Interview mit Catherine Gex Gesundheit – Epilepsie Noch heute machen Unkenntnis und Vorurteile über Epilepsie vielen Betroffenen zu schaffen. Epilepsie oder ein epileptischer Anfall ist für viele Aussenstehende nämlich mit Geheimnissen, Scheu, Ängsten und Entsetzen verbunden. Dabei tritt diese neurologische Störung häufiger auf, als man annehmen könnte, und kann uns alle jederzeit betreffen. Antoine Gessler (dt. Text Karin Gruber) Ein Mann schlendert gemütlich die Strasse entlang und scheint urplötzlich für einige Sekunden oder Minuten wie «abwesend» zu sein… Eine Frau verliert ebenso urplötzlich das Gleichgewicht und fällt von Krämpfen durchzuckt auf den Boden. Zwei ganz unterschiedliche Muster, und doch leiden beide Personen an Epilepsie. «Es handelt sich hierbei um eine Krankheit, die uns alle betreffen kann, und das zu jedem Zeitpunkt unseres Lebens», erklärt Catherine Gex, Psychopädagogin und Generalsekretärin der Westschweizer Epilepsiestiftung «Eclipse» in Lausanne. Weltweit ist rund 1 Prozent der Bevölkerung von Epilepsie betroffen, so auch in der Schweiz. 70 000 Personen in unserem Land leiden an dieser Krankheit, darunter 15 000 Kinder. Jedes Jahr treten 3000 neue Fälle auf. Frau Gex, wie äussert sich Epilepsie? Epilepsie ist eine Krankheit, die völlig überraschend auftritt. Man kann ihr Entstehen eigentlich nicht vorhersehen und niemand ist vor ihr geschützt. Das Gehirn ist ein Teil des menschlichen Körpers, der noch viele Geheimnisse vor uns verbirgt. Doch wir wissen, dass ein epileptischer Anfall auf das zentrale Nervensystem zurückzuführen ist. Es handelt sich nämlich um eine neurologische Störung, bei der sich Gruppen von Nervenzellen im Gehirn vorübergehend anormal entladen. Normalerweise erzeugen diese Nervenzellen oder Neuronen elektrochemische Impulse, die auf andere Nervenzellen, auf Drüsen und Muskeln eine Wirkung ausüben. Durch diese Impulse werden Gedanken, Gefühle und Handlungen ausgelöst. Bei einer Epilepsie ist die normale Nerventätigkeit gestört. Die Neuronen können sich bei einem Anfall bis zu 500 Mal pro Sekunde entladen – also bedeutend schneller als im Normalzustand, bei dem sie rund 80 Impulse pro Sekunde abgeben! Je nachdem, was die betroffenen Nervenzellen für eine Funktion ausüben, kann ein Anfall unterschiedliche Formen annehmen. Das kann vom Empfinden ungewöhnlicher Gefühle, vom Hören, Riechen, Schmecken, Sehen oder Fühlen von Dingen, die nicht real sind, bis zur Bewusstseinsveränderung oder zur Bewusstlosigkeit gehen. Es gibt verschiedene Arten generalisierter Anfälle, von sogenannten Absencen (Petit mal), bei denen die betroffene Person zeitweise «abwesend» zu sein scheint und in die Luft starrt, über Muskelverspannungen und Zuckungen bis hin zum sogenannten tonisch-klonischen Anfall (Grand mal), bei dem sich der Körper versteift, verschiedene Zuckungen auftreten und es sogar zur Bewusstlosigkeit kommt. 70 000 Personen in unserem Land sind von Epilepsie betroffen, darunter 15 000 Kinder Catherine Gex Welche Ursachen hat eine Epilepsie? In 40 % der Fälle ist die organische Ursache auf eine Läsion, d.h. auf eine Verletzung oder Störung zurückzuführen: Unfall, Kopfverletzung, Hirntumor, Schlaganfall, angeborene Krankheit, Fehlentwicklung, Vergiftung, Infektion. 20 bis 30 % der Fälle sind erblich bedingt. Bei 30 % der Fälle ist die Ursache unbekannt. Sie steht auch jeweils mit dem Alter der betroffenen Person im Zusammenhang. So treten Epilepsien infolge einer Durchblutungsstörung des Gehirns fast ausschliesslich in fortgeschrittenen Lebensphasen auf. Bei den Kindern hingegen ist eine Epilepsie hauptsächlich auf Hirnläsionen zurückzuführen. Epilepsie kann uns alle betreffen – jederzeit. macht und Hirntumore, Zysten und andere Strukturanomalien erkannt werden können. Teilweise werden auch Blutuntersuchungen durchgeführt, um eventuelle Stoffwechselkrankheiten, genetische Störungen oder Vergiftungen nachweisen zu können. Wie soll man sich verhalten, wenn jemand einen epileptischen Anfall hat? Wer ist von Epilepsie betroffen? Man sollte beobachten, wie lange der Anfall dauerte und vor allem verhindern, dass sich die betroffene Person verletzt. Auf keinen Fall darf man der Person etwas in den Mund geben. Wenn ein Anfall bis zu fünf Minuten andauert, braucht man sich keine Sorgen zu machen. Es reicht, wenn man bei der betroffenen Person bleibt und ihr Sicherheit gibt. Wenn der Anfall jedoch länger anhält oder mehrere Anfälle aufeinander folgen, sollte man die 144 anrufen. Grundsätzlich kann jeder Mensch einen epileptischen Anfall erleiden. Männer und Frauen sind in gleichem Masse betroffen. Eine Epilepsie kann angeboren sein oder im Laufe des Lebens auftreten, und zwar in jedem Alter. Das Neuauftreten einer Epilepsie ist jedoch im frühen Kindesalter oder im höheren Lebensalter wahrscheinlicher. Epilepsie ist eine Krankheit, die völlig überraschend auftritt. Catherine Gex Wie wird Epilepsie diagnostiziert? Anhand einer Reihe von Untersuchungen wird festgestellt, ob jemand von Epilepsie betroffen ist und auch an welcher Form von Anfällen er leidet. Hierzu werden neurologische und psychologische Tests, bei denen die motorischen Fähigkeiten, das Verhalten und die intellektuelle Leistungsfähigkeit beurteilt werden, durchgeführt. Ebenso werden bei einem Elektroenzephalogramm (EEG) die Hirnstromkurven aufgezeichnet, womit Veränderungen der elektrischen Hirnaktivität festgestellt werden können. Als Zusatzuntersuchung kommt eine Magnetresonanztomographie (MRT) infrage, bei der die Gehirnstruktur sichtbar ge- FOTO ISTOCK Kann man einer normalen beruflichen Tätigkeit nachgehen? Das hängt ganz von der Art der Epilepsie ab. Es gibt Betroffene, die einem ganz normalen Beruf nachgehen und andere, die auf die Unterstützung der IV angewiesen sind. In gewissen Fällen kann Epilepsie plötzlich verschwinden und einige Jahre später unerwartet wieder auftreten. INFO Epilepsie ist keine Geisteskrankheit, sondern eine neurologische Krankheit. Bei einem epileptischen Anfall erzeugen die Nervenzellen oder Neuronen im Gehirn bedeutend schnellere Impulse als bei normaler Hirntätigkeit. Wie wird Epilepsie behandelt? Jeder Epileptiker ist ein Individuum und hat seine ganz eigene Form von Epilepsie, manchmal sogar verschiedene Arten kombiniert. Epilepsie kann sehr effizient mit sogenannten Antiepileptika behandelt werden. Jede betroffene Person wird aber anders auf diese medikamentöse Behandlung ansprechen: Bei 30 % der Fälle liegt eine pharmakoresistente Epilepsie vor, d.h. dass die Betroffenen trotz der Einnahme von Medikamenten nicht anfallsfrei bleiben. Es gibt auch die Möglichkeit eines chirurgischen Eingriffs, doch eine solche Operation ist nicht immer ganz harmlos. Je nachdem, welche Hirnregion betroffen ist und wie wichtig diese für das Verhalten im Alltag ist, kann von einer Operation abgeraten werden, da es schlimmstenfalls zu einem Gedächtnisverlust oder zu bleibenden Schäden kommen kann. NÜTZLICHE ADRESSEN Schweizerische Liga gegen Epilepsie www.epi.ch Schweizerische Vereinigung der Eltern epilepsiekranker Kinder www.parepi.ch Schweizerischer Verein für Epilepsie www.epi-suisse.ch PARTNER Wie kann man als betroffene Person die Situation optimieren? Gibt es eine Präventionsmöglichkeit? Eine gute Lebensführung verringert stark das Anfallrisiko. Das heisst, dass man darauf achten sollte, genügend Schlaf zu bekommen, sich ausgeglichen zu ernähren und so weit wie möglich auf den Konsum von Alkohol, Tabak und anderen aufputschenden Stoffen zu verzichten. Auch ist es wichtig, dass man regelmässig seine Antiepileptika einnimmt. Stress sollte man möglichst vermeiden, da er das Anfallrisiko erhöht. Alles, was dem Stressabbau förderlich ist, wie Sport oder Yoga, verringert dieses Risiko. Da die Ursache für die Anfälle oft unbekannt ist, kann diesen auch nicht vorgebeugt werden. Viele Fälle von Epilepsie, bei denen die Ursachen bekannt sind, lassen sich aber vermeiden: Durch Unfallprävention können Kopfverletzungen vermieden werden, bei Schwangeren können Bluthochdruck und Infektionen behandelt werden, um einer Hirnschädigung beim ungeborenen Kind vorzubeugen, und ganz allgemein kann man Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen.