Eine Zukunftsaufgabe in guten Händen Wo wollen wir mit dem Naturschutz im Jahr 2030 stehen? Prof. Dr. Beate Jessel Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz (BfN) „Naturschutz morgen: Zeit zum Umdenken?“ 28. September 2015 in Kiel, Landtag Schleswig-Holstein Leitfragen Wo stehen wir derzeit? Analyse/einige Schlaglichter zur derzeitigen Situation im Naturschutz Wo wollen wir hin? Ist ein Umdenken notwendig? Brauchen wir einen Paradigmenwechsel im Naturschutz? Was ist zu tun? Ausgewählte Handlungsfelder Wo stehen wir? Berichterstattung über gesellschaftliche Themen Naturschutz und Gesellschaft - Wo stehen wir? Persönliche Bedeutung von Natur Wer trägt Verantwortung für den Schutz der Natur? BfN/BMUB-Naturbewusstseinsstudie 2013 Naturschutzausgaben von Bund und Ländern 600,00 Entwicklung der Naturschutzausgaben des Bundes und der Länder 400,00 Mio € Wo stehen wir? 500,00 300,00 200,00 100,00 0,00 Bund und Flächenländer ohne Personalausgaben nach Stratman (2002) und Stratmann (2012), derzeit keine ausreichenden Angaben Nachrichtlich: Bund, Länder und Gemeinden nach StaBa (2011) Naturschutzausgaben (nur Bund und Flächenländer) * Öffentliche Ausgaben (Bund, Länder, Gemeinden) für ausgewählte Bereiche im Jahr 2009 Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe ** Kulturförderung *** Umweltschutzausgaben des Staates und privatisierter öffentlicher Unternehmen **** * * Quelle: Quelle:Stratmann Stratmann(2012), (2011),Freese Freese(2011) (2011) **** Quelle: Quelle:BMELV BMELV(2012) (2012) ****** Quelle: Quelle:StaBA StaBA(2011) (2011) **** ****Quelle: Quelle:StaBA StaBA(2010) (2010) 0 10 20 Mrd. € 30 32. DNT, 9.-12.9.2014, Mainz Zustand der biologischen Vielfalt Wo stehen wir? 15% 6% Ein Drittel der in den Roten Listen untersuchten Arten (Tiere, Pflanzen, Pilze) sind in ihrem Bestand gefährdet. ausgestorben oder verschollen (Kat. 0) 30% bestandsgefährdet (Kat. 1, 2, 3, G) extrem selten (Kat. R) Vorwarnliste (Kat. V) ungefährdet (Kat. *) 37% Daten ungenügend (Kat. D) 8% 4% Quelle: Haupt et al. (2009), Binot-Hafke et al. (2011), Ludwig & Matzke-Hajek (2011), Becker at al. (2013) Wesentliche Gefährdungsursachen liegen im Bereich der Landnutzung, insbes. der Landwirtschaft Quelle: Günther et al. (2005) Zustand der biologischen Vielfalt Erfolgsfaktoren u.a: - Spezielle Artenhilfsmaßnahmen - Schutzgebiete, v.a. wenn gut gemanagt - Vertraglich vereinbarte + finanziell hinreichend ausgestattete Kooperationen mit Landnutzern Foto: Hans Glader (piclease Naturbildagentur) Es gibt aber auch einige Erfolge, vor allem symbolträchtige Arten, für die eine positive Entwicklung zu verzeichnen ist, Beispiel: Seeadler Gesellschaftlicher und landschaftlicher Wandel Treiber des Landschaftswandels • Klimawandel • Demographischer Wandel • Agrarpolitik • Energiepolitik Energiewende Bevölkerungsrückgang Flächenkonkurrenz Extremereignisse Überalterung Erwärmung Binnenwanderung / Suburbanisierung Intensivierung Internationalisierung Anpassung Bildquelle:Hofmann & Preißler 2008 Gestaltung des Wandels Wo wollen wir hin? Wandel ist im Naturschutz prinzipiell nichts Neues…. © Jessel Schlangenadler und Kleiner Schillerfalter als Neubürger des Klimawandels in SH © Jessel Szenarien der Energiewende © BfN & BBSR 2014 © Falkenhahn-Ruch © Walter Schön, www.schmetterling-raupe.de © BfN & BBSR 2014 …aber die Haltung zum Wandel muss sich ändern: Den Blick stärker in die Zukunft richten, eine nicht nur konservierende, sondern stärker gestaltende Rolle einnehmen Naturschutz im Anthropozän Wo wollen wir hin? Vom ‚biologischen‘ zum ‚integrativen‘ Naturschutz (Biologischer) Naturschutz (Integrativer ) Naturschutz Ergänzt und verändert nach Kareiva & Marvier 2012 Die Rolle des Menschen in der Natur stärker reflektieren. Sich der Erkenntnis stellen, dass natürliche und soziale Systeme eng miteinander verwoben sind. Wo wollen wir hin? Wertedebatte im Naturschutz Ökonomisch Ökologisch Soziokulturell Wo wollen wir hin? Wertedebatte im Naturschutz Klugheit Schutz und Nutzung aus Eigeninteresse Ökologische und ökonomische Gründe Glück Intakte Natur als wesentliche Dimension eines guten Lebens Gerechtigkeit Verpflichtungen z.B. ggü. kommenden Generationen/ im internationalen Kontext Basierend auf Eser et al. 2011 Wertedebatte im Naturschutz Wo wollen wir hin? Beispiel Wildnis Klugheit Referenz für Anpassung an den Klimawandel, ökonom. Bedeutung von Nationalparken u.a Glück Schönheit und Erhabenheit von Wildnis Gerechtigkeit Verpflichtungen z.B. ggü. kommenden Generationen/ Schutz auch vor der eigenen Haustür Basierend auf Eser et al. 2011 Glücks- und Gerechtigkeitsaspekte stärker betonen und den Naturschutz damit stärker in der Gesellschaft verankern Was ist zu tun? © Barbara Niedeggen © René Storch © Klaus Leidorf Exemplarische Handlungsfelder © Carsten Riedl © Joachim Lange © Claudia Hildebrandt Naturschutz in der Agrarlandschaft © Beate Jessel © Barbara Niedeggen © Beate Jessel Prioritäre Ziele: • Der Rückgang der Biodiversität in Agrarökosystemen ist zu stoppen und die biologische Vielfalt deutlich zu erhöhen. • Der Flächenanteil naturschutzfachlich wertvoller Agrarbiotope soll um mindestens 10 % gegenüber 2005 zunehmen. • Die Erhaltung und Wiederherstellung gefährdeter halbnatürlicher Lebensräume durch adäquate Bewirtschaftung soll gefördert werden. Maßnahmen: • Privilegierung der Landwirtschaft in der nächsten EUFinanzperiode ab 2021 beenden, um die freiwerdenden Mittel für konkrete Leistungen im Naturschutz einzusetzen. • Konsequente Umsetzung des Grundsatzes „Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“ • Naturschutz in die „Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz“ (GAK) integrieren. • Grünlandschutz voranbringen Meeresnaturschutz und Fischerei © René Storch © Barbara Engels © Josef Hinterleitner Prioritäre Ziele: • Der Rückgang von Arten und die Degradierung von Lebensräumen der Küsten und Meere ist gestoppt. • Für alle Arten und Lebensräume der Küsten und Meere ist eine signifikante Verbesserung des Erhaltungszustands erreicht. Maßnahmen: • Ausweisung genügend großer nutzungsfreier Zonen (auch Offshore-Energie und Bergbau) in den Meeres- und Küstengebieten. • Im Rahmen der Novellierung der Gemeinsamen EUFischereipolitik Nachhaltigkeitsstandards festsetzen, Beifänge minimieren und schädigenden Fischereitechniken begrenzen. Den Wandel gestalten: Biotopverbund und Energiewende © Klaus Leidorf © Klaus Leidorf © Claudia Hildebrandt Prioritäres Ziel: Deutschland besitzt auf 10 % der Landesfläche ein repräsentatives System vernetzter Biotope (SH: 15 %). Dieses Netz ist geeignet, die Lebensräume der wildlebenden Arten dauerhaft zu sichern und ist integraler Bestandteil eines europäischen Biotopverbunds. Naturverträgliche Ausgestaltung der Energiewende. Maßnahmen: • Übergreifendes Gesamtkonzept und verbindlichen Zeitplan für die Umsetzung des Biotopverbunds erstellen. • Erarbeitung eines Maßnahmenprogramms zum Flächenschutz und zur Flächensicherung • Den Naturschutz bei allen Maßnahmen zum Ausbau der Erneuerbaren Energien von vorneherein mitdenken. • Notwendigkeit einer übergreifenden Steuerung – Potenziale der Regional- und Landschaftsplanung nutzen Naturschutz in die Gesellschaft bringen Beispiel: Naturbewusstsein und Akzeptanz © Joachim Lange © Barbara Niedeggen Prioritäre Ziele: Die Bedeutung der biologischen Vielfalt ist fest im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert. Das Handeln der Menschen richtet sich zunehmend daran aus und führt zu einem deutlichen Rückgang der Belastung der biologischen Vielfalt. Maßnahmen: • Förderung eines ehrenamtlichen Engagements. • Naturerfahrungsräume vor allem für Kinder und Jugendliche • Integration von sozial benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen in den Naturschutz. • Aufstockung der Mittel für Kommunikationskampagnen. • Win-Win-Situationen aufbauen mit Akteuren aus sozialen Kontexten (z.B. Religionsgemeinschaften, Sozialhilfeträger) • Entwicklung der Stadtnatur stärker einbeziehen. Ausblick und Schlussfolgerungen Folgende Ziele sind in den Fokus zu nehmen: © Erwin Sittig © Carsten Riedl © Frieder Haug 1. Stärkung und Weiterentwicklung des bisher im Naturschutz Erreichten. U.a. Etablierung eines funktionsfähigen Biotopverbunds und einer grünen Infrastruktur als Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Schutzgebiete sind auch qualitativ weiter zu entwickeln. 2. Integration des Naturschutzes in andere Politikfelder und Schließen strategischer Allianzen – insbesondere mit der Landwirtschaft. 3. Stärkung des gesellschaftlichen Bewusstseins für die Sicherung der biologischen Vielfalt und die Leistungen der Natur. Dabei sind gesellschaftliche Zukunftsfragen wie ökologische Gerechtigkeit, Globalisierung und Digitalisierung sowie Integration und Inklusion stärker zu berücksichtigen. Eine Zukunftsaufgabe in guten Händen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Prof. Dr. Beate Jessel Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN)