wir uns darum, diese Methode systematisch weiterzuentwickeln und auf der Basis exakter Diagnostik anzuwenden. Einer der großen Pioniere dieser Methode, Dr. Karel Lewit aus Prag sagte: »Die manuelle Medizin wird nicht zu Unrecht wegen ihrer Präzision und Wirksamkeit als »unblutige Chirurgie« bezeichnet. Deshalb setzt sie eine präzise, ausgefeilte Diagnostik der Funktionsstörungen im Bewegungssystem voraus«. Der Schlüssel zur Lösung dieser schwierigen Aufgabe liegt in der Analyse der Funktionsstörungen des Bewegungssystems. Störungen des Bewegungssystems sind die weitaus häufigste Ursache für Schmerzen im Organismus. Das ist verständlich, denn das Bewegungssystem stellt nicht nur % des Körpergewichts dar, wichtiger noch ist, dass es unserem Willen und damit auch unserem Mutwillen - unterliegt. Es hat deshalb kein anderes Mittel, sich gegen Mißbrauch zu schützen, als Schmerz zu verursachen. Wenn wir überlegen, was wir unserem Bewegungssystem antun, unter dein Wissen, daß der Mensch einst als Jäger Lind Sammler geplant war, mit Sitzen vor dem Computer, vor dem Fernseher, am Steuer eines Kfz etc. ist es nicht verwunderlich, dass die Beschwerden des Bewegungssystems heute eine so große Rolle spielen. Nicht umsonst sind Probleme des Bewegungssystemes häufigste Ursache für vorzeitige Invalidität. Bereits Hippokrates beschrieb im 5. Jahrhundert vor Christus, was diesen Schmerzen häufig Ursache ist: »Die Wirbel sind nicht viel, sondern nur ganz wenig verschoben...« und er beschreibt weiter, dass „es notwendig ist , die Wirbelsäulegut zu kennen, da viele Erkrankungen mit der Wirbelsäule im Zusammenhang stehen und deshalb die Kenntnis der Wirbelsäule für das Heilen vieler Erkrankungen notwendig ist.« Zur Behandlung führt Hippokrates ans: »Das ist eine alte Kunst. Ich habe vor denen, die sie als erste entdeckten größte Hochachtung und auch vor denen, die mir folgen und mit ihren Entdeckungen zur Weiterentwicklung der Kunst, auf natürliche Weise zu heilen, beitragen werden. Nichts darf dem Auge und den Händen des gewandten Arztes entgehen, damit er auf dem Behandlungstisch die verschobenen Wirbel ohne Schaden für den Patienten einrichten kann. Sofern die Behandlung kunstgerecht vorgenommen wird, kann es zu keinem Schaden kommen. Dem ist auch nach 2500 Jahren nichts hinzuzufügen. War bei Hippokrates die Chirotherapie noch eine angesehene Kunst, geriet sie über die Jahrhunderte immer wieder in Vergessenheit, wurde nur noch von Laien, Feldscheren etc. ausgeführt. Über das finstere Mittelalter haben die Kenntnisse interessanterweise arazische Ärzte in die neue Zeit gerettet, ihre Schriften wurden später ins Lateinische übersetzt und blieben uns so erhalten. Hier sei vor allem Abu'l Qasim Halaf Ibn 'Abbas Al Zahraui genannt, dessen Lehrbuch der Chirurgie aus denm Jahre 960 n. Chr. erstaunlich präzise Angaben zur Chirotherapie enthält. Übersetzt wurde seine Arbeit von Gerhard von Cremona, der von 1114 bis 1187 lebte. Ich schätze mich glücklich, einen Nachdruck seiner Übersetzung zu besitzen. Zu Beginn unseres Jahrhunderts wurde die Chirotherapie in den USA wiederentdeckt und es bildeten sich zwei konkurrierende Schulen: die der Osteopathen und die der Chiropraktoren. Ihre Differenzen zeigten sich vor allem im Konkurrenzkampf. Osteopathen und Chiropraktoren untergruben die Autorität der Ärzte. Dadurch wurde jede sachliche Diskussion unmöglich: Ärzte durften mit Chiropraktoren und Osteopathen nicht zusammenarbeiten, selbst dann nicht, wenn bei Patienten eine Manipulation notwendig war. Die Mediziner schadeten sich damit selbst. Statt sich mit den eindeutigen Behandlungserfolgen beider Gruppen auseinanderzusetzen und Bewährtes zu übernehmen, lehnten sie alles in Bausch und Bogen ab. Später, nach der Entdeckung des Bandscheibenvorfalls als Ursache von Schmerzen Anfang der 30er Jahre unseres Jahrhundert, befaßten sich zunehmend auch Ärzte mit Behandlungstechniken dieser Art, ohne jedoch Kenntnis der präzisen wissenschaftlichen Technik zu haben. Der schweizer Arzt Otto Naegli wandte gleichzeitig, unabhängig von den amerikanischen Behandlern Handgriffe an, besonders an der Halswirbelsäule, mit denen er Kopfschmerzen und andere cervicogene Störungen erfolgreich behandelte. Bereits 1903 erschien sein instruktives Buch. Sein Name war auch im Ausland bekannt, sein Werk geriet aber leider in Vergessenheit. Erst nach dem 2. Weltkrieg haben Ärzte in Deutschland und anderen europäischen Ländern angefangen, diese Techniken ernst zu nehmen und wissenschaftlich zu untersuchen. Bei allen Erfolgen ist die Chirotherapie bis heute nicht vollends akzeptiert, ein Student hört in seiner Ausbildung in den Universitätskliniken praktisch überhaupt nichts darüber. Ausbildung findet an der Universität nicht statt, nur wenige Universitäten haben Vorlesungen zu diesem Thema. Wir sehen also, daß wir uns zur Situation Anfang diesen Jahrhunderts nicht wesentlich weiterentwickelt haben, und von der Anerkennung der Chirotherapie bei Hippokrates vor immerhin 2500 Jahren peinlicherweise weit entfernt sind. Das Dilemma der Chirotherapie besteht darin, dass sie ihre Erfolge nicht beweisen kann: Wir haben keine Zahlen, keine Winkel, keine Statistik, um Vorher mit Nachher vergleichen zu können, wir haben nur das subjektive Empfinden des Patienten, der seine Schmerzen verliert, und die subjektive Erfahrung des Therapeuten. Da aber unsere Wissenschaft im Wesentlichen auf Statistik beruht, bedeutet: keine Zahlen - keine Statistik - keine Wissenschaft Zum Schluß möchte ich noch einen weiteren Pionier der Chirotherapie zitieren, Fred W. H. Illi, der in seinem Buch »Wirbelsäule, Becken und Chiropraktik« folgendes bemerkt: »Wir wenden die chiropraktischen Methoden schon geraume Zeit an und haben damit Ergebnisse erzielt, die sich vor 10 Jahren noch niemand hat träumen lassen. Ich bin mir dessen vollauf bewußt, daß unsere Arbeit einen wahren Umsturz des Denkens im Bereich der Orthopädie und in gewissen Punkten der Chiropraktik bedeutet. Jeder Fortschritt ruft für gewöhnlich 2 Reaktionen hervor: Die eine Reaktion ist die der voreingenommenen sturen Köpfe, die ohne weiteres alles ablehnen, was als neu an sie herankommt. Dieser Köpfe wegen werden noch viele Jahre lang tausende von Kranken unter Mißachtung unserer Konsequenzen weiter behandelt werden und unnötig zu leiden haben. Eines ist gewiß: Was auch der Staat; die Krankenkassen und die Mediziner tun, wir werden unsere Forschungen weiter treiben, werden unsere Methoden verbessern und unsere Wissenschaft vertiefen. Wir fürchten keineswegs, uns einem objektiven Urteil zu unterwerfen. Eine gut getane Arbeit wird zu guter Letzt immer anerkannt werden«. Diese Zeilen schrieb Illi im Jahre 1949! Heute gibt es in Deutschland 3 konkurrierende Schulen der Chirotherapie, die mehr oder weniger erfolgreich versuchen Ärzte auszubilden. Zur Erlangung der Zusatzbezeichnung »Chirotherapie« genügen in allen Schulen 8 Wochen Ausbildung. Meines Erachtens kann jedoch eine vernünftige Ausbildung nur gewährleistet werden, wenn Schüler und Lehrer über längere Zeit intensiv zusammenarbeiten. Präzise und schwierige Handgriffe erlernt man erst nach jahrelang gern Training, tägliches Dazulernen ist erforderlich. Das die Chirotherapie nach wie vor nicht überall einen guten Ruf besitzt, kann man nicht der Methode anlasten, sondern viel eher unzureichender Ausbildung ihrer Anwender. So wird auch immer wieder über Risiken der Chirotherapie berichtet. So kursiert die Angst, Chirotherapie könnte Gelenke »ausleiern«, Bänder reißen oder gar Knochen brechen. Wenn nicht Knochentumore oder extreme Knochenentkalkung (Osteoporose) vorliegen, ist es selbst bei übermäßig harter Behandlung nicht möglich, bei technisch korrekter Therapie gänzlich ausgeschlossen, wie schon Hippokrates bemerkte. Besondere Vorsicht ist bei Behandlung der oberen Halswirbelsäule geboten, weil es in diesem Bereich wichtige, das Gehirn versorgende Blutgefäße gibt, die bei unsachgemäßer, gewaltsamer Therapie geschädigt werden können. Eine große Untersuchung aus dem Jahre 1993 über Zwischenfälle bei chirotherapeutischer Behandlung ermittelte 1 tödlichen Zwischenfall auf 2 Millionen Behandlungen. Hierbei wurde nicht unterschieden, ob die Behandler Ärzte, Heilpraktiker oder Laien waren oder ob überhaupt eine Ausbildung vorhanden war. Häufiger sind Nebenwirkungen wie kurzzeitiger Schwindel, Blutdruckabfall oder Sehstörungen, die jedoch schnell vorübergehen. Nach der Behandlung kann es zu wesentlichen statischen Veränderungen der Wirbelsäule kommen, wenn z.B. eine Verwringung des Beckens beseitigt wurde. Diese können durchaus mit Beschwerden verbunden sein, gelegentlich sogar neue Blockierungen in anderen Wirbelsäulenabschnitten verursachen. Eine erneute Korrektur ist dann gänglich, wenn man ein optimales Ergebnis erzielen will. Nach 27 Jahren (2006) chirotherapeutischer Tätigkeit überblicke ich mehr als 150000 chirotherapeutischen Behandlungen ohne wesentliche Zwischenfälle. Die chirotherapeutische Behandlung ist eine ärztliche Kunst, die abhängig ist vom Grad der Erfahrung des Therapeuten, von seiner manuellen Geschicklichkeit und von den individuellen krankhaften Veränderungen des Patienten sowie seiner Einstellung zur Therapie. Ein ängstlich verkrampfter Patient ist naturgemäß schwieriger zu behandeln als ein ruhiger entspannter Patient, der sich angstfrei in die Hände seines Arztes begibt. Nur in einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Patient und Arzt läßt sich ein gutes Behandlungsergebnis erzielen. Die folgenden Artikel und Arbeiten demonstrieren an ausgewählten Krankheitsbildern die Wirksamkeit der Chirotherapie und ihre ungeheuren Möglichkeiten, risikoarm und ohne großen Aufwand zu heilen. Dr. Edgar Berbuer Waldkirch, Januar 1998