Evolutionsökologie

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Evolutionsökologie
Inhalt
8.1
Einleitung
8.2
Molekulare Ökologie: Unterschiede zwischen Artengenossen und Arten
8.3
Koevolutionäres Wettrüsten
8.4
Mutualistische Interaktionen
Schlüsselkonzepte
Dieses Kapitel soll
›
›
die molekularen Marker vorstellen, die in der Ökologie verwendet werden;
zeigen, wie mit diesen Markern die genetischen Unterschiede innerhalb von
Arten und zwischen Arten untersucht werden können;
› die Bedeutung des koevolutionären Wettrüstens zwischen Pflanzen und pflanzenfressenden Insekten und zwischen Parasiten und ihren Wirten für die Dynamik von Populationen aufzeigen;
› auf die Rolle von mutualistischen Interaktionen und auf ihre entscheidende Bedeutung für die betreffenden Arten und nahezu alle Lebensgemeinschaften der
Erde aufmerksam machen;
› den Beitrag mutualistischer Beziehungen für eine Vielzahl von Bereichen vorstellen, von der Landwirtschaft über Verdauung und Wurzelsysteme bis zur
Stickstofffixierung für Pflanzen.
8
298
Teil 3 Individuen, Populationen, Gemeinschaften und Ökosysteme
Wir haben bereits festgestellt, dass in der gesamten Ökologie nichts einen Sinn
ergibt, außer wenn man es im Lichte der Evolution betrachtet. Aber es gibt
Bereiche in der Ökologie, wo Evolution wichtiger ist als in anderen. So kann
es nötig sein, die Gene von Individuen im Detail zu analysieren oder zu unter­
suchen, welche Bedeutung Arten gegenseitig für ihre Evolution haben.
8.1
Einleitung
In Kap. 2 haben wir klar gemacht, warum für dieses gesamte Buch der leicht
veränderte, berühmte Spruch von Dobzhansky gilt, dass „nichts in der Ökologie
einen Sinn ergibt, außer wenn man es im Lichte der Evolution betrachtet“. Aber
Evolution ist mehr als die Grundlage der Ökologie (und des ganzen Rests der
Biologie). In vielen Bereichen der Ökologie stehen evolutionäre Anpassungen
durch natürliche Selektion tatsächlich im Mittelpunkt. Zur Beschreibung dieser
Bereiche wird der Begriff „Evolutionsökologie“ verwendet. In einigen vorangegangenen Kapiteln wurden bereits Themen aus dem Bereich der Evolutionsökologie als wichtige Bestandteile von breiteren ökologischen Fragen behandelt. In
Kap. 3 haben wir die Eigenschaften und die Bedeutung von Abwehrstrategien
betrachtet, mit denen sich Pflanzen und Beutetiere gegen ihre Feinde verteidigen. In Kap. 5 haben wir gesehen, wie Life-history Strategien (d. h. der Ablauf
von Wachstum und Reproduktion, etc.) nur im Zusammenhang mit den Lebensräumen verstanden werden können, in denen sie sich evolviert haben. In Kap. 6
haben wir interspezifische Konkurrenz als treibende evolutionäre Kraft für die
Koexistenz oder die Verdrängung von Arten kennen gelernt. Und in Kap. 7 haben wir die Theorie des optimalen Nahrungserwerbs diskutiert: Die Evolution
von Verhaltensstrategien, mit denen Räuber ihren Fortpflanzungserfolg maximieren und die gleichzeitig die dynamische Beziehung zur Beute formen.
Die Aufzählung ist allerdings beileibe keine vollständige Übersicht über die
Themen der Evolutionsökologie. Im vorliegenden Kapitel behandeln wir deshalb noch eine Reihe weiterer Aspekte (wobei die Gesamtliste dann immer noch
nicht vollständig sein wird). Wir werden uns dabei besonders auf Koevolution
konzentrieren: Artenpaare, die gegenseitig als treibende Selektionskraft auf ihre
Evolution wirken. Der Aspekt des koevolutionären Wettrüstens zwischen Räuber und Beute wird in Abschn. 8.3 aufgegriffen. Dabei wird ein besonderer
Schwerpunkt auf die Beziehungen zwischen Wirten und ihren Pathogenen gelegt
werden: Jede Anpassung der Beute, welche den Angriff eines Räubers abwehrt
oder vermeidet, bewirkt eine entsprechende Anpassung auf der Seite des Räubers, diese Abwehrmaßnahmen zu überwinden. Aber nicht alle koevolutionären
Beziehungen sind feindlicher Natur. Viele Artenpaare leben mutualistisch und
beide Partner profitieren, zumindest insgesamt betrachtet, von der Beziehung.
Einige der wichtigsten dieser Mutualismen, z. B. Bestäubung, Korallen und
Stickstofffixierung, werden in Abschn. 8.4 diskutiert. Wir beginnen allerdings
nicht mit der Interaktion von Arten, sondern mit der evolutionären Differenzierung innerhalb von Arten und zwischen Arten. Dabei konzentrieren wir uns
auf solche Differenzierungen, welche durch die neu entwickelten Methoden der
Molekulargenetik untersucht und daher oft in den Bereich der „Molekularen
Ökologie“ gerechnet werden.
Kapitel 8 Evolutionsökologie
8.2
299
Molekulare Ökologie: Differenzierung
innerhalb von Arten und zwischen Arten
Meistens ist es für Ökologen völlig ausreichend, „Populationen“ oder „Arten“
so zu behandeln, als ob sie homogene, gegeneinander abgrenzbare Einheiten
wären. So reden wir beispielsweise über die „Verbreitung des Indischen Elefanten“, wobei wir außer Acht lassen, dass die Art tatsächlich in getrennte Rassen
oder Untergruppen zerfällt (Abb. 8.1). In manchen Fällen ist es aber notwendig
zu wissen, wie stark sich die Individuen innerhalb einer Art oder die Individuen zweier Arten voneinander unterscheiden, um ihre Populationsdynamik zu
verstehen und letztlich zu lenken. Besteht die Population eines Areals weitgehend aus Individuen, die hier geboren wurden oder aus Immigranten von
anderen, unterscheidbaren Populationen? Wo genau endet die Verbreitung einer
bestimmten Art und wo beginnt die Verbreitung einer ähnlichen, nah verwandten Art? Fälle wie diese lassen sich nur untersuchen, wenn man in der Lage ist
festzustellen, wer mit wem enger verwandt ist (und wer nicht).
Unsere Fähigkeit dazu ist abhängig davon, wie groß die Unterschiede zwischen Individuen sein müssen, so dass wir sie noch voneinander unterscheiden können, um festzustellen, woher sie gekommen sind oder wer ihre Eltern
waren. In der Vergangenheit war das häufig schwierig, oft auch unmöglich.
Nach den damals verwendeten, einfachen optischen Merkmalen sahen alle Individuen einer Art gleich aus. Sogar Individuen verschiedener Arten konnten oft
Abb. 8.1 Verbreitung von zwei Verwandtschaftsgruppen des Indischen Elefanten Ele­
phas maximus, die sich nur mit Hilfe molekularer Marker voneinander unterscheiden
lassen. Die Gruppen kommen in vielen Gegenden zusammen vor, sie sind aber so verschieden, dass ihre Populationsdynamik selbst dort, wo sie koexistieren, vermutlich
unabhängig voneinander ist (nach Fleischer et al. 2001)
Man muss wissen,
wer mit wem enger
verwandt ist
300
Teil 3 Individuen, Populationen, Gemeinschaften und Ökosysteme
nur von erfahrenen Taxonomen unter dem Mikroskop unterschieden werden,
z. B. anhand der männlichen Genitalien. Heutzutage können wir mit genetischen, molekularen Markern zwischen Populationen und sogar zwischen Individuen unterscheiden und sind daher viel besser in der Lage, solche Fragen zu
untersuchen. Allerdings benötigen wir auch dazu Experten und eine aufwendige
Ausrüstung. In Fenster 8.1 stellen wir einige der wichtigsten dieser molekularen Marker vor und zeigen, wofür sie verwendet werden.
8.1 Quantitative Aspekte
M o l ek u l a r e M a r ke r
Dies ist zwar nicht der geeignete Ort für einen CrashKurs in Molekularer Biologie oder den Methoden, mit
denen im Labor molekulare Marker extrahiert, amplifiziert, aufgetrennt und analysiert werden. Trotzdem
ist es nicht schlecht, zumindest eine gewisse Ahnung
von den Eigenschaften dieser Marker zu haben und
einige der technischen Begriffe und Abkürzungen zu
kennen. Die meisten ökologischen Studien der letzten Zeit haben auf die eine oder andere Art DNA für
molekulare Identifizierungen genutzt. Daher sollten
wir zumindest wissen, dass ein DNA-Strang durch die
Reihenfolge der Basen Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Thymin (T) charakterisiert ist, aus denen
er zusammengesetzt ist. In einem DNA-Doppelstrang
bilden diese Basen immer die gleichen, einander gegenüberliegenden Paare aus A-T oder G-C.
D ie A u s w a h l de s g eei g n e t e n
M a r ke r s
Die Verwendung von molekularen Markern in der
Ökologie basiert auf der Tatsache, dass sich Individuen mehr oder weniger gut anhand von molekularen Variationen zwischen ihnen trennen lassen. Der
Grund für diese Unterschiede sind letztlich Mutationen in der Reihenfolge der Basenpaare, die unabhängig davon auftreten, welche Folgen sie für den
betreffenden Organismus haben. Was mit der Mutation passiert und dem Organismus, welcher sie trägt,
hängt von dem Gleichgewicht zwischen Selektion
und genetischer Drift ab, worunter man zufällige,
ungerichtete Veränderungen der Genfrequenz von
einer Generation zur nächsten versteht. Liegt die
Mutation in einem wichtigen Bereich der DNA, welcher beispielsweise den entscheidenden Teil eines
Enzyms kodiert, dann wird das Ergebnis wahrscheinlich durch die Selektion bestimmt. Eine ungünstige
Mutation, und die meisten Mutationen in wichtigen
DNA-Regionen sind ungünstig, wird sehr schnell verschwinden, weil der mutierte Organismus weniger fit
ist als seine Artgenossen. Individuen einer Population unterscheiden sich in diesen Regionen daher nur
wenig, und wenn doch, dann stellt der Unterschied
wahrscheinlich eine adaptive Variation dar.
Aber es gibt auch DNA-Regionen, die offenbar
keine wichtigen Stellen eines Enzyms kodieren oder
irgendeine andere Funktion haben, bei der die exakte Sequenz von Bedeutung ist. Variationen, welche
in diesen Bereichen auftreten, werden daher als „neutral“ bezeichnet und im Laufe der Zeit können sich
Mutationen in diesen Regionen anhäufen. Stellen wir
uns zwei Nachkommen aus einer einzigen Paarung
vor. Beide werden genetisch sehr ähnlich sein. Aber
stellen wir uns weiter vor, dass jeder der Beiden sich
weiter fortpflanzt und viele Generationen von Nachkommen hat. Mit jeder Generation häufen sich Mutationen an und die Nachkommen der Beiden werden
sich immer stärker in solchen Regionen des Genoms
unterscheiden, in denen Variationen neutral sind.
Bei einer Momentaufnahme in der Zukunft sollten
wir bestimmen können, welche Gruppen sich schon
länger aufgetrennt haben und welche Gruppen fast
noch nicht. Ob wir das können, hängt allerdings davon ab, wie schnell die DNA in der betreffenden Region mutiert: Geschieht es zu langsam, werden sich
die Individuen kaum unterscheiden. Geschieht es zu
Kapitel 8 Evolutionsökologie
schnell, wird jedes Individuum einzigartig sein und
es wird schwer, die Verwandtschaftsbeziehungen zu
anderen zu bestimmen. Molekulare Marker sollten
deswegen idealerweise so gewählt werden, dass die
Mutationsrate zur Fragestellung passt. Um Wüstenrennmäuse zu differenzieren, die in verschiedenen
Bauten leben, aber zur selben, lokalen Population
gehören, sollte eine DNA-Region mit hoher Mutationsrate gewählt werden, mit großen Unterschieden
zwischen aufeinanderfolgenden Generationen. Für
eine Studie zu den Routen der Wiederbesiedelung
von Europa durch den Braunbären in den letzten
10 000-12 000 Jahren seit dem Ende der letzten Eiszeit, welche zu den verschiedenen Populationen geführt haben, sollte eine Region mit relativ geringer
Mutationsrate gewählt werden.
P o ly me r a s e - K e t t e n r eak t i o n
( P o ly me r a s e c h ai n r ea c t i o n , P CR )
Die meisten molekular-ökologischen Arbeiten, in denen DNA aus Organismen extrahiert wird, nutzen die
Polymerase-Kettenreaktion (PCR) um die Menge des
untersuchten genetischen Materials zu vermehren
und genügend Material für Analysen zur Verfügung
zu haben. Da auf diese Weise sehr kleine Proben ausreichen, können Individuen auch nicht-invasiv untersucht werden, durch Proben aus Blut, Haaren, Kot
oder einer Feder.
Einfach dargestellt benötigt man für eine PCR sogenannte „Primer“, die an die DNA-Sequenz passen,
welche man amplifizieren möchte. Bei der PCR-Reaktion, welche heutzutage komplett automatisiert abläuft, wird die ursprünglich doppelsträngige DNA zu
Einzelsträngen denaturiert. Die Primer binden sich an
diese einzelnen Stränge (man spricht von annealing)
und ein Enzym, die DNA-Polymerase, kopiert die
Sequenz zwischen den Primern. Dieser Ablauf wird
30- bis 40-mal wiederholt. Diese wiederholte Amplifizierung hat einen exponentiellen Verlauf. Daher entsteht aus einer ursprünglich nur sehr kleinen Menge
an Ziel-DNA, welche sich inmitten von anderen, unerwünschten Sequenzen befindet, eine so große Menge,
dass sie analysiert werden kann. Vorraussetzung ist es
allerdings, dass nicht nur eine informative Zielregion
der betreffenden DNA identifiziert wurde, sondern
dass auch Primer vorliegen, die dazu passen.
301
K e r n - D N A u n d mi t o c h o n d r ia l e D N A
Besonders in der Vergangenheit verwendeten viele
Studien keine DNA aus dem Zellkern (welche in der Regel zu gleichen Teilen von den Eltern stammt und die
Informationen für die überwiegende Mehrheit der Körperfunktionen eines Organismus enthält), sondern die
relativ kurzen Stücke mitochondrialer DNA (mtDNA),
die sich in den Mitochondrien im Zytoplasma jeder
Zelle befinden. Der Hauptvorteil der mtDNA besteht
darin, dass sie fast immer von der Mutter vererbt wird,
von der ja das Zytoplasma des Eies stammt, und dass
sie daher nicht der Rekombination unterworfen ist.
Verwandtschaftslinien können deshalb leichter von
Generation zu Generation verfolgt werden und außerdem ist die Mutationsrate höher als bei wichtigen,
kodierenden Regionen der Kern-DNA, so dass eine feinere Differenzierung möglich ist. Auf der anderen Seite
bietet mtDNA nur eine geringe Zahl an Zielregionen
(Targets) für Primer, und da mtRNA nur von der Mutter
vererbt wird, ist es unmöglich, die beiden Eltern eines
Individuums in einer Population zu bestimmen. Daher
werden heutzutage zusammen mit der mtDNA zunehmend auch Regionen der Kern-DNA verwendet und
somit die Vorteile von beiden kombiniert.
M ik r o s at e l l i t e n
Innerhalb der Kern-DNA verwenden Molekularbiologen aber nicht nur Sequenzen (bzw. Gene), die
für Proteine kodieren. Mikrosatelliten sind DNARegionen, in denen sich die gleichen drei oder vier
Basen viele Male wiederholen. Vor und nach diesen
Regionen befinden sich flankierende Bereiche, die
für jeden Mikrosatelliten charakteristisch sind (Abb.
8.2a). Allele unterscheiden sich nun in der Anzahl der
Wiederholungen und daher in der Länge der Mikrosatelliten-DNA. Mikrosatelliten von verschiedener
Länge bewegen sich unterschiedlich schnell durch
ein Gel (eine gallertartige Matrix), an dem Spannung
angelegt wird, und können daher aufgetrennt werden (Elektrophorese). Innerhalb einer Population
können Mikrosatelliten sehr verschieden sein. Durch
Auswahl einer Reihe geeigneter Mikrosatelliten kann
daher jedes Individuum einer Population eindeutig
identifiziert werden (genetischer Fingerabdruck). Mikrosatelliten sind also besonders für eine Unterscheidung auf sehr feinem Niveau geeignet.
302
Teil 3 Individuen, Populationen, Gemeinschaften und Ökosysteme
Se q u e n z ie r u n g
Wurde die Zielregion der Kern- oder mitochondrialen DNA von vielen Individuen ausgewählt, extrahiert und amplifiziert, so benötigt man nun etwas,
mit dem man die einzelnen Individuen voneinander
unterschieden kann um beispielsweise festzustellen, wer mit wem enger verwandt ist. Angesichts der
fortschreitenden Automatisierung der Analysen und
den sinkenden Kosten wird dafür zunehmend die
gesamte Gensequenz bestimmt. Wie oben erwähnt,
sind verschiedene Regionen im selben Gen für die
Funktion des Gens unterschiedlich wichtig (Abb.
8.2b). Manche Regionen sind bei allen Individuen,
in allen Populationen oder oft sogar innerhalb derselben Art immer gleich. Diese Regionen werden als
„konserviert“ (conserved) bezeichnet. Diese Regionen
sind (vermutlich) für die Funktion des Gens am wichtigsten und spielen für eine Unterscheidung keine
Rolle. Aber es gibt andere Regionen, in denen viel
mehr Variation zu beobachten ist. Bei diesen Regionen ist anzunehmen, dass sie für die Funktion keine
Rolle spielen (sie sind neutral) oder jedenfalls nur einer sehr schwachen Selektion ausgesetzt sind. Diese
Regionen können verwendet werden, um Individuen
und Populationen zu unterscheiden.
a
Re s t r ik t i o n s - F r a g me n t - L ä n g e n P o ly m o r p h i s m u s ( R F L P )
In der Vergangenheit wurden häufig bestimmte
Enzyme, sogenannte Restriktionsendonukleasen
verwendet, die bestimmte DNA erkennen und dort
zerschneiden. Ein DNA-Strang wird auf diese Weise
in Fragmente zerlegt. Individuen unterscheiden sich
aufgrund von weitgehend neutralen Mutationen in
der Lage dieser Stellen und daher auch in der Länge
der DNA-Fragmente, welche durch den Einsatz der
Restriktionsendonukleasen entstehen. Die DNAFragmente bei verschiedenen Individuen lassen sich
nun wieder mit Hilfe der Elektrophorese vergleichen.
Diese Variation ist als Restriktions-Fragment-LängenPolymorphismus (RFLP) bekannt. Da verschiedene
Restriktionsendonukleasen die DNA an unterschiedlichen Erkennungssequenzen zerschneiden, hat jede
Restriktionsendonuklease ihre eigenen Polymorphismen. Proben können nun mit einer ganzen Reihe
dieser Enzyme behandelt werden, und die Individuen, welche am unterschiedlichsten sind, werden
sich in der größten Anzahl an RFLPs unterscheiden.
Der Nachteil dieser Methode besteht natürlich darin,
dass sie nur einen sehr geringen Teil der vorhandenen Variation einer Sequenz verwendet.
Abb. 8.2 a Der Begriff „Locus“ bezeichnet hier
die Lage einer Region auf der gesamten DNASequenz. Ein „Allel“ ist die spezifische Variante der Sequenz, welche in einem bestimmten
Flankierende Region
Mikrosatellit
Flankierende Region
Fall an diesem Locus vorliegt. Erinnern wir
uns, dass eine Sequenz aus zwei DNA-StränAllel mit acht Wiederholungen
gen besteht, die durch Basenpaare verbunden
sind: G ist immer mit C, und A ist immer mit T
b
gepaart. Die Abbildung zeigt zwei verschiedene
Individuum 1
Allele an einem Locus eines Mikrosatelliten.
Individuum 2
Individuum 3
Die Sequenz der sich wiederholenden Basen
Individuum 4
ist unterschiedlich lang (rot), die flankierenden
Individuum 5
Regionen sind dagegen identisch (schwarz).
b Im Gegensatz dazu zeigt diese Abbildung die
Basensequenz nur eines der beiden DNA-Stränge eines hypothetischen Gens (z. B. eines Gens, welches für ein
Protein kodiert) bei fünf verschiedenen Individuen. Beachten Sie den Unterschied zwischen den identischen,
konservierten Regionen an den beiden Enden (schwarz) und den variablen Regionen in der Mitte (rot). Die Unterscheidung zwischen Individuen muss anhand dieser variablen Region erfolgen
Allel mit zehn Wiederholungen
Kapitel 8 Evolutionsökologie
8.2.1
303
Unterschiede innerhalb einer Art
Albatrosse, diese Weltenwanderer mit der größten Flügelspannweite aller heute
lebenden Vogelarten, sind legendär und kommen in vielen Gedichten und Geschichten vor. Trotzdem wurden 2008 in der Roten Liste der IUCN (International Union for Conservation of Nature) 4 der bekannten 22 Albatrosarten als
vom Aussterben bedroht eingestuft, 6 Arten sind stark gefährdet, 8 Arten sind
gefährdet und nur 4 Arten sind lediglich auf der Vorwarnliste und gelten als gering gefährdet. Der Schwarzbrauenalbatros wurde kürzlich von Taxonomen in
zwei Arten aufgetrennt: Den Campbell-Albatros Thalassarche impavida, der nur
auf der Campbell-Insel zwischen Neuseeland und der Antarktis vorkommt, und
Thalassarche melanophris, der in anderen Gegenden der Antarktis brütet, unter
anderem auf den Falklandinseln, auf Südgeorgien und in Chile (Abb. 8.3a).
Der Graukopfalbatros Thalassarche chrysostoma ist ungefähr genauso groß
und brütet ebenfalls auf einer Reihe subantarktischer Inseln, einschließlich
Südgeorgien. Die beiden Schwarzbrauenalbatrosarten sind meist im Bereich
des Festlandsockels zu finden, während die Nahrungsgebiete der Graukopfalbatrosse sehr viel mehr „ozeanisch“ sind. Von beiden Arten wird angenommen,
dass sie brutortstreu sind, und, wie die anderen Albatrosarten auch, zum Brüten
in die Nähe ihres eigenen Geburtsortes zurückkehren. Angesichts der an allen
Brutstätten Jahr für Jahr abnehmenden Individuenzahlen stellen sich nun die
Fragen, ob diese einzelnen Populationen miteinander in Verbindung stehen oder
getrennt sind und ob Schutzbemühungen die ganze Art umfassen sollten oder
sich eher auf bestimmte Brutpopulationen beschränken sollten.
Diese Fragen wurden für beide Arten anhand von mtDNA-Sequenzen und
einer Gruppe von 7 Mikrosatelliten untersucht (Burg und Croxhall 2001). Die
Ergebnisse der mtDNA-Analysen waren besonders eindeutig (Abb. 8.3b,c) aber
auch die Daten der Mikrosatelliten ergaben das gleiche Bild. Für die Schwarzbrauenalbatrosse bestätigen die Daten die jüngste Abtrennung von T. impavida
als eigene Art. Es zeigte sich aber auch, dass sich die beiden Arten auf den
Campbell-Inseln miteinander paaren und Hybride produzieren.
Überraschenderweise zeigten die Daten aber auch, dass T. melanophris auf
den Falklandinseln eine Population bildet, die deutlich getrennt ist von einer
Population auf Diego Ramirez (Chile), Südgeorgien und den Kerguelen, die
trotz der Brutortstreue zu allen drei Standorten praktisch einheitlich ist. Im
Unterschied dazu scheinen die Graukopfalbatrosse aller fünf Standorte mit ihrer
größeren Flugreichweite eine einzige Brutpopulation zu bilden (Abb. 8.3c),
auch hier obwohl sie brutortstreu sind.
Aus der Sicht des Artenschutzes allerdings betrifft die wichtigste Schlussfolgerung der Studie die Art T. melanophris. Bislang wurde die Population auf
den Falklandinseln aufgrund ihrer Größe und Stabilität als Versicherung gegen
das Aussterben der Art betrachtet. Nun zeigen die molekularen Daten, dass
die Falklandpopulation und die restlichen Populationen der Art nicht zusammen gehören und die Letzteren dadurch offenbar viel stärker vom Aussterben
bedroht sind als vorher angenommen. (In Fenster 8.2 sehen wir, dass molekulare Marker in praktischen Fragen des Naturschutzes eine noch direktere Rolle
spielen können.)
Albatrosse
Molekulare Marker
im Artenschutz
304
Teil 3 Individuen, Populationen, Gemeinschaften und Ökosysteme
a
Campbell Inseln
Antarktis
Diego Ramirez
Kerguelen
Falklandinseln
Südgeorgien
Marion Inseln
b
T. melanophris
(Falkland)
DR
E
FI
FI
FI FI
FI
FI
FI
T. impavida
FI
F
G
mC
BI
BI
mC
BI
BI
A
mC
K
BI
iC
D
mC
K
BI
C
DR
T. melanophris
(Diego/Südgeorgien/Kerguelen)
DR
iC
C
iC
mC
DR
M
C
DR
K
K
M
DR BI
K
C
DR
C
BI
iC
BI
M
M
K
B
M
iC
DR
C
C
K
M
iC
BI
B
mC
iC
iC
BI
K
BI
iC
BI
H
M
iC
iC
iC
mC
iC
BI
BI
K
DR
A
DR
BI
K
DR
DR
FI
FI
M
DR
BI
K
FI
FI
mC
c
FI
M
M
M
BI
Kapitel 8 Evolutionsökologie
305
Abb. 8.3a–c Differenzierung der Populationen der Schwarzbrauenalbatrosse Thalassarche impavida und T. melano­
phris sowie des Graukopfalbatros T. chrysostoma. a Standorte in der Sub-Antarktis, an denen Proben genommen wurden.
b Die Verwandtschaftsbeziehungen von 73 Schwarzbrauenalbatrossen, basierend auf einer variablen Region der mtDNASequenz. Individuen des gleichen Standortes mit der exakt gleichen Sequenz sind mit einem Buchstaben bezeichnet
(A, B, usw.) und in einem Oval dargestellt, dessen Größe der Anzahl der Individuen entspricht. Individuen mit einzigartiger Sequenz, die in keine dieser Gruppen fallen, sind folgendermaßen bezeichnet: BI (Südgeorgien), DR (Diego
Ramirez, Chile), FL (Falklandinseln), K (Kerguelen), alle T. melanophris. mC (T. melanophris von den Campbell-Inseln),
iC (T. impavida von den Campbell-Inseln). Die Kreuzschraffur auf den Verbindungslinien bezeichnet die Anzahl der
Unterschiede zwischen den Individuen oder Gruppen. Die Proben fallen in drei Gruppen: T. impavida und T. melano­
phris von den Falklandinseln und T. chrysostoma von allen anderen Standorten. Beachten Sie jedoch, dass die Zuordnung zu den Gruppen, ebenso wie zu den Populationen, nicht perfekt ist. Darüber hinaus wurden einige Individuen von
T. melanophris als Hybride von T. melanophris und T. impavida identifiziert. c Die Verwandtschaftsbeziehungen von
50 Graukopfalbatrossen, basierend auf einer variablen Region der mtDNA-Sequenz. Die Kodierung ist dieselbe wie in
b mit zwei Ausnahmen: M steht für Marion-Inseln und C für Campbell-Inseln. In diesem Fall sind keine separierbaren
Gruppen erkennbar (nach Burg und Croxall 2001)
8.2 Aktueller ÖKOnflikt
F o r e n s i s c h e A n a ly s e de r He r k u n f t u n s e r e r Na h r u n g
Wie wir in Kap. 12 noch ausführlicher diskutieren
werden, gibt es immer häufiger Konflikte darüber,
ob natürliche Populationen mancher Arten als Nahrungsquelle ausgebeutet oder eher geschützt werden sollen, entweder aus ethischen Gründen oder
damit auch zukünftige Generationen noch etwas zu
essen haben. In Kanada werden pazifische Lachsarten
sowohl kommerziell (von der Industrie) als auch von
Sportfischern intensiv ausgebeutet. Jeder der Nutzer
hat dabei seine eigene Strategie, um sicherzustellen,
dass auch in Zukunft noch Fische gefangen werden
können. Wenn bestimmte Arten gut verfügbar sind,
kann beispielsweise der Fang auf andere Fischarten
vollständig eingestellt werden, so dass sie sich wieder
fortpflanzen und ihre Bestände sich erholen können.
Trotzdem ist die Nachhaltigkeit dieser Aktivitäten
stark bedroht: Im Jahre 2002 wurde mit dem CohoLachs (Silberlachs, Oncorhynchus kisutch) aus dem
Oberlauf des Fraser Rivers das erste Mal die Population einer Kanadischen Lachsart als „stark gefährdet“
eingestuft. Und viele andere Populationen benötigen
ebenfalls Schutz. In einer idealen Welt wären politische Maßnahmen und damit das Management verschiedener Fischpopulation vollkommen effektiv. In
der Realität aber kommt es zu illegaler Fischerei und
es ist schwer, die Übeltäter auf frischer Tat zu ertap-
pen. Eine alternative Methode oder zumindest eine
weitere Strategie im Arsenal der Schutzbehörden besteht darin, illegal gefangene Fische an einer anderen Stelle in der Nahrungsmittelkette vom Fang zum
Verbraucher zu identifizieren. Diese Strategie beruht
auf molekularen Markern.
Die zehn pazifischen Lachsarten der Gattung
Oncorhynchus können durch eine RFLP-Analyse der
Kern-DNA voneinander unterschieden werden (Withler et al. 2004). Die Ergebnisse einiger Untersuchungen im Fall des illegalen Besitzes von Lachsen sind
in Tabelle 8.1 dargestellt. Im zweiten dargestellten
Fall zeigte ein unzufriedener Küchenchef den Besitzer eines Restaurants bei den Behörden an. Einer der
Fische wurde als Silberlachs identifiziert. Da das Tier
offenbar nicht tiefgefroren war, konnte es nicht aus
dem Vorjahr stammen, in dem der Fang noch legal
war. Der Restaurantbesitzer erhielt seine gerechte
Strafe. Mit Hilfe von Mikrosatelliten ist es möglich,
sehr geringe Unterschiede zwischen Proben festzustellen, so dass man nicht nur zwischen Fischarten,
sondern innerhalb einer Fischart mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit sogar zwischen bestimmten Flüssen unterscheiden kann. Die Ergebnisse einiger solcher Untersuchungen sind in Tabelle 8.2 dargestellt.
Im zweiten Fall wurde in 50 Fischdosen Rotlachs
306
Teil 3 Individuen, Populationen, Gemeinschaften und Ökosysteme
gefunden, der illegal im Fraser River gefangen worden war. Der Angeklagte wurde zu 15 000 US-Dollar
Strafe verurteilt. Bei ihm wurden 100 000 Fischdosen
mit Lachs gefunden, im Verkaufswert von 300 000 bis
400 000 US-Dollar.
Was halten Sie von der Höhe der verhängten Strafen? Wie schwerwiegend ist eine solche Straftat im Vergleich zu anderen Straftaten, wie Straßenraub oder dem
Besitz von Drogen zum persönlichen Gebrauch? Sollte
die Höhe der Strafe im Verhältnis zum ökonomischen
Schaden stehen, den die betreffenden Fischereibetriebe
erleiden oder sollte die Strafe eher ein Signal an all diejenigen darstellen, die sich weigern anzuerkennen, dass
gefährdete Populationen geschont werden müssen,
damit auch zukünftige Generationen noch etwas von
ihnen haben?
Tabelle 8.1 Artbestimmung von Lachsen anhand von biologischen Proben. Die Proben wurden von kanadischen Fischerei­
behörden aufgrund des Verdachtes genommen, dass die Fische aus illegalen Quellen stammen könnten
Fall (Jahr)
Untersuchte
Gewebeart
Identifizierte Art
Ergebnis der
Strafverfolgung
Strafe ($)
1 (1995)
Blut, Schuppen,
Schleim aus dem
Behälter
Coho-Lachs
Verurteilung
1 500
2 (1996)
Muskulatur
Keta-Lachs
Verurteilung
1 800
Königslachs
Coho-Lachs
3 (1998)
Muskulatur
Coho-Lachs
Verurteilung
?
4 (1999)
Muskulatur
Atlantischer Lachs
Keine Anklage
–
Königslachs
Coho-Lachs
5 (2000)
Muskulatur
Coho-Lachs
Schuldgeständnis
7 500
6 (2000)
Muskulatur
Rotlachs
Verurteilung
1 000
(nach Wither et al. 2004)
Tabelle 8.2 Bestimmung von Lachsen anhand von biologischen Proben. Die Proben wurden von Fischereibehörden aus
den gleichen Gründen genommen wie in Tabelle 8.1. IF&T bezieht sich auf die Zuflüsse zum Oberlauf des Fraser (Interior
Fraser) und Thompson Rivers
Fall (Jahr)
Identifizierte
Lachsart
Herkunft der Fische
Ergebnis der
Strafverfolgung
Strafe ($)
1 (1998)
Rotlachs
96,5% Fraser, 96,5%
IF & T
Schuldgeständnis
2 000
2 (1999)
Rotlachs
100% Fraser, 100%
IF & T
Verurteilung
15 000
3 (1999)
Königslachs
91,4% Fraser
Keine Verurteilung,
in Berufung
4 (2000)
Rotlachs
100% Fraser, 100%
IF & T
Verurteilung
8 000
5 (2001)
Rotlachs
97,8% Fraser, 97,8%
IF & T
Verurteilung
3 000
(nach Wither et al. 2004)
http://www.springer.com/978-3-540-95896-3
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