Vegane Kost und Mikrobiom: Hitoder Hype?

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Ernährun
Hausarzt Medizin
Ernährung frei von allen tierischen Produkten ist nicht wirklich neu. Sie erfreut sich
aber seit einigen Jahren zunehmender Beliebtheit. Nach Angaben des Vegetarierbundes Deutschland (VEBU) hat sich die Zahl vegan lebender Menschen seit 2006 auf etwa
900.000 mehr als verzehnfacht. Manche sehen hierin ein zeitgeistiges Geschäftsmodell.
Doch auch die klassische Ernährungsforschung hat in den letzten Jahren umgedacht,
nachdem Vegetarismus lange Zeit kaum Beachtung fand. Eine pflanzlich betonte Kost
mit wenig Fleisch und Fleischwaren ist heute die Standardempfehlung der Ernährungsfachgesellschaften. Und Veganer (und Vegetarier) sind heute die Bevölkerungsgruppen,
welche die allgemeinen Ernährungsempfehlungen der DGE am besten umsetzen,
stellte Dr. oec. troph. Markus Keller vom Institut für alternative und nachhaltige ErnähIst vegane Ernährung eine Kost mit präventivem und therapeurung in Gießen (IFANE) fest. Das gelte nicht
tischem Potenzial? Und steuert das Mikrobiom Gesundheit und
nur für Gemüse, Obst und VollkornprodukKrankheit? Es geht um Zivilisationskrankheiten, welche sie entte. Auch bei der Zufuhr von Protein, Fett und
weder kurieren (vegane Kost) oder erklären wollen (Dysbiose).
Kohlenhydraten lägen Veganer am nächsten
an den DACH-Referenzwerten. Veganer sind
mit Antioxidanzien (Beta-Carotin, Vitamin C
und E), Vitamin B1, Folat, Biotin, Pantothensäure, Magnesium sowie sekundären Pflanzen- und Ballaststoffen besser versorgt als
die Allgemeinbevölkerung.
Es gibt kritische Nährstoffe, die entweder in
pflanzlichen Lebensmitteln nicht vorkommen oder schlecht bioverfügbar sind. Dazu zählen Vitamin B12, Vitamin D, Kalzium,
­Eisen, Zink, Jod und n-3-Fettsäuren. Bei Vita-­
min B12 müssen Veganer auf Supplemente,
angereicherte Lebensmittel und/oder Cyanocobalamin-haltige Zahnpasta zurückgreifen und ggf. die Plasmaspiegel
überwachen lassen, warnte KelTrifft vegane Ernährung
ler. Alle anderen Nährstoffe könden Nerv unserer Zeit
nen Veganer bei sorgfältiger
oder ist sie nur ein lukratives Geschäftsmodell?
Lebensmittelauswahl in bedarfsdeckender Menge zuführen.
Veganer haben auch bei Berücksichtigung
ihres insgesamt gesünderen Lebensstils ein
verringertes Risiko für viele ernährungsassoziierte Erkrankungen. Hierzu zählen
Übergewicht und Adipositas, Typ-2-Diabetes, Hypertonie, Dyslipidämien, kardiovas-
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Der Hausarzt 06/2016
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Vegane Kost und
Mikrobiom:
Hit oder Hype?
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ng
kuläre Erkrankungen und bestimmte
petenten Beratung bedürfen, um NährTumorarten. Beispielsweise wiesen die
stoffdefizite zu vermeiden.
Veganer in der Adventist Health Study 2 eine Diabetesprävalenz von ledigDie Darmflora steuert Krankheit
lich 2 Prozent auf, im Vergleich zu 3,2
und Gesundheit
Prozent bei Vegetariern und 7,6 Prozent bei Fleischessern. Zwischen 26 und
Als intestinales Mikrobiom wird die Ge28 Prozent beträgt laut mehrerer prossamtheit der intestinalen Mikrobiota
pektiver Kohortenstudien die Senkung
einschließlich des Genoms bezeichnet.
der KHK-Mortalität. Veganer weisen in
Konsortien aus den USA (Human Microden vorliegenden Studien tendenziell
biome Project, HMP) und Europa (Meein verringertes Gesamtkrebsrisiko als
tagenomics of the Human Intestinal
Fleischesser auf. Differenziert nach TuTract, MetaHIT) wetteifern um die Genmorarten gibt es jedoch nur einzelne sisequenzierung der wohl 1.500 Spezies.
gnifikante Unterschiede.
Der Erhalt eines „gesunden“ intestinaErnährungsmedizinische Interventiolen Ökosystems ist wohl nicht nur für
nen mit veganer Kost zeigen meist grödie Darmgesundheit von Bedeutung.
ßere Erfolge als konventionelle VerDie Vielfalt der Darmbakterien trainiert
gleichsdiäten. So besserte eine fettarme
das Immunsystem und bereitet es auf
vegane Ernährung ohne Kalorienres­
den Ernstfall vor. Umweltfaktoren wie
triktion die metabolischen RisikoLebensraum, Alter, Ernährung, Infektifaktoren adipöser Typ-2-Diabetiker
onen, Typ-2-Diabetes, Adipositas, chronachhaltiger als die konventionelle Ernisch-entzündliche Darmerkrankunnährungstherapie der American Diabegen sowie Infektionen verändern das
tes Association. Im Lauf von 74 Wochen
Mikrobiom in seiner Zusammensetkam es zu einer verzung und Diversität.
gleichbaren GewichtsSo weisen traditionell
Mit einer fettarmen
abnahme (−4,4 kg vs.
lebende Völker im Ver­veganen Ernährung sin3,0 kg), unter veganem
gleich mit Europäern
ken sowohl das Gewicht
Essen aber zu einer
ein wesentlich vielfälals auch die metabobesseren Entwicklung
tigeres mikrobielles
lischen Risikofaktoren.
von Blutzucker (HbA1c:
Milieu auf – womöglich letzte Ressour−0,4 vs. +0,01) und Blutcen für ein gesundes
lipiden (LDL-CholesMikrobiom. Denn es wird diskutiert,
terin: −13,5 vs. −3,4 mg/dL) sowie einer
ob nicht in der westlichen Welt die vernachhaltigen Reduktion der Medikabreitete Einnahme von Antibiotika, die
mentendosis. Die Compliance war in
ausgeprägte Hygiene, der Verzehr von
beiden Studienarmen gleich.
Fertigprodukten und die frühe KoloniRichtig durchgeführt, ist bei vollwersierung des Darms über Säuglingsnahtiger veganer Ernährung ein partieller
rung zu ungünstigen Veränderungen
Schutz vor bzw. eine Besserung von erdes Mikrobioms führen.
nährungsmitbedingten Zivilisationskrankheiten wie Adipositas, Diabetes
Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Stuhltransplantation als Therapie
und Krebs zu erwarten, bestätigte Prof.
Dr. Hans Hauner, Leiter des Instituts für
Das Mikrobiom weist eine begrenzErnährungsmedizin der TU München.
te Resilienz gegen Veränderungen auf.
Er schränkte ein, dass besondere GrupEinmalige Antibiotikagaben werden
pen wie Schwangere, Stillende, Kinder
toleriert, aber wiederholte und dauerbei veganer Ernährung einer fachkomhafte Anwendungen stören die DarmDer Hausarzt 062016
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Wichtig für einen intakten Darm ist der Erhalt
eines gesunden intestinalen Ökosys­tems.
flora nachhaltig. Hingegen kann eine­
­einmalige Stuhltransplantation das
Mikro­biom dauerhaft verändern. Bei
der Fecal Microbiota Transplantation
(FMT) wird Spenderstuhl in Kochsalzlösung verflüssigt, filtriert und dem Patienten via Duodenalsonde oder Koloskop zugeführt. Erprobt ist das Verfahren
seit zehn Jahren bei therapierefraktären
oder wiederkehrenden Darminfektionen mit Clostridium difficile. Hier werden Heilungsraten von über 90 Prozent
berichtet. Ein geeigneter Spenderstuhl
kann offenbar die Überwucherung mit
pathogenen Clostridien zurückdrängen
und die Diversität wieder herstellen.
Ein Nutzen der FMT wurde in kontrollierten Studien außerdem bei Patienten
mit Insulinresistenz und bei chronischentzündlichen Darmerkrankungen
(CED) belegt. Patienten mit CED zeigen
nach einer aktuellen Metaanalyse von
18 Studien klinische Remissionsraten
zwischen 36 und 45 Prozent. Eingriffe in
das komplexe Mikrobiom bleiben aber
mit Unwägbarkeiten behaftet. So wird
ein Fall berichtet, in dem eine Patientin nach der Stuhltransplantation Übergewicht entwickelte; der Spender war
zwar darmgesund, aber adipös.
Ralf Schlenger
Quelle: 6. Update Ernährungsmedizin 2015 der TU
München. Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. med.
Hans Hauner, Zentralinstitut für Ernährungs-und
­Lebensmittelforschung (ZIEL), Else Kröner-Fresenius Zentrum für Ernährungsmedizin, Lehrstuhl für
­Ernährungsmedizin der TUM.
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