Bedarfsgerecht genießen – Tipps & Tricks rund um´s Essen im Alter Maria Kandlbauer Diaetologin Arbeitskreis Ernährung & Geriatrie 23. Mä März 2007, Wien Verband der Diaetologen Österreichs Ziel der Ernährung im Alter ist die Erhaltung der Lebensqualität, das bedeutet für die meisten Menschen vor allem eine unabhängige Lebensführung und den Erhalt der Alltagskompetenz. Schwerpunkt der ernährungsmedizinischen Beratung in der Geriatrie stellt die Mangelernährung in Kombination mit Multimorbidität dar. © M. Kandlbauer 03/07 Physiologische Altersveränderungen und Risiko für Ernährungsprobleme Physiologisch Altersveränderungen Risiko für Ernährungsprobleme Veränderungen Geschmacks- und Geruchsempfinden ↓ Durstempfinden ↓ Appetit ↓, Appetitregulation ↓ → erhöhtes Risiko für Gewichtsverlust, Mangelernährung Fettfreie Körpermasse ↓, v.a. Muskelmasse (Sarkopenie) → Energiebedarf ↓ → bei unverändertem Nährstoffbedarf erhöhtes Risiko für Nährstoffdefizite Körperwassergehalt ↓ Durstempfinden ↓ Urinkonzentrationsfähigkeit ↓ → erhöhtes Dehydratationsrisiko Hautsynthese von Vitamin D ↓ Sonnenlichtexposition ↓ → erhöhtes Risiko für Vitamin D Mangel Häufigkeit atrophischer Gastritis ↑ → erhöhtes Risiko für Vitamin B12-, Calcium- und Eisenmangel D. Volkert © M. Kandlbauer 03/07 Die Bedeutung der Körpermasse für die Prognose nimmt im Alter ab Wer dick oder dünn alt geworden ist, sollte daran nichts mehr ändern, weil dieses Körpergewicht offensichtlich die jeweils beste Ausstattung ist M. Pirlich, Pirlich, Altern? – Verschieben wir´ wir´s auf spä später, Erlangen/Nü Erlangen/Nürnberg, 2006 © M. Kandlbauer 03/07 Bedeutender Gewichtsverlust 1 – 2 % in einer Woche 5 % in einem Monat 7,5 % in drei Monaten 10 % in sechs Monaten Gewichtsverlauf: - Indikator für Ernährungsrisiko - Ausmaß und Geschwindigkeit sind von Bedeutung Hinweise auf zu weite Kleidungsstücke bzw. abnehmende Kleidergrößen © M. Kandlbauer 03/07 Energiebedarf Energiebedarf ↓: Grundumsatz ↓, Leistungsumsatz ↓ GU lt. Harris & Benedikt (BMR) x körperlicher Aktivität (PAL-Wert) m: 66,5 + 13,8 x kg + 5 x cm – 6,8 x a f: 665 + 9,6 x kg + 1,9 x cm – 4,7 x a * PAL 1,2: Ausschließlich sitzende und liegende Lebensweise (z. B. alte, gebrechliche Menschen, bettlägerig jedoch ohne Erkrankung) * PAL 1,4: Sitzende Tätigkeit, zeitweilig gehen und stehen * PAL 1,6: Überwiegend gehende und stehende Tätigkeit (z. B. Alzheimer Demenz Patienten mit Bewegungsdrang) Faustregel: immobiler Patient mobiler Patient 20–25 kcal/kgKG/Tag 25–35 kcal/kgKG/Tag (lt.AKE) Patienten mit Dekubitalulcera 35–50 kcal/kgKG/Tag © M. Kandlbauer 03/07 Flüssigkeitsbedarf 30 ml/kg Körpergewicht (Ist-Gewicht) bzw. 1 ml/kcal (Gesamtwasseraufnahme), DACH-Referenzwerte, lt. AKE Ausnahme: Flüssigkeitsrestriktion bei Herzinsuffizienz 2/3 durch Getränke, 1/3 durch Nahrung (gebunden in Brot, Gemüse, Obst, Fisch, Fleisch, Käse, Suppen, Soßen, Milch ...) Vorsicht bei geringer Nahrungsaufnahme! 80 % der Sondennahrung, 70 % der hochkalorischen Sondennahrung sind reine Flüssigkeit Bedarf ist verändert bei: Hitze, Durchfall, Fieber, Nieren-, Leber- oder Herzerkrankungen Bei ↑ Flüssigkeitszufuhr bei älteren Patienten (regelmäßige Gewichtskontrolle!) © M. Kandlbauer 03/07 Ödemgefahr Eiweißbedarf 0,8-1g/kgKG/Tag (DACH-Referenzwerte, lt. AKE) 1-1,5g/kgKG/Tag bei Eiweißmangel bzw. Wundheilungsstörungen (DGEM Leitlinie) Ballaststoffzufuhr bleibt mit 30 g/Tag im Alter gleich Der Mineralstoff-, Spurenelement- und Vitaminbedarf ist gleich bleibend bis leicht ↑ © M. Kandlbauer 03/07 Kritische Versorgung im Alter Allgemein Ballaststoffe Vitamin D Calcium Vitamin C (v. a. bei Nikotinabusus) Flüssigkeit In Institutionen zusätzlich Vitamin B6, B12 Folsäure Zink Eisen Jod Fluorid Bei Patienten mit Dekubitalulcera ist der Vit. A, C, E und Zinkbedarf um ein Vielfaches erhöht. Allgemeine Gefahr einer generellen Unterversorgung bei < 1000 kcal/Tag © M. Kandlbauer 03/07 Kernpunkte der Ernährungsoptimierung im Alter Reduktion der Energiezufuhr Unveränderte Zufuhr an Vitaminen & Mineralstoffen Höhere Dichte an Mikronährstoffen und Eiweiß bei niedrigerer Energiedichte Ausgewogene Ernährung, die dem Patienten schmeckt und seine Vorlieben berücksichtigt! © M. Kandlbauer 03/07 Fett, Zucker SPARSAM EW, Eisen, versteckte Fette EW, Calcium, versteckte Fette AUSREICHEND Vit., Min., Bst., sek.Pflanzeninh.st. I HL IC RE KH, pflanzl. EW, Bst., Vit., Min. CH © M. Kandlbauer 03/07 © Verband der Diaetologen Österreichs Empfehlungen für eine abwechslungsreiche Mischkost TÄGLICH 1 warme Mahlzeit Mindestens 1 Stück Obst 5 x am Tag ??? Mindestens 1 Portion Gemüse oder Salat Mehrere Portionen Milch, Joghurt, Topfen oder Käse Mindestens 1 Scheibe dunkles Brot/Vollkornbrot Mindestens 1,5 – 2 Liter Flüssigkeit (verdünnte Frucht-/Gemüsesäfte, Leitungswasser, Mineralwasser, Kräuter-/Früchtetee …) MEHRMALS PRO WOCHE: Fleisch, Fisch oder Ei Bewegung im Freien bzw. Sonnenlicht-Exposition © M. Kandlbauer 03/07 Tipps zur Sicherung einer ausreichenden Trinkmenge Morgens die Getränke bereitstellen, die im Verlauf des Tages getrunken werden sollen Eingeschenkte Getränke in Reichweite stellen Zwischendurch immer wieder einen Schluck trinken Ein Glas Wasser oder Tee zum Essen sollte zur Gewohnheit werden – Trinken in Gesellschaft Zwischen verschiedenen Getränken wechseln, süße und farbige Getränke, saure Säfte schmecken eventuell bitter Geeignete Trinkgefäße, bunte Becher Das Trinken genießen – Getränke können ebenso wie ein gutes Essen ein Genuss sein – Trinkrituale Kontrolle der täglichen Trinkmenge – abends die getrunkene Flüssigkeitsmenge zusammenzählen © M. Kandlbauer 03/07 Dokumentationsblatt Nahrung & Flüssigkeit © M. Kandlbauer 03/07 Interdisziplinäre Maßnahmen Essensatmosphäre Optimierung des Nahrungsangebotes Richtige Speisenkonsistenz Möglichkeiten zur Verbesserung der Ernährungssituation Mahlzeitenfrequenz ↑ Körperliche Aktivität ↑ © M. Kandlbauer 03/07 KalorienanReicherung + Mobilisierung Appetitfördernde Maßnahmen Medikamentenüberprüfung Flüssige Zusatznahrung Ernährungstherapeutische Möglichkeiten 1. 2. 3. 4. Natürliche Nahrungsmittel Natürliche Nahrungsmittel + Supplemente/Trinknahrungen Enterale Ernährung Parenterale Ernährung Vollwertige, nährstoffreiche Mischkost Geeignete Speisenkonsistenz Optimiertes Speisenangebot Appetitfördernde Maßnahmen Energieanreicherung Bei Defiziten Supplemente/Trinknahrungen verordnen Jedoch: Ohne körperliches Training reduzieren auch bilanzierte Supplemente Muskelschwäche oder körperliche „frailty“ nicht! (Fiatarone et al 1994) © M. Kandlbauer 03/07 Optimiertes Speisenangebot Abhängig vom Defizit! Auslassen von Lebensmittelgruppen hinterfragen (z. B. Laktoseintoleranz, Obst- und Gemüseverzehr) Bei Proteinmangel – eiweißreiche Speisen vermehrt einsetzen Einseitige Ernährung Vermehrt kleine Mahlzeiten anbieten! Schwerpunkt am Frühstück Am Gang „Imbiss-Stationen“ für unruhige Patienten „Finger Food“ © M. Kandlbauer 03/07 Schmeckstörungen und veränderte Geschmacksvorlieben Ältere haben bei sauren und bitteren Stimuli größere Schmeckschwellen-Veränderungen als bei salzigen und süßen. Am Besten Wahrnehmung für Süßes → süße Speisen bei Senioren sehr beliebt Speisen mit überwiegend sauren und bitteren Geschmackskomponenten (Obst, Gemüse, Kräuter …) oft weniger akzeptiert → Obstsäfte angenehmer empfunden, unterstützen Flüssigkeitszufuhr © M. Kandlbauer 03/07 Tipps bei Kau- & Schluckbeschwerden Flüssige Lebensmittel andicken, um Schlucken zu erleichtern Süße oder leicht saure Lebensmittel regen den Speichelfluss an und erleichtern so das Kauen und Schlucken Keine stark kohlensäurehaltigen Getränke wählen Heiße der scharf gewürzte Speisen meiden Zitrusfrüchte reizen Schleimhäute, sollten gemieden werden Keine trockenen, krümeligen Lebensmittel, wie Salzstangen oder Zwieback Weiche, dickflüssige oder pürierte Kost bevorzugen Brotkruste entfernen Lebensmittel mit Butter, Schlagobers, Öl oder Majonäse anreichern – erleichtert Schlucken, verbessert Geschmack Kleine Bissen und langes Kauen fördern den Speichelfluss Mehrere kleine Mahlzeiten über den Tag verteilt einplanen © M. Kandlbauer 03/07 Kalorienanreicherung Natürlich mit - Fett (Schlagobers, Creme legere, Butter, Öl …) - Kohlenhydraten (Zucker, Honig …) - Eiweiß (Milchpulver …) Beispiele: Mehlspeise mit Schlagoberstupf, Weinschaumcreme, hochkalorische süße Creme bzw. Suppe, Grießkoch mit Honig und Butter … Trinknahrungen, industriell gefertigte Module - Flüssig, in Pulverform, als Creme - Energiereich / eiweißreich - Mit / ohne Ballaststoffe © M. Kandlbauer 03/07 Tipps für Trinknahrungen Gekühlt servieren – bessere Akzeptanz Zwischen den Mahlzeiten anbieten bzw. als Spätmahlzeit! Ansonsten fehlt Hunger für Hauptmahlzeit Verschiedene Geschmacksrichtungen ausprobieren! In Glas oder Schnabelbecher umfüllen, patientenfreundliche Verpackung Zu süß - mit Wasser oder Milch verdünnen! Trinknahrungen mit neutralem Geschmack wählen Bei Schluckstörungen - Nahrungen andicken! Nahrungen in Grießkoch oder anderen Speisen verstecken! © M. Kandlbauer 03/07 Effekt von Aquarien in Speiseräumen auf Nahrungsaufnahme und Gewichtsentwicklung 62 Bewohner eines Seniorenheimes Aquarien mit lebenden Fischen in Speiseräumen für die Interventionsgruppe Fototapete mit Seeblick für die Kontrollgruppe Beobachtungszeitraum 16 Wochen Ergebnis Signifikante Gewichtszunahme (p ≤ 0,005) in der Interventionsgruppe Abnahme der Supplementzufuhr um 25 % Edwards, N.E., et al, West, J., Nursing Res 2002, 24, 697697-712 © M. Kandlbauer 03/07 Essen ist Lebensfreude! Maßnahmen gehen weit „über den Tellerrand“ hinaus! Interdisziplinäres Team © M. Kandlbauer 03/07 Literatur D. Volkert, Mangelernährung, Ursachen – Diagnostik – Therapie, Bonn, 03/2006. Ernährung & Medizin, Schwerpunkt: Ernährung im Alter, 02/2006. Geriatrie Journal 02/2005, Therapie der Mangelernährung im Alter, R. Wirth, Borken AKE – Empfehlungen für die enterale und parenterale Ernährungstherapie des Erwachsenen Version 2005/2006. Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE), Schweizerische Gesellschaft für Ernährungsforschung (SGE), Schweizerische Vereinigung für Ernährung (SVE). Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr, Umschau Braus GmbH Verlagsges. DGE, Frankfurt am Main 2000. D. Volkert, Ernährung im Alter, Quelle und Meyer, Wiesbaden, 1997 Ernährung im hohen Alter und in der Geriatrie, H. Heseker, A. Schmid, Paderborn, Ernährungs-Umschau Nr. 5, Mai 2002. Altern? Verschieben wir´s auf später! Ernährungs-Umschau 53 (2006), Heft 10 © M. Kandlbauer 03/07