Handeln an der Grenze: die Bundeswehr heute

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Thema
Friedensethik in Zeiten von
Kriegen
Handeln an der Grenze: die
Bundeswehr heute
Ethische Herausforderungen für Individuum, Kirchen und
Gesellschaft
von Sybille C. Fritsch-Oppermann
Die Einsätze der Bundeswehr stellen vollkommen neue
ethische Herausforderungen an Politik, Kirchen und Gesellschaft. Unterschiedliche ethische Konzepte prallen
aufeinander. Ein Schaden für Unschuldige ist heute bei einer
pazifistischen Haltung ebenso wenig auszuschließen wie im
Falle kriegerischer Handlungen, wenn man von der
Situationsethik. Auch eine (christliche) Friedensethik
hat sich der realpolitischen Annahme zu stellen, dass
es für Fälle militärischen Eingreifens nur um eine Zusammenschau des ethisch Gebotenen, des politisch
Erforderlichen und des militärisch Durchsetzbaren
gehen kann. So, wie jeder zukünftige Einsatz der
Bundeswehr institutionell durch das Parlament legimitiert sein und eine dezidiert politische Begründung aufweisen soll.
historischen Erfahrung ausgeht und nicht von vornherein
ein göttliches und sofort alles zum Guten wendendes wunderbares Eingreifen einer höheren Macht postulieren will.
“Die Gewalt lebt davon, dass anständige Menschen
sie nicht für möglich halten.” Dieses Zitat von Jean
Paul Sartre erinnert daran, dass sich Friedensarbeit
sowie Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit von
einem Sinn für Realität und für das Machbare leiten
lassen müssen. Dies gilt auch und gerade nach Ende
des Kalten Krieges in einer sich zunehmend globalisierenden Welt und angesichts eskalierender internationaler Konflikte und Kriege, in einer eben noch
lange nicht friedvollen und von Gott erlösten Welt.
Nirgends sonst wie im Falle militärischen Eingreifens – sei dies im Sinne humanitärer Interventionen, im Falle eines Verteidigungskrieges oder bei
präventiven/präemptiven Angriffen zum Zwecke
der Verteidigung – kommt es (in der Friedensethik)
immer wieder zu Überschneidungen von Verantwortungs- und Konflikt-, von Gesinnungs- und
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evangelische aspekte 1/2008
Krieg und Politik
Es ist eine realpolitische Tatsache, dass Krieg – wie
schon bei Clausewitz formuliert – die Fortsetzung
staatlicher Politik mit anderen Mitteln ist. Im anderen Fall wäre der Entscheidungszusammenhang
zwischen politischen Institutionen und dem Einsatz
der Bundeswehr ad absurdum geführt. Für deutsche
Politik heißt das politische Ziel nach wie vor: Neuaufbau stabiler ziviler und staatlicher Strukturen
zum Wohle des betroffenen Landes und der Gemeinschaft der Völker. Es muss aber deutlich bleiben, dass in diesem Konzept mit dem militärischen
Scheitern zugleich das politische Scheitern einhergeht.
Soldaten als Staatsbürger in Uniform leisten einen Dienst für Frieden, Freiheit und Recht. Und dieser Dienst muss im jeweils aktuellen Kontext mit
verständlichen, (auch für die Soldaten und Soldatinnen) nachvollziehbaren Argumenten belegt werden.
Dazu gehört eine klare Definition des Einsatzzieles.
Thema Friedensethik in Zeiten von Kriegen
Prinzipien für die Anwendung militärischer Gewalt
Beim präventiven Eingreifen im Sinne einer rechtzeitigen Reaktion auf Kriegs- und Gewaltursachen,
das heißt also im Sinne der vorbeugenden Selbstverteidigung bei sicherheitspolitischen Risiken, gewähren nicht zuletzt die völkerrechtlichen Vorgaben der
Vereinten Nationen minimale Handlungsmaximen im
ethischen Bereich. Daher müssen detailliertere (gegebenenfalls unter anderem auch interkulturelle)
Prinzipien für die Anwendung jeglicher militärischer Macht und Gewalt weiterentwickelt werden.
Hier muss die Selbstbindung der Politik an ethische
Normen deutlicher heraustreten.
Aus der Bundeswehr werden Stimmen deutlich
hörbar, die bei dieser Frage eine enge Aufeinanderbezogenheit der Politischen Bildung und der Militärseelsorge erkennen. Hier muss ganz deutlich angemerkt werden, dass die allgemeinen und wohl auch
exemplarischen Handlungs- und Entscheidungshilfen zwar von Philosophen, Theologen und Vertretern der Politischen Bildung und auch verschiedener
Religionen und Weltanschauungen vorgedacht und
vorgeschlagen werden können. Aber sie müssen in
noch viel weiterem Umfang interdisziplinär, also
unter Beteiligung von Politikern und Militärs ebenso
wie Psychologen, Medizinern, Sozialwissenschaftlern
und so weiter und besonders auch Vertretern der
Praxis weiterentwickelt werden. Die auch aus Kreisen der Bundeswehr geforderte nachhaltige berufsethische Aufklärungs- und Bildungsoffensive darf
und muss nicht Sache der Militärseelsorge allein
sein und bleiben.
Es ist wünschenswert, aber eine schwierige Frage,
ob sich darüber und über das Exemplarische hinaus
Richtlinien entwickeln lassen, die dann in einer
konkreten Einzelsituation hilfreich sind, in der von
der Waffe Gebrauch zu machen ist. Fest steht allerdings, dass es nach einem Waffeneinsatz für den
Ausführenden wie für die direkt oder indirekt für
diese Handlung Verantwortlichen leichter und angemessener sein dürfte, diesen Einsatz aufgrund der
vorher bekannten allgemeinen Richtlinien zu analysieren und zu verarbeiten.
Christlich gesprochen wird es immer wirkungsvoller und angemessener sein, von Schuld und
deren Vergebung, von Gnade und Rechtfertigung
dann zu sprechen, wenn sich die in Frage stehende
Tat nicht willkürlich und ohne jede ethische Grundhaltung ergeben hat. Das gilt selbst dann noch,
wenn im Affekt oder aus anderen Gründen von
eben dieser grundsätzlichen Haltung abgewichen
wurde. Auch der kategorische Imperativ wird im
übrigen sinnlos, beziehungsweise verblasst zu einer
rein zukünftigen Forderung, wenn er erst im Nachhinein den bereits geschehenen Taten unterlegt
wird.
Das idealiter Erstrebenswerte und
das Machbare
Nun gibt es deutlich eine grundsätzlich pazifistische
Haltung, die anzuerkennen ist. Sie geht davon aus,
dass Krieg nach Gottes Willen nicht mehr sein dürfe,
und sie leitet daraus ganz realpolitische Forderungen und die Aufforderung zur Kriegsdienstverweigerung ab. Im besten Fall sind dann auch die aus dieser
Haltung entstehenden realpolitischen Folgen abzuwägen und ethisch zu legitimieren.
Und das heißt: eine Friedensethik zu legitimieren,
die aus pazifistischen und/oder religiösen Gründen
Schaden für Unschuldige hinnimmt. Denn ein solcher Schaden ist bei der pazifistischen Haltung
ebenso wenig auszuschließen wie im Falle kriegerischer Handlungen, wenn wir aus der historischen
Erfahrung und der realistischen Einschätzung des
technisch Machbaren ausgehen und nicht von vornherein ein göttliches und sofort alles zum Guten
wendendes wunderbares Eingreifen einer höheren
Macht postulieren wollen.
Wo christliche Ethik das idealiter Erstrebenswerte mit dem realistisch zu Erwartenden und
Machbaren abwägt, hat sie sich damit auseinanderzusetzen, was derzeit die politische und damit auch
militärische Tagesordnung vorgeben. Jedenfalls solange sie noch insgesamt und von Einzelfällen abgesehen davon ausgeht, dass politische/militärpolitische und militärische Entscheidungen letztlich die
Sicherung von Frieden und Menschenrechten zum
Ziel haben.
Hiermit ist nicht die Frage gestellt, ob in einer
christlichen Friedensdenkschrift von “gerechtem
Krieg” zu sprechen sei oder gerade von ihm die
Rede sein muss. Dies ist eine Frage der Abgrenzung
ihres jeweiligen Gegenstandsbereiches und theologisch-hermeutisch-politischen Ansatzes. Es ist aber
sehr wohl gefordert, Fragen nach Sinn und Grenzen
eines Konzeptes “gerechter Krieg” angesichts weltpolitischer Realität nicht aus dem theologischen Diskurs als ganzem auszuschließen.
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Thema Friedensethik in Zeiten von Kriegen
Soldaten sind Menschen in ethischen Konflikten
In besonderem Maße haben über diese Fragen – das
ist wahr! – auch und gerade die Militärseelsorger
und Militärseelsorgerinnen nachgedacht, die sich im
lebenskundlichen Unterricht der Soldatinnen und
Soldaten, in der Seelsorge vor und nach Auslandseinsätzen und eben auch bei Auslandseinsätzen vor
Ort existentiell und bis in den Kern ihres Glaubens,
ihrer Theologie und Ethik sowie ihrer Pastoral mit
ihnen konfrontiert sehen. Es wäre zu einfach sowie
theologisch und kirchenpolitisch höchst unbefriedigend, diese Gruppe von Pfarrern und Pfarrerinnen
wie ihre Vorgesetzten und geistlichen Supervisoren
als Exotikum zu behandeln.
Ebenso erscheint es ethisch und intellektuell
verwerflich, Soldaten und Soldatinnen in ihrem Tun
und in ihrer Gefährdung zwar wahrzunehmen, aber
als irgendwie aus der Gesellschaft ausgegrenzten
Teil einer besonderen Spezies zu betrachten anstatt,
wie im Militärseelsorgevertrag benannt, als “Bürger
in Uniform”. Nur “Bürger in Uniform” sind davor
gefeit, Krieg als Handwerk und abgetrennt von gesamtgesellschaftlichen Überlegungen zu verstehen.
Ebenso wie Militärseelsorger im geistlich-theologischen Bereich immer Pfarrer und Pfarrerinnen ihrer
Kirche bleiben.
Ethik und Theologie heute können sich nur
dann als überzeugend und kohärent erweisen,
wenn sie es vermögen, ihre jeweiligen Entwürfe,
Stellungnahmen und Grundsatzerklärungen so zu
fassen, dass die Anfragen der “Bürger in Uniform”
einen notwendigen Bestandteil bilden oder doch
mindestens als Konkretisierungen, als Fälle angewandter Friedensethik gesondert und doch auf
einander bezogen mit verhandelt werden. Gerade in
Konfliktsituationen und Grenzbereichen hat sich
ethisches und theologisches Allgemeingut zu bewähren, wenn es wirkungsvoll und gesellschaftlich
relevant bleiben, beziehungsweise protestantisch
gesprochen: mit der Rechtfertigung sola gratia ernst
machen will.
Soldaten agieren in Grenzsituationen
Bei einer so verstandenen Friedensethik beziehungsweise dieser folgenden angewandten Friedensethik
wird ernstgenommen, dass im Falle Waffen tragen-
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der Soldaten und Soldatinnen die Devise “Tue das
Gute und meide das Böse” an ihre Grenze geführt
wird. Der Dienst von Soldaten und Soldatinnen für
die Bürger des demokratischen Rechtsstaates verlässt die ethische Alltagsnormalität. Evangelische
Friedensethik, die immer den Frieden zum Ziel hat,
muss angesichts realpolitischer Verhältnisse darauf
bestehen, dass eine Gleichrangigkeit zwischen Waffendienst und Waffenverzicht besteht, und den
Staat in die Pflicht nehmen “unter Androhung und
Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen” (so etwa in der Barmer Theologischen Erklärung V), also immer auch Konfliktethik sein. Der
verantwortet vorläufige Charakter jeder protestantischen Ethik unter dem “Schon jetzt/Noch nicht” ist
an dieser Stelle besonders offen für kritische Einwürfe und verwiesen auf den Diskurs mit pointiert
und fundiert Andersgesinnten.
Die Grenzsituation, die Dilemmasituation im
Einsatz – das heißt eben auch im Gebrauch von
Waffen – ist die Situation, an der sich die Haltbarkeit einer Evangelischen Friedensethik als Konfliktethik zu erweisen hat. So wie die Haltbarkeit von
Theologie und Evangelischer Ethik, die Tragfähigkeit von Glauben und Bekenntnis sich gerade in
Grenzsituationen zwischen Erlösungshoffnung und
Heilsgewissheit einerseits sowie Sündhaftigkeit und
gegenwärtigen realen Verstrickungen dieser Welt
und unserer Leben andererseits erweisen muss und
will. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als
um die Konkretisierung und Zuspitzung einer Ethik
politischen Handelns im Kräfteparallelogramm zwischen Kirche, Gesellschaft, Staat und Militär (etwa
am Beispiel der Militärseelsorge).
“Verantwortete Vorläufigkeit”
In Konfliktsituationen stehen sich ausschließende
Handlungen gegenüber. In Extremsituationen wird
es noch schwieriger: Es geht nicht mehr um das
relativ Gute oder Böse, sondern nur noch um die
Wahl zwischen zwei oder mehreren Übeln. In solchen Grenzfällen unterscheidet sich Konfliktethik
von gängigen ethischen Diskursen, denn im Konfliktfall stellt sich Verantwortungswahrnehmung als
ethisches Dilemma dar. Wer sich nur den Opfern
zuwendet, lässt den Ursache-Folge-Zusammenhang
außer Acht. Ebenso führt Toleranz gegenüber Intoleranz zur Komplizenschaft.
Thema Friedensethik in Zeiten von Kriegen
Hier sei der Begriff der “verantworteten Vorläufigkeit” aufgenommen. Als möglicher theologischer,
ethischer und hermeneutischer Ausgangspunkt vermittelt er eventuell zwischen Anliegen der Verantwortungs- und Konfliktethik einerseits sowie einer
eher pazifistischen Gesinnungsethik andererseits.
Der Treffpunkt beider Standpunkte läge dann in
einer immer wieder und gerade auch in Konfliktsituationen, die noch dazu schnelles Handeln und
Entscheiden fordern, nötigen Situationsethik: Wer
nicht in der Theorie des Evangeliums verharren,
sondern sie – gläubig, jedoch nicht schwärmerisch
– Schritt für Schritt in die Tat umsetzen will, wird
sich schmutzige Hände machen.
Das kann und darf nicht den – dann noch dazu
ethisch verurteilten! – Akteuren vor Ort überlassen
werden. Auch das ist ein Gebot christlicher Nächstenliebe und Solidarität. Das Konzept der verant-
worteten Vorläufigkeit geht davon aus, dass Menschen in den Glauben und ins Handeln gerufen
sind. Sie leben in der Hoffnung auf Gottes Reich,
das Reich eines umfassenden Schalom im Sinne von
Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit, hin. Aber sie
tun dies in einer gleichermaßen erlösten wie nach
wie vor sündigen Welt.
In diesem Zustand des “Schon jetzt/ Noch nicht”
kann es nicht genügen, sich in theoretische Ideale
und damit eine reine Gesinnungsethik zurückzuziehen. Es ist der Realität dieser Welt und dem Ziel des
Wohlergehens möglichst vieler auch nicht angemessen, neue Formen schwärmerischen Glaubens und
Tuns anzustreben.
Deshalb geht mit dem Konzept der “verantworteten Vorläufigkeit” immer auch das aus der Befreiungstheologie übernommene Konzept der “strukturellen Sünde” einher. Menschen sind unschuldig-
Vielfältige Dialoge sind notwendig
ein Kommentar von Sybille C. Fritsch-Oppermann
Die Unterscheidung zwischen militärischen Einsätzen
zum Zwecke der Verteidigung beziehungsweise auch
aus Gründen der zivilen Prävention, zwischen humanitären und stabilisierenden Maßnahmen einerseits und
präventiven militärischen Maßnahmen andererseits
wird fließender. Zumal durch die internationale Verflechtung – auf operativem Gebiet – die politische, mindestens aber ethische Verantwortung nicht mehr wirklich national und nach Einsatzbereichen beziehungsweise Art der Maßnahmen aufgeteilt werden kann.
Tatsächliches Geschehen und völker- wie verfassungsrechtliche Verankerungen klaffen hier und da auseinander. Ebenso politischer Wille und militärische Realität.
Die vor allem US-amerikanische Forderung von “preemptive strikes” als notwendigen anti-terroristischen Maßnahmen ist noch viel zu wenig diskutiert worden. Ebenso die neuen Asymmetrien in der Kriegsführung, die
durch die Ent-nationalisierung von kriegerischen Handlungen entstehen. Beides war aber immerhin andererseits der Ausgangspunkt für einen fortschreitenden
Unilateralismus der Vereinigten Staaten und für eine
Infragestellung der unausweichlichen Notwendigkeit
eines UN-Mandates bei bewaffneten Einsätzen.
Deshalb muss in der tatsächlichen politischen Situation
neu nachgedacht, müssen gegebenenfalls neue (international-) rechtliche und politische Regelungen für ein
zukünftiges Vorgehen diskutiert werden. Das gilt besonders auf dem Gebiet der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik sowie Außenpolitik.
Für Kirche und Theologie bedeutet dies andererseits,
dass mit Hilfe der neuen Friedensdenkschrift der EKD
aus dem Jahr 2007 und diese im aktuellen Fall und auch
Grenzfall auslegend und erweiternd, nach neuen Modellen der Militärseelsorge und einer angewandten Friedensethik gesucht werden.
In der Bundeswehr steht neben dem fortlaufenden
Transformationsprozess auch das bewährte Modell der
Inneren Führung zu neuer Diskussion an. Besonders von
hier aus werden Rufe nach interinstitutioneller und
interdisziplinärer Zusammenarbeit, nach Ressort übergreifendem Diskurs laut.
Schließlich macht die neue Situation auch ganz neu den
Dialog zwischen Pazifisten und Militärs, zwischen denen
nötig, die den Dienst am Frieden durch Wehrdienstverweigerung oder eben durch den Dienst an der Waffe
verstehen und doch beiderseits überzeugte Mitglieder
der Evangelischen Kirche sind, ihre jeweiligen Entscheidungen in Gewissensprüfung christlich begründen.
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Thema Friedensethik in Zeiten von Kriegen
schuldig in oft sündigen Strukturen der Realität gefangen. Ihnen bleibt oft nur, zwischen zwei Übeln
das Kleinere, zwischen Gut und Böse das möglichst
Gute zu wählen und das Reich Gottes anzustreben
und dessen Eintreten zu erhoffen.
Deshalb muss Gesinnungsethik immer um Verantwortungsethik ergänzt werden. Besonders in
Grenzsituationen ist in aller verantworteten Vorläufigkeit das Richtige zu tun. Und je schneller die Entscheidung sein muss, desto weniger kann sich Konfliktethik auf feste und immergültige Gesetze stützen.
Das Gewissen als anthropologische
Instanz
legt: Gewissen sei Manifestation des Menschseins
und damit Inbegriff verantwortbarer Existenz. Der
Mensch ist Gewissen, sofern er sich als Mensch
begreift.” (Ulrich von den Steinen, Unzufrieden mit
dem Frieden, Göttingen 2006)
Gewissenskonflikte sind so immer auch Normenund Wertekonflikte. Paulus, der das Wort Gewissen
(syneidesis) im Sinne von Bewusstsein gebraucht,
und das Alte Testament, das dieses Wort nicht kennt
und als Äquivalent das Wort “Herz” benutzt, stimmen dennoch darin überein, dass es in beiden Fällen um Wissen beziehungsweise Handeln und Urteilen in Beziehungen geht. Es geht um eine anthropologische Instanz, in der sich die Spannung des
Menschen als Geschöpf Gottes und als Sünder entscheidend auftut.
Für Luther ist das Gewissen als letzte Instanz
der Entscheidung in (gebrochener?) Gewissheit
letztlich mit der Stimme Gottes gleichzusetzen, der
Luther einen nicht überbietbaren Grad unbedingter
Verbindlichkeit zuspricht, wo es gilt, menschliche
Entscheidungsschwäche zu überwinden. Gewissen
ist stets gebundenes Gewissen, ja sogar Garant von
Bindung.
Mit einer in allgemeine Regeln der Verantwortungsethik als Konfliktethik eingebundenen Situationsethik
befinden wir uns immer auf dem schmalen Pfad
zwischen subjektiver Willkür und ethischer Verbindlichkeit und damit auch beim Nachdenken über
die (anthropologische) Dimension des Gewissens als
letztem Bezugspunkt des handelnden Menschen.
Dessen Freiheit wird sowohl in der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte (Artikel 1) als auch
im Grundgesetz der BRD (Artikel 4) für unverletzlich befunden.
Gewissen bedarf der Orientierung
Gewissensfreiheit gehört zum Grundbestand der
“Gewissen kann nicht aus sich selbst heraus zwiFreiheitsrechte des Individuums und korrespondiert
schen gut oder böse, richtig oder falsch, verwerflich
gleichwohl mit der Gewissensverantwortung, die
oder lobenswert unterscheiden. Aus diesem Grunde
ein mündiger Mensch wahrzunehmen verpflichtet
bedarf es einer Orientierung an Werten, Normen,
ist. Nun kann man gemäß Artikel 4,3 Grundgesetz
Ordnungen, an Recht und Gerechtigkeit – und es ist
sowohl über die Gewissensfreiheit und Gewissenszugleich deren Träger … Daher ist eine Gewissensverantwortung der Wehrpflichtigen und der Soldaentscheidung stets reflexiv; sie
ten als auch der Pazifisten und
führt den Menschen zu sich
Kriegsdienstverweigerer diskutieEs gibt keinen Teil
selbst und über sich selbst
ren. Man kann außerdem beides
des
Menschen,
der
hinaus. Insofern fragt er: Was
nochmals vor dem Hintergrund
gebietet Gottes Wort im Kontext
der christlichen Rechtfertigungsals das “Gewissen”
meines praktischen, vernünftigen
lehre bedenken – und damit vor
definiert werden
Sollens und Könnens? Idealerweieinem für evangelische Theologie
könnte. Gewissen ist
se findet in der Gewissensentund kirchliche Bekenntnisschriften
scheidung eine Verschmelzung
wichtigen, ja verbindlichen HinManifestation des
von Offenbarung und Vernunft
tergrund.
Menschseins und
statt.
“Der Mensch erweist sich daZu beachten ist, dass die Gedurch als sittliches Wesen, dass er
damit Inbegriff verwissensentscheidung nicht sagt,
Gewissen hat, besser: dass er Geantwortbarer Exiwas zu tun oder zu lassen ist,
wissen ist. Es gibt keinen Teil des
stenz. Der Mensch
sondern unser Tun und Lassen
Menschen, der als das ‘Gewissen’
am Ethos christlicher Überliefedefiniert werden könnte. Gerhard
ist Gewissen.
rungen misst. Daher gründet sich
Ebeling hat überzeugend darge-
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Thema Friedensethik in Zeiten von Kriegen
Gewissen auf einer Botschaft, einem Glauben, die
Entscheidungshilfe anbieten, aber nicht selbst entscheiden … Das Gewissen meldet sich als Ruf beziehungsweise Impuls gegenüber dem, was abendländisch-christliches Ethos vernünftigerweise als Wahrheit meiner Existenz gebietet.” (Ulrich von den Steinen, Seite 110)
Das Kollektiv kann letztlich keine Gewissensinstanz sein. Sicherlich stellt es den Menschen vor
Situationen, verantwortlich zu handeln und Gewissensentscheidungen zu treffen. Während Menschen
vor Gott und nach Gottes Willen und in seinem Namen Verantwortung übernehmen sollen und wollen,
können sie ihre Entscheidungen, besonders zugespitzt in Konflikt- und Grenzsituationen, letztlich
nur nach ihrem Gewissen treffen.
Im Gewissen als letzter subjektiver Instanz
müssen sie sich einerseits darauf verlassen und
darum bemühen, auf andere hin zu entscheiden,
andererseits sind sie in letzter Instanz hier Gott
allein verantwortlich – überspitzt formuliert, als
würde Gott in uns sich zu Wort melden. Dies Wagnis äußerster Subjektivität und gleichzeitig äußersten Gottesgehorsams muss als Kehrseite äußerstes
Gottesvertrauen haben. Dies liegt für evangelische
Christen und Christinnen in der Rechtfertigungslehre begründet.
seelsorge in ihren “Gemeinden auf Zeit”, aber auch
insgesamt vor neue Herausforderungen gestellt.
Geistliche teilen den soldatischen Alltag, sind neutrale Zuhörer auch für nichtchristliche Ratsuchende,
heben in den Gottesdiensten den Sonntag heraus;
auch Taufen sind keine Seltenheit. Besonders nötig
werden seelsorgerliche Kompetenzen in Extremsituationen und bei der Konfrontation mit existentiellen Fragen.
Dann sollte in einem überarbeiteten Konzept etwa
des Lebenskundlichen Unterrichts mehr Freiraum,
auch für ethische, religiöse und politische Urteilsbildung vor dem Hintergrund der Erfahrungen seit
1989 gegeben sein. Nicht zuletzt angesichts der
zunehmenden Zahl von Nichtchristen (aus den
neuen, aber auch alten) Bundesländern und Freikirchlern, aber auch aufgrund der Konfrontation
von Ethnien, Kulturen und Religionen gerade in den
Auslandseinsätzen stellen sich Fragen des gerechten Friedens – als Leitmotiv für die Überwindung
von Gewalt – beziehungsweise Fragen des gerechten Krieges neu. Dies gilt auch, weil Militärseelsorge
heute eine internationale Aufgabe in enger Kooperation mit den Militärseelsorgern unterschiedlicher
Religionen etwa bei den Partnern in der NATO ist.
Die Friedensdenkschrift der EKD
Militärseelsorgerliche Arbeit
Die beiden Kernstücke militärseelsorgerlicher Arbeit
sind und bleiben vor diesem Hintergrund die persönliche Begleitung von Soldatinnen und Soldaten
sowie ihrer Angehörigen und der lebenskundliche
Unterricht, in dem gesellschaftliches Orientierungswissen ebenso vermittelt wird, wie Fragen nach
dem Sinn (des Lebens) gestellt werden und solche,
was eine Gesellschaft lebenswert und verteidigenswert macht. Ebenso eine Rolle spielen – beziehungsweise sollten spielen, wie besonders in jüngerer Zeit – eine Vergewisserung über die eigene kulturelle Identität und die Schärfung des Gewissens
sowie eine gute Ergänzung des Gesamtkonzeptes
der Inneren Führung.
In den Auslandseinsätzen werden die Soldaten
und ihre Familien vor besondere Belastungen gestellt. Sie wirken für den Frieden in der Welt und
internationale Sicherheit und damit auch für die
Interessen ihres Landes. Mit diesen Wandlungen
und Transformationsprozessen ist auch die Militär-
Die neue Friedensdenkschrift der EKD aus dem Jahr
2007 gibt Christen und Christinnen eine exzellente
Grundlage zur Friedensethik an die Hand. Umso
wünschenswerter ist es nun, ihr würde mit christlichen Überlegungen zu einer angewandten Friedensethik geantwortet und sie würde interdisziplinär
und interinstitutionell empathisch-kritisch gewürdigt und auf den Einzelfall hin angewendet und ausgelegt. Sollten sich dabei Aspekte ergeben, die auch
ihre Grundaussagen in verantworteter Vorläufigkeit
fortschreiben und erweitern helfen, wäre dies in
guter reformatorischer Tradition ein sicher von dieser
Schrift und ihren Verfassern selber intendiertes Ziel.
Dr. Sybille C. Fritsch-Oppermann ist Mitglied in der
Redaktion der evangelischen aspekte.
Das Sartre-Zitat und grundsätzliche Anregungen und
Leitlinien dieses Beitrages verdanken sich dem in dieser Ausgabe der evangelischen aspekte besprochenen
Buch von Ulrich von den Steinen, Unzufrieden mit
dem Frieden.
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