Ethische Aspekte Nierentransplantation

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Ethische Aspekte bei Transplantationen
20. Fachtagung für Nephrologische Pflege
Daniela Ritzenthaler
Inselspital Bern
5.11.2015
Inhalt
 Was macht und kann die Ethik?
 «Spendertypen»
 Verteilgerechtigkeit eines knappen Gutes: Wer
soll ein Organ erhalten?
 Fallbeispiele
07.11.2015
2
Moral
07.11.2015
3
Was ist Moral?
Ein Gefäss, gefüllt mit…
• Werten
• Wertvorstellungen
• allem, was mir wichtig ist
Individuell,
Gruppenabhängig,
gesellschaftsabhängig, von
der Religion geprägt…
unbewusst / intuitiv /
unreflektiert
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4
Ethik
07.11.2015
5
Ethik
 Was ist Ethik?
 Teilgebiet der Philosophie
 Frage von Kant: «Was soll ich tun?»
 Wenn das Handeln seine Selbstverständlichkeit
verliert
 Reflexion von Moral
 Lösung von ethischen Dilemmata:
Werteabwägungen
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6
Ethik
•
•
•
•
•
•
•
fragt nach Werten,
hinterfragt, reflektiert Moral,
untersucht moralische Grundsätze, sucht allgemeingültige
Grundsätze.
liefert Instrumente, Hilfsmittel um ethische Fragen zu
lösen.
versucht mittels Verallgemeinerungen die richtige
Entscheidung zu finden
bietet keine fertigen Antworten.
sucht nach dem guten und schönen Leben
Ethik
 Ethische Gesprächsleitfäden: um in der
Einzelsituation «gute» Entscheide zu fällen.
 Ethische Richtlinien erarbeiten in der
Organisation.
 Auf gesellschaftlicher Ebene: Gesetze in
Wertefragen (z.B. PID, Abtreibung,
Organallokation)
 Ethik ermöglicht das Abwägen von Werten
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Ethik…
 …kann nicht erzwungen werden.
 …kann argumentieren, überzeugen, aber nicht
immer absolut sagen, was richtig ist.
 …lässt sich überzeugen vom besten Argument.
 …funktioniert nur, wenn die Beteiligten auf ihre
Machtansprüche verzichten können.
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Die 4 bioethischen Prinzipien
Tom Beauchamp & Childress:




Respektieren der Autonomie
Gutes Tun
Nicht Schaden
Gerechtigkeit
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10
Transplantation
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Transplantationsgesetz
 Seit 2007 in Kraft







Unentgeltlichkeit und Handelsverbot
Unabhängigkeit der involvierten Personen
Erweiterte Zustimmungslösung
Nationale Zuteilungsstelle
Warteliste
Zuteilung der Organe
Transplantation
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Moralische Intuitionen und
Haltungen
Eigene Einstellung/Haltung
 Haben Sie eine eigene Haltung zum Thema?
 Ist es (immer) etwas Gutes?
 Ist es in gewissen Situationen nicht mehr etwas
Gutes?
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Würden Sie eine Niere
spenden, wenn Sie tot
wären?
 Bei «klassischem Hirntod»?
 Auch als Non-heart-beating donor?
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Wem würden Sie lebend eine
Niere spenden?






Gar niemandem?
Den eigenen Kindern?
Der Partnerin? Dem Partner?
Den Eltern?
Geschwistern?
Nahen Freunden?
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15
Ein paar Grundlagen / Statistiken
Organtransplantation
Verschiedene Seiten einer Erfolgsgeschichte:
Die Empfängerin / Der Empfänger
Die Behandlungsteams
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Die Spenderin / Der Spender
Die Angehörigen
Zivilgesellschaft
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Der Empfänger
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Nierentransplantationen in
der Schweiz
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Nierentransplantationen
 Die Zahl der Personen auf der Warteliste hat
sich fast verdoppelt in 10 Jahren.
 Es wurden konstant ca. 180 Nieren pro Jahr von
toten Spendern transplantiert (2004-2014)
 Lebendorganspenden nahmen tendenziell zu
(von ca. 80 auf ca. 120, wieder 2004-2014)
 Die Spendebereitschaft nahm total nicht ab.
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Der Spender
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Spender / Empfänger
 87% der Befragten gaben an, dass sie ein
Organ annehmen würden, wenn sie eines
bräuchten.
 25% der Befragten waren bereit, eigene Organe
zu spenden.
Wie weit sollte die Spendebereitschaft mit dem
«Recht auf Empfang» gekoppelt werden?  sog.
Clubmodell.
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Lebendspende von Nieren
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23
Deutschland




1990: 40 Lebendnierentransplantationen
2013: 729
Viermal so viele warten auf ein Organ.
Jede 5. transplantierte Niere ist inzwischen eine aus
einer LOS
 Vorteile einer LOS gegenüber POS
(Wöhlke, S. (2015), S.12/13)
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Prozentzahlen in D LOS
von jährlich ca. 800
Beziehung Spender zum Empfänger
2011 in %
Mutter
18.9
Vater
12.3
Tochter
1.0
Sohn
0.3
Ehefrau
28.3
Ehemann
11.9
Schwester
7.8
Bruder
7.9
Freundin
1.3
Freund
2.3
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Ethische Punkte
 Spenden ist ein Geschenk
 Empfänger können dank Organ länger leben 
eine geschenkte Lebenszeit
 Kann trotzdem ein Druck entstehen auf nahe
Verwandte, zu spenden?
 Was passiert mit einer Beziehung, wenn jemand
sagt: ich spende nicht.
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Lebendorganspende
 Ein (kleines) Risiko für den Spender aufgrund
des Eingriffs
 Eine Verletzung der körperlichen Integrität
 Wenig Schutz in D: keine Priorisierung, sollten
sie selber einmal auf eine Niere angewiesen
sein.
 Frauen spenden häufiger als Männer (2/3).
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Studie von Sabine Wöhlke
 Wird die Lebendspende als altruistische
Handlung begriffen?
 Gibt es im späteren Verlauf nicht Probleme mit
Dankbarkeit und Schuldgefühlen?
 Wie gehen Spender und Empfänger mit
Dankbarkeit um und wie kommunizieren sie
diese?
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«Geschenk»
 «Geschenke sind in unserer Gesellschaft etwas
sehr Persönliches, sie symbolisieren teilweise
unser Selbst und verändern sowohl die
Gebenden als auch die Nehmenden in ihrer
Beziehung zueinander.»
 Der Austausch von Geschenken funktioniert in
jeder Kultur nach festgelegten
Austauschritualen.
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Anthropologie: Gabe
Geben
Erwidern
Nehmen
Spende / Opfer  hat religiös eine andere Funktion: Christus
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Todspende (empirische
Daten)
 Dankbarkeit ist stark
 Die Empfänger möchten «sich erkenntlich
zeigen»
 Können dies jedoch nicht (Anonymität & Tod)
 Fühlen sich z.T. mit dem Spender
verwandtschaftlich verbunden
 Wäre es besser, gar nicht zu leben, als diese
Gefühle zu haben?
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Wichtg in der LOS
 «Autonom und freiwillig handeln zu können,
beinhaltet in erster Linie, eine Entscheidung
nicht unter Zwang zu treffen, keiner Manipulation
zu unterliegen, also eben nicht fremdbestimmt
zu handeln.» (Wöhlke, S.61)
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Fallgeschichte





Ca. 75-jährige Frau, rüstig, elegant
Terminale NI, dialysepflichtig
Untergewicht, Ernährungsprobleme
Grossen Widerstand gegen die Dialyse
Lebt mit Lebenspartnerin
 Eine Ärztin sprach die Patientin auf die
Möglichkeit der Transplantation an.
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Fallgeschichte II
 Zuerst waren die Ärzte im Unispital skeptisch:
Alter, Gewicht
 Die Ärztin insistiert  Gesprächstermin
 Skepsis auch im Regionalspital, Skepsis im
Unispital
 Doch Abklärungen
 Die Lebenspartnerin wäre die beste Spenderin
für die Patientin (fast wie eine Schwester)
 Soll transplantiert werden?
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Welche ethischen Fragen?
 Diskutieren Sie zu dritt ethische Fragen in
diesem Fall (15’)
 Welche Werte stehen auf dem Spiel?
 Was finden Sie für die Entscheidung von
Bedeutung?
07.11.2015
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Fallbeispiel III
 Nach einem Hin- und Her entschied ein Arzt: wir
transplantieren!
 Die Patientin wurde transplantiert
 Alles verlief optimal, keine Komplikationen bei
beiden (inzwischen über 75 und 70-jährig)
 Heute über 80 geht es der Patientin noch immer
gut, sie braucht keine Dialyse.
 Starke Verbundenheit der beiden Frauen: Die
Frage ist im Raum: Sind wir Seelenverwandte?
07.11.2015
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Schlussfolgerungen aus dem
Fallbeispiel?
 «Was meinst Du, wie oft wir Bedenken hatten,
ausser Z. sie hat immer an die Transplantation
geglaubt.»
 «Fazit: Es gibt zwar ethische Grundregeln…
Aber manchmal ist das Ganze auf einem
anderen Blatt geschrieben und kopfmässig über
Ethik zu diskutieren bringt oft noch mehr
Verwirrung. Wir sehen nur mit dem Herzen gut.»
07.11.2015
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LOS
 Dauer und Reziprozität der Beziehung
 Was macht es mit Ihnen, wenn Sie Zweifel
haben am oben genannten? Z.B. der
Nierenempfänger öfter Aussenbeziehungen hatte
und Sie denken, die Frau spendet die Niere um ihn
an sich zu binden?
07.11.2015
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Moralische Dilemmata
 Wie gehe ich als Pflegefachperson damit um,
wenn ich den Eindruck habe, dass die Motive,
die hinter der Lebendnierenspende für den
Spender selber «nicht gut» sind?
 Gibt es ein Recht, schlechte Entscheidungen zu
treffen und in «unglücklichen» Beziehungen zu
verharren?
07.11.2015
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Ethische Überlegungen
 Schwierige Beziehungsgeflechte scheinen sich
in LOS deutlich zu zeigen.
 Es löst Gefühle von «Schützen wollen» aus, die
Prinzipien «Nicht Schaden» (des Spenders) und
«Gutes Tun», resp. «Respekt vor der
Autonomie» können in Konflikt geraten.
 Der Spender ist urteilsfähig (das wird abgeklärt,
davon gehe ich aus), und er gibt seinen
informed consent in die Spende
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Ethische Abwägungen
 Dürfen wir ihn also warnen davor, dass er aus
unserer Sicht etwas tut, was ihm nicht gut tun
wird?
 Ist es besser, er tut etwas, was ihm nicht so gut
tut (Abhängigkeiten, Schuldgefühle,
Dankbarkeits- und Loyalitätskonflikte), damit der
Partner nicht stirbt?
 Ist das Überleben des Partners/des Bruders, etc.
das höchste Gut?
07.11.2015
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Shared decision making Prozess
vor dem Transplantieren
 Gemeinsame Entscheidung zwischen Arzt und
Patient(in)
Cf. Broschüre Insel: Vor- und Nachteile abwägen
07.11.2015
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Organspende von toten Spendern
07.11.2015
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Ethische Fragen
Organgewinnung / Organentnahme
Dürfen Organe entnommen werden?
Organzuteilung
Wie kann das knappe Gut «Organe»
gerecht verteilt werden?
Förderung der Spendebereitschaft
Was darf getan werden, um die Situation
der Organknappheit zu verbessern?
Verhindern von Interessenkonflikten und
Organhandel
Wie können Organentnahmen verhindert
werden, die von Eigeninteressen
getrieben sind? Wie ist der Handel mit
Organen zu unterbinden?
Aus: Unterrichtsmaterialien für den Philosophieunterricht von Swisstransplant
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Spendebereitschaft
Schweiz
14.4 Spender/Mio.
Einwohner (2014)
• inkl. Spender im
Hirntod
• nachHerzKreislaufstillstand
*
07.11.2015
45
Fragen
Ablehnungsrate in Spitälern 2014: 58% in der CH
 Gründe für die tiefe Spendebereitschaft in der
CH?
07.11.2015
46
Gründe für Nichtäusserung
07.11.2015
47
Organhandel
 Legalisierung des Organhandels
 Illegaler Organhandel
07.11.2015
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Legalisierung des
Organhandels?
Ethische Frage: Sollen Lebendspenden von
Nieren gegen Entgeld möglich sein?
Argumente dagegen (Quelle: Swisstransplant):
 Aus Studien weiss man (Indien & China), dass
es den Menschen nicht nachhaltig besser geht
nach dem Verkauf.
 Anreize für reiche Menschen nicht da (Vergleich
Blutspende)
 Versachlichung & Kommerzialisierung des
menschlichen Körpers ist per se problematisch
07.11.2015
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Illegaler Organhandel
 In jedem Fall eine gravierende Verletzung der
körperlichen Integrität und letztlich der Würde
des Betroffenen.
 Verbrechen gegen die Menschlichkeit
 Kampf gegen organisiertes Verbrechen
 http://hottproject.com/: Gruppe von
Wissenschaftlern, die gegen Organhandel
forschen
07.11.2015
50
Erhöhung der Spenderzahlen
Zustimmungslösung
Jeder, der als Organspender zur Verfügung
stehen will, muss zu Lebzeiten eine eindeutige
Spendeabsicht abgegeben haben
(Spendekarte, Mitteilen des Willens an die
Angehörigen).
Widerspruchslösung
Jeder, der sich nicht ausdrücklich dagegen
ausgesprochen hat, kann zum Organspender
werden.
Erweiterte
Zustimmungslösung
Die Angehörigen dürfen der Organentnahme
zustimmen, sofern die verstorbene Person zu
Lebzeiten weder zugestimmt noch
widersprochen hat. Der mutmassliche Wille
des Verstorbenen muss aber zwingend
beachtet werden.
07.11.2015
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Zuteilung von Organen:
Kriterien





Medizinische Dringlichkeit
Medizinischer Nutzen
Wartezeit
Chancengleichheit
Wohnsitz Schweiz
 Objektivität?
07.11.2015
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Kriterien der Zuteilung
Ethische Diskussion
 Ist der medizinische Nutzen «neutral»
abschätzbar?
 Wie stark sollte die Compliance des Patienten
einbezogen werden (z.B. wird sie/er die
Immunsuppressiva regelmässig einnehmen)?
 Sollte das Alter nicht doch eine Rolle spielen? 
Bsp. Israel
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Erhöhung der
Spenderzahlen: Non heart
beating donors
In der Schweiz werden in folgenden
Universitätsspitälern Organe bei NHBD
entnommen:
 Zürich
 St. Gallen (Nur Nieren)
 Genf (nur Nieren)
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Was bedeutet NHBD?
07.11.2015
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Patientenverfügung Dialog
Ethik
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Gründe für die Trennung
 Informierte Entscheidungen durch Bevölkerung
 Es macht intuitiv einen Unterschied, ob der
Hirntod über mehrere Stunden besteht, oder ob
die Organe nach 10’ entnommen werden.
 Kanülen (zur Kühlung der Organe) sind invasive
Massnahmen, die nur dem Empfänger dienen.
Diese dürfen nur durchgeführt werden dürfen,
wenn der Spender vorgängig seine Zustimmung
gegeben hat  Instrumentalisierung des
Spenders.
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Argumente gegen die
Unterscheidung nach
Veröffentlichung der PV
 Das ist für die Patienten zu komplex
 Die Unterscheidung ist hinfällig, nach der
Hirntoddefinition der SAMW sind in beiden
Fällen die Spenderinnen hirntod.
 Es werden gar nicht in jedem Fall Kanülen
gebraucht.
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Die Meinung von T. Gfeller
Quelle: http://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/der-tod-als-startschuss-zuneuem-leben-von-tobias-gfeller-111875110
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Menschenbild &
Todeskonzept
 Wann ist ein Mensch tot?
 Wie sieht es mit dem Bewusstsein aus 10’ nach
dem Herzstillstand?
 Wie «tot» ist man nach 10’?
 Intuitiv schwer fassbar, dass ein hirntoter
Mensch (auch bei «regulärem» Hirntod), der
noch warm ist, Reflexe hat, etc. «wirklich» tot
sein soll.
 Hängt vom Menschenbild ab und vom
Verständnis des Todes
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Religion
 Religion beeinflusst das Verständnis ebenfalls.
 Die Weltreligionen haben unterschiedliche
Positionen, meist positiv, aber es gibt individuell
von Geistlichen auch abweichende Haltungen.
 Der Buddhismus ist eher skeptisch bei der
Totenspende
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Hinweis auf die Tagung in
Rom
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Abschluss
Schenkt man bei einer Lebendnierenspende auch das Herz mit?
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Herzlichen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit!
Kontakt:
[email protected]
Tel. 044 252 42 01
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Literatur
 Wöhlke, Sabine (2015): Geschenkte Organe? Ethische und
kulturelle Herausforderungen bei der familiären
Lebendnierenspende. Frankfurt: Campus.
 Dialog Ethik: Thema im Fokus.
 http://www.bag.admin.ch/transplantation/00695/01488/11828/index.h
tml?lang=de
 www.swisstransplant.ch (Foliensatz, Kampagne)
 http://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/der-tod-als-startschuss-zuneuem-leben-von-tobias-gfeller-111875110
 Ralf J. Jox, Galia Assadi, Georg Marckmann (Eds): Organ
Transplantation in Times of Donor Shortage: Challenges and
Solutions. International Library of Ethics, Law, and the New
Medicine (ed. by D.N. Weisstub), volume 59. Heidelberg: Springer
2015
07.11.2015
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