reportage DONNERSTAG, 7. MÄRZ 2013 44 Bilder: Donato Caspari KAGfreiland-Bauer Hans Jörg Studer streichelt seinen Stier. Dieser trägt als einer von zwei Tieren keine Hörner – Studer hat ihn enthornt gekauft. «Die Tiere sollen sich wohl fühlen» Nach dem Fleischskandal ist vor dem Fleischskandal. Hans Jörg Studer braucht keinen zu fürchten. Er ist seit zehn Jahren KAGfreiland Bauer und setzt sich für artgerechte Haltung von Nutztieren ein. Für ihn selbstverständlich. Eine Reportage von Tanja Weibel und Donato Caspari (Fotos). TANJA WEIBEL SCHLATT. Ein wunderschönes, al- tes Bauernhaus taucht im Altparadies bei Schlatt aus dem Frühnebel auf. Hier wohnt Biobauer Hans Jörg Studer, der den Uehlehof mit rund 27 Hektaren Land vor 16 Jahren von seinen Eltern übernahm. Damals baute man ausschliesslich Getreide, Zuckerrüben und Mais an. Nach der Übernahme hat Studer auf Bio umgestellt und Behau- sungen für Pferde, Schweine, Mutterkühe und Hühner erstellt. Vor zehn Jahren trat er der Organisation KAGfreiland bei (siehe Kasten). Das Beste für die Tiere Sein Beitritt bedeutete aber keine grosse Veränderung für seinen Hof. «Als ich KAGfreiland beitrat, musste ich nichts anders machen, weil meine Tierhaltung bereits genau den Richtlinien der Thurgauer KAGfreiland-Bauern In der Schweiz gibt es etwa 150 KAGreiland-Bauern, die sich für eine artgerechte Tierhaltung einsetzen. Im Thurgau können bei folgenden Bauern verschiedene Produkte direkt ab Hof gekauft werden: Ï Hans Oppikofer Mausacker 9314 Steinebrunn Schweinefleisch Ï Josef Schuler Hohlenstein 8376 Au TG Natura Beef (Rindfleisch) Weidegitzi Trockenfleisch Mostbröckli Ï Hansjörg Studer Alt Paradies 8252 Schlatt Früchte und Gemüse Schweinefleisch Rindfleisch Eier Ï A. und R. Huggenberger Oberoppikon 9565 Oppikon Eier Ï Hans Wohnlich Amriswilerstrasse 110 8590 Romanshorn Eier (taw) Organisation entsprach. Ich habe meine Tiere schon immer so gehalten, da dies meiner Meinung nach das Beste für sie ist», sagt Hans Jörg Studer. Vor einem Jahr hat sich der KAGfreiland-Bauer mit Silvia Hauenstein zusammengetan. Es entstand die Betriebsgemeinschaft Hauenstein-Studer mit rund 45 Hektaren Fläche. Diese Synergie entlastet beide Seiten und ermöglicht sowohl Studer als auch Hauenstein mehr Lebensqualität, da die Arbeit nun aufgeteilt wird. Er kümmert sich um Kühe, Pferde und Schweine, Acker- und Gemüsebau. Sie betreut die Hühner und erledigt die Büroarbeiten. Ausserdem werden drei Festangestellte auf dem Hof beschäftigt, und Studers Schwester kümmert sich um die Direktvermarktung der Produkte. Fleisch aus Direktvermarktung Auf dem Uehlehof kann man Eier, Kartoffeln, Karotten, Zwiebeln, Randen, Erdbeeren und Fleisch direkt beziehen. Dies hat den grossen Vorteil, dass man als Kunde genau weiss, woher ein Produkt kommt und was genau drin ist. Gerade nach einem Lebensmittelskandal wollen viele wieder auf der sicheren Seite sein, was die Zusammensetzung ihrer Mahlzeit angeht. Mit einem Direktkauf ab Hof hat man diese Ein neugieriges Ferkel wagt sich aus seiner Hütte. Die Mastschweine sind von April bis November im Freien. Sicherheit. «Alle Schweine und etwa 50 Prozent der Kühe werden direkt verkauft. Der Rest geht über einen Händler», sagt Bauer Studer während des Rundgangs auf seinem Hof. Erste Station ist die Pferdekoppel. Drei Pensionspferde stehen zusammen im Offenstall. «Ich halte die Pferde in Gruppen, weil sie Herdentiere sind», sagt Studer. Ein Schwein gestohlen Weiter geht es zu den Schweinen. Die Mastschweine leben von Frühling bis Herbst auf einem Acker, auf dem im Vorjahr noch Erdbeeren wuchsen. Sobald sie ein Gewicht von 100 Kilo erreicht haben, werden die Schweine geschlachtet, und auf dem Acker wird wieder Gemüse angepflanzt. Die Schweine können sich im Gehege frei bewegen und in der Erde nach Wurzeln wühlen. «Die Tiere sollen sich wohl fühlen. Wenn sie ihre Bedürfnisse ausleben können, ergibt das auch eine gute Fleischqualität», sagt Studer. Die Freilandhaltung habe aber auch Nachteile: «Vor ein paar Jahren wurde mir doch tatsächlich ein Schwein gestohlen.» Nächster Halt sind die Kühe. Aubrac, eine französische Rasse. Und fast alle haben Hörner. «90% der Schweizer Kühe sind enthornt, obwohl die Haltung von Kühen mit Hörnern problemlos möglich ist», sagt Hans Jörg Studer. Er kennt jede Kuh mit Namen und weiss genau, welche zahmer sind und welche weniger. «Jede Kuh soll ein Individuum bleiben.» Hähne strukturieren die Herde Zum Schluss betritt Studer den Hühnerstall. 2000 Hennen mit etlichen Hähnen befinden sich dort. Die Haltung von Hähnen ist eine Richtlinie der KAGfreiland. «Sie strukturieren die Herde», sagt Studer. Täglich werden etwa 1700 Eier eingesammelt. Nebst einem grossen Stall haben die Hühner viel Auslauf mit Unterständen und Beschäftigungsmöglichkeiten wie Sandbädern. «Es ist wichtig, dass die Tiere ihre Triebe ausleben können», sagt Studer. Sonst würden sie sich langweilen. Wer sich nie langweilt, ist Studer selbst: «Bauer zu sein, ist ein Vollzeitjob. Trotzdem würde ich nie etwas anderes tun wollen.» STICHWORT KAGfreiland KAGfreiland ist eine gemeinnützige Organisation, die sich seit über 40 Jahren für artgerechte Haltung von Nutztieren einsetzt und gegen Missstände in der Tierhaltung kämpft. KAGfreiland-Bauern müssen zwingend Bio-Bauern sein und sich an alle Richtlinien bezüglich artgerechter Tierhaltung von KAGfreiland halten. Diese gehören zu den strengsten Richtlinien weltweit und umfassen unter anderem folgende Punkte: Ï Die Tierhalter pflegen eine gute Beziehung zu ihren Nutztieren. Ï Alle Tiere auf KAGfreiland-Betrieben sind in Gruppen zu halten. Ï Alle Tiere auf KAGfreiland-Betrieben haben Ställe, die die freie Bewegung aller Tiere zulassen und fördern. Ï Allen Tieren eines KAGfreilandBetriebs ist täglicher oder dauernder Auslauf zu gewähren. Ï Die Transporte von KAGfreilandSchlachttieren dürfen max. 30 km weit führen oder höchstens eine Stunde dauern und sind durch die KAGfreiland-Tierhalter selbst durchzuführen. Ï Elektrotreiber und Schlagstöcke sind verboten. Ï Alle zwei Jahre findet in den Bauernhöfen eine unangemeldete Kontrolle durch geschulte Bio-Spezialisten statt. Ï Im Gegenzug bietet KAGfreiland den Bauern eine Vermarktungsplattform für Ihre Produkte. (taw) Mindestens ein Hahn pro 100 Legehennen, dies schreiben die KAGfreiland-Richtlinien den Tierhaltern vor.