Die Auswirkungen der Ersten Juragewässerkorrektion auf die Fischerei Jörg Ramseier Die grossräumigen Veränderungen der Wasserläufe und der Landschaft durch die Erste Juragewässerkorrektion hatte auch Auswirkungen auf die Fische und deren Nutzung in den Seen und in den Fliessgewässern des Seelandes. Die Entwicklung ist, wenn überhaupt, dann nur sehr grob festgehalten worden. Wohl auch darum, weil zu dieser Zeit die Fischerei nur sehr wenig Bedeutung besass. Die Korrektion wurde unter dem Druck der grossen Not im Seeland durchgeführt. In der gleichen Zeit veräusserte der Kanton einen guten Teil seiner Fischereirechte. Im Seeland wurden unter anderen die Fischerei- rechte im Lyssbach, im Worbenbach, in der Leugene und im Häftli verkauft. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass der abschliessende Bericht der bernischen Baudirektion aus dem Jahr 1921 die Wirkung der Korrektion auf die Fischerei in einem einzigen Kapitel mit nur drei Seiten abgehandelt hat. Der Bau des Kanals von Aarberg bis in den Bielersee, die künstliche Regulierung des Wasserstandes in den drei Seen und die Ausbaggerung des Auslaufes des Bielersees waren für die Fischwelt entscheidende Faktoren. Durch den Bau des Hagneck-Kanals wurden in einem Zeitraum von zehn Bipschal: der abgesenkte Bielersee nach der Juragewässerkorrektion. (A. Peter, Juragewässerkorrektion, 1922) 105 Jahren zirka zwei Millionen Torf- und Kiesmaterial in den Bielersee geschwemmt. Dieses Material verursachte über Jahre eine starke Trübung des Seewassers. In Hagneck bildete sich ein Delta. Die Fischer stellten einen starken Ertragsrückgang im Bielersee fest und brachten das mit der Einleitung des kalten Aarewassers in Zusammenhang. Der Verfasser des Anschlussberichtes der bernischen Baudirektion, Ingenieur A. Peter, nahm wohl den Rückgang des Fischbestandes als Tatsache hin. Für ihn war aber klar, dass die Juragewässer- Brachsmen. korrektion nicht die einzige Ursache für den Rückgang war. In seinem Bericht schrieb er: «Auch andern Ortes ist ein Abnehmen des Fischbestandes konstatiert worden. So sind in Basel die Zeiten schon lange vorbei, wo man gesetzlich verbieten musste, den Dienstboten mehr als zweimal in der Woche Salm zu servieren, und wo man im Nasenstrich (Laichwanderung der Nasen) die Fische als Dünger für die Kartoffelpflanzen benutzte.» Auch der Einfluss des kühleren Aarewassers auf die Seetemperatur liess er nicht gelten. Einzig die Niveauschwankungen kamen für ihn als mögliche Ursache für einen Ertragsrückgang in Frage. Durch die Absenkung der Juraseen um durchschnittlich mehr als zwei Meter wurden die ehemaligen Laich- plätze trocken gelegt. Die neuen Flachwasserzonen waren noch ohne Vegetation und boten am Anfang nur einen schlechten Ersatz für die verlorenen Zonen. Durch die Möglichkeit der Regulierung des Seestandes und damit verbunden ein rasches Absenken des Sees zur Laichzeit wurde der Laicherfolg der Fische oft zunichte gemacht. Zwar konnten die absoluten Schwankungen verringert werden, aber die künstlichen, schnellen Schwankungen widersprechen einem natürlichen Regime, das viel langsamer vorangeht, so dass Eier genügend Zeit haben, um sich zu entwickeln, und die Fische in sichere Zonen flüchten können. Unter den Verhältnissen während dem Bau des Hagneck-Kanals litten vor allem die Felchen. Die relativ lange Entwicklungszeit und die ungeschützte Ablage der Eier auf dem Seegrund macht diese Fischart besonders empfindlich gegenüber Störungen. Karpfenartige Fische, Egli und Hechte, unterscheiden sich in ihren Ansprüchen stark von den Felchen und konnten sich weitaus besser den neuen Verhältnissen anpassen. Paul Aeschbacher, Lehrer am Progymnasium in Biel, erzählt in seinem Buch von 1923, Die Geschichte der Fischerei im Bielersee, von Grossfängen im Bielersee nach der Ersten Juragewässerkorrektion: «Von solchen Grossfängen im Bielersee aus der neuesten Zeit ist der unvergesslichste derjenige vom 1. April 1899, an welchem Tage Fischer von Lüscherz in einem Zuge mit einem Grossgarn die fast unglaubliche Menge von zirka 70 Zentnern, d. h. bei 7000 kg Fische fingen. Es handelte sich zum allergrössten Teil um Brachsmen (sog. Blaggen), welcher Fisch, ähnlich dem Häring im Meere, gelegentlich in 106 riesigen Zügen auftritt. (...) Grössere Züge von 25–30 q gelangen im Anfang dieses Jahrhunderts [20. Jahrhundert. Red.] sowohl den Lüscherzer als auch den Gerolfinger Fischern noch mehrere. Allein es sind doch eben Ausnahmen und betreffen fast regelmässig bloss eine nicht sehr wertvolle Fischart, eben die Brachsmen (Brachsle, Blagge). Auf den allgemeinen Fischbestand unseres Sees lassen sie deshalb nur einen einseitigen Schluss zu. Denn im Vergleich zu früheren Zeiten hat der Fischbestand des Bielersees wie der seiner Flüsse, unzweifelhaft abgenommen. Die Hauptgründe der gezeichneten Entwicklung der Fischerei liegen zum Teil in der nachteiligen Wirkung der Juragewässerkorrektion (seit 1879), der zahlreichen Kraftwerke und auch anderer Faktoren auf den Fischbestand…» 107 Vor und während der Ersten Juragewässerkorrektion waren die Belange der Fischerei und des Naturschutzes, wie wir sie aus unserer heutigen Optik kennen, bedeutungslos. Der Schutz der Menschen vor weiteren Hochwassern, Felchen. der Gewinn von trockenen Landwirtschaftsflächen, die aufkommende Wasserkraftnutzung und die Interessen einer künftigen Güterschifffahrt standen aus verständlichen Gründen stark im Vordergrund. Diese Haltung kommt im Bericht der Baudirektion von 1921 zum Ausdruck: «Die Fischerei besitzt keine rechtlichen Forderungstitel an die Juragewässerkorrektion. Wenn trotzdem ihre Berücksichtigung bei der Neuordnung befürwortet werden soll, so kann dies einzig unter dem Hinweis auf ihre volkswirtschaftliche Bedeutung erfolgen. Es muss aber in dieser Beziehung betont werden, dass sie gegenüber den anderen Interessen, insbesondere der Landwirtschaft und den Kraftwerken, zurücktreten muss. Man beachte dabei, welchen jährlichen Wert einzig die Kartoffelernte von Witzwil gegenüber der Fischerei darstellt.» Die Fangerträge der Berufsfischer im Bielersee werden erst seit 1931 systematisch erfasst. Diese Aufzeichnungen lassen also keine rückwirkenden Aufschlüsse über die Verhältnisse in den ersten Jahrzehnten nach der Korrektion zu. Die langjährige Statistik zeigt aber, dass sich der Fangertrag der Berufs- fischer im Bielersee seit 1931 bis in unsere Zeit von durchschnittlich 30 Tonnen pro Jahr auf etwa 140 Tonnen pro Jahr gesteigert hat. Diese Entwicklung hat eine Vielzahl von Ursachen. Gesteigerter Nährstoffeintrag, effizientere Befischung und intensive Besätze mit Felchen ab etwa 1950 sind nur einige der möglichen Gründe für den heute auch im schweizerischen Vergleich hohen Fangertrag im Bielersee. Die Fische im Bielersee haben die negativen Auswirkungen der Ersten Juragewässerkorrektion überstanden und es hat sich ein neues Gleichgewicht eingestellt. Der Lebensraum der Fische ist erst seit den 70er-Jahren durch ein Bundesgesetz geschützt. Mit der Inkraftsetzung des damaligen Fischereigesetzes sind Eingriffe in den Lebensraum der Fische bewilligungspflichtig. Mit der Einführung des Eidgenössischen Gewässerschutzgesetzes, naturfreundlicher Wasserbaugesetze und einer grossen Sensibilisierung der Bevölkerung für die Erhaltung von Naturwerten sollte der Fischbestand im Bielersee auch in den kommenden Jahren gesichert sein. Quellen: A. Peter, Die Juragewässerkorrektion. Bericht über die Vorgeschichte, Durchführung, Wirkung und Neuordnung 1921 der Korrektion der seeländischen Gewässer von Entreroches bis Luterbach, bearb. und hg. im Auftrag des bernischen Regierungsrates durch die Abteilung Juragewässerkorrektion der Baudirektion, Bern 1922. Paul Aeschbacher, Die Geschichte der Fischerei im Bielersee und dessen Nebenflüssen, Historischer Verein Bern, 1923. Jörg Ramseier ist Fischereiaufseher im Seeland und zuständig für den Vollzug der eidgenössischen und kantonalen Fischereigesetzgebung zur Erhaltung und Wiederherstellung von Lebensräumen für Fische; er wohnt in Ipsach. 108